Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

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Armin Zweite

Armin Zweite

Armin  Zweite

Armin Zweite

München,12. Dezember 2016

Franziska Leuthäußer: Ich habe gelesen, dass Sie in Ellerwalde in Westpreußen geboren und in Flensburg aufgewachsen sind. Wie kamen Sie nach Flensburg?

Armin Zweite: Auf einem Pferdefuhrwerk. Ende Januar 45. Ich erinnere mich noch gut daran. Ich war dreieinhalb und wir waren auf der Flucht. Mit dem Pferdefuhrwerk über die Weichsel, über Usedom und Wollin nach Güstrow. Eine abbrennende Stadt. Von Kiel nach Flensburg sind wir mit dem Zug gefahren. In Flensburg lebte ein Bruder meiner Mutter, er war dort an der Walzenmühle beschäftigt. Es war die Angst vor den Russen, die uns in die Flucht schlug. Ellerwalde ist ein kleiner Ort in der Nähe von Marienwerder. Mein Vater war dort Lehrer. Die Schule, ein kleiner zweigeschossiger Fachwerkbau, gibt es heute noch. Das ist eine sehr dörfliche Gegend, wo unter anderem Tabak angebaut wurde. Ich erinnere mich, dass meine Schwester und meine Großmutter auf der Flucht mit dabei waren und daran, dass ich die nach uns kommenden Pferde am Fressen des Heus, auf dem ich lag, hindern sollte. Eine traumatische Kindheitserfahrung, die prägend war. Heute ist das alles ferne Vergangenheit, aber so wie die Weltlage sich aktuell darstellt, tauchen die schrecklichen Erinnerungen gelegentlich wieder auf.

Sie waren drei Jahre alt, als Sie diese Reise unternehmen mussten. Wann wurde Ihnen klar, was damals eigentlich passiert ist? Ich meine nicht unbedingt das persönliche Schicksal, sondern den Krieg, den Deutschland geführt hat. Wie wurde man an diese Dinge herangeführt?

Als Kind hat man dazu gar keine Beziehung. Das dauert. In meiner Schulzeit wurde die Aufarbeitung des Holocaust vollkommen ausgeblendet. Wir hatten zwar Lehrer, die aus der DDR in den Westen gekommen waren und die NS-Zeit, den Krieg und seine Folgen angesprochen haben, aber an sich war es tabu und wurde verdrängt. Erst in der Oberprima begann die Beschäftigung mit dem Dritten Reich und intensivierte sich dann während des Studiums. Ich habe in Kiel bei Karl Dietrich Erdmann, einem eher konservativen Historiker, Geschichte studiert, aber auch Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte belegt. Und bin später nach Tübingen gewechselt, weil Ernst Bloch, Walter Jens, Otto Friedrich Bollnow, Wolfgang Mohr, Walter Schulz und etliche andere Koryphäen dort lehrten. Das war eine aufregende Zeit. Schließlich habe ich in Göttingen über ein altniederländisches Thema promoviert und Karl Arndt, der meine Doktorarbeit betreute, interessierte sich sehr für Naziarchitektur, was damals ungewöhnlich war, etwa für das Haus der Kunst oder für die großen Visionen, die Speer für Berlin hatte. Das Haus der Deutschen Kunst (heute Haus der Kunst) in München wurde von 1933 bis 1937 nach den Entwürfen des Architekten Paul Ludwig Troost als erster Repräsentativbau des nationalsozialistischen Regimes mit der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ eröffnet. Ab 1938/39 arbeitete Albert Speer an gigantomanischen Plänen für den Umbau Berlins zur „Reichs-„ bzw. „Welthauptstadt Germania“. Dazu gehörten zahlreiche Monumente und Monumentalbauten wie die Große Halle für Hunderttausende Besucher. Damals begannen verschiedene Historiker, sehr viel intensiver über diese Zeit zu arbeiten.

Was mir heute wieder stärker bewusst wird, ist, dass wir als Flüchtlinge in Flensburg Schwierigkeiten hatten, uns zu sozialisieren. Wir wohnten in einem Haus, in dem die Kinder von drei Familien in den Schulferien nach Dänemark geschickt wurden. Und natürlich wollte auch ich dorthin. Fröhlich und braungebrannt kamen sie von Bauernhöfen aus Jütland zurück, wo sie mehrere Wochen verbracht hatten. Das hätte ich auch gern gemacht, das kam aber angesichts der Auseinandersetzungen zwischen einer dänischen Minderheit und der Mehrheitsbevölkerung nicht infrage. Wir aus dem Osten galten mehr als Eindringlinge denn als Flüchtlinge, das war auf der Volksschule ein Dauerthema und führte zur Ausgrenzung. Auf dem Gymnasium spielte es dann keine Rolle mehr.

Wurde das auch zu Hause thematisiert?

Eigentlich nicht. Man registrierte es, aber man sprach natürlich nicht darüber.

Sie haben Ihr Studium in den Fächern Geschichte und Philosophie begonnen, 1963 kam die Kunstgeschichte dazu.

Anfangs wusste ich nicht so recht, was ich eigentlich werden wollte. Kunstgeschichte interessierte mich, was aber sollte man damit werden? Ein brotloser Beruf. Das hörten wir im Studium auch immer wieder von unseren Professoren: „Es ist prima, dass ihr studiert, aber große Chancen wird euch das nicht eröffnen.“ Damals gab es nur die Universität, das Museum und die Denkmalpflege. Zeitungen, Galerien, Kunsthallen, all diese neuen Berufsmöglichkeiten existierten in den 60er-Jahren nur sporadisch. Eine wichtige Figur für mich war Friedrich Beißner, Friedrich Beißner (1905 Hameln – 1977 Tübingen) war ein Germanist und war ab 1943 Professor für Deutsche Philologie in Gießen. 1945 wurde er auf den Hölderlin-Lehrstuhl der Universität Tübingen berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1961 lehrte. Bekannt ist Beißner insbesondere für seine „Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe“ (1943–1985), die sämtliche Werke Hölderlins umfasst. der große Hölderlin-Forscher, der sich eben auch für Kafka interessierte. In dieser Hinsicht war Tübingen wirklich hochinteressant. Wir gingen zu Vorlesungen über etruskische Kunst bei Wilhelm von Vacano, zu Walter Schulz, bei dem man etwas über Hegel hörte, zu Friedrich Bollnow, der über Wilhelm Dilthey sprach, oder zu Walter Jens, wenn beispielsweise Jewgeni Jewtuschenko Jewgeni Jewtuschenko (1932 Zima, Sowjetunion, heute Russland – 2017 Tulsa, Oklahoma) war ein russischer Dichter und Intellektueller, der in seinen Werken unter anderem die Herrschaft Stalins und die deutschen Verbrechen der Schoah thematisierte. Das Gedicht „Babi Jar“ (1961), das dem Massenmord an mehr als 33.000 Juden bei Kiew durch die Deutschen gedenkt, wurde 1962 vom Komponisten Dimitri Schostakowitsch in der Sinfonie Nr. 13 vertont. auftrat, auch zu Wolfgang Mohr, wenn er althochdeutsche Literatur behandelte … wir sind überall hingegangen. Psychologie, Philosophie, Naturwissenschaften, Kunstgeschichte und Archäologie. Man hatte viele Interessen, aber keinen klaren Plan, wie das heute etwa im Bachelor- und Masterstudiengang geregelt ist. Entsprechend lange habe ich gebraucht. Die Doktorarbeit zu schreiben war schwierig, denn dafür waren verschiedene Auslandsaufenthalte notwendig. Aber im Endeffekt bedaure ich das lange Studium überhaupt nicht. Die Entscheidung, Kunstgeschichte wirklich intensiv zu machen und es, egal was kommen würde, zu Ende zu bringen, ist eigentlich erst in Göttingen gefallen. Das Seminar war im Accouchierhaus, einem wunderbaren Bau aus dem späten 18. Jahrhundert, wo Damen, die unehelich schwanger geworden waren, ihre Kinder zur Welt bringen konnten. Im Doktorandenkolloquium waren wir elf oder zwölf Studenten. Der Ordinarius, Heinz Rudolf Rosemann, war ein Fachmann für den Regensburger Dom, das interessierte mich nicht besonders. Umso intensivere Auseinandersetzungen hatten wir mit Karl Arndt, dem ich sehr viel verdanke, und zwar nicht nur, weil er ein hervorragender Kenner der niederländischen Kunst ist, sondern sich auch für vieles andere bis hin zur klassischen Moderne interessierte und mit seinen Studenten diskutierte. Wir machten Exkursionen nach England und nach Brüssel. Von den Dozenten erhielten wir unmittelbares Feedback und trafen sie auch mal zu Hause oder tranken in der Kneipe gemeinsam ein Glas Wein. Meine Arbeit habe ich über einen Antwerpener Manieristen des späten 16. Jahrhunderts geschrieben. In dieser Zeit findet der politische Umbruch statt. 1575 erobert Alexander Farnese Alessandro Farnese (1545 Rom – 1592 Arras, Frankreich), Herzog von Parma und Piacenza, war ein Feldherr des spanischen Königs Philipp II., der zwischen 1578 und 1592 als dessen Gouverneur die Niederlande regierte. Farnese kämpfte unter anderem in den Schlachten von Lepanto (1571) und Gembloux (1578) für die Vorherrschaft Spaniens und der römisch-katholischen Konfession. die Stadt. Der Maler Marten de Vos muss sich entscheiden, ob er Protestant bleibt – dann hätte er Antwerpen verlassen müssen – oder ob er konvertiert, um weiterhin sein Auskommen in Antwerpen zu finden. Da er Kinder hatte, konvertierte er und malte dann vor allen Dingen jene großen Gildenaltäre neu, Marten de Vos (1532 Antwerpen – 1603 Antwerpen) malte unter anderem die „Hochzeit zu Kana“ (1597) für den Altar der Weinhändlergilde und „Der heilige Lukas malt die Madonna“ (1602) für den Altar der St. Lukas-Gilde, der er selbst angehörte. die im Bildersturm untergegangen waren. Es ist die Zeit vor Rubens, der 20 Jahre später – 1608 – aus Italien zurück an die Schelde kam und im Zuge der Gegenreformation die Kirchen Flanderns mit seinen großartigen Triptychen ausstattete. De Vos war in dem Sinne kein bedeutender, aber ein ungeheuer einflussreicher Künstler. Es gibt nicht weniger als 2.000 Druckgrafiken, die nach seinen Kompositionen entstanden sind. Die Spuren seines Œuvres lassen sich durch die Verbindung mit Spanien bis nach Indien verfolgen, vor allen Dingen aber auch in Südamerika, und selbstverständlich im protestantischen Norden. Die Celler Schlosskapelle ist beispielsweise von Marten de Vos und seiner Werkstatt ausgestaltet worden. Sie ist eine der wenigen in Deutschland erhaltenen protestantischen Schlosskapellen, die ein volles ikonografisches Programm aufweisen. Mich interessierte also nicht nur das Ästhetische, sondern vor allem auch die politischen und sozialen Aspekte. Damals gab es die ersten großen Publikationen, die das thematisierten. Ich habe viel im Archiv gearbeitet und den Œuvrekatalog des malerischen Werks von Marten de Vos erstellt, eine Monografie, die erst lange nach der Promotion veröffentlicht wurde. Armin Zweite, „Studien zu Marten de Vos (1532–1603). Ein Beitrag zur Geschichte der Antwerpener Malerei in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts“, Berlin 1980. Es war damals schwierig, so etwas ohne die Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu publizieren.

Erinnern Sie sich an Ihre ersten Begegnungen mit der Kunst?

Die ersten Begegnungen mit der Kunst hatte ich natürlich schon als Kind. Es gab in der Schule Kunstunterricht, der von Malern abgehalten wurde, und meine Schwester ging auf die Abendschule und konnte wunderbar zeichnen. Von Beginn meines Studiums an hat mich die Kunstgeschichte interessiert. In Kiel war es vor allem Hans Tintelnot, ein Barockfachmann, der brillante Vorlesungen hielt. Die Entscheidung, dieses Fach zum Hauptfach zu machen und den Abschluss zu versuchen, fiel relativ spät. Ich war im 12. oder 13. Semester, als ich die Doktorarbeit in Angriff nahm.

Gab es so etwas wie einen Wendepunkt während Ihres Studiums?

Es gab eine Exkursion nach Antwerpen. Im Rahmen eines ungemein spannenden Rubens-Seminars besuchten wir die Antwerpener Museen, das Rockox-Haus, Das ehemalige Wohnhaus des Antwerpener Bürgermeisters und Kunstmäzens Nicolaas Rockox (1560–1640) in der Keizerstraat 10–12 in Antwerpen ist seit 1977 als Museum öffentlich zugänglich. die Kathedrale und die Kirchen. Da fiel mir dieser Maler Marten de Vos auf, und dessen Darstellungen begannen mich aus verschiedenen, nicht nur ästhetischen Gründen zu beschäftigen, umso mehr, als es nur eine einzige Doktorarbeit von Victor Dirksen aus dem Jahr 1914 gab.

Hatten Sie ein bestimmtes Berufsbild vor Augen?

Nein, das nicht. Es zog sich dann auch noch eine Weile hin. Rosemann musste die Arbeit als Ordinarius lesen und hat es ein Jahr auf die lange Bank geschoben. Als ich endlich promoviert war, stellte sich natürlich die Frage: Was mache ich jetzt? Man bot mir in Göttingen eine Assistenzstelle an, aber das interessierte mich nicht, ich wollte eigentlich nicht an die Uni. Die Universität Göttingen hatte damals ein Austauschprogramm mit der University of California, und als höheres Semester habe ich verschiedene Tutorials für amerikanische Austauschstudenten gegeben. Aus purer Neugier bewarb ich mich in dieser Zeit für ein Stipendium des Landes Niedersachsen, ich hatte Glück und konnte schließlich für ein Jahr als Visiting Scholar nach Berkeley gehen. Das war für mich ganz entscheidend: aus der Provinz nach Amerika. Ich bin mit dem Greyhound-Bus kreuz und quer durch die USA und Südamerika gereist. Als Visiting Scholar hatte ich zwar ein lächerliches Budget – ich glaube 300 Dollar monatlich –, womit man kaum über die Runden kam, entscheidend war aber die unglaubliche Horizonterweiterung. Ich war ein Jahr lang in Amerika an einer Universität, an der man noch Herbert Marcuse Herbert Marcuse (1898 Berlin – 1979 Starnberg) ist als Philosoph und Sozialwissenschaftler einer der bedeutendsten Vertreter der Frankfurter Schule. Er studierte in den 1920er-Jahren in Berlin und Freiburg unter anderen bei Edmund Husserl und Martin Heidegger und gründete 1930 zusammen mit Erich Fromm und Max Horkheimer das Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main. 1934 emigrierte Marcuse nach New York, wo er während des Zweiten Weltkriegs bei der Spionageabwehr arbeitete. Von 1954 bis 1965 lehrte Marcuse Politische Wissenschaften an der Brandeis University in Waltham, Massachusetts, und war ab 1965 Professor für Politikwissenschaft an der University of California in San Diego. Seine Publikationen „Eros and Civilisation“ (1955), „The One-Dimensional Man“ (1964) und „Repressive Tolerance“ (1965) gelten als einflussreiche Texte der Kapitalismuskritik und wurden insbesondere von den Akteuren der Studentenbewegung der 1960er-/70er-Jahre rezipiert. hören konnte. Es war eine kritische Phase, als die Amerikaner in Kambodscha einmarschierten. Das führte damals zu großen Demonstrationen, nicht nur auf dem Campus. Nachdem die USA in der Amtszeit von Präsident Richard Nixon (1913–1994) den Rückzug aus dem seit 1954 währenden Vietnamkrieg (1954–1975) angekündigt hatten, befahl Nixon im Frühjahr 1970 die Invasion des neutralen Kambodscha, in dessen Osten sich gegnerische Kämpfer Nordvietnams zurückgezogen hatten. Daraufhin kam es zu weltweiten Protesten und großen Antikriegsdemonstrationen in den USA, wo im Mai 1970 an der Kent State University in Ohio vier protestierende Studenten von der Nationalgarde erschossen wurden. Dann gab es das Pacific Film Archive, wo man die ganze Nacht Filme gucken konnte. Es war einfach ungeheuer anregend und überaus spannend, eine völlig andere akademische Sphäre zu erleben und auch an ihr teilzuhaben. Für mich selbst die wichtigste und prägendste Zeit unmittelbar nach dem Studium. Zurück in München – dort war ich, weil meine Freundin dort lebte – hatte ich allerdings keine Vorstellung, was ich eigentlich machen wollte. Da ich überhaupt kein Geld hatte, habe ich mich ein paar Wochen als Tellerwäscher und Möbelpacker durchgeschlagen. Zum Beispiel habe ich in einer Kneipe gearbeitet, im Rolandseck, heute KvR, Kapitales vom Rind. Und dann trat ein wirklich verrückter Glücksfall ein: In München stand die Olympiade vor der Tür und Michael Petzet, der zweite Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, bereitete die Ausstellung „Bayern, Kunst und Kultur“ „Bayern, Kunst und Kultur“, Münchner Stadtmuseum, 09. Juni – 15. Oktober 1972. im Münchner Stadtmuseum vor. Zur Olympiade gab es zwei große Ausstellungen, die bedeutendere war Siegfried Wichmanns „Weltkulturen und moderne Kunst“ „Weltkulturen und Moderne Kunst. Die Begegnung der europäischen Kunst und Musik im 19. und 20. Jahrhundert mit Asien, Afrika, Ozeanien, Afro- und Indo-Amerika“, Haus der Kunst, München, 16. Juni – 30. September 1972. im Haus der Kunst. Eine ungeheuerliche Versammlung von spektakulären Objekten und Bildern, Dokumenten und Gebrauchsgegenständen aus der ganzen Welt: Meisterwerke der klassischen Moderne, kombiniert mit afrikanischer, amerikanischer und asiatischer Kunst. Ich war bei der weniger bedeutenden Ausstellung „Bayern, Kunst und Kultur“ beschäftigt, stand aber jedes Wochenende und jeden Tag, oft bis spät in die Nacht, zur Verfügung. Dadurch entstand zwischen mir und Petzet eine sehr enge Verbindung. Allerdings habe ich noch vor der Eröffnung den Dienst quittiert und bin für ein halbes Jahr nach Paris gegangen. Ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft sollte es mir ermöglichen, mein Buch fertigzustellen. Über einen Bekannten hatte ich am Boulevard Saint-Germain ein Apartment. Dort habe ich einige Monate gelebt und gearbeitet, bis ich plötzlich einen Anruf von Michael Petzet aus München bekam. Er war Direktor am Lenbachhaus geworden und wollte, dass ich ihm dort assistierte.

Wie kam der Wechsel zur Gegenwartskunst zustande?

Es gab natürlich so etwas wie den Kunstmarkt. Das begann in den 60er-Jahren mit Heiner Friedrich Heiner Friedrich (* 1938 Stettin, Pommern, heute Polen) gründete 1963 gemeinsam mit Franz Dahlem und seiner damaligen Ehefrau Six Friedrich die Galerie Friedrich & Dahlem in München. 1970 siedelte er mit seiner neuen Lebensgefährtin Thordis Moeller nach Köln über und betrieb dort eine zweite Galerie. Ab 1973 expandierte er in die Vereinigten Staaten und eröffnete im New Yorker Stadtteil SoHo die Heiner Friedrich Gallery Inc. Das Galerieprogramm umfasste wichtige Positionen der Minimal Art und Konzeptkunst, darunter Carl Andre, Dan Flavin, Donald Judd und Walter De Maria. Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Helen Winkler und seiner späteren Ehefrau Philippa de Menil gründete Friedrich 1974 in New York die Dia Art Foundation, die sich für die dauerhafte Setzung künstlerischer Großprojekte einsetzt. und anderen Galeristen und hat mich schon während des Studiums sehr interessiert. Ich habe auch im Studentenwerk in Göttingen die eine oder andere Ausstellung mit jungen Künstlern organisiert. Das waren keine großartigen Entdeckungen, aber einige schöne Erfahrungen mit verschiedenen Malern. Als ich dann 1970 in die USA ging, verbrachte ich gleich am Anfang ungefähr zehn Tage in New York. Damals hat Hans Haacke seine große Untersuchung über die Immobilien in Manhattan gemacht, und das war so brisant, dass Tom Messer, mit dem ich später sehr viel zu tun hatte, seinen Kurator entlassen musste, weil die Interessen der Träger des Museums durch Haackes Projekt massiv tangiert wurden. Anlässlich einer geplanten Einzelausstellung im Solomon R. Guggenheim Museum in New York entwickelte Hans Haacke 1971 das Projekt „Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings, A Real Time Social System, as of May 1, 1971“, eine Arbeit, die die Immobilienspekulation in Manhattan dokumentierte. Sechs Wochen vor Eröffnung sagte der damalige Direktor Thomas Messer die Ausstellung mit der Begründung ab, dass es sich bei dem Werk nicht um Kunst, sondern um eine soziale Studie handele. Vgl. auch Benjamin H. D. Buchloh, „Hans Haacke: von der faktografischen Skulptur zum Gegendenkmal“, in: „Hans Haacke – wirklich. Werke 1959–2006“, hg. von Robert Fleck/Matthias Flügge, Ausst.-Kat. u. a. Deichtorhallen Hamburg, Düsseldorf 2006, S. 42–59, hier S. 42 ff. Das war damals eine brisante politische Auseinandersetzung in New York. Das betraf das Museum als Institution und die Kunst ganz unmittelbar. In der Zeit bin ich zu sehr vielen Museen gereist. Zu sehen, was Andy Warhol, Jasper Johns, Cy Twombly oder George Segal machten, hinterließ tiefen Eindruck. Die Pop-Art war ja damals sozusagen en vogue, 1968 war sie in Deutschland auf der documenta zu sehen.

Haben Sie die „documenta 4“ besucht?

Selbstverständlich! Damals war ich ja noch in Göttingen. Ich war auch 64 auf der documenta, hatte jedoch kein allzu großes Faible für alles Zeitgenössische.

Aus New York kannte ich zum Beispiel Shūsaku Arakawa. Mit ihm habe ich später eine große Ausstellung im Lenbachhaus gemacht. „Arakawa. Bilder und Zeichnungen 1962–1981“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München/Kestnergesellschaft, Hannover, 18. Dezember 1981 – 31. Januar 1982. Man darf nicht vergessen, das Lenbachhaus ist ein Museum, das eine kommunale und nur auf München beschränkte Sammlung besitzt. Die Städtische Galerie sollte nämlich von den großen Münchener Meistern des 19. Jahrhunderts nur die zweitrangigen Werke und kleinen Skizzen erwerben. Das war von Eberhard Hanfstaengl, Eberhard Hanfstaengl (1886 Saargemünd – 1973 München) war Gründungsdirektor der 1925 eröffneten Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München. 1933 wurde er als Nachfolger des entlassenen Ludwig Justi (1876–1957) von der nationalsozialistischen Regierung zum Direktor der Nationalgalerie in Berlin ernannt. Als er sich weigerte, Kunstwerke aus der Sammlung für die Diffamierungsaktion „Entartete Kunst“ herauszugeben, wurde er 1937 vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Von 1945 bis 1953 war Hanfstaengl Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und leitete 1948/49 den Central Art Collecting Point für die Restitution geraubter und evakuierter Kunstwerke aus der NS-Zeit. dem ersten Direktor des 1925 gegründeten Museums, so formuliert worden, um nicht mit den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zu konkurrieren. Dass dieses Haus heute Weltrenommee hat, ist Hans Konrad Röthel zu verdanken, Hans Konrad Röthel (1909 Hamburg – 1982 Princeton) war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Berater der Monuments, Fine Arts and Archives Section der amerikanischen Militärbehörden in München und arbeitete 1945/46 als Chefkurator des Central Art Collecting Point München. Von 1957 bis 1971 leitete Röthel die Städtische Galerie im Lenbachhaus. Die Stiftung eines umfangreichen Konvoluts an Werken von Künstlern des Blauen Reiters, die 1957 von Gabriele Münter (1877–1962) und ihrem Partner Johannes Eichner (1886–1958) vollzogen wurde, fällt in seine Amtszeit. Röthel war am Aufbau des Münchener Zentralinstituts für Kunstgeschichte beteiligt und veröffentlichte unter anderem Monographien zu Paul Klee (1955) und Gabriele Münter (1958). einem Hanseaten, der noch von Erwin Panofsky promoviert wurde und gleich nach dem Krieg beim Collecting Point Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs richteten die Behörden der westlichen Besatzungsmächte Central Art Collecting Points als Sammelstellen von Kunst- und Kulturgütern ein, die als Raubkunst des NS-Regimes aus dem In- und Ausland oder aus Schutzgründen evakuierte Museumsbestände registrierten und beabsichtigten, diese an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Die wichtigsten Central Collecting Points befanden sich in Celle (britische Besatzungszone), Marburg, Offenbach, Wiesbaden und München (amerikanische Besatzungszone). tätig war, wo er mit der Identifizierung enteigneter, geraubter Kunstwerke beschäftigt war und auch damit, ihre meist jüdischen Vorbesitzer ausfindig zu machen. In den 50er-Jahren hat er dann in der Pinakothek eine Kuratorenstelle angenommen, wo Hanfstaengl bis 53 Generaldirektor war. Sein Nachfolger wurde Ernst Buchner, Ernst Buchner (1892 München – 1962 München) leitete von 1928 bis 1933 das Wallraf-Richartz-Museum in Köln und wurde 1933 zum Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ernannt. Buchner wurde vorgeworfen, am Kunstraub des NS-Regimes mitgewirkt und deren ideologische Kulturpolitik mitgetragen zu haben. Folgerichtig ersetzte man ihn von 1945 bis 1953 durch Eberhard Hanfstaengl, bevor er mit dem Status „Mitläufer des NS-Staats“ erneut die Position des Direktors der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen einnahm. ein Altnazi, der in den 30er-Jahren eine entsprechende Karriere gemacht hatte. Hans Konrad Röthel weigerte sich, Buchner die Hand zu geben, woraufhin dieser angeblich gesagt haben soll: „Wenn Sie mir nicht die Hand geben, ist es besser, Sie suchen sich etwas anderes.“ Röthel hatte als Kurator, der für das 19. und 20. Jahrhundert zuständig war, immer einige Kunstzeitschriften in seinem Büro, damals gab es die „Weltkunst“ und das „Pantheon“. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit kam ein kleiner Herr zu ihm und blätterte diese Zeitschriften durch: Johannes Eichner. Irgendwann fragte dieser Röthel: „Herr Röthel, wollen Sie nicht vielleicht einmal ein Bild von Kandinsky anschauen?“ Röthel glaubte nicht richtig zu hören und ging auf das Angebot zunächst nicht ein. Dennoch ist er eines Tages nach Murnau gefahren zu Gabriele Münter und ihrem Lebensgefährten Johannes Eichner, der seit den 1930er-Jahren über die Werke Münters publiziert hatte und damals gerade an seinem Buch „Kandinsky und Gabriele Münter. Von Ursprüngen moderner Kunst“ arbeitete, das 1957 erschien. Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt. Gabriele Münter (1877 Berlin – 1962 Murnau) übergab der Städtischen Galerie im Lenbachhaus im Februar 1957 einen bedeutenden Teil ihrer Sammlung mit Werken von Wassily Kandinsky und anderen Weggefährten wie auch von ihr selbst. 1966 wurde die Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung gegründet, die den Nachlass verwaltet und eng mit dem Lenbachhaus kooperiert. Jedenfalls hat Röthel Frau Münter überzeugen können, die Sachen nicht an die Pinakothek zu geben. Wolf-Dieter Dube hat diese Enttäuschung vor einigen Jahren beim Abschied von Carla Schulz-Hoffmann so ausgedrückt: „Das ist eine Intrige gewesen.“ Die einzigartige und beispiellose Sammlung gelangte in das Lenbachhaus. Das sind an die 100 Bilder von Kandinsky, dazu Zeichnungen, Aquarelle, Druckgrafiken, Manuskripte, Bücher, Briefe, Fotos und anderes mehr. Außerdem das umfangreiche Schaffen von Münter selbst. Hinzu kam die Koehler-Stiftung mit Werken von Jawlensky, Klee, Marc und Macke. 1965 stifteten die Erben des Berliner Fabrikanten Bernhard Koehler, der in den 1910er/20er-Jahren die Künstler des Blauen Reiters unterstützt und gesammelt hatte, bedeutende Werke von August Macke und Franz Marc an die Städtische Galerie im Lenbachhaus. Das ist vom Wert her die wahrscheinlich größte Museumsstiftung, die nach dem Krieg in Deutschland stattgefunden hat.

Die amerikanische Kunst hat in dieser Zeit eine ganz andere Entwicklung genommen als die Kunst in Europa. Wie haben Sie das in den USA erlebt?

Europa, Amerika – das hat gar keine Rolle gespielt, wenn ich das im Rückblick so sagen darf. Man war einfach überwältigt, was man in Amerika in den Museen in Erfahrung brachte und wie es dort funktionierte. Die Kunstgeschichte an den Universitäten führte damals nur in Ausnahmefällen bis in die Gegenwart. Denken Sie zum Beispiel an die „Darmstädter Gespräche“, Die „Darmstädter Gespräche“ fanden zwischen 1950 und 1975 als öffentliche Diskussionsrunden zu Kunst und Gesellschaft in Verbindung mit zeitgleich stattfindenden Ausstellungen elfmal in Darmstadt statt und gehören zu den bekanntesten kulturellen Veranstaltungsreihen der Nachkriegszeit. Das erste Darmstädter Gespräch fand unter dem Titel „Das Menschenbild in unserer Zeit“ vom 15. bis 17. Juni 1950 auf der Mathildenhöhe in Darmstadt unter Beteiligung von Theodor W. Adorno, Willi Baumeister, Gotthard Jedlicka, Johannes Itten und Hans Sedlmayr statt. die in den späten 50er- und 60er-Jahren stattgefunden haben. Werner Haftmann Werner Haftmann (1912 Gnieschau, Westpreußen, heute Polen – 1999 Gmund) war ein deutscher Kunsthistoriker. Von 1955 bis 1964 war er unter Arnold Bode für die kunsthistorische Ausarbeitung der ersten drei documenta-Ausstellungen zuständig. Von 1967 bis 1974 leitete Haftmann als erster Direktor die Neue Nationalgalerie in Berlin. war ein großartiger Redner mit großem Pathos, und wenn er in Göttingen auftrat, war der Hörsaal restlos überfüllt, es war ein Ereignis, aber er vertrat etwas, das damals, in den späten 60ern, bereits passé war: die informelle Malerei. Das schmälert indessen nicht seine enormen Verdienste. Seine „Malerei im 20. Jahrhundert“ Werner Haftmann, „Malerei im 20. Jahrhundert“, München 1954. ist in ihrer Bedeutung kaum zu unterschätzen. Aber was er ab Mitte der 1960er-Jahre vertrat, war nicht mehr interessant. 1972 kam es dann mit Harry Szeemanns „documenta 5“ zu einer radikalen Erweiterung beziehungsweise Entgrenzung des traditionellen Kunstbegriffs. Das war ein tiefer Einschnitt. Szeemann wurde damals verklagt, nicht wegen der Radikalität seiner Ausstellung, sondern weil das Projekt rote Zahlen geschrieben hatte. Er blieb aber unabhängig und organisierte von seinem Büro für geistige Gastarbeit weiterhin großartige, spannende Ausstellungen. Als freier Ausstellungsmacher gründete Harald Szeemann (1933 Bern – 2005 Tegna im Tessin, Schweiz) 1969 die „Agentur für geistige Gastarbeit“ ein Archiv, eine Bibliothek und ein Ausstellungsbüro in einem. Vgl. Søren Grammel, „Ausstellungsautorschaft. Die Konstruktion der auktorialen Position des Kurators bei Harald Szeemann. Eine Mikroanalyse“, Frankfurt am Main 2005, S. 11 ff.

Wie gesagt, die Erfahrung in Amerika war für mich zentral und wichtig, aber Anfang der 70er-Jahre passierte auch hier in München einiges. Zum Beispiel in der Galerie Heiner Friedrich, die es dann auch im Rheinland gab, oder bei Otto van de Loo, der wiederum aus dem Rheinland hierherkam. Die Galerie Otto van de Loo eröffnete 1957 in München. Dort wurden unter anderem Arbeiten der Künstler Asger Jorn, Arnulf Rainer und Antoni Tàpies gezeigt. Außerdem spielten Asger Jorn und die Gruppe SPUR Die Künstlergruppe SPUR wurde 1957 in München von den Absolventen der Münchener Akademie der Bildenden Künste Lothar Fischer, Heimrad Prem, Helmut Sturm und HP Zimmer gegründet. In ihrem Manifest (1958) traten sie für eine „polydimensionale“ Kunst ein. Trotz ihrer proklamierten Offenheit strebten die Künstler eine gewisse Einigung über die künstlerische Ausdrucksweise an. Die Veröffentlichung der provokanten Zeitschrift „SPUR“ kulminierte in einem Strafprozess gegen Dieter Kunzelmann, Helmut Sturm, Heimrad Prem und HP Zimmer. 1965 schlossen sich die Gruppen SPUR und WIR zusammen und bildeten gemeinsam das GEFLECHT. Vgl. Komitee SPUR, „Gruppe SPUR“, iunter: http://www.komitee-spur.de/gruppe-spur/ (eingesehen am 6.04.2017). eine große Rolle in der Stadt. In München kam schon einiges an und wurde auch rezipiert, wenngleich nicht so intensiv wie im Rheinland. Köln und Düsseldorf spielten damals schon die maßgebliche Rolle.

Selbstverständlich waren auch die USA am Zweiten Weltkrieg beteiligt, nur hat er eben nicht dort stattgefunden. In Deutschland wurden Anfang der 60er-Jahre die ersten Prozesse geführt, Auf Initiative des Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer wurde am 20. Dezember 1963 der erste Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main eröffnet, in dem sich 22 ehemalige SS-Männer des Konzentrationslagers Auschwitz für ihre Beteiligung am Holocaust vor Gericht zu verantworten hatten. Die 1965 verkündeten Urteile umfassten unter anderem 16 lebenslängliche Haftstrafen. Das Verfahren gilt als wegbereitend für zahlreiche weitere Prozesse in den folgenden Jahren. Siehe auch: Ralph Dobrawa, „Der Auschwitz-Prozess. Ein Lehrstück deutscher Geschichte“, Berlin 2013. das war der Beginn der Aufarbeitung. All das gab es in den USA nicht. War die Stimmung dort eine für Sie spürbar andere, und hat die Kunst diese entsprechend transportiert?

Ja, natürlich! Das ist überhaupt nicht vergleichbar. Wenn Sie überlegen, welche Kunst in den 60er-Jahren in Deutschland entstanden ist, was beispielsweise Gerhard Richter, Markus Lüpertz, Georg Baselitz und Sigmar Polke machten, dann wird deutlich, dass das mit Amerika nichts zu tun hat. Denken Sie an Barnett Newman oder Mark Rothko. Mit dem Anspruch, mit der Kunst das Erhabene zum Ausdruck zu bringen, war letztlich auch eine Abkehr von der europäischen Kunstvorstellung verknüpft. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass sehr viele Immigranten vor allen Dingen während des Weltkriegs nach Amerika kamen, beispielsweise die Surrealisten wie Max Ernst und André Breton. Das hatte einen großen Einfluss, insbesondere in New York, denken Sie beispielsweise an Peggy Guggenheims Filiation mit der europäischen Kunst. Peggy Guggenheim (1898 New York – 1979 Camposampiero, Italien) war eine US-amerikanische Sammlerin, Galeristin und Kunstmäzenatin. Nach ihrer Ausbildung im New Yorker Buchladen Sunwise Turn ging sie in den 1920er-Jahren nach Europa und lernte dort ihren ersten Ehemann, den Künstler Laurence Vail, sowie die Kunstszene von Paris und London kennen. Sie stand in engem Kontakt mit den Künstlern Marcel Duchamp, Wassily Kandinsky und Max Ernst, mit dem sie von 1941 bis 1943 verheiratet war. 1938 eröffnete Guggenheim in London die erste Galerie Guggenheim Jeune und baute zwischen 1940 und 1947 eine umfangreiche Sammlung moderner Kunst auf. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ermöglichte sie einigen durch das NS-Regime bedrohten Künstlern wie André Breton und Max Ernst die Emigration in die USA. 1941 ging Guggenheim selbst zurück nach New York und verschiffte auch ihre Kunstsammlung aus Europa dorthin, wo sie 1942 die Art of This Century Gallery eröffnete. Gibt es Berührungspunkte? – Ja. Aber was sich hier in Deutschland entwickelte – wenn Sie nur an Beuys denken –, das war natürlich in Amerika gar nicht vorstellbar. Da gibt es fundamentale Unterschiede.

War Ihnen das von Anfang an in vollem Umfang bewusst?

Ich weiß nicht, ob wir das so thematisiert haben. Wir haben es eher als eine Diversifikation wahrgenommen. Die Polarisierung lag eigentlich nicht im Spektrum der Aufarbeitung. Es ging nicht darum: „Das ist Amerika. Das ist Europa. Das ist Deutschland. Das ist Frankreich.“ Diese Dinge haben wahrscheinlich in den 50er-Jahren eine viel größere Rolle gespielt als in den 60er-Jahren, als das Reisen viel einfacher geworden war und man viele Dinge, die aus Amerika kamen, auch hier allmählich wahrgenommen hat. Die Unterschiede? Die Formate sind anders, und die Sprache ist eine andere. Die Auseinandersetzung mit der Realität ist eine andere. Das war offensichtlich. Das, was die Pop-Art ausdrückte, war in Deutschland nicht virulent. Das heißt, die Konsumeinstellung, auch die unterschwellig politische Art dieser Kunst, ist zwar als verschieden, aber nicht als polarisierend angesehen worden.

Zwar fand 1979/80 die große Beuys-Ausstellung im Guggenheim Museum statt, „Joseph Beuys“, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 02. November 1979 – 02. Januar 1980. grundsätzlich aber erfolgte der Transfer der Kunst eher aus den USA nach Europa als andersherum.

Das ist natürlich zeitlich ein großer Sprung. Die große Ausstellung von Beuys im Guggenheim Museum war 1979 nur möglich, weil der Direktor, Tom Messer, von der deutschen Kultur geprägt war und das Auswärtige Amt die Ausstellung massiv finanziert hat. Hinzu kam, dass Heiner Bastian Heiner Bastian (* 1944) ist ein Galerist, Kunstsammler und Ausstellungsmacher, der ab den 1970er-Jahren Privatsekretär des Künstlers Joseph Beuys (1921–1986) war. Von 1996 bis 2007 arbeitete er als Kurator der Sammlung Marx am Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart in Berlin. 2007 eröffnete Bastian mit seiner Frau Céline Bastian die Galerie Bastian Am Kupfergraben in Berlin-Mitte. geschickt genug war, die amerikanischen Trade Unions aus dem Museum herauszuhalten und seine eigene Mannschaft einzufliegen. Ich habe mir die Ausstellung damals angesehen und erinnere mich, wie die Journalisten vor dem Guggenheim vorbeilaufende Jogger fragten: „Do you like Beuys“? – „Boys? I’m not gay.“ Die Amerikaner konnten mit dem Namen Beuys gar nichts anfangen. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass die Demokratie Amerikas für das Deutschland nach dem Krieg zum Vorbild wurde. Das war ein Land, das offensichtlich politisch, sozial, wirtschaftlich und kulturell im Westen die Richtung vorgab. Die Amerikaner waren diejenigen, die uns die CARE-Pakete Im November 1945 wurde in den USA die Hilfsorganisation CARE (Cooperative for American Remittances to Europe) gegründet. Zwischen 1946 und 1960 wurden circa 100 Millionen CARE-Pakete, häufig gespendet von Privatpersonen, mit Lebensmitteln, Kleidung und Werkzeug in ganz Europa verteilt. Davon gingen circa 10 Millionen Pakete nach Westdeutschland. In der sowjetischen Besatzungszone erhielten ausgewählte Personengruppen Pajok-Pakete als Lebensmittelhilfe. gebracht haben, die uns mit dem Marshallplan Ab 1948 unterstützten die USA die Bundesrepublik Deutschland und 15 weitere europäische Staaten im Rahmen des vom amerikanischen Außenminister George C. Marshall präsentierten European Recovery Program mit Krediten, Waren, Rohstoffen und Lebensmitteln. Die Wiederaufbaumaßnahme sollte die Staaten zu Zeiten des Kalten Kriegs zum Aufbau einer an den USA orientierten Wirtschaftsordnung verpflichten. überhaupt erst den Wiederaufbau ermöglicht hatten, die eine umfassende Umerziehung anstießen und teilweise lenkten. Wie wir heute wissen, ist die CIA dafür verantwortlich, dass die großen abstrakten Amerikaner in Deutschland gesehen wurden. Insofern war Amerika, beim Kaugummi angefangen, das große Vorbild. Da gab es gar keine Zweifel. Wir alle haben irgendwann Englisch gelernt und weniger Französisch. Die Einbindung der Bundesrepublik in die westliche Zivilisation wäre meiner Erfahrung nach ohne Amerika gar nicht vorstellbar gewesen. Ab Mitte der 1960er-Jahre änderte sich das radikal.

Wann haben Sie Joseph Beuys für sich entdeckt?

Das ist eine gute Frage. Die ersten Arbeiten, die ich aber nicht verstand, habe ich wohl auf einem Kunstmarkt in Göttingen gesehen. Das waren kleinere Objekte, Dosen-, Fett-, Filzobjekte. Wirklich massiv beeindruckt hat mich – das war relativ spät, da war ich schon aus Amerika zurück – der Darmstädter Block. Der „Block Beuys“ bezeichnet den größten zusammenhängenden Werkkomplex des Künstlers Joseph Beuys, der in den Jahren 1967 bis 1969 in mehreren Ankäufen von dem Sammler Karl Ströher erworben wurde und seit 1970 dauerhaft in sieben Räumen des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt ausgestellt ist. Den Kern des Werkkomplexes bildet eine Anzahl von Arbeiten, die erstmals 1967 in der Ausstellung „Parallelprozeß I“ im Städtischen Museum in Mönchengladbach gezeigt wurden. In seiner heutigen Form umfasst der „Block Beuys“ sowohl Plastiken und Arbeiten auf Papier wie auch zahlreiche Relikte aus Aktionen des Künstlers. Vgl. „Die Ausstellungsgeschichte des Block-Beuys“, in: Eva, Jessyka und Wenzel Beuys, „Joseph Beuys. Block Beuys“, München 1990, S. 395–403. Ich war damals – etwa 72/73 – mit meiner Frau ein oder zwei Tage lang in Darmstadt. Diese Vitrinen und Ansammlungen, die obsoleten Materialien und vor allem die geballte Menge und Dichte. Das war eine rätselhafte, beunruhigende, ja verstörende Installation, die zu einer bleibenden Erfahrung wurde. Die Bedrückung, die ich vor Ort erfuhr, evozierte eine anhaltende Irritation.

Sind Sie damals eigens nach Darmstadt gefahren, um die Ströher-Sammlung anzuschauen?

Ja.

Ging es Ihnen dabei primär um den „Block Beuys“ oder insgesamt um die Ströher-Sammlung?

Es war vor allen Dingen Beuys, dass Ströher da auch eine Rolle spielte, bekam man mit, aber primär ging es um die Wahrnehmung dieses Beuys-Ensembles.

Was haben Sie da gesehen?

Ja, was habe ich da gesehen? Zeichnungen. Und natürlich die Vitrinen mit den abgelegten Sachen. Man sah die Relikte einer Zivilisation, die im Grunde genommen in die Irre gegangen war. Es ist bei Beuys dieses Leidensmoment, die Zerstörung der Subjektivität, die Auflösung der menschlichen Psyche und die deprimierenden Resultate instrumenteller Vernunft. Das Abseitige oder Unergründliche des eigenen Erfahrungshorizonts. Was ich nicht wahrgenommen habe, ist die positive Seite, die Beuys eher verbal verkündet hat. Dieser ganze steinersche Kosmos. Die Erneuerung des Menschen und durch seine geistige Zentrierung die Befreiung der Gesellschaft. Eine Neukonfiguration des Subjekts. Ich habe das damals nicht registriert, aber intentional war es von Beuys so gemeint, und seine Rede vom Gegenbild beinhaltet genau das: Dass der Mensch, wenn er das Trostlose erfährt, die Möglichkeit hat, selbst eine Alternative nicht nur zu imaginieren, sondern auch zu verwirklichen. Zu Beginn habe ich jedoch angesichts dieser obsoleten, trostlosen Materialanhäufung vor allen Dingen die Erschütterung wahrgenommen. Diese toten mechanischen Apparaturen, die nicht funktionieren können, die einfach totgestellt sind. Und die Konfiguration, die räumliche Strukturierung des Ganzen, die dem Betrachter durch den Vitrinengang keine Ausweichmöglichkeiten lässt. Das war schon eine sehr bewegende und psychisch kaum zu verarbeitende Erfahrung, die man – ich zumindest – so von Kunst nie zuvor gehabt hatte. Kunst sollte doch eigentlich den Schrecken und das Grauen sublimieren und zum Positiven wenden. Das jedoch manifestierte sich nicht mehr in den Arbeiten von Beuys. Hier war die Sublimation negiert, und man sah gleichsam in einen Abgrund, in dem Existenz, menschliches Leben und Gerechtigkeit versunken zu sein schienen. Es war eine grundsätzlich andere Erfahrung als jene, die ich bis dahin mit Kunst gemacht hatte. So würde ich es beschreiben.

War für Sie von dem Moment an klar, dass Sie auch die Person, die hinter diesem Werk stand, treffen wollten?

Nein. Ich habe Beuys ein paar Mal getroffen, und es waren sehr interessante Begegnungen, aber in sein näheres Umfeld bin ich nicht geraten. Es gibt eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die eine sehr enge, freundschaftliche Beziehung zu ihm hatten, das wollte ich eigentlich nie. Das hat vielleicht mit meiner generellen Zurückhaltung gegenüber anderen Menschen zu tun.

Wir haben jetzt mit fast 80 Personen über Beuys gesprochen. Der Großteil beginnt mit der Beschreibung ihrer Faszination über die Person, bevor sie zum Werk des Künstlers kommen.

Beuys war einer der ganz wenigen Künstler, die Charisma hatten. Das ist unbenommen. Ich erinnere mich, dass er kurz vor seinem Tod hier in München in den Kammerspielen eine Rede über Deutschland gehalten hat. Das war im November 85. Es war das Übliche, was er zu diesem Thema zu sagen hatte, aber wie er es vorbrachte, wie er sprach … im Auditorium herrschte absolute Stille, am Ende dann große Begeisterung und viel Applaus auch von denen, die seine Meinung nicht teilten.

1981 habe ich eine große Beuys-Ausstellung im Lenbachhaus gemacht. „Joseph Beuys. Arbeiten aus Münchener Sammlungen“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 02. September – 18. November 1981. Wir bekamen aus allen Münchener Sammlungen Hunderte von Arbeiten, Zeichnungen, Multiples, Vitrinen, große Objekte – das alles geschah anlässlich des Erwerbs der Arbeit „zeige deine Wunde“. Joseph Beuys, „zeige deine Wunde“, 1974/75. Einige Sammler wollten ihr Stück am liebsten am Eingang platzieren oder sich einen prominenten Platz dafür sichern lassen. Das ganze Erdgeschoss stand voller Beuys-Arbeiten, aber ich wusste nicht, wie aus dieser Materialfülle eine überzeugende Ausstellung arrangiert werden könnte.

Beuys kam Freitag am späten Nachmittag mit Bernd Klüser, Ab 1970 verlegten Bernd Klüser und Jörg Schellmann Editionen für Joseph Beuys und organisierten Ausstellungen für den Künstler. Daraus entstand die Edition Schellmann & Klüser, die bis 1985 bestand. 1978 gründeten sie die Galerie Schellmann & Klüser und vertraten unter anderen auch Enzo Cucchi, Tony Cragg, Jannis Kounellis, Mimmo Paladino und Andy Warhol. der ihn mit dem Auto aus Düsseldorf abgeholt hatte, weil Beuys nicht fliegen wollte. Nach seiner Ankunft setzte er sich erst einmal mit mir unbekannten Leuten vom Film ins Café. Man erörterte eine Idee für einen Film mit Rainer Werner Fassbinder und Beuys, in dem einer den anderen jagen sollte, der eine Verbrecher, der andere Polizist. Das Projekt ist nie zustande gekommen, aber es wurde stundenlang darüber geredet, und ich saß da und beobachtete das Geschehen ratlos und besorgt. Es war Freitagabend, für Dienstag war die Eröffnung vorgesehen, und die Arbeiten von Beuys standen in den Räumen noch genauso, wie sie angeliefert worden waren. Als wir spät abends noch irgendwo einen Wein trinken gehen wollten, sagte Beuys, wie nur er es sagen konnte: „Diese jungen Museumsleute taugen halt nichts. Wenn es Abend wird, müssen sie nach Hause zu Mami.“ Da habe ich ihm geantwortet: „Wenn Sie mich meinen, wir können gleich loslegen.“ Und dann haben wir wirklich die Nacht durchgearbeitet. Bis Samstagmorgen. Das werde ich nie vergessen. Beuys fing bei jedem Stück an, etwas zu erzählen. Man hätte ein Tonband dabeihaben müssen: „Ach, das hast du auch? Das ist ja toll. Da freue ich mich, dass ich das wiedersehe. Das stellen wir dahin.“ Die vielen Arbeiten, insgesamt knapp 350, wurden eine nach der anderen betrachtet, kürzer oder länger von Beuys kommentiert und dann eine Position vorgeschlagen. Die Zeichnungen formierten sich in mehreren Reihen übereinander zu großen Blöcken. Die Struktur der Ausstellung hatte Beuys in wenigen Stunden zu einem in sich kohärenten Ensemble entwickelt – zu einer Installation, wenn man so will. Seine unglaublich präzise Raumvorstellung war phänomenal.

Das heißt, die Leihgaben waren mit ihm gar nicht abgesprochen?

Nein, natürlich nicht. Beuys wurde in München durch Schellmann & Klüser vertreten, die haben in den 70er-Jahren mehrere Zeichnungsausstellungen gemacht. Ein Blatt kostete 2.000, 3.000, 4.000 D-Mark, das war das Doppelte oder Dreifache eines Monatsgehalts. Das konnte man sich nicht leisten, hätte es aber zu gern getan. Verschulden war nicht angesagt, ich war zu vorsichtig, zu ängstlich. Es gab natürlich schon einige Sammler in München – Ludwig Rinn, Jost Herbig, Christof Engelhorn, Werner Döttinger –, die Arbeiten von Beuys besaßen. Zeichnungen, Zeichnungsblöcke, Partituren, Vitrinen … Und dann hatten wir für die Ausstellung das große Environment „vor dem Aufbruch aus Lager I“, Joseph Beuys, „vor dem Aufbruch aus Lager I“, 1970/80. das damals Lutz Schirmer gehörte und sich heute ebenfalls im Lenbachhaus befindet zusammen mit etlichen früheren Arbeiten von Beuys einschließlich verschiedener Multiples. Am Montag, einen Tag vor der Eröffnung, kam außerdem „Terremoto“, Joseph Beuys, „Terremoto“, 1981. die Setzmaschine, die Beuys zum Ausgangspunkt für ein Environment machte, in Erinnerung an die Erdbebenkatastrophe vom 22. November 1980 im Mezzogiorno und in Solidarität mit der linken Gruppe Lotta continua. Beuys war bester Laune. Ungemein beeindruckend war die spirituelle Kraft und Geschwindigkeit, mit der er die Konfiguration der Ausstellung entwickelte und wie er die so heterogenen Werke miteinander in Korrespondenz treten ließ. Was mich aber noch mehr verblüffte, war sein Umgang mit den Leuten: Im Lenbachhaus gab es drei oder vier erfahrene Handwerker, die die Arbeiten stellten und hängten. Gestandene Herren mit tiefbayerischem Akzent, manchmal hatte ich wirklich Mühe, sie zu verstehen. Sie waren voller Aversionen gegen Beuys, für sie war das alles Scharlatanerie, dieses Zeug aus Fett und Filz. Aber Beuys wickelte sie mit seiner rheinischen Art um den Finger. Er hatte eine unglaubliche Ausstrahlung, und er hatte die Fähigkeit, Leute zu begeistern und ernst zu nehmen. Auch Leute, bei denen er sofort merkte: Die mögen mich nicht. Am Sonntag, als am Abend große Teile der Installation standen, sagte Beuys: „Der Museumsdirektor verlässt jetzt bitte die Räume.“ Und dann gab er jedem aus dem Hängeteam 200 Mark, dafür dass sie das Wochenende durchgearbeitet hatten. Das war toll. Er konnte sehr arrogant, sehr frech, sehr aufmüpfig sein, aber wenn es darum ging, die Leute, mit denen er arbeitete, ernst zu nehmen, hatte er ein ganz genaues Gespür dafür, was man ihnen zumuten, wo man sie packen und wie man sie begeistern konnte. Es hatte in wenigen Tagen zu einem rheinisch-bayerischen Dialog geführt, der zum Schießen war. In Ansätzen hatte es sich angekündigt, als Beuys die Arbeit „zeige deine Wunde“ aufbaute. Es gibt ein Video davon, das dauert ungefähr zwölf Stunden. Immer wieder hat er Änderungen vorgenommen. Ich war unsicher, ob man es in dem Raum machen könne, worauf Beuys sagte: „Piano nobile ist natürlich für meine Arbeit nicht ideal, aber Werner Hofmann wollte es in einer Besenkammer ausstellen, die nur sechs Quadratmeter hatte, und auch da hätte ich es untergebracht.“ Beuys war außerordentlich souverän und flexibel im Umgang mit seinen Arbeiten. Und letztendlich gibt es gar keine andere Möglichkeit, als konstruktiv mit diesen installativen Arbeiten umzugehen, auch wenn die vorgesehenen Räume auf den ersten Blick viele Probleme aufweisen. Man muss praktisch alle vielteiligen Raumarbeiten von Beuys jeweils den Umständen entsprechend neu aufbauen und sie neu inszenieren. Das geht manchmal besser, manchmal schlechter. So ist es, man kann Erstinstallationen des Künstlers nicht auf Dauer einfrieren.

1973 haben Sie in Darmstadt das erste Mal eine größere Beuys-Installation gesehen und bereits 79/80 wurde die Arbeit „zeige deine Wunde“ trotz großen Widerstands für das Lenbachhaus angekauft. Woher kam Ihre Überzeugung, dass dieses Werk angeschafft werden musste?

Das sage ich Ihnen: Das Lenbachhaus hatte im Zentrum, Altstadtring, Maximilianstraße, in der dortigen Fußgängerunterführung einen absolut trostlosen, eisigen Restraum von circa 400 Quadratmetern, einen Betonraum, der dem Lenbachhaus für künstlerische Projekte zugewiesen wurde und der für die Präsentation klassischer Medien denkbar ungeeignet war. 1975 – ich war gerade seit einem Jahr Direktor – kam von Schellmann & Klüser die Anfrage, ob sie diesen Raum für eine Ausstellung von Beuys-Arbeiten nutzen dürften. Trotz erheblicher Sicherheitsbedenken, die das Museum den Galeristen mitteilte, blieben sie fest entschlossen und Beuys kam und richtete seine Arbeit ein. Da standen dann diese fünf Doppelobjekte im Raum, weit voneinander entfernt, und obendrüber raste von Zeit zu Zeit eine Straßenbahn vorbei, sodass es im unterirdischen Betonkeller ein unangenehmes Getöse gab. Damals kamen nur sehr wenige Leute zur Eröffnung, kaum mehr als zehn. Aber an diesem späten Vormittag traf ich Christof Engelhorn. Christof Engelhorn (1926 Mannheim – 2010 Meggen, Schweiz) war ein Unternehmer, Kunstmäzen und Sammler. Der Erbe des Pharmakonzerns Boehringer Mannheim unterstützte in München das Lenbachhaus und die Pinakothek der Moderne. Von 1967 bis 2003 gehörten Engelhorn und seine Frau Ursula (ab 1985) dem Vorstand des Galerie-Vereins e.V. der Pinakothek an. Darüber hinaus gründeten sie 1968 zur Pflege und Förderung bildender Kunst die Engelhorn-Stiftung und eröffneten 1972 in der kurz zuvor erbauten Münchener Vorstadt Neuperlach das Kunstzentrum Nr. 66. 2003 hinterließ das Ehepaar Engelhorn dem Freundeskreis die „Engelhorn-Spende“ zum Erwerb zeitgenössischer Werke von Nachwuchskünstlern. Wir kannten uns kaum. Engelhorn betrieb in Neuperlach ein Kunstzentrum und hat maßgeblich dafür gesorgt, dass das Bacon-Triptychon, Francis Bacon, „Kreuzigung“, 1965, erworben 1967 von PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne für die Sammlung Moderne Kunst der Pinakotheken. das Großartigste, das Bacon je geschaffen hat, hier in die Pinakothek kam, indem er es weitestgehend finanziert hat. Man muss vielleicht noch erwähnen, dass Engelhorn körperlich leicht behindert war und einem immer seine linke Hand gab, die fast gelähmt war, um sich als Verwundeter, als Behinderter zu erkennen zu geben. Das war merkwürdig und anrührend zugleich. Jedenfalls war er, wie wir alle, von der Arbeit „zeige deine Wunde“ sehr angetan und sagte zu mir: „Zweite, wenn Sie es kaufen wollen: 50 Prozent übernehme ich.“ Ein ungemein großzügiges und verblüffendes Angebot. Zu dem Zeitpunkt konnte ich aber nichts machen. Es wäre ohnehin schwierig gewesen, diesen Ankauf durchzubringen, zumal ich damals eine furchtbare Niederlage im Stadtrat erlitten hatte. Unsere Statuten im Lenbachhaus besagten, dass wir nur Münchener Künstler und dann aber auch nur die zweitrangigen kaufen durften. Der Blaue Reiter bildete insofern eine Ausnahme, als die Künstler alle in München gearbeitet hatten. Franz Marc war gebürtiger Bayer. Und die beiden Russen, Jawlensky und Kandinsky, haben lange hier gelebt. Die avantgardistische Aufbruchsbewegung war mit der Isarmetropole aufs Engste verbunden. Aber Beuys, der außerhalb der aufgeschlossenen Kunstwelt nicht nur Ablehnung, sondern auch Aggression ausgesetzt war, in München durchzusetzen, das schien mir dann doch unmöglich. Abgesehen davon, dass wir das Geld auch nicht hatten.

Der damals amtierende Kulturreferent Münchens, Herbert Hohenemser, der sehr an Literatur und Psychoanalyse interessiert war, hatte nichts für zeitgenössische Kunst übrig. Die Beuys-Ausstellung war im Februar 1976, im Herbst wurde ein neuer Kulturreferent gewählt. Die FDP hatte einen kaum bekannten Lektor aus dem Hanser-Verlag namens Jürgen Kolbe nominiert, und damals passierte etwas, was in der Politik selten ist: Die SPD begriff, dass ihr Kandidat nach einem misslungenen Auftritt in der Öffentlichkeit nicht durchzusetzen sein würde. Um nicht mit unterzugehen, entschied sich die SPD für den Kandidaten der FDP. Kolbe wurde Kulturreferent und sorgte sofort dafür, dass wir einen anständigen Etat bekamen. Ich hatte damals im Jahr 50.000 Mark zur Verfügung, meine Kompetenz reichte bis 3.000 Mark. Alles darüber hinaus musste im Kulturausschuss des Stadtrats beraten werden. Eine Dienstreise ins Ausland musste vom Bürgermeister genehmigt werden! Das dauerte sechs Wochen. Wenn man einen Katalog machen wollte, musste man zur Vergabestelle 6 gehen, die unter anderem auch für die Telefonbücher der Stadt zuständig war. Ich weiß gar nicht, wie wir solche administrativen Hindernisläufe überstanden haben. Ein Ankauf der Beuys-Arbeit schien völlig aussichtslos. Sie blieb jedenfalls erst mal bei Klüser.

Ich versuchte damals, noch eine andere Arbeit, auch ein Environment, zu kaufen. Das „Dachau-Projekt“ von Jochen Gerz. Jochen Gerz, „Exit. Materialien zum Dachau-Projekt“, 1972–1974. Die Arbeit besteht aus je 20 Tischen, Stühlen, Glühlampen, Dossiers mit Beschriftungen aus der KZ-Gedenkstätte Dachau, zwei Kassettenrekordern und vier Lautsprechern, aus denen angestrengtes Keuchen eines rennenden Menschen und das ratternde Geräusch zweier Schreibmaschinen zu hören sind. Eine sehr interessante, vom französischen Strukturalismus maßgeblich beeinflusste Arbeit, die mich fasziniert hat. Ich war zusätzlich motiviert, mich darum zu kümmern, weil ein ehemaliger Gefangener, ein Kollege, Wijsenbeek, Louis Jacob Florus Wijsenbeek (1912 Rotterdam – 1985 München) war ein niederländischer Kunsthistoriker. 1940 wurde er durch die deutschen Besatzer wegen seiner jüdischen Herkunft aus seinem Amt als Direktor des Gemeentemuseum Den Haag entlassen und war zwischen 1943 und 1945 im Gefängnis Scheveningen sowie im Konzentrationslager Westerbork. Nach dem Krieg arbeitete er von 1945 bis 1947 für die Stichting Nederlandish Kunstbezit an der Restitution geraubter niederländischer Kunst- und Kulturgüter. Von 1947 bis 1951 war Wijsenbeek Direktor des Het Prinsenhof Museum in Delft und leitete ab 1951 das Gemeentemuseum in Den Haag. damals Direktor des Museums in Den Haag, mich besuchte und sagte: „Herr Zweite, das ist eine so wichtige Arbeit. Das entspricht genau den Erfahrungen, die wir im Konzentrationslager gemacht haben. Das ist in einer interessanten, bemerkenswerten, neuartigen und bewegenden Weise umgesetzt, dass ich Ihnen nur wünschen kann, dass Sie diese Arbeit hier in München festhalten, zumal es hier einen mittelbaren Bezugspunkt gibt.“ Der Widerstand gegen die Erwerbung formierte sich rasch, als die Absicht des Museums bekannt wurde. Es war nicht zuletzt die damalige Direktorin der Gedenkstätte Dachau, Frau Distel, die glaubte, mit diesem Projekt von Jochen Gerz würden wir ihre Arbeit in der Gedenkstätte desavouieren, unterlaufen, kritisieren. Ich habe dann beide zusammengebracht, und es gab im Café eine lange Diskussion zwischen Gerz und ihr, es war aber leider keine Verständigung möglich. Jürgen Kolbe habe ich das Projekt erläutert, und er sprach sich ganz entschieden für den Ankauf aus. 20.000 oder 18.000 D-Mark kostete die Arbeit. Wir gingen zusammen zum Stadtrat, und ich strengte mich sehr an, die Installation zu erklären. Leider fiel mir Kolbe selbst dann in den Rücken, indem er sagte, er könne die Position des Galeriedirektors nicht nachvollziehen und bitte angesichts der Problematik der Arbeit den Stadtrat, negativ zu entscheiden und den Antrag des Museums abzulehnen. Das muss etwa 77 gewesen sein. Unter diesen Umständen konnte ich nun nicht mit Beuys kommen. Die Zusage von Engelhorn blieb mir aber im Gedächtnis, und 79/80 habe ich es dann doch versucht und dem Kulturreferenten deutlich gemacht, dass sich nicht wiederholen dürfe, was bei Gerz geschehen war. Kolbe hat es damals wirklich geschafft, Winfried Zehetmeier, damals zweiter Bürgermeister in München, zu überzeugen, gegen seine CSU-Fraktion zu stimmen. Außerdem gab es noch einen Stadtrat von der FDP, der lauthals bekundete, man könne keine bessere Werbung für die Stadt bekommen, auch wenn es einen Skandal gäbe. Mit einer Stimme Mehrheit wurde der Ankauf genehmigt. Die Arbeit hat damals 270.000 Mark gekostet, was nicht wenig ist, aber für heutige Verhältnisse natürlich geradezu lächerlich erscheint. Engelhorn hat die 135.000 sofort überwiesen. Von der Münter-Eichner-Stiftung habe ich mir dann nochmals 85.000 Mark genehmigen lassen, sodass im Endeffekt 50.000 übrig blieben, die von der Stadt bezahlt wurden. Aber das ist Vergangenheit. Das Wichtige an dieser Beuys-Geschichte ist darin zu sehen, dass das Lenbachhaus nicht mehr allein auf die Förderung und den Ankauf lokaler Künstlerinnen und Künstler festgelegt war. 73 haben wir hier Twombly gezeigt, „Cy Twombly. Bilder 1953–1972“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 10. Juli – 12. August 1973. wir haben die Sammlung Herbig gezeigt, „Bilder, Objekte, Filme, Konzepte: Sammlung Herbig“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 03. April – 13. Mai 1973. die dann nach Kassel abwanderte und schlussendlich versteigert wurde, weil Peter Gauweiler, damals Mitglied im Stadtrat, Jost Herbig öffentlich als dahergelaufenen Herbol-Erben beschimpft hat. Jost Herbig (1938 Köln – 1994 Icking) war ein deutscher Chemiker, Wissenschaftspublizist und Kunstsammler, dessen Familie bis 1970 das Kölner Lackfarbenunternehmen Herbol führte. Seine Kunstsammlung umfasste wichtige Positionen der europäischen und amerikanischen Nachkriegskunst, darunter Werke von Georg Baselitz, Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Blinky Palermo, Gerhard Richter und Richard Tuttle. Von 1976 bis 1997 war die Sammlung Herbig als Dauerleihgabe in der Neuen Galerie in Kassel, 1998 wurde ein großer Teil der Arbeiten bei Christie’s in New York versteigert. Es war eine ziemlich aufgeheizte Atmosphäre, aber es ist doch gelungen, die nationale und internationale Öffnung des Lenbachhauses durchzusetzen und damit eigentlich umzusetzen, was der Blaue Reiter zwei Generationen zuvor propagiert hatte.

Ich weiß, dass der Galerie-Verein Mit dem Ziel, die Gegenwartskunst innerhalb der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zu stärken, wurde 1965 der sogenannte Galerie-Verein in München gegründet. Gründungsmitglieder waren Herzog Franz von Bayern, die Sammler Walter Bareiss und Klaus Gebhard, der Kunstverleger Egon Hanfstaengl, der Kunsthistoriker Siegfried Wichmann, der Bankier Alfred Winterstein sowie der Restaurator Christian Wolters. Der Galerie-Verein verzeichnet seit den 60er-Jahren bedeutende Ankäufe. Darunter sind Werke von Georg Baselitz, Joseph Beuys, John Chamberlain, Willem de Kooning, Roy Lichtenstein, Robert Morris und Andy Warhol. Mit Eröffnung der Pinakothek der Moderne im Jahr 2002 wurde der Galerie-Verein in PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne umbenannt. Vgl. Katharina von Perfall, „Vom Tun… Die Vereinsgeschichte“, in: „A Perfect Match – Sammlungspräsentation zum 50-jährigen Jubiläum von PIN“, hg. von PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne e.V., München 2015, S. 22–113. auch schon früh versucht hat, bestimmte Werke in München zu platzieren und immer wieder auf Widerstände gestoßen ist. Waren Sie als Verfechter der zeitgenössischen Kunst in München in stetem Kontakt?

Eigentlich nicht. Der Galerie-Verein war für mich ein fremdes Terrain. Christof Engelhorn war dort sehr engagiert. Für die Beuys-Arbeit sah er offenbar weniger in den Pinakotheken als im Lenbachhaus eine Möglichkeit. Sie dürfen nicht vergessen: Man war ja ein Jahrzehnt zuvor drauf und dran gewesen, die Ströher-Sammlung für die Pinakothek zu erwerben. Halldor Soehner Halldor Soehner (1919 München – 1968 München) war ein deutscher Kunsthistoriker, der von 1964 bis 1968 Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen war. starb leider in einem entscheidenden Moment, und der neue Generaldirektor hat die zwölf Millionen für einen Frans Hals, das Porträt des Willem van Heythuysen, Frans Hals, „Willem van Heythuysen“, um 1625. ausgegeben. Die ganzen Bemühungen um die Ströher-Sammlung waren damit torpediert. Es lief eher so, dass der Galerie-Verein die Initiative ergriff, Dinge zu kaufen, und die Pinakothek mehr oder weniger zähneknirschend „Ja“ sagte. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum hier alles Neue, Innovative, Richtungsweisende mit einer großen Verspätung wahrgenommen wurde, während sich das Rheinland in dieser Hinsicht als viel flexibler erwies. Als Peter Ludwig seine Pop-Art ins Wallraf-Richartz-Museum brachte, löste das keineswegs nur Begeisterung aus, erwies sich indessen sehr bald als Großtat. Ab 1969 baute das Industriellenehepaar Peter (1925 Koblenz – 1996 Aachen) und Irene Ludwig (1927 Aachen – 2010 Aachen) eine der bedeutendsten Sammlungen im Bereich der modernen und zeitgenössischen Kunst auf. Neben Werken der Pop-Art und der abstrakten Malerei umfasst diese auch Positionen aus dem Bereich der Konzeptkunst, der russischen Avantgarde und des Expressionismus. Durch Schenkungen und Leihgaben etablierte das Ehepaar Ludwig zahlreiche Kooperationen zwischen öffentlichen Trägern und ihrer Privatsammlung. So erhielt die Stadt Köln 1976 einen umfangreichen Sammlungsbestand unter der Voraussetzung, einen eigenen Präsentationsort – das heutige Museum Ludwig – zu errichten. 1982 gründeten Peter und Irene Ludwig die Ludwig Stiftung für Kunst und internationale Verständigung, die nach dem Tod Peter Ludwigs 1996 in die Peter und Irene Ludwig Stiftung überging. Vgl. Heinz Bude, „Peter Ludwig – Im Glanz der Bilder“, Bergisch Gladbach 1993.

An Beuys schieden sich die Geister, aber wir hatten auch vorher schon große Probleme, die freilich einen anderen Charakter aufwiesen. Wenn ich nach Köln zu Karsten Greve kam, hat er mich jahrelang als Twombly-Zerstörer beschimpft, weil wir immense Schäden an den Bildern hatten. „Veil of Orpheus“, Cy Twombly, „Veil of Orpheus“, 1968. damals Teil unserer Twombly-Ausstellung, wurde 1973 fast massakriert. Das ist ein großes Bild von circa 5,50 x 2,30 Meter. Ein graues Bild, auf dem schwebende Linien über vier Tafeln leicht aufsteigen und in einer Art Handform enden. Da hatte jemand, unseren Aufseher überwältigend oder täuschend, mit einem zu Ende gehenden Kugelschreiber das Four-letter-Wort über alle vier Tafeln geschrieben. Ein Totalschaden. Der Restaurator des Basler Museums hat wohl Jahre damit zugebracht, das Bild zu restaurieren. Heute sieht man die Schäden nicht mehr. Es war die Zeit, als man anfing, im Museum Exponate zu zeigen, an denen man Knöpfchen drücken durfte, die Besucher sollten spielerisch mit den Werken umgehen. Und so haben sie bei dem Bild „Leda und der Schwan“ Cy Twombly, „Leda and the Swan“, 1962. mit dem Kugelschreiber die Kringel im Zentrum des Gemäldes einfach weitergemalt. Die Twombly-Ausstellung hatten wir nicht selbst gemacht, sondern sie war eine Kombination aus zwei bereits realisierten Projekten: Carlo Hubers Ausstellung in der Kunsthalle Bern – das waren 18 großformatige Bilder – und der Papierausstellung mit Collagen und Zeichnungen, die Franz Meyer in Basel gemacht hatte. „Cy Twombly. Bilder 1953–1972“, Kunsthalle Bern, 28. April – 03. Juni 1973; „Cy Twombly. Zeichnungen 1953–1973“, Kunstmuseum Basel, 05. Mai – 24. Juni 1973. Beide Ausstellungen wurden im Lenbachhaus zusammengeführt. Natürlich funkte auch Heiner Friedrich im Hintergrund, er hat Twombly ja früh vertreten. Ich stand damals wirklich noch ganz am Anfang und hatte keine Erfahrung. Und Petzet wollte sich nicht kümmern, er hatte zu der Zeit schon Ambitionen, Generalkonservator des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege zu werden. Auf Bitten Heiner Friedrichs kam Blinky Palermo, um die Ausstellung einzurichten, und er entschied, die großen Bilder in kleinen Räumen zu installieren, die Collagen und Zeichnungen hingegen in die größere Enfilade des Nordflügels zu platzieren. So wurde es gemacht, mit der Konsequenz, dass bei den Gemälden überall Absperrungen eingerichtet werden mussten. Und da beim Sicherheitsdienst Mayer damals nur alte Herren beschäftigt waren, die manchmal auf ihren Sesseln vor sich hinträumten, gelang dem einen oder anderen Besucher, einfach über die Strippen zu steigen und Twombly kreativ zu erweitern beziehungsweise zu verdichten. Eine spezifische Form des Vandalismus.

Neben Twombly haben wir Warhol gezeigt, wir haben Claes Oldenburg und Robert Rauschenberg gezeigt, wir haben George Segal und Edward Kienholz gezeigt. „Andy Warhol. Bilder 1961–1981“, Kestnergesellschaft, Hannover/Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 18. Dezember 1981 – 07. Februar 1982; „Claes Oldenburg. Zeichnungen“, unter anderem Kunsthalle Tübingen /Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 17. Juli – 31. August 1975; „Rauschenberg: Werke 1950–1980“, unter anderem Staatliche Kunsthalle Berlin/Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 04. Februar – 05. April 1981; „George Segal“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 17. November 1972 – 14. Januar 1973; „Edward Kienholz: Volksempfänger“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 28. September – 20. November 1977. Das war neben den historischen Projekten ein breites Programm, das in München sonst niemand machte. Das Haus der Kunst mit Peter Ade, der hier Unglaubliches auf die Beine gestellt hat, war auf klassische Moderne ausgerichtet. Die zeitgenössische Kunst spielte dort eigentlich keine Rolle.

Als die Ströher-Sammlung in München gezeigt wurde, kamen angeblich kaum Besucher. Das Interesse an zeitgenössischer Kunst war offenbar nicht besonders groß. Der Widerstand dafür umso größer. Zur Olympiade 1972 waren umfängliche Kunstprojekte angedacht. Vom 26. August bis 11. September 1972 fanden die Olympischen Spiele erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Deutschland statt. Für die Sommerspiele in München wurde ein begleitendes Kunstprogramm mit einem Etat von 12,6 Millionen D-Mark geplant, an dem unter anderen die Künstler Heinz Mack und Otto Piene beteiligt waren. Der Gestalter Otl Aicher entwarf mit etwa 40 Mitarbeitern das visuelle Erscheinungsbild für die Olympiade. Andere Entwürfe, etwa von Gerhard Richter, Walter De Maria oder Blinky Palermo, wurden hingegen nicht umgesetzt. Vgl. Jochen Paul, „Otl Aicher – Design Olympia 72“, unter: https://www.muenchenarchitektur.com/news/25-kunst-kultur-design/16876-otl-aicher-design-olympia-72 (eingesehen am 30.06.2017). Heiner Friedrich verließ nach eigenen Angaben das Land, weil seine Bemühungen, bestimmte Positionen durchzusetzen, keinen fruchtbaren Boden fanden. Worin sahen Sie diesen Widerstand begründet?

Es ist so, wie mit aller Kunst, die noch nicht gesehen wurde. Allem Neuen und Fremden gegenüber ist man skeptisch, zurückhaltend oder sogar ablehnend. Man hat keine Vergleichsmöglichkeiten und keine Kriterien. Man weiß nicht, wie man das Ungewohnte, Verblüffende einordnen soll. Wie man die Qualität bestimmen soll. Man muss ja inzwischen einen pragmatischen Kunstbegriff anwenden und sich vergegenwärtigen, dass das jeweilige nur aus dem künstlerischen Gesamtgeschehen erklärbar, definierbar und bewertbar ist. Die entsprechenden Voraussetzungen fehlten in München, einer sehr konservativen Stadt, weitgehend. Es gab kein Klima der Aufgeschlossenheit, der Neugier, der Entdeckerfreude, der Risikobereitschaft. Abgesehen von den wenigen, die zu Heiner Friedrich in seine private Galerie gegangen sind, um sich den „Earth Room“ In der Ausstellung „Walter De Maria. Dirt Show/The Land Show. Pure Dirt, Pure Earth, Pure Land“ in der Galerie Heiner Friedrich in München zeigte Walter De Maria vom 28. September bis zum 10. Oktober 1968 den „Earth Room“. Dazu füllte er die Räume der Galerie mit 50 Kubikmetern Erde an. Seit 1977 zeigt die Dia Art Foundation die Arbeit in New York in 141 Wooster Street. von Walter De Maria anzusehen. Ich weiß nicht, ob da 50 Leute in der Ausstellung gewesen sind.

Natürlich waren die Olympischen Spiele für die Stadt von großer Bedeutung. Das Verkehrssystem wurde erneuert, die U-Bahn wurde gebaut. Das spielte eine immense Rolle. Diese fantastische Architektur von Günter Behnisch und Frei Otto, die entstanden ist, aber auch der Park drum herum, ist ja wirklich nach wie vor ein Kleinod der Architekturgeschichte. Und da gab es eben auch den Versuch, zeitgenössische Kunst zu zeigen. Nicht nur Heiner Friedrich und Franz Dahlem, sondern eine ganze Gemeinde von Leuten wollte das durchsetzen. Einerseits war das der Freundeskreis, aber noch viel wichtiger waren die Medien: die „Süddeutsche Zeitung“, in erster Linie Laszlo Glozer. Laszlo Glozer (* 1936 Szombathely, Ungarn) ist ein Kunsthistoriker und Kunstkritiker. Nach Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands floh er 1956 nach Deutschland. Dort studierte er Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Freiburg und München. Ab 1966 war er als freier Kritiker für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Süddeutsche Zeitung“ tätig und wurde 1970 Redaktionsmitglied der „Süddeutschen Zeitung“. Gemeinsam mit Kasper König organisierte er 1981 in Köln die Ausstellung „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“, wobei er insbesondere für das wissenschaftliche Gesamtkonzept und die Ausstellungspublikation verantwortlich war. Von 1985 bis 2003 war Glozer Professor für Geschichte der Moderne an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Schriften zur Gegenwartskunst, darunter „Joseph Beuys. Teige deine Wunde“ (1976), „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“ (1981) und „Cy Twombly. Photographs 1951–2007“ (2008). Er spielte eine sehr wichtige Rolle. In der Wochenendbeilage waren manchmal zwei ganze Seiten nur der bildenden Kunst vorbehalten. Aber der Widerstand war enorm. Über die Entwürfe, die Richter und Palermo für das Schwimmstadion entwickelten, gab es nur Häme und Spott. Dass Walter De Marias „Vorschlag für eine große Erdskulptur“ für den Schuttberg im Norden der Stadt nicht realisiert wurde, gehört ebenfalls in dieses Spektrum. Walter De Maria (1935 Albany – 2013 Los Angeles) wollte im Rahmen der Ausgestaltung der Wohn- und Spielstätten für die Olympiade 1972 in München ein 120 Meter tiefes „Denkloch“ aus einem Trümmerberg ausheben lassen. Heiner Friedrich, der sich für die Umsetzung verschiedener künstlerischer Projekte im Rahmen der Olympiade stark gemacht hatte, konstatiert später, die Ablehnung aller von ihm unterstützten Projekte habe ihn letztlich dazu bewegt, seinen Arbeits- und Lebensmittelpunkt in die USA zu verlegen: „Am Tag der Absage fiel für mich die Entscheidung, Deutschland zu verlassen und zu versuchen, meine Ideen in Amerika zu verwirklichen“. Vgl. Günter Herzog, „Die Galerie Heiner Friedrich“, in: „Galerie Heiner Friedrich. München, Köln, New York, 1963–1980“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 21/22, 2013, S. 9–21, hier S. 17. So war die Atmosphäre. Zu Strauß’ Zeiten, als die Lederhose hier noch als Signet der Kultur galt – heute ist es eher der Laptop –, war es wirklich schwierig. Hier hat man die Tradition bewahrt. Diese Mentalität hat sich gehalten, und die Zurückhaltung, Abneigung, manchmal bis zur Polemik gehende Aversion gegenüber dem Zeitgenössischen wurde über Jahre geprägt.

Sie sind in München geblieben und haben sich diesen Widerständen ausgesetzt. Welchen Auftrag haben Sie sich selbst gegeben? An wen richteten Sie sich mit Ihrer Arbeit?

Das ist ja eine generelle Frage: Warum interessieren wir uns überhaupt für Kunst? Warum liest man Literatur? Warum hört man Musik? Es ist eine Belebung, eine Bereicherung. Eine Welt, die einem Alternativen aufzeigt. Die den Alltag in einer ungeahnten und immer wieder phänomenalen Weise erweitert und bereichert. Was würde aus uns werden, wenn wir nur mechanistische Tagläufer wären und nicht die Möglichkeit hätten, uns auch mit ganz anderen Welten und Phänomenen zu beschäftigen? Kunst – und Kultur im Allgemeinen – hat ja gerade dadurch so eine bedeutende Funktion. Und sie kann natürlich auch Lebensmodelle aufzeigen, wie Beuys das versucht hat, alternative Dinge sichtbar machen. Beuys hat seine Partei 1967, unmittelbar nach dem Tod Benno Ohnesorgs in Berlin, gegründet. Als Reaktion auf den Tod von Benno Ohnesorg sowie die damit einhergehenden Studentenunruhen gründete Joseph Beuys im Juni 1967 die Deutsche Studentenpartei (DSP). Im Frühjahr 1970 wurde diese zunächst in „Organisation der Nichtwähler, Freie Volksabstimmung“ umbenannt, bevor sie im Juni 1971 in der Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung aufging. Neben Beuys beteiligten sich unter anderen Bazon Brock, Klaus Staeck und Johannes Stüttgen an deren Projekten.Siehe auch: Götz Adriani/Winfried Konnertz/Karin Thomas, „Joseph Beuys. Leben und Werk“, Köln 1986 (3. Auflage), S. 260. Das heißt, die Kultur oder die Kunst hat immer auch die Möglichkeit, den rein ästhetischen Bezirk zu verlassen und sich in soziale Bereiche zu erweitern. Das ist bei Ed Kienholz nicht anders. Daher ist es von zentraler Bedeutung, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Ich habe nicht so explizit darüber nachgedacht, wie man das vielleicht heute tut: An wen wenden wir uns mit der Kunst? Mich hat es fasziniert und beschäftigt. Und im Verband mit Kollegen oder anderen Künstlerfreunden hat man sich auseinandergesetzt. Aber man hat vielleicht zu wenig an ein Publikum und dessen Rezeptionsfähigkeiten gedacht. Wichtig war immer, dass es einen selbst faszinierte. Dass man selbst etwas versuchte zu durchdenken. Manchmal auch mit einem Essay zu begleiten, um dann die Reaktionen abzuwarten und zu sehen: Wie wird das wahrgenommen? Oder Vorträge zu veranstalten, um dieses Phänomen oder diese Wahrnehmung, die Sensibilisierung einem breiteren Kreis zu ermöglichen. Diese pädagogische Art, die heute für die Museumsarbeit zentral ist, gab es zwar, sie stand aber keineswegs im Mittelpunkt. Es war die eigene Begeisterungsfähigkeit, die einen motivierte, etwas zu machen, um dann zu sehen: Kann man das hinbekommen?

Sie waren offenbar relativ breit aufgestellt: Nach Beuys und Twombly zeigten Sie in den 80er-Jahren in São Paulo die deutsche figurative Malerei der 80er-Jahre, den Anfang machten Sie mit Markus Lüpertz. Armin Zweite war 1983, 1985 und 1987 als Kommissar des deutschen Beitrags der Biennale von São Pailo tätig.

Eine Lüpertz-Ausstellung, die ich 73 in der Baden-Badener Kunsthalle gesehen habe, faszinierte mich. „Markus Lüpertz. Bilder, Gouachen und Zeichnungen. 1967–1973“, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 17. August – 23. September 1973. Das Bild, das mich am meisten begeisterte, war die „Apokalypse“ Markus Lüpertz, „Apokalypse – Dithyrambisch“, 1973. – das ist heute in Düsseldorf. Ich habe mit Lüpertz im Lenbachhaus und auch in Düsseldorf große Ausstellungen gemacht. „Markus Lüpertz. Belebte Formen und kalte Malerei. Gemälde und Skulpturen“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 29. Januar – 30. März 1986; „Markus Lüpertz“, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 30. März – 02. Juni 1996. 83 habe ich in São Paulo das Environment von Rainer Wittenborn und Claus Biegert gezeigt. Claus Biegert und Rainer Wittenborn, „James Bay Project: A River Drowned by Water“, 1981. Das hat einen starken Eindruck gemacht. Die Vertreter der Yanomamis, Die Yanomami leben als indigene Volksgruppe in eigenständigen, weitgehend von der modernen Gesellschaft unabhängigen Gemeinschaften in den Wäldern des nördlichen Amazonasgebiets, das zu Brasilien und Venezuela gehört. der Indianer aus dem Amazonasgebiet, wollten wissen, wieso die beiden Deutschen nach Nordkanada gingen, mit den Cree-Indianern lebten und sich für deren Lebensbedingungen einsetzten. Die Cree fürchteten, an der Hudson Bay ihre Jagdgründe zu verlieren, weil die Hudson Bay Company dort Staudämme bauen wollte, um Strom für den amerikanischen Markt zu erzeugen. Dagegen haben sie protestiert. Claus Biegert ist Journalist, der sich als Vorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker der Welt einsetzt. Nach wie vor. Er und Rainer Wittenborn haben als eine Art Spurensuche monatelang bei den Cree-Indianern gelebt und ein riesiges Environment geschaffen. Mit Zeichnungen, Fotodokumentationen, gesammelten Relikten, mit Schneeschuhen und Fellen. Das haben wir gezeigt. Das wirkte in einer Welt, die keinen Schnee kennt, vollkommen absurd. Bei dem „James Bay Project: A River Drowned by Water“ ging es nicht nur um Kunst, sondern auch um den Verlust von Lebensgrundlagen, um die Ausgrenzung anderer indigener Bevölkerungsgruppen. Das war damals wichtig und wurde in São Paulo entsprechend wahrgenommen.

1985 habe ich in São Paulo Jiří Georg Dokoupil, Peter Bömmels und Albert Hien gezeigt. 87 Kiefer. Damals lief die große Retrospektive in Nordamerika, die Mark Rosenthal, ein Freund von mir, organisiert hat. „Anselm Kiefer“, Art Institute of Chicago, 05. Dezember 1987 – 31. Januar 1988/Philadelphia Museum of Art, 06. März – 01. Mai 1988/Museum of Contemporary Art, Los Angeles, 14. Juni – 11. September 1988/The Museum of Modern Art, New York, 17. Oktober 1988 – 03. Januar 1989.

Und wie passte Lüpertz 1983 zu Wittenborn und Biegert?

Das Budget reichte weiter, und so gab es die Möglichkeit, zusätzlich etwas zu zeigen, was mir auch diskussionswürdig erschien. Ich glaube, Baselitz war schon in São Paulo gezeigt worden. Georg Baselitz war 1975 auf der „13. Biennale von São Paulo“ vertreten. Und für Lüpertz hatte ich, wie gesagt, ein gewisses Faible. Gezeigt wurden seine „Fünf Bilder über den Faschismus“ Markus Lüpertz, „Fünf Bilder über den Faschismus“, 1980. und fünf weitere Gemälde von 1980/82, darunter eines seiner wichtigen Werke mit dem Titel „Frau im Spiegel“. Markus Lüpertz, „Frau im Spiegel“, 1982. Auch Penck hat mich fasziniert. Diese „Standart“-Geschichten, Anfang der 1960er-Jahre entstanden die ersten System- und Weltbilder A.R. Pencks, aus denen er in den folgenden Jahren das künstlerische Konzept „Standart“ entwickelte. Im Rahmen einer Ausstellung in der Galerie Michael Werner in Köln waren seine Werke 1970 erstmals in Westdeutschland zu sehen. die er entwickelt hat, waren hier in München immer wieder mal zu sehen. Sie haben in gewisser Weise etwas mit der Kunst der Aborigines zu tun. Diese zeichenhaften Miniaturen, die man bei verschiedenen Indianervölkern im Amazonas im weitesten Sinne in ähnlicher Form finden kann. Von daher war das für mich eine Verbindung, der man nachgehen konnte. Zu sehen waren verschiedene Arbeiten aus seiner TI-Serie und zehn Werke aus der „Standart-West“-Folge von 1982.

Penck und Lüpertz kommen aus dem Michael-Werner-Kreis. Dokoupil und Bömmels kamen aus dem Gemeinschaftsatelier der Mülheimer Freiheit. Martin Kippenberger und Albert Oehlen haben Sie, glaube ich, gar nicht gezeigt?

Leider nicht. Als Kippenberger für mich interessant wurde – das war schon in der Düsseldorfer Zeit –, waren die Bilder auf einmal sehr teuer.

Wie konnte man das damals verpassen? In Berlin waren Rainer Fetting, Salomé, Bernd Zimmer und Helmut Middendorf. In Köln gab es die Mülheimer Freiheit. Kippenberger, Oehlen und Werner Büttner waren fast zeitgleich. Heute sind sie bekannter als die meisten anderen ihrer Generation. Warum war das damals weniger attraktiv?

Das ist eine gute Frage, die ich Ihnen nicht beantworten kann. Man nimmt vieles wahr. Aber die Entscheidung, daraus auch ein Ausstellungsprojekt, einen Essay, ein Buch oder einen Ankauf zu machen, ist noch mal eine ganz andere Geschichte.

Bömmels hat mich sehr interessiert – viele Arbeiten habe ich in der Galerie bei Paul Maenz gesehen –, diese Haarbilder Die Serie der „Haarbilder“ von Peter Bömmels entstand zwischen 1982 und 1985. fand ich so kurios. Dokoupil wiederum hat mich auf der documenta ungeheuer beeindruckt. Jiří Georg Dokoupil (* 1954 Krnov, Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik) war 1982 auf der „documenta 7“ mit dem Werk „Gott, zeig mir Deine Eier“, einer Hommage an seinen Künstlerkollegen Julian Schnabel, der von der documenta-Leitung nicht eingeladen worden war, vertreten. Wann war das?

1982.

Genau! Diese großen Bilder. Unglaublich stark. Es gibt Momente, da muss man das realisieren, oder man verpasst es. Das meiste verpasst man. In São Paulo waren Dokoupils Paraphrasen von Firmenlogos zu sehen: Nivea, Pepsi, Maggi und so weiter. Aufbereitet in einem absolut künstlerischen Kolorit und geradezu bengalischer Lichtwirkung. Mit seinen Kerzenruß- und Seifenblasenbildern hat Dokoupil weiterhin Furore gemacht und eine verblüffende Entwicklung vollzogen.

Wie haben Sie sich damals informiert? Sie waren auf der documenta, auf den Messen und den Biennalen?

Ja. Und ab 74 hatte ich das „Artforum“ für mich privat abonniert. Da war die Zeitschrift aber eigentlich schon nicht mehr gut, stattdessen war sie voller Reklame. Es gab außerdem natürlich den „October“, nach wie vor ein wichtiges Organ, und das „Kunstforum International“ sowie „Parkett“. Natürlich spielte auch die Tagespresse eine Rolle. Als Informationsträger war sie ganz wichtig. Inzwischen vielleicht auch das Internet, aber das ist, wenn ich ehrlich bin, nicht mehr meine Welt.

In einem Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks sagten Sie mehrfach, die sogenannte Medienkunst sei nicht unbedingt Ihr Favorit. Vgl. „‚So ist man denn dem einen oder anderen Irrtum aufgesessen, den man dann irgendwie abzubauen versucht‘, Heinz-Norbert Jocks im Gespräch mit Armin Zweite“, in: „Kunstforum International“, Bd. 134, 1996, S. 453–459. Man kann aber nicht behaupten, dass Sie allein mit Malerei beschäftigt waren. Beuys ist nur eine unter vielen Ausnahmen … 1979 hat im Lenbachhaus die große Ausstellung zur Performance Art stattgefunden „Performances 79. Körpersprache, Tanz–Musik, Video–Film, Theater“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 02.–18. Februar 1979. – das war, glaube ich, wirklich maßgebend damals in München?

Die Performancereihe im Lenbachhaus hat Helmut Friedel Helmut Friedel (* 1946 München) arbeitete ab 1977 als Kurator an der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und war von 1990 bis 2013 Direktor des Museums. Während seiner Amtszeit wurden Werke aus den Beständen der Heilmann-Stiftung, der KiCo-Stiftung und des Sammlers Lothar Schirmer für das Lenbachhaus erworben. gemacht, der sich überhaupt sehr engagiert für die zeitgenössische Kunst einsetzte und vor allem neben vielen größeren Projekten das Kunstforum in der Innenstadt zu einer wichtigen Bühne neuester Positionen machte. Von Jürgen Klauke bis Laurie Anderson waren in der Performanceausstellung alle dabei. Als Direktor war ich mitverantwortlich für das Ganze, aber die einzelnen Positionen hat Helmut Friedel nach München gebracht.

Wie hat Ihnen die Ausstellung gefallen?

Ich fand es natürlich aufregend. Herbert Achternbusch Herbert Achternbusch (* 1938 München) ist ein Filmregisseur, Schauspieler und Schriftsteller, dessen Filme sich häufig auf parodistische Weise mit seiner bayerischen Heimat auseinandersetzen. Von ihm stammen unter anderem die Filme „Das Andechser Gefühl“ (1974), „Das letzte Loch“ (1981), „I know the Way to the Hofbräuhaus“ (1991) und „Picasso in München“ (1996/97). zum Beispiel. Wir haben später wunderbare poetische, verrückte Papierarbeiten von ihm gekauft. Oder dieses Radau-Orchester aus Wien. Da war die Unruhe im Saal so groß, dass jemand – vielleicht Muehl? – einen Stuhl ins Publikum warf, der dann ausgerechnet Franz Dahlem an der Stirn traf, sodass er eine riesige Platzwunde hatte. Auch Laurie Anderson war wunderbar. Einzigartig. Also, ich stand dem nicht distanziert gegenüber, aber es ist nicht das, was mich weiter interessiert hat. Obwohl es Ausnahmen gibt: William Kentridge beispielsweise hat mich sehr interessiert. Man kann aber nicht auf allen Hochzeiten tanzen. In den 60er- oder 70er-Jahren haben uns die Spurensicherer fasziniert. Nikolaus Lang, Christian Boltanski, Paul-Armand Gette, Annette Messager oder Rainer Wittenborn. Künstler, die natürlich durchaus ihr Standing haben, aber keine Marktfiguren sind. Es gibt immer wieder Schübe, die man eine Zeit lang verfolgt, bevor man sich dann vielleicht wieder auf etwas anderes besinnt.

Düsseldorf ist ein reines Malereimuseum. Da gibt es nichts anderes. Keine Skulpturen, keine Videokunst, kein Foto. Nichts dergleichen. Nur Malerei. Das einzige Objekt, das Werner Schmalenbach Werner Schmalenbach (1920 Göttingen – 2010 Düsseldorf) leitete von 1955 bis 1962 die Kestnergesellschaft in Hannover und war von 1962 bis 1990 Direktor der neu gegründeten Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Er wirkte außerdem an zahlreichen internationalen Großausstellungen mit, darunter als Kommissar der Biennale von Venedig (1960) sowie an den Biennalen in São Paulo (1961, 1963, 1965). 1959 und 1964 war Schmalenbach im Arbeitsausschuss der documenta vertreten. gekauft hat, ist von Robert Rauschenberg, sonst gab es wirklich nur Malerei. Das muss man auch bedenken: Sammlungskonzeptionen haben ein Gewicht. Die kann man nicht einfach verändern, sondern man muss versuchen, sie fortzusetzen, zu erweitern. In Düsseldorf habe ich auch Beuys gezeigt und vor allem um „Palazzo Regale“ eine – wie ich selbst finde – recht respektable Reihe von Zeichnungen, Objekten und Vitrinen aufgebaut. Das Werk „Palazzo Regale“ (1985) gilt als Spätwerk von Joseph Beuys (1921–1986) und wurde 1992 für die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen erworben. Die Sammlung wurde stetig erweitert und umfasst heute etwa 80 Installationen, Vitrinen, Zeichnungen und Collagen von Beuys. Denn ein Museum in Düsseldorf ohne Beuys ist eigentlich nicht wirklich darstellbar. Aber Schmalenbach war der Meinung: „Beuys ist ein Spinner. Das ist kein Künstler. Er ist einfach nichts.“ Über Richter sagte er: „Der kann nichts. Das ist keine Malerei.“ Als ich damals ans Haus kam, musste ich natürlich, obwohl es eigentlich viel zu spät war, versuchen, etwas zu unternehmen. Das Gleiche galt für die Medienkunst. Daher haben wir dann die Sammlung Ackermans in toto übernommen. 2005 erwarb das Land Nordrhein-Westfalen für die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen im K21 die Sammlung von Heinz und Simone Ackermans mit Werken unter anderen von Katharina Fritsch, Anselm Kiefer, Jannis Kounellis, Mario Merz, Reinhard Mucha, Michelangelo Pistoletto, Sigmar Polke, Thomas Schütte und Andy Warhol.

Wann haben Sie das erste Mal Werke von Gerhard Richter gesehen?

Die erste Ausstellung mit seinen Werken fand 1973 im Lenbachhaus statt. „Gerhard Richter“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 23. Mai – 01. Juli 1973. Das hat sehr komisch angefangen: Ich hatte eine bestimmte Vorstellung, was ich von Richter zeigen wollte. Mir war klar, dass er sich als Künstler mit Fotografie auseinandersetzt. Für mich war es am Lenbachhaus die erste Ausstellung, bei der ich selbst verantwortlich tätig werden konnte, und ich hatte ein Konzept! Richter kam dann in einem VW-Bus nach München, und wir saßen im Café, um über die Ausstellung zu sprechen. – Wir waren uns vorher nie begegnet. – Ich erzählte Richter, was ich mir vorstellte, und irgendwann sagte er: „Interessant, aber es ist meine Ausstellung.“ Dann holte er aus dem VW-Bus ein Modell, in dem jeder Raum des Museums, den wir für seine Ausstellung vorgesehen hatten, maßstabsgetreu nachgebildet war, inklusive der Fensteröffnungen. Der Künstler zeigte, wie er sich die Ausstellung, seine Ausstellung, von Raum zu Raum, von Wand zu Wand vorstellte: Nur graue Bilder und Vermalungen! Das, was ich eigentlich gar nicht mochte, wofür ich damals keine Sensibilität entwickelt hatte.

Sie haben es trotzdem genauso genommen, wie er es vorgestellt hat?

Ja, es gab schließlich keine Alternative, zumal Michael Petzet sofort einverstanden war. Die Bilder waren da. Was ich damals nicht wusste: Teilweise hatte Richter das Ensemble seines Werks bereits bei Jean-Christophe Ammann in Luzern gezeigt. „Gerhard Richter“, Kunstmuseum Luzern, 21. Januar – 25. Februar 1973. Bis auf ein Bild im Foyer sind die Werke alle von dort gekommen. Für die damaligen Verhältnisse waren die Bilder teuer, wären aber für heutige Verhältnisse erschwinglich gewesen. Alles war ganz genau auf die Räume ausgerichtet und funktionierte tadellos. Es war Raum für Raum stringent, homogen und überzeugend. 30 Leute waren wir bei der Eröffnung. 30! Es gab hier überhaupt keine Reaktion. Null. Und das trotz seines auch international stark beachteten Auftritts auf der Biennale von Venedig ein Jahr zuvor.

Wegen der München-Klausel hätte man erst in den 80er-Jahren etwas kaufen können. Aber da war es wirklich schon wieder zu spät. Das ist leider das Schicksal der armen, nicht wirklich gut und umfassend informierten Museumsleute, dass sie oft zu spät kommen.

Inzwischen sind natürlich auch andere Bilder im Lenbachhaus: Der „Atlas“, Im „Atlas“ versammelt Gerhard Richter seit Mitte der 1960er-Jahre Fotografien, vor allem auch eigene Landschafts- und Familienbilder, Zeitungsausschnitte und Skizzen, die formal oder thematisch geordnet sind. Einzelne Motive dienten Richter als Vorlagen für seine Werke, andere blieben einfach Ideenskizzen. Der „Atlas“ war im Lenbachhaus erstmals in der Ausstellung „Gerhard Richter: Atlas der Fotos, Collagen und Skizzen“ vom 02. August bis zum 22. Oktober 1989 zu sehen, 1996 erwarb das Museum den gesamten „Atlas“, der damals aus 583 Tafeln bestand. der früher Graf Dürckheim gehörte, kam 87 oder 86 als Leihgabe ins Haus. 1989 haben wir das Werk ausgestellt, da hat Richter wieder alles genau aufgezeichnet, nur hatte er im Grundriss einen Feuermelder übersehen, sodass er hinterher einige Änderungen vornehmen musste. Und in den 1980er-Jahren gelang überdies, den sogenannten „Richter-Palermo-Raum“ zu erwerben. Nachdem Blinky Palermo (1943–1977) 1971 in der Galerie Heiner Friedrich in München einen Raum in „Münchner Gelb“ gestrichen zur Schau stellte, entstanden „Zwei Skulpturen für einem Raum von Palermo“ von Gerhard Richter. Im Mai 1984 wurde der Raum erstmals in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus eingerichtet.

Richter sagt, die „von hier aus“-Ausstellung 1984 in Düsseldorf habe ihm eine Tür zum internationalen Markt geöffnet. Vgl. Gerhard Richter. Vornehmlich in Richtung USA. Können Sie sagen, ab wann der amerikanische Markt auch für Kunst aus Deutschland offen war?

„von hier aus“ war eine wunderbare, großartige Ausstellung. Aber ich denke die Öffnung in den USA fing etwas früher an: vermutlich mit der Beuys-Ausstellung im Guggenheim Museum. „Joseph Beuys“, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 02. November 1979 – 02. Januar 1980. Sie war nicht in dem Sinne wichtig, dass viel gekauft wurde, aber die Wahrnehmung, dass in Deutschland etwas passierte, war natürlich durch die Beuys-Ausstellung schon da. 1981 kam dann „A New Spirit in Painting“ in London. „A New Spirit in Painting“, Royal Academy of Arts, London, 15. Januar – 18. März 1981. Da zeigte Richter seine Tizian-Bilder. Gerhard Richter, „Verkündigung nach Tizian“, 5-teilige Serie, 1973. Und 87/88 war die große Tournee der Kiefer-Ausstellung. „Anselm Kiefer“, Art Institute of Chicago, 05. Dezember 1987 – 31. Januar 1988/Philadelphia Museum of Art, 06. März – 01. Mai 1988/Museum of Contemporary Art, Los Angeles, 14. Juni – 11. September 1988/The Museum of Modern Art, New York, 17. Oktober 1988 – 03. Januar 1989. Die Rezeption der deutschen Kunst begann im Ausland Anfang der 80er-Jahre.

Man darf nicht vergessen, dass natürlich auch Paris ein wichtiger Ort war. Suzanne Pagé Suzanne Pagé (* 1950 Rennes) ist eine französische Kunsthistorikerin und Kuratorin, die seit 2006 die Fondation Louis Vuitton in Paris leitet. Von 1973 bis 2006 war sie am Musée d’Art moderne de la Ville de Paris zunächst für die Abteilung der Gegenwartskunst und ab 1988 für die Leitung des gesamten Museums zuständig. Zur deutschen Kunst fanden unter ihrer Leitung folgende Ausstellungen statt: „Art Allemagne aujourd’hui“ (17. Januar – 08. März 1981), „Hanne Darboven: histoire de la culture, 1980–1983“ (29. April – 22. Juni 1986); „Dispositif sculpture: Jürgen Drescher, Harald Klingelhöller, Reinhard Mucha, Thomas Schütte“, (19. Dezember – 16. Februar 1986); „Gerhard Richter. Peinture“ (23. September 1993 – 21. November 1993). hat mit ihren großen Ausstellungen deutscher Kunst auf dem Gebiet sehr viel geleistet. Das war immer wieder höchst informativ und eindrucksvoll. Im Nachhinein sind es gar nicht so viele Projekte, aber sie haben eine nachhaltige Wirkung gehabt. Dass Michael Werner einen Teil seiner Sammlung an dieses Museum gegeben hat, macht vor diesem Hintergrund sehr viel Sinn. 2012 übergab der Galerist Michael Werner dem Musée d’Art moderne de la Ville de Paris etwa 130 Werke aus seiner Sammlung mit Werken unter anderen von Jörg Immendorff, Markus Lüpertz, A.R. Penck, Marcel Broodthaers, James Lee Byars und André Derain.

Gerade die Werner-Künstler waren in Amerika nicht besonders beachtet. Weder Baselitz noch Lüpertz. Die jüngere Generation hingegen hatte schon ab Anfang der 80er-Jahre große Erfolge: vor allen Dingen die Berliner Salomé und Fetting. Sehen Sie damit verbunden auch einen Hunger des amerikanischen Markts nach neuer Ware?

Das ist sehr schwer zu sagen. Ich kann es nur noch in Umrissen rekapitulieren, aber ich glaube, symptomatisch dafür ist die Kiefer-Rezeption in den USA. Es ist auffällig, dass sehr viele jüdische Sammler Kiefer gekauft haben. In dieser Ausstellung passierte etwas sehr Eigenartiges: Ich glaube, es war Hilton Kramer, der die erste Station der Kiefer-Ausstellung feierte und die letzte verriss. Siehe Hilton Kramer, „The Anselm Kiefer Retrospective“, in: „The New Criterion“, Bd. 6, Nr. 6, Februar 1988. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich richtig liege, aber ich habe in Erinnerung, dass mich damals sehr verblüfft hat, dass im Laufe der Tournee, die sich über vier große Museen in Chicago, Philadelphia, Los Angeles und New York über ein Jahr hinzog, ein Moment der Übersättigung stattgefunden hat. Der Umstand, dass die jüdische Intelligenz sich mit der deutschen traumatischen Geschichte, mit der großen Kultur, die Deutschland vorzuweisen hat, aber auch mit dem Zivilisationsbruch beschäftigt hat, könnte möglicherweise eine Motivation gewesen sein, dass verschiedene Sammler in Amerika sich in den 80er-Jahren verstärkt mit dem Phänomen der deutschen Befindlichkeit, wie sie sich in der Kunst ausdrückt, beschäftigten. Ich vermute es, ich kann es nicht belegen. Aber ich denke mir, das könnte von Bedeutung gewesen sein.

Wir haben jetzt über sehr viele Männer gesprochen. War für Sie zu irgendeinem Zeitpunkt, vor allen Dingen in Ihrer Position als Direktor, die Frauenquote auch ein Thema?

Ja, aber spät. Zu spät. Ich muss einräumen, dass wir vielleicht auch blind waren. Oder ich zumindest viele Dinge nicht wahrgenommen habe. Irgendwann gab es in der Abendzeitung die Schlagzeile: „Zweite doch kein Frauenfeind“. Meine Frau hält mir das bis heute vor. Wir haben natürlich schon die eine oder andere Frau gezeigt. Annette Messager hatte eine ihrer ersten Ausstellungen im Lenbachhaus. „Annette Messager Sammlerin, Annette Messager Künstlerin“, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 10. Oktober – 18. November 1973. Das waren diese kleinen bestrickten Vögelchen, wunderbare Objekte. Zustande gekommen ist die Ausstellung durch Günter Metken, einen Freund, der ein Buch über die Spurensicherer geschrieben hatte und mich mit ihr bekannt machte. Der Kunstkritiker und Ausstellungsmacher Günter Metken (1928 Duisburg – 2000 Tripolis) veröffentlichte 1977 das Buch „Spurensuche. Kunst als Anthropologie und Selbsterforschung. Fiktive Wissenschaften in der heutigen Kunst“, in dem künstlerische Positionen von Christian Boltanski, Anne und Patrick Poirier, Nancy Graves, Jochen Gerz und anderen vorgestellt werden. Den zweiten Bürgermeister – damals Herr Schreiber, ein Mediziner – hat die Ausstellung völlig verblüfft. Ich glaube, er traute seinen Augen kaum. Das muss 73 gewesen sein. Dann gab es Friederike Pezold und Annalies Klophaus, aber sie spielen im Sammlungsprofil – das muss ich zugeben – keine relevante Rolle.

In der Performanceausstellung 79 waren einige Frauen dabei. Es heißt oft, dass gerade die klassischen Medien Skulptur und Malerei von Männern besetzt waren. Was war die Schwierigkeit? Warum konnten sich die Künstlerinnen in dieser Zeit weniger behaupten?

Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten. Einige haben sich ja behauptet. Zum Beispiel Rebecca Horn Rebecca Horn (* 1944 Michelstadt) studierte von 1963 bis 1971 an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und der Saint Martin’s School of Art in London. Zwischen 1972 und 1981 lebte sie in New York. Horn arbeitet vor allem im Bereich der Performance- und Medienkunst. Bekannt wurde sie mit Performances, Rauminstallationen und kinetischen Skulpturen, wie „Paradieswitwe“ (1975) oder „Die Pfauenmaschine“ (1979/82). Von 1989 bis 2004 war Horn Professorin an der Universität der Künste Berlin. Sie war unter anderem auf der documenta 5, 6, 7 und 9 vertreten und nahm an der 39., 42. und 47. Biennale von Venedig teil. 1992 erhielt Horn den Kaiserring der Stadt Goslar. oder Katharina Sieverding. Katharina Sieverding (* 1944 Prag) wurde in den 1970er-Jahren mit ihren großformatigen Foto- und Videoarbeiten bekannt. Sie studierte an der Kunstakademie Düsseldorf (1964–1974) zunächst in der Bühnenbildklasse von Teo Otto und ab 1967 in der Klasse von Joseph Beuys. Sieverding war auf der documenta 5 (1972), 6 (1977) und 7 (1982) vertreten und stellte 1997 zusammen mit Gerhard Merz im Deutschen Pavillon der 47. Biennale von Venedig aus. Von 1992 bis 2007 war sie Professorin an der Universität der Künste Berlin. Es gibt durchaus einige starke Figuren, starke Persönlichkeiten, die Furore gemacht haben. Auch in der Malerei. Denken Sie an Agnes Martin, Helen Frankenthaler, Joan Mitchell, Maria Lassnig, Bridget Riley, Karin Kneffel oder Katharina Grosse. Für mich würde ich einräumen: Blindheit auf einem Auge. Ich weiß nicht, warum man sie nicht so wahrgenommen hat wie die Männer. Vielleicht ist es wirklich ein Vorurteil, das einem selber nicht bewusst ist. Das zieht sich ja auch in der Arbeit der Galerien, in den Ausstellungen der Kunstvereine und der großen Häuser durch. Das ist ein allgemeines Phänomen, dass Frauen es grundsätzlich schwerer haben. Es ist ein generelles gesellschaftliches Problem, das eine lange Vorgeschichte hat. Das sehen Sie nach wie vor an der Familienpolitik der hier regierenden Partei: Die Frau gehört eigentlich nach Hause und hat sich um die Kindererziehung zu kümmern. Das sehen Sie doch in allen Feldern, in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Wenn Sie denken, wie sich das bei den Aufsichtsräten der großen Unternehmen verhält, von den Vorständen der Unternehmen ganz zu schweigen. Jetzt will man eine Quotenregelung durchsetzen. Es ist notwendig, weil von allein nichts passiert. Bei den Museumsdirektoren, muss man sagen, ist es inzwischen anders. Es gibt eine ganze Reihe von Frauen in leitender Funktion. Ich glaube, das Problem, das wir am Verhältnis von einigen Künstlerinnen zu vielen Künstlern, Galeristinnen zu Galeristen, Museumsdirektorinnen zu Museumsdirektoren, Kuratorinnen zu Kuratoren sehen, ist ein generelles, dem die Gesellschaft erst allmählich – leider zu langsam – gewahr wird: dass es nicht nur Männer gibt. Ich glaube nicht, dass das im ästhetischen Bereich ein spezifisches Problem ist, sondern dass wir es mit einem generellen sozialen Defizit zu tun haben. Das ist vielleicht in Deutschland ausgeprägter als in Amerika. Ich denke schon, dass das, was wir in allen gesellschaftlichen Bereichen beobachten können, auch in der Kunst nach wie vor leider eine maßgebliche Rolle spielt.

Wir sitzen hier im Brandhorst Museum, das die private Sammlung von Anette und Udo Brandhorst umfasst, aber von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen betrieben wird. Auch in den 70er- und 80er-Jahren waren an die Leihgaben oder Schenkungen der Sammler, etwa Ludwig oder Ströher, sicher Bedingungen geknüpft?

Natürlich. Und wie!

Waren damals auch Dauerleihgaben, die mit der Absicht der Wertsteigerung heute von privaten Sammlern an Museen gegeben werden, schon ein Thema?

Nein, das spielte eigentlich noch keine maßgebliche Rolle. Die einzige große Sammlung, um die ich mich damals bemüht habe – was dann aber nicht funktionierte –, war die Sammlung von Jost Herbig. Die haben wir 74 gezeigt. Eine hervorragende Sammlung mit wichtigen Werken von Georg Baselitz, Richard Tuttle, Bruce Nauman, Sigmar Polke, Dan Flavin und vor allen Dingen einem großen Konvolut von Marcel Broodthaers und Beuys-Arbeiten. Jost Herbig hatte die Sammlung mit dem Vermögen, das er wohl vererbt bekommen hatte, aufgebaut, aber nach der Ausstellung im Lenbachhaus mit dem Titel „Bilder, Objekte, Filme, Konzepte“ hörte er auf, den in seiner Komplexität einmaligen Bestand weiter auszubauen. Dabei war er sehr engagiert. Er hat sogar die Wandtexte für die Ausstellung selbst geschrieben. Damals kamen aber kaum Besucher. Es gab null Resonanz. Und so hat Herbig sich vermutlich aus Enttäuschung über das ausbleibende Echo zurückgezogen und im Laufe von 15 Jahren 15 populärwissenschaftliche Bücher geschrieben. Er war ja ausgebildeter Chemiker. Die Sammlung ging als Dauerleihgabe nach Kassel, und ich habe versucht, sie zurückzuholen, unter anderem weil die große Arbeit mit dem VW-Bus und den Schlitten, „Das Rudel“ Joseph Beuys, „The Pack (das Rudel)“, 1969. von Joseph Beuys, darunter war. Aber es scheiterte, da das politische Terrain hier für die Aufnahme einer solchen hochkarätigen, aber auch herausfordernden Sammlung einfach nicht bereit war.

Ich habe häufiger merkwürdige Erfahrungen mit Sammlern gemacht: Als ich nach Düsseldorf ging, bot mir Günter Ulbricht seine Beuys-Sammlung an. Sie befand sich allerdings als Dauerleihgabe im Kunstmuseum Bonn bei Katharina Schmidt. Ich konnte da selbstverständlich nur ablehnen. Ulbricht, der sein Geld mit einer Werbeagentur gemacht hatte, kündigte schließlich den dortigen Leihvertrag, lagerte die Sammlung ein und kam nach längerer Zeit erneut auf mich zu. Wir kamen tatsächlich ins Gespräch, nur nahm es eine prekäre Wende, da Ulbricht verlangte, seine Sammlung im Museum selbst einrichten zu dürfen. Das ging mir dann doch zu weit und die Chancen sanken gegen null, da eine Einigung nicht möglich schien. Am Ende hat sein Steuerberater, Herr Ganteführer, – in Düsseldorf eine markante Figur, die dort alle Sammler berät– Ulbricht überredet, dem Museumsdirektor den Vortritt zu lassen. Irgendwann kamen die Kunstwerke dann, ich habe sie installiert und rief Ulbricht an, um ihn gleichsam zur Vorbesichtigung einzuladen. Am Telefon war seine Lebensgefährtin mit den Worten zu hören: „Es tut mir sehr leid, aber Herr Ulbricht ist letzte Nacht sehr plötzlich gestorben.“ Ein furchtbarer, schrecklicher und erschütternder Zufall. Das hat mich und meine Kolleginnen und Kollegen in der Kunstsammlung sehr beschäftigt. Wir waren fassungslos.

Die Sammlung wurde an seine beiden Töchter vererbt. Nach zehn Jahren in einer öffentlichen Institution ist Kunst nicht mehr erbschaftssteuerpflichtig. Die Sammlung sollte verkauft werden und mit sehr großen Anstrengungen ist es gelungen, die erforderliche Summe aufzubringen und die Zeichnungen, Vitrinen, Skulpturen und Objekte für die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu sichern, eine optimale Ergänzung zu „Palazzo Regale“. Also das Verhältnis zu den Sammlern ist manchmal schwierig und problematisch, manchmal aber auch vorteilhaft und produktiv. Ich habe nur noch ein weiteres Mal mit Sammlern operiert, und zwar mit Simone und Heinz Ackermans, und es ist ähnlich positiv ausgegangen.

Sie sagten, Sie hatten zu Beginn kein Berufsbild vor Augen. Wie hieß Ihre erste Position am Lenbachhaus?

Ich war schlicht ein Assistent.

Darauf folgten diverse Direktorenposten. Was hat sich seit den 70er-Jahren in diesem Beruf besonders verändert?

Ich sehe mit Staunen, was die jungen Kolleginnen und Kollegen heute alles machen müssen, wozu ich nie in der Lage gewesen wäre. Gudrun Inboden, Carla Schulz-Hoffmann, Katharina Schmidt, Pia Müller-Tamm, Uwe Schneede, Peter-Klaus Schuster, Wulf Herzogenrath oder auch Klaus Schrenk, wir hatten ja immer die Vorstellung, dass wir das, was wir machen, auch intellektuell durchdringen müssen, dass die Beschäftigung mit Richtungen oder einzelnen Objekten, die uns faszinierten, nicht zum Selbstzweck oder zum privaten Vergnügen werden dürfen. Wir wollten ganz einfach auch das vermitteln und weitergeben, was uns ästhetisch und intellektuell ansprach und von kultureller Relevanz war oder uns zumindest so erschien. Da gibt es natürlich einige Leitfiguren, für mich war das Werner Hofmann. Er ist für mich der Museumsmann der 70er-/80er-Jahre. Der mit einem intellektuellen Brio Ausstellungen gemacht hat, die man sich heute von einem Museumsdirektor gar nicht mehr vorstellen kann. Diese unglaubliche Produktivität an hochkomplexen und sehr differenzierten Texten, da muss man lange suchen, bis man etwas Vergleichbares findet. Die andere Leitfigur ist der Sammler, der mit untrüglichem Qualitätsbewusstsein, aber auch mit erheblichen Mitteln eine einzigartige Sammlung aufbaute: Werner Schmalenbach, mein Vorgänger in Düsseldorf. Die Sammlung, die er hinterlassen hat, ist quantitativ nicht groß. 180 Werke. Er leitete die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen von 1962 bis 1990, also 28 Jahre. Das heißt, er hat im Jahr zwei bis drei Bilder gekauft, aber es waren die absolut richtigen Bilder. Es gibt meines Wissens keinen Museumsmann, der eine solche Bilanz vorzuweisen hat. Niemand. Da bin ich nach wie vor voller Bewunderung. Im Rheinland war es auf der einen Seite Paul Wember Paul Wember (1913 Recklinghausen – 1987 Krefeld) war von 1947 bis 1975 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Museums in Krefeld. Ab Ende der 1950er-Jahre erweiterte er die Sammlung des Museums durch Werke von Joseph Beuys, Yves Klein und Piero Manzoni. Unter seiner Leitung fanden unter anderem die Ausstellungen „Yves Klein. Monochrome und Feuer“ (1961), „Objekte benutzen. Übungen mit Objekten von Franz Erhard Walther“ (1969) und „Sol LeWitt: Sculptures and Wall-Drawings“ (1969) statt. Während seiner Amtszeit erlangte insbesondere das dem Museum ab 1955 angeschlossene Haus Lange den Ruf eines avantgardistischen Ausstellungsorts. in Krefeld, der kein Geld hatte, aber die richtigen Dinge tat, und auf der anderen Seite Werner Schmalenbach, Werner Schmalenbach (1920 Göttingen – 2010 Düsseldorf) leitete von 1955 bis 1962 die Kestnergesellschaft in Hannover und war von 1962 bis 1990 Direktor der neu gegründeten Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Er wirkte außerdem an zahlreichen internationalen Großausstellungen mit, darunter als Kommissar der Biennale von Venedig (1960) sowie an den Biennalen in São Paulo (1961, 1963, 1965). 1959 und 1964 war Schmalenbach im Arbeitsausschuss der documenta vertreten der mit viel Geld die noch richtigeren Dinge machen konnte. Das Vorbild war in gewisser Weise Basel. Das schweizerische Gefühl für gediegene Qualität und hohe Kunst spielte bei Werner Schmalenbach eine große Rolle. Heute muss man etwas anderes können. Heute muss man ein kluger, einsatzfreudiger Manager sein. Man muss kommunikativ sein, auf allen Wellen funken, Facebook, Twitter und so weiter. Und man muss die Kuratoren einerseits anleiten, sie andererseits aber machen lassen. Man muss in der Öffentlichkeit präsent sein. Man muss die Sammler zu Schenkungen motivieren, die großen Firmen ansprechen, dass sie spenden … Furchtbar. Mit diesen vielen Zweiggalerien und Museen. Überall gibt es Probleme und Restaurierungsfragen. Geldbeschaffung. Personalfragen. Es ist heute ein anderer Job. Es ist ein völlig verändertes Berufsbild, für das wir nie ausgebildet worden sind. Das heißt, ich bin ja für nichts ausgebildet worden, ich habe nur die Doktorarbeit geschrieben. Gelernt habe ich es eigentlich by Trial and Error.

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Armin Zweite