Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

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Katharina Sieverding

Katharina Sieverding

Katharina  Sieverding

Katharina Sieverding

Düsseldorf, 07. September 2017

Franziska Leuthäußer: Wie kamen Sie dazu, in der Nachkriegszeit in Deutschland Kunst zu studieren?

Katharina Sieverding: Meine Mutter war Künstlerin, mein Vater Radiologe. So kam ich zu meinem ersten Studium der Medizin. Ich merkte aber sehr schnell, was für ein Druck da auf mich zukam … zudem aufgewachsen in einem Haus mit der Kinderarztpraxis meiner zwei Tanten. Jeder hatte natürlich gleich eine Idee, wo ich studieren sollte, in welche Fachrichtung ich gehen sollte und welche Praxis ich später einmal übernehmen sollte. Ich habe mich dann relativ schnell entschieden, doch den Vorstoß in die Kunst zu machen. Meiner Mutter war es immer sehr wichtig, uns an die Kunst heranzuführen. Damals, also ab 1947, wurden die Ruhrfestspiele mit dem Motto „Kunst gegen Kohle“, „Kohle gegen Kunst“ begründet, und wir besuchten oft Aufführungen in den Städtischen Saalbauten in Recklinghausen und Essen. Während meiner gesamten Gymnasialzeit, die ich in Dortmund auf dem Käthe-Kollwitz-Gymnasium verbracht habe, wo das Stadttheater direkt nebenan war, war ich fast täglich dort – ich habe damals Statisterie gemacht – bei Proben und Aufführungen mitwirkend.

Das heißt, die Kunst war von Anfang an in Ihrer nächsten Umgebung? Das war selbstverständlich und gehörte quasi zum Leben einfach dazu?

Ja! Mein Großvater mütterlicherseits war in Hamburg Innungsmeister für Gold- und Silberschmiede-Kunsthandwerk. Auch das hat mich interessiert und natürlich auch geprägt. Die Medizin hat mich genauso fasziniert, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, den größeren Raum, selbst etwas zu gestalten, habe ich in der Kunst.

Hatten Sie ein Bild oder eine Vorstellung, wie das Leben einer Künstlerin aussehen sollte?

Das entwickelte sich erst mit der Zeit. Nach dem abgebrochenen Medizinstudium studierte ich Kunst an der HfbK Hamburg am Lerchenfeld. Nach etwas mehr als einem Dreivierteljahr war ich dann bereits auf der Suche nach einer anderen Herausforderung. Ich hatte die Idee vom Gesamtkunstwerk, das heißt, die Verbindung von Sprache, Literatur, Bild, Raum und Performance. Das hat mich interessiert, und so habe ich 1963 als Volontärin im Malersaal am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, dessen Intendant Gustaf Gründgens Gustaf Gründgens (1899 Düsseldorf – 1963 Manila) war Schauspieler, Regisseur und Intendant, er wurde an der Hochschule für Bühnenkunst des Düsseldorfer Schauspielhauses ausgebildet. 1932 spielte er erstmals die Rolle des Mephisto in Goethes „Faust I“. 1933 wurde Gründgens durch Hermann Göring zum künstlerischen Leiter des Preußischen Staatstheaters ernannt. Von 1935 bis 1945 war er dort Generalintendant. Nachdem Gründgens 1945/46 einige Monate in verschiedenen sowjetischen Lagern interniert war, war er bereits 1946 wieder als Schauspieler am Deutschen Theater Berlin tätig. 1947 wurde er Generalintendant der Städtischen Bühnen Düsseldorf, ab 1955 bis zu seinem Tod 1963 war er Generalintendant und künstlerischer Leiter des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. war, angeheuert. Dort war ich dann wieder, wie vorher bei der Statisterie, in Teamarbeit eingebunden, was mir sehr wichtig war. Kurz darauf gab es ein Gerücht im Malersaal, das mich aufhorchen ließ. Es hieß, es kommt ein Titan, ein Besessener, der immer übertriebene Forderungen stellt. Diesen Regisseur wollte ich natürlich kennenlernen, also habe ich mich in den Zuschauerraum geschlichen, als er seine erste Stellprobe hatte. Er erzählte von mobilen, antistatischen Visionen räumlicher Dramaturgie, und ich fand es hochinteressant. Endlich begann es, für mich prickelnd zu werden durch diese Begegnung. Das war Fritz Kortner Fritz Kortner (eigtl. Fritz Nathan Kohn; 1892 Wien – 1970 München) war ein Schauspieler und Regisseur. Er gilt als Vertreter des expressionistischen Theaters. Ab 1919 lebte er in Berlin, wo er am Preußischen Staatstheater als Schauspieler tätig war. 1932 flüchtete Kortner vor den Nationalsozialisten zunächst in die Schweiz, bevor er 1934 nach Großbritannien zog und 1937 in die USA emigrierte. 1947 kehrte er zurück nach Deutschland. Er führte in zahlreichen Stücken in den Münchner Kammerspielen, dem Schillertheater in Berlin sowie dem Burgtheater in Wien Regie. Zu seinen bekanntesten filmischen Werken zählen „Die Stadt ist voller Geheimnisse“ (1954) und „Der Tod eines Handlungsreisenden“ (1968). . Seine Vorschläge wurden durchgehend abgetan: Nein, das geht nicht, das geht nicht, das geht nicht. Am Ende saß ich allein da, und er drehte sich um, sah in die Leere und fragte mich: „Was meinen Sie denn dazu?“ Da antwortete ich ihm: „Herr Kortner, ich bin Kunststudentin und noch ganz am Anfang, aber was ich hier heute erlebt habe, finde ich toll. Meiner Meinung nach ist im Theater alles möglich, das kann man alles umsetzen.“ Damit wurde ich augenblicklich von ihm als Assistentin für das Bühnenbild von Teo Otto zu Molières „Der eingebildete Kranke“ engagiert. Das ist auch eigentlich bis heute meine Grundhaltung, dass mit Empathie, Leidenschaft und Begeisterung vieles machbar ist, das hat mich an der Kunst gereizt.

War der Begriff des „Gesamtkunstwerks“ damals schon geläufig?

In den darstellenden und kinematografischen Künsten auf jeden Fall. Jedenfalls war das meine Vorstellung von Kunst. Das waren keine kanonisierten Gattungen, sondern das komplex interagierende Gesamte.

Welchen Stellenwert hatten damals die Institutionen für Sie im Umgang mit der Kunst? Gab es einschlägige Ausstellungen, die Sie gesehen haben?

Ebenfalls in unmittelbarer Nachbarschaft, direkt gegenüber vom Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Dortmund, war das Museum am Ostwall. Auch da bin ich sehr oft gewesen. Dort gab es viel Informel, das heißt Kunst der 50er-Jahre. Natürlich auch Picasso. Außerdem hatte ich einen sehr guten Kunstlehrer. Herrn Lorenz. Und ich habe außerhalb der Schule Kurse, zum Beispiel in der Volkshochschule, genutzt. Sonntags war ich oft im Hafen, werktags im Bereich der Dortmunder Hörder Hüttenunion, und habe skizziert.

Und wir waren natürlich im Ruhrgebiet, wo es diesen Austausch „Kohle gegen Kunst“ gab. Es gab die Kunsthalle in Recklinghausen, wo Thomas Grochowiak Thomas Grochowiak (1914 Recklinghausen – 2012 Karlsruhe) war ein Künstler und Museumsdirektor. 1948 gehörte er zu den Mitbegründern der Künstlergruppe junger westen. Grochowiak war als Leiter der Ruhrfestspiele (1950–1979) sowie als Direktor der Städtischen Museen in Recklinghausen (1954–1980) tätig. 1965, 1967 und 1969 betreute er als Kommissar die deutschen Beiträge auf der Biennale von Paris. damals Direktor war und eine wunderbare Ikonensammlung zusammengetragen hat. Auch das Museum Folkwang in Essen spielte eine wichtige Rolle. Und eben das Museum am Ostwall …

Hatten Sie von Joseph Beuys schon gehört, bevor Sie nach Düsseldorf kamen?

Nein. Durch Fritz Kortner lernte ich den Bühnenbildner Teo Otto Teo Otto (eigtl. Theodor Karl Otto; 1904 Remscheid – 1968 Frankfurt am Main) war ein deutscher Bühnenbildner. 1927 folgte er seinem Professor Ewald Dülberg als Assistent an die avantgardistische Krolloper der Staatstheater zu Berlin, wo er ab 1931 Ausstattungschef der Preußischen Staatstheater war, bis die Nationalsozialisten ihn 1933 aus politischen Gründen seines Amts enthoben. Otto emigrierte 1933 in die Schweiz und war bis zu seinem Lebensende dort als Bühnenbildner für das Zürcher Schauspielhaus tätig, wo er unter anderem an mehreren Uraufführungen von Bertolt-Brecht-Stücken und Inszenierungen vonFriedrich Dürrenmatt, Max Frisch und Else Lasker-Schüler beteiligt war. Ab 1958 war Otto Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. kennen. Er war so beeindruckt von der Realisierung seines Bühnenbildentwurfs, dass er sagte, ich solle zu ihm in die Klasse an die Düsseldorfer Kunstakademie kommen. Weil ich offensichtlich mit „schwierigen“ Regisseuren sehr gut klarkam, für die Teo Otto Bühnenbilder entwarf, habe ich an verschiedenen Orten als Assistentin gearbeitet. So habe ich beispielsweise an der Deutschen Oper Berlin bei der Inszenierung der legendären Giacomo-Meyerbeer-Oper „Der Prophet“ von Bohumil Herlischkamitgewirkt. Dort konnte ich circa 600 Kostüme entwerfen, unter anderem die umfangreichen Bauernchöre real-historisch im Material, durch Brennen, Verkohlen, Urinieren, et cetera. bearbeitet. Das war etwa 1966. Kortner holte mich 1964 für die Inszenierung „John Gabriel Borkmann“ von Ibsen ans Burgtheater Wien und für Witold Gombrowicz’ „Die Trauung“ an die Münchner Kammerspiele. Beuys hatte das irgendwie mitbekommen und kam dann auch des Öfteren in Teo Ottos Atelierraum in der Düsseldorfer Kunstakademie, wo ich die Kostüme entwarf. Beuys meinte, es reiche jetzt damit, ich solle doch besser zu den Ringgesprächen Ab dem Sommersemester 1966 fanden in der Klasse von Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf die sogenannten „Ringgespräche“ statt. Dort wurde zu unterschiedlichen Themen gedacht und gesprochen. in Raum 20 kommen. Dort fände das Denken und Diskutieren über die notwendige gesellschaftliche Erneuerung statt und so weiter. 1967 habe ich dann entschieden, zu Beuys in die Klasse zu wechseln. Damals war ich bei den Salzburger Festspielen für die „Zauberflöte“ engagiert worden, wo wieder Teo Otto das Bühnenbild entworfen hatte. Bei der Hauptprobe am 03. Juni knarrte beziehungsweise klemmte die Tür für Sarastros Abgang, worüber der Dirigent völlig aus der Fassung geriet. Über das Theater, das wegen dieser klimatisch verursachten Panne veranstaltet wurde, habe ich mich so geärgert, dass ich erst mal ins Café Tomaselli gegangen bin. Dort las ich die Tagespresse und dachte: „verdammt“. Es wurde über die Studentendemonstrationen gegen den Schah-Besuch am 02. Juni in Berlin und den Mord an Benno Ohnesorg berichtet. Als der persische Schah Mohammad Reza Pahlavi (1919 Teheran – 1980 Kairo) auf Einladung des Bundespräsidenten Heinrich Lübke am 02. Juni 1967 Berlin besuchte, kam es aufgrund der schweren Menschenrechtsverletzungen im Iran vonseiten der linkspolitischen Studentenschaft zu zahlreichen Protesten. Während einer Demonstration vor der Deutschen Oper wurde der Student Benno Ohnesorg (1940 Hannover – 1967 Berlin) von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen. Das Ereignis markierte einen wesentlichen Kristallisationspunkt für die weitere Entwicklung und Radikalisierung der 68er-Bewegung. Siehe auch: Uwe Soukup, „Ein Schuss, der die Republik veränderte: Der 2. Juni 1967“, Berlin 2017. Und da habe ich mir gesagt: „Jetzt ist Schluss mit High Culture. Jetzt gehe ich zu Beuys, jetzt möchte ich meine eigenen Statements formulieren.“ Ich war bereit, mich vom Theater zu verabschieden, Kunst zu studieren und mich dort den Auseinandersetzungen und Herausforderungen zu stellen. 20 Tage später gründete Beuys die Deutsche Studentenpartei als ausdrückliche Reaktion auf diese Berliner Tragödie.

Wie war damals Ihr Beginn in der Beuys-Klasse?

Ich konnte in Raum 19 arbeiten. Das war quasi ein Privileg. Im Raum 19 waren Imi Knoebel, Imi Giese, Palermo, Chris Reinecke und Jörg Immendorff. Sie hatten, Chris Reinecke und Jörg Immendorff ausgenommen, mit den Ringgesprächen in Raum 20 erst einmal weniger zu tun. Ich bin interessiert zu diesen Debatten um Gewaltenteilung, Dreigliederung und erweiterten Kunstbegriff gegangen. Das war nicht nur klassenintern, sondern ein offener Raum, wo jeder hingehen konnte. In der Zeit war das allgemeine Interesse für Politik, Kritik und Umwälzung sehr groß, und insofern war die Beuys-Klasse, beziehungsweise der Raum 20, eigentlich der Brennpunkt an der Akademie.

Haben Sie damals den Anspruch gehabt, mit Ihrer Kunst gesellschaftlich oder gesellschaftspolitisch zu wirken?

Ja, auf jeden Fall. Das war eine Entscheidung. Am Theater aktualisieren Sie Dichtung, Sie interpretieren, inszenieren. Und das wollte ich nicht mehr machen. Sondern ich wollte wirklich einen Beitrag leisten, den ich selber verantworte. In dem meine Gedanken, meine Entscheidungen und mein Konzept realisiert, formuliert werden.

Sie haben die 68er-Zeit in Deutschland miterlebt. Waren das unmittelbare Bezüge für Ihre Arbeit?

Meinen Weg in die Fotografie habe ich als Zeitzeugin der damals stattfindenden Proteste gefunden. Diese Aktionen haben die Studenten selbst auf die Beine gestellt, wie zum Beispiel die Lidl-Akademie Im Dezember 1968 riefen Jörg Immendorff, Chris Reinecke und weitere Gleichgesinnte die „Lidl“-Akademie in der Kunstakademie Düsseldorf aus. Anlass war die interne Kritik mehrerer Professoren gegenüber der universitären Einflussnahme von Joseph Beuys und seiner Deutschen Studentenpartei. Dem Aufruf zur „Lidl“-Akademie folgte vom 05. bis zum 10. Mai 1969 die von Immendorff und Reinecke initiierte „Lidl“-Arbeitswoche, in der zahlreiche künstlerische und politische Aktionen an der für diesen Zeitraum geschlossenen Kunstakademie durchgeführt wurden. Siehe auch: Susanne Rennert, „Ein doppelter Strang. Lidl, 1968–70. Konzepte, Aktionen, Strategien von Chris Reinecke und Jörg Immendorff“, in: „Chris Reinecke. 60er Jahre – Lidl Zeit“, hg. von Barbara John u. a., Ausst.-Kat. u. a. Kunstmuseum Düsseldorf, Köln 1999, S. 35–64, hier S. 49–52. oder auch die Aktionen von Beuys, die nach der Schließung der Akademie außerhalb stattfanden. Das Eigentliche in dieser Zeit fand wirklich auf der Straße statt. Die Demonstrationen oder die Sit-ins … Das war der „Arbeitsraum“, in dem ich mich bewegen wollte. Ich wollte nicht in einem abgeschlossenen Atelier sitzen und in der Einsamkeit Kunst kreieren. All meine Versuche – ob das Malerei oder Skulptur oder sonst etwas war –, das gefiel mir alles nicht. Performance war dann der Anfang, wo es für mich spannend wurde. Ich habe zum Beispiel vor der Akademie ein Zelt aufgestellt und den Leuten aus der Hand gelesen, also eine Art Prophetie. Das waren die ersten Schritte in die Öffentlichkeit. Ich wollte dabei sein, partizipieren, interagieren, konsultieren und mich den notwendigen Forderungen auch stellen und sie unterstützen. Dazu war ich auf der Suche nach einer Kamera, die ich dann von Rainer Giese Imi Giese (eigtl. Rainer Giese; 1942 Neheim-Hüsten – 1974 Düsseldorf) war ein Künstler, der von 1965 bis 1971 in der Klasse von Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf studierte. Dort teilte er sich ab 1966 ein Atelier mit seinem Freund Imi Knoebel (eigtl. Klaus Wolf Knoebel; * 1940 Dessau). Die Künstler gaben sich das gemeinsame Pseudonym „Imi“, welches sie einem Scheuermittel aus der DDR entliehen hatten. Gieses Arbeiten werden der deutschen Minimal Art zugerechnet. – damals hieß er „der große Imi“ – geliehen bekam. Das war eine Edixa-Schachtkamera. Man schaute also von oben hinein, und dadurch war mein Blick beim Fotografieren scheinbar nicht auf die Leute gerichtet, sondern auf den Bildraum im Schacht. Es interessierte also gar nicht, dass ich fotografierte, und so sind serielle Fotofilme und die 243-teilige Diaprojektion und Fotoarbeit „EIGENBEWEGUNG“ von 1969 entstanden. Das war mein Einstieg.

Inwiefern spielte in dieser Zeit aber auch das politische Erbe eine Rolle? Richtete sich der Protest nicht auch gegen eine Struktur, die sich mit dem Einsatz von ehemaligen NS-Männern an Hochschulen und anderen Einrichtungen langsam zu bilden begann?

So deutsch oder so europäisch habe ich die Kunst nie gesehen. Die 60er-Jahre waren Minimal Art, Concept-Art, Fluxus … Beuys hat Visiting Artist Lectures in der Akademie eingeführt. Dadurch lernten wir Nam June Paik, Charlotte Moorman, Robert Smithson, Yvonne Rainer und einige andere kennen. Beuys hat die Akademie wirklich geöffnet. Oder es gab Künstler wie Seth Siegelaub Seth Siegelaub (1941 New York – 2013 Basel) war ein Galerist, Kurator und Autor. Von 1964 bis 1966 führte er eine Galerie in New York, in der mit Robert Barry, Douglas Huebler, Joseph Kosuth und Lawrence Weiner die frühen Wegbereiter der Konzeptkunst vertreten waren. Als freier Kurator war er unter anderem für die Ausstellung „January 5 – 31, 1969“ im Museum of Modern Art in New York verantwortlich. Gemeinsam mit dem Anwalt Robert Projansky verfasste Siegelaub 1971 das Papier „The Artist’s Reserved Rights Transfer and Sale Agreement“, worin erstmals die Rechte und die Verfügung der Künstler über ihre Werke auch nach einem Verkauf geregelt waren. Anfang der 1970er-Jahre siedelte Siegelaub nach Europa über, wo er sich als Theoretiker vornehmlich mit linken Massenmedien und der Textilwissenschaft beschäftigte. , der war Galerist, Kurator und Sammler – er entwickelte diese Verträge, die auf der „documenta 5“ von Harald Szeemann gezeigt wurden. Das Ziel war, dass Künstler selbstbestimmter agieren können und mehr Einfluss darauf haben, was mit ihrer Kunst nach der Veräußerung, zum Beispiel durch Verkauf, langfristig passiert. Das hatte alles mit Antifaschismus weniger zu tun. Das kam erst in dem Moment, als ich mich mit den Selbstporträts zu beschäftigen begann: Was macht man mit einem Selbstporträt? Was ist da eingeschrieben? Und so weiter. Diese Fragestellung mit der aus dem deutschen Zusammenhang in spezieller Weise virulenten Frage nach Moral und politischer Verantwortung entwickelte sich besonders während des forschend-experimentellen Umgangs mit dem Porträtprojekt.

1969 entstand Ihre Arbeit „STAUFFENBERG-BLOCK“ Katharina Sieverding, „ STAUFFENBERG-BLOCK I–XVI“, 1969. . Sie sagten einmal, die Arbeit stehe stellvertretend für das Individuum. In diesem Zusammenhang musste ich an Karl Jaspers’ „Schuldfrage“ Karl Jaspers, „Die Schuldfrage. Ein Beitrag zur deutschen Frage“, Zürich 1946. denken. War das für Sie damals ein Thema?

Die Fotos des „STAUFFENBERG-BLOCKS“ sind Passfotos. Ich habe mich dazu also nicht vor der Kamera in Szene gesetzt, sondern mit den Bildern im Labor experimentiert, gefiltert und solarisiert et cetera. Von den transformierten Bildern habe ich dann Dias gemacht, und erst später entwickelte sich der Titel daraus. Das heißt, ich habe dieses Thema den Porträts nicht vorangestellt. Es wäre zu eindimensional, zu sagen, ich hätte mit dieser Arbeit bestimmte Themen abgearbeitet. Ich möchte das in meinen Arbeiten eigentlich eher offenhalten.

Der Name „Stauffenberg“ ist unweigerlich mit Widerstand verbunden. Dieser Verweis ist doch sicher Ende der 60er-Jahre, zur Zeit der Studentenproteste, nicht unbemerkt geblieben? Sie fragen mit dieser Arbeit nicht zuletzt auch nach der Möglichkeit, durch Kunst Widerstand zu leisten.

Ich habe mich intensiv mit dem Theater von Brecht und seinen Ideen von Dekonstruktion beschäftigt. Ich war also viel im Berliner Ensemble in Ost-Berlin. Es war mir immer ein Bedürfnis, mich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen. Daher auch die Entscheidung, in die Klasse von Joseph Beuys zu gehen. Das war ein Raum, in dem überlegt wurde, ob die Kunst Grenzen zu durchbrechen vermag. Konventionen, gesellschaftliche Normen und so weiter. In jeder Hinsicht. Das wurde da diskutiert. Und in diesem Umfeld sind die Porträts und ist schließlich dann der „STAUFFENBERG-BLOCK“ entstanden. Das war ein Prozess mit einem offenen Ergebnis. Das ist ja das Tolle an der Kunst, dass man nicht nur den Zielsetzungen entgegeneifert, dass es eben nicht von Anfang an eine klare Dramaturgie und ein Endergebnis gibt. Aber auch schon am Theater habe ich diese Prozesse kennengelernt. Ich erinnere mich an eine Zusammenarbeit mit Kortner am Burgtheater. Was der gerungen hat: Was ist ein Schauspieler? Worum geht es? Wen stelle ich dar, was für ein Menschenbild? Und so weiter und so fort. Das war eine wichtige Erfahrung und Lehre künstlerischer Arbeitsweise.

Mit wem konnten Sie über Ihre Arbeiten damals sprechen? Hat Beuys sich mit seinen Schülern über Ihre Arbeiten auseinandergesetzt?

Beuys fand es interessant. Die Fotografie war ja in der Klasse überhaupt nicht verbreitet. Und Beuys war der Meinung: Einer muss es machen. Ich denke, ihn interessierte vor allem auch die Dokumentation, die ja durch das Fotografieren entstand. Auch er war natürlich auf den Fotos … Zu den Porträts sagte er nicht: Das ist gut oder das ist nicht gut. Wir hatten auch nie so ein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Er hatte ja überhaupt eine besondere Fähigkeit, die Schüler sprechen zu lassen. Höchstens, wenn einer überhaupt nichts zustande brachte oder nicht weiterkam, nahm er mal den Tonkopf und halbierte ihn: „Worte können das nicht ausdrücken. Dies ist ein skulpturaler, plastischer Akt.“ Solche Gesten fand ich natürlich hoch spannend. Aber inhaltlich haben wir uns über die Arbeiten nicht auseinandergesetzt.

Brauchten Sie für Ihre Arbeit keine Resonanz?

Die kam ja relativ schnell. 1965 stellte ich ja schon auf der Biennale des Jeunes in Paris aus. „IV. Biennale de Paris“, Musée d’Art moderne de la Ville de Paris, 28. September – 03. November 1965. Thomas Grochowiak, den ich nur aus dem Ikonen-Museum kannte, war damals der Kommissar für den deutschen Beitrag, und er hatte sich überlegt, eine Sektion des Theaters in das Programm der Biennale zu integrieren. Zufällig saß ich vor einem schwarzen Kasten, einem Modell für Witold Gombrowiczs’ „Die Trauung“, das ich für Kortner entwarf. Es war eigentlich ein Schrotthaufen. Völlig abstrakt. Mit einer Bühne, die durch diesen Schrott und Müll hindurchging. Und das hat Thomas Grochowiak zufällig gesehen, und da sagte er: „Das nehmen wir mit nach Paris. Das wird ausgestellt.“ Die sogenannten „jungen Deutschen“, mit denen ich später auch in der Kunsthalle Mannheim ausstellte, waren Mack, Piene, Uecker – also ZERO Ab 1958 verwendeten Heinz Mack und Otto Piene den Begriff „ZERO“ im Kontext ihrer gemeinsamen Ausstellungen sowie als Titel für die drei Ausgaben ihrer in Düsseldorf publizierten Zeitschrift. Ab 1961 nahm auch Günther Uecker regelmäßig an den Ausstellungen und Aktionen von ZERO teil. ZERO stand für die Stunde null, für Aufbruch und einen radikalen Neuanfang nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. ZERO setzte sich deutlich vom etablierten Informel ab. Mit neuen Materialien und der Einbeziehung von Bewegung, Licht und Raum in das künstlerische Werk etablierte ZERO eine neue Formensprache. Vgl. Wieland Schmied, „Etwas über ZERO“, in: Dirk Pörschmann/Mattijs Visser (Hg.), „ZERO 4 3 2 1“, Düsseldorf 2012, S. 9–18. . Das waren die Stars, und die lernte ich dort kennen. So bin ich in diese Zusammenhänge geraten und habe dann auch Rotraud Uecker und Pierre Restany in Paris kennengelernt und hatte so eine intensive Begegnung mit dem Werk und dem Künstler Yves Klein in seiner Wohnung in der Rue Campagne-Première.

Wie war das mit Ihren Kommilitonen? Haben Sie sich im Raum 19 untereinander über Ihre Arbeiten ausgetauscht?

Ja, permanent.

Und haben Sie da Feedback bekommen?

Also zu den Fotos ist nicht viel gesagt worden.

Wie fanden Sie das, was die anderen machten?

Vieles war natürlich noch sehr traditionell. Was mich wirklich interessierte, waren Palermo, Immendorff und die beiden Imis, mit denen ich im Raum 19 war. Das fiel aus dem Rahmen.

Und waren Sie im Raum 19 die einzige Frau?

Nein. Chris Reinecke war auch in dem Raum. Sie war sehr interessant und sehr politisch. Zusammen mit Immendorff hat sie zum Beispiel die „Mietersolidarität“ Gemeinsam mit Henning Brandis und Erinna König gründeten Jörg Immendorff und Chris Reinecke im Frühjahr 1970 in der Neubrückstraße in Düsseldorf das Büro Olympia. Im Juli 1970 ging daraus die Gruppe Selbsthilfe Wohnen hervor, die sich an der Besetzung leer stehender Häuser sowie an politischen Aktionen gegen die Düsseldorfer Mietkrise beteiligte. Unter dem Motto „Baut Euch Eure Häuser selbst“ organisierte die Gruppe im September desselben Jahrs eine Proteststadt auf dem Vorplatz des Düsseldorfer Schauspielhauses, die Lutz Mommartz in seinem Film „Mietersolidarität“ porträtierte. Siehe auch: Susanne Rennert, „Ein doppelter Strang. Lidl, 1968–70. Konzepte, Aktionen, Strategien von Chris Reinecke und Jörg Immendorff“, in: „Chris Reinecke. 60er Jahre – Lidl Zeit“, hg. von Barbara John u. a., Ausst.-Kat. u. a. Kunstmuseum Düsseldorf, Köln 1999, S. 35–64, hier S. 59. und ähnliche Projekte initiiert. Außerdem waren in der Beuys-Klasse Gislind Nabakowski Gislind Nabakowski (* 1945) ist eine Kunstkritikerin und Kulturwissenschaftlerin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Medien- und Gendertheorie. Sie unterrichtete unter anderem an der Kunstakademie Düsseldorf (1979–1980), der Universität Lüneburg (1992–1995) und der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (1995–1998 und 2002–2004). , Ulrike Rosenbach, Erinna König und Ursula Reuter Christiansen, die mit Henning Christiansen, dem Fluxus-Komponisten, verheiratet war.

Wenn man die Ausstellungsmacher von damals fragt, warum sie wenig bis gar keine Werke von Künstlerinnen gezeigt haben, sagen viele, es habe damals einfach weniger Künstlerinnen gegeben und es sei ihnen gar nicht bewusst gewesen, dass sie künstlerischen Positionen von Männern den Vorzug gaben. Viele der deutschen Künstlerinnen hingegen fühlten sich von ihren männlichen Kollegen geradezu diskriminiert. Über Sie heißt es jedoch immer: „Katharina die Starke, die hatte sowieso kein Problem.“ Sie müssen damals eine ganz besondere Position in dieser Szene gehabt haben. Haben Sie das auch so erlebt?

Natürlich! Ich erinnere mich an eine Ausstellung 1970 bei Richard Demarco in Edinburgh: „Strategy Get Arts!“ „Strategy Get Arts!“, Edinburgh International Festival, 23. August – 12. September 1970. An der Ausstellung beteiligt waren unter anderen Joseph Beuys, George Brecht, Robert Filliou, Karl Gerstner, Ferdinand Kriwet, Blinky Palermo, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Klaus Rinke, Dieter Roth, Günther Uecker und Franz Erhard Walther. . Ich habe mich nicht aufgeregt, dass ich nicht dabei war, das war einfach so. Die einzige Frau in der Ausstellung war Monika Baumgartl mit Klaus Rinke. Sonst wüsste ich nicht, dass eine Künstlerin dabei war. Das war für mich ein Paradebeispiel. Aufgeregt habe ich mich aber darüber, dass ein Kollege nicht mitfahren durfte und habe zu den anderen gesagt: „Könnt ihr euch nicht dafür einsetzen, dass euer bester Freund, der auch immer bei den Besprechungen für die Ausstellung dabei war, teilnehmen kann?“ Keiner von denen ist zu Demarco gegangen und hat gesagt: „Moment mal, der muss auch dabei sein.“ Das war für mich ein Grund, mich aus dieser Verbindung mit ihnen zu lösen. Mit so einer Haltung wollte ich nichts zu tun haben. Bei den „between“-Ausstellungen Die Veranstaltungen unter dem Titel „between“ gehen auf die Initiative von Jürgen Harten zurück, der ab 1969 wissenschaftlicher Mitarbeiter und ab 1972 Direktor der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf war. Zwischen zwei offiziellen Ausstellungen der Kunsthalle fanden im Zeitraum von 1969 bis 1982 insgesamt neun „betweens“ statt. Siehe auch Renate Buschmann, „Chronik einer Nicht-Ausstellung. between (1969–73) in der Kunsthalle Düsseldorf“, Berlin 2006. in der Kunsthalle habe ich mich immer sehr engagiert, sodass da auch Künstlerinnen vertreten waren. Ich werde oft gefragt: „Haben Sie als Künstlerin nicht gelitten …?“ Mit dieser Art von Viktimisierung habe ich nichts zu tun. Ich habe immer versucht, etwas dagegen zu tun, und wenn ich sie auf den Ausschluss ihres eigenen Geschlechts hingewiesen habe.

Wo lag denn eigentlich das Problem? Was war überhaupt der Grund dafür, dass die Frauen weniger ausgestellt wurden?

Wenn Sie ein Produkt haben, das über einen immens langen Zeitraum immer in einer monopolistischen Konstellation entstanden ist, wird es natürlich weiter so fortgeschrieben. Und für die männlichen Künstler ist dann ganz klar: Der Bedeutungsraum der Kunst ist männlich. Das ist eine Leistung. Dazu gehören natürlich noch ganz andere Diskurse. Als ich 1976 für zwei Jahre in den USA studiert, gelebt und auch ausgestellt habe, lernte ich diese ganzen theoriekritischen Diskurse, die es an einer deutschen Akademie überhaupt nicht gab, erst richtig kennen. Die waren da schon viel weiter. Aber was machten die amerikanischen Künstlerinnen? Sie tanzten, wenn ich das mal so salopp sagen darf. Sie waren natürlich die Ersten, Simone Forti, Trisha Brown, Yvonne Rainer, Deborah Hay und so weiter, die mit ihren Post-Modern Performances auch die entsprechenden Diskurse initiierten.

Spielte das gewählte Medium dabei eine zentrale Rolle? Es wird ja häufig behauptet, dass die Frauen sich in der Fotografie, Videokunst, Body-Art, Performance und so weiter eher behaupten konnten, weil diese anders als die klassischen Disziplinen wie Skulptur und Malerei noch nicht von den Männern besetzt waren?

Ja, auf jeden Fall. Es war aber auch interessanter. Mit dem Ergreifen einer erweiterten Technik spielte auch der Blick in die Welt eine viel größere Rolle. Die ganze kinematografische Sprache, die da mit hineinspielt, die Massenmedien und so weiter … Und gerade wenn man sich mit politischen Themen beschäftigte, lag es natürlich sehr nahe, zu analysieren: Was bestimmt eigentlich heute unsere gesellschaftliche Realität? Mit welchen Informationen wird sie massenmedial manipuliert? Und, und, und …

Die deutsche Kunst hat sich mit der Zäsur des Zweiten Weltkriegs geradezu zurückentwickelt. Die waren ja vorher schon viel weiter.

In den 20er-Jahren? Bauhaus und auch die Fotografie … Also wenn wir den Blick auf die Fotografie richten, da bin ich selbst immer erstaunt, wie kanonisiert das Verständnis von fotografischer Kunst bis heute ist. Interessant ist doch: Wie wird das Medium oder wie wird diese Art von optischen Medien überhaupt genutzt? Welches Potenzial will man da eigentlich für die Kunst herausholen? Wie will man das einsetzen? Kunstfotos oder Fotokunst haben mich nicht interessiert. Wenn ich an die russische Avantgarde denke, wie damals Fotografie eingesetzt wurde, was da eigentlich alles schon geleistet wurde. Und wenn man sich mit dem Medium beschäftigt und künstlerisch wirklich etwas formulieren will, was vielleicht auch politisch Sinn und Inhalt hat, komme ich gar nicht drum herum, mich auch mit der Geschichte des Mediums und der analog-digitalen Zeitenwende auseinanderzusetzen.

Ich habe in der Beuys-Klasse angefangen, und ich habe wirklich um ein DAAD-Stipendium gekämpft, um nach Amerika zu kommen, nachdem ich 1972 faktisch bei Beuys aufgehört hatte, weil er Berufsverbot bekam. Am 10. Oktober 1972 besetzte Joseph Beuys mit einigen seiner Studenten das Hochschulsekretariat der Kunstakademie Düsseldorf. Noch am selben Tag erhielt er durch den nordrhein-westfälischen Wissenschaftsminister Johannes Rau die schriftliche Kündigung mit sofortiger Wirkung. Siehe auch Heiner Stachelhaus, „Joseph Beuys“, Düsseldorf 1988, S. 111 f. Mir ist damals alles angeboten worden: „Gehen Sie doch nach Paris! Das ist das Zentrum der Kunst!“, oder „Gehen Sie nach Rom – noch älter und bedeutender“, aber ich habe gesagt: „Nein. Ich möchte in die USA.“ Ich glaube, ich war die erste Künstlerin, die so ein DAAD-Stipendium für New York errungen hat, nach vier oder fünf Jahren. Mithilfe von Karl Ruhrberg, der sich für mich eingesetzt hat.

Was waren dort Ihre Anlaufstellen?

Nach dem Dilemma mit Beuys, das heißt, nachdem er nicht mehr unterrichten konnte, bin ich mit Palermo und Gerry Schum 1971 nach New York geflogen, und wir konnten alle im Studio von Allan Shields wohnen. Palermo war damals schon durch Heiner Friedrich gefördert. Die Anlaufstellen in New York, zu der Zeit, waren natürlich noch Pop-Art, das heißt die Factory von Andy Warhol. Das war Jack Smith als Undergroundfilmer, der hochgradig spannend war. Das war Jonas Mekas und die Film-Makers’ Cinematheque, wo man wirklich nächtelang, tagelang saß und sich Künstlerfilme anschaute. Die Partys bei Roy Lichtenstein oder James Rosenquist, den großen Pop-Heroen und so weiter … Das war schon eine Befreiung dort. Damals war das Independent Study Program des Whitney Museum of American Art gerade gegründet worden, an dem wir 1976 bis 1977 unter anderen mit Jenny Holzer teilnahmen. Das war in dem Safe einer New Yorker Bank, below Canal Street, im Souterrain, dort fand dann Kunstunterricht statt. Da saßen dann Richard Serra, Yvonne Rainer und Robert Smithson und so weiter. Die haben über sich erzählt, und dann gingen wir in deren Studios und sie erklärten ihre Arbeiten und Arbeitsprozesse. Das war eine neuartige, andere, sehr interessante Erfahrung. Die ganze Diskursivität dort wurde schon viel kritischer und viel theoretischer praktiziert. Danach studierte ich an der University in the Exile, also der New School for Social Research in New Yorkbei Arthur Vidich: Middle Class America et cetera. Das habe ich auch später an meinem Lehrstuhl an der UdK direkt eingeführt: die kritischen Theorien in Bezug auf die Kunst, in Bezug auf das Institutionelle, das Kuratorische und natürlich auch in Bezug auf das Medientechnische. Nur unter der Voraussetzung, dass dafür Kontingente ermöglicht wurden, bin ich Anfang der 90er-Jahre als Lehrende an die Hochschule gegangen und habe versucht, beide Erfahrungen, sowohl die Beuys-Methode als auch die US-amerikanische, in meiner Lehre der Visual Culture Studies umzusetzen.

Sie haben die Offenheit und Freiheit, der Sie in New York begegnet sind, beschrieben. War man Ihnen und Ihren Arbeiten gegenüber in New York auch offen?

Das hängt ja auch etwas davon ab, wie Sie das anbieten. Klaus Mettig und ich haben das Stipendium zusammen angetreten, und wir haben uns um Visiting Artist Lectures bemüht. Das heißt, wir haben sehr viele Art Departments in den USA und in Kanada angeschrieben, haben denen ein Programm vorgestellt und angeboten, eine Lecture zu halten. Es waren mindestens 20 Art Departments, die sich dafür interessierten, und so sind wir durchs Land gereist und haben unsere Arbeit präsentiert und mit der Fakultät und den Studenten diskutiert. Das war ein

wichtiger Lernprozess, über die eigene Arbeit und über den Kunstkontext

nachzudenken, um darüber sprechen zu können.

Wie war das Feedback?

Wir waren zu einer Zeit in New York, als die Bewegung AMCC – Artists Meeting for Cultural Change – entstand. Das war damals ein Novum. Dadurch haben wir viele Künstler und Künstlerinnen kennengelernt. Zum Beispiel Art & Language Art & Language ist eine Künstlergruppe, die Mitte der 1960er-Jahre von Terry Atkinson, David Bainbridge, Michael Baldwin und Harold Hurrel im britischen Coventry initiiert wurde. Später gehörten dem Umfeld unter anderen auch Sarah Charlesworth, Michael Corris, Joseph Kosuth, Christine Kozlov und Mayo Thompson an. Mit ihren Arbeiten trug die Gruppe wesentlich zur Entwicklung der europäischen und US-amerikanischen Konzeptkunst bei. Ab 1972 war Art & Language regelmäßig in Ausstellungen der Galerie Paul Maenz in Köln vertreten. Ihre Werke wurden zudem auf der documenta 5 (1972), 7 (1982) und 10 (1997) gezeigt. , die da sehr stark vertreten waren. Die haben uns bei der Suche nach den Art Departments unterstützt, besonders der amerikanische Teil der Gruppe, darunter vor allem Michael Corris. Mit denen hatten wir einen sehr guten Austausch. Auch mit John Baldessari, der uns damals ans CalArts holte, bei ihm im Studio in Santa Monica haben wir lange gelebt. Durch die Konrad Fischer Galerie, in der ich 1976 ausstellte, lernten wir viele amerikanische Künstler kennen, dazu gehörten Carl Andre, Richard Long, Bruce Nauman, Sol LeWitt, On Kawara, Laurence Weiner und Robert Ryman.

Konrad Fischer, Heiner Friedrich, Rolf Ricke, Rudolf Zwirner – all diese Galeristen im Rheinland haben die Amerikaner ausgestellt. Es dauerte aber noch eine Weile, bis die ersten Galerien in den USA deutsche Künstler ausstellten. Wenn ich das richtig recherchiert habe, hatten Sie Ihre erste institutionelle Ausstellung in den USA 2004 im PS1. „Katharina Sieverding. Close Up“, PS1 Contemporary Art Center – Museum of Modern Art affiliate, New York, 24. Oktober 2004 – 23. Januar 2005/KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 02. Oktober – 27. November 2005. Die Beuys-Ausstellung 1979/80 im Guggenheim Museum in New York war gewissermaßen ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Künstler in amerikanischen Museen.

Es gab Kontakte mit folgenden New Yorker Galerien: Sperone Westwater

Fischer und Ronald Feldman. Wir haben in Montreal ausgestellt. Zwischen 1976 und 1977 zeigten Katharina Sieverding und Klaus Mettig ihre Arbeiten unter anderem an der Concordia University in Montreal, der Yorck University und dem Center for Art and Communication in Toronto, dem Minneapolis College of Art and Design, sowie dem San Francisco Art Institute. Im Nova Scotia College, Halifax, wo damals Kasper König war, haben wir unsere Filme gezeigt, auf

Einladung von David Askevold. Was auch wichtig war, war die Ausstellung „Kunst bleibt Kunst“ „Projekt ’74. Kunst bleibt Kunst: Aspekte internationaler Kunst am Anfang der 70er Jahre“, Kunsthalle Köln/Wallraf-Richartz-Museum, Köln, 06. Juli – 08. September 1974. , die 1974 in Köln stattfand. Das war sehr international, und da waren auch viele amerikanische Künstler vertreten. Durch meine Beteiligung an der

Ausstellung „Kunst bleibt Kunst“ mit der 324-teiligen Arbeit „MOTORKAMERA“ (1973/74) und dem Film „LIFE–DEATH“ Katharina Sieverding, „LIFE–DEATH“, 35 Minuten, 1969. , traf ich viele Künstler und Künstlerinnen aus New York wieder, wie Hanne Darboven, Nancy Graves, Joan Jonas, Yvonne Rainer, Michael Snow, Dennis Oppenheim, Joseph Kosuth, Vito Acconci und Hans

Haacke.

Auf unserer Tour durch die USA hatten wir einen Film von Beuys dabei und auch eine sehr interessante Arbeit, „CHINA–AMERICA“, mit dem Sound von Bertolt Brecht „Vor dem Komitee für unamerikanische Aktivitäten“. Wir wollten damit auch die politischen Systeme anders hinterfragen. Zum Beispiel haben wir uns sehr früh für den Maoismus interessiert. Wir wollten eigentlich schon Anfang der 70er-Jahre nach China. Da war aber alles dicht. Es hat dann noch Jahre gedauert. Und in dieser Zeit ist das Konzept für „CHINA–AMERICA“ entstanden. Eine Selbstdarstellung von damals noch sehr weit auseinanderliegenden Mächten im Vergleich als Vierkanalprojektion. Die eine Quelle war „The China Review“, das war ja tatsächlich deren antizipatorische Selbstdarstellung: Immer positiv, immer lächeln, und wer nicht dazu passte, der wurde auch damals schon rausretouchiert.

Und auf der anderen Seite die Amerikaner mit diesem Hang zum Superlativen in ihrer Selbstzerstörung: Superkiller, Son of Sam, Superstars, Superbrustweite, super, super, super. Diese Arbeit durften wir selbst an der University of California San Diego, wo wir von Helen Mayer und Newton Harrison eingeladen worden waren, nicht vor den Studierenden, sondern nur vor den Lehrenden vorführen. Darüber war ich sehr irritiert! Aber das war zu der Zeit alles interessanter, als in Galerien auszustellen. Palermo tat mir manchmal wirklich leid, der mit seiner Malerei auf Metall als deutscher Maler an die allererste Stelle gehievt werden sollte. Das war die andere krasse Seite, wenn man so früh verpflichtet wurde.

Diese Kontakte liefen oft über Empfehlungen. Beispielsweise hat Kasper König angeblich Gerhard Richter an Heiner Friedrich empfohlen. Vgl. Kasper König. Haben Sie diese Dinge damals an der Akademie mitbekommen?

Ja. Ich wurde zum Beispiel von Michael Werner gefragt, als ich selbst noch Studentin war: „Was empfiehlst du mir aus der Beuys-Klasse? Ist da was?“ Und da habe ich gesagt: „Es gibt eine Position für dich – Anselm Kiefer.“ So ist Kiefer bei Werner gelandet. Was der Beuys empfohlen hat und ob überhaupt, das weiß ich nicht. Da wird unwahrscheinlich viel kolportiert. Wen ich erlebt habe, waren Heiner Friedrich und Franz Dahlem, denn dort waren Imi Knoebel und Palermo.

Haben Sie als junge Künstlerin in der Akademie auch auf einen Galeristen gehofft, der Ihnen ein Angebot macht? Sie sagten einmal, Ingrid Oppenheim Ingrid Oppenheim (1924 Köln – 1986 Finnland) war eine Galeristin und Kunstsammlerin. 1974 eröffnete sie im Galeriehaus in Köln ihre Räume mit angeschlossenem Videostudio. Dort wurden bis 1979 unter anderem Werke von Klaus vom Bruch, Michael Buthe, Christof Kohlhöfer, Klaus Mettig, Sigmar Polke und Klaus Staeck produziert und vorgeführt. Ihre Sammlung befindet sich seit 1980 als Dauerleihgabe im Kunstmuseum Bonn. hätte Sie von Ihrem Barjob befreit.

Ja. Über Nacht. Das war ungewöhnlich. Aber gewartet habe ich nicht. Ich hatte mit dem, was ich sowieso machte, ziemlich viel zu tun. Und ich habe ja auch bei Imi Knoebel, mit dem ich von 1968 bis 1971 verheiratet war, mitbekommen, wie das lief. Wir wohnten im Greifweg in Düsseldorf, und wenn René Block kam, Heiner Friedrich, Fred Jahn, Franz Dahlem und mehr, die sich für „Minimal“, wie es damals hieß, interessierten, habe ich mich nicht gewundert, dass ich mit einem ganz anderen Anspruch da nicht gefragt wurde. Das passte so wenig zusammen, die Diktatur des rechten Winkels und mein Entwurf, diese Komplexität von art and life, life and death künstlerisch zu visualisieren.

Obwohl es René Block vielleicht noch am ehesten zuzutrauen gewesen wäre …

Er interessierte sich nicht dafür. Ich arbeitete damals an solchen Dingen wie dem Film „LIFE-DEATH“. Allein das Thema ist ja etwas umfassender als diese „Untitled“-Arbeiten. Es gab damals ganz andere, die auf mich zukamen. Zum Beispiel Harald Szeemann Harald Szeemann (1933 Bern – 2005 Tegna im Tessin, Schweiz) war von 1961 bis 1969 Direktor der Kunsthalle Bern. Dort zeigte er 1969 die wegweisende Ausstellung „Live in Your Head. When Attitudes Become Form“. Szeemann leitete 1972 die „documenta 5“ und organisierte die Ausstellung „Junggesellenmaschinen“, die ab 1975 in neun Institutionen in Europa, darunter die Kunsthalle Bern, die Städtische Kunsthalle Düsseldorf, die Kunsthalle Malmö und das Stedelijk Museum Amsterdam, zu sehen war. 1983 folgte die Ausstellung „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“, die für das Kunsthaus Zürich konzipiert war und anschließend nach Wien, Düsseldorf und Berlin reiste. 1999 und 2001 kuratierte Szeemann die Themenausstellungen der Biennale von Venedig. Mit seinen innovativen Ausstellungsformaten zählt er zu den wichtigsten Vermittlern der Kunst seiner Zeit. , der dann für die „documenta 5“ „LIFE-DEATH“ auswählte.

Wo hatte er die Arbeit gesehen?

Er kam mit Jean-Christophe Ammann Jean-Christophe Ammann (1939 Berlin – 2015 Frankfurt am Main) war ein Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher. Er war Direktor des Kunstmuseums Luzern (1968–1977), der Kunsthalle Basel (1978–1988) sowie des MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main (1989–2001). 1972 war Ammann als Mitarbeiter Harald Szeemanns an der „documenta 5“ beteiligt. 1995 war er kommissarischer Leiter des Deutschen Pavillons der „46. Biennale von Venedig“. Ab 1998 lehrte er als Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. zu mir und wollte die Arbeit sehen.

Bei Ihnen im Atelier?

Ein Atelier hatte ich damals nicht. Nach der Trennung und meinem Auszug aus dem Greifweg – das war damals schon ein Loft – habe ich eine Wohnung gesucht, die keinen rechten Winkel hatte. Und ich habe eine gefunden. Jedenfalls waren Harald Szeemann und Jean-Christophe da – und zwar auf einen Tipp von Sigmar Polke. Den Begriff „Artist’s Artist“ Als „Artist’s Artist“ werden künstlerische Positionen bezeichnet, die innerhalb des kommerziellen Kunstbetriebs weitestgehend unbekannt sind, jedoch einen starken Referenzpunkt für andere Künstler darstellen. Anerkennung von einem breiten Publikum erfährt ihr Werk häufig erst mit zeitlicher Verspätung. Im Kunstkontext wird die Bezeichnung etwa seit Ende der 1990er-Jahre verwendet. gab es damals noch nicht, aber nach diesem Prinzip lief es. Polke hatte eine ganz andere Großzügigkeit, auch mal auf etwas aufmerksam zu machen.

Hatten Sie mit Ingrid Oppenheim später einen richtigen Vertrag?

Das war so: Ich war im Domino, das war die In-Kneipe überhaupt, eine kleine Sardinenbüchse. Von Palermo innen rot ausgemalt. Dort traf sich die ganze Kunstszene. Und da habe ich gearbeitet. Immer in einer Doppelschicht. Von früh morgens bis spät in die Nacht. Und irgendwann kam Ingrid Oppenheim rein und sagte, sie möchte eine Galerie in Köln eröffnen – und zwar mit meiner Arbeit. Da habe ich gesagt: „Frau Baronin, gerne. Das ist ja eine Überraschung. Wann soll es denn sein?“ – „Anfang November.“ Zu dem Zeitpunkt, als wir darüber sprachen, war es etwa Mitte April. Da habe gesagt: „Bis November werde ich etwas Neues produzieren. Sie müssen mir dann monatlich so viel zahlen, wie ich hier in diesem Berufszusammenhang verdiene. Das sind 5.000 D-Mark im Monat.“ Das war viel. Aber ich habe ja nicht nur da gearbeitet, sondern auch in einem Nachtklub, dem angesagtesten in Deutschland, dem Lovers Club im Kö-Center. Da habe ich eine Performance gebracht, die mich von jeglicher Genderzugehörigkeit emanzipiert hat. Das habe ich immer sehr genossen. Ingrid Oppenheim sagte: „Kein Problem.“ Und dann habe ich bis zum November gearbeitet. Zur Eröffnung im Mauritiussteinweg habe ich 196 Porträts gezeigt, schwarz-weiß. „196, I–VII“, Galerie Ingrid Oppenheim, Köln, 1973. Und noch im selben Jahr machte Ingrid Oppenheim eine Galerie in Brüssel auf, wo ich Hunderte von „MOTORKAMERA“-Arbeiten gezeigt habe, die zusammen mit Klaus Mettig entstanden waren. „MOTORKAMERA I–II“, Galerie Ingrid Oppenheim, Brüssel, 1973. „MOTORKAMERA“ hieß es deswegen, weil wir vor einer Spiegelwand saßen und wenn wir d’accord waren, hat einer von uns mit dem Fuß ausgelöst. Später haben wir bestimme En-face-Gesichter übereinander geschichtet, woraus dann diese „TRANSFORMER“-Arbeit Katharina Sieverding, „TRANSFORMER“, 1973/74. entstanden ist.

Bei Ingrid Oppenheim habe ich das erste Mal erfahren, was es bedeutet, wenn eine Galerie ökonomisch Projekte unterstützt. Zum Beispiel plante Jean-Christophe Ammann die Ausstellung „TRANSFORMER. Aspekte der Travestie“, die 1974 im Kunstmuseum Luzern stattfand und hat Ingrid Oppenheim gefragt, ob sie das unterstützen würde, und sie hat es gemacht. Diese erste Einkanal-„TRANSFORMER“-Projektion habe ich damals eigens für Luzern entwickelt.

Wann haben Sie Ihre erste Arbeit verkauft?

Bei Ingrid Oppenheim.

1973 bei Ingrid Oppenheim haben Sie Ihre erste Arbeit verkauft?

Ja. Die gesamte Ausstellung.

Von da an verkauften Sie gut?

Solange es über Ingrid Oppenheim lief … Denn sie selbst hat ja die Arbeiten gekauft.

Sie hat Ihnen die gesamte Ausstellung abgekauft?

Das war für mich alles Neuland. Sie war ja auch Sammlerin und Galeristin.

1967 fand in Köln der erste Kunstmarkt Auf Bestreben der Galeristen Hein Stünke und Rudolf Zwirner fand der erste Kölner Kunstmarkt mit 18 Galerien vom 13. bis 17. September 1967 in den Räumen der historischen Festhalle Gürzenich statt. statt. Sie hatten 1973 Ihre erste Galerieausstellung und die ersten Verkäufe Ihrer Arbeiten. In den 1970er-Jahren haben Sie sehr viel ausgestellt. Veränderte sich mit dem Kunstmarkt in Deutschland auch die Kunstszene?

Ich war immer damit beschäftigt, Kunstgeschichte zu schreiben. Habe aber nie das Vergnügen gehabt, Marktgeschichte zu schreiben. Es wäre interessant, zu untersuchen, woran das liegt. Das ist die Schlüsselfrage für die 60er-, 70er- und 80er-Jahre. Heute ist die Marktgeschichte einer künstlerischen Position das Entree für die allgemeine Wahrnehmung. Damals war es genau umgekehrt.

In den 80er-Jahren haben viele deutsche Künstler, darunter vor allem die Maler, große Erfolge in den USA gehabt. War das Interesse der US-amerikanischen Galerien an deutscher oder europäischer Kunst in dieser Zeit auch für Sie von Bedeutung?

Ich denke, Bernd und Hilla Becher sind die Einzigen, die fotografisch arbeiteten und damals bei Ileana Sonnabend und Leo Castelli platziert wurden. Sie müssen sich vorstellen, ich hatte damals große Formate, die auch 1977 in der Ausstellung „GROSSFOTOS I–X, 75–77“, Museum Folkwang, Essen/Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven/Rheinisches Landesmuseum Bonn, 1977/78. von Zdenek Felix in Essen gezeigt wurden. Die Initiative für die Ausstellung kam allerdings von Rudi Fuchs Rudi Fuchs (* 1942 Eindhoven) ist ein niederländischer Kunsthistoriker und Kurator und war von 1975 bis 1987 Direktor des Stedelijk Van Abbemuseum in Eindhoven sowie von 1993 bis 2003 des Stedelijk Museum in Amsterdam. 1982 verantwortete er die künstlerische Leitung der „documenta 7“. . Ein anderer sehr wichtiger Name und einer meiner größten Förderer. Er hatte die Idee, eine Ausstellung mit den ersten zehn „GROSSFOTOS“ von 1975 bis 1977 zu machen. Es gab noch einen weiteren Interessenten, nämlich Klaus Honnef Klaus Honnef (* 1939 Tilsit, Ostpreußen, heute Russland) arbeitete nach einem Studium der Soziologie und Geschichte als Redakteur und Ressortchef der „Aachener Nachrichten“. Von 1968 bis 1970 leitete er den Kunstverein Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst in Aachen und war von 1970 bis 1974 Geschäftsführer des Westfälischen Kunstvereins in Münster. 1974 bis 1999 war er Ausstellungschef am Rheinischen Landesmuseum Bonn. Honnef gehörte dem Team der „documenta 5“ (1972) an und organisierte dort gemeinsam mit Konrad Fischer die Abteilung „Idee + Idee / Licht“. Bei der „documenta 6“ (1977) war er mit Evelyn Weiss und Gabriele Honnef-Harling für die Abteilungen Malerei und Fotografie verantwortlich. Ab 1980 lehrte Honnef als Honorarprofessor für Theorie der Fotografie an der Kunsthochschule Kassel und hatte bis 2009 Lehraufträge, unter anderem an der Universität zu Köln, der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und der Bergischen Universität Wuppertal inne. . Auch ein wichtiger Experte für Fotografie. Der leitete damals das Rheinische Landesmuseum. Rudi Fuchs war zu der Zeit im Stedelijk Van Abbemuseum in Eindhoven Direktor. Neben Harald Szeemann war er derjenige, der sich sehr früh für meine Arbeit begeistert hat. Als es darum ging, wo die Ausstellung zuerst stattfinden sollte – in Eindhoven, Essen oder Bonn –, schlug ich vor: „Lassen wir das doch Rudi Fuchs entscheiden.“ Er war ja derjenige, der den Anstoß dafür gegeben hatte, und er sagte: „Sollen sich doch die Deutschen untereinander einigen. Ich muss nicht der Erste sein.“ Und so war das Museum Folkwang dann die erste Station, parallel zeigten sie eine Grafikausstellung von Andy Warhol. Dieses Gerangel und all diese Dinge habe ich damals erstmalig so direkt erlebt, und eben auch, welche Interessen sonst noch dahintersteckten. Ich fand das alles ziemlich amüsant. Aber welche Sammler oder Museen in Amerika hätten sich an solche großformatigen, ungerahmten Fotobahnen gewagt beziehungsweise sie aufgehängt? Welche Galerie hat denn damals fotografische Kunst ausgestellt? In meinem Fall war es die Konrad Fischer Galerie.

Wobei Ihr Werk nach meiner Meinung so eigenständig ist, dass es keinesfalls nur im Kontext der Fotografie gesehen werden kann.

Es heißt ja immer, mit der „documenta 6“ wurde endlich die Fotografie als Kunst durchgesetzt. Dazu kann ich Ihnen eine Anekdote erzählen. Damals kamen die Kuratoren Evelyn Weiss und Klaus Honnef nach New York und haben mich besucht. Ich hatte einen Entwurf für einen Beitrag gemacht, ein Statement zum Kalten Krieg, „SUPERMACHT AMERIKA“, und bin dann nach Düsseldorf geflogen, um die Arbeit zu produzieren. In einem Plastikrohr habe ich sie schließlich nach Kassel transportiert. Und als ich dort ankam, hieß es: „Ach, Katharina, hier ist jetzt überhaupt kein Platz mehr, die Arbeit ist zu groß, die können wir nicht hängen.“ Ich dachte: Moment mal, Ihr habt eine Dienstreise nach New York gemacht, um mit mir zu verhandeln, und jetzt gibt es endlich mal eine sogenannte „Medien-documenta“ und ich kann meine Arbeit nicht hängen? Über Nacht habe ich dann eine Gerüstfirma organisiert, und mit denen habe ich in neun Metern Höhe das Bild „VII/77, GRIM GAMES: HAMMER AND SICKLE FlIES OVER NEVADA“ Katharina Sieverding, „VII/77, GRIM GAMES: HAMMER AND SICKLE FlIES OVER NEVADA “, 1977. angetackert. Da sie keine Erfahrung hatten, wie man großformatige Fotorollen glatt an die Wand bringt, hing das Bild entsprechend ziemlich verknittert, und die Freude der documenta-Verantwortlichen, dass diese Arbeit doch Platz an der Wand fand, war natürlich groß. Das ist ein Beispiel, an dem deutlich wird, wie ich meine Arbeit immer wieder durchgesetzt habe. Damit machen Sie keine Karriere. Sie sind nicht Everybody’s Darling.

Zur documenta 1982 gab es unter anderem von Ulrike Rosenbach und Karla Fohrbeck die Forderung, mehr Künstlerinnen einzuladen. Vgl. hierzu Ulrike Rosenbach. Waren Sie daran beteiligt?

Das war die Rudi-Fuchs-documenta?

Genau.

Davon habe ich nichts mitbekommen. Sie haben mich nicht angesprochen. Ich hätte das natürlich unterstützen können, es wäre nicht das erste Mal gewesen. Aber vielleicht haben sie gedacht, ich würde mich nicht beteiligen, weil ich ja eingeladen war, auszustellen. Ich weiß es nicht.

Rudi Fuchs galt ja als jemand, der sehr eng mit der Galerie Michael Werner zusammengearbeitet hat und auch die deutschen Künstler in Eindhoven ausstellte. Ich glaube, ich war die erste Künstlerin, die er in Eindhoven zeigte – und dann auch noch mit diesen großen Fotoarbeiten, das war ein Novum. Das war 1979. Und dass ich diese Chancen hatte und an verschiedenen Orten ausgestellt habe, wurde vielleicht auch etwas kritisch gesehen. Es war ja oft so, dass ich eine der wenigen oder auch die einzige Künstlerin war, die in den Ausstellungen, und zwar themenunabhängig, vertreten war.

Und haben Sie eine Erklärung dafür?

Das hängt damit zusammen, wie weit das Bewusstsein derjenigen ist, die diese Ausstellungen machen. Rudi Fuchs hat später noch einmal ein Projekt gemacht: „Platzverführung“ „Platzverführung (Skulpturenprojekt)“, 18 Städte der Kulturregion Stuttgart, 1992. in der Kulturregion Stuttgart. Für 18 Städte waren 18 der wirklich prägnantesten Weltpositionen ausgewählt, eine Arbeit für den öffentlichen Raum zu machen. Rudi Fuchs hatte mich eingeladen, für diese 18 Städte ein enigmatisches Bild zu entwerfen. Damals entstand die Arbeit „DEUTSCHLAND WIRD DEUTSCHER“ Katharina Sieverding, „DEUTSCHLAND WIRD DEUTSCHER“, 1992. . Und was passierte? Alle 18 Positionen wurden akzeptiert, nur meine nicht.

In den 80er-Jahren fanden in Deutschland und gerade auch hier im Rheinland große sogenannte „Überblicksausstellungen“ statt, darunter „Westkunst“ „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“, Rheinhallen, Köln, 30. Mai – 16. August 1981. und „von hier aus“ „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“, Halle 13 der Messe Düsseldorf, 29. September – 02. Dezember 1984.

Ja, da war ich nicht dabei.

Gab es dafür einen besonderen Grund?

Kasper König hielt mich immer für jemanden, der sehr schnell sehr kritisch wird. Wir hatten nie eine besondere Chemie des Verständnisses oder der Sympathie. Und ich hatte drei Kinder … Also ich glaube, ich bin als Person, Frau, Künstlerin, et cetera. eine ziemlich gestandene Praktikerin. Ich denke, die Komplexität zwischen dieser Verbindung oder dieses Amalgieren von Leben und Kunst, das ich gerne verkörpere und auch in meine Arbeit einfließen lasse, zwischen Individuum und Welt oder Kollektiv – das sind alles Momente, die natürlich auch gelebt werden müssen. Allein dadurch, dass ich in den Bildräumen mitagiere, wenn man das so nennen will. Ich glaube, dass viele, und zwar bis heute, davor eine gewisse Scheu haben.

Neben den Übersichtsausstellungen sind auch die Themenausstellungen ein beliebtes Format der Kuratoren und „Macher“. Einmal werden die unterschiedlichen Medien gruppiert, ein anderes Mal die Geschlechter. Wie standen Sie zu diesen Ausstellungen – zum Beispiel „Frauen – Kunst – Neue Tendenzen“, „Frauen machen Kunst“, „Künstlerinnen international“ „Typisch Frau“ oder „Frauenbilder“?

Dieser Feminismus war ein Differenzfeminismus, der sich ganz und gar auf das Weibliche konzentrierte, vor allem auf die Nachteile und Erschwernisse, die damit verbunden waren. Und das gegenüber dem Männlichen. Ich muss sagen, diese Sicht von Feminismus – oder anders gesagt, dieses Anliegen oder Interesse hatte ich nicht. Mit der Arbeit „TRANSFORMER“ habe ich etwas zeigen wollen, das für mich interessanter ist: Es geht um das humane Wesen, das sowohl das Weibliche wie das Männliche in sich inkorporiert hat. Das hat mich interessiert, zuallererst einmal die Aktivierung der Vorstellung davon. Auf diese Weise können die Probleme der Begegnung, der Berührung, der Verantwortung und so weiter auf einem ganz anderen Niveau verhandelt werden. Das Potenzial eines Individuums in Bezug auf das Kollektive. „TRANSFORMER“ wurde bei Feminismusausstellungen ausgelassen. Ich fand es wirklich bemerkenswert, was feministische Künstlerinnen geleistet haben. Aber ich muss ehrlich sagen: Ich konnte mit dieser Problembewältigung nicht wirklich etwas anfangen. Ich habe mich ja schnell aus dieser Rechte-Winkel-Positionslage befreit, um überhaupt erst einmal als Künstlerin zu mir zu kommen. In späteren Begegnungen habe ich aber erfahren, dass das Männliche eine sehr große Unterstützung sein kann und dass es ohne eigentlich gar nicht geht. Mich hat mein eigenes Leben viel mehr interessiert als irgendein Konzept darüber. Insofern finde ich meine damalige Strategie viel feministischer. Ich bin immer präsent gewesen. In diesen Shows, in meiner Arbeit, in den Ausstellungen … Also man kam um mich nicht herum. Und trotzdem hatte ich ein super Verhältnis zu vielen meiner Zeitgenossen. Mich interessiert eigentlich nicht so sehr das Negative, sondern eher die Frage: Wie überwindet man das? Wie kommt man eigentlich zur Kooperation zusammen?

Der Interpretationsraum Ihrer Arbeiten ist sehr offen. Wir haben darüber gesprochen, dass Sie durch Ihre Kunst durchaus auch gesellschaftspolitisch wirken wollen. Gibt es dann so etwas wie die eine Message? Und gibt es die Frage „Für wen?“ Jörg Immendorff, „Für wen?“, 1973. , wie sie Immendorff in einer seiner Arbeiten gestellt hat?

Das ist mir alles zu eng. Ich denke, dass die erste wesentliche Arbeit, die ich geleistet habe, 1969 der Film „LIFE-DEATH“ war. Um diese Themen geht es mir. Leben und Tod. Was bedeutet der Tod? Ist das das Ende, oder ist es der Zugang oder Eingang ins Leben? Oder ist die Geburt der Eingang in ein Ende, in ein determiniertes Dasein? Und so weiter. Das interessiert mich. Warum werden Kriege geführt? Warum werden Menschen vertrieben? Was ist Macht? Was ist Gewalt? Ein anderer Titel, den man neben „LIFE–DEATH“ stehen lassen könnte, ist „DIE SONNE UM MITTERNACHT SCHAUEN“ Katharina Sieverding, „DIE SONNE UM MITTERNACHT SCHAUEN III/196“, 1973. . Eine alte Übung aus den ägyptischen Weisheiten und Lehren hieß: die Sonne durch die Erde zu imaginieren. Das finde ich relevant, wenn Menschen darüber nachdenken, was das heißt, was mit den Menschen auf der anderen Seite ist. Was wird verwirtschaftet und ist nie wieder aufbaubar? Was ist zwischen Erde und Sonne eigentlich los? Wie viele Schutzschichten sind schon durch kosmoterritoriale Pläne, politische Pläne, vernichtet? „DIE SONNE UM MITTERNACHT“ war der Titel für die allerersten Porträtserien, als es damals bei Ingrid Oppenheim losging. Ich war von Anfang an ziemlich lakonisch im Ausdruck darüber, worum es mir geht. Es beinhaltet all diese Themen: Wie erhält politische Verantwortung die Erde? Was lässt man auf diesem Planeten zu, das den Menschen zugemutet wird? Und das geht ja immer weiter. Und alles verändert sich. Und daher denke ich, man kann als Künstlerin zutiefst einen Beitrag leisten, besonders wenn man mehrere Kinder hat. Entgegen dem, was einige Kolleginnen meinen, dass man die Familie, Kinderwünsche für die Kunst opfern muss. Das halte ich für einen ziemlichen Leergedanken.

Also es ist dieser Anspruch eines konstruktiven, komplexen und verantwortungsvollen Lebens mit den anderen, mit dem/der anderen und mit sich selbst als anderem, für andere, was mich interessiert. Und das – über welche Bildebenen, -räume auch immer – herauszuarbeiten. So wie ich mich in meiner Arbeit, die ich im Deutschen Pavillon gezeigt habe, mit der Frage beschäftigt habe: Wie ist die Bedeutung von Leben und Tod heute, und wie wird diese durch die bildgebenden, diagnostischen Verfahren der Medizin in der täglichen Praxis der Schulmedizin verfehlt? In der logarithmischen Ära wird das ja alles noch deutlicher. Was bedeuten eigentlich diese optischen Tools, die wir den militärischen Ambitionen, den Feind möglichst früh zu erkennen, zu überwachen und so weiter, verdanken? Welche Verantwortung habe ich eigentlich als Künstlerin, wenn ich mit solchen Techniken der panoptischen Überwachung arbeite? Das sind für mich die interessanten Fragen. Insofern ist Feminismus ein Thema, ein Bereich. Aber es gibt natürlich darüber hinaus viel bedrohlichere Machtstrategien, die das Menschsein und vor allen Dingen die Selbstbestimmtheit des Menschen untergraben und zerstören.

Ist das Museum Ihrer Meinung nach heute noch der richtige Ort, an dem man diese Dinge zeigen und diskutieren kann?

Auf jeden Fall eine Möglichkeit. Aber ich gehe ja auch in die Öffentlichkeit. Im Museum funktioniert es deswegen weniger, weil der Staat sich aus der Verantwortung gezogen hat. In der Zeit, als ich angefangen habe, gab es Museumsdirektoren, die hatten ein Budget und waren fachlich kompetent, unabhängig. Die waren also wirklich frei – verantwortlich. Die konnten Positionen ausstellen, die noch nie jemand vorher in irgendeiner Galerie oder auf dem sogenannten „Kunstmarkt“ gezeigt hat. Das gibt es heute nicht oder kaum mehr. Weil hinter dem privaten Sponsoring bestimmte Interessen stecken. Und jeder Museumsdirektor, der davon abhängig ist, bekommt diesen Einfluss zu spüren. Die ökonomische Abhängigkeit hat deutlich zugenommen. Heute gibt es im gesamten Bildungssystem kaum mehr einen Bereich, der davon ausgenommen ist. Und genau das waren die Themen, die wir bei Beuys diskutiert haben. Die Dreigliederung der Gesellschaft, die Gewaltenteilung: das Rechtswesen, das Wirtschaftswesen und das Geisteswesen, voneinander und vom Staat unabhängig. Und wo sind wir heute? Wo stehen wir heute? Was haben wir denn heute für einen Kunstbegriff?

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