Berlin, 21. Mai 2015
Kasper König: Bin bereit, bin bereit, bin bereit. Sie fragen, ich antworte. Wir können loslegen.
Franziska Leuthäußer: Wir legen Ende 1962 bei Rudolf Zwirner los.
Da habe ich ein bisschen mehr als ein halbes Jahr gearbeitet, Das Volontariat in der Galerie Zwirner dauerte ein dreiviertel Jahr. Vgl. Günter Herzog, „Königsweg zur Kunst“, in: „Kasper König. The Formative Years“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 23/24, 2014, S. 9–10, hier S. 9. und zwar gab es dafür einen sehr schönen Begriff, etwas Altmodisches, nicht Volontär, aber … Auf jeden Fall sollte ich dann zur Berufsschule gehen, Schreibmaschinen- und Stenokurs machen und all das. Es war bei Zwirner sehr familiär und auf der anderen Seite bestand er darauf, dass er sozusagen mein „Lehrherr“ war. Es gab immer wieder Anwandlungen von Disziplin und Strenge.
War das noch in Essen oder schon in Köln?
Das war in Köln im Kolumbakirchhof. Rudolf Zwirner eröffnete seine erste Galerie 1959 in Essen. Im Sommer 1962 zog er mit der Galerie nach Köln in ein Ladenlokal am Kolumbakirchhof 2, im Dezember 1964 in die Albertusstraße 16, 1972 in die Albertusstraße 18. Von 1983 bis 1992 betrieb er die Galerie in der Bismarckstraße 50. Das war auf jeden Fall sehr interessant. Und die Frau vom Zwirner war extrem wichtig, die Ursula. Die hatte Kunst studiert und ich glaube, die hatten sich in Kassel kennengelernt, als Zwirner Generalsekretär der documenta war. Ende 1958 wurde Zwirner von Hein Stünke in seiner Funktion als Mitglied des documenta-Rats zum Generalsekretär für die „documenta 2“ in Kassel vorgeschlagen und 1959 von Arnold Bode berufen. Ursula Zwirner betreute auf dieser documenta den Grafikstand von Hein Stünke. Zwirner war relativ oft verreist, in Paris oder London, und ich musste die Stellung halten. Der blieb zwei Tage, hat meistens ein oder zwei Werke gekauft und versuchte, die dann zu verkaufen: Eine Frottage von Max Ernst oder eine sehr gute Arbeit auf Papier von Joan Miró, Surrealismus, Jean Dubuffet – also klassischen Kunsthandel, wo er immer zwei, drei Leute im Blick hatte, die das kaufen könnten oder sollten. Und wenn nicht, dann gehörte es halt ihm, denn er musste ja immer flüssig sein. Ich bin auch zwei-, dreimal mitgefahren. Er war wirklich wie ein Antiquar, klassisch. Und er hatte immer wieder interessante Ausstellungen.
War das der Grund, warum Sie zu Zwirner wollten? Sie hätten ja beispielsweise auch zu Alfred Schmela gehen können?
Nein, nein, das kam eigentlich mehr durch eine familiäre Beziehung zustande. Für mich war das Ganze ja ohnehin relativ prekär – ich hatte den Militärdienst verweigert und musste sozusagen unweigerlich den Alternativdienst antreten. Den habe ich ja auch nicht zu Ende gemacht und bin gezwungenermaßen zwölf Jahre gar nicht mehr offiziell in der Bundesrepublik gewesen. König lebte von 1963 bis 1965 in London, von 1965 bis 1972 in New York (dazwischen 1969 in Antwerpen) und von 1973 bis 1975 in New York und Halifax. Vgl. Brigitte Jacobs van Renswou, „Aus Rudolf wird Kasper. König in London, mit einem Kasseler Zwischenspiel“, in: „Kasper König. The Formative Years“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 23/24, 2014, S. 25–29, hier S. 25; Günter Herzog, „Kasper König in der Metropole der Kunst“, in: ebd., S. 31–52, hier S. 31.
Sie sind bei Joseph Beuys untergeschlüpft?
Na ja, als ich in Amerika war, habe ich Beuys in Düsseldorf besucht und er war immer sehr an Amerika interessiert und hat wahnsinnig interessante Fragen gestellt. So wie man sie kennt, „Kafkas Amerika“, was man mit Amerika so verbindet. Ich hatte damals einen ganz guten Kontakt zu Leuten an der Akademie, etwa zu Konrad Lueg, Konrad Fischer (1939 Düsseldorf – 1996 Düsseldorf) war ein deutscher Künstler und Galerist. In seiner 1967 in der Düsseldorfer Altstadt eröffneten Galerie stellte er frühe Vertreter der Minimal Art und der Konzeptkunst vor, darunter Carl Andre, Hanne Darboven, Bruce Nauman und Lawrence Weiner. Als „Konrad Lueg“ war Fischer vor Gründung seiner Galerie als Künstler tätig und stellte mehrfach unter anderen mit Gerhard Richter aus. Die bekannteste künstlerische Aktion, an der Lueg beteiligt war, fand im Oktober 1963 im Düsseldorfer Möbelhaus Berges unter dem Titel „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“ statt. der war AStA-Vorsitzender und sehr umtriebig und offen, sehr interessiert. Beuys hat ja auch eine ganze Anzahl an interessanten Leuten eingeladen, über Fluxus und so. Die zum Teil aber auch Beuys gegenüber antagonistisch waren, weil er sich selbst dieses Begriffs „Fluxus“ bediente, aber genau das Gegenteil von dem war, was Fluxus eigentlich ausmachte. Durch Konrad Lueg habe ich diese Gruppe um Lueg, Gerhard Richter und Sigmar Polke kennengelernt. Ich war damals relativ oft, mindestens zweimal in der Woche, in Düsseldorf, schon als ich bei Zwirner gearbeitet habe.
Bei Zwirner haben Sie auch 1963 die Ausstellung von Konrad Klapheck Die Ausstellung von Konrad Klapheck wurde am 23. November 1963 in der Galerie Zwirner in Köln eröffnet. Vgl. „Konrad Klapheck im Gespräch mit Brigitte Jacobs von Renswou“, 04.02.2014, in: „Wie die Pop Art nach Deutschland kam“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 25/26, 2015, S. 19–23, hier S. 19. mitgehängt und haben ihn persönlich kennengelernt?
Ach so, ja, ich habe mit ihm seine Ausstellung gehängt und dann waren wir in einer Kölsch-Kneipe bei Früh. Ich kam vom Klo zurück und war total bleich: „Kennedy wurde erschossen“, Am 22. November 1963 wurde der amtierende US-Präsident John F. Kennedy während einer Wahlkampfreise von Lee Harvey Oswald in Dallas erschossen. Die Umstände des Attentats sind bis heute umstritten. und er dachte, ich wolle ihn auf den Arm nehmen. Das war wirklich ein unumkehrbarer historischer Moment. Vielleicht ist mir das deswegen im Nachhinein so bewusst. Der Klapheck war sozusagen eine väterliche Figur, da war ich einmal in der Woche eingeladen und dann machte Lilo, seine Frau, ein exotisches Essen. Lilo war Holländerin, eine Displaced Person, eine Jüdin. Das Essen war immer sehr eigentümlich, Palmenherzen aus der Dose und dazu Soßen, Erdnuss-Mayonnaise, also sehr holländisch oder indochinesisch-holländisch. Und er war ein großer Boxfan, da musste man immer Boxfilme angucken, das hat mich nur bedingt interessiert. Aber ich war immer sehr Jazz-affin, das war wiederum auch eine Spezialität von ihm, und dann gab er mir Aufgaben auf: „Lies dieses Buch von André Breton, lies Comte de Lautréamont, lies das …“, alles sehr surrealistisch. Das war eigentlich sehr schön, sehr altmodisch.
Hatte Klapheck außer Ihnen noch weitere „Privatschüler“?
Das weiß ich nicht, aber zum Beispiel habe ich über den Klapheck auch zum ersten Mal von Beuys erfahren. Er sagte: „Das ist ein sehr obskurer Mensch und der kann wunderbar zeichnen.“ Sie haben sich getroffen und haben dieses Cadavre exquis André Breton schreibt in seinem Text „Le Cadavre exquis“ (dt. „Der köstliche Leichnam“): „CADAVRE EXQUIS – Spiel mit gefaltetem Papier, in dem es darum geht, einen Satz oder eine Zeichnung durch mehrere Personen konstruieren zu lassen, ohne dass ein Mitspieler von der jeweils vorhergehenden Mitarbeit Kenntnis erlangen kann. Das klassisch gewordene Beispiel, das dem Spiel seinen Namen gegeben hat, bildet den ersten Teil eines auf diese Weise gewonnenen Satzes: Le cadavre-exquis-boira-le-vin-nouveau (frz. = ‚Der köstliche-Leichnam-wird-den-neuen-Wein-trinkenʻ).“ André Breton, zit. n. Patrick Waldberg, „Der Surrealismus. 1922–1942“, München 1972, S. 88. gemacht, dieses surrealistische Spiel, wo man das Papier faltet, und immer da, wo die letzten Punkte des Vorgängers sind, macht man weiter, daraus entsteht dann eine phantasmagorische Figur. Das war für mich alles sehr interessant.
Ging das eher von Ihnen aus? Klapheck hatte ja eine gewisse Sonderrolle in der rheinischen Szene, wenn nicht gar eine Außenseiterrolle.
Na ja … Die Mutter vom Klapheck hat eine sehr schöne Reihe von Büchern herausgegeben, Monografien über wichtige Figuren aus dem Rheinland, Anna Klapheck, „Bruno Goller“, Recklinghausen 1958; „Jankel Adler. Monographien zur rheinisch-westfälischen Kunst der Gegenwart“, Recklinghausen 1966. unter anderem über seinen Lehrer Bruno Goller, dann über Leute von den Kölner Progressiven: Franz Wilhelm Seiwert, Heinrich Hoerle. Die erschienen in einem Verlag in Recklinghausen, Aurel Bongers. Das waren kleine Monografien über wichtige Künstler, die während der Nazizeit verfemt waren. Aber auch einige Nachkriegskünstler, wie zum Beispiel Fritz Winter. Außerdem war Klaphecks Mutter Kritikerin bei der „Rheinischen Post“. Im September 1946 erschien Anna Klaphecks erster Artikel „Bertha von Suttner – Wegbereiter der Demokratie“ in der „Rheinischen Post“. Sein Vater war Kunstgeschichtsprofessor an der Akademie, spezialisiert auf Architektur. Da gab es also noch eine Brücke zur Vorgängergeneration. Das war auch die Zeit von Jean-Pierre Wilhelm und der Galerie 22 in Düsseldorf. Gemeinsam mit Manfred de la Motte gründete Jean-Pierre Wilhelm 1957 die bis 1960 bestehende Galerie 22 in Düsseldorf. Köln zeichnete sich eigentlich viel stärker durch die Musik aus, Konzerte der zeitgenössischen Musik im WDR und Fluxus. Düsseldorf war die Stadt mit der Akademie. Aber wie gesagt, ich war nur ein dreiviertel Jahr im Rheinland.
Die letzte Ausstellung bei Zwirner hatte Klapheck 1977. Warum hat Zwirner sich für Klaphecks späteres Werk nicht mehr interessiert?
Der Zwirner war natürlich immer in erster Linie Händler. Gerade am Anfang war er ein wichtiger Faktor bei dem Aufbau der Sammlung von Peter und Irene Ludwig, die erstmalig 1968 im Wallraf-Richartz-Museum gezeigt wurde und später den Grundstock für das Museum Ludwig bildete. Er hatte einen guten Kontakt zu Ileana Sonnabend Ileana Sonnabend (1914 Bukarest – 2007 New York) war eine Galeristin. Von 1932 bis 1959 lebte sie in einer Ehe mit dem Kunsthändler und Galeristen Leo Castelli und eröffnete 1962 eine Galerie in Paris, wo sie insbesondere auch die amerikanische Pop-Art vertrat. 1971 gründete Sonnabend eine weitere Galerie in New York und zeigte dort junge europäische Kunst. Sie stellte unter anderen Georg Baselitz, Bernd und Hilla Becher, Gilbert & George, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg, Robert Rauschenberg und Andy Warhol aus. in Paris, er war mindestens zwei-, dreimal im Jahr in New York und immer auf der Höhe der Zeit. Hin und wieder hat er auch Ausstellungen gemacht, die historisch bedeutsam waren: die erste René-Magritte-Ausstellung in Deutschland, „René Magritte, Bilder und Gouachen“, Galerie Zwirner, Köln, 1965. aber auch Ausstellungen zu den naiven oder nichtakademischen Künstlern, er war sehr offen. In der Galerie Zwirner in Köln fand unter anderem 1977 die Ausstellung „L’Art brut und Kunst der Geisteskranken aus der Sammlung Arnulf Rainer“ sowie 1978 die Ausstellung „Agatha Wojciechowsky“ statt.
Er hat Gerhard Richter 1965 einen Vertrag angeboten. Vgl. Günter Herzog, „Ganz am Anfang“, in: „Richter, Polke, Lueg & Kuttner“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 7, 2004, S. 9–31, hier S. 21. War das damals üblich?
Das weiß ich gar nicht, da müssen Sie Gerhard Richter fragen. Ich weiß nur, dass der Richter und auch Blinky Palermo zum Beispiel sehr genervt waren, dass Heiner Friedrich Heiner Friedrich (* 1938 Stettin, Pommern, heute Polen) gründete 1963 gemeinsam mit Franz Dahlem und seiner damaligen Ehefrau Six Friedrich die Galerie Friedrich & Dahlem. 1970 ging Heiner Friedrich mit seiner neuen Lebensgefährtin Thordis Moeller nach Köln und betrieb dort eine zweite Galerie. 1973 expandierte er in die Vereinigten Staaten und eröffnete im New Yorker Stadtteil SoHo die Heiner Friedrich Gallery Inc. Das Galerieprogramm umfasste wichtige Positionen der Minimal Art und Konzeptkunst, darunter Carl Andre, Dan Flavin, Donald Judd und Walter De Maria. Mit seiner späteren Ehefrau Philippa de Menil und der Kunsthistorikerin Helen Winkler gründete Friedrich 1974 in New York die Dia Art Foundation, die eine dauerhafte Setzung künstlerischer Großprojekte unterstützt. in München quasi monopolistische Tendenzen hatte. Die sollten an seine Galerie Friedrich & Dahlem festgebunden werden, das habe ich ein bisschen mitbekommen. Als ich in London lebte, hat Friedrich mich besucht und gefragt, was er sich angucken soll und ob ich ihm Tipps geben könne, worauf ich ihm sagte: „Ja, gehen Sie zum Richter und gehen Sie zum Polke und gehen Sie zum Palermo, das ist wirklich extrem eigenständig und hochkarätig.“ Richter hat später mit ihm gebrochen und gesagt: „Nein, nein, das will ich nicht.“ Er hat dann zwei Jahre lang als Lehrer in Düsseldorf gearbeitet, um finanziell unabhängig zu sein. Seine Frau war Schneiderin und sie hatten ja auch ein Kind.
1966 unterzeichnete Gerhard Richter einen Vertrag bei Heiner Friedrich.
Ja, aber nicht exklusiv. Der im April 1966 unterzeichnete Vertrag mit der Galerie Heiner Friedrich sah vor, dass Richter für eine bestimmte Anzahl von Bildern ein festes monatliches Gehalt sowie einen vereinbarten Prozentsatz der Gewinne aus Verkäufen erhielt. Am 31. März 1968 lief der Vertrag mit Friedrich aus; Richter traf die Entscheidung, diesen nicht zu verlängern. Vgl. die Abbildung des Vertragsdokuments in: „Galerie Heiner Friedrich. München, Köln, New York, 1963–1980“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 21/22, 2013, S. 51–190, hier S. 58, 59. Auf jeden Fall hat er es nach zwei Jahren dann auch gelassen.
Genau, der Vertrag wurde 1968 aufgelöst. Aber vorher berichtete Richter an Friedrich, was er bei René Block in Berlin zeigen würde und weshalb. Gerhard Richter an Heiner Friedrich, 23.11.1964, in: Dietmar Elger/Hans Ulrich Obrist (Hg.), „Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007. Schriften, Interviews, Briefe“, Köln 2008, S. 25 ff.
Ja, ja, der Gerhard, Sie dürfen nicht vergessen, er war schon in der DDR ein sehr erfolgreicher Künstler. Der fuhr einen Wartburg, das ist Ausdruck für einen wirklich großen Erfolg als Berufskünstler in der DDR. Weil die Bevormundung ihm offensichtlich auf den Wecker ging, hat er sich kurz vor dem Mauerbau entschieden, in den Westen zu gehen. Das ist ja alles wunderbar in seinen eigenen Aufzeichnungen beschrieben. Der hat an der Akademie in Düsseldorf 20 oder 30 Jahre sozusagen im Schnellkurs bewältigt. Er war schon ein gestandener Mann, der natürlich wissen wollte, was Sache ist.
Sie haben die Künstler in Düsseldorf an der Akademie kennengelernt?
Ja, als ich sie besser kennenlernte, war Richter von der Akademie schon abgenabelt. K.O. Götz war ja ein Gentleman, er war sehr diskret. Ich habe dann auch Beuys kennengelernt, aber gar nicht so sehr in der Beziehung zur Akademie gesehen. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich ihn kennengelernt habe. Ich wusste von Beuys, als er in Kranenburg diese Ausstellung hatte, das war bei den Brüdern van der Grinten. Die sogenannte „Stallausstellung“ „Joseph Beuys Fluxus“ fand vom 26. Oktober bis 24. November 1963 im Haus van der Grinten in der Hochstraße 148 in Kranenburg bei Kleve am Niederrhein statt. Die waren auch permanent in der Galerie beim Zwirner und brachten Mappen mit Grafiken, zumeist Doubletten, zum eventuellen Tauschen. Wir haben dann geguckt: Gibt es interessante Radierungen, Lithografien und so weiter? Die durften nicht teurer sein als 30 D-Mark oder so. Zu der Zeit habe ich mich viel herumgetrieben, auch in Antiquariaten, und konnte denen hin und wieder einen Tipp geben. Ich bin dann nach Kranenburg gefahren und habe mir diese „Stallausstellung“ angeguckt. Der Antagonismus Beuys gegenüber bestand damals schon in der Akademie. Das war vor dem Konflikt, der dann ja eskalierte. Nachdem 1972 ein neues Zulassungsverfahren an der Akademie eingeführt wurde, besetzte Beuys mit einigen seiner Studenten das Hochschulsekretariat. Der im Zuge dessen erteilten Entlassung durch den nordrhein-westfälischen Wissenschaftsminister Johannes Rau begegnete Beuys mit einer langjährigen Klage vor dem Bundesarbeitsgericht. In dem ihm gerichtlich auf Lebenszeit zugesprochenen Raum 3 der Düsseldorfer Kunstakademie initiierte Joseph Beuys 1973 gemeinsam mit Willi Bongard, Georg Meistermann und Klaus Staeck die Freie Internationale Universität (FIU), die als freie Hochschule das bestehende Bildungssystem ergänzen sollte. Die FIU bestand bis zwei Jahre nach dem Tod von Joseph Beuys im Jahr 1986.
Wie haben Sie die Gruppe um ZERO wahrgenommen, als Sie ins Rheinland kamen?
Ich kann mich noch erinnern, das war natürlich sehr im Sinne eines Bilderbogen-Streichs, aber es war ernst gemeint. Zu einer Eröffnung beim Schmela Alfred Schmela (1918 Dinslaken – 1980 Düsseldorf) eröffnete 1957 in der Hunsrückenstraße 16–18 in Düsseldorf eine Galerie. Sein Programm umfasste wesentliche Positionen der deutschen Nachkriegskunst, darunter Joseph Beuys, Gerhard Richter sowie Künstler aus dem Umfeld der ZERO-Bewegung. in der Altstadt, ich glaube, es war eine Otto-Piene-Ausstellung „Piene. Ein Fest für das Licht“, Galerie Schmela, Düsseldorf, 1959. , gab es ein kleines Plakat, wie man das aus Paris kennt – Plakate, die deswegen so klein sind, damit sie eine Chance haben, in Cafés aufgehängt zu werden. So etwas hatten sie übernommen – nicht umsonst hieß Düsseldorf ja auch „Klein-Paris“ –, und auf diesem kleinen Plakat war eine Feuerblume, wie ein Auge. Das hatte etwas Kitschig-Universelles, zwischen Salvador Dalí und eben einer Feuerblume. Dieses pure Romantische war eine Form von Idealismus, den ich sehr stark mit Düsseldorf in Verbindung gebracht habe – ich kam aus dieser doch eher liebenswerten, verdreckten, alten Stadt Köln und da waren die Kö und das Schicke so wirtschaftswundermäßig. Ich erinnere mich an dieses Plakat. Ich glaube, wir waren im Füchschen oder so, auf jeden Fall waren wir in einer Altstadtkneipe und das Plakat hatte Piene sogar noch signiert. Nicht, dass ich eins haben wollte, aber Piene war sehr sympathisch und offen und hatte es signiert. Das lag auf dem Tisch und da ist ein Bierglas umgefallen. Wir haben damals immer dieses Altbier mit Samtkragen getrunken, das war ein Turm, der aufeinandergeschichtet wurde. Samtkragen ist ein Underberg mit Maggi und darauf kommt ein Bierdeckel, darauf wieder ein Altbier und so weiter, bis das irgendwann eine Höhe erreicht, wo es prekär wird und umfällt. Auf jeden Fall ist irgendwas umgefallen, das Plakat war auf dem Holztisch und weichte auf. Ich habe das Innere dieses Auges mit dem Fingernagel weggeschabt und dahinter einen Fünf-D-Mark-Schein geklebt, sodass das D-Mark-Zeichen sichtbar war. Das haben die Künstler, die einen Stammtisch hatten, sie saßen etwas erhöht, wir waren quasi in der Bierschwemme, gesehen und der Mack, Heinz Mack, fühlte sich persönlich auf den Schlips getreten. Er wurde unheimlich aggressiv und hat mir irgendwie Schläge angedroht. Das war eine andere Welt. Es ist jetzt für mich sehr interessant zu sehen, welch eine Wiederentdeckung die ZERO-Künstler erfahren.
Ich war auch immer total begeistert von Lucio Fontana. Fontana, das ist eine mondäne Eleganz, das hat mich wahnsinnig interessiert, ganz hart zwischen Archaik und Kitsch, aber nicht darüber. Und auch Piero Manzoni hat mich sehr interessiert, ich war quasi eher für die harte Version dieser Richtung – das war aber nicht der Grund für meine Ausflüge nach Düsseldorf.
Ich bin übrigens auch einer der wenigen, der die Beuys-Geschichte anders sieht oder anders wahrgenommen hat: Es gibt in der selbst formulierten und zum Teil auch fantasievoll ausgebauten Biografie von Beuys einen Hinweis: Seine Teilnahme an der Ausstellung „Eisen und Stahl“ „Eisen und Stahl“, Düsseldorf, 1952. am Mannesmannufer am Rhein beschreibt er als Teilnahme an der Ausstellung „Stahl und Eisbein“. Was natürlich ein typischer Landser-Begriff ist. „Als Nachschlag: Licht-Ballett von Piene“. Vgl. Götz Adriani/Winfried Konnertz/Karin Thomas (Hg.), „Joseph Beuys. Leben und Werk“, Köln 1986 (3. Auflage), S. 11 ff. Das war natürlich sehr ironisch, er hat sich gegen den Zeitgeist, über den Zeitgeist lustig gemacht. So wie er eben auch gesalbt und geölt wurde von den Tataren und dem Filz und so weiter. Vgl. Hans Peter Riegel, „Beuys. Die Biographie“, Berlin 2013, S. 233. Was ich wiederum interessant finde und interpretiere: Wie geht man mit einem Trauma um, wie transformiert man das als Künstler? Das ist jetzt für mich sehr präsent geworden, als ich in St. Petersburg war, wo der Direktor sagte: „Das hätte ich mir nie träumen lassen, dass ein Nazi-Stuka-Flieger [Joseph Beuys] in der Eremitage ausstellt!“ Das war natürlich ein bisschen banausig, übermütig und erinnert mich daran, wie ich in Münster aufgewachsen bin. Da haben wir auch immer wieder schlagende Studenten provoziert, um zu sagen: „Ihr Vorvorgestrigen, ihr nationalistischen Arschlöcher“ und so weiter. Es war ein bisschen diese rabaukige, pubertierende Wichtigtuerei. Ja, Halbstarke! Eine meiner Schwestern hatte einen guten Begriff dafür, sie hat immer gesagt: „Jetzt hast du wieder dein Moped-Gesicht.“ So als 16-, 17-Jähriger, als man einen Parka trug und die Mopeds frisierte. Also, das war eine andere Zeit.
In Berlin waren damals Georg Baselitz, Markus Lüpertz, Eugen Schönebeck, aber eben auch René Block mit seinen ersten Ausstellungen René Block eröffnete seine Räume in Berlin am 15. September 1964 mit der Ausstellung „Neodada, Pop, Décollage, Kapitalistischer Realismus“. . In Ihrer Biografie kommt Berlin in den 60er-Jahren gar nicht vor.
Von René Block zum Beispiel habe ich schon einiges mitbekommen. Mein Interesse galt damals eigentlich mehr dem Film und der Musik. Zur bildenden Kunst bin ich eigentlich eher zufällig gekommen. Aber sie hatte einen Riesenvorteil: Man konnte versuchen, mit der eigenen Geschichte politisch ins Reine zu kommen, mit dem historischen Trauma der Nazizeit umzugehen, und trotzdem hatte man einen Ausblick nach vorne. Die Kunst war eben nicht so an die deutsche Sprache gebunden. Ich bin später öfter in Ost-Berlin gewesen als in West-Berlin.
Was heißt später?
Als ich in New York war, wollte ich unbedingt eine John-Heartfield-Ausstellung für das Jüdische Museum in New York machen, das ging aber nur über den Bruder Wieland Herzfelde, Wieland Herzfelde (eigtl. Wieland Herzfeld; 1896 Weggis, Schweiz – 1988 Berlin) war ein deutscher Publizist, Autor und Verleger. Ab 1917 leitete er den Malik-Verlag in Berlin, dessen Programm Literatur zur künstlerischen Avantgarde sowie zur kommunistischen Theorie umfasste. Gemeinsam mit seinem Bruder John Heartfield (eigtl. Helmut Herzfeld; 1891 Berlin – 1968 Berlin), der als Künstler und Grafiker im Bereich der Fotomontage arbeitete, floh er 1933 über Prag nach London. 1949 kehrte Herzfelde nach Berlin zurück und bekleidete neben seiner Verlegertätigkeit bis 1961 mehrere Professuren an der Universität Leipzig. Von 1959 bis 1970 war er Präsident des PEN-Zentrums der DDR. und der war ein DDR-Funktionär. Heartfield selber war natürlich einer der wichtigen großen kritischen antifaschistischen Künstler, aber an den kam man nicht ran. Deshalb war ich öfters in Ost-Berlin, die Initiative verlief dann im Sande. In Belgien oder England oder Italien habe ich mich wohler gefühlt.
Baselitz haben Sie auch erst im Rheinland kennengelernt?
Ja, das hat mich eigentlich auch nie so sehr bewegt. Das hat mich weniger interessiert. Auch die Baselitz-Geschichte Im Oktober 1963 zeigte Georg Baselitz seine erste Einzelausstellung in der Galerie Werner & Katz in Berlin. Diese umfasste 52 Bilder, darunter die Werke „A. A.“, „P. D. Stengel“, „Erste Semmel“, „Nackter Mann“ und „Die große Nacht im Eimer“. Am 09. Oktober 1963 wurden die beiden letztgenannten Bilder wegen des Vorwurfs der „Unsittlichkeit“ von der Berliner Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Vgl. o. A., „Baselitz-Prozess – Klage und Qual“, in: „Der Spiegel“, Nr. 26, 24.06.1964, S. 82–84. habe ich leider nicht gesehen, aber Schönebeck–Baselitz und so, das habe ich am Rande irgendwie wahrgenommen. René Block kannte ich ganz gut. Ich war auch sehr mit Tomas Schmit Tomas Schmit (1943 Trier – 2006 Berlin) war Aktions- und Konzeptkünstler, Zeichner und Autor und zählte in den frühen 1960er-Jahren zu den Pionieren der Fluxus-Bewegung. befreundet, der war Germanistikstudent in Köln – das Studium hat er dann geschmissen – und sehr eng mit La Monte Young La Monte Young (* 1935 Bern, Idaho) ist ein amerikanischer Komponist, der in Los Angeles, Berkeley, New York und in Darmstadt bei Karlheinz Stockhausen in Komposition, Jazz und Neuer Musik ausgebildet wurde. Er war Teil der Fluxus-Bewegung und arbeitete unter anderen mit John Cage zusammen. Young beschäftigte sich ab den 1950er-Jahren auch mit indischer und japanischer Musik und gilt als einer der Begründer der Minimal Music. und den Fluxus-Leuten verbunden. Er hat vom Englischen ins Deutsche übersetzt und auch selber bei der 24-Stunden-Aktion in Wuppertal Am 05. Juni 1965 trat Schmit während des „24-Stunden-Happenings“ in der Galerie Parnass in Wuppertal mit der „Aktion ohne Publikum“ auf. Neben Tomas Schmit nahmen auch Joseph Beuys, Bazon Brock, Charlotte Moorman, Nam June Paik, Eckart Rahn und Wolf Vostell an dem Happening teil. Vgl. Uwe M. Schneede/Joseph Beuys (Hg.), „Joseph Beuys, die Aktionen: Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotografischen Dokumentationen“, Stuttgart 1994, S. 84. dieses wunderbare Wasserausschütten – von einem Eimer in einen anderen – gemacht. Also, ich habe schon einiges mitbekommen, aber zu der Zeit lebte ich ja nicht in Deutschland, ich war immer nur mal zu Besuch da.
Bei seinem ersten New-York-Besuch 1975 wohnte Baselitz bei Ihnen?
Ja, er war sehr befreundet mit meiner damaligen Frau Ilka Schellenberg. Sie hatte bei Rudolf Springer in Berlin gearbeitet und war auch sehr gut mit Michael Werner Michael Werner (* 1939 Nauen) ist ein deutscher Galerist. Ab 1960 arbeitete er in der Galerie Rudolf Springer in Berlin. 1963 eröffnete er mit Benjamin Katz am Kurfürstendamm die Galerie Werner & Katz und führte ab 1964 seine eigene Galerie in einer ehemaligen Kohlenhandlung. 1968 zog Werner nach Köln und übernahm dort die Galerie Hake, die er ab Oktober 1969 unter seinem Namen weiterführte. In den 70er- und 80er-Jahren vertrat die Galerie Michael Werner unter anderen die Künstler Georg Baselitz, Antonius Höckelmann, Jörg Immendorff, Anselm Kiefer, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A.R. Penck. Heute ist die Galerie in Berlin, London und New York vertreten. 2011 wurde Werner mit dem Preis der Art Cologne ausgezeichnet. befreundet. Bis heute ist sie mit Elke und Georg Baselitz befreundet. Jedenfalls haben sie bei uns gewohnt; ich glaube, ich habe ihm auch relativ viele Tipps gegeben, war mit ihm in Philadelphia und Washington und so. Er war sehr antiamerikanisch unterwegs. Er ist halt ein echter europäischer Maler: Ich weiß noch, als wir einmal über Jackson Pollock gesprochen haben, war das sehr fremd für ihn – Baselitz ist eben in der DDR aufgewachsen –, er konnte damals mehr mit Emilio Vedova anfangen. Mit dem Erfolg ist er immer offener geworden.
Haben Sie das damals schon so empfunden?
Ich fand das irgendwie ganz gut, das war nicht so affirmativ: „Ah, jetzt bin ich in Amerika!“
Blinky Palermo war seit 1973 in New York. Als Heiner Friedrich in seiner Galerie, die er seit 1972 in der Wooster Street hatte, eine Ausstellung mit Arbeiten Palermos „Palermo. Zeichnungen“, Heiner Friedrich Gallery, New York, 01. September – 31. Oktober 1975. eröffnete und Baselitz zufolge Vgl. Georg Baselitz. keiner kam, erklärte ihm Heiner Friedrich, er wolle nicht, dass das Publikum die Bilder angaffe, und habe daher die Einladungen gar nicht versendet, sondern entsorgt. Baselitz ist der festen Überzeugung, Heiner Friedrich wollte die Bilder von Palermo in New York nicht zeigen, weil sie aussahen wie die europäische Version von Ellsworth Kelly. Er versuchte, möglichst wenig Aufmerksamkeit damit zu erregen.
Also, das ist wahrscheinlich aus der Perspektive von Baselitz ziemlich überspitzt gesagt. Ich glaube, der Baselitz hat erst relativ spät erkannt, dass Palermo ein großartiger, fantastischer Kollege ist. Damals gab es ja noch diese verhärteten Fronten: figurativ und abstrakt. Palermo war ein fantastischer, melancholischer Typ und sehr intensiv. Der Friedrich war natürlich ein Snob. Aber das ist trotzdem zu simpel gestrickt. Ich denke, das ist eine typische Egosache vom Baselitz, um sich selber quasi ins Licht zu setzen und zu zeigen, dass er den Durchblick hat. Das kann ich mir so nicht vorstellen. Ich habe Blinky Palermo relativ oft in New York gesehen und natürlich hat er was ganz anderes gemacht als Ellsworth Kelly. Das ist ja sehr intensiv und reduziert und sehr komprimiert und dicht und außergewöhnlich. Baselitz hat ein anderes Selbstverständnis. Palermo war auch kein lauter Typ. Dem lag daran nichts. Der hatte seine Freunde, sehr intensive Freundschaften. Ich habe ihn öfter im Three Roses getroffen, eine total abgefuckte Bar, eine Stripper-Bar, wo er dann – er war ja Schwerstalkoholiker – bis drei oder vier Uhr an der Jukebox war. Ich kann mich noch erinnern, als ich erfahren habe, dass Marcel Broodthaers gestorben ist. Palermo kannte und schätzte ihn sehr, und das hat ihn total fertiggemacht. Das hat ihn richtig umgehauen. Damals war der Kunstbetrieb nicht so dominant, wie er jetzt ist, das war schon anders.
Sie trauen Friedrich das auch nicht zu?
Na ja. Der Friedrich hatte schon etwas Verklemmtes. Ich weiß von Künstlern wie eben Palermo oder Richter, dass zu der Zeit, als Friedrich noch die Galerie in München in der Maximilianstraße hatte, die amerikanischen Künstler wie Dan Flavin und Walter De Maria im Vier Jahreszeiten wohnten, während die Künstler aus Düsseldorf in irgendeiner Pension mit Duschkabine im Zimmer und ohne Zimmerservice untergebracht waren. Das waren sozusagen verschiedene Klassen, die Amerikaner und die Deutschen, und das haben sie dann irgendwann auch thematisiert. Der Friedrich hat natürlich eine erstaunliche Sache in New York geleistet, er hat die Dia Art Foundation mit auf die Beine gestellt. Er hatte eine sehr exklusive, geradezu aristokratische Attitüde. Allerdings hat er auch viele Ideen von amerikanischen Künstlern weltanschaulich für sich in Anspruch genommen und das hatte manchmal schon einen unangenehmen Beigeschmack.
Warum unangenehm?
So in der Art: „Wenn ich mich mit etwas beschäftige, dann ist das die absolute Top-Kategorie.“ Auf der anderen Seite hatte das zum Teil auch wirklich große Bedeutung, zum Beispiel die Ausstellung „The Earth Room“ von Walter De Maria in der Galerie Friedrich. „Walter De Maria: Dirt Show/The Land Show. Pure Dirt, Pure Earth, Pure Land“, Galerie Heiner Friedrich, München, 28. September – 10. Oktober 1968. Dann diese Großprojekte in New York. Und auch was sie bei den Olympischen Spielen in München versucht haben, hatte ein so hohes Niveau, dass der Architekt das letztlich sehr befördert hat – mit dem Wissen, dass es sowieso nicht klappen würde. Im Rahmen der Ausgestaltung der Wohn- und Spielstätten für die Olympischen Spiele 1972 in München setzte sich Heiner Friedrich für die Realisation mehrerer künstlerischer Großprojekte ein. Neben Michael Heizers „Levitated Mass Olympia“ und einem 120 Meter tiefen „Denkloch“, das Walter De Maria aus einem Trümmerberg ausheben lassen wollte, schlugen Gerhard Richter und Palermo eine gemeinsame Farbfeldinstallation vor. Die Ablehnung aller von ihm unterstützten Projekte bewegte Heiner Friedrich letztlich dazu, seinen Arbeits- und Lebensmittelpunkt in die USA zu verlegen: „Am Tag der Absage fiel für mich die Entscheidung, Deutschland zu verlassen und zu versuchen, meine Ideen in Amerika zu verwirklichen.“ Vgl. Günter Herzog, „Die Galerie Heiner Friedrich“, in: „Galerie Heiner Friedrich. München, Köln, New York, 1963–1980“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 21/22, 2013, S. 9–21, hier S. 17. Das hätte ja der grandiosen Architektur von Frei Otto und dem weniger souveränen Günter Behnisch die Schau stehlen können. Da wurden von Walter De Maria und anderen großartige Projekte vorgeschlagen. So habe ich wiederum auch Laszlo Glozer Laszlo Glozer (* 1936 Szombathely, Ungarn) ist ein Kunsthistoriker und Kunstkritiker. Nach Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands floh er 1956 nach Deutschland. Dort studierte er Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Freiburg und München. Ab 1966 war er als freier Kritiker für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Süddeutsche Zeitung“ tätig und wurde 1970 Redaktionsmitglied der „Süddeutschen Zeitung“. Gemeinsam mit Kasper König organisierte er 1981 die Ausstellung „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“ in Köln. Glozer war von 1985 bis 2003 Professor für Geschichte der Moderne an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Schriften zur Gegenwartskunst, darunter „Joseph Beuys. Zeige deine Wunde“ (1976), „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“ (1981) und „Cy Twombly. Photographs 1951–2007“ (2008). kennengelernt, mit dem ich dann sehr eng zusammengearbeitet habe. Der hat das erkannt, er war damals Kritiker der „Süddeutschen Zeitung“, und da herrschte ja ein richtiger Kulturkampf in München. Ab Mitte der 1970er-Jahre kam es in München zu einer anhaltenden öffentlichen Diskussion um die langfristige kulturpolitische Entwicklung der Stadt. Während der ab 1976 als Kulturreferent tätige Jürgen Kolbe und Feuilletonisten wie Laszlo Glozer eine progressivere Kulturpolitik forderten, bezogen der damalige Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Erich Steingräber sowie zahlreiche Abgeordnete der CSU eine deutlich konservative Position. Als stellvertretend für diese Auseinandersetzung gelten nicht zuletzt die Reaktionen auf den 1979 durch das Lenbachhaus getätigten Ankauf der Arbeit „zeige deine Wunde“ von Joseph Beuys, der von heftigen Diskussionen, Demonstrationen und Rücktrittsforderungen begleitet wurde. Vgl. Nina Grunenberg, „Im Paradies der warmen Gefühle. In Bayern wird der Kulturkampf mit Lust erlebt“, in: „Die Zeit“, 23.03.1979, S. 41 f. Also, Friedrich und Dahlem – die haben schon ihre Spuren hinterlassen.
Da gibt es ja immer diese Preise, die anlässlich des Kölner Kunstmarkts verliehen werden, und es ist typisch, dass jemand wie der Friedrich noch keinen Preis bekommen hat, wo er den allemal verdient hat, egal ob man ihn persönlich nun mag oder nicht. Einfach wegen diesem scheinbar arroganten, aber fundierten Behauptungscharakter und weil er das dann auch durchgezogen hat.
Sie hatten mit Dahlem und Friedrich schon Kontakt als …
… besonders mit Dahlem, mit dem komme ich besser klar als mit Friedrich.
Warum?
Dahlem ist ein ziemlich anarchischer Bayer. Der kann sehr penetrant sein, aber auch unglaublich unterhaltsam. Bierbrauer und Buchhändler. Friedrich und Dahlem haben sich wirklich ergänzt, die waren sehr unterschiedlich. Die haben sich schon deswegen gegenseitig bedingt, weil der Friedrich das Geld von Zuhause hatte, sein Vater war Industrieller, und Friedrich war sehr hochfahrend. Dahlem war ein Anarchotyp, so Fassbinder-mäßig. Und intuitiv sehr intelligent. Der hat auch schöne Gedichte geschrieben, aber er konnte auch penetrant und unerträglich sein.
Sie haben dann bei dem Kauf der Sammlung Kraushar für Karl Ströher 1967 Der New Yorker Versicherungsmakler Leon Kraushar legte sich Anfang der 1960er-Jahre eine umfangreiche Pop-Art-Sammlung zu. Nach seinem Tod im September 1967 beschloss Kraushars Witwe, die Sammlung zum Verkauf anzubieten. Sie umfasste 160 Objekte, darunter 6 Bilder von Roy Lichtenstein, 21 Objekte von Claes Oldenburg, 6 Bilder und Objekte von Andy Warhol, 15 Bilder von James Rosenquist und 7 Bilder von Tom Wesselmann sowie weitere Werke amerikanischer Künstler. Bei einer New-York-Reise für Ströher hatte Dahlem erfahren, dass die Sammlung Kraushar zum Verkauf stand, und setzte alles daran, Ströher dafür zu interessieren. Vgl. Jean-Christophe Ammann/Christmut Präger, „Museum für Moderne Kunst und Sammlung Ströher“, Schriften zur Sammlung des Museums für Moderne Kunst, Frankfurt am Main 1991, S. 37, 81, sowie Günter Herzog, „Die Galerie Heiner Friedrich“, in: „Galerie Heiner Friedrich. München, Köln, New York, 1963–1980“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 21/22, 2013, S. 9–21, hier S. 12 f. …
Ja! Das war fantastisch. Da kam der Dahlem, der kannte keine Leute in New York und sprach kein Wort Englisch. Dazu gibt es eine wunderbare Anekdote: Er war bei einem großen Kunsthändler, vielleicht Knoedler oder Wildenstein, und da gab es in einem Schaufenster irgendein Renaissancebild und den Hinweis auf eine Ausstellung von „Saint Francis“, also dem heiligen Franziskus. Dahlem hat es für „Sam Francis“ gehalten, ging da rein und hat sich die Bilder vorführen lassen. Es hätte auch eine Filmkomödie sein können: irgendein bayerischer Adliger, ein Graf, der vielleicht kein potenzieller Käufer ist, aber möglicherweise eine Goldader für den Kunsthandel darstellt.
Auf jeden Fall musste ich bei dem Ströher-Deal herhalten, quasi als Gewährsmann. Der Ströher war in New York und wollte eine Briefmarke kaufen und diese Briefmarke hätte mehr Geld gekostet als die gesamte Kraushar-Sammlung. Statt der Briefmarke hat er dann eben diese Sammlung gekauft, und das war eine tolle, wirklich extrem interessante Sammlung von diesem Kraushar, einem Börsenmogul. Der amerikanische Kunsthandel hat ja damals die Pop-Art gar nicht ernst genommen. Das waren dann eher Ileana Sonnabend in Paris und auch der Zwirner und der Schmela und Graf Panza di Biumo Giuseppe Panza di Biumo (1923 Mailand – 2010 Mailand) war ein italienischer Weinhändler sowie einflussreicher Sammler der europäischen und amerikanischen Nachkriegskunst. Bekannt ist die Sammlung vor allem für Werke des Abstrakten Expressionismus, der Pop-Art und der Minimal Art. Ab Mitte der 1980er-Jahre gingen große Teile der Panza Collection in amerikanische Museen über, darunter an das Museum of Contemporary Art in Los Angeles und das Guggenheim Museum in New York. Vgl. Philippe Ungar, „Giuseppe & Giovanna Panza. Collectors. Interview with Philippe Ungar“, Mailand 2013. , der Sammler in Italien. Dort wurde das eher wahrgenommen und ernst genommen als in Amerika. Warhol war für viele ein kommerzieller Künstler. Der rattige Schaufenster-Dekorateur, der Schwule. Die anderen Künstler haben das sehr wohl wahrgenommen, also Robert Rauschenberg und Jasper Johns und so. Auf jeden Fall war das fantastisch, Dahlem konnte kein Wort Englisch, aber er war die Triebkraft und hat Ströher mit seiner Begeisterung angesteckt. Ich hatte ja eine Grüne Karte, das heißt einen festen Status, hatte ein Visum für Arts and Science und einen Job als Repräsentant für das Moderna Museet in Stockholm. Und die brauchten jemanden mit Adresse und Konto und so habe ich dann dafür gebürgt. Das war aber mehr eine freundschaftliche Hilfe.
Sie haben für die Versicherung …
… eine Bürgschaft übernommen. Ja, die mussten jemanden haben, der in Amerika einen festen Wohnsitz hatte, der sagt: „Das ist in Ordnung, ich übernehme die Bürgschaft.“ Für diese Leute, in dem Falle aus Deutschland kommend, stehe ich grade. Es war mehr eine Geste. Ich meine, ich hatte ja bestimmt nicht mehr als ein paar Hundert Dollar auf dem Konto.
Es ging also gar nicht um die Versicherung der Werke, sondern um die Identität? Zu bescheinigen: Die Leute gibt es wirklich.
Ja, testify, die gibt es wirklich.
Sie haben denen sozusagen Autorität verliehen!
Ja.
Und gab es da auch geschäftliche Beziehungen?
Überhaupt nicht, das war ein reiner Freundschaftsdienst. Aber ich fand es natürlich auch toll, dass solch eine Initiative gestartet wurde. Ich habe den Ströher dann auch kennengelernt und war mit Beuys und Dahlem unterwegs – der machte eine Tour, um herauszufinden, was es für Möglichkeiten gibt, für die Beuys-Arbeit aus der Sammlung Ströher einen permanenten Ort zu finden. Vom 13. September bis 29. Oktober 1967 fand unter dem Titel „Parallelprozeß l“ im Städtischen Museum in Mönchengladbach eine von Beuys eingerichtete Ausstellung statt. Karl Ströher erwarb zwei Drittel der gesamten Ausstellungsstücke unter der durch Beuys formulierten Voraussetzung, „dass der wesentliche Teil seines Werkes geschlossen erhalten bleibt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird“ (Verkaufsvereinbarung vom 23.06.1969). Vgl. Götz Adriani/Winfried Konnertz/Karin Thomas (Hg.), „Joseph Beuys. Leben und Werk“, Köln 1986 (3. Auflage), S. 182 ff. Mir war klar, dass Beuys immer scharf auf das Universalmuseum, das Hessische Landesmuseum in Darmstadt, war. Dort sind die fantastischen Sammlungen von Joseph Maria Olbrich, die Jugendstil-Sammlung, Porzellan und Kunstgewerbe, die Grube-Messel-Geologie, die Sammlung der Korkmodelle, Malerei. Da war dieser schöne erotische Wilhelm Busch in der Gemälde-Sammlung, eine generalistische Sammlung sozusagen. Das hat Beuys interessiert. Und das war ja auch toll und ist ja immer noch fantastisch. Und der Dahlem hat das mit List und Tücke eingefädelt. Nachdem Franz Dahlem zum Jahreswechsel 1966/67 seine Galerie in Darmstadt eröffnet hatte, wurde er zum Vertrauten und Berater des Sammlers Karl Ströher. In den Jahren 1967 bis 1969 erwarb Ströher in mehreren Ankäufen den sogenannten „Block Beuys“, der seit 1970 dauerhaft in sieben Räumen des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt präsentiert wird. Den Kern des Werkkomplexes bildet eine Anzahl von Arbeiten, die erstmals 1967 in der Ausstellung „Parallelprozeß I“ im Städtischen Museum in Mönchengladbach gezeigt wurden. In seiner heutigen Form umfasst der „Block Beuys“ sowohl Plastiken und Arbeiten auf Papier als auch zahlreiche Relikte aus Aktionen des Künstlers. Vgl. „Die Ausstellungsgeschichte des Block-Beuys“, in: Eva, Jessyka und Wenzel Beuys, „Joseph Beuys. Block Beuys“, München 1990, S. 395–403.
Und die Präsentation der Sammlung …
… ich habe die Ausstellung nicht gesehen. Die haben ja auch eine Ausstellung im Haus der Kunst gemacht. „Sammlung 1968. Karl Ströher“, 16. Juni – 08. August 1968, Haus der Kunst, München. Und das wiederum hatte Einfluss auf einen sehr interessanten Sammler in Köln, den ich kannte, Jost Herbig, Jost Herbig (1938 Köln – 1994 Icking) war ein deutscher Chemiker, Wissenschaftspublizist und Kunstsammler, dessen Familie bis 1970 das Kölner Lackfarben-Unternehmen Herbol führte. Seine Kunstsammlung umfasste wichtige Positionen der europäischen und amerikanischen Nachkriegskunst, darunter Werke von Georg Baselitz, Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Blinky Palermo, Gerhard Richter und Richard Tuttle. Von 1976 bis 1997 war die Sammlung Herbigs als Dauerleihgabe in der Neuen Galerie in Kassel, bevor sie 1998 bei Christie’s in New York versteigert wurde. der auch eine Ausstellung im Haus der Kunst gemacht hat.
Beuys hatte sich das in den Kopf gesetzt und hat Johannes Cladders Johannes Cladders (1924 Krefeld – 2009 Krefeld) leitete von 1967 bis 1985 die Städtischen Kunstmuseen (ab 1982 Museum Abteiberg) in Mönchengladbach. Für die „documenta 5“ (1972) arbeitete er im Team von Harald Szeemann. Cladders war 1982 und 1984 kommissarischer Leiter des Deutschen Pavillons der Biennale von Venedig. Er gilt als wichtiger Vermittler des künstlerischen Werks von Joseph Beuys, Robert Filliou und Jannis Kounellis. dafür auch begeistern können: „Du musst unbedingt die Warhol-Ausstellung machen, der Kasper macht eine Ausstellung in Stockholm und du musst dir die unter den Nagel reißen.“
Das hat Beuys gesagt?
Ja! Der Beuys wollte unbedingt den Bezug herstellen, ihn interessierte speziell Warhol, weil der natürlich über die Vermarktung und Analyse der Gesellschaft geht, das hat ihn sehr interessiert. Und 77, als mich Klaus Bußmann Klaus Bußmann (* 1941 Aachen) ist ein deutscher Kunsthistoriker und Kurator, der von 1985 bis 2004 als Direktor das Westfälische Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster leitete. 1977 gründete er gemeinsam mit Kasper König die Skulptur-Projekte in Münster. Bußmann betreute als Kommissar den jeweils mit einem Goldenen Löwen ausgezeichneten Deutschen Pavillon auf den Biennalen von Venedig in den Jahren 1991 und 1993. eingeladen hat, bei der Ausstellung in Münster, den Skulptur-Projekten, mitzumachen, habe ich eben auch den Beuys eingeladen und der sagte: „Kunst im öffentlichen Außenraum ist scheiße, das ist ästhetische Umweltverschmutzung.“ Auf meine Frage: „Warum machen Sie denn dann mit?“, sagte er: „Man darf das den Amis nicht überlassen!“ Damit meinte er Donald Judd und Carl Andre und so. Der hatte einfach einen guten Humor und konnte sehr schnell schalten. Und insofern ist Dahlem ein schräger Katalysator für Beuys gewesen. Ich habe auch mal acht Jahre nicht mit Dahlem gesprochen. Der war mal so zugekifft und wollte mich irgendwie aus dem Fenster werfen, in Darmstadt war das damals. Da habe ich gesagt: „Jetzt geht’s aber wirklich zu weit. Außerdem, wie gesagt, ich habe längere Arme und ich bin stärker, wenn’s drauf ankommt, fliegst du aus dem Fenster.“ Es ist natürlich auch eine vollkommen andere Genese, man kann das nicht vergleichen, man kann das auch schwer verdeutlichen. Der war ja kein Aussteiger, sondern er war vollkommen daneben, der lief neben der Spur. Ich habe ja auch kein Abitur gemacht, ich habe in der Oberprima die Schule verlassen und das war es und ich bin mit 18 aus der Kirche ausgetreten, abgehauen, ich habe auch nie gedacht, dass ich jemals wieder zurückkommen würde nach Münster, wo ich jetzt zum fünften Mal wieder arbeite. 1977 … 87, 97, 2007, jetzt 2017.
Sie sind auch On Kawara in New York begegnet?
Ich habe ihn durch einen Hinweis kennengelernt. Ich hatte ohnehin wahnsinniges Glück, als ich nach New York kam, innerhalb weniger Monate die interessantesten Leute kennenzulernen. Ich hatte immer eine höllische Angst davor, ein Groupie zu sein oder einfach nur ein Nutznießer. Ich wollte mich immer auch irgendwie nützlich zeigen, für den Zugang zu der Information. On Kawara gehörte dazu und seit 40 Jahren ist er ein sehr guter Bekannter, ein Freund. Sein Werk war damals sehr obskur und außenseiterisch, aber keineswegs so mystifizierend, wie es zuerst wirkte. Also, es gab in der Zeit schon einen gewissen Widerspruch, er war ein sehr konzeptueller Künstler, hat sich aber der Malerei bedient. Die war aber nicht genialistisch. Wenn man sah, wie die Bilder entstanden waren, wirkten sie anfangs geradezu malerisch, impressionistisch, und nach einigen Stunden wurden sie immer mehr objektiviert. Das war natürlich auch eine Form der Meditation, aber zugleich konnte man sehen, um was es ging: nämlich um Kunst und nichts anderes.
In der Kunsthalle Bern habe ich 1974 für Johannes Gachnang, den damaligen Direktor, die erste Ausstellung zu On Kawara gemacht. „On Kawara. Produktion eines Jahres“, Kunsthalle Bern, 31. August – 06. Oktober 1974. Gachnang wollte auch gerne eine Ausstellung mit Warhol machen, und da hatte Warhol eine sehr gute Idee: Schatten. Etwas, was es nicht gibt, sondern nur in der Wahrnehmung existiert, physisch ist es ja nicht erfassbar. Der Gachnang konnte sich das nicht vorstellen und dann habe ich gesagt: „Na ja, das ist ja die Idee! Es geht um Malerei, lass den mal machen!“ Und irgendwie bekam der Michael Werner davon Wind und sagte: „Setz den doch auf diese Nazisymbole an.“ Damals war das Buch von Albert Speer ins Englische übersetzt worden. 1970 erschien die englische Übersetzung von Albert Speers Memoiren „Erinnerungen“ (deutsche Erstveröffentlichung: Ullstein Verlag, Berlin 1969) unter dem Titel „Inside the Third Reich“ bei Macmillan in New York. Da geht es unter anderem um die Klassenbeziehung und Speer sagt, er habe den Nazis den Umgang mit Messer und Gabel beigebracht, diesen vollkommen unkultivierten Banausen. Er wurde ja gebeten, als Reichsarchitekt Germania zu entwickeln. Es ging jedenfalls auch um Speers Lichtarchitektur und ich sagte: „Komm, Michael, halt dich da raus, das geht dich einen Scheißdreck an!“ Das war natürlich wie beim Baselitz auch eine gewisse europäische Überheblichkeit Amerika gegenüber. Und Neid, dass da was Neues entstanden ist. Ich bin ja sehr stark in Amerika sozialisiert worden, wo mein Interesse mehr der Literatur und dem Film galt. Da habe ich gemerkt, dass Edgar Allan Poe oder Herman Melville nicht nur große Weltliteratur sind, sondern große amerikanische Literatur. Amerika ist anders, hat eine vollkommen andere Genese, und so ist es auch mit der Kunst. Es gibt eben sehr amerikanische Kunst. Jackson Pollock ist eben kein Lucio Fontana, kein eleganter, mondäner Zauberer, sondern ein harter Cowboy mit einer unglaublichen Offenheit und Radikalität.
Und das haben Sie damals schon erkannt?
Ja, ich habe vieles intuitiv erfasst. Die Erkenntnis kam später. Ich habe zum Beispiel die Möglichkeit gehabt, diese Warhol-Ausstellung für Stockholm „Andy Warhol“, Moderna Museet, Stockholm, Februar/März 1968. vorzuschlagen, musste aber zeigen, dass das auch fast ohne Geld möglich ist. Daher wurde alles extra für die Ausstellung produziert, nichts geliehen. Das ergab sich aus ökonomischen Gründen: Wie kann ich ohne viel Geld maximal zu einer klaren Sache kommen, die auch eine gewisse Quantität hat und die Produktion, Distribution und Rezeption in einem zeigt? Das war eine glückliche Konstellation. Das kann man nicht vergleichen. Damals waren die Bedingungen vollkommen andere als heute.
Diese Ausstellung in Stockholm ist heute legendär.
Ja, klar. Legendär auch für mich persönlich, weil ich gar nicht zur Eröffnung gefahren bin. Ich habe das Ticket stattdessen eingetauscht und konnte davon drei oder vier Monate leben. Im Nachhinein hört sich das sehr kokett an, aber das war wohl auch mitverantwortlich für den legendären Status dieser ersten Museumsausstellung von Warhol. Ich habe damals an der New School studiert, Anthropologie. Habe aber auch keinen Wert darauf gelegt, einen Abschluss zu machen. Ich habe diese Zeit unglaublich für mich genutzt. Vier-, fünfmal in der Woche war ich im Kino. Ich habe die Geschichte des Films intensiv für mich erlebt. Das war Learning by Doing.
So wie Sie es im Moderna Museet gemacht haben, hat ja auch Konrad Fischer in seiner Galerie Kunstwerke vor Ort produzieren lassen.
Konrad wollte ja, dass wir zusammen eine Galerie machen. Das wäre eigentlich relativ naheliegend gewesen, das wollte ich aber nie. Wir haben dann gesagt: „Die Ausstellungen machen wir zusammen.“ Das hieß ja „Ausstellungen bei Konrad Fischer“, da war er nicht mehr Künstler. Am Anfang arbeitete er noch als Lehrer, Gymnasiallehrer. Ich habe dann die Sachen aus Amerika gemacht und er die aus Europa. Nach zwei Jahren hatte sich das dann aber auch erübrigt.
Die erste Ausstellung war Carl Andre. „Alloy Squares“, Ausstellungen bei Konrad Fischer, Düsseldorf, 1969. Diese 50 x 50-Zentimeter-Stahlplatten sind mehrfach zum Einsatz gekommen. Sie wurden 1977 in Münster gezeigt und zehn Jahre später noch einmal in anderer Konstellation benutzt. Die Idee, die Haltung, war wichtiger als das ganze Drumherum. Das ist heute ein Phänomen und wird auch allmählich erkannt, dass das Drumherum solch einen Aufwand verlangt, dass es dann kaum noch das intellektuelle oder geistige Momentum atmen kann.
Das haben Sie aber nie versucht weiterzuführen?
Das war natürlich auch auf der Höhe der Zeit. Zum Beispiel konnte das Buch das Medium der Ausstellung temporär ersetzen. Aber irgendwann ist der Groschen auch da gefallen. Das Buch ist per se schon deswegen keine Kunst, weil es keine physische Ausstellung ist, sondern ein Buch. Das sind Phasen, wo man erkennt, kulturtechnisch sozusagen, was etwas bedeutet, und dann wird es überwunden und das Alte wird sensibilisiert. Früher glaubte man ja, wenn ein neues Medium kommt, ist das alte kaputt. Das stimmt nicht. Die Fotografie hat ja nicht die Malerei abgelöst, sondern hat die Malerei noch einmal veranlasst, sich selber neu zu positionieren und zu fokussieren. Und insofern ist diese ewige Diskussion, ob die Malerei tot ist oder nicht, eine müßige, weil sie immer noch ein Leitmedium der Kunst ist. Es wird natürlich immer schwieriger, gute Bilder zu malen, aber es gibt sie immer wieder.
Sie sind in die USA gegangen und haben von dort aus die amerikanische Kunst nach Deutschland gebracht, aber nie die deutsche Kunst in die USA?
Ich habe damals ein Buch mit Franz Erhard Walther gemacht. Er war ja damals in New York. Das war ein Tipp von Konrad Fischer, ich sollte mir das doch einmal angucken. Obwohl er mir gleichzeitig sagte: „Wir konnten den nie leiden, wir haben uns immer über den lustig gemacht.“ Also Polke und er. Franz Erhard ist relativ humorresistent und sehr, sehr ernsthaft. Aber ich habe mir das angesehen und habe dann gesagt: „Ja, da müsste man wirklich unbedingt mal eine Gebrauchsanweisung machen.“ Und dann haben wir das Buch Kasper König (Hg.), „Franz Erhard Walther. Objekte, benutzen“, Köln/New York 1968. gemacht. Ich hatte ja damals mit meinem Bruder Walther einen Verlag.
Und ich habe mich zumindest bemüht, A.R. Penck A.R. Penck (eigtl. Ralf Winkler; 1939 Dresden – 2017 Zürich) absolvierte von 1955 bis 1956 eine Lehre als Zeichner bei der Deutschen Werbe- und Anzeigengesellschaft (DEWAG). Anfang der 1960er-Jahre entstanden seine ersten System- und Weltbilder, aus denen er in den folgenden Jahren das künstlerische Konzept „Standart“ entwickelte. Im Rahmen einer Ausstellung in der Galerie Michael Werner in Köln waren seine Werke 1970 erstmals in Westdeutschland zu sehen. Im August 1980 wurde Penck offiziell aus der DDR ausgebürgert. Aufgrund seiner Kontakte zur Galerie Michael Werner siedelte er ins Rheinland über. Er war von 1989 bis 2005 Professor für Freie Grafik an der Kunstakademie Düsseldorf und lebte nach seiner Emeritierung in Dublin, Irland. Seine Arbeiten waren auf zahlreichen internationalen Ausstellungen vertreten, darunter auch auf der documenta 5 (1972), 7 (1982) und 9 (1992) sowie in der Ausstellung „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“ (1984). nach Kanada zu holen, wo ich am Nova Scotia College of Art and Design war, den Verlag gemacht und unterrichtet habe. Von 1973 bis 1975 arbeitete König als Dozent am Nova Scotia College of Art and Design in Halifax, Kanada. Das hat aber nicht geklappt, weil Penck nicht aus der DDR raus durfte.
Wie war Ihre Beziehung zu Penck?
Ja, der Penck hat mich immer interessiert. Das ist ein großer Kybernetiker, fantastischer Theoretiker und ich halte ihn für einen der interessantesten Künstler seiner Generation.
Und Sie haben ihn in der DDR besucht?
In Dresden. Der durfte ja nicht ausstellen, offiziell war er ja kein Künstler. Er war nicht Mitglied von der Gewerkschaft oder vom Verband, aber seine Mutter war relativ privilegiert, die war Lehrerin an einer Blindenschule Die Mutter von A.R. Penck war an einer Sonderschule tätig. Vgl. „A.R. Penck“, hg. von Lucius Grisebach, Ausst.-Kat. Nationalgalerie Berlin/Kunsthaus Zürich, Berlin/Zürich 1988, S. 10. oder so etwas. Penck kam aus einer antifaschistischen Familie, und die wurden offensichtlich wenig belästigt oder vereinnahmt. Ich sollte damals eine Zeitschrift machen, das „Aspen“ „Aspen“ war ein US-amerikanisches multimediales Kunstmagazin. Konzipiert von Phyllis Johnson, wurde jede Ausgabe von einem neuen Designer und Herausgeber gestaltet. Das Magazin erschien unregelmäßig zwischen 1965 und 1971 mit Beiträgen von unter anderen Roland Barthes, John Cage, Robert Rauschenberg, Susan Sontag, La Monte Young und Andy Warhol. Siehe auch das Online-Archiv von „Aspen“ unter: http://www.ubu.com/aspen/ (eingesehen am 09.03.2017). . Eine ziemlich gute Zeitschrift, unter anderen von Dan Graham herausgegeben. Und der hatte mich empfohlen. Es ging um die Wechselwirkung Amerika–Europa. Ich habe mich relativ intensiv umgeschaut und kam eben auf Penck, also damals Ralf Winkler. Das kam bestimmt auch durch die Berührung mit Michael Werner. Mit Werner hatte ich damals einen ganz guten Kontakt, der hat Niele Toroni, Stanley Brouwn, Hanne Darboven ausgestellt und dann die grundsätzliche Entscheidung getroffen, sich ausschließlich um deutsche Künstler zu kümmern, die Ausnahme war Per Kirkeby. Aber im Prinzip waren das Markus Lüpertz – zu dem ich nie irgendwie einen Kontakt hatte, außer persönlich, als Person weiß ich ihn auch zu schätzen, aber mit der Kunst konnte ich überhaupt nichts anfangen. Und auch Baselitz war für mich nie so relevant. Das war mehr die Bekanntschaft über meine damalige Frau. Ich fand ihn interessant als Persönlichkeit, aber mein Interesse galt mehr den konzeptuellen Künstlern, sehr reduziert. Obwohl ich Antonius Höckelmann wiederum auch sehr schätze, ist ein westfälischer Landsmann von mir. Und Werner habe ich immer ernst genommen. Auch seine fast bedingungslose hypertrophe Art: Was ich gut finde, ist gut. Dieses Unbeirrbare, dieses Bestehen auf etwas, dieser Behauptungscharakter.
Ist das reine Behauptung oder glaubt er auch daran?
Ich glaube, inzwischen ist es für ihn existenziell.
Er hat sehr früh eine Gruppe von Künstlern um sich versammelt.
Ja, gut, aber die Gruppe ist dann auch wieder auseinandergekracht, weil Baselitz der Chef und der Häuptling sein wollte. Wie auch immer, auf jeden Fall habe ich damals dieses kleine Buch mit Penck gemacht: „Was ist Standart“. A.R. Penck, „Was ist Standart“, Verlag Gebrüder König, Köln/NewYork 1970. Und ich habe ihn relativ oft besucht und auch ein paar Mal in Ost-Berlin getroffen, einige Male auch mit Werner zusammen.
Wo haben Sie sich mit Penck im Osten getroffen?
In Dresden oder am Müggelsee oder in der Kantine im Deutschen Theater in Berlin, Ost-Berlin. Wenn die Leute außerhalb des Systems waren, waren sie totale Außenseiter. Natürlich wussten die das. Man hat Penck ja später auch richtig freigekauft, für viel Geld. Man wusste das.
Penck muss schon immer ein sehr besonderer Typ gewesen sein.
Ein sehr besonderer Typ! Der hatte auch ganz konkrete Interessen. Ich habe ihn immer wieder mit Sachen versorgt, mit Büchern oder Informationen. Mein großer Bruder, der Buchhändler Walther König, war natürlich eine ideale Quelle. Es wurden auch Pakete hin- und hergeschickt und Penck hat das alles programmatisch verarbeitet. Also die Verpackung. Er war auch sehr an Warhol interessiert. Es gab für ihn sozusagen die Möglichkeit, Warhol quasi aus einer brechtschen Perspektive zu analysieren und zu beobachten.
Und seine Malerei?
Es gab diese Strich-Geschichten. Das waren Programme, das waren richtige kybernetische Programme. Und ich glaube, dass es sehr schwer für ihn war, als er in den Westen kam. Da war er von diesem ganzen konsumeristischen Betrieb natürlich überwältigt. Und hat ja dann auch so viel Scheiße produziert, quasi um das System zu denunzieren. Aber das System ist immer stärker. Dennoch, wenn man genau hinguckt, ist er ein extrem interessanter Künstler. Penck hat dann auch alle möglichen Editionen für Möbelhäuser und ich weiß nicht was gemacht und mit dem Zuchtmeister Werner diese unglaublich schöne Zeitschrift „Krater und Wolke“ A.R. Penck (Hg.), „Krater und Wolke“, 1–5, 1982–1985. .
Gerhard Richter war bereits in der DDR ein erfolgreicher Künstler. Nicht, dass er das System bewusst als propagandistischer Maler unterstützt hätte, aber er hat die staatliche Förderung in Form einer Aspirantur akzeptiert und auch verschiedene Auftragsarbeiten ausgeführt. Anfänglich hat sich das für ihn offensichtlich gar nicht widersprochen.
Richter ist ein unglaublich bewusster, ernsthafter Mensch, der sozusagen alle Möglichkeiten durchspielt und sich dann in seinem Anspruch an sich selber in seinem Niveau steigert. Der „Atlas“, Der „Atlas“ ist ein Archiv von Fotografien, Zeitungsausschnitten und Skizzen, die Gerhard Richter seit 1962 sammelt. Einzelne Dokumente des Archivs dienen Richter zum Teil als Anregungen für neue Werke oder Werkserien und tauchen in anderen Arbeiten auf. Zu den bekanntesten Werkbeispielen aus dem „Atlas“ zählen die Serien „Städte“ (1968), „Für 48 Portraits“ (1971) und „Holocaust“ (1997). Siehe auch: Helmut Friedel (Hg.), „Gerhard Richter. Atlas“, Band 1–4, Köln 2011. zum Beispiel, ist wirklich eine große Leistung von Richter, dieses Durchhalten.
Warum sind sich bei Richter scheinbar alle so einig? Warum war er derjenige, den man so früh schon gut verkaufen konnte?
Das ist natürlich jetzt auch ein Phänomen, weil sich alles diesem hochtourigen Kunsthandel unterordnet. Das ist eben diese Verbindlichkeit, die zugleich auch irgendwie uninteressant ist, das kann man aber dem Künstler nicht unbedingt vorwerfen. Richter hat das ja in vieler Hinsicht souverän sichtbar gemacht. Diese Ambivalenz ist nicht uninteressant und die grauen Bilder 1968 entstand das erste graue Bild Gerhard Richters mit dem Titel „Stadtbild M8 (grau)“. Siehe auch: „Gerhard Richter. Acht Grau“, hg. von Meghan Dailey, Ausst.-Kat. Deutsche Guggenheim, Berlin u. a., Ostfildern 2002. sind immerhin wirklich unnahbare graue Bilder und nicht nur kleine Werke für den Verkaufsraum von BMW oder Mercedes, sondern auch große. Die Leere, die im Raum steht, das ist schon beachtlich. So wie ich auch die Phase, die Polke durchgemacht hat, wahnsinnig interessant finde. Als der Neoexpressionismus aufkam, haben bestimmte Leute, die immer hinter Richter her waren, ihn gar nicht mehr wiedererkannt. Die guckten nur nach Walter Dahn und Jiří Georg Dokoupil und den Berlinern, Salomé und Rainer Fetting und wie die alle hießen. Gemeinsam mit Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Gerard Kever und Gerhard Naschberger gründeten Walter Dahn und Jiří Georg Dokoupil im Oktober 1980 eine Ateliergemeinschaft in der Mülheimer Freiheit 110 in Köln-Deutz. Seit Mai 1977 organisierten die Künstler Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer in der Galerie am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg regelmäßig Ausstellungen mit ihren eigenen Werken. Sowohl die Künstler der Mülheimer Freiheit als auch die Mitglieder der Galerie am Moritzplatz zählen heute mit ihren provokanten Bildern ab Ende der 1970er-Jahre zu den bekanntesten Vertretern der figurativen deutschen Malerei der 1980er-Jahre. Vgl. „Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“, hg. von Martin Engler, Ausst.-Kat. Städel Museum, Frankfurt am Main, Ostfildern 2015. Richter war plötzlich nicht mehr so angesagt, aber das war sicher eine Erholung für ihn.
Um noch einmal auf die deutschen Positionen in den USA zurückzukommen: Gerhard Richter hatte 1986 eine Ausstellung bei David Zwirner und Barbara Gladstone in New York. „Gerhard Richter. Paintings 1964–1974“, Barbara Gladstone Gallery/Rudolf Zwirner Gallery, New York, 13. Dezember 1986 – 17. Januar 1987. Zwirner zufolge konnten sie damals nichts verkaufen. Und Richter sagt: Für ihn begann der internationale Durchbruch mit der „von hier aus“-Ausstellung „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“, Halle 13 der Messe Düsseldorf, 29. September – 02. Dezember 1984. 1984.
„von hier aus“? Das ist ja hochinteressant. Weil er dort ja nur gelbe Bilder gezeigt hat. Abstrakte Bilder. Und Gelb ist bekanntlich eine extrem schwierige Farbe. Außer Vincent van Gogh hat es kein Künstler in den Griff gekriegt. Aber das glaube ich nicht, dass das der Durchbruch war. Ich habe ja eine große Ausstellung für Richter gemacht. Die fing in Paris an, ging dann nach Madrid, Stockholm und in die Bonner Bundeskunsthalle. Die bis dahin größte Richter-Retrospektive war 1993 im Musée d’Art moderne de la Ville de Paris zu sehen. Die von Kasper König kuratierte Ausstellung reiste im Anschluss nach Bonn, Stockholm und Madrid. Das war interessant, weil Richter ganz genau wusste, was er wollte. Er hatte mich aber trotzdem gefragt, ob ich die Ausstellung nicht machen wolle, und das wurde von der Bundeskunsthalle auch sehr gut bezahlt. Der Richter liebt das, Modelle bauen und lange überlegen. Also, er war schon auch an meinem Blickwinkel interessiert. Und dann war natürlich noch der Benjamin Buchloh intellektuell unterwegs, der war für den Text zuständig. Richter hat auch im Portikus zwei Ausstellungen gemacht: „Gerhard Richter. 18. Oktober 1977“, 29. April – 11. Juni 1989, und „Gerhard Richter. Drei Bilder“, 12.–19. Dezember 1989, Portikus, Frankfurt am Main. Zuerst die Baader-Meinhof-Bilder – Richter war, als ich nach Frankfurt kam, kurze Zeit Gastprofessor an der Städelschule 1987 wurde König Direktor an der Städelschule und berief Gerhard Richter als Gastprofessor. . Ich habe ihm gesagt: „Das ist im Portikus perfekt.“ Auf jeden Fall war es ein Riesenskandal in Frankfurt, mit Protesten Vgl. Christian Huther, „Gerhard Richter, 18. Oktober 1977“, in: „Kunstforum International“, Bd. 102, 1989, S. 351–352, hier S. 351 f. von vermeintlich Baader-Meinhof freundlich gesinnten Leuten, ein Drittel davon waren aber irgendwelche Bundesverfassungsschutz-Heinis. Und dann habe ich gesagt: „So, Gerhard, jetzt müssen wir unbedingt eine Ausstellung mit den abstrakten Bildern machen, die du gerade produzierst, die eigentlich noch härter und unnahbarer sind als der Baader-Meinhof-Zyklus.“ Das war eine ziemlich intensive Erfahrung, die ich zusammen mit meinem hochgeschätzten Kollegen und damaligen Portikusleiter Ulrich Wilmes geteilt habe. Wir hatten eine echte Krise, weil die Stadt den Portikus plötzlich nicht mehr mitfinanzieren wollte. Also war ich gezwungen, eine Benefiz-Auktion zu machen, und Richter hat mir ein Landschaftsbild gegeben, von dem er wusste, dass es mindestens drei oder vier Leute für viel Geld kaufen wollten. Es war ein kleines Bild, das brachte ungefähr 340.000 D-Mark, es war unvorstellbar viel Geld. Und da fing das an, dass Richter so erfolgreich wurde. Natürlich nicht durch dieses eine Bild, aber da zeichnete sich das ab, und das war eben irgendwann in den 80er-Jahren.
Viele vertreten die These, die Generation der um 1950 Geborenen hätten die ältere Generation, allen voran die Maler, damals mit hochgezogen. Wenn Richter sagt, die Ausstellung „von hier aus“ sei ein Schlüssel gewesen, dann meint er, glaube ich, weniger spezifisch die von ihm dort gezeigten Bilder als das gesteigerte Interesse, das der Malerei in Deutschland plötzlich wieder zukam.
Die Ausstellung „von hier aus“ ist international extrem stark wahrgenommen worden. In der deutschen Presse ist sie echt verrissen worden. Ähnlich war es ja auch mit der „Westkunst“-Ausstellung, „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“, Rheinhallen, Köln, 30. Mai – 16. August 1981. aber bei „von hier aus“ war es wirklich extrem. Es war natürlich eine postmoderne Ausstellung, mit der genialen Ausstellungsarchitektur von Hermann Czech: Man ging hoch, guckte runter auf diesen Buden-Zauber und war mehr oder weniger allein gelassen, wie man was rezipierte. Es gab sozusagen zwei Zentren und man verabredete sich immer irgendwie im Zentrum, wo das Café war, aber es war immer das falsche Café. Eigentlich sollte das ja Harald Szeemann Harald Szeemann (1933 Bern – 2005 Tegna im Tessin, Schweiz) war von 1961 bis 1969 als Direktor an der Kunsthalle Bern tätig. Dort zeigte er 1969 die wegweisende Ausstellung „Live in Your Head. When Attitudes Become Form“. Szeemann leitete 1972 die „documenta 5“ und organisierte die Ausstellung „Junggesellenmaschinen“, die ab 1975 in neun Institutionen in Europa, darunter die Kunsthalle Bern, die Städtische Kunsthalle Düsseldorf, die Kunsthalle Malmö und das Stedelijk Museum Amsterdam, zu sehen war. 1983 folgte die Ausstellung „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“, die für das Kunsthaus Zürich konzipiert war und anschließend nach Wien, Düsseldorf und Berlin reiste. 1999 und 2001 kuratierte Szeemann die Themenausstellungen der Biennale von Venedig. Mit seinen innovativen Ausstellungsformaten zählte Harald Szeemann zu einem der wichtigsten Vermittler der Kunst seiner Zeit. machen, der hatte dann aber eine zu einfache Konzeption und bekam kalte Füße. Seine Idee auf dem Bierdeckel sah so aus: In der Mitte ist Beuys und dann gibt es verschiedene Ringe, Satelliten. Sicher dabei waren natürlich Polke und Richter und so, Baselitz und einige aktionistische Figuren. Und ich habe dann gesagt: Nur die Bundesrepublik, aber auch Künstler, die wie Broodthaers damit zu tun hatten, aber keine Deutschen waren. Es war auf jeden Fall sehr komplex aufgefächert und der Katalog war nicht alphabetisch oder chronologisch aufgebaut, sondern sehr obskur, aber es war ein System dahinter, nämlich ein astrologisches. Es wurde nie offenbart und es fing mit Robert Filliou, George Brecht und Dieter Roth an. Das machte auch in gewisser Weise Sinn. Jede Form, jede Koordinate ist zwei Drittel okay, aber ein Drittel ist immer irgendwie daneben. Diese Ausstellung wurde in Deutschland schwer verrissen, aber ist im Ausland sehr stark rezipiert worden, weil sie eben nichts mit Nationalismus zu tun hatte, sondern mehr mit einer total breiten Distribution. Da gab es den Raum um Frankfurt, Karlsruhe, München, das Rheinland, Hamburg, Berlin und so weiter. Und aus jeder Generation, aus jeder Gruppe, gab es immer zwei, drei Leute, nicht alle komplett. Das war natürlich bestimmten Künstlern gegenüber schwer, zu denen ich ein gutes Verhältnis hatte und von denen ich auch viel gelernt habe. Da waren zum Beispiel die Katja Fritsch und der Reinhard Mucha und der Thomas Schütte, aber dann waren eben der Harald Klingelhöller und andere nicht dabei. Und genauso war es bei vielen anderen auch. Isa Genzken, die damals mit Richter zusammenlebte, hat in Düsseldorf deshalb einen Sitzstreik gemacht. Ich hatte ihr gesagt: „Isa, das kann ich nicht machen, das geht nicht.“ Und Isa wollte aber unbedingt und hat dann einen Sitzstreik gemacht. Wir hatten einen Container auf der Messe und ich habe dem Nachtwächter gesagt: „Bitte lassen Sie den Flur offen und schließen die Toilette nicht ab, die Frau macht hier einen Streik.“ Am nächsten Tag bin ich über sie drübergestiegen und habe gesagt: „Isa, möchtest du einen Kaffee?“ Das hat die drei Tage durchgehalten.
Manche verstanden das ganz hierarchisch: Wer hat den größten Platz und so. Den größten hatte, glaube ich, der Polke. Und der Polke wollte aber auf keinen Fall, dass ich darüber bestimme, was er zeigt: „Du musst mir den Raum geben und zwei Tage vor der Eröffnung komme ich und bringe die Sachen, da kannste dabei sein.“ Der brachte dann eben nicht 10 Bilder, sondern 30, und dann wurden 8 oder 10 gezeigt und es war fantastisch.
Warum wollten Sie Isa Genzken nicht dabeihaben?
Ja, man muss sich für und nicht gegen etwas entscheiden. Und Isa Genzken war damals so hochfahrend und fand das scheiße, und da habe ich gesagt: „Isa, wenn ich dich einlade, dann lade ich dich ein, aber nicht um andere Nachbarschaften scheiße zu finden. Also, ich lade dich besser gar nicht erst ein, du bist zu aggressiv drauf.“ Sie war ja damals bei dem aktuellen Teil von „Westkunst“ dabei, wo auch Franz West und Schütte und so dabei waren. Das ist etwas, das für Leute, die nicht in unserem Metier arbeiten, sehr schwer verständlich ist: Dass man manchmal auch Künstlern gegenüber klar zum Ausdruck bringen muss, warum man sie nicht einlädt. Das ist auch eine Arbeit, die man zu leisten hat, statt immer die üblichen Verdächtigen zu zeigen. Ich habe ja mit Isa Genzken sehr viele Sachen gemacht. Sie war dreimal in Münster vertreten, zweimal sehr prominent, und auch im Museum Ludwig. Also so ist es nicht. Aber es ist nicht gut, wenn man immer wieder die gleichen Künstler fragt, das ist dann zu hermetisch. Das ist überhaupt das Problem, dass es immer zu sehr darum geht: einschließen, ausschließen. Was ist dabei, was ist nicht dabei? Das kann es einfach nicht sein.
Isa Genzken war damals eine der wenigen Frauen in der deutschen Kunstszene. War das zahlenmäßige Verhältnis Frauen–Männer damals ein Thema?
Also, es war auf jeden Fall 77 bei der Skulpturen-Ausstellung in Münster kein Thema. Da ist mir erst im Nachhinein wirklich bewusst geworden, dass ich keine einzige Frau eingeladen hatte. Damals war allerdings das Medium Skulptur, wie die Architektur, so männlich dominiert, dass mir das erst später bewusst wurde. Ich habe, glaube ich, immer wieder – sicher auch dadurch, dass ich sehr viel an Kunsthochschulen war, gelehrt habe und Kontakt hatte – aus Fehlern gelernt und war nicht so blöd, die Fehler zu wiederholen. Sondern lieber neue zu machen.
Konnten Sie später ausreichend Frauen finden?
Also, ich glaube, dass es jetzt in Münster genauso viele Frauen sind, wie es Männer sind.
Zählen Sie nach?
Nein, aber ich bin da sehr sensibilisiert. Das Glück war, dass ich selber darauf hingewiesen habe, auf einem Auge blind gewesen zu sein. Christa Näher beispielsweise war bei „von hier aus“ sehr prominent vertreten und hat eigentlich auch eine altmodische Auffassung von Malerei vertreten, allerdings sehr subtil. Dann gab es zum Beispiel einen Maler wie Salomé, der war total pikiert, weil ich ihm gesagt hatte: „Wir nehmen diese Bilder, die Blutsturzbilder, und Sie können sagen, welche Form der Raum haben soll, Vorschläge machen, welche Farbe und so.“ Und dann habe ich dieses Rosa gewählt, weil er sich nicht geäußert hat. Er war extrem beleidigt: „Sie sind wirklich die letzte Drecksau! Sie hängen mir hier den Rosa Winkel an. Das ist sozusagen die schwul konnotierte Farbe.“ Ich habe gesagt: „Das ist aber sehr gut für die Bilder. Sie haben hier die Auswahl, hier sind die Maler, die Paletten, Sie sagen, wie Sie es haben wollen.“ Er hat es viermal umgestrichen und nachher war es wieder Rosa – weil es wirklich am besten war und die Bilder diesen klischeehaften Hintergrund quasi transformierten. Ich habe auch immer wieder Sachen gemacht, die ganz bewusst minoritäre oder bestimmte politische Positionen beziehen, aber sie nie als solche deklariert. Also, ich habe das nicht illustrativ gehandhabt. Aber es war eine Sensibilität da. Ich habe das ja auch in New York noch mitgekriegt: Durch den Feminismus wurde ein eigentlich schon relativ korruptes, eingefahrenes Kunstsystem noch einmal infrage gestellt und bekam einen anderen Drive.
Wenn man die Werke von Richter und Salomé betrachtet, die beide in der Ausstellung „von hier aus“ vertreten waren, dann sind das sehr unterschiedliche Positionen. Was war bei der Auswahl für Sie maßgebend?
Qualität! Es muss schon irgendwie absolut authentisch sein. Gemäß dem schönen Zitat von Gottfried Benn: „Das Gegenteil von Kunst ist gut gemeint.“ „Es hat sich allmählich herumgesprochen, dass der Gegensatz von Kunst nicht Natur ist, sondern gut gemeint.“ Zit. n. Gottfried Benn, „Roman des Phänotyp“, in: Dieter Wellershof (Hg.), „Gesammelte Werke in vier Bänden“, Bd. 2, Wiesbaden 1958, S. 152–204, hier S. 161 f. Und das ist wirklich tödlich. Es gibt eben sehr viel mittelmäßige Kunst und interessant ist eigentlich nur die schlechte und die gute.
Bei diesen Großausstellungen wie den Skulptur-Projekten in Münster zeigen Sie nicht auch die ein oder andere Position der Vollständigkeit halber oder um etwas einfach einmal zur Diskussion zu stellen?
Das war bei der ersten Ausstellung der Skulpturen etwas aus der Notwendigkeit heraus entstanden und war die Idee des Manns, der sie erfunden hatte: Klaus Bußmann. Es war wichtig, über die Geschichte moderner Skulptur grundsätzlich erst einmal zu informieren, von Auguste Rodin bis Alexander Calder, mit Spitzenwerken für ein allgemeines großes Publikum, zu zeigen, wie sich etwas verändert. Das bedarf natürlich einer intellektuellen und auch einer handwerklichen, fokussierten Arbeit. Eine Ausstellung sollte sich als Medium, als Transmissionsriemen immer wieder selber auch artikulieren. Die kann auch danebenhauen, aber sie muss doch den Versuch unternehmen, den einzelnen Dingen gerecht zu werden und die Widersprüche aufzuzeigen. Also nicht zu illustrieren. Ich muss sagen, das Niveau von vielen Ausstellungen ist doch sehr, sehr bedauerlich.
Häufig sind diese Großausstellungen kommunal geförderte Projekte mit bestimmten Forderungen. In Kombination mit einem revolutionären Geist, wie Sie einer sind, scheinen die Konflikte vorprogrammiert. Wie gehen Sie damit um?
Dieser Konflikt ist immer da und der muss auch da sein, dafür muss man auch sensibilisieren. Die aktuelle Situation der Biennale von Venedig zeigt ja das Dilemma. Auf der einen Seite ist Okwui Enwezor stolz, 120 Künstler zu zeigen, von denen 90 so gut wie unbekannt sind, aber die bekannten wiederum müssen es dann rausreißen mit der Finanzierung durch die großen Galerien, die natürlich eine Plattform wie Venedig perfekt für das Geschäft gebrauchen können. Das ist fatal. Und genau in diese Abhängigkeit ist der Betrieb geraten. Aber wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Mit Okwui Enwezor hatte ich diesbezüglich ein offenes öffentliches Gespräch. „KunstBewusst. Ist Westkunst Weltkunst?“, Okwui Enwezor und Kasper König im Gespräch, 01.12.2015, Museum Ludwig, Köln.
Heiner Friedrich hat mit seinen Projekten die dauerhafte Präsentation der Kunst der 60er- und 70er-Jahre angestrebt und auch realisiert, hat also auch die Ortsspezifizität zum Thema gemacht.
Ja, aber wenn man das stilisiert und zu einem Pantheon erklärt, dann kann es genau das Gegenteil von dem bewirken, was initiiert war. „Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche“ (F. W. Bernstein) lautet ein Satz der neuen Frankfurter Schule. Da fehlt mir oft die Selbstreflexion und der Humor, man sollte sich nicht zu sehr in einer Pathosformel wichtig nehmen.
Sie meinen jetzt Heiner Friedrich ganz speziell?
Überhaupt, diese Attitüde, die Welt beglücken zu wollen. Ich glaube, man sollte ein bisschen vorsichtiger sein und nicht so angeberisch damit umgehen. Wenn Sie jetzt zum Beispiel bei der Dia Art Foundation sind, dann ist das sehr orthodox, dann ist das sozusagen Kreml- oder Vatikan-mäßig, dann ist eine bestimmte Richtung bedeutungsschwer, es interpretiert sich unentwegt. Wenn ein Museum sich selber museal stilisiert, geht einem das schwer auf den Wecker. Also, das Museum ist wichtiger denn je, weil es eben sehr viele komplexe Wahrnehmungen immer wieder ermöglicht. Warum hat mich das vor 30 Jahren interessiert? Warum interessiert mich das heute weniger? Was hat das mit mir selbst zu tun? Mit anderen, die ich gar nicht kenne? Wo ich gerne in Gemeinschaft anderer bin, ohne die aber kennenlernen zu müssen? Das Museum ist ein wichtiger Ort, um Dinge wahrzunehmen, um Qualitäten zu erspüren, Texturen. Sehr differenziert.
Ich bin ja nicht in einem Museum sozialisiert worden, aber ich bin ein großer Museumsliebhaber, und das schließt keine Museen aus, ich gehe sehr viel in Museen, kenne Museen in der ganzen Welt und bin auch immer gerne dort. Es hat auch fast eine erotische Spannung, etwas zu erleben, was man kennt, und wie die Leute gucken … das ist auch ein gewisser voyeuristischer Moment, was interessant ist, aber nicht auf Kosten anderer.
Mein Interesse an alter Kunst wird immer größer, je älter ich werde, und da merke ich, dass sich alles auf die zeitgenössische Kunst verlagert. Sehr viele Studenten sind irgendwie sehr informiert in einem bestimmten Bereich, aber schon mit dem Anfang der Moderne bricht es ab.
War das damals anders?
Für mich ist es genau umgekehrt. Das Interesse wird immer mehr. Deswegen war das eine wunderbare Herausforderung, so prekär es auch war, in St. Petersburg die „Manifesta 10“ zu machen. Kasper König war Kurator der „Manifesta 10“ in St. Petersburg, die vom 28. Juni bis 31. Oktober 2014 stattfand. Ich glaube, dass gute Künstler eigentlich erstaunlich gut wissen, was los ist. Und sehr genau hingucken. Die machen auch einen riesen Fehler, wenn sie etwas machen, was es schon gab und viel besser gab. Wenn sie dann auf diesen Umstand hingewiesen werden, kann das oft zu großen Komplikationen führen, zu Unproduktivität und so weiter.
Ich würde behaupten, Konrad Klapheck kannte Sachen …
Na ja, Konrad Klapheck ist ein Sonderfall. Das ist ja eine komische Mischung aus neusachlicher und privater Obsession. Der ist ein wunderbarer Künstler, ich bin dankbar, dass ich ihn kennengelernt habe. Aber dann ist es wiederum interessant, dass ich über ihn seinen damaligen Professor, Bruno Goller, zu schätzen gelernt habe, der ja auch der Lehrer von Blinky Palermo war.
In der Ausstellung „Westkunst“ 1981 gab es zwei Teile. Den mit den Werken bis 1970 haben Sie gemacht und dann gab es den zeitgenössischen Teil.
Der ursprüngliche Plan war, dass alle, die in der „Westkunst“ vertreten sind – auch die jüngeren Künstlerinnen und Künstler –, in einer Halle gezeigt werden sollten. Das war dann aber nicht mehr möglich. Dadurch ist der „Heute“-Teil, der ja ein gewisser Kompromiss war, entstanden. Da wäre es möglich gewesen, dass man Willem de Kooning neben Sarah Sze gezeigt hätte – wie es später bei „von hier aus“ dann Realität wurde, wo es scheinbar zufällig sehr durchgewürfelt war. Eine Halle, linear von 39 bis Ende 70, eine zweite Halle mit lebenden Künstlern von drei Generationen mit aktuellen Positionen wie Philip Guston. Das wäre so ein Zeitschnitt gewesen, Kunst, die nicht älter ist als zwei oder drei Jahre. Von Maria Lassnig auf der einen Seite oder de Kooning mit Werken aus den 40er-Jahren und von Anfang der 50er-Jahre oder jemand, der als Lyrischer Abstrakter und dann plötzlich wieder mit einer figurativen Arbeit vertreten gewesen wäre. Das war aber dann räumlich und finanziell nicht möglich.
Sollte bei der Ausstellung nicht anfänglich die zeitgenössische Kunst im Zentrum stehen?
Es ging eher darum, die zweite Moderne zu definieren. Die erste Moderne ist historisch in Amerika durch das Museum of Modern Art und durch den Zweiten Weltkrieg in der Nazizeit definiert worden. Hier ging es quasi darum, dass am Ende alle avantgardistischen Strömungen vertreten waren – mit dem Kriegsbeginn 39 wurden auch Ost und West für Europa definiert, was ja kein geografischer Begriff ist, sondern ein politischer. Denn Prag oder Budapest waren Europa. Nicht aus deutscher, sondern aus westlicher Perspektive.
Das war das Konzept, das Sie mit Laszlo Glozer erarbeitet haben?
Ja, Glozer war „the brain“, der Intellektuelle, der der ganzen Sache die Schärfe gegeben hat. Der ist aber in seinem großartigen Text über 39 nicht wirklich hinausgekommen und dann haben wir den mit Quellentexten gefüllt. Der Katalog sollte ursprünglich so etwas wie die Fortsetzung oder Ablösung von Werner Haftmanns „20. Jahrhundert“ Werner Haftmann, „Malerei im 20. Jahrhundert“, München 1954. werden. Es ist nach wie vor ein brauchbarer Katalog. Laszlo Glozer, „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“, Ausst.-Kat. Museen der Stadt Köln in den Rheinhallen, Köln 1981.
Rudolf Zwirner hat Sie damals für die Ausstellung empfohlen?
Ja, also der Mann, der mich gefragt hat, war der Kulturdezernent Dr. Kurt Hackenberg.
Zwirners Interesse war es, mit der Ausstellung die zeitgenössische Kunst am Standort, also in Köln, zu fördern. Das sah er natürlich in der Schau mit Werken, die zwischen 1939 und 1970 entstanden waren, nicht umgesetzt.
Ja, ja. Da gab es große Verwerfungen und das war aber gut. Du kannst eine historische Bestandsaufnahme nicht bis in die Gegenwart heranbringen. Dann hast du überhaupt keine Distanz und würdest die zeitgeschichtliche Position ohne jegliche Distanz auf das übertragen, was wir selber gar nicht erlebt haben, die Exilzeit und die 40er-Jahre. Nachkriegszeit, Kalter Krieg und so. Wir haben ja jede politische, illustrative Sache vermieden. Ich weiß noch, wie der Bürgermeister bei der Pressekonferenz zu mir kam und sagte: „Kasper, da habt ihr ja voll Scheiße gebaut!“ Da habe ich geantwortet: „Herr Oberbürgermeister, ich bin kein Sozialdemokrat.“ Der Klaus Staeck Klaus Staeck (* 1938 Pulsnitz) ist gelernter Grafikdesigner und Jurist. In seinen künstlerischen Arbeiten beschäftigt er sich insbesondere mit der politischen Karikatur. 1965 gründete er den Verlag Edition Tangente, aus dem 1972 die Edition Staeck hervorging. Neben eigenen Arbeiten verlegt Staeck dort auch Editionen anderer Künstler, unter anderen von Thomas Bayrle, Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Hanne Darboven, A.R. Penck und Sigmar Polke. Von 2006 bis 2015 leitete Staeck als Präsident die Akademie der Künste in Berlin. hatte dem sozusagen gesagt: „Aufsatz: Thema verfehlt!“
Hat Staeck das gesagt?
Ja. Der Staeck hat sozusagen die Karte der aktuellen Gegenwart gespielt, um sich bei seinen Künstlerkollegen beliebt zu machen, das war völlig in Ordnung und auch nicht hinterfotzig gemeint. Ich war ja auch zwei- oder dreimal Kandidat für die documenta. Das war interessant, da fiel ich zwischen die Kriterien der sozialdemokratischen, aufgeklärten Leute, die eigentlich Kunst mehr als Illustration von gesellschaftlichen Dingen sehen, und den hartgesottenen L’art-pour-l’art-Vertretern wie die Michael-Werner/Rudi-Fuchs-Fraktion, deren Haltung mich eigentlich mehr beschäftigt. Das ist etwas, das mich immer noch bewegt. Ich bin auch ein guter Verlierer, weil ich dadurch immer noch mehr Ideen gewinne.
Wie im Fall der „von hier aus“-Ausstellung, als Harald Szeemann abgetreten ist?
Er wollte nicht mehr und das war verrückt. Da war ich gerade an die Akademie in Düsseldorf berufen worden, wo ich gar nicht unbedingt hinwollte und wohin mich eigentlich mehr die Umstände gebracht hatten. Meine Frau hatte gesagt: „Du bist arbeitslos“, und ich: „Na ja, komm, was heißt arbeitslos? Wir haben eine gute Wohnung, wir saufen guten Wein, wir fahren in die Ferien, also bitte, was gibt’s da?“ Und dann habe ich mich eben doch beworben, obwohl diese Stelle auf den Karl Ruhrberg ausgeschrieben war. Das war eine Professur auf Lebenszeit und ich habe gesagt: „Nein, solch einen neuen Lehrstuhl, Kunst und Öffentlichkeit, darf man nicht länger als für fünf Jahre ausschreiben. Danach muss man sehen, ob es überhaupt Sinn macht.“ Damit waren natürlich fünf Kandidaten und der Auserwählte aus dem Rennen, denn die waren nur scharf auf eine C4-Professur, lebenslänglich. Damit war die Stimmung schon im Eimer, weil ich das unterlaufen hatte. Und dann habe ich noch eine Vorlesung gemacht, eine richtige Kampfvorlesung, ich hatte ja nichts zu verlieren. Ich bin dann akzeptiert worden, unter der Bedingung, an keiner Sitzung teilnehmen zu dürfen, was natürlich das Beste ist, dann hast du mit dem ganzen bürokratischen Scheiß nichts zu tun. Da war ich dann auf der Seite derer, die künstlerisches Lehramt machten, wie Fritz Schwegler und Erwin Heerich. Ich gehörte plötzlich zu denen, das war eine gute Zeit.
Und dann hatte ich eben ein Angebot von der Städelschule in Frankfurt und bin da mit fliegenden Fahnen hingegangen. Die Stadt hat mich immer interessiert, aber ich musste professionell sein und sagen: „Ja, ich überleg’ mir das, ich komme mal vorbei.“
Sie waren sehr früh auch in England und in den USA.
Als ich in New York lebte, wollte ich mit Deutschland so wenig zu tun haben wie möglich. Ich habe mir wohl jeden Dienstag den „Spiegel“ gekauft und bin in die Sauna gegangen, Lower Eastside oder so, eine russische Sauna. Und ich habe sehr viele Filme gesehen, ich habe fast alle Fassbinder-Filme gesehen und alle Werner-Herzog-Filme. Das war natürlich eine Enklave, das war in New York möglich. Sonst hatte ich mit Deutschland eigentlich so gut wie gar nichts zu tun, obwohl das nicht so pauschal war, wie es sich anhört.
Und mit der deutschen Kunst?
Im Nachhinein sind Hanne Darboven, die ich in New York kennenlernte, wie auch Hans Haacke, Franz Erhard Walther, Blinky Palermo mit das Beste.
Und als Sie zurückgekommen sind?
Das Einzige, was mich echt störte, was mich nervte, war dieser bleierne Feiertag Sonntag, alles war geschlossen, man konnte nicht einmal in ein Café gehen und die Leute glotzten immer und guckten alle durchs Schaufenster. Das war für mich hart. Kaffee und Kuchen! Das Ritual mag ich inzwischen aber auch.
Kaffee und Kuchen gab es schon bei Alfred Schmela in der Galerie. Da waren Sie auch schon dabei, oder?
Das habe ich mitgekriegt, da war ich aber nicht dabei. Nein, ich habe mich eigentlich immer irgendwie ferngehalten, ich wollte nie Teil eines Rudels sein.
Und im Möbelhaus Berges? Unter dem Titel „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“ zeigten Konrad Lueg und Gerhard Richter vom 11. bis 25. Oktober 1963 im Düsseldorfer Möbelhaus Berges eine selbst organisierte Schau. Neben ihren Bildern stellten sie auch sich selbst als Teil der Installation aus.
Möbelhaus Berges, die Manifestation des Kapitalistischen Realismus von Lueg und Richter, habe ich mitgekriegt. Da habe ich doch sogar den Kennedy aus Pappmaschee gehabt, im Stil von Schwellköppen für den Karnevalstag. Ich hatte damals bei einer spießigen Wirtin ein Zimmer in Köln und musste die Figur dann entfernen, weil die keinen toten Kennedy in ihrer Wohnung wollte und auch nicht in meinem möblierten Zimmer.
Und dann haben Sie Kennedy …
… im Zug nach Münster mitgenommen. Da war die Empörung groß. Das waren gute Figuren, da gab es den Schmela und den Kennedy.
Und den Schmela haben Sie an Wolfgang Hahn Wolfgang Hahn (1924 Euskirchen – 1987 Köln) war ein deutscher Kunstsammler und Restaurator, der ab 1950 am Wallraf-Richartz-Museum und später am Museum Ludwig in Köln tätig war. Ab Anfang der 1960er-Jahre baute Hahn eine umfassende Sammlung europäischer und amerikanischer Nachkriegskunst auf. Zu den wichtigsten künstlerischen Positionen seiner Sammlung gehören Joseph Beuys, John Cage, Christo, Claes Oldenburg, Yoko Ono, Nam June Paik, Daniel Spoerri, Franz Erhard Walther, Andy Warhol und Lawrence Weiner. 1978 verkaufte Hahn einen Großteil seiner Sammlung an die Republik Österreich, wo sie als Grundstein für die späteren Sammlungsschwerpunkte in die Bestände des heutigen Museums Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (mumok) überging. vermittelt?
Ja. Mit dem Hahn hatte ich einen guten Kontakt. Das ist sehr schade, dass die exzellente Sammlung Hahn nicht in Köln geblieben ist, der war ja das Urgestein für Peter Ludwig. Das war sozusagen die Urform.