Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

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Bruno Brunnet

Bruno Brunnet

Bruno  Brunnet
Foto © Albrecht Fuchs

Bruno Brunnet

Berlin, 10. Juni 2008

Eva Mongi-Vollmer: Den Einstieg in den Kunsthandel haben Sie in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre über die Galerie Michael Werner Michael Werner (* 1939 Nauen) ist ein deutscher Galerist. Ab 1960 arbeitete er in der Galerie Rudolf Springer in Berlin. 1963 eröffnete er mit Benjamin Katz am Kurfürstendamm die Galerie Werner & Katz und führte ab 1964 seine eigene Galerie in einer ehemaligen Kohlenhandlung. 1968 zog Werner nach Köln und übernahm dort die Galerie Hake, die er ab Oktober 1969 unter seinem Namen weiterführte. In den 70er- und 80er-Jahren vertrat die Galerie Michael Werner unter anderen die Künstler Georg Baselitz, Antonius Höckelmann, Jörg Immendorff, Anselm Kiefer, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A.R. Penck. Heute ist die Galerie auch in Berlin, London und New York vertreten. 2011 wurde Werner mit dem Preis der Art Cologne ausgezeichnet. in Köln gefunden. Begonnen haben Sie dort als Archivar. Was genau waren damals Ihre Aufgaben?

Bruno Brunnet: Der erste Schritt war, das Kunstwerk anzulegen. Das heißt, es hat eine Inventarnummer bekommen. Der zweite Schritt war, auf das zugehörige Ektachrom einen Aufkleber mit Inventarnummer, Namen des Künstlers, Titel, Technik und Größe zu kleben. Es kam dann in eine Dateikarte, und dort wurde jede Bewegung des Bilds vermerkt. Damals lief das noch nicht mit Computern, sondern mit Karteikarten und farbigen Registern: „befindet sich in Ausstellung“, „ist reserviert“, „ist nur bedingt verfügbar“ und so weiter. Wie ich dazu kam, ist eine lustige Geschichte: Die damalige Galerieleiterin, Anne Blümel, hatte mich gefragt, ob ich Lust hätte, in der Galerie zu arbeiten. Zum Vorstellungstermin für die Assistentenstelle wurde ich zur Geschäftsleitung bestellt. Das Gespräch hat Werner nach 20 Minuten abgebrochen und gesagt: „Das gibt nur Trouble, das lassen wir mal.“ Seine Schwester war zu jener Zeit die Archivarin. Und ausgerechnet an diesem Nachmittag haben sich Werner und seine Schwester furchtbar in die Wolle gekriegt, sodass die Stelle des Archivars vakant wurde. Sie riefen mich an und sagten, als Assistent der Geschäftsleitung käme ich nicht infrage, aber wenn ich Lust hätte, könne ich die Stelle des Archivars bekommen. Und ich dachte mir: „Ist doch scheißegal. Dann bist du in dem Laden drin, siehst, was die Leutchen machen, wohin das Kunstwerk verkauft und wo es ausgestellt wird.“ Mir war es völlig wurscht, welchen Titel ich hatte.

Heute sind Sie dafür bekannt, dass Sie für Ihre Künstler die Dokumentation sehr ausführlich und gründlich, quasi noch in der Entstehungsphase des Werks führen. Ist das eine Folge Ihrer Tätigkeit als Archivar?

Hundertprozentig. Weil ich einfach auch gemerkt habe, wie sicher einen das macht. Es gab Künstler der Galerie, die mich nie im Archiv besucht haben. Und es gab andere, die als Erstes ins Archiv gingen, die sagten: „Bruno, zeig mal, was die Kollegen in den letzten Monaten so fabriziert haben. Leg doch mal auf den Tisch, lass uns das mal anschauen!“ Und was meine eigene Tätigkeit heute anbelangt, so weiß ich einfach, dass bei den Künstlern, die man exklusiv hat, die Inventarnummer auch die Werkverzeichnisnummer ist. Ich haue einen dicken, fetten Stempel hinten auf die Bilder drauf, meistens auf den Keilrahmen und die Leinwand. In letzter Zeit tauchen ja immer mehr Werke unserer Leute in Auktionen auf, und die Auktionshäuser schreiben entsprechend in ihren Katalogen: mit Inventarnummer und Stempel von Contemporary Fine Arts. Genau darum ging es jahrelang. Man muss die Leute einfach dazu quälen – auch mit einem dicken Filzstift – und den Jungs in den Arsch treten, wenn sie es nicht machen. So behält man die Kontrolle darüber. Und wenn der Stempel nicht drauf ist? Und wenn die Inventarnummer nicht mit Filzstift drauf steht? Und wenn gar nichts drauf ist? Na, was ist dann? Dann ist es auch meistens nicht von mir fotografiert. Vielleicht ist es aber auch nicht vom Künstler gemalt? Dann werde ich erst mal stutzig.

Die Dokumentation erfolgt also sowohl für den Künstler als auch für den Markt?

Absolut, das muss ja alles hundertprozentig transparent bleiben. Alle haben Schwester, Bruder, Mama, Opa, Tante, Onkel, und die Künstler können von mir aus verschenken, was sie wollen, oder von mir aus auch aus dem Atelier verkaufen – wobei das eher schwierig ist, da steh ich nicht so drauf –, aber wir haben die Verabredung, dass all das, was den Laden verlässt, fotografiert wird. Und zwar dreimal. Für ihn, für mich und für den Kunden. Und wenn wir uns irgendwann in die Wolle kriegen, was ja sein kann, dann sage ich einfach: „Hey, take it easy. Hier ist dein Scheiß, das behalte ich. Das hast du bezahlt, das gehört dir, kannst du haben. Bitte.“ Mit dem ganzen Computerausdruck dazu. Denn unsere Künstler wissen, wer ihr Zeug gekauft hat. Einschließlich Adresse. Wir halten das alles komplett transparent.

Wie würden Sie Ihre Aufgabe als Galerist gegenüber dem Künstler beschreiben?

In erster Linie bin ich immer ein Dienstleister. Ich mache das jetzt seit mehr als 20 Jahren. Seit 25 Jahren hänge ich mit Künstlern ab. Ich mache, wie viele andere Galeristen auch, öfter einmal den Fehler, die Leutchen zu unterschätzen.

Inwiefern?

Ich weiß nicht, warum, aber man unterschätzt sie ab und an. Die Feststellung mache ich auch bei Kollegen, auch bei den älteren. Ich habe nie den Anspruch gehabt, Künstler werden zu wollen – in meinem ganzen Leben nicht –, sondern ich habe mich immer als Mittler gesehen. Heute sehe ich mich auch gar nicht mehr so sehr als Mittler, das hat das Zeug gar nicht mehr nötig. An Blinde verkaufe ich ja ohnehin so gut wie nie. Die Leute, mit denen ich arbeite, sind Profis und die erwarten von mir auch eine professionelle Handhabung des Ganzen. Sie wollen sich vor allem auf ihre Sachen konzentrieren, und das muss ich heute einfach gewährleisten. Das heißt, das ist ein großes Logistikunternehmen geworden, ein Dienstleister. Ein Dienstleister für den Sammler, ein Dienstleister für das Museum, aber in erster Linie ein Dienstleister für die Künstler. Und das ist ein umfassendes Angebot. Das geht von der Ateliersuche über die Einrichtung des Ateliers bis zum Auto, zur Waschmaschine, Keilrahmenbestellung, zur Bestellung und Lieferung der Farben, zum Aufspannen und Fotografieren. Man muss dafür sorgen, dass Getränke da sind, und wenn ein Fahrer gebraucht wird, muss man einen Fahrer besorgen. Wir sind heute an einem Punkt angelangt, wo die Galerie auch bestimmte Sachen an Privatassistenten abgibt, denn ich habe keine Lust, jeden Flug zu buchen. Wir geben die Generallinie vor. Wenn man heute zu Tal R nach Dänemark reist, fährt eine Spedition mit einem Sattelschlepper hin, und von uns fliegen noch mal drei oder fünf Leutchen mit, nur um alles vernünftig einzupacken und zu registrieren. Das Zeug kostet ja heute Geld. Das können wir nicht mehr einfach in Lupo einschlagen! Und deshalb muss es dementsprechend behandelt werden. Jede Skulptur, jeder Sockel hat eine Kiste. Was heißt das? Die muss auf- und zugeschraubt und eingepackt werden. Das kostet Zeit. Und da stehen halt fünf Leute mit dem Akkuschrauber. Das ist heute ein Großteil der Arbeit. Natürlich hat man auch Ideen, aber ich bin nicht mehr derjenige, der damit wahnsinnig hausieren geht. Das ist Zeitverschwendung, für mich und für die Künstler. Ich habe auch gar keine Lust, ewig Strategiespielchen zu spielen, vielleicht irgendwann einmal wieder, aber das bringt nicht viel.

Es klingt so, als wären Sie sehr nah am Künstler dran.

Na klar sind wir da nah dran. Aber wir sind heute nicht mehr so nah dran, wie wir das vielleicht noch vor zehn Jahren waren, als wir noch keine Kinder hatten. Das Leben hat sich verändert. Vor drei Jahren habe ich noch mit meiner Frau und den Kindern in Berlin-Mitte über der Galerie gewohnt. Das haben wir zehn Jahre lang gemacht. Und was heißt das, wenn man über der Galerie wohnt? Um sechs ist Feierabend, dann kommt irgendwer mit hoch und sitzt mit am Küchentisch. Es wird gegessen und geredet und getrunken und geraucht. Dann bringst du irgendwann die Kinder ins Bett, gehst wieder zurück an den Küchentisch, und es gibt wieder eine Flasche Wein – so war das. Dadurch behält man auch den Kontakt. Heute ist das ein bisschen anders. Heute wohnen wir hier draußen, und es sind Kinder im Spiel, Ehefrauen, dadurch verändert sich das Leben. Wir sind keine 25, 30 oder 35 mehr.

Ich habe gelesen, dass Sie, als Sie dieses Haus erworben haben, auch Ihre Künstler gefragt haben, ob sie sich hier wohlfühlen. Das klingt doch sehr nach Großfamilie.

Nein, keine Großfamilie. Man muss ja immer sehen, dass es auch deren Geld ist, mit dem wir das hier bezahlen. Ich habe weder etwas geerbt noch irgendwelche Geschenke bekommen – all das, was wir hier sehen, ist mit Kunsthandel verdient worden. Ich habe alle Zeiten durchgemacht. Solche Sachen mache ich nicht ohne die Leute. Was nützt mir das, wenn die sagen: „Der ist ein komplett abgefuckter Typ, kauft der sich da so eine Scheißhütte.“ Das brauche ich nicht. Künstler sind keine loyalen Menschen, das ist in ihrem Wesen drin. Wenn sie loyal wären, wären sie Trottel. Der Künstler hat nur ein Leben, nicht fünf oder acht wie ein Hund oder keine Ahnung was. Er muss in diesem Leben alles erreichen, was er kann. Dafür ist er skrupellos. Das verlange ich auch von ihm, weil er sonst kein guter Künstler ist. Die Loyalität hält, solange wir beide in diesem Spannungsfeld der – mir fällt kein besseres Wort ein – der „Avantgarde“ sind. „Avantgarde“ verstehe ich als Begriff aus dem Militär: immer an der Front. Wo kann man durchbrechen? Wo ist unsere Schneise? Wo können wir zuschlagen. Und das macht er oder sie auf ihre Weise im Studio, und ich mache das mit meiner Truppe in der Galerie. Und dafür haben wir auch die neuen Galerieräume hier in Berlin gegenüber der Museumsinsel. Als ich die Künstler das erste Mal dorthin geführt habe, wusste ich: Das war die richtige Entscheidung. Denn da fällt denen nichts anderes ein, als „Uff“ zu sagen, „Wow“. Das hält die Truppe auch zusammen.

Gibt es eine Loyalität unter den Künstlern? Oder wodurch definiert sich Ihre „Truppe“, wenn es keine Loyalität gibt?

Ein paar Leutchen haben zusammen angefangen, sind ungefähr gleich alt – das ist eine alte Geschichte. Diese ganze Gruppensache ist wie bei den Rolling Stones: Die reden wahrscheinlich auch das ganze Jahr nicht miteinander. Wenn sie auf die Bühne gehen, kommen sie aus vier Richtungen, die Kamera geht an, die Musik geht los und dann tun sie so, als ob es nie anders gewesen wäre. Das ist auch okay. Aber bei so hochgradigen Individualisten wie Künstlern? Vergessen Sie es! Je erfolgreicher sie werden, desto einsamer werden sie auch. Auf irgendeiner Party oder nach irgendeinem Essen sitzen wir mal zusammen, aber eine Loyalität gegenüber der Galerie oder gegenüber den Künstlerkollegen ist bei denen, die ich kenne, äußerst beschränkt.

Und wie würden Sie das im Rückblick in der Galerie Werner beschreiben?

Das war nie anders.

Es gibt die sogenannten „Werner-Künstler“, angefangen von A.R. Penck über Georg Baselitz, Jörg Immendorff bis Markus Lüpertz und so weiter. Würden Sie sagen, das war einmal eine Gruppe?

Ja, aber das hat auch nur einen Sommer gehalten. Das ist einfach gut inszeniert worden. Benjamin Katz haben Sie noch vergessen, der das immer schön fotografiert hat. Aber wie soll das gehen? Wenn Baselitz im Guggenheim in New York und Lüpertz in Augsburg im Kunstverein ausstellt, dann hat man ein Problem.

Daraus wurde ja auch ein Problem.

So ist es. Das kann man schönreden, wie man will. Wenn Penck im Guggenheim ausstellt, Baselitz im MoMA, Kirkeby im Metropolitan und James Lee Byars in der Flick Collection, dann hat man wahrscheinlich kein Problem, weil sich alle auf einem Level bewegen. Doch auch dann hat man ein Problem, weil es einfach kalter Kaffee ist. Auch Pablo Picasso und Georges Braque haben die letzten Jahre nicht mehr miteinander geredet. Wozu auch? Es gab nichts mehr zu reden. Das Gleiche gilt für Paul Gauguin und Vincent van Gogh. Sigmar Polke und Gerhard Richter haben sich wahrscheinlich seit 30 Jahren nicht viel mehr als „Guten Tag“ zugewinkt. Da gibt es keine Auseinandersetzung. Kiefer und Baselitz haben vermutlich das letzte Mal vor zehn Jahren telefoniert. Baselitz gratuliert Kiefer möglicherweise via Medien zu seinem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, Am 19. Oktober 2008 wurde Anselm Kiefer (* 1945 Donaueschingen) der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. aber er schickt ihm bestimmt keine Postkarte oder ruft ihn an.

Dass es heute nicht mehr so ist, das ist klar. Aber in den 60er-, 70er-Jahren mag es doch einmal anders gewesen sein.

Wenn man am Anfang steht und alle erfolglos sind, funktioniert das. Da hat es bei Braque und Picasso und bei Gauguin und van Gogh auch geklappt. Wenn alle nichts haben – so fängt jede Künstlertruppe an –, ist man Kumpel. Das Problem besteht darin: Da sitzen fünf am Tisch, das sind die besten Kumpels. Die Truppe heißt einmal „Werner“, einmal heißt sie „Fauvisten“, einmal heißt sie „Brücke“. Und dann kommt irgend so ein Typ, einer wie ich, guckt sich alle fünf an und denkt: „Der eine ist mir ein bisschen auf den Keks gegangen. Also am besten hat mir der da in der Mitte gefallen.“ Damals gab es noch kein Telefon, da wurde eine Postkarte oder ein Brief geschrieben. Oder man wurde angesprochen. Und dann holt man vielleicht auch noch etwas aus der Tasche, legt es auf den Tisch und sagt: „Dir kaufe ich das Bild ab.“ Das ist der Anfang vom Ende der Truppe.

Einer wird durch Erfolg herausgelöst.

Ja. Ob das bei uns ist oder in Amerika, es ist einfach so. Solange es diesen Betrieb so gibt, wie er funktioniert – also mit Salonmalerei und ohne Auftragskunst –, solange gibt es das Problem. Albrecht Dürer war vor 500 Jahren ein superschlaues Marketinggenie. Er hat von seinen Kollegen geklaut. Er besaß genauso wenig Loyalität. Wahrscheinlich wird er irgendjemanden gefördert haben, der das schön in seinem Stil machte und ihm nicht großartig auf die Nerven ging. Aber einen richtigen Rivalen? Da ist doch keine Kommunikation möglich. Genauso wenig wie Fußballspieler groß miteinander kommunizieren, wenn sie Superstars sind. Oder Rockmusiker. Oder Filmstars. Das ist doch alles Quatsch.

Haben Sie in den 80er-Jahren die Entstehung der Hefte „Krater und Wolke“ Unter dem Titel „Krater und Wolke“ brachte die Galerie Michael Werner zwischen 1982 und 1990 sechs als Editionen konzipierte Hefte heraus, die unter anderem grafische Arbeiten von Georg Baselitz, Jörg Immendorff, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A.R. Penck enthielten. , die von Michael Werner herausgegeben worden sind, verfolgt?

Das war eine Idee von Penck. Zumindest die beiden Hefte, deren Entstehen ich mitverfolgt habe. Das war damals eine viel kleinere Gruppe von Leuten. Sie müssen sich vorstellen: Hier ist die Galerie Michael Werner, man geht über den Platz, und da ist die Buchhandlung König. Dann gibt es dieses Ritual: Morgens um elf bis nachmittags um fünf schleichen unter der Woche die Künstler herum und gehen Kaffee trinken. Damals gab es noch das Café Broadway, das Café von Martin Kippenberger, Walter Dahn und Michael Krebber. Dann gingen sie rüber in die Buchhandlung König und schauten sich das „Krater und Wolke“-Heft an. Davon wurden 1.000 Exemplare gedruckt und 250 davon gingen an Abonnenten, die das einfach so im Umfeld der Galerie gekauft haben. Diese Art zu denken gibt es heute nicht mehr. Ich weiß gar nicht, woran das liegt. Ich wollte ja mit Werner die Zeitschrift „Krater und Wolke“ noch einmal mit einer jüngeren Künstlergeneration machen.

Mit wem hätten Sie das gerne gemacht?

Mit Daniel Richter, Jonathan Meese, Tal R, Peter Doig, Chris Ofili, Albert Oehlen – mit meiner Truppe eben. Mit Cecily Brown, Raymond Pettibon. Aber das kann man vergessen. Das geht mit der heutigen Kommunikation nicht, dass man transatlantisch sagt: „Du kannst ja eine E-Mail schicken.“ Gerade dadurch fehlt die Konzentrationsfähigkeit. Dieses Wir-Gefühl ist heute bei den Künstlern nicht mehr da. Meine Güte, wir reden von den 60er-, 70er-Jahren! Das war Underground. Heute sind wir fucking Mainstream. Heute sind wir eine Industrie. Und jeder, der irgendetwas anderes behauptet, erzählt Stuss. Schauen Sie sich doch an, wer alles auf die Plakate des Städel Museums in Frankfurt drängt, welche Logos da drauf sind. Die Feste und Empfänge, die man da macht. Das ist Industrie geworden, und genauso verhalten sich auch die Teilnehmer. In gewisser Weise sind die Künstler heute auch schon wie Manager eines DAX-Unternehmens, die quasi alle drei Monate einem neuen Rating unterliegen. Alle Kleinunternehmer. Die meisten verdienen selbst nicht unbedingt etwas daran, aber sie sehen, dass ihre Arbeiten für Millionen in den Auktionen über den Tisch gehen. Das verändert ihr Leben. So sicher wie das Amen in der Kirche.

Apropos Leben verändern: Als Sie bei Werner in der Galerie arbeiteten, begann er, in Amerika tätig zu werden. Glauben Sie, dass seine Tätigkeit dort für die Aufmerksamkeit, die man den deutschen Künstlern in Amerika entgegenbrachte, grundlegend war?

Ich habe das nur im Endstadium miterlebt. Die Geschichte fängt eigentlich 1979 an, als Beuys die Ausstellung im Guggenheim hatte. „Joseph Beuys“, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 02. November 1979 – 02. Januar 1980. Das muss man sich alles einmal zu Gemüte führen: Auf der Upper East Side hat ein deutscher Künstler 34 Jahre nach Auschwitz wieder eine Ausstellung. Und der war auch noch Stuka-Pilot und Frontkämpfer. Joseph Beuys (1921 Krefeld – 1986 Düsseldorf) wurde ab 1940 in Posen zum Bordfunker ausgebildet. Zwischen 1941 und 1943 folgte unter anderem eine Weiterbildung zum Fliegerschützen in Foggia. Ab Dezember 1943 diente Beuys auf der Krim im Süden Russlands. Er konstatierte 1961: „[D]er allgemeine Ausdruck Sturzkampfflieger [ist] angebracht, da ich alle Sparten der Waffengattung durchgemacht habe; Funker ist falsch.“ Zit. n. Heiner Stachelhaus, „Joseph Beuys“, Düsseldorf 1988, S. 24. Zu den unterschiedlichen Darstellungen der Kriegseinsätze in der Beuys-Literatur siehe: Hans-Peter Riegel, „Beuys. Die Biographie“, Berlin 2013, S. 47–81; Götz Adriani/Winfried Konnertz/Karin Thomas, „Joseph Beuys. Leben und Werk“, Köln 1986 (3. Auflage), S. 22–26, und Stachelhaus 1988 (wie oben), S. 21–29. Da haben Leute, die nie wieder ein deutsches Wort hören wollten, innegehalten und wieder etwas zugelassen. Das war bis dahin gar nicht möglich. Ein halbes, dreiviertel Jahr später gab es die Punks in Italien, Deutschland und Amerika: Helmut Middendorf, Salomé, Rainer Fetting, Sandro Chia, Francesco Clemente, Enzo Cucchi, Julian Schnabel, David Salle, Keith Haring. Sie haben auf einmal, im Frühjahr 1980, einen Riesenerfolg gehabt. Das ging bis zur „Zeitgeist“-Ausstellung „Zeitgeist. Internationale Kunstausstellung Berlin 1982“, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 16. Oktober 1982 – 16. Januar 1983. hier in Berlin. Bei dieser Gelegenheit hat Werner Mary Boone Mary Boone (* 1951 Erie, Pennsylvania) eröffnete 1977 eine Galerie im New Yorker Stadtteil SoHo. Mit Georg Baselitz, Jean-Michel Basquiat, David Salle und Julian Schnabel vertrat sie einige der international erfolgreichsten künstlerischen Positionen der 1980er-Jahre. kennengelernt, die zu der Zeit das hochtourigste Wesen des Kunstbetriebs war und die er dann geheiratet hat. Sie wollten damals richtig loslegen. Aber ob das wirklich so aufgegangen ist? Ich weiß es nicht. Ich habe da ehrlich gesagt große Zweifel. Baselitz ist früh zu Pace gegangen, weil er mit Mary Boone unzufrieden war. Penck hat mit Ileana Sonnabend ausgestellt. Wenn wir vom Erfolg in den Galerien ausgehen, dann waren es andere deutsche Künstler. Das war Anselm Kiefer. Das war auch bis zu einem gewissen Punkt Joseph Beuys, der dann 86 gestorben ist. Ich glaube, dass sich zum Beispiel die Akzeptanz von Baselitz in den USA erst in den letzten ein, zwei Jahren richtig durchgesetzt hat. Künstler wie Lüpertz und Penck, die gibt es in den USA eigentlich gar nicht. Es wurden immer Versuche unternommen, sie zu platzieren, aber es hat nicht funktioniert. Ich kann das nicht richtig beurteilen, aber irgendwann hat man einfach gemerkt, dass die Art von Mary Boone nicht funktionierte. Heute ist das eine nette Dame, aber damals war sie eine echte „80er-Jahre-Killerqueen“, die wahnsinnig oft den Ton nicht getroffen hat. Und irgendwann ist das einfach zu viel geworden, sodass die Leutchen gesagt haben: „Fuck you!“

Werner hat dann seine eigene Galerie in New York eröffnet, 1990 eröffnete Michael Werner eine Galerie an der New Yorker Upper East Side. ohne Mary Boone, obwohl sie privat noch zusammen waren. Er ist damit seinen eigenen Weg gegangen, hat zum Beispiel die klassische Moderne mit ins Spiel gebracht.

Ja, mit Wilhelm Lehmbruck und Hans Arp. Rudi Fuchs hat damals einen Vortrag gehalten. Das ist eine schöne kleine Galerie an der Upper East Side, und ich fand das alles gut. Am Anfang wurde der Krach in SoHo geschlagen, heute wird er in Chelsea geschlagen. Und die Uptown-Galerien? Da gibt es auch neue, aber was will man gegen so einen Platzhirsch wie Gagosian anfangen? Oder auch so einen deutschen Typen wie David Zwirner, David Zwirner (* 1964 Köln) eröffnete 1993 eine Galerie im New Yorker Stadtteil SoHo. Sein Programm umfasst hauptsächlich Künstler aus Europa und den USA, dazu gehören unter anderen Donald Judd, Isa Genzken, Jeff Koons, Sigmar Polke, Neo Rauch, Thomas Ruff und Richard Serra. Die Galerie ist mit Dependancen in Chelsea/New York und London vertreten. Zwirner zählt zu den einflussreichsten Galeristen seiner Zeit. Er ist der Sohn des deutschen Kunsthändlers Rudolf Zwirner. der völlig anders dasteht. Obwohl Zwirner seinen Lebtag noch keinen Künstler aufgebaut hat. Er hat eben immer ein gutes Gespür dafür gehabt, wenn es Zeit wird, einen Künstler ins Programm zu nehmen. Der Betrieb hat sich verändert. Vor 20 Jahren waren es weltweit 2.500 Marktteilnehmer, heute sind es 5.000 bis 7.500 – stetig wachsend. Die Geschwindigkeit des Informationsflusses und dieser Selbstdarstellung ist mörderisch. Deshalb kommen Projekte wie „Krater und Wolke“ auch nicht mehr zustande. Es ist ja so: Wenn man anfängt, das Handy abzustellen und den Stecker zu ziehen – wenn man so stark ist –, wird die eigene Welt sich schnell wieder verändern. Da kann man auch über solche Sachen nachdenken. Nur kenne ich wenige – mich selbst eingeschlossen –, die das machen.

Aber Sie bauen doch Künstler in Ihrer Galerie auf?

Hundertprozentig. Sagen wir mal so: Ich habe aufgebaut. Man baut keinen Künstler mehr auf, wenn man 50, 60 oder 70 Jahre alt ist. Dann kann man noch beraten. Aufbauarbeit leisten kann man in einer Zeit, wenn man ungefähr gleich alt ist. Wenn man die gleichen Interessen und in den Gesprächen ein Thema hat, das beide gleich interessiert und bei dem es wenig Ablenkung gibt. Wenn man 50 ist und Kinder hat, geht man nicht mehr abends bis in die Puppen in die Kneipe, trinkt, raucht und diskutiert. Das macht man zwischen 20 und 35, 40. Danach sind die meisten Leute ein bisschen fertig, weil das anstrengend ist.

Sie vertreten in Ihrer Galerie auch Künstler wie zum Beispiel Baselitz, der fast eine Generation älter ist als Sie. Das ist ein gemachter Mann. Sehen Sie da einen Konflikt?

Nein, da sehe ich keinen Konflikt. Baselitz ist bei uns dazugekommen. Werner und Baselitz haben sich irgendwann auseinandergelebt, damit habe ich nichts zu tun. Ich kannte Baselitz und bin mit ihm immer relativ gut zurechtgekommen. Aber ich habe ihn meinen Lebtag noch nicht angerufen. Auf solche Ideen komme ich gar nicht.

Das heißt, er ist auf Sie zugekommen?

Nein, das war reiner Zufall. Wir haben irgendwann einmal zusammengesessen, und aus einem Scherz heraus hat er eine Bemerkung gemacht, und dann habe ich gesagt: „Wenn du es ernst meinst, sind wir im Gespräch.“ Aus einem Witz ist dann irgendwann Ernst geworden. Er kannte die Truppe – ich nenne sie jetzt einfach mal so –, und sie hat ihn sofort eingemeindet. Baselitz hatte ja auch gesehen, was wir mit Immendorff in New York gemacht hatten. Wir konnten damals einfach die Berichterstattung über Martin Kippenberger nicht mehr hören. Was der auf einmal für Freunde hatte! Sie können ja mal seine Galeristin und seine Witwe fragen – die wundern sich, glaube ich, auch, wer alles sein Kumpel war! Und wer ihn ausgestellt hat! Ich meine, der Mann hatte zu seinen Lebzeiten eine Museumsausstellung bei Veit Loers in Mönchengladbach – zwei Wochen, bevor er gestorben ist. Und da wird er in Venedig verbraten und Gott weiß was. Ich war damals richtig angefressen. Von Albert Oehlen hat auch keiner mehr geredet. Dann kommt wieder diese alte Geschichte mit dem Café Broadway und der Buchhandlung König. Kippenberger hat ja öfter auch Michael-Werner-Imitationen gemacht. Aus dem Buch „Die Welt des Adlers“ hat er „Die Welt des Kanarienvogels“ Martin Kippenberger publizierte 1989 das Buch „Die Welt des Kanarienvogels“ mit 186 Offsetreproduktionen von Zeichnungen, eine Persiflage auf A.R. Pencks Buch „Welt des Adlers. 466 Zeichnungen“, das 1984 in Berlin erschienen war. gemacht. Ganz früher, als die Galerie Max Hetzler aus Stuttgart nach Köln gezogen ist, hat sie auch die Typografie der Galerie Werner für Kippenberger, Oehlen, Meuser, Günther Förg und so weiter abgekupfert. Das war schon eine bewusste Anlehnung an die Werner-Galerie.

Immendorff hat ihnen damals das Atelier zur Verfügung gestellt, dort haben sie die Aktion „Pisskrücke“ „Aktion Pisskrücke. Geheimdienst am Nächsten“, Hamburger Künstlerhaus, 09.–19. April 1980. An der Ausstellung beteiligt waren Ina Barfuss, Werner Büttner, Michael Deistler, Uwe Gabriel, Georg Herold, Klaus Hübner, Sven-Åke Johansson, Martin Kippenberger, Erinna König, Michael Krebber, Hilka Nordhausen, Albert Oehlen, Markus Oehlen, Brigitta Rohrbach und Thomas Wachweger. gemacht. Das muss man sich vorstellen! Jörg war einer mit Lederjacke, der gerade die Ringe abgelegt hatte, weil diagnostiziert worden war, dass mit seiner Hand irgendetwas nicht stimmte. Das war 2002. Dann habe ich das Telefon in die Hand genommen und habe Werner angerufen: „Michael, ich habe mit Nicole, meiner Frau, und mit den Künstlern geredet, wir hätten Interesse, eine Immendorff-Ausstellung zu machen. Was hältst du davon?“ Sagte er: „Ja, finde ich gut.“ – „Okay, dann mach du einen Termin bei Jörg.“ Und dann haben wir die Ausstellung gemacht. Eine Woche vorher war diese Geschichte in Düsseldorf in dem Hotelzimmer mit den Damen … – das war nicht so toll für uns, gar nicht. Nach ein paar Wochen war das aber vergessen. Wir haben damals auf der Frieze ein Sieben-Meter-Bild gezeigt, das wir gar nicht hängen konnten – das haben wir an die Wand gestellt. Wir hatten fantastische Sachen. Die Ausstellung bestand aus zwei Teilen: 60er- bis Ende 70er- und 80er-Jahre bis heute. Das hat funktioniert. Damit hat die ganze Rezeption von Immendorff innerhalb von ein paar Wochen und Monaten eine völlig neue Wende genommen. Vor allen Dingen ist das Zeug gekauft worden. Von null auf hundert. Das hat auf einmal einen Marktwert gehabt. Und das haben ein paar Leute mitbekommen, unter anderem auch Baselitz. Er hat gesehen, dass wir das Zeug verkaufen, dass wir es platzieren können. Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass er zu uns kam.

Als Jörg nach etwa 15 Jahren die Ringe abgelegt hat, ist ein ganz anderer Immendorff zum Vorschein gekommen. Zuvor war er der Gastronom, der bad boy. Jetzt war er hochkonzentriert an der Kunst dran, was sehr beeindruckend war. Dann hat die Krankheit ihn leider zur Strecke gebracht. Hätte er die Ringe 15 Jahre früher gar nicht erst angezogen – das ist eine reine Hypothese, aber ich denke, er hat das alles nur gemacht, weil dieser Kunstbetrieb keine Herausforderung für ihn war. Er hat mit 16 Jahren seine erste Ausstellung gehabt. „Jörg Immendorff“, New Orleans Club, Bonn, 1961. Hätte er sich die Ringe nie angezogen, hätte seine Karriere eine völlig andere werden können. Doch hinterher ist man immer schlauer. Heute versuche ich mit den Künstlern, mit denen wir eine sehr enge Verbindung, die wir exklusiv haben, die Generalrichtung einmal im Jahr zu besprechen. Wir brauchen ja anderthalb Jahre, um das Pensum überhaupt aufzuarbeiten. Wenn wir das halten können, sind wir gut dabei. Und das, was links und rechts am Weg liegt, kommt von alleine. Sie haben unsere Galerie gesehen; wir haben ein paar Künstler, die die Räume bespielen können. Man muss nicht den ganzen Tag wie ein hysterisches Huhn in der Gegend herumlaufen und suchen: Wen können wir noch dazunehmen? Es gibt nur einige wenige, die das können. Die können in Mumbai oder Madrid oder New York sein, aber die muss man nicht suchen. Die kommen irgendwann von alleine.

Das heißt, Sie haben den Zustand der Gelassenheit oder Sicherheit erreicht?

Sicherheit gibt es nicht. Man muss immer ein bisschen nachhelfen. Aber man kann ja auch wirklich mal cool bleiben. Jeder, der in unserer Galerie einmal ausgestellt hat, wird sich daran erinnern. Schauen Sie sich mal um, wo gibt es denn eine vergleichbare Bude? Da können Sie in New York die Upper East Side hoch- und runterlaufen. Ich würde nicht sagen, dass ich inhaltlich mithalten kann – bestimmt nicht, aber von der Hülle her habe ich eine Behauptung aufgestellt. Und jetzt arbeiten wir daran, das auch inhaltlich zu füllen. Natürlich reizt es mich, irgendwann einmal etwas mit den Nachbarn, das heißt mit der Museumsinsel, zusammen zu machen. Dash Snow aus New York, der jüngste Freak unserer Truppe, war mit 20 Arbeiten in der Babylon-Ausstellung im Pergamonmuseum vertreten. „Babylon – Mythos und Wahrheit“, Pergamonmuseum, Berlin, 26. Juni – 05. Oktober 2008. Das finde ich super. Da will ich hin. Dass die mir auch mal etwas leihen, was Sinn macht. Dash Snow hat wahrscheinlich zu früh zu viel Geld verdient, das war gar nicht gut für ihn. Das hätte alles viel langsamer gehen müssen – aber so ist es jetzt. Er war mächtig stolz, dass wir auf der Armory Show neben eine Zeichnung von Peter Doig zwei oder drei seiner Collagen gehängt haben. Das spornt die Künstler an. Scheiß auf Drogen. Das kann man alles vergessen: Denn entweder man hat Eier in der Hose und ist ein richtiger Kerl oder nicht, und dann ist es ohnehin wurscht. Baselitz hat immer auf Berlin geschimpft, aber als ich ihn von seinem Hotel abgeholt habe und mit ihm und seiner Frau Elke zu unserer Galerie gelaufen bin – seine Bilder konnte er durch die Galeriefenster schon von der Straße aus sehen, Bilder, die er vor über 40 Jahren in Berlin gemalt hatte –, da habe ich gemerkt, dass er sich emotional nicht entziehen konnte. Es war sein Wunsch, diese Berliner Bilder zu zeigen. Gegenüber der Museumsinsel und dem angrenzenden Metropol-Theater, wo er als 19-Jähriger Jazz-Konzerte gesehen hat. Aus solchen Momenten heraus entsteht Neues. Das kann man nicht planen, das steht auch in keinem Lehrbuch, sondern das ist einfach so.

Ich glaube, die meisten Sachen sind relativ easy. Ich war früher Kellner; wenn man zu den Leuten nett und freundlich ist, ist im Leben schon vieles einfacher. Wenn man dann noch einer ganz normalen Logik folgt und die Leute zum Lachen bringt, sodass sie gute Laune haben, ist das in der Regel ein großer Vorteil. Ich weiß nicht, was es sonst noch braucht. Ich habe keine Vorbildung, was die Kunst betrifft, ich hatte auch kein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein, aber eines habe ich gewusst – ich glaube, das habe ich von meinem Großvater –, nämlich dass ich niemals in eine größere Firma gehen würde. Und schon als Jugendlicher wusste ich, dass ich niemals zur Bundeswehr gehen würde – da wollte ich einfach nicht hin. Ich habe auch nicht verweigert, ich habe denen einfach erzählt, dass ich mich für zwölf Jahre verpflichten will und Berufssoldat werden möchte. Ich hatte mir die Haare abgeschnitten, einen Rollkragenpullover angezogen – damals wog ich 51 Kilo – und habe gesagt: „Ich möchte Offizier werden.“ Daraufhin haben sie mich zum Nervenarzt geschickt. Bis zu meinem 22. Lebensjahr wusste ich überhaupt nicht, wo es langgehen soll, und auch nicht, was Kunst ist. Das kam erst durch die Typen, die ich in den Lokalen kennengelernt habe. Ich fand es einfach wahnsinnig angenehm, mit Menschen zu tun zu haben, die ihr eigenes Wirkungsfeld überblicken und kontrollieren. Das hat mir imponiert.

Und jeder tut das auf seine Weise. Sie haben in Ihrer Galerie eine großartige Ausstellung für Rudolf Springer gemacht. Rudolf Springer (1909 Berlin – 2009 Berlin) war ein Galerist und Verleger. Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete er ab 1947 die Galerie Gerd Rosen in Berlin. 1948 eröffnete er eigene Galerieräume und vertrat Berliner Künstler seiner Zeit, zum Beispiel Hans Uhlmann oder Werner Heldt, sowie internationale Vertreter der Moderne, die er aufgrund seiner engen Verbindung zu Frankreich, wo er im Krieg Kontakte zur Widerstandsbewegung Résistance hatte, zum großen Teil in Paris fand. Darunter waren Henri Laurens, Hans Bellmer, Max Ernst, Hans Arp, Ernst Wilhelm Nay und Willi Baumeister. Gemeinsam mit dem Künstler und Kurator Johannes Gachnang (1939–2005) gründete Springer 1983 den Verlag Gachnang & Springer. Vom 30. Juni bis zum 15. September 2007 gab die Galerie Contemporary Fine Arts in Berlin mit der Ausstellung „Rudolf Springer. Marchand d’Art, né 1909“ einen umfassenden Einblick in das Schaffen des Berliner Galeristen. Springer hat eine ganz andere Persönlichkeit und einen ganz anderen Ansatz als beispielsweise Michael Werner, auch im Umgang mit Künstlern.

Ja, Rudolf Springer hat nie ein Archiv geführt. Das ist nicht seine Gabe. Er ist eher ein Verschwender. Springer gehört zur alten Schule der Berliner Kunsthändler. Der hatte noch eine andere Geschwindigkeit. Wenn ich heute das Leben der Boheme zelebriere, lachen sich die Leutchen kaputt. Man kann abends noch „Puff-Puff“ machen, aber morgens muss man halt um acht auf der Matte stehen und zusehen, dass das alles flutscht. Da helfen mir meine Kinder, denn die müssen um halb acht zur Schule gebracht werden. Die Zeiten haben sich wirklich sehr geändert. Die Geschichten der 60er-Jahre sind vielleicht als eine deutsche Revue ganz interessant, doch was damals galt, gilt für den heutigen Betrieb nicht mehr. Vielleicht muss man die Geschichte von Michael Werner auch einmal im Kontext mit Konrad Fischer Konrad Fischer (1939 Düsseldorf – 1996 Düsseldorf) war ein deutscher Künstler und Galerist. Seine 1967 in der Düsseldorfer Altstadt eröffnete Galerie stellte frühe Vertreter der Minimal Art und der Konzeptkunst vor, darunter Carl Andre, Hanne Darboven, Bruce Nauman und Lawrence Weiner. Als „Konrad Lueg“ war Fischer vor Gründung seiner Galerie als Künstler tätig und stellte mehrfach unter anderen mit Gerhard Richter aus. Die bekannteste künstlerische Aktion, an der Lueg beteiligt war, fand im Oktober 1963 im Düsseldorfer Möbelhaus Berges unter dem Titel „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“ statt. sehen. Ich kann das gar nicht so genau beurteilen, auch weil mir teilweise die Sachkenntnis fehlt. Fischer war in Düsseldorf, 30 oder 50 Kilometer von Michael Werner in Köln entfernt, und er hatte ein komplett anderes Programm. Die Künstler, die er damals gezeigt hat, sind heute Weltstars. Und Rudolf Zwirner Rudolf Zwirner (* 1933 Berlin) betrieb von 1959 bis 1962 eine Galerie in Essen und eröffnete 1962 neue Räumlichkeiten im Kolumbakirchhof in Köln. Zwirner zählte in den 1960er-Jahren zu den ersten deutschen Kunsthändlern, die in ihrem Programm US-amerikanische Gegenwartskunst führten, darunter John Chamberlain, Dan Flavin, Allen Jones, Roy Lichtenstein und Andy Warhol. 1966 gründete Zwirner gemeinsam mit Hein Stünke den Verein progressiver deutscher Kunsthändler, aus dem 1967 der erste Kölner Kunstmarkt hervorging. beispielsweise hat sich nie für den Beruf des Galeristen entschieden, er war immer Kunsthändler. Das hieß: „Ich kaufe lieber 15 gute Bilder von einem Künstler und versuche sie zu einem anständigen Preis zu verkloppen, und dann schaue ich, was es als Nächstes gibt.“ Das ist ein völlig anderes Denken. Diese Systematik, immer wieder die gleichen Leute zu zeigen, das war schon Werner-spezifisch. Auf die Fragen, die sich am Ende der Geschichte stellen – Hat es etwas gebracht? Hat es funktioniert? –, muss man sagen, für Immendorff hätte es vielleicht funktioniert, wenn er weitergelebt hätte. Lüpertz allerdings, der bestimmt seit 40 Jahren mit Werner zusammenarbeitet – das hört sich jetzt hart an –, ist über die nationalen Grenzen nie wirklich hinausgekommen.

Und Penck?

Penck? Ich glaube, der Künstler, den wir meinen, hat nach dem 10. November 1989 nichts mehr von Relevanz fabriziert. Sein Weltbild hat an dem Tag einen irreparablen Schaden genommen.

Immerhin ist die Frankfurter Retrospektive „A.R. Penck. Retrospektive“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Frankfurt am Main, 15. Juni – 16. September 2007. nach Paris gegangen.

Es gibt keinen unter 40, der darüber redet.

Der Penck rezipiert?

Ja. Es gibt keinen Kunststudenten zwischen Reykjavik und Sevilla oder zwischen Porto und Moskau, der das diskutiert. Das gibt es nicht mehr. Und ich glaube, dass die Altersgrenze von 40 schon wahnsinnig freundlich formuliert ist.

Was ist nun von Werners Tätigkeiten, von seinem Aufbau der Künstler übriggeblieben?

Die beiden, die momentan am weitesten sind, sind Kiefer und Baselitz, und die werden nicht mehr von ihm vertreten. Polke stellt in der Galerie Werner nicht aus.

In der Galerie Werner in New York ist er aktiv.

Kein anderer deutscher Galerist oder Kunsthändler hat nach dem Krieg einen derartigen Einsatz für die deutsche Avantgarde im Ausland hingelegt wie Michael Werner. Zu dieser langjährigen Arbeit gehören zwangsläufig Höhen und Tiefen. Die Zeit beziehungsweise Kunstgeschichte wird aber ein positives Resümee ziehen, und das ist das Einzige, was zählt.

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Bruno Brunnet