Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

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Christa Dichgans

Christa Dichgans

Christa  Dichgans

Christa Dichgans

Berlin, 09. Juni 2016

Franziska Leuthäußer: Die Generation der um 1930/40 Geborenen, vor allem die Männer, berichten oft positiv über ihre Erinnerungen an den Krieg. Sie sagen: „Wir sind draußen gewesen“, und: „Das war für uns ein Feuerwerkserlebnis.“ Als Kind erlebt man das sicher ganz anders als die Erwachsenen. Haben Sie an die Kriegsjahre in Berlin irgendwelche Erinnerungen?

Christa Dichgans: Ich war zu der Zeit nicht in Berlin. Ich bin zwar hier geboren, aber das war Zufall. Wir waren aufgrund der Arbeit meines Vaters hier. Ich habe an Berlin so gut wie keine Erinnerungen. An Stuckdecken und einen Kinderwagen kann ich mich erinnern. Ich bin Jahrgang 40, da ist man noch sehr Kind und kann den Krieg überhaupt nicht beurteilen. Was ich zum ersten Mal gesehen habe und was mich sehr beeindruckt hat, das waren Tote. Sie wurden in einem Krankenhaus aufgebahrt.

Wo war das?

In einem katholischen Krankenhaus in Geisa in der Rhön, das ist im Osten. Da hat man dann so etwas wie die letzte Ölung gesehen. Das war alles sehr eindrucksvoll. Ich erinnere mich an eine Geschichte von zwei Vinzentinerinnen, das sind die Schwestern mit den großen weißen „Flügelhauben“, die als Strafe dafür, dass sie sonntags gearbeitet haben, vom Blitz erschlagen wurden. „Das macht man doch nicht.“ Und an einen Hund erinnere ich mich, der immerzu furchtbar hinter einem her war. Ich habe Todesangst vor Hunden. Das sind die einzigen Kindheitserinnerungen. Als Kind ist man damit beschäftigt, alles überhaupt erst zu kapieren.

Sie haben das Erlebte nicht mit dem Krieg in Verbindung gebracht? Sie haben nicht verstanden, was da passierte?

Das habe ich nicht verstanden, das war noch zu früh.

Wann sind Sie nach Berlin gekommen?

1960 zum Studium. Ich wollte eigentlich nach München, dort bin ich aber durch die Aufnahmeprüfung gefallen. Und hier in Berlin bin ich angenommen worden. Christa Dichgans studierte zwischen 1960 und 1965 bei Fred Thieler an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin und arbeitete dort von 1984 bis 1988 als Assistentin von Georg Baselitz. Im Nachhinein finde ich es sehr gut, dass es so gelaufen ist.

Wie kam es dazu, dass Sie sich in der Nachkriegszeit für die Kunst entschieden? Woher kam der Wunsch, an die Kunstakademie zu gehen?

14 Tage vor dem Abitur mussten wir in der Schule aufschreiben, was man gerne werden will und warum. Da habe ich zum ersten Mal bewusst darüber nachgedacht. Ich war niemand, der schon früh wunderbar zeichnete, eigentlich war ich darin nicht besonders auffällig. Eine komische Sache bei Kunst ist ja – wie vielleicht bei anderen Studien auch –, dass Sie noch gar nicht wissen, ob Sie das können, wenn Sie sich dafür entscheiden. Es ist ein Sprung ins kalte Wasser. Es ist offen, ob es überhaupt funktioniert. Ich habe dann aber im Studium sofort Erfolgserlebnisse gehabt, das hat mich sehr bestärkt. Es gab vorher Professoren, die mir irgendetwas erzählen wollten, auch in München, das habe ich alles überhaupt nicht geglaubt. Je mehr mir die Leute erzählten, was ich machen sollte, desto renitenter wurde ich, umso mehr wollte ich zur Kunst. Und dann ging es hier in Berlin an der Hochschule richtig los.

Waren Sie als Kind mit Ihren Eltern im Museum?

Ja, mit meinem Vater in Wiesbaden. Da sah ich „Der Mann mit dem Goldhelm“ Unbekannt (Rembrandt-Kreis), „Der Mann mit dem Goldhelm“, um 1650/55, heute Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin. von Rembrandt – der ja gar nicht echt ist. Oder mein Vater hat mir zum Beispiel auf der Alten Brücke in Heidelberg gesagt: „Jetzt zeichne das doch mal.“ Aber wir waren eine bürgerliche Familie, da kam Kunst nicht vor. Ich habe keine Vorfahren, die berühmte Künstler sind. Sie waren alle entweder Mediziner oder Juristen, die klassischen akademischen Berufe.

Hatten Sie ein Bild von einem Künstler, als Sie an die Kunstakademie gingen? Hatte das auch etwas mit einer romantischen Vorstellung zu tun? Oder war es ein Akt des Widerstands gegen die Gesellschaft?

Für gesellschaftlichen Widerstand war ich zu jung. Das konnte ich noch gar nicht beurteilen, aber das kam dann zunehmend. Bei mir ging es darum, Kunst zu machen, weil es mich begeisterte zu sehen, wie toll das Entstandene dann war.

Wie haben Sie angefangen?

Richtig selbstständig gemalt habe ich erst in New York nach dem Studium. Vorher habe ich Kleinkinder gemalt. Mein Sohn war zwei oder drei Jahre alt, als wir in New York waren. Auch die Cousinen mussten alle dran glauben. Dann wurden aber sehr schnell die Spielzeuge, mit denen sich die Kleinen beschäftigten, wichtiger als das Porträt. Damit war ich dann schon auf dem Gleis.

Wie waren damals, Anfang der 1960er-Jahre, die Lebensumstände in Berlin?

Ich hatte Eltern, die mir den Ortswechsel nach Berlin bezahlten – das hatte nicht jeder, insofern war ich privilegiert. Ich habe meinen Eltern zuliebe Kunstpädagogik studiert, um sie nicht allzu traurig zu machen. Sie haben nicht gesagt: „Du musst!“, aber ich wusste, dass sie gelitten haben. Das Studium war furchtbar. Ich habe zuerst ein Zimmer im Hotel am Steinplatz gehabt, von da aus habe ich eine neue Bleibe gesucht. Es dauerte ein bisschen, bis ich dann ein Zimmer am Fehrbelliner Platz gefunden habe. Ich bin jeden Tag in die Akademie gegangen – das war für mich eine Qual. Sie müssen sich vorstellen, das war eine kleine Abteilung, in der sich jeder kennt – das war nicht wie die Bergstraße in Hamburg –, und dann mussten wir Kunstgeschichte machen. „Das ist die Neue“ – alle haben mit Stielaugen geguckt, wer das ist. Ich war schüchtern, wusste nicht so richtig wohin, wurde dann aber zugeteilt. Damit ging es schon los: mit einem Professor, den ich nicht mochte.

Ich habe auch sehr früh meinen ersten Mann kennengelernt. Die vielen Einladungen habe ich eigentlich immer ausgeschlagen, aber zu einem Fest bin ich dann doch hingegangen und habe dort gleich Karl Horst Hödicke K.H. Hödicke (eigtl. Karl Horst Hödicke; * 1938 Nürnberg) gehörte 1964 zu den Mitbegründern der Ausstellungsgemeinschaft Großgörschen 35 in Berlin-Schöneberg. Im selben Jahr zeigte er erstmals Arbeiten in der Galerie René Block. Zwischen 1974 und 2005 unterrichtete Hödicke als Professor an der Universität der Künste in Berlin, wo unter anderen Barbara Heinisch, Helmut Middendorf und Salomé zu seinen Schülern zählten. Er war auf der documenta 6 (1977) sowie 1990 auf der Biennale von Venedig vertreten. getroffen. Darauf bin ich irgendwie stolz, weil er der Einzige in der Abteilung war, der etwas geworden ist. Die anderen waren ja alles Kunstpädagogen. Das war auch das Motto der Abteilung: So viel malen, wie es geht – möglichst pädagogische Themen. Auch bei dem Professor war ich nur, weil Hödicke gesagt hat: „Geh mal da hin.“

Sie waren dann bei Fred Thieler?

Ja, aber es ist beinahe schon zu viel zu sagen, ich sei „bei ihm“ gewesen. Ich bin zu ihm gegangen, weil er erlaubt hat, dass man zu Hause malt. Das fand ich ganz wichtig. Mit wildfremden Leuten zusammen in irgendeinem Raum malen müssen, das war nichts für mich. Das fand ich nicht gut.

Warum dann überhaupt an die Akademie?

Das ist eine gute Frage. Zum Beispiel habe ich nie verstanden, warum wir Akte zeichnen sollten. Viele waren aber anderer Meinung. Durch die Kommilitonen gab es schon Anregungen, von den Professoren hingegen gar nicht. Dem Thieler mussten andere sagen: „Du musst sie (also mich) für das und das vorschlagen.“ Er selbst kam gar nicht darauf. Der Kontakt zu den Professoren war nicht gut. Aber das brauchte es auch nicht. Wir haben unser Zeug gemacht. Und alles, was ich gelernt habe, kam durch Anregungen meiner Kollegen. Mit Markus Lüpertz war ich eng. Das ist jetzt leider alles anders, der Erfolgt trennt die Leute.

Haben Sie Markus Lüpertz auch an der Akademie getroffen?

Nein, Hödicke hatte ihn kennengelernt. Lüpertz war, glaube ich, gar nicht auf der Akademie. Wie wir ihn kannten, war das immer so, dass man abends in die Kneipe ging, und dann musste Geld her. Herr Lüpertz hat irgendwelche Leute darauf aufmerksam gemacht, dass sie für irgendwelche Bilder noch offene Raten zu zahlen hatten. Das war abenteuerlich. Das Geld wurde natürlich nie zurückgegeben, sondern in den Kneipen vertrunken. Es waren harte Zeiten, aber da waren wir sehr eng. Ich war eine ganz andere Wellenlänge als Lüpertz und viele seiner Sachen finde ich unmöglich, aber im Ganzen war er doch sehr anregend.

In Kneipen und auf Festen …

Der Zwiebelfisch Der Zwiebelfisch ist eine Kneipe am Savignyplatz 7–8 in Berlin-Charlottenburg, die täglich von 12 bis 6 Uhr geöffnet ist. Sie wurde 1967 von Heike Stollenwerk gegründet und war besonders in den 1970er- und 80er-Jahren ein Treffpunkt der Berliner Boheme- und Kunstszene. war damals „in“. Für mich war es sehr schwierig, weil ich schon nach dem vierten Semester einen Sohn hatte. Das ging an meine Grenzen: Abends so lange wie die Letzten und am nächsten Morgen um 9 Uhr in der Hochschule sein. Da musste man Präsenz zeigen. Das war alles sehr strapaziös, aber ich habe viel gelernt, weil ich den Leuten begegnet bin und vieles gesehen habe. Wir sind in alle Ausstellungen gegangen. Und dann kam Großgörschen. Unter dem Namen „Großgörschen 35“ schlossen sich 1964 in Berlin-Schöneberg 14 Maler, darunter Markus Lüpertz, K.H. Hödicke, Lambert Maria Wintersberger und Arnulf Spengler, zu einer Ausstellungsgemeinschaft zusammen. In einer leer stehenden Fabriketage in der Großgörschenstraße 35 mieteten sie Räumlichkeiten an, um regelmäßig Einzel- und Gruppenausstellungen zu realisieren. Die Künstlergemeinschaft bestand in wechselnden Zusammensetzungen bis 1968. Vgl. „Großgörschen 35. Aufbruch zur Kunststadt Berlin 1964“, hg. von Lothar C. Poll, Ausst.-Kat. Haus am Kleistpark, Berlin, Köln 2014. Davon war ich nicht richtig überzeugt.

Bei der Gründung von Großgörschen war keine Frau dabei, oder?

War nicht Bettina von Arnim dabei?

Bei der Gründung war meines Wissens keine Frau dabei. Sie waren mittendrin. War das damals gar kein Thema, auch nicht mit Hödicke?

Auch von meiner Seite nicht. Ich fühlte mich noch nicht so weit, auszustellen. Ich glaube, das ist auch gar nicht diskutiert worden.

Aber Großgörschen war damals in Berlin die erste selbst organisierte Gruppe und eine der wenigen Möglichkeiten auszustellen. Das ist wahrscheinlich nicht einfach an einem vorbeigegangen, oder?

Ich sehe immer nur das, was nachher in der Galerie Poll Die Galerie Poll wurde im Oktober 1968 von Eva (* 1938 Aachen) und Lothar C. Poll (* 1937 Berlin) mit einer Ausstellung zu Werken von Peter Sorge in West-Berlin eröffnet. Bis heute umfasst das Programm der Galerie vor allem Vertreter der realistischen und figurativen Kunst. abgelaufen ist. Und dagegen habe ich mich mein Leben lang gewehrt. Eva Poll hat es immer wieder bei mir versucht, später hat sie auch Sachen von mir verkauft. Zum 60. war ich dann plattgewalzt und musste dort eine Ausstellung machen. „Christa Dichgans. Zum 60* – Bilder“, Galerie Poll, Berlin, 08. April – 10. Juni 2000. Aber eigentlich habe ich das nie gemocht. Das geht bis in die jüngste Zeit, sie will immer Geschäfte machen, aber ich möchte nicht mit den Berliner Realisten Im Umfeld der Selbsthilfegalerie Großgörschen 35 entstand in den 1960er-Jahren in Berlin die Gruppe der sogenannten „Kritischen Realisten“. Daraus ging 1972 die Gruppe Aspekt hervor, zu der unter anderen Bettina von Arnim, Ulrich Baehr, Maina-Miriam Munsky und Peter Sorge gehörten. Sie propagierten einen künstlerischen Realismus, der gesellschaftspolitische Entwicklungen thematisieren und reflektieren sollte. Unter dem Titel „Prinzip Realismus“ zeigte die Gruppe zwischen 1972 und 1974 eine Wanderausstellung in mehreren europäischen Ländern. Siehe auch: Michael Nungesser, „Politischer Realismus. Konsumgesellschaft am Pranger“, in: „Aufbruch Realismus. Die neue Wirklichkeit im Bild nach ’68“, hg. von Dieter Brunner, Ausst.-Kat. Städtische Museen Heilbronn, Bielefeld 2012, S. 123–141. ausstellen, ich gehöre nicht dazu. Die waren ja überall. Auch an der Hochschule, als ich mit Georg Baselitz gearbeitet habe, waren Petrick Wolfgang Petrick (* 1939 Berlin) studierte von 1958 bis 1965 an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin, von 1975 bis 2007 lehrte er dort als Professor. Petrick zählt zu den Mitbegründern der Selbsthilfegalerie Großgörschen 35. und wer sonst noch alles da. Aber das war überhaupt nicht mein Ding, das ist eine Berliner Geschichte. Horst und Lüpertz kann man auch nicht dazuzählen. Wir haben die Fenster in dem Großgörschen-Haus geputzt, aber die Kunst mochte ich nicht. Die Berliner Realisten waren ja auf der ganzen Erde vertreten, alle Goethe-Institute haben sie irgendwann ausgestellt. Insofern sind sie weltberühmt, aber sie sind immer noch nicht meine Welt.

Lüpertz sagte mir, es gab damals wenig Konkurrenz, weil es keinen Kunstmarkt gab. Vgl. Markus Lüpertz. Aber er sagte auch, dass der Umgang miteinander teilweise sehr rau war. Lambert Maria Wintersberger muss auch ein ziemlicher Haudrauf gewesen sein, hat gerne provoziert. Inwiefern spielte Alkohol damals eine Rolle?

Bei Wintersberger hatte es mit Drogen zu tun.

In Berlin auch schon?

Ja. Ich habe es einmal probiert, und da musste nicht das Rote Kreuz, sondern das Grüne Kreuz kommen. Das war so furchtbar, dass ich es nie wieder gemacht habe.

Waren Alkohol und Drogen damals ein Thema?

Drogen waren ein Thema. Man hat natürlich möglichst wenig davon geredet, aber ich wusste genau, wo sie das holten. Kiffen war für sie sowieso ganz harmlos, was natürlich auch nicht stimmt. Drogen waren ein Problem. Die anderen Sachen haben mich eher kaltgelassen. Ich konnte mit Thieler auch nur reden, wenn ich Schnaps getrunken hatte. Das ging gar nicht ohne. Ich hatte ihm so wenig zu sagen und er mir wahrscheinlich gar nichts. Er hat auf meine Bilder geguckt: „Frau Hödicke, meinen Sie das denn wirklich?“ Es war urkomisch.

Was meinte er damit?

Er war natürlich kritisch. Er meinte, dass man das nicht malen kann, und hat das auf die Schippe genommen. Aber ich wusste nicht, wofür er überhaupt stand. Er hat immer geschimpft, man müsse Ausländer sein, damit man eine Galerie bekäme. Was natürlich Unsinn ist.

Ausländer?

Im Kunstwesen wollten alle die amerikanischen Künstler. Und sie waren ja auch wirklich besser. Im Vergleich zu den Düsseldorfern und was es sonst alles gab. Die Amerikaner waren etwas ganz anderes.

Mit Fred Thieler konnten Sie sich also wenig austauschen?

Über Kunst? Überhaupt nicht.

Das haben Sie dann mit Kollegen gemacht?

Ja, hauptsächlich mit Hödicke. Das war ein richtig guter Professor. Durch Hödicke habe ich mein eigenes Malrevier gehabt. Das war sehr fruchtbar. Es ist ganz toll, wenn man einen Partner hat, mit dem man alles besprechen kann. Mitunter war man anderer oder derselben Meinung. Und Horst ist ein sehr kluger Mensch. Später habe ich für Baselitz gearbeitet, auch da konnte ich sehen, was ein guter Professor ist. Das war toll für mich. Ich war ja nur Assistentin, aber dieser Job war für mich sehr anregend.

Waren außer Ihnen noch andere Schülerinnen in der Klasse, oder hatten Sie überhaupt mit anderen Frauen an der Akademie zu tun?

Es gab Frauen. Eine hat wahnsinnig Karriere gemacht, aber sie ist überhaupt nicht mein Fall: Sabine Franoschek, sie nennt sich Franek. Das war die Freundin von Fred Thieler. Wir mussten das ganze Ehedrama, mit Kindern und Trennung, miterleben. Sie war bildschön, das muss man ihr lassen, aber von ihrer Kunst hielt ich überhaupt nichts. Die einzige Frau, die ich ganz gut fand, war Ina Barfuss Ina Barfuss (* 1949 Lüneburg) studierte von 1968 bis 1974 an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und zog 1978 nach Berlin. Ihre erste Einzelausstellung hatte sie 1974 in der Galerie Silvio R. Baviera in Zürich. Barfuss stellte in den 1970er- und 80er-Jahren zusammen mit den sogenannten „Jungen Wilden“ aus. Besonders engen Kontakt hatte sie zu Martin Kippenberger (1953–1997). Barfuss lebte in einer Ehe mit dem Künstler Thomas Wachweger (1943–2015). . Ich habe neulich wieder etwas von ihr gesehen und ich muss sagen, die frühen Arbeiten sind ziemlich gut.

Aber Sie hatten keine Freundin an der Akademie, mit der Sie sich gegen die Dominanz der Männer zur Wehr gesetzt haben?

Ich war mit der Arbeit beschäftigt.

Und wahrscheinlich auch mit der Familie …

Ja. Obwohl ich da wahrscheinlich einen Fehler gemacht habe: Ich war zu wenig für meinen Sohn da. Aber so ist es eben.

1966 gingen Sie nach New York.

Ich hatte ein DAAD-Stipendium für New York. Das war natürlich toll. Direkt nach dem Studium. Da fing ich erst an, selbstständig zu werden.

New York war damals der Sehnsuchtsort? Da wollte man hin?

Und wie! Natürlich!

Es war nicht Paris oder Rom – da waren Sie später …

Das war es nicht, nein.

Was wussten Sie über New York, bevor Sie dort angekommen sind?

Ich kannte natürlich die Pop-Art-Künstler, aber als wir 66 nach New York kamen, war Pop-Art schon vorbei.

Wo hatten Sie Pop-Art in Deutschland gesehen?

In Zeitschriften. Das war verfügbar, das konnte man sehen. Und in der Hardenbergstraße war zum Beispiel eine große Ausstellung über die Amerikaner. „Neue Realisten & Pop Art“, Akademie der Künste, Berlin, 20. November 1964 – 03. Januar 1965. Von der Ausstellung haben sich offenbar viele inspirieren lassen. Mir ging das eigentlich nicht so. Ich war ja ziemlich außen vor. Ich finde es auch etwas ulkig, dass ich jetzt zur führenden Pop-Art-Künstlerin gemacht werde. Ich gehöre eigentlich gar nicht zur Pop-Art, ich habe einfach mein Thema gefunden. Autobiografisch kann ich nur immer wieder sagen: Wir sind in New York zur Salvation Army, zur Heilsarmee, gegangen, um gebrauchte Töpfe und solche Dinge zu kaufen, und da gab es Berge gebrauchter Spielzeuge.

Die Stadt muss Sie damals überwältigt haben.

Hat sie, wahnsinnig! Aber New York war sehr teuer. 1 Dollar kostete 4,50 D-Mark. Darüber durfte man gar nicht nachdenken. Wir haben ja Staatsgelder verbraten und das war toll, weil es uns nichts kostete. Ich habe in einer ganz kleinen Wohnung gewohnt. Mein Atelier war 2 x 2 Meter groß, ein Durchgangszimmer ohne Beleuchtung.

In welcher Gegend haben Sie gewohnt?

52nd Street. West. Damals haben dort viele Puerto Ricaner gelebt. Es war natürlich ganz anders, als es heute ist. Da standen die Kühlschränke auf der Straße, so etwas sieht man heute gar nicht mehr. In New York ist jetzt alles aufgeräumt.

Wen haben Sie in New York noch getroffen?

Bernard Schultze Bernard Schultze (1915 Schneidemühl, Posen, heute Polen – 2005 Köln) war ein Vertreter der informellen Malerei. Er studierte an der Hochschule für Kunsterziehung Berlin (1934–1939) und der Kunstakademie Düsseldorf (1936–1938). Von 1939 bis 1945 war Schultze als Soldat im Zweiten Weltkrieg. 1947 ging er nach Frankfurt am Main und gehörte dort 1952 zu den Mitbegründern der Künstlergruppe Quadriga. Ab 1968 lebte Schultze in Köln. aus Düsseldorf zum Beispiel. In unserem tollen Refugium war auch Kasper König Kasper König (* 1943 Mettingen) ist ein Kurator und Museumsdirektor. Nach einem Volontariat in der Galerie Rudolf Zwirner in Köln lebte er ab 1965 in New York. Von 1973 bis 1975 arbeitete er als Dozent am Nova Scotia College of Art and Design in Halifax, Kanada. 1977 gründete er gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Klaus Bußmann die Skulptur-Projekte in Münster. König war zwischen 1984 und 1988 Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Düsseldorf sowie 1989 bis 2000 Rektor der Städelschule in Frankfurt am Main. Im Jahr 2000 wurde er zum Direktor des Museums Ludwig in Köln berufen, das er bis 2012 leitete. Er verantwortete zahlreiche Großausstellungen, darunter „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“ (1981), „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“ (1984), die Skulptur-Projekte in Münster (1977, 1987, 1997, 2007, 2017) sowie die „Manifesta 10“ (2014) in St. Petersburg. König gilt als wichtiger Vermittler des Werks von Donald Judd, On Kawara, Claes Oldenburg, Gerhard Richter und Franz Erhard Walther. . Hier hätte er mich nicht angeguckt, aber in New York gab es nur wenige Deutsche. Rolf-Gunter Dienst, Rolf-Gunter Dienst (1942 Kiel – 2016 Berlin) war Künstler und Kritiker. Von 1964 bis 1991 war er Redakteur der Zeitschrift „Das Kunstwerk“. Von 1992 bis zu seiner Emeritierung 2008 lehrte er als Professor an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. der auch da war, hat als Journalist immer gewusst, was los war. Das war eine riesen Hilfe und wir sind auch zusammen zu Veranstaltungen gegangen. Wir waren zum Beispiel bei The Doors, ich sage Ihnen, da ging es ab.

Welche Rolle spielte Kasper König damals?

Er wollte uns einfach sehen. Horst hatte den Preis der Jugend gewonnen, daher wussten sie voneinander. Rudolf Zwirner Rudolf Zwirner (* 1933 Berlin) betrieb von 1959 bis 1962 eine Galerie in Essen. 1962 eröffnete er neue Räumlichkeiten im Kolumbakirchhof in Köln. Zwirner zählte in den 1960er-Jahren zu den ersten deutschen Kunsthändlern, die in ihrem Programm US-amerikanische Gegenwartskünstler, darunter John Chamberlain, Dan Flavin, Allen Jones, Roy Lichtenstein und Andy Warhol, vertraten. 1966 gründete Zwirner gemeinsam mit Hein Stünke den Verein progressiver deutscher Kunsthändler, aus dem 1967 der erste Kölner Kunstmarkt hervorging. haben wir wahrscheinlich auch in New York gesehen. Alles Leute, die man hier gar nicht sah. Die hat man alle getroffen, auch in Ermangelung „besserer“ Leute. Wir waren ja praktisch noch Studenten. Haben Sie mal etwas von Lil Picard Lil Picard (geb. Lilli Elisabeth Benedick; 1899 Landau – 1994 New York) war eine Journalistin, Künstlerin und Kunstkritikerin. 1937 emigrierte sie von Berlin aus in die USA. Picard arbeitete unter anderen mit Andy Warhol zusammen und schrieb ab den 1970er-Jahren unter anderem für „Interview“, „The East Village Other“, „Kunstforum International“ und „Die Welt“ über die New Yorker Kunstszene. gehört?

Nein.

Das ist eine Deutsche. Sie war sozusagen die Empfangsdame für alle Deutschen in New York. Sie hat zum Beispiel die Allan Stone Gallery 1960 eröffnete Allan Stone (1932 New York – 2006 New York) seine Galerie auf der Upper East Side in New York City. Vertreten waren unter anderen John Chamberlain, Joseph Cornell, Arshile Gorky, John Graham, Franz Kline und Willem de Kooning. in mein Atelier gebracht. Das war natürlich Wahnsinn. Allan Stone hat sich dann die Bilder angeguckt, ich hatte gerade mal 13 davon geschafft …

Von den Spielzeug-Bildern?

Ja, den Hochformaten. Und dann hat er gesagt: „Wenn Sie 50 davon haben, sprechen wir uns wieder.“ Aber so viel Zeit hatte ich nicht mehr.

Die Menge zielte auf den Kunstmarkt ab?

Für Stone natürlich. Man konnte sich nicht leisten, sich zu engagieren, wo es nur eine Produktion von 13 Bildern gab. Ich habe auch noch ein paar alte Bilder gehabt, aber es waren zu wenige.

Haben Sie in der Zeit auch amerikanische Künstler kennengelernt?

Nicht wirklich. Man musste für das Stipendium nachweisen, dass man irgendwo studierte. Ich habe mir dann Allan D’Arcangelo Allan D’Arcangelo (1930 Buffalo, New York – 1998 New York) war ein US-amerikanischer Künstler, der in seinen Gemälden und Grafiken unter anderem die Ästhetik von Straßenschildern und amerikanischen Highways aufgriff. In New York war er von 1963 bis 1968 Professor an der School of Visual Arts und lehrte von 1973 bis 1992 am Brooklyn College. ausgesucht. Der hat immer große Partys gemacht und war Professor an der School of Visual Arts. Bei ihm konnte ich aber nicht studieren, weil die School of Visual Arts privat war und das nicht anerkannt wurde. Auch Andy Warhol war präsent. Das knisterte, wenn Sie in eine Kneipe gingen, wo er war. Als etwas später das Attentat auf Warhol verübt wurde, Am 03. Juni 1968 wurde Andy Warhol (1928 Pittsburgh – 1987 New York) von der Schriftstellerin Valerie Jean Solanas (1936–1988) durch mehrere Schüsse lebensgefährlich verletzt. Solanas gehörte zum Umfeld von Warhols Factory und begründete den Anschlag im „SCUM Manifesto“ 1968 mit der Vernichtungswürdigkeit aller Männer. waren wir schon wieder weg, aber es wunderte mich damals überhaupt nicht. Es war ein derartiger Kult, wie eine platzende Bombe. Alle wollten so erfolgreich sein wie er. Das Attentat war der Höhepunkt.

Wie war Ihr Verhältnis zu Andy Warhol?

Ich habe gewusst, dass das überhaupt nicht mein Weg ist. Er hat ja richtig Theater gemacht, mit seinen Filmen und so weiter. Es gab aber auch andere, die viele Bilder verkauften. Aber das mussten dann eben ein bisschen mehr Bilder sein als bei mir, das hatten sie mir ja gesteckt. Niemand kann mir erzählen, dass er am Kunstmarkt nicht teilnehmen möchte. Das ist doch auch ein Ziel, dass man verkauft. Und die Leute, die sich wirklich engagieren, die kaufen. Es ist auch wenig wert, wenn jemand immer nur redet.

War es Zufall, dass sich unter den Deutschen in New York eine Art Community bildete, oder hatte das mit der Haltung der Amerikaner zu tun?

Die Amerikaner waren reserviert. Da ich an einer Hochschule studieren musste, habe ich an der Columbia University Grafik und Fotografie belegt. Ich musste mich überhaupt erst einmal auf dem Campus zurechtfinden. Ich war da die Landpomeranze aus Berlin. Ein amerikanischer Freund hat mir Gott sei Dank ein bisschen geholfen. Als ich dann vor der Sekretärin stand und gesagt habe: „Ich weiß gar nicht was, wie und wo“, antwortete sie mir in scharfem Ton: „You better stay home.“ Ich wunderte mich: „Was ist denn jetzt passiert?“ Und da sagte mein amerikanischer Freund: „Jüdisch.“ Ich hatte überhaupt noch nie einen Juden gesehen. Aber da war das plötzlich Realität.

Ist Ihnen das öfter passiert?

Eigentlich nicht, nicht so krass. Das war auch sehr hasserfüllt, wie sie das sagte.

1966/67 waren Sie in New York. 1968 fand der Kraushar-Ströher-Deal statt. Der Sammler und Unternehmer Karl Ströher (1890 Rothenkirchen – 1977 Darmstadt) erwarb 1968 die bedeutende Pop-Art-Sammlung des verstorbenen New Yorker Versicherungsmaklers Leon Kraushar. Die Sammlung umfasste 160 Objekte, darunter 6 Bilder von Roy Lichtenstein, 21 Objekte von Claes Oldenburg, 6 Bilder und Objekte von Andy Warhol, 15 Bilder von James Rosenquist, 7 Bilder von Tom Wesselmann sowie weitere Werke amerikanischer Künstler, unter anderen von Jasper Johns und Walter De Maria. Haben Sie davon irgendetwas mitbekommen?

Nein.

Es ist mir noch immer ein Rätsel, dass diese Sammlung geschlossen ausgerechnet nach Deutschland verkauft worden ist und sich damals in New York scheinbar niemand für die Pop-Art und diese hervorragende Sammlung interessiert hat.

Ich kann es mir vorstellen. In New York waren schon ganz andere Sachen aktuell. Robert Ryman Robert Ryman (* 1930 Nashville, Tennessee) ist ein amerikanischer Künstler aus dem Bereich der Analytischen Malerei. Bekannt ist er für seine „weißen“ Bilder. Er war unter anderem auf der documenta 5 (1972), 6 (1977) und 7 (1982) sowie in den Jahren 1976, 1978, 1980 und 2007 auf der Biennale von Venedig vertreten. In den 1960er- und 70er-Jahren war sein Werk in Deutschland sowohl in der Galerie Heiner Friedrich als auch in der Konrad Fischer Galerie mehrfach ausgestellt. zum Beispiel. Pop-Art war etabliert, das war nicht mehr zu entdecken.

Wie standen Sie zu dem Werk Robert Rymans? Kannten Sie zu der Zeit schon die Kunst der ZERO-Leute Ab 1958 verwendeten Heinz Mack und Otto Piene den Begriff „ZERO“ im Kontext ihrer gemeinsamen Ausstellungen sowie als Titel für die drei Ausgaben ihrer in Düsseldorf publizierten Zeitschrift. Ab 1961 nahm auch Günther Uecker regelmäßig an den Ausstellungen und Aktionen von ZERO teil. ZERO stand für die Stunde null, für Aufbruch und einen radikalen Neuanfang nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. ZERO setzte sich deutlich vom etablierten Informel ab. Mit neuen Materialien und der Einbeziehung von Bewegung, Licht und Raum in das künstlerische Werk etablierte ZERO eine neue Formensprache. Vgl. Wieland Schmied, „Etwas über ZERO“, in: Dirk Pörschmann/Mattijs Visser (Hg.), „ZERO 4 3 2 1“, Düsseldorf 2012, S. 9–18. ? Kannten Sie zum Beispiel Piero Manzoni?

Ja, ein bisschen.

Wie haben Sie das damals erlebt?

Ich war kritisch, weil ich ein richtiges Bild mit Gegenständen haben wollte. Daran habe ich gearbeitet. Hödicke wusste immer genau, was Sache ist, und hat ein oder mehrere Bilder gemalt, die sehr wie Robert Ryman aussahen. Er hat sich damit ganz intensiv befasst, da war ich schon am Abdriften, weil ich mit meinen Teddybären zugange war. Während ihres New-York-Aufenthalts 1966/67 begann Christa Dichgans, Kinderspielzeug und Kuscheltiere zu malen. Ich brauchte mehr Gegenstand. Das hat sich dann von Hödicke wegentwickelt, obwohl er meine Arbeit sehr gefördert hat. Das ging so weit – und deswegen war die Ehe dann irgendwann auch nicht mehr möglich –, dass ich ein Bild erst als fertig empfunden habe, wenn Hödicke gesagt hat: „Das ist fertig.“ Das war eine Abhängigkeit, die nicht ging.

Warum hatte er eigentlich so eine starke Wirkmacht? Warum hat er scheinbar so einen Vorsprung gehabt?

Weil er sehr klug war und es richtig eingeschätzt hat. Ich war jedenfalls immer überzeugt, dass er recht hat.

Interessant ist, dass seine Werkentwicklung durch eine große Varietät und Veränderung geprägt ist. Würden Sie auch retrospektiv sagen, dass Hödicke, egal zu welcher Zeit, meistens richtiglag?

Ja, das würde ich sagen. Er hat mehrmals einen Wechsel vollzogen, aber das war immer ganz gut. Man muss es ja auch zu den Mitmalern relativieren. Er kann einerseits wahnsinnig gut malen, das ist unbestritten, und dann macht er wiederum solche Dinge wie die „Ponte Vecchio“, die Brücke in Florenz, was auch sehr witzig ist. K.H. Hödicke, „Ponte Vecchio“, Multiple, 1972. Hödicke hatte immer sehr viele Ideen und machte immer etwas Neues, ich hingegen wollte dranbleiben. Da sind wir gegenteilig. Ich arbeite, wenn es sein muss, furchtbar lange an einem Bild – das war immer schon so –, Hödicke schmeißt es eher weg. Es ist eine ganz andere Vorgehensweise.

Er hat Sie aber darin bestärkt, dass Sie es so machen, wie Sie wollten?

Ja. Die erste wirklich eigene Sache entstand in Florenz, die „Würste“. 1971/72 lebte Christa Dichgans als Stipendiatin der Villa Romana in Florenz. In den dort entstandenen Arbeiten, darunter „Raub der Sabinerinnen“ (1971), „Florenz mit Staubsauger“ (1971) oder „Würste vor Goldgrund“ (1972), collagierte Dichgans klassische Motive mit gemalten Wurstschlangen. Alle haben damals gesagt: „Was ist das denn, was die Christa da macht?“ Aber Hödicke sagte: „Lass die mal machen.“ Er hat mich gefördert, da waren wir schon gar nicht mehr zusammen.

Wann haben Sie Ihr erstes Bild verkaufen können?

Das erste Bild, das ich verkaufen konnte, war natürlich über Rudolf Springer Rudolf Springer (1909 Berlin – 2009 Berlin) war ein Galerist und Verleger. Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete er ab 1947 die Galerie Gerd Rosen in Berlin. 1948 eröffnete er eigene Galerieräume und vertrat Berliner Künstler seiner Zeit, zum Beispiel Hans Uhlmann und Werner Heldt, sowie internationale Vertreter der Moderne, die er aufgrund seiner engen Verbindung zu Frankreich, wo er im Krieg Kontakte zur Widerstandsbewegung Résistance hatte, zum großen Teil in Paris fand. Darunter waren Henri Laurens, Hans Bellmer, Max Ernst, Hans Arp, Ernst Wilhelm Nay und Willi Baumeister. Anfang der 1960er-Jahre beschäftigte er in der Galerie den jungen Michael Werner, mit dem er später in enger Verbindung blieb. Aus dem Programm der Galerie Michael Werner zeigte Springer etwa Georg Baselitz, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A.R. Penck in seiner Berliner Galerie. Gemeinsam mit dem Künstler und Kurator Johannes Gachnang (1939–2005) gründete Springer 1983 den Verlag Gachnang & Springer. Er war in vierter Ehe mit Christa Dichgans verheiratet. . Das war nach Florenz, hier in Berlin.

Ihre erste Ausstellung bei Rudolf Springer war 1971. Christa Dichgans stellte 1971 bei Rudolf Springer auf dem Kunstmarkt in Köln aus. 1972 hatte sie die erste Einzelausstellung in der Berliner Galerie. Da haben Sie Ihr erstes Bild verkauft?

Ja, durch ihn. Er ging ja immer erst einmal in die Ateliers. Horst sagte: „Wir fangen wieder bei der besten Galerie an.“ Ich habe also Springer gefragt, ob er kommen wolle, und er sagte Ja. Da hatten wir sozusagen ein Date. Und ich dachte: „Oh Gott, wie bewirtet man einen Kunsthändler?“ Dann habe ich Bouletten gebraten, eine Tischdecke auf den Tisch gelegt und es gab Bier. Ich war natürlich sehr aufgeregt, er war ja wildfremd. Er war bekannt, aber ich kannte ihn überhaupt noch nicht.

Sie sind vorher auch nicht in seiner Galerie gewesen?

Keine Zeit. Man ging nur dahin, wovon man sich etwas versprach oder wo man gerne etwas machen wollte.

Also nicht, um andere Kunst und Künstler zu sehen?

Doch, natürlich auch. Die Baselitz-Ausstellung bei Springer „Warum das Bild ‚Die großen Freunde‘ ein gutes Bild ist!“, Galerie Rudolf Springer, 29. Januar – 12. Februar 1966. habe ich zum Beispiel gesehen. Rudolf Springer hatte ich da aber noch nicht getroffen. Da waren sehr viele Leute.

Sie waren also vorbereitet, mit Bouletten und Bier.

Dann kam er und hat gesagt, er nimmt ein Bild mit – damit testet er die Leute. Da ich überhaupt nichts mehr hörte, bin ich zu ihm getigert …

Was für ein Bild hatte er mitgenommen?

Eins, was gerade für einen hohen Preis verkauft wurde. Das waren diese Enten, die ich in Rom gemacht hatte, die waren ja sehr exakt und akkurat. Christa Dichgans, „Grüne Enten“, 1969. Ich bin also zu ihm gegangen und habe gesagt: „Was ist denn mit meinem Bild? Ich höre ja überhaupt nichts.“ Da sagte er: „Das hat ein ganz wichtiger Mann gekauft.“ Ich wollte natürlich wissen wer. Da sagte er: „Ich habe es gekauft.“ Und ich dachte: „Das ist eigentlich gar nicht gut. Ein Galerist muss Kunden haben, er darf die Bilder nicht selber kaufen.“ Aber das habe ich für mich behalten. Dann ist das Bild für 450 D-Mark – was für mich sehr viel Geld war – über die Theke gegangen. Es hat später einige Besitzer gehabt. Baselitz hat es in München gekauft und jetzt ist es durch den Sohn von Baselitz, Daniel Blau, mit dem ich einige Sachen mache, für einen Wahnsinnspreis weiterverkauft worden. Er hat wahnsinnige Kunden. Da kann ich mich nicht beklagen.

Wo hatten Sie Ihr Atelier, als Rudolf Springer zu Ihnen kam?

Das war eine Wohnung in der Fasanenstraße. Horst war oben unterm Dach. Die Wohnung hat uns, weil das damals schon schwer war, mein Vater besorgt. Er hatte uns zuvor in der Wohnung Genthiner-/Ecke Kurfürstenstraße besucht und als er unten eine Nutte im Eingang stehen sah, sagte er: „Das müssen wir ändern.“

Wie ging es nach dem ersten Verkauf an Rudolf Springer weiter?

Irgendwann kam ein junger Mann und sagte: „Bei Springer ist ein Fest, ich möchte Sie abholen.“ Ich bin natürlich davon ausgegangen, dass Rudolf mich eingeladen hatte. Dann stellte sich heraus, dass das ein Freund der Tochter war. Ich habe mit Rudolf vorm Kaminfeuer gesessen und Schnaps getrunken und dann war ich verliebt. Das war der Anfang für mich und für ihn wahrscheinlich auch.

Warum hat Sie der Freund von Springers Tochter abgeholt?

Er wollte, dass ich mitkomme. Die haben hier ein Fest gegeben. Und ich war natürlich neugierig zu sehen, was bei Springer lief. Alles kam dann ganz anders und nahm seinen Lauf.

Wie war die Stimmung bei der Eröffnung Ihrer ersten Ausstellung 1971?

Sie müssen bedenken, die Räume, die jetzt sein Sohn hat, 1998 übergab Rudolf Springer die Leitung der Galerie Springer an seinen Sohn Robert Springer und den ehemaligen Mitarbeiter Gerald Winckler. Von Frankfurt aus zogen die jungen Galeristen in die Räume Rudolf Springers in der Fasanenstraße 13 in Berlin. sind sehr hoch. Da hat er die Bilder aus Florenz aufgehängt, die nicht so groß sind. Das sah dann aus wie ein Band von Würsten. Komischerweise – und das liegt daran, dass er das gut konnte – hat er richtig gut verkauft. Was ich jetzt bedauere, weil die verkauften Bilder nicht mehr aufzufinden sind. Das ist ja immer so. Die Bilder waren natürlich billig, nicht so teuer wie heute. Ich würde sagen, er hat fast ein Drittel verkauft.

Es heißt, nach Berlin ist man damals gegangen, weil es dort keine Wehrpflicht gab. Ende der 60er-Jahre zogen viele Galerien und Künstler ins Rheinland, nach Köln oder Düsseldorf.

Ich denke, dass es ein Handicap war, in der Zeit in Berlin gewesen zu sein. Hier war einfach nichts los. Hier kamen die Wehrpflichtverweigerer hin und es gab keine Polizeistunde. In Köln wurde man viel härter rangenommen. Das war für mich, weil ich ja ein Sonderling bin, vielleicht nicht so schlimm, aber andere, wie Hödicke zum Beispiel, hätten eigentlich nach Köln gemusst.

Und warum ist Rudolf Springer nicht nach Köln gegangen?

Ganz einfach: Der Ort, an dem wir uns gerade befinden, ist sein Elternhaus. Ich habe auch irgendwann einmal gefragt: „Warum bist du eigentlich nicht nach New York gegangen?“ Rudolf kannte New York natürlich sehr gut, weil er oft da war. Aber er sagte: „Diesen Lebensstandard, den ich hier in Berlin genieße, kann ich in New York niemals haben.“ Er hatte sechs Kinder. Da war das hier sehr bequem. Und er hatte hier auch große Kunden, zum Beispiel Heinz Berggruen Heinz Berggruen (1914 Berlin – 2007 Paris) war ein Journalist, Kunsthändler, Mäzen und Sammler. Er emigrierte 1936 in die USA und war dort ab 1939 am San Francisco Museum of Modern Art tätig. 1947 eröffnete Berggruen eine Galerie in Paris, wo er unter anderen Marc Chagall, Fernand Léger, Henri Matisse und Pablo Picasso zeigte. 1980 gab Berggruen die Galerie auf und zog 1996 in seine Heimatstadt Berlin, wo er sich ausschließlich dem weiteren Aufbau seiner Sammlung widmete, die er im Jahr 2000 an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verkaufte. . Wenn die Leute Geld brauchten, kamen sie zu Rudolf, und so hat er mit Kunst von Kurt Schwitters und Max Ernst und solchen Leuten gehandelt. Das war bekannt. Und Berggruen kam und hat gleich cash bezahlt, sodass es auch kein Zurück mehr gab. Damit hat Rudolf Springer wahnsinnige Geschäfte gemacht.

Sie haben die anderen gehen sehen, Baselitz, Werner, Lüpertz … Georg Baselitz (eigtl. Hans-Georg Kern; * 1938 Deutschbaselitz) zog 1966 aus Berlin auf einen Hof nach Osthofen bei Worms, der Galerist Michael Werner (* 1939 Nauen) ging 1968 von Berlin nach Köln, wo er die Galerie Hake übernahm und ab 1969 unter seinem Namen weiterführte, und Markus Lüpertz (* 1941 Liberec, Böhmen, heute Tschechische Republik) übernahm 1976 eine Professur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. René Block hat eine Dependance in New York eröffnet. René Block (* 1942 Velbert) ist ein Galerist und Ausstellungsmacher, der 1964 in Berlin das Grafische Cabinet René Block gründete, aus dem noch im gleichen Jahr die Galerie René Block hervorging. Dort zeigte er bis 1979 Ausstellungen und Aktionen unter anderen von Joseph Beuys, Bazon Brock, Stanley Brouwn, Sigmar Polke, Gerhard Richter und Wolf Vostell. 1974 eröffnete Block seine New Yorker Galerie mit der Ausstellung „I Like America and America Likes Me“ von Joseph Beuys. Die Galerie bestand bis 1977. Hat sich Ende der 60er-Jahre, Anfang der 70er-Jahre Grundlegendes in Berlin verändert?

Es wurde eigentlich besser. Für mich war es besser, weil ich dann richtig Fuß gefasst habe. Ich habe wahnsinnig gearbeitet und viele Ausstellungen gemacht, die Rudolf organisierte, von Paris bis New York. 1975 stellte Christa Dichgans in der Lerner-Heller Gallery in New York aus, 1981 in der Gallery Untitled in Los Angeles und 1982 in der Galleria d’Arte il Traghetto in Venedig. Ich war sehr mit mir selbst beschäftigt, muss ich sagen. Mit Lüpertz ging es ein bisschen auseinander. Frauen nahm Lüpertz sowieso nicht ernst. Als er mich bei der Galerie Springer eingeführt hat, sagte er: „Herr Springer, Sie müssen mal die Frau von Hödicke ausstellen. Die ist sehr gut, obwohl sie eine Frau ist.“ Das war das Gespräch, um mich in die Galerie zu bringen. Die haben mich natürlich alle gar nicht ernst genommen. Ich nehme es ihnen nicht übel. Diese Männer haben eine wahnsinnige Kondition und Kraft. Das kann eine Frau gar nicht, was die machen.

Meinen Sie?

Ja, ich meine diese Produktion. Obwohl es auch Künstlerinnen wie Cecily Brown Cecily Brown (* 1969 London) ist eine Malerin, deren Arbeiten in der Tradition des gestischen Expressionismus von Willem de Kooning stehen und Körper und Erotik thematisieren. Nach einem Studium an der Slade School of Fine Art in London fand ihre erste Einzelausstellung 1995 in der Eagle Gallery in London statt. Brown war unter anderem auf der Whitney Biennale in New York (2004) und der Ausstellung „Szenenwechsel XIX“ (2001) im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main vertreten. gibt. Aber das ist New York. Hier gibt es das nicht.

Woran liegt das?

Das ist eine gute Frage. Ceciliy Brown hat zum Beispiel auch ein Kind, das ist also keine Entschuldigung. Ich kann nicht sagen, woran es liegt. Solche Künstler arbeiten ja von vornherein anders. Die haben den Kunstmarkt, glaube ich, viel früher vor der Nase, als ich das beispielsweise hatte. Ich wollte immer nur die Bilder verändern, verbessern und habe viel Zeit gebraucht. Dann ist das schwierig.

Für wen haben Sie die Bilder gemalt?

Für mich, glaube ich. Man hat das Bild immer im Kopf. Besonders wenn man daran arbeitet, sieht man es vor sich und denkt, das müsste man vielleicht so probieren oder da fehlt etwas. Man malt immer weiter, auch wenn man nicht im Atelier sitzt.

Also waren Sie selbst Ihr wichtigster Rezipient?

Ja, natürlich, klar.

Ich bin mir nicht sicher, ob die jungen Künstler heute auch so denken.

Die moderne Kunst ist ja praktisch Design. Das ist ein ganz anderer Vorgang. Zum Beispiel bei dem Menschen, mit dem ich immer verglichen werde, Jeff Koons Jeff Koons (* 1955 York, Pennsylvania) wurde in den 1980er-Jahren mit großformatigen Skulpturen und Gemälden bekannt, die Konsumästhetik und Kitsch, glänzende Oberflächen und populäre Symbolik ikonisch übertreiben. Seine erste Einzelausstellung hatte Koons 1980 im New Museum in New York. Koons war 1990 und 1997 auf der Biennale von Venedig vertreten, eine große Retrospektive seines Werks fand 2014/15 im Whitney Museum of American Art, New York, im Centre Pompidou, Paris, und im Guggenheim Bilbao statt. . Ich sehe mich ja nicht so in seiner Nähe – er macht teure Sachen, allein die Herstellung ist schon sehr kostspielig. Das macht er nicht selber, sondern eine Firma. Das ist spiegelglatt. Eine Produktion, die mir ganz fremd ist. Das hängt wahrscheinlich mit meiner Generation zusammen. Ich finde es sehr wichtig, dass man sieht, dass es handgemacht ist. Das andere ist so unpersönlich.

Welchen Stellenwert hatte die Kunst in der Gesellschaft der 60er- und 70er-Jahre?

Berlin galt ja als sehr politisch. Ich war davon oftmals ein bisschen abgestoßen. Der Vietnamkrieg Im engeren Sinne bezeichnet der Vietnamkrieg den kriegerischen Konflikt, der sich von 1954 bis 1975 zwischen dem durch China und der Sowjetunion unterstützten Nordvietnam sowie dem durch die USA und Australien unterstützten Südvietnam vollzog. Nachdem die Indochinakonferenz 1954 die Teilung Vietnams in einen kommunistischen Norden und einen antikommunistischen Süden festgesetzt hatte, entwickelten sich ab 1955 zunehmend militärische Konflikte zwischen den beiden Landesteilen. Da die USA eine Ausweitung des kommunistischen Einflussbereichs fürchtete, griffen sie ab 1964 aktiv in die Auseinandersetzung ein. Innenpolitische Differenzen sowie der anwachsende öffentliche Druck führten ab 1969 zu einem schrittweisen Rückzug der USA und 1973 zur Unterzeichnung des Pariser Abkommens. Der Vietnamkrieg endete am 01. Mai 1975 mit der Einnahme Saigons durch die Truppen Nordvietnams. und all das war natürlich furchtbar. Aber das führte so weit, dass die Künstler, besonders die Frauen, aufhörten zu malen und in die Partei, die KPD, eintraten. Ich habe ja einen Vater, der Politiker ist, aber konservativ. Hans Dichgans (1907 Wuppertal-Elberfeld – 1980 Düsseldorf) war ein Jurist, Wirtschaftsmanager und Politiker. Er arbeitete seit den 1930er-Jahren für die Eisen- und Stahlindustrie und war von 1961 bis 1972 Bundestagsabgeordneter der CDU sowie zwischen 1957 und 1962 Ausschussmitglied bei der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. 1974 leitete Dichgans den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Ich dachte, ich könnte gar keine Maoistin werden, weil ich viel zu wenig darüber weiß. Später habe ich auch begriffen, dass die auch Sachen gemacht haben, ohne zu wissen, was sich da überhaupt abspielte. Und immerzu sind sie auf Demonstrationen gegangen. Das war mir fremd.

Wen meinen Sie mit „die“?

Die Studenten. Die Leute, die ich in meinem Alter kannte. „Samstag ist wieder Demo.“ Ich hatte dafür eigentlich keine Zeit. Ich war sehr geizig mit meiner Zeit. Wohin sollte das führen? Wofür demonstrierten sie? Das war mir wirklich fremd und irgendwie auch unsolide.

Sie haben durch die Galerie von Rudolf Springer sicher einiges mitbekommen. Warum sammelten die Leute und wie reagierten sie auf die Kunst?

Sehr unterschiedlich. Ich habe zum Beispiel einen Sammler, der nur aus Interesse kauft, weil er das Bild schön und wichtig findet. Er verhandelt nie über den Preis. So etwas wünscht man sich, aber das gibt es in den seltensten Fällen.

Und es gibt viele, die gar nicht kaufen, sonst hätten die Museen, Kunsthallen und Kunstvereine nicht diesen Auftrieb bekommen. Viele erzielen ihren persönlichen Gewinn allein durch die Rezeption der Werke. Das Programm einer „Kultur für alle“ stammt aus den 60er-, 70er-Jahren – das fing, wenn man so will, schon mit Fluxus an. Frankfurts ehemaliger Kulturdezernent Hilmar Hoffmann hat in den 70er-Jahren das entsprechende Buch dazu geschrieben. Hilmar Hoffmann (* 1925 Bremen) ist ein deutscher Kulturschaffender, der 1954 die Internationalen Kurzfilmtage im nordrhein-westfälischen Oberhausen gründete. Von 1970 bis 1990 hatte er das Amt des Kulturstadtrats in Frankfurt am Main inne, wo er sich für eine nachhaltige Demokratisierung des Kulturbereichs engagierte. Dazu veröffentlichte er 1979 das Buch „Kultur für alle. Perspektiven und Modelle“. Als Präsident leitete er zwischen 1992 und 2001 das Goethe-Institut in München. Der Trend des Museums geht mittlerweile Richtung Shoppingmall. Mein Eindruck ist, dass die Auseinandersetzung mit der Kunst vor 40, 50 Jahren etwas ernsthafter war. Vielleicht war es auch einfach das Bedürfnis, endlich wieder Bilder zu sehen, neue Bilder, auch um die Kriegsbilder im Kopf loszuwerden. Gab es solche Gespräche? Was macht die Kunst für uns? Warum ist sie wichtig?

An einzelne Gespräche kann ich mich nicht erinnern, aber natürlich habe ich sie mit Rudolf und Horst geführt. Ein Hauptthema war auch, dass es kein Gegenüber mehr gibt, keine kirchliche Kunst. Heute gibt es eigentlich überhaupt kein Gegenüber mehr, dadurch fleddert das in alle Richtungen. Man malt nicht für einen Auftraggeber, nur in den seltensten Fällen. Man stellt Bilder aus, die von niemandem angefordert sind.

Haben Sie damals das Programm von René Block in Berlin verfolgt?

Nein. Wenn Horst dort etwas gemacht hat, bin ich natürlich hingegangen. Aber ich hatte auch da meine Zweifel. Was Wolf Vostell betraf zum Beispiel. Das war nicht so wichtig. Und Rudolf Springer, er ist ja noch älter, konnte mit der Kunstwiese René Block wirklich gar nichts anfangen.

Ob man Joseph Beuys gut fand oder nicht – er war deutschlandweit und dann auch international im Gespräch und wird häufig mit der Kultfigur Andy Warhol verglichen. Wie haben Sie die Person und das Werk Beuys erlebt?

Ich habe ihn nicht gekannt, ihm nur mal die Hand geschüttelt. Ich weiß, dass er in irgendeiner Form sehr fanatisch war. Bei einer Ausstellung in Düsseldorf hing zum Beispiel ein Lüpertz-Werk neben seinem, und da hat er gesagt, er hängt sein Bild ab, wenn das so bleibt. Dieses fast „Heilige“, das muss man mögen. Er konnte einen unheimlichen Charme entwickeln und hat auch Heiner Bastian in einer ganz intelligenten Form eingespannt. Von heute auf morgen hat Beuys sich mit Bastian Heiner Bastian (* 1944) ist ein Galerist, Kunstsammler und Ausstellungsmacher, der ab den 1970er-Jahren der Privatsekretär des Künstlers Joseph Beuys (1921–1986) war. Von 1996 bis 2007 arbeitete er als Kurator der Sammlung Marx am Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart in Berlin. 2007 eröffnete Bastian mit seiner Frau Céline Bastian die Galerie Bastian Am Kupfergraben in Berlin-Mitte. Die Galerie zeigt unter anderem Werke von Joseph Beuys, Jean Dubuffet, Dan Flavin, Anselm Kiefer, Cy Twombly und Andy Warhol. eingelassen. Heiner Bastian war sehr jung, Anfang 20. Aber Beuys hat wohl gesehen, dass er Fähigkeiten hat, mit Leuten umzugehen. So richtig begriffen habe ich das nicht. Aber die wollten eben auch mal Geld sehen.

Die Faszination, die Beuys offenbar auf sehr viele ausübte, scheint aber doch singulär in der gesamten deutschen Kunstszene.

Ja, das stimmt.

Wenn man von den Werken – „Honigpumpe“, „Fettstuhl“ oder „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ – aus der Distanz hörte, lachte man vielleicht ein bisschen darüber oder auch gerade nicht?

Das durfte man nicht. Beuys war ein bisschen humorlos. Das ist eben der Niederrhein. Ich war ja lange in Düsseldorf, das ist nicht mein Ding. Man muss einen spielerischen Abstand haben können. Und das ging bei ihm nicht, an ihn musste man glauben.

Eine andere Begegnung, die bei Ihnen wichtig war, war jene mit A.R. Penck A.R. Penck (eigtl. Ralf Winkler; 1939 Dresden – 2017 Zürich) absolvierte von 1955 bis 1956 eine Lehre als Zeichner bei der Deutschen Werbe- und Anzeigengesellschaft (DEWAG) in Dresden. Anfang der 1960er-Jahre entstanden seine ersten System- und Weltbilder, aus denen er in den folgenden Jahren das künstlerische Konzept „Standart“ entwickelte. Seine erste Ausstellung in Westdeutschland hatte Penck 1970 in der Galerie Michael Werner in Köln. Im August 1980 wurde er offiziell aus der DDR ausgebürgert und siedelte aufgrund seiner Kontakte zur Galerie Michael Werner ins Rheinland über. Von 1989 bis 2005 war Penck Professor für Freie Grafik an der Kunstakademie Düsseldorf. Nach seiner Emeritierung lebte Penck in Dublin, Irland. Seine Arbeiten waren unter anderem auf der documenta 5 (1972), 7 (1982) und 9 (1992) ausgestellt. . Ihn haben Sie 1980 kennengelernt, oder?

Genau, das war toll. Ich habe dieses New-York-Bild gemalt, Christa Dichgans, „New York“, 1980. was sehr detailliert war, und danach ging es wirklich nicht mehr weiter. Es war wie eine geschlossene Tür. Ich habe dann versucht, ganz andere Malmethoden einzuführen, und in dieser Zeit traf ich Penck und das passte genau.

Wie haben Sie ihn kennengelernt?

Durch Rudolf natürlich. Das war kurz bevor er in den Westen gekommen ist. Wir haben ihn in Dresden besucht. Mit Jule Kewenig, Jule Kewenig (* 1946) ist eine deutsche Galeristin. 1962 lernte sie den Maler Markus Lüpertz kennen, den sie 1963 heiratete. Ab 1972 wohnte sie mit dem Galeristen Michael Werner auf Schloss Loersfeld in Kerpen bei Köln und pflegte einen engen Kontakt zu den Künstlern der Galerie Michael Werner. 1986 gründete sie gemeinsam mit ihrem dritten Ehemann Michael Kewenig eine Galerie in Köln, die 2013 nach Berlin umzog und parallel eine weitere Filiale in Palma auf Mallorca eröffnete. Die Galerie zeigt unter anderem Werke von Christian Boltanski, James Lee Byars, Hanne Darboven, Imi Knoebel, Jannis Kounellis und Mario Merz. der damaligen Frau von Michael Werner. Das war alles furchtbar aufregend. Es gibt auch ein Buch, nicht gedruckt, mit dem Kopf von Penck, 80-mal. Einmal pointilistisch, einmal surreal … Da habe ich alles einmal durchexerziert. Das war sehr schön, weil es mit der Malerei dann weiterging.

Wie kam es zu dem gemeinsamen Besuch in Dresden?

Jule Kewenig wollte, glaube ich, irgendwelche Sachen mitnehmen – die haben ja immer die Bilder abgespannt –, und da bin ich aus Neugier einmal mit. Pencks Arbeiten hatte ich vorher schon gesehen. Die wurden hier in der Diele ausgebreitet und da habe ich gestaunt. Er hat wunderbare Sachen gemacht.

War die Einreise in den Osten kompliziert?

Nein, in den Osten konnte man fahren. Man konnte nur nicht ohne Papiere ausreisen, aber die hatte ich ja. Das war kein Problem.

War Penck für Sie auch als Person inspirierend?

So gut kenne ich ihn nicht, aber die Arbeit interessierte mich sehr. Mehrere Malstile in einem Bild zum Beispiel. Er hat alles Mögliche gemacht. Er hatte von morgens bis abends sein Skizzenbuch bei sich und hat immer gezeichnet. Später war ich etwas ermüdet, weil sich manche Sachen zu sehr wiederholten. Aber in der damaligen Zeit war es sehr anregend für mich.

Penck gehörte zu der Gruppe um Michael Werner. Gab es in dem Kreis andere Künstler, die Sie inspiriert haben oder die Sie interessant fanden?

Ich fand Georg Baselitz am interessantesten.

Haben Sie 1963 seine Ausstellung bei Werner & Katz „Baselitz“, Galerie Werner & Katz, Berlin, 01.–25. Oktober 1963. Die Ausstellung umfasste 52 Bilder, darunter die Werke „A. A.“, „P. D. Stengel“, „Erste Semmel“, „Nackter Mann“ und „Die große Nacht im Eimer“. Am 09. Oktober 1963 wurden die beiden letztgenannten Bilder wegen des Vorwurfs der „Unsittlichkeit“ von der Berliner Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Vgl. o. A., „Baselitz-Prozess – Klage und Qual“, in: „Der Spiegel“, Nr. 26, 24.06.1964, S. 82–84. gesehen?

Nein, die habe ich nicht gesehen. Da war ich noch nicht so weit.

Sie hatten auch nicht davon gehört?

Doch, aber man weiß ja bis heute nicht, ob der Skandal inszeniert oder ob er echt war. In jedem Fall hat es funktioniert, alle haben von ihm gesprochen.

Auch damals schon?

Ja. Ich habe später eine Ausstellung bei Rudolf gesehen, „Warum das Bild ‚Die großen Freunde‘ ein gutes Bild ist!“, Galerie Rudolf Springer, 29. Januar – 12. Februar 1966. da standen die Leute Kopf an Kopf vom Kurfürstendamm-Hinterhof bis auf die Straße. Die Studenten haben diskutiert. Dann wurde geschimpft: „Er ist ja nur taktisch.“ Was heißt hier taktisch? Ein Maler ist immer taktisch. Kennen Sie einen, der nicht taktisch ist?

Das verstehe ich nicht. Warum ist ein Maler immer taktisch?

Er überlegt sich doch, dass das, was er macht, wahrscheinlich das ist, was gebraucht wird, was etwas auslösen kann. Man sieht sich ja nicht alleine, sondern immer im Umfeld mit allen anderen, die man kennt.

Also doch.

Ja. Klar.

So verorten Sie auch Ihre Bilder?

Es geht ja gar nicht, ohne dass man die Bilder von anderen kennt. Die Frage ist, wie man darauf reagiert. Das geht so oder so. Wenn vor mir noch nie jemand ein Bild gemalt hätte, hätte ich wahrscheinlich auch keines gemalt.

Und was war bei Baselitz damals so diskussionswürdig?

Im Einzelnen kann ich das gar nicht benennen, das ist sehr komplex. Wahrscheinlich fanden sie es zu brutal oder anatomisch nicht richtig. Es war irgendwie kleinkariert. Ich muss sagen, am Anfang habe auch ich erst einmal gestaunt. Die Grafiken und Plastiken sind zum Teil hässlich. Damit muss man sich anfreunden. Das tut man aber auch.

Hatten Sie zu Eugen Schönebeck Kontakt?

Ich kenne ihn kaum.

Und Sie haben auch das Werk damals nicht gesehen?

Doch, das hat man sehen können. Es gab Abbildungen. Ich habe nie verstanden, warum er immer so wehleidig war, sich beklagte, dass er nicht so berühmt war wie Baselitz und dass Baselitz vielleicht von ihm geklaut hat. Wer war zuerst da? Die Frage hat ihn beschäftigt. Das ist doch alles Blödsinn. Ein Maler ist ein Maler, der malt. Anders geht es gar nicht. Das fand ich immer schon komisch, ein Maler muss malen, sonst ist er keiner. Und Schönebeck hat ja jahrelang überhaupt nicht gemalt und geriet dann ins Hintertreffen. Baselitz hat immer Ausstellungen gemacht, war weltberühmt. Ich glaube, das war ein menschliches Problem. Am Anfang waren die beiden ja ganz eng.

Sie haben in mehreren Interviews gesagt, es sei immer schwierig, wenn man die Werke in der Galerie des Ehemanns ausstellt. Es heißt dann, man sei irgendwie befangen. Als ob die Beurteilung von Kunst sonst objektiv geschehen würde! Sie waren sehr gut vernetzt. Gab es die Überlegung, sich geschäftlich zu trennen, damit Sie mit Ihrer Malerei mehr Glaubwürdigkeit erlangen könnten?

Das ist ein Trugschluss, das wäre nicht gegangen. Das haben mir Leute geraten. Aber das ist Unsinn, Rudolf Springer hätte es trotzdem vermittelt – denn irgendwie hätte ich ja Leute kennenlernen müssen. Mit meinen Würstchen hätte mich doch niemand ausgestellt. Und die Galeristen kennen sich alle untereinander. Selbst wenn man woanders ausgestellt hätte, wäre klar gewesen, dass Rudolf das entriert hat. Das werden Sie nicht los. Diese Taktik können Sie vergessen.

Stand das Ihrer Karriere als Künstlerin im Weg?

Ich denke heute: nein. Ich denke nicht.

In den 80er-Jahren gab es die großen Malerei- und Gruppen-Ausstellungen: „Westkunst“, „Zeitgeist“, „von hier aus“, „Bilderstreit“. „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“, Rheinhallen, Köln, 30. Mai – 16. August 1981; „Zeitgeist. Internationale Kunstausstellung Berlin 1982“, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 16. Oktober 1982 – 16. Januar 1983; „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“, Halle 13 der Messe Düsseldorf, 29. September – 02. Dezember 1984; „Bilderstreit. Widerspruch, Einheit und Fragment in der Kunst seit 1960“, Museum Ludwig in den Rheinhallen, Köln, 08. April – 28. Juni 1989. Haben Sie gar nicht gesehen, dass Ihr Werk da fehlt?

Doch. Darunter habe ich auch gelitten. Es gab Ausstellungen, in die meine Bilder sehr gut gepasst hätten, aber sie waren gar nicht bekannt.

Das meine ich. Warum hat die Öffentlichkeitsarbeit gefehlt?

Rudolf hatte keinen besonders guten Kontakt zu Museumsleuten. Das ist ein Punkt. Und wenn jemand Rudolf nicht leiden konnte, war schon erst recht nichts zu machen. Das ist die Familienhaftung. Es gab Ausstellungen, zu denen die Bilder zum Teil sehr gut gepasst hätten. Deswegen kam das jetzt ganz unerwartet, dass ich aufgefordert worden bin, an der Frauen-Ausstellung „Power Up“ „Power Up. Female Pop Art“, Kunsthalle Wien, 05. November 2010 – 23. Januar 2011. teilzunehmen. Ich weiß gar nicht, wer mich da empfohlen hat. Das hat vieles nach sich gezogen. Unter anderem die Beteiligung in Frankfurt in der Schirn. „German Pop“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Frankfurt am Main, 06. November 2014 – 08. Februar 2015. Plötzlich sagten sie: „Das ist ganz ulkig.“ Es wäre natürlich auch gut gewesen, wenn das etwas früher gewesen wäre …

Sie haben sich damals auch nicht beschwert?

Das habe ich schon auch mal gemacht, aber das war immer negativ oder es kam keine Antwort. Versucht habe ich es, bei mir hat das nie funktioniert.

Inwiefern spielte es auch eine Rolle, dass Sie eine Frau sind? Bei der „Westkunst“-Ausstellung zum Beispiel waren nur neun Frauen dabei. Ähnlich war es bei all diesen Großausstellungen.

Herr Zwirner zum Beispiel, der auch sehr viel mit Rudolf zu tun hatte oder Rudolf mit ihm, hätte mich nie ausgestellt.

Weil Sie nicht ins Programm passten?

Und weil ich Rudolfs Freundin bin und weil er die Frauen nicht ernst nimmt. Ich weiß es nicht. Zwirner hat auch ein Talent dafür zu sehen, was man verkaufen kann, und das ist bei mir ja sehr schwer. Die Bilder sind doch irgendwie zu sperrig.

Hat es sich auch bei Ihnen bemerkbar gemacht, dass es in den 80er-Jahren für die Malerei, vor allem die gegenständliche Malerei, am Kunstmarkt einen Aufschwung gab? Konnten Sie damals mehr verkaufen?

Ich hatte einige gute Ausstellungen und ich habe auch immer ein bisschen verkauft. Aber die Produktion ist ja nicht so groß.

Und das ist hauptsächlich über Rudolf Springer gelaufen?

Ja, alles über Rudolf. Alles andere wäre eine Illusion gewesen. Wenn man das nicht will, muss man sich von dem Mann trennen. Aber das wollte ich ja nicht. Dazu sah ich überhaupt keinen Grund. Dann lief das eben so.

Sie haben später bei Hans Strelow und bei Neuendorf ausgestellt. „Christa Dichgans“, Galerie Hans Strelow, Düsseldorf, 29. September – 05. November 1983; „Christa Dichgans“, Galerie Neuendorf, Hamburg, 01. März – 05. April 1984.

Ja, das war sehr gut. Da gab es auch Verkäufe. Durch Neuendorf bin ich auch auf die Idee mit artnet Das Online-Unternehmen artnet wurde 1989 unter anderen von Hans Neuendorf gegründet. Es umfasst eine Preisdatenbank für Kunstwerke, eine Plattform für Galerien sowie ein Auktionsportal. 1999 erfolgte die Erstnotierung des Unternehmens an der Börse. Die Hauptniederlassungen befinden sich in Berlin und New York. gekommen. Dadurch konnte ich in den letzten Jahren meine Bildersammlungen archivieren. Dafür habe ich mit dem Computer gearbeitet, was ich heute kaum noch mache, denn an und für sich bin ich nicht für das Arbeiten mit dem Computer.

Gibt es eigentlich eine ausführliche Biografie über Sie?

Nein, die gibt es nicht.

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Christa Dichgans