Fulda, 01. September 2015
Franziska Leuthäußer: Du hast hier Entwürfe für eine Ausstellung in der Galerie Schmela Alfred Schmela (1918 Dinslaken – 1980 Düsseldorf) eröffnete 1957 in der Hunsrückenstraße 16–18 in Düsseldorf eine Galerie. Sein Programm umfasste wesentliche Positionen der deutschen Nachkriegskunst, darunter Joseph Beuys, Gerhard Richter sowie Künstler aus dem Umfeld der ZERO-Bewegung. im Jahr 1965? Die Ausstellung taucht in deiner Biografie gar nicht auf.
Franz Erhard Walther: Die Ausstellung ist auf Einspruch von Joseph Beuys nicht zustande gekommen. Heinz Mack und Günther Uecker hatten die Ausstellung angestoßen. Ich bin ja 1962 nach Düsseldorf an die Akademie gekommen, weil ich in Frankfurt rausgeschmissen wurde. Und da ist mir natürlich Schmela, eine Galerie, die übrigens in der Nähe der Akademie war, sofort ins Auge gefallen. Den Namen hatte ich vorher auch schon gehört, über die Galerie dato Gemeinsam mit Engelbert Eckert führte Rochus Kowallek von 1961 bis Anfang 1962 die Galerie dato in der Kaiserhofstraße 13 in Frankfurt am Main. Sie zeigten unter anderen Künstler aus dem Umfeld der ZERO-Bewegung. in Frankfurt. Die haben ein ähnliches Programm gehabt. Ich hatte Rochus Kowallek, den Leiter der Galerie, damals gefragt, wie er auf die ZERO Ab 1958 verwendeten Heinz Mack und Otto Piene den Begriff „ZERO“ im Kontext ihrer gemeinsamen Ausstellungen sowie der drei Ausgaben der ZERO-Zeitschrift, die von ihnen in Düsseldorf herausgegeben wurde. Ab 1961 nahm auch Günther Uecker regelmäßig an den Ausstellungen und Aktionen der ZERO-Bewegung teil. ZERO stand für Aufbruch und Neubeginn, die Stunde null und einen radikalen Neuanfang nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. ZERO setzte sich deutlich vom etablierten Informel ab. Mit neuen Materialien, insbesondere unter Einsatz von Bewegung, Licht und Raum als Teil des künstlerischen Werks, etablierte ZERO eine neue Bild- und Formensprache. Vgl. Wieland Schmied, „Etwas über ZERO“, in: Dirk Pörschmann/Mattijs Visser (Hg.), „ZERO 4 3 2 1“, Düsseldorf 2012, S. 9–18. -Kunst gestoßen sei. Da sagte er, er habe in der „Frankfurter Allgemeinen“ gelesen: Alfred Schmela hat eine Galerie in Düsseldorf gegründet und stellt avantgardistische Kunst aus. Daraufhin fiel Kowallek ein: „Alfred Schmela, das war doch mein Spieß!“ Er war als Jungoffizier Leutnant in der Wehrmacht gewesen, sein Feldwebel hieß Alfred Schmela. Kowallek hat ihn dann angerufen und gesagt: „Dat bin ich!“ Die beiden haben sich getroffen und Schmela hat ihn in die Galeriearbeit eingeführt. Das hat ihn dazu bewegt, in Frankfurt die Galerie dato zu gründen. So hat er es mir erzählt.
Und hast du 1963 die Ausstellung in der Schwanenhalle im Frankfurter Römer „Europäische Avantgarde“, Galerie d in der Schwanenhalle des Römers, Frankfurt am Main, 09. Juli – 11. August 1963 (verlängert bis 25. August). Die Ausstellung umfasste Arbeiten unter anderen von Getulio Alviani, Bernard Aubertin, Hermann Bartels, Kilian Breier, Pol Bury, Enrico Castellani, Piero Dorazio, Lucio Fontana, Hermann Goepfert, Gotthard Graubner, Oskar Holweck, Yves Klein, Harry Kramer, Walter Leblanc, Adolf Luther, Heinz Mack, Piero Manzoni, Christian Megert, Bruno Munari, Herbert Oehm, Henk Peeters, Otto Piene, Uli Pohl, Arnulf Rainer, Dieter Roth, Hans Salentin, Jan J. Schoonhoven, Jesús Rafael Soto, Paul Talman, Jean Tinguely, Günther Uecker, Paul Van Hoeydonck, Jef Verheyen und Herman de Vries. gesehen?
Ja, auf der Durchreise von Düsseldorf nach Fulda – dort habe ich die Semesterferien verbracht – habe ich sie gesehen. Ich habe natürlich alles gesehen, was in der Zeit interessant war, und das war für mich interessant, aus einem einfachen Grund: Nach dem Informel erschien das als eine Art andere neue Kunst.
Die Ausstellung war international.
Ja, international heißt europäisch. Als ich Anfang 67 nach Amerika kam, habe ich Künstlerfreunden von ZERO erzählt und die hatten davon noch nie gehört. Die kannten die ganze europäische Avantgarde nicht. Lucio Fontana, who? Yves Klein, who? Die waren völlig auf sich konzentriert.
Wo hast du Werke von Yves Klein und Künstlern des ZERO-Umfelds das erste Mal gesehen?
In Frankfurt bei Rochus Kowallek.
Hattest du schon auf der „documenta 2“ Werke von Lucio Fontana gesehen?
Die hatte ich dort 59 gesehen. Die Geschichte erzähle ich gerne, denn sie war für mich sehr wichtig: Originale in einem größeren Umfang habe ich das erste Mal in der Galerie dato in Frankfurt gesehen. Rochus Kowallek hat irgendwann mal gesagt: „Ich bin der berühmteste Galerist der Welt.“ Da sage ich: „Wieso?“ Und er sagt: „Ich bin der einzige Einbeinige!“ Er hat ja im Krieg ein Bein verloren. Er hatte Humor und Selbstironie. Ich bin immer öfter da gewesen und er guckte immer: „Was ist das da für ein Typ?“ Ich war gerade 20 Jahre alt. „Ungewöhnlich, dass in dem Alter jemand hinkam“, so hat er mir erzählt. Irgendwann hat er mich gefragt: „Wo kommen Sie denn her, wer sind Sie?“ – „Ich studiere an der Städelschule.“ – „Ah ja, vom Städel hatte ich noch niemanden hier.“ Das ist auch interessant, über die Galerie habe ich in der Städelschule nichts erfahren. Die Studenten haben sich offenbar dafür nicht interessiert. Wo einige hingingen, das war die Zimmergalerie Franck Klaus Franck (1906 Berlin – 1997 Bad Soden) war ein Versicherungsangestellter und Galerist, der von 1949 bis 1961 die Zimmergalerie Franck in der Böhmerstraße 7 und ab 1954 in der Vilbeler Straße 29 in Frankfurt am Main führte. Sein Programm umfasste vor allem frühe Positionen des deutschen Informel, darunter K.O. Götz, Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze. . Nicht die aus der Klasse, in der ich war, die war sehr konservativ.
Bei welchem Professor warst du eigentlich?
Der hieß Ferdinand Lammeyer. Ferdinand Lammeyer (1899 Fulda – 1995 Bischofsheim) war ab 1950 Professor für Freie Malerei an der Städelschule in Frankfurt am Main. Von 1959 bis 1965 war er Direktor der Schule. Es gab eine Klasse für sogenannte „Wandmalerei“, die eine eher freie Klasse war. Dort hatte Hermann Goepfert studiert, der Goepfert ist ja dann in die ZERO-Kunst reingeraten und vermutlich wussten die Studenten über ihn von der Zimmergalerie Franck. Das waren aber auch nur zwei, drei, die dort hingegangen sind.
Goepfert hat auch bei Kowallek in der Galerie dato ausgestellt. Hermann Goepfert war unter anderem in folgenden Ausstellungen der Galerie dato und der Galerie d in Frankfurt am Main vertreten: „Exposition dato 1961“, 1961; „Achrom“, 1962; „Dokumentation 2 – Lichtturm“, 20. Februar 1963; „Achrom 2“, 1963.
Ja, der hat mit merkwürdig geformten Leinwänden angefangen. Die hat er in der Galerie Franck gezeigt und danach tauchte er im ZERO-Zusammenhang bei Rochus Kowallek auf. Natürlich gab es in diesen monochromen Bildern nicht viel zu sehen, aber ich wusste sehr wohl, was das in dem Moment bedeutete. Diese provokative Leere, wie ich sie gesehen habe. Und ich habe nicht nur darüber nachgedacht, sondern auch über meine eigene Situation 1960.
1957 hast du an der Werkkunstschule Offenbach angefangen?
Ohne große Kunstkenntnisse. Was ich kannte, waren regionale Geschichten, letztlich völlig belanglose Sachen. Und ich habe zufällig erfahren, dass es diese Werkkunstschule gibt, die ich für eine Kunstschule gehalten habe. Ich war so naiv, komme aus diesem Städtchen Fulda, da gab es weder eine Galerie noch ein Museum, nichts, keine Sammlung. Ich bin nach Offenbach gegangen, weil ich der Meinung war, dort kann ich Kunst studieren. Ich habe bis zu meinem 17. Lebensjahr permanent in Fulda gewohnt, dann war ich in Offenbach, danach in Frankfurt und dann in Düsseldorf. Von dort aus bin ich nach New York gegangen. Ab 17 war ich für viele Jahre nur noch unregelmäßig in Fulda und bin nun nach fast einem halben Jahrhundert wieder zurückgekehrt.
Du bist aber nicht in Fulda geboren?
Doch! Na ja, ich habe bis zum 10. Lebensjahr in einem Dorf in der Nähe von Fulda gewohnt. Ein Kuhdorf. Ab 14, 15 Jahren habe ich mich sehr für Kunst, insbesondere für Gegenwartskunst, interessiert, ich wollte verstehen, was heute gemacht wird. Zu der Zeit kam man in Fulda nicht an Informationen. Die einzige Quelle, wo es etwas zu sehen gab, war die Landesbibliothek. Dort gab es Kunstzeitschriften. Aber die Sachen, die in diesen Zeitschriften publiziert wurden, hatten meines Erachtens mit Gegenwartskunst nichts zu tun.
Wie kamst du überhaupt zur Kunst? Ihr habt hier in Fulda schönen Barock, deine Eltern hatten eine Bäckerei.
Bäckerei-Konditorei. Der Ausgangspunkt damals, wenn man sich überhaupt in die Kunst hineindenken wollte, war das Zeichnen. Das heißt narrativ, abbildhaft zeichnen. Ohne das Vermögen hätte man gar nicht an Kunst denken können. Das ist ja heute anders. Und ich konnte sehr früh sehr realistisch zeichnen. Was immer ich abbilden wollte, konnte ich abbilden. Die Umgebung hat mir gesagt: Du bist ein Künstler! Meine Mutter hat laienhaft gezeichnet und gemalt, zum Beispiel hat sie Caspar David Friedrich kopiert. Ich konnte mich sehr früh frei in der Kunst bewegen, weil ich mir das Zeichnen nicht antrainieren musste. Das war einfach da. Dieser frühe Zugang zum künstlerischen Arbeiten hat mir dann auch geholfen, an die Werkkunstschule zu kommen. Wenn du dich auf das Zeichnenlernen konzentrieren musst, hast du keinen Kopf für Experimente, die aber waren notwendig. Ich habe 1955 angefangen. Es gibt auch vorher sehr realistische Arbeiten, traditionelle Dinge: Stillleben, Porträts, Landschaften. Und ich muss sagen, wenn ich da heute drauf gucke, es ist nicht doof. 56 habe ich sehr ausführlich sogenannte „Umrisszeichnungen“ gemacht, und zwar im großen Maßstab. Ich habe mich auf Gegenstände bezogen, aber nicht abbildhaft, sondern eher als Typologie. Weder expressiv noch besonders interessant gezeichnet. Eher anonyme Linien gezogen. Diese Formen waren nicht, was man abstrakt nennt, sondern auf Gegenstände bezogen, aber nicht so, dass sie etwa die Umrisse einer Tasse abbilden. Mit der Vorstellung, dass die Betrachter während der Ansicht dieser Zeichnungen die Formen auf der Bildfläche füllen, das heißt imaginativ handeln. Diese Vorstellung, Werke aus Handlungen heraus zu denken, durchzieht mein ganzes Leben. Das war damals schon da. Diese Umrisszeichnungen sind ja vor dem Studium gewesen. Ich habe nicht nur einzelne Zeichnungen gemacht, sondern ganze Reihen. Sehr sorgfältig überlegt, welche Formen ich nehme, daran habe ich gearbeitet, auch skizzenhaft, und sie dann übertragen. Damals war mir das nicht bewusst, aber im Nachhinein ist meine Vermutung, dass ich durch Ausstechformen angeregt war. Also, wenn zum Beispiel Teige für Plätzchen ausgerollt und ausgestochen wurden, hast du die Umrisse, die meinen Zeichnungen ähnlich sind. Wenn sie gebacken waren, wurden sie mit Zuckerguss dekoriert, also bildhaft ausgefüllt. Ich vermute, dass das eine Anregung war.
Hast du bei deinen Eltern in der Bäckerei gearbeitet?
Ich habe da gejobbt, ja. Da habe ich mein Geld verdient. Auch später, als ich studierte. Es hat mir den Rücken finanziell freigehalten. In der Familie gab es vier Bäckereien-Konditoreien, die wollten zusammen eine Keks-Zwieback-Fabrik gründen und mich als Juniorchef einsetzen.
Wo hast du in Offenbach gelebt?
Ich bin jeden Tag mit dem Zug von Fulda nach Offenbach und zurückgefahren, jeweils nahezu zweieinhalb Stunden.
Du hast da gar keine Wohnung gehabt?
Das hätten meine Eltern mir, einem 17-Jährigen, zu der Zeit nie erlaubt.
Du bist jeden Tag von Fulda nach Offenbach gefahren?
Morgens um halb fünf aufstehen. Bei Wind und Wetter, Schnee zum Bahnhof, mit dem Dampfzug nach Offenbach und abends wieder zurück. Das war knochenhart. Nein, dort leben, das wäre nicht gegangen. Das wollte ich auch nicht, mit 17 Jahren, das ging nicht.
Und wie war Offenbach damals?
Im Nachhinein muss ich sagen, habe ich dort weit mehr profitiert als an der Städelschule. Dort gab es verblasene Maltheorien, in Offenbach habe ich handfeste Dinge gelernt. Unter anderem Schrift. Die Grundklassen damals basierten mehr oder minder auf dem Bauhaus, das war für mich nicht sonderlich interessant. Wir hatten aber auch Aktzeichnen. Mein Lehrer sagte mir später einmal: „Du hast angefangen, als ob du schon ein Studium gehabt hättest!“
Ihr habt in Offenbach auch Akte gezeichnet?
Natürlich. Das war aber alles unbefriedigend und ich bin durch die Klassen gestreift und habe dabei mehrere Dinge entdeckt. Unter anderem die Schriftklasse, ich war fasziniert von konstruierten Schriften, also nicht kalligrafischen Schriften, ich hatte immer eine sehr klare Handschrift, Kalligrafisches war für mich selbstverständlich. Für mich war Schreiben wie Zeichnen und Zeichnen wie Schreiben. Konstruierte Buchstaben, das war so wie Architektur, Proportionsfindung, Geschichte. Du musst dich in die Schriftfamilie hineindenken. Und ich habe von Anfang an sogenannte „Wortbilder“ gemacht, auch wieder mit der Vorstellung der Handlung: Ich habe zunächst die Proportionen der Blätter oder Kartons ausgesucht und monochrom eingestrichen, die Farbe sorgfältig gewählt, die Schriften wurden konstruiert, auf der Blattrückseite schraffiert, denn Pauspapier gab es nicht, und auf diese farbigen Flächen aufgepaust und ausgemalt. Es waren im Grunde genommen Malereien mit Schriften.
Bist du in Offenbach damals schon auf Thomas Bayrle getroffen?
Den habe ich von Weitem gesehen, er war in einer Parallelklasse. Thomas Bayrle (* 1937 Berlin) absolvierte von 1956 bis 1958 in Göppingen eine Ausbildung zum Weber und Färber und studierte von 1958 bis 1961 bei Eberhard Behr Druckgrafik an der Werkkunstschule Offenbach. 1961 gründete er gemeinsam mit seinem Studienkollegen Bernhard Jäger (* 1935) den Verlag Gulliver-Presse. Bayrle beschäftigt sich in seinen Arbeiten insbesondere mit dem Prinzip des Seriellen. Er war 1964, 1977 und 2012 auf der documenta vertreten und stellte 2003 und 2009 auf der Biennale von Venedig aus. Bayrle war von 1972 bis 2002 Professor an der Städelschule in Frankfurt am Main. Was er damals gemacht hat, war Gebrauchsgrafik, so haben wir es genannt. Meine Wortbilder als künstlerische Frage zu sehen war ein Problem. Ich hatte einen hervorragenden Schriftkünstler als Lehrer, der sagte mir: „Herr Walther, es geht bei uns um Gestaltung. Ein einzelnes Wort auf ein Blatt setzen, das kann doch jeder Schildermaler.“ Am Beispiel meines Wortbildes „Afrika“ Franz Erhard Walther, „Wortbild AFRIKA“, 1957. , das später sehr bekannt geworden ist, habe ich ihm erklärt, wie ich es sah: Den ockerfarbenen Hintergrund habe ich mit Savanne, einer Sandwüste, Trockenheit verbunden. Die schwarze Farbe der Buchstaben mit dem geheimnisvollen schwarzen Kontinent, mit schwarzhäutigen Menschen. Und die hochgezogenen Buchstaben habe ich assoziiert mit der Vorstellung: In Afrika ist alles groß, die Palmen, die Massai, Elefanten, Giraffen. Ich habe das also nicht illustriert, sondern mit dieser Andeutung darauf gehofft, dass die Leser ihr eigenes Bild von Afrika entwickeln, also handeln. Ich bin so oft gefragt worden: „Wie bist du dazu gekommen?“ Ich kann es nicht richtig erklären. Ich mache keine Arbeit, die ich passiv wahrnehme, sondern die ich mit Handlung verbinde.
Und dein Lehrer hat dir dann gesagt: „Du gehörst eigentlich an eine Kunstschule“?
Der damalige Direktor Henry Gowa. Henry Gowa (1902 Hamburg – 1990 München) war ein deutscher Maler und Bühnenbildner, der von 1954 bis 1964 als Direktor die Werkkunstschule Offenbach leitete. Den haben wir alle sehr geschätzt, aus einem einfachen Grund: Er hat in der französischen Résistance gegen die Nazis gekämpft! Damals war das ein Thema. Man hat sich immer gefragt: Hat der mitgemacht? Was hat der in der Nazizeit gemacht? Und von Gowa wussten wir, der war sauber. Der kam aus einer jüdischen Hamburger Familie, die sind emigriert. Ein sehr künstlerischer Mensch, sehr menschlich, sehr offen, dem habe ich mich damals anvertraut. Ich habe ihm meine Arbeiten gezeigt und ihm erklärt, was ich wollte. Er sagte: „Die Werkkunstschule, die ist nichts für Sie, gehen Sie an die Städelschule.“ Ich war gar nicht auf die Idee gekommen. Naiverweise habe ich mich unter anderem mit diesen Schriftbildern beworben und wurde dann natürlich abgelehnt, weil das für die Leute Gebrauchsgrafik war. Bei dem zweiten Anlauf, ein halbes Jahr später, habe ich gefragt: „Was wird denn gewünscht?“ – „Zum Beispiel Aktzeichnungen.“ Und aufgrund der Aktzeichnungen bin ich dann aufgenommen worden.
Hast du weiterhin in Fulda gewohnt?
Ja, noch für eine Weile, bin dann aber doch nach Frankfurt gezogen, weil die Zugfahrten zu anstrengend wurden.
Hattest du in Frankfurt Kollegen an der Schule, mit denen du dich austauschen konntest?
Nichts, niemanden.
Außer Rembrandt im Städel Museum?
Es gab außer der Galerie dato und der Zimmergalerie Franck noch eine dritte Galerie in Frankfurt, die Galerie Daniel Cordier, die auch Karl Otto Götz vertrat. Die haben zum Beispiel Jean Dubuffet gezeigt. Und von Dubuffet nicht diese kindhaften Figuren, sondern die Sprenkelbilder, diese aus Pappmaschee gekneteten Flächen. Das war interessant. Cordier ist nach Frankfurt gegangen, weil Götz und Bernard Schultze ihn überredet hatten. Dort sei Geld, dort sind die Banken, es ist aber offenbar wirtschaftlich nicht geglückt.
Es gab noch die Galerie Dorothea Loehr. Dorothea Loehr (1913 Stettin, Pommern, heute Polen – 2006 Frankfurt am Main) war eine Fotografin und Galeristin. Im November 1959 übernahm sie eine Filiale des Unternehmens Bauhütte Möbel GmbH in Frankfurt am Main und nutzte die Räumlichkeiten parallel für erste Ausstellungen. Nachdem sie seit 1961 eigene Galerieräume im Frankfurter Westend betrieben hatte, bezog sie 1964 ein altes Bauerngehöft in Niederursel und etablierte den Ort als wesentlichen Treffpunkt der jungen performativen Kunstszene. In ihrem Programm zeigte sie Arbeiten von Bazon Brock, Jan Dibbets, Max Mohr, Franz Mon und Wolf Vostell unter anderen.
Das war viel später. Die habe ich in den 70er-Jahren kennengelernt.
Und kanntest du Hermann Goepfert? Er war zum Beispiel mit Piero Manzoni befreundet. Wenn Manzoni in Frankfurt war, hat er bei Goepfert gewohnt. Hattest du mit denen Kontakt?
Nein.
Warum nicht?
Schwer zu sagen. Also, zum einen war diese Generation zehn Jahre älter. Ich war das junge Kerlchen von der Städelschule. Und das haben sie einen auch spüren lassen. Das hat mich gestört. Ich wusste zwar nicht genau, wo ich künstlerisch stehe, aber ich wusste, dass ich an einer Sache dran bin, die etwas Besonderes ist. Dieser Handlungsbegriff hat mich letztlich dazu gebracht, bestimmte Dinge zu tun, die überhaupt nicht gewünscht waren. Und dann flog ich ja auch von der Städelschule. Es war offensichtlich eine besondere Unternehmung. Wenn ich davon gesprochen habe, wurde ich eher ratlos angeguckt.
Du hattest schon damals diesen Handlungsbegriff für dich formuliert?
Nein, aber diese Handlungsvorstellung unterlag dem Ganzen, womit ich zu tun hatte. Du knüpfst ja an, fängst nicht irgendwo an. Ich habe mich mit dieser Vorstellung „Handlung“ beschäftigt, was zur Folge hatte, dass die klassischen Genres infrage gestellt wurden, also die Malerei, die Skulptur. Das ist mit meinen Kunstvorstellungen kollidiert, vor allen Dingen der Kompositionsbegriff, der damals noch Gültigkeit hatte, das ging einfach nicht mit meinem Werkbegriff zusammen. Vor dem Hintergrund bin ich auf die ZERO-Kunst gestoßen, weil die von der Form der klassischen Darstellung und auch von Kompositionsbegriffen frei war. Das war was ganz anderes. Viel mehr noch habe ich mich auf den Begriff des Informel bezogen. Ich habe mir überlegt, ich weiß nicht, ob das Theorie ist oder einfach nur Nachdenken: „Kann es formlose Bilder geben? Ohne Form, abseits von Form?“ Informel musste man so verstehen. Und dann habe ich mir gesagt: Wenn das so sein sollte, dann muss ich dem als Betrachter Form geben, also handeln. Stück für Stück habe ich verstanden, dass der Begriff „Informel“ nur Sinn machte, wenn man das auf die Abwesenheit des Kompositionsbegriffs bezieht. Ich habe die Formferne mit dem Handlungsbegriff verbunden und noch in der Städelschule, bevor ich dort rausflog, Materialprozessarbeiten entwickelt. Ich habe also sozusagen den Malprozess des Informel in einen Materialprozess überführt. Und ich wollte Materialien und Techniken haben, die historisch unverbraucht waren, damit die Erinnerungen an klassische Vorstellungen verschwinden. Ich habe mit dem Begriff „Collage“ gekämpft und dennoch habe ich die Papiere geklebt. Zu dieser Zeit hatte ich in Frankfurt niemanden, mit dem ich das diskutieren konnte.
Du bist trotzdem jeden Tag in der Schule gewesen? Hast du dort im Atelier gearbeitet?
Ja, ich war jeden Tag da.
Und konntest du deine Sachen irgendwo zeigen?
Wir hatten ja in Fulda Ende 1958 die Galerie Junge Kunst gegründet. Da habe ich gelegentlich an Gruppenausstellungen teilgenommen. Franz Erhard Walther nahm an folgenden Ausstellungen in der Galerie Junge Kunst in Fulda teil: „Eröffnung Galerie Junge Kunst. Kollektivschau des Jungen Kunstkreises e. V. Fulda“, 15.–25. November 1958; „Schwarz-Weiß“, 16. September – 05. Oktober 1960; „Graphik – Fulda“, 04.–18. Juni 1961; „Moderne Miniaturen“, 20. August – 06. September 1961; „Sammlung Junge Kunst aus dem Eigenbesitz der Galerie“, 03.–30. Juni 1962; „neue impulse fulda – objekt – bild – plastik“, 23. Februar – 22. März 1964; „Franz Erhard Walther, Düsseldorf“, 24. Juli 1965; „Arman. Brecht. Fontana. Klein. Lichtenstein. Manzoni. Oldenburg und Walther“, 4.–29. März 1966; „Kunst heute – aus Fuldaer Privatbesitz“, 10. September – 01. Oktober 1968; „Franz Erhard Walther. Zweitageausstellung“, 30./31. August 1969. Siehe auch: Pedro Herzig (Hg.), „Der Junge Kunstkreis und die Galerie Junge Kunst Fulda. 1958–1973“, Fulda 1996. Mehr war da nicht. Das ist ein Freundeskreis gewesen. Immerhin haben wir dort 1962 die erste Einzelausstellung mit Gerhard Richter gemacht. „M. Kuttner – G. Richter. Düsseldorf“, Galerie Junge Kunst, Fulda, 08.–30. September 1962.
Warum ist deine Wahl dann auf Düsseldorf gefallen?
Nachdem ich an der Städelschule zwangsexmatrikuliert wurde, habe ich erst einmal versucht, ohne Studium, also ohne Akademie, ohne Hochschule weiterzuarbeiten. Das ging nicht, ich bin einfach vereinsamt, ich arbeitete in meinem Zimmer und das war beengend. Ich war jedoch ziemlich gut informiert über das, was in der Kunst los war. Ich kannte die wichtigen Namen des Informel und ich kannte die sogenannten „ZERO-Künstler“. Die Begegnung mit Werken Fontanas 1959 auf der documenta war wichtig. Die amerikanische Kunstszene betraf mich zu der Zeit nicht. Mit dieser Kenntnis habe ich mir Prospekte aller deutschen Kunstakademien kommen lassen, habe geblättert und die einzige Akademie, bei der ich interessante Namen gefunden habe, war Düsseldorf. Das waren zwei Namen: Karl Otto Götz und Gerhard Hoehme. Und ich fand aus bestimmten Gründen Götz interessanter und habe mich bei ihm beworben.
Du warst in Fulda, du warst in Offenbach, du warst in Frankfurt, 59 warst du in Kassel auf der documenta. Hast du noch woanders Ausstellungen in dieser Zeit gesehen? Warst du mal in Paris?
Paris, das wusste ich, war vorbei. Es war mit der documenta 59 für mich unabweisbar, dass sich die Szene nach New York verlagert hatte. Dort ist zum ersten Mal die sogenannte „New York School“, Abstrakter Expressionismus, gezeigt worden. Das fand ich bei Weitem frischer, interessanter, provokativer als die sogenannte „École de Paris“ Der Begriff „École de Paris“ umfasst die unterschiedlichen Strömungen der international einflussreichen Pariser Kunstszene zwischen der Jahrhundertwende und dem Zweiten Weltkrieg. Neben den französischen Künstlern Georges Braque, André Derain und Henri Matisse werden auch Hans Arp, Marc Chagall, Giorgio de Chirico, Max Ernst, Pablo Picasso, Joan Miró und Piet Mondrian zur damaligen Pariser Kunstszene gerechnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete sich die sogenannte „Nouvelle École de Paris“, der vor allem Künstler der Lyrischen Abstraktion und des Tachismus zugeordnet werden. Zu den wichtigsten Vertretern dieser Generation zählen Jean Fautrier, Hans Hartung, Georges Mathieu, Jean Messagier, Serge Poliakoff, Pierre Soulages und Wols. , die fand ich eher ästhetisierend, so steht es auch in meinem Tagebuch, das ich geführt habe. „Parfümierte Bilder“ habe ich das genannt, das war meine Wahrnehmung. Die documenta 59 war für mich ein enormer Informationspool. Dort habe ich zum ersten Mal überhaupt Originale der Moderne gesehen. Ich habe immer Sachen geliebt, die provokativ sind, die herausfordern, die ungewöhnlich sind. Dinge, die ich so noch nie gesehen habe, das hat mich einfach magisch angezogen. Und so war das mit der documenta. Ich wusste – und das war der Grund, warum ich damals hingefahren bin –, dass auf der documenta Wols Wols (eigtl. Alfred Otto Wolfgang Schulze; 1913 Berlin – 1951 Paris) war ein Maler und Fotograf. Bekannt wurde er vor allem durch seine ab 1946 entstandenen abstrakten Ölgemälde. Er zählt zu den Vertretern des sogenannten „Tachismus“. und Jackson Pollock Jackson Pollock (1912 Cody, Wyoming – 1956 East Hampton, New York) gilt als Begründer des Abstrakten Expressionismus und Erfinder des Action-Painting. Bekannt wurde er insbesondere für seine Dripping-Technik. Dabei ließ er Farbe ohne Pinsel direkt auf die am Boden ausgebreitete Leinwand tropfen. Pollock studierte an der Art Students League, New York, und wurde von der Mäzenin und Galeristin Peggy Guggenheim in den 1940er-Jahren unterstützt und gefördert. Werke von Pollock waren auf der documenta 2 (1959) und 3 (1964) ausgestellt. gezeigt werden, die ich beide sehr geschätzt habe. Über Pollock wusste ich Bescheid, kannte auch Abbildungen, weil es hier in Fulda eine große amerikanische Garnison gab und ein älterer Künstlerfreund, der dort als Art Instructor tätig war, amerikanische Kunstzeitschriften in unsere Galerie mitbrachte. Darin habe ich Abbildungen gesehen, auch von Willem de Kooning. Ich habe Pollock und Wols gefeiert. Künstler, die man hier kannte, wie Pierre Soulages, erschienen daneben einfach zu brav. Nicolas de Staël verglichen mit Clyfford Still, da waren Welten dazwischen. Unvergessen im Treppenhaus des Fridericianums: ein großes Format, monochrom, gelb-ockerfarben, mit einer einzigen senkrecht verlaufenden Linie. Wie kann das ein Bild sein? Ich hatte das vorher zwar in kleinen Abbildungen gesehen, aber es ist etwas anderes, wenn du einem derart großen Format gegenüberstehst. Einem Bild von Barnett Newman. Da habe ich gemerkt, in meinem Kopf ist immer noch dieses Kompositionsdenken. Denn um ein Bild wahrzunehmen, brauchtest du die Bezüge innerhalb des Bildes. Die waren nicht vorhanden. In der Vorstellung konnte man das ausdehnen. Ich verband das mit der Vorstellung des Handelns.
Dann habe ich auf der documenta zwei Bilder gesehen, collageartig, die mich an Kurt Schwitters erinnerten, den ich aus der Literatur kannte. Aber viel grober gemacht: von einem gewissen Rauschenberg Robert Rauschenberg (1925 Port Arthur, Texas – 2008 Captiva Island, Florida) studierte am Kansas City Art Institute, an der Académie Julian, Paris, am Black Mountain College in North Carolina und an der Art Students League, New York. Zu seinen bekanntesten Arbeiten gehören „Erased de Kooning Drawing“ (1953) und die Serie der „Combine Paintings“. Rauschenberg arbeitete häufig mit anderen Künstlern wie Jasper Johns (* 1930), dem Choreografen Merce Cunningham (1919–2009) oder dem Komponisten John Cage (1912–1992) zusammen. Er nahm an der documenta 2 (1959), 3 (1964), 4 (1968) und 6 (1977) teil. 1964 wurde ihm auf der „32. Biennale von Venedig“ der Große Preis für Malerei verliehen. 1970 sagte er seine Ausstellung im US-amerikanischen Pavillon der „35. Biennale von Venedig“ aus Protest gegen den Vietnamkrieg ab. Seine erste Retrospektive organisierte das Jüdische Museum 1963 in New York, seitdem fanden große Ausstellungen seines Werks unter anderem im Guggenheim Museum, New York, in der Menil Collection, Houston, im Museum Ludwig, Köln, im Metropolitan Museum of Art, New York, im Museum of Contemporary Art, Los Angeles, und im Centre Pompidou, Paris, statt. . Nie gehört vorher. Ich habe das als eine Erweiterung von Kurt Schwitters gesehen. Dann bin ich unterm Dach im ersten oder zweiten Stock gewesen, ein heißer Sommertag, das war wie in einer Sauna. Da hingen eher mittelformatige Bilder. Die École de Paris durfte ganz unten im großen Saal auftreten. Das war große Oper, Werner Haftmann war der Täter, der das wohl alles so toll fand. Oben sehe ich an einer Wand mittlere Formate: monochrom weiß, eines türkisfarben. Der Künstler hatte da mit dem Messer Schnitte in die Leinwand gesetzt und bei dem türkisfarbenen Bild einen Schnitt grob mit Goldbronze überstrichen. Ich war völlig perplex. Obwohl ich gar nicht so genau wusste warum, fand ich das toll. Natürlich das Moment des Provokativen, so was hatte ich noch nie gesehen. Dann dachte ich: „Na, das ist, was die jungen Künstler heute machen“, und lese aber: Lucio Fontana, geboren 1899. „Der ist 60 Jahre alt, das ist aber merkwürdig.“ Das werde ich nie vergessen. Ich habe das ernst genommen, weil das ein gestandener Mann gemacht hatte. Nicht ein Jungkünstler, der mal etwas ausprobiert. Das hat mich in der Vorstellung befeuert, dass der klassische Bildraum nicht mehr existiert. Es ist eigentlich egal, wie du arbeitest, du hast immer einen Bildraum, wenn auch in zwei Dimensionen. Hier war der Bildraum nicht mehr da, er war zerstört. Diese Schnitte haben die Illusion des Bildraums zerstört. Und fortan hatte ich ein weiteres Problem, über das ich nachzudenken hatte: Wenn ich das ernst nehme, dann existiert der klassische Bildraum nicht mehr. Was ist das dann? Definiere ich das noch als Malerei? Plastik ist es offensichtlich nicht. Also musste ich einen neuen Begriff dafür finden. Das klingt jetzt so einfach, aber das war zu der Zeit für mich enorm aufregend, und mit diesem Gepäck bin ich dann an die Städelschule gegangen. Dort war die Frage wichtig: abstrakte versus gegenstandsbezogene Kunst!
So wie dich der Besuch dort beeindruckt hat, hätte es ja auch die anderen Studenten treffen können?
Die haben das gar nicht wahrgenommen. Von den Städelschülern habe ich nicht einmal den Begriff „documenta“ gehört. Ich kann’s nicht beschwören, aber möglicherweise haben sie die Ausstellung gar nicht gesehen. Ich wüsste das, denn ich habe ja über die documenta gesprochen. Ich kann mich im Gespräch mit den Studenten nicht an eine Resonanz erinnern. Das kann man sich vielleicht heute nicht vorstellen, aber die Informationsflüsse waren nicht so doll. Es gab einen großen Artikel in der „F.A.Z“. Albert Schulze Vellinghausen, „Olympia der Kunst. Zur ‚documenta II – Kunst nach 1945‘ in Kassel“, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 25.07.1959, Beilage, o. S.
Piero Manzoni war das erste Mal 1961 in Frankfurt. Kanntest du die Manifeste der Arte nucleare Arte nucleare war eine Künstlergruppe des italienischen Informel. Mitglieder waren unter anderen Enrico Baj und Sergio Dangelo. In den 1952 und 1959 verfassten Manifesten wurde auch das politische Engagement in Bezug auf den Umgang mit Kernkraft deutlich. Vgl. Martina Corgnati, „Arte a Milano 1946–1959. Il movimento nucleare“, Verona 1999. oder das „Manifiesto Blanco“ Das „Manifiesto Blanco“ wurde 1946 von Lucio Fontana gemeinsam mit anderen Künstlern und Studenten in Buenos Aires verfasst. Darin fordern sie, die neuen Technologien als Teil der künstlerischen Produktion zu verstehen und eine nachhaltige Integration von Kunst und Wissenschaft anzustreben. Vgl. Lucio Fontana/Ugo Mulas, „Manifiesto Blanco 1946. Spazialismo“, Edition Galerie Apollinaire, Mailand 1966. von Fontana?
Ich kann mich an Texte von Yves Klein und Lucio Fontana erinnern. An Fontanas Konzept des Spazialismo Der Spazialismo war eine durch Lucio Fontana initiierte Kunstströmung, die eine Integration technischer Innovationen sowie ein auf dem Ineinandergreifen von Farbe, Geräusch, Raum, Bewegung und Zeit basiertes Kunstverständnis forderte. Dem ersten Manifest „Spazialismo“ von 1947 folgte eine Anzahl weiterer Veröffentlichungen. Vgl. Lucio Fontana/Ugo Mulas, „Manifiesto Blanco 1946. Spazialismo“, Edition Galerie Apollinaire, Mailand 1966; Heike van den Valentyn, „ZERO Is the Beginning“, in: dies. (Hg.), „ZERO“, Curitiba 2013, S. 188–193, hier S. 189. und Yves Kleins Text über seine Vorstellung der Immaterialität erinnere ich mich noch. Das fand ich als Idee wunderbar, aber wenn ich das auf Kleins blaue monochrome Bilder übertragen habe, die er ja mit der Idee der Immaterialität verbunden hat, muss ich fragen: Wieso Immaterialität? Da ist eine Holzplatte, die Ecken sind leicht abgerundet, wahrscheinlich mit Nessel oder Leinwand umkleidet, Farbe aufgetragen. Ich fand interessant, dass er beim Farbauftrag mit einer Walze arbeitete, nicht mit einem Pinsel. Farben aus der Fabrik oder selber angerührt, wie auch immer. Wieso immateriell? Da sah ich ein Problem, das hat mir nicht eingeleuchtet. Es gab Manifestationen, die ich etwas später kennengelernt habe, seine Gold-Aktion, Zwischen 1959 und 1961 fertigte Yves Klein unter dem Titel „Monogold“ circa. 40 Tafeln an, die er jeweils mit einem Goldmantel überzog. seinen Sprung in die Leere Yves Klein, „Saut dans le vide“ (dt. „Sprung in die Leere“), 27. November 1960. Nach einer Performanceaktion Kleins in Fontenay-aux-Roses entstand eine Fotomontage, die den Künstler Yves Klein mit ausgestreckten Armen bei einem Sturz von einer Mauer zeigt. Erstmals veröffentlicht wurde das Bild in der von Klein gestalteten Zeitung „Dimanche“, die einmalig am 27. November 1960 an den Zeitungsständen in Paris verkauft wurde. . Doch in Bezug auf die blauen Bilder, die mich am meisten interessierten, fand ich da einen ungelösten Widerspruch. Auch bei Manzoni gab es für mich eine ganze Reihe von Problemen. Seine „Achrome“ Zwischen 1957 und 1963 schuf Piero Manzoni unter dem Titel „Achrome“ (dt. „ohne Farbe“) in unterschiedlichen Materialien über 600 Werke. habe ich nicht groß von den Monochromen Yves Kleins unterschieden. Sie waren in gewisser Weise materieller, er hat Stoffe gequetscht und in Falten gelegt. Ob das in Bezug zu meinen damals entstehenden Papierarbeiten steht, kann ich nicht mehr sagen. Manchmal ist eine gewisse optische Ähnlichkeit da. Bei mir hatte das allerdings eine prozessuale Seite.
Auch er hat seine Leinwände zu Beginn genäht. Da könnte man eine Nähe zu deinen Nähungen sehen.
Das habe ich so nicht gesehen, diese genähten Rechtecke habe ich nicht als Nähung wahrgenommen. Und seine Glaswattegeschichten empfand ich als Kitsch. In den Himmel gehoben habe ich seine Linien Ab 1960 verwendete Piero Manzoni für seine „Achrome“ auch Watte, Wolle oder Kunstfaser. Seine ersten „Linien“ entstanden 1959. In unterschiedlicher Länge zog er Linien auf Papier und verschloss diese aufgerollt in schwarzen Pappzylindern. Außen bezeichnete ein Label den Inhalt, die Länge und das Datum der Entstehung. . Und zwar aus einem einfachen Grund: der Vorstellung der Handlung. Die Linie ist real entstanden, wird aber im Pappzylinder oder im Zinkbehälter eingeschlossen. Ich muss sie mir vorstellen. Das fand ich so radikal und auch frei von historischer Erinnerung. Hingegen fand ich seine Sockel mit den Filzsohlen zu stark an Marcel Duchamp erinnernd, auch die „Merda d’artista“ Piero Manzoni, „Merda d’artista“, 1961. , die Künstlerscheiße, oder der „Fiato d’artista“ Piero Manzoni, „Fiato d’artista“, 1960. , der Künstleratem.
Ja, aber mehr der Geste wegen. Und die Linien waren für mich eine Bestätigung, dass ich eben mit meinen vermeintlich komischen Vorstellungen nicht alleine stand. Da gab es noch einen anderen Künstler, und der war dazu auch noch zehn Jahre älter. Also, das war enorm wichtig für mich.
Gab es Leute, mit denen du dich darüber auseinandersetzen konntest, oder hast du alles mit dir selber ausmachen müssen?
Alles mit mir selbst.
Hat sich das in Düsseldorf verändert?
Da hatte ich Leute, mit denen ich diskutieren konnte, zum Beispiel Gerhard Richter, Sigmar Polke, Konrad Fischer Konrad Fischer (1939 Düsseldorf – 1996 Düsseldorf) war ein deutscher Künstler und Galerist, der 1967 in der Düsseldorfer Altstadt eine Galerie eröffnete. Sein Programm umfasste frühe Vertreter der Minimal Art und der Konzeptkunst, darunter Carl Andre, Hanne Darboven, Bruce Nauman und Lawrence Weiner. Als „Konrad Lueg“ war Fischer vor Gründung seiner Galerie als Künstler tätig und stellte mehrfach mit seinem Künstlerkollegen Gerhard Richter aus. Die bekannteste künstlerische Aktion, an der Konrad Lueg beteiligt war, fand im Oktober 1963 im Düsseldorfer Möbelhaus Berges unter dem Titel „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“ statt. . Das war eine ganz andere Nummer. Nur wie war das Verständnis? Als ich meine Materialprozessarbeiten, die großen Papierklebungen, machte, sagte Konrad Fischer: „Na, wat der erzählt, is ja nix Neues, dat is ja ZERO!“ – „Wieso ZERO?“ Da sagte er: „Na, da ist auch nichts drauf.“ Das war spielerisch-provokativ gemeint, aber so war letztlich das Verständnis: Da ist doch auch nichts drauf! Wenn ich davon geredet habe, dass diese Materialprozesse in der Vorstellung zu Arbeiten erhoben werden sollten, haben die gelacht. Das war als Gedanke offenbar fremd, obwohl es eine klare Anknüpfung an das Informel war. Der Sprung ist doch gar nicht so groß: Das Bild wird aus dem Malprozess heraus zum Materialprozess. Ging aber nicht. Gerhard Richter war ein bisschen vorsichtiger, Sigmar Polke übrigens auch. Die haben hingeguckt. Aber Verständnis? Ich habe im Sommer 62 in Fulda gearbeitet. Dort hatte ich einen großen Arbeitsraum und dann im Frühherbst, als das Semester wieder losging, habe ich drei große Kisten mit Papierarbeiten nach Düsseldorf schicken lassen, per Bahntransport. „Was hast’n jemacht inne Ferjen?“ Die sind interessiert, dachte ich. Polke, Richter und Konrad Fischer. Dann bemerkte ich, eine Kiste war schon offen, das heißt, sie hatten vorher schon reingeguckt. Ich holte also aus der Kiste diese großen Papierarbeiten, blätterte sie sorgfältig durch und etwa beim 15. Blatt, ein Schnitt, eine Hommage an Fontana, entdeckte ich einen zusätzlichen kleinen Bleistiftstrich. „Wer hat das gemacht?“ – „Jetzt hat er’s doch tatsächlich gesehen!“ Da hatten die mich auf die Probe gestellt, ob ich das überhaupt ernst meine, hatten einen winzigen Strich zugefügt und meinten, ich sehe das nicht. Mit so einer Anekdote kann man ganz gut erklären, wie die Verständigung untereinander war. Bei Beuys war es übrigens auch nicht anders.
Manfred Kuttner Manfred Kuttner (1937 Greiz – 2007 Erkrath) wurde in Dresden an der Arbeiter- und Bauernfakultät für Bildende Kunst bei Hans Theo Richter (1956–1960) sowie an der Kunstakademie Düsseldorf bei K.O. Götz (1914–2017)und Gerhard Hoehme (1960–1964) ausgebildet. Im September 1962 stellte er, eingeladen von Franz Erhard Walther, gemeinsam mit Gerhard Richter erstmals in Westdeutschland in der Galerie Junge Kunst in Fulda aus. Aufgrund seiner Teilnahme an einer Ausstellung, die er gemeinsam mit Konrad Lueg, Sigmar Polke und Gerhard Richter in einer Ladengalerie in der Kaiserstraße 31A 1963 in Düsseldorf organisierte, wird er auch zu den Vertretern des sogenannten „Kapitalistischen Realismus“ gezählt. war auch bei euch in der Klasse?
Der war auch in der Klasse, ja. Neben Richter, Polke, Kuttner, Fischer und mir gab es noch vier weitere Studenten, darunter Kuno Gonschior und Chris Reinecke. Es war also eine kleine Klasse.
Und hast du Polke, Richter, Fischer als Gruppe wahrgenommen?
Nein, das war keine Gruppe. Im Gegensatz zum Städel gab es in der Klasse eine provokantere Auseinandersetzung mit Kunst. Weniger gebunden an Geschichte. Auch die Sprache war völlig anders. In Frankfurt musste man etwa zu der Zeit mit Franz Kafka und García Lorca vertraut sein. Wenn du da keine Details kanntest, warst du der dumme Junge vom Land. In der Düsseldorfer Akademie hat sich kein Mensch dafür interessiert.
Wie hast du K.O. Götz als Lehrer erlebt?
Großzügig. Als er hörte, dass ich in Frankfurt rausgeflogen bin, sagte er: „Dat jibt et doch jar nit, da ham wir die Gruppe Quadriga in Frankfurt jemacht und dann so wat!“ Ich habe ihm meine Papierklebungen gezeigt, er fand das interessant und sagte: „Versuchen Sie es doch noch mal mit der Malerei, vielleicht ist da noch wat drin!“ Ich hatte ihm auch kleine informelle Rahmenzeichnungen gezeigt und er riet ebenfalls: „Machen Sie die doch mal groß, vielleicht ist dann doch noch wat drin!“ Das hat er wiederholt. Ich habe ein paar Beispiele gemalt und gesagt: „Das ist nicht meine Sache.“ Er sagte darauf: „Sie sind ein ernsthafter Mann, machen se einfach!“
Kam er jeden Tag oder jeden zweiten, kam er dreimal am Tag – wie oft kam er?
Der war selten da. Zweimal in der Woche maximal. Er hat auch Polke und Richter sehr geholfen. Eines Tages kam er in die Klasse und sagte: „Ich habe einen Künstlerfreund, der war in New York, da malen sie jetzt wieder gegenständlich. Autoreifen, Büstenhalter, Kekse, Hotdogs. Der kannte das nicht, der hat jahrelang informell gemalt. Sie haben doch in der Ostzone realistisch gemalt, Sie können für ihn arbeiten, fünf D-Mark die Stunde.“ Ein riesen Geld damals. Gerhard Richter sagte: „Mach ich.“ Nach zwei, drei Tagen kam er aus dem Atelier des Malers Winfred Gaul zurück und sagte: „Ich bin ja net blöd, des mach ich och!“ Zum Einfluss Winfred Gauls auf die frühen Arbeiten von Gerhard Richter vgl. Dietmar Elger, „Gerhard Richter, Maler“, Köln 2002, S. 51, 55, sowie Jürgen Hohmeyer, „Richter. Wenn’s knallt“, in: „Der Spiegel“, Nr. 34, 19.08.1968, S. 90–91. Gaul hat dann erzählt: „Da mache ich mal was Neues und schon kommen die Studenten und machen das nach.“ Der war furchtbar sauer. Das ist aber nicht die einzige Anregung: Konrad Fischer hatte einen kleinen Katalog der Sidney Janis Gallery. Den Begriff „Pop-Art“ gab es noch nicht, ich glaube, sie nannten das „New Realists“ „International Exhibition of the New Realists“, Sidney Janis Gallery, New York, 01. November – 01. Dezember 1962. An der Ausstellung beteiligt waren 54 amerikanische und europäische Künstler, darunter Arman, Robert Indiana, Yves Klein, Roy Lichtenstein, Daniel Spoerri und Andy Warhol. mit Andy Warhol, Robert Indiana, Roy Lichtenstein, und das hat Conny [Konrad Lueg] rumgezeigt. Conny hatte etwas von einem cleveren Geschäftsmann: „Dat kommt als Nächstes. Wir müssen als eine Gruppe auftreten und wir müssen unbedingt die Ersten sein.“ Ich sagte: „Geht das so mit der Kunst?“ Da sagte Conny: „Dich können wir dabei sowieso nicht gebrauchen, du mit deinem Zeug, nehmen wir den Sigmar dazu.“ Sigmar hatte nie was mit Pop-Art zu tun. Aber sie brauchten einen Dritten: „Wir müssen als Gruppe auftreten.“ Und Sigmar hat sich dann überreden lassen, auch Pop zu machen. Daraus ist dann diese Ausstellung in der Kaiserstraße entstanden. „Kuttner, Lueg, Polke, Richter“, Kaiserstraße 31A, Düsseldorf, 11.–26. Mai 1963.
Und Kuttner?
Kuttner hat anders gearbeitet, das hing noch ein bisschen mit dem Informel zusammen, was auch bei Richter der Fall war, als er in der Klasse angefangen hat. Richter hatte 1959 die documenta gesehen und sich quer durch den Katalog gearbeitet. Einige Bilder sahen nach Alberto Giacometti aus, es gab Einflüsse von Antoni Tàpies. Bei Kuttner habe ich Rasterbilder in Erinnerung, in Anlehnung an Ueckers Nagelbilder, allerdings mit Streichhölzern gemacht. Ich habe ihn, zusammen mit Richter, zu einer Ausstellung in Fulda eingeladen. „M. Kuttner – G. Richter. Düsseldorf“, Galerie Junge Kunst, Fulda, 08.–30. September 1962.
Warum waren das damals nur Kuttner und Richter?
Polke war noch nicht so weit, bei ihm war alles noch ziemlich unklar, und Fischer – vielleicht fand ich nicht so gut, was er machte, für mich kamen nur die beiden infrage.
Für die Ausstellung gab es ein Plakat. Gab es auch einen Katalog?
Einen Katalog? Ja! Alexander Deisenroth, „M. Kuttner – G. Richter. Düsseldorf“, Ausst.-Kat. Galerie Junge Kunst, Fulda, 1962.
Richter hat seine Werke, die er hier in Fulda gezeigt hat, danach verbrannt.
Nicht alle.
Hast du noch eins?
Ich habe eins. Ich konnte mir damals für mein Engagement eins aussuchen.
Was ist das für eine Arbeit?
Sie ist in einigen seiner Publikationen abgebildet, ich habe sie ausgesucht, weil sie mich an meine Lufteinschlüsse erinnerte. Auf einer Hartfaserplatte hat er mittig ein Tuch aufgeklebt und mit grauer Farbe übermalt, dabei lief sozusagen die Farbsoße nach unten. Man kann bei der Arbeit durchaus sehen, dass sie von Richter ist. Es ist eine Legende, dass er alle Arbeiten vernichtet hat. Den größten Teil hat er wohl vernichtet, weil die Arbeiten zu stark an Vorbilder erinnerten.
Hat Richter die Arbeiten unmittelbar nach der Ausstellung verbrannt?
Darüber hat er nie gesprochen. Einige Zeit danach hat er angefangen, diese Pop-Bilder zu malen. Eines war aus Zeitungsfotos übernommen: Der Sänger Vico Torriani, in einem Kreis von Damen stehend, die Sektgläschen in der Hand halten. Und weil er meinte, Kunst ohne Verfremdung ist keine Kunst, hat er den Damen ein Uhrwerk in den Kopf gemalt. Irgendwann kam Götz rein und sagte: „Ne, Richter, einfach abmalen wie Werbung, jetzt is dat Max Ernst, dat is nix.“ Gerhard hat es zugemalt und einer Dame ein drittes Bein verpasst. Dazu Götz: „Richter, nit verfremden, dat is Surrealismus, einfach abmalen wie ein Plakat.“ Darauf sagte Richter: „Un nu mach ich ’nen Fontana draus!“ Der hat damals noch sehr gesächselt. Hat mit einem Messer Schnitte ins Bild gesetzt, sie dann zugenäht und von hinten rote Farbe durch die Schnitte gedrückt. Das hat er auch nicht weggeworfen. Gerhard Richter, „Party“, 1963.
Also, Götz kam rein, machte einen Kommentar, Richter reagierte darauf und ihr standet um sie herum und habt zugehört?
Wir standen nicht drum herum. Ich habe es gehört, weil mein Arbeitsplatz dem von Richter gegenüber war. Götz sprach immer einfach und direkt. Eine banale Situation, aber sie war schlagend. Götz war informiert und wusste über Pop-Art Bescheid. Er hat uns erzählt, dass er die ersten Abbildungen in einer italienischen Kunstzeitschrift gesehen hatte, als er selbst in der Galleria L’Attico „Karl Otto Götz“, Galleria L’Attico, Rom, 1961. in Rom eine Ausstellung hatte. Er wusste, dass es die Bilder in New York gab, und vor dem Hintergrund hat er Richter gesagt: „Keine Verfremdung“. Ist doch toll, wenn man sich vorstellt, dass ein Akademielehrer so gut informiert ist. Im Städel war Kunst immer eine idealistische Angelegenheit, irgendwie in der Richtung muss ich Götz auch was gesagt haben, und er entgegnete: „Ach wat, ’nen juten Galeristen müssen se haben!“ Das hatte ich vorher nie gehört.
Obwohl du an dieser Pop-Sache nicht beteiligt warst, hast du dir die Ausstellungen von den Kollegen trotzdem angesehen?
Natürlich. Ich fand das, was die gemacht haben, interessant. Ich hätte die Ausstellung mit Richter nicht gemacht, wenn ich seine Sachen nicht interessant gefunden hätte. Es wirkte frisch. Also, wenn du die Kunstszene damals in Deutschland kanntest, war das einfach ein anderer Gestus. Ich hätte jedoch nie daran teilgenommen, weil ich eine ganz andere Orientierung hatte.
Wie waren die Reaktionen damals auf diese Kunst? Zum Beispiel bei der Ausstellung „Leben mit Pop“ „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“, Möbelhaus Berges, Düsseldorf, 11.–25. Oktober 1963. im Möbelhaus Berges?
Die Werke von Gerhard Richter wurden sehr gut aufgenommen, was sich auch darin gezeigt hat, dass er Arbeiten verkaufen konnte. „Der Richter hat schon wieder ein Bild verkauft“, hieß es. Er sagt, am Anfang hätte er kämpfen müssen, nur Künstler hätten ihn verstanden. Das ist eine Idealisierung, die nicht stimmt. Im Rheinland war eine Offenheit für diese Kunst da. Polke erschien ein bisschen unbestimmt, diese Ungeschicklichkeit, die er dann stilisiert hat, er konnte eigentlich gar nicht malen. Daraus hat er so etwas wie einen Stil gemacht. Das hat sich dann verändert. Er hat kämpfen müssen. Aber dafür war eine Atmosphäre da, auch weil Anfang 63 in Düsseldorf dieses Fluxus-Konzert „Festum Fluxorum. Fluxus. Musik und Antimusik. Das Instrumentale Theater“, Staatliche Kunstakademie Düsseldorf, 02./03. Februar 1963. An dem Festival beteiligt waren unter anderen John Cage, Robert Filliou, Yoko Ono und Terry Riley. stattfand und die Ausstellungen bei Schmela. Das wirkte alles nicht fremd. Ich kann mich nicht an große Widerstände erinnern. Richter, Polke und Fischer haben auch bald eine Ausstellung bei Rudolf Jährling in der Galerie Parnass in Wuppertal bekommen. „Neue Realisten. Konrad Lueg, Sigmar Polke, Gerd Richter“, Galerie Parnass, Wuppertal, 20. November – 30. Dezember 1964. Also jetzt den Eindruck zu vermitteln, sie hätten groß kämpfen müssen. Ich habe das nicht gesehen.
Warum konnte Richter so früh seine Werke verkaufen und warum konnten das die meisten anderen nicht?
Vermutlich weil man die Handwerklichkeit darin geschätzt hat.
Richter war schon im Osten privilegiert. Dann kommt er kurz vor dem Mauerbau in den Westen und hat hier sehr schnell wieder Erfolg.
Weil das alles so glattging, habe ich ihn 1963 einmal gefragt: „Gerhard, warum malst denn du überhaupt?“ – „Nu, ich will eines Tages mal en Porsche fahren!“ Fand ich komisch, aber warum nicht? So was hätte Sigmar Polke nie gesagt. Das zeigt die unterschiedliche Mentalität. Er will einfach an den Fleischtopf dran.
Richter hat hier in Fulda mit Kuttner ausgestellt, im Möbelhaus Berges mit Lueg. Er hat mit Polke ausgestellt, aber sie haben nie ohne ihn ausgestellt.
Konrad Fischer war ja der Meinung: „Wir müssen eine Gruppe sein!“
Fischer war das verbindende Element?
Ja, er fungierte als eine Art Manager. Und Richter wollte einfach Geld verdienen. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sigmar je gesagt hat: „Ich will davon leben.“ Ich habe nie gedacht, dass ich je von meiner Arbeit existieren könnte. Richter wollte das definitiv.
Wovon hast du in Düsseldorf gelebt?
Zu Beginn habe ich ein Stipendium gehabt. Das lief über Götz. Er sagte: „Eigentlich mache ich das nicht, aber so wie Sie arbeiten, können Sie nie davon leben.“ Der hat mir dann geholfen, dass ich ein kleines Stipendium bekam. Aber das war sehr wichtig: Ich musste mich zwei Jahre lang nicht um Gelderwerb kümmern. Das war die Zeit, die ich zur Entwicklung meiner Arbeit brauchte. Und nach der Akademiezeit hat Johanna, meine damalige Frau, die heute noch die Nähungen macht, Geld verdient. Sie ist von Beruf Textilingenieurin und hat für Düsseldorfer Modehäuser gearbeitet. Dafür musste ich den Haushalt machen, inklusive Kinder versorgen. Das habe ich mit Polke geteilt, der um die Ecke wohnte. Wenn wir auf dem Spielplatz waren, er mit Georg, seinem Sohn, ich mit Moritz, haben die Mütter gesagt: „Die armen Männer haben keinen Beruf, keine Arbeit, müssen Kinder hüten.“ Die haben uns so bedauert!
Mit Polke hast du dich gut verstanden?
Ja. Mit Richter eigentlich auch. Da waren immer Provokationen, aber eher harmlos, es hat nie einen Krieg gegeben.
Wart ihr abends auch mal zusammen in der Kneipe?
Richter habe ich nie in Kneipen gesehen. Polke kaum. Die waren so eingebunden, auch wirtschaftlich, bei Polkes herrschten so enge Verhältnisse. Also Kneipe, das war Blinky Palermo: saufen! 64 bin ich aus der Akademie raus, Polke, Richter etwa zur gleichen Zeit. Wir haben uns dann nur noch sporadisch gesehen. Richter hatte sehr bald eine Ausstellung bei Schmela und auch Heiner Friedrich Heiner Friedrich (* 1938 Stettin, Pommern, heute Polen) gründete 1963 gemeinsam mit Franz Dahlem und seiner damaligen Ehefrau Six Friedrich die Galerie Friedrich & Dahlem. 1970 ging Heiner Friedrich mit seiner neuen Lebensgefährtin Thordis Moeller nach Köln und betrieb dort eine zweite Galerie. Ab 1973 expandierte er in die Vereinigten Staaten und eröffnete im New Yorker Stadtteil SoHo die Heiner Friedrich Gallery Inc. Das Galerieprogramm umfasste wichtige Positionen der Minimal Art und Konzeptkunst, darunter Carl Andre, Dan Flavin, Donald Judd und Walter De Maria. Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Helen Winkler und seiner späteren Ehefrau Philippa de Menil gründete Friedrich 1974 in New York die Dia Art Foundation, die eine dauerhafte Setzung künstlerischer Großprojekte unterstützt. hat ihn ausgestellt – das waren Gelegenheiten, bei denen man sich gesehen hat. „Gerd Richter. Fotobilder, Portraits und Familien“, Galerie Friedrich & Dahlem, München, 10. Juni – 10. Juli 1964; „Gerhard Richter“, Galerie Schmela, Düsseldorf, 09.–30. September 1964.
Gab es auch Neid? Wenn die Galeristen kamen? Friedrich kam ja, glaube ich, sogar zum Akademie-Rundgang – da hat man wahrscheinlich schon ein bisschen, wie heute auch noch, darauf gewartet, dass einen jemand entdeckt?
Ja, das gab es natürlich. Ich habe Heiner Friedrich damals gefragt, wie er zu mir gefunden hat, das war 66. Ich war völlig unbekannt, außer den Künstlerfreunden kannte niemand meine Arbeiten. – Übrigens, eine enge Freundschaft bestand mit Reiner Ruthenbeck, der damals eigentlich noch gar kein Künstler war, sondern als Fotograf auftrat. Und mit Jörg Immendorff. – Jedenfalls hatte ich Heiner Friedrich gefragt, wie er zu mir gefunden hat. Er wusste, ich glaube über Kasper König, von Richter. Richter, so erinnere ich es, hat ihn auf Polke hingewiesen. Also, Friedrich sitzt bei Polke in der Wohnung, zumindest hat mir das Karin Polke so erzählt, und es lag ein Zeitungsartikel auf dem Tisch über eine Ausstellung, die ich gerade in der Galerie Aachen hatte, „Franz Erhard Walther. Leihobjekte“, Galerie Aachen, Aachen, 1966. den hat Heiner beim Kaffee gelesen und gefragt: „Wer ist denn das?“ Und Sigmar hat wohl gesagt: „Ach, da brauchst du dich nicht drum kümmern.“ Heiner Friedrich hat aber insistiert und Karin sagte mit ihrer hellen Stimme: „Och wieso, der Franz wohnt doch hier um die Ecke!“ Heiner ist spontan gekommen und sagte: „Wir machen eine Ausstellung!“ Also, da gab es schon ab und zu Dinge wie Eifersucht, Neid und Missgunst. Das hat ihnen irgendwie nicht gepasst, dass meine komischen Sachen dann doch wahrgenommen wurden. Es wurde darüber geredet. Uecker und Mack sprachen mit Sympathie über mich, man hat gemerkt, dass den Freunden das nicht gefallen hat.
Heiner Friedrich hat bei dir geklingelt, ist reingekommen und …
… hat gesagt: „Ich bin Friedrich!“ Ich habe kein Atelier gehabt, konnte ich mir gar nicht leisten. Ich hatte zu dem Zeitpunkt ein Zimmer als Arbeitsraum. Da stand er, sehr offen, so ein reicher Kerl, er schien Geld in der Tasche zu haben und nach einer Stunde sagte er: „Ich würde gerne eine Ausstellung mit Ihnen machen!“
Wusstest du damals, wer Friedrich war?
Ja, die Galerie war bekannt. Es war damals eine der wenigen Galerien, die sich um Gegenwartskunst gekümmert hat.
1967 habt ihr die erste Ausstellung zusammen gemacht?
Im Januar 67. „Franz Erhard Walther. Leihobjekte benutzen“, Galerie Friedrich & Dahlem, München, 04.–23. April 1967. Dann haben wir darüber geredet, dass ich nach New York gehen wolle. Warum? Ich hatte mit meiner Arbeit in Deutschland keine Chance, auch wahrscheinlich in Europa nicht. Europa war für mich primär Paris, da waren zwei, drei wichtige Galerien, die haben allerdings eine ganz andere Orientierung gehabt. Dann gab es in Mailand die Galerie Azimut, die wollten meine Arbeit nicht zeigen, und es gab New York. Wenn, dann New York. Wenn es da nicht geht, weiß ich auch nicht weiter. Eines Tages bekam ich einen Brief vom Deutschen Künstlerbund, das war 1965, ich solle Arbeiten einreichen. Deutscher Künstlerbund? Also, wenn die Arbeiten von mir ausstellen, dann liege ich künstlerisch völlig falsch. Ich habe trotzdem drei Arbeiten eingereicht, die Elfmeterbahn, Franz Erhard Walther, „Elfmeterbahn“, 1964. das Sockel-Gehstück und das Stück zum Hineinlegen; sie sind natürlich nicht genommen worden.
Was heißt eingereicht? Die hast du dahin geschickt?
Ja. Ich sollte drei Arbeiten einreichen. Eine Transportfirma hat sie abgeholt und nach Essen gebracht. Zur Abholung der Arbeiten bin ich dann dorthin gefahren und traf auf den Vorsitzenden des deutschen Künstlerbundes, Herrn Eberhard Seel, der sagte: „Herr Walther, tut mir leid, aber das ging überhaupt nicht!“ Und ich sagte: „Wer war denn in der Jury?“ – „Meistermann, Hartung“, also die alten Granten, und „Heinz Mack“. – „Heinz Mack war auch dagegen?“ – „Nein, nein. Der hat für Sie gesprochen!“ Ich habe dann einige Tage später Mack angerufen, der sagte: „Ach, Sie haben ja kein Telefon! Ich wollte Sie unbedingt besuchen. Kann ich nicht mal vorbeikommen?“ Er kam dann und hat eine Arbeit gekauft, die „Rote Scheibe“ Franz Erhard Walther, „Rote Scheibe mit vier Bändern“, 1963/64. mit den drei Elementen. Das war natürlich toll, dass diese jungen Stars sich für mich interessierten. Mack, Piene, Uecker in Deutschland. Mack brachte dann den Uecker noch mal mit, der eine Arbeit aus dem „Werksatz“ Franz Erhard Walther, „1. Werksatz“, 1963–1969. Der 58-teilige „Werksatz“ besteht unter anderem aus textilen Materialien, Schaum und Holz. In den „Werkvorführungen“ werden die Objekte aktiviert, das heißt sie werden von der Lagerform in die Handlungsform überführt. Der Künstler selbst oder vom Künstler angeleitete Assistenten agieren dann zusammen mit dem Publikum mit den Objekten. Der prozesshafte Charakter des Werks und das Agieren und Handeln der Beteiligten sind vom Künstler von Anfang an im Werk mitangelegt. kaufte, die „Rote Weste“ Franz Erhard Walther, „Ohne Titel (Weste) (Nr. 11 aus dem 1. Werksatz)“, 1965. . Die waren beide sehr offen und haben Schmela überredet, eine Ausstellung mit mir zu machen. Schmela kam also zu mir, er fand meine Sachen komisch, aber der Hinweis kam von wichtigen Künstlern, und er sagte mir zu. Ich habe mir die Galerieräume angeguckt und einen Plan gezeichnet, es war also alles klar – aber es passierte nichts. Ich fand das eigenartig, war aber zu stolz, um hinzugehen und nachzufragen. Irgendwann habe ich Mack getroffen: „Ach, Herr Walther, wir hatten das alles so schön mit Ihnen geplant, dachten die Arbeiten sind wichtig, aber das wird nichts!“ Sage ich: „Warum denn?“ Ja, der Schmela hätte den Beuys gefragt: „Was hältst denn du von dem Walther? Kennste den?“, „Ja, ja“, hat Beuys gesagt – ich beziehe mich auf Mack: „Wenn du den ausstellst, kriegst du meine Arbeiten nicht!“ Natürlich war es dann gestorben.
Was war der Grund für Beuys’ Ablehnung dir gegenüber?
Wir sind 62 aufeinandergetroffen. Ich kam mit einem ehemaligen Städelschüler, der bei Beuys studierte, aus einer Ausstellung von Horst Egon Kalinowski im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen. Jedenfalls standen wir da und trafen auf Beuys, da trug er noch nicht den prachtvollen Filzhut, sondern so einen zerdetschten, ich hielt ihn für einen übrig gebliebenen Altstudenten. Wo wir herkommen, fragte er. „Wir haben die Kalinowski-Ausstellung gesehen.“ Was wir davon hielten. Ich erlaubte mir zu sagen: „Na ja, ist nichts Neues.“ Da guckte er mich an: „Wollen Sie was Neues machen?“ Sage ich: „Ja.“ – „Was machen Sie denn?“ – „Müssen Sie sich angucken.“ Wir sind umgehend in die Götz-Klasse gegangen. Beuys hat so verdutzt auf meine Sachen geguckt. Der kannte die Arbeiten vorher nicht. Es ist mir eine unvergessene Szene. Auf einem Tisch lagen geklebte Packpapiere in Stapelform, die Ränder in Leim getaucht. Da hält er seine Hand drüber und sagt: „Beamtenkunst“. Ich sage: „Wieso das?“ Sagt er: „Ha ha, abgelegte Aktendeckel!“
„Abgelegte Aktendeckel“ heißt was?
Ich weiß es nicht – wohl ein humoriges rheinisches Scherzen. Es gibt da eine komische Art, mit der ich überhaupt nicht vertraut war. Aber ich glaube, es hatte mit meiner von ihm als Provokation empfundenen Bemerkung zu Kalinowskis „Nichts Neues!“ zu tun. Ich wusste nicht, dass er mit Kalinowski befreundet war und dessen Arbeit schätzte, was man gar nicht denken würde, dessen Arbeiten haben so etwas Dekoratives. Später hat Beuys mehrfach versucht, mich in seine Klasse zu locken. Er hat Leute gesammelt, ich wäre niemals zu dem Mann gegangen. Mir lag sein Gehabe nicht.
Was heißt, er hat es versucht? Wie waren die weiteren Begegnungen mit ihm?
Ja, so in der Art: „Was wollen Sie bei dem Götz?“ Ich solle doch bei ihm arbeiten, das wäre interessanter als die Malerei. So nebenbei gesagt, im Vorbeigehen. Der war aber dermaßen possessiv, dass das nie gegangen wäre. Die Meinung eines anderen gelten lassen ist ihm schwergefallen. Und das hat bis zuletzt angehalten. Ich habe ihn als Gastprofessor nach Hamburg geholt, dort hat er seinen Raum neben meinem gehabt. Und die Studenten sagten: „Was ist mit dem Mann los, wenn er auf dich trifft, steht der wie unter Strom.“ Ich war damals ein junger Kerl, mit dem er kein Schülerverhältnis aufbauen konnte und der seine eigenen Vorstellungen hat und dafür einsteht. Damit ist er bis zuletzt nicht fertiggeworden.
Wie war deine Begegnung mit seinem Werk?
Kannte ich nicht. Am Anfang war ja von ihm kaum etwas zu sehen. Die erste Ausstellung, die er gemacht hat, war, glaube ich, erst 65 in der Galerie Schmela: „Dem Hasen die Bilder erklären“ „Joseph Beuys … irgendein Strang …“, Galerie Schmela, Düsseldorf, 27. November – 31. Dezember 1965. Zur Vernissage am 26. November zeigte Joseph Beuys die Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“. Dabei konnte das Publikum von der Straße aus durch die Schaufenster der Düsseldorfer Galerie beobachten, wie Beuys im Innenraum mit goldgefärbtem Kopf einem toten Hasen die Kunstwerke erklärte. . Hier und da hat man gelegentlich mal etwas gesehen. Ich habe ihn zum Beispiel auf dem Fluxus-Konzert in der Aula getroffen. „Festum Fluxorum. Fluxus. Musik und Antimusik. Das Instrumentale Theater“, Staatliche Kunstakademie Düsseldorf, 02./03. Februar 1963. Verglichen mit den Fluxus-Demonstrationen fand ich sein Agieren anachronistisch, surreal, düster, symbolbeladen, mir lag diese Kunst nicht. Aber das habe ich ihm nie gesagt. Auch als ich zum ersten Mal Zeichnungen von ihm gesehen habe, fand ich die eher konventionell und manieriert. Also, ich hatte eine vollkommen andere Vorstellung von Kunst. Habe aber nie zu irgendjemandem gesagt: „Ich mag die Arbeiten von Beuys nicht.“ So war es ja auch nicht, sondern sie haben mich schlicht nicht gepackt.
Es gibt sehr wenige Leute, die sagen, Beuys wäre damals – und ganz besonders natürlich im Rheinland – nicht wichtig gewesen. Hast du dich durch diese Haltung auch ein bisschen von den anderen Künstlerkollegen oder insgesamt von der Szene in Deutschland distanziert?
Sein Werk war Anfang der 60er-Jahre zu unbekannt, um sagen zu können, es ist wichtig oder unwichtig. Na ja, die Künstlerkollegen. René Block René Block (* 1942 Velbert) ist ein deutscher Galerist und Kurator, der zu den wichtigsten Vermittlern der deutschen Nachkriegskunst zählt. Anfang 1964 eröffnete er in Berlin das Grafische Cabinet René Block, woraus noch im gleichen Jahr die Galerie René Block hervorging. Zwischen 1974 und 1977 betrieb er eine Dependance im New Yorker Stadtteil SoHo. Bis zur Schließung seiner Galerie 1979 zeigte Block in seinem Programm Ausstellungen und Aktionen unter anderen von Joseph Beuys, Bazon Brock, Stanley Brouwn, Sigmar Polke, Gerhard Richter und Wolf Vostell. In den Folgejahren organisierte René Block als Kurator zahlreiche Ausstellungen für die daadgalerie in Berlin sowie für das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in Stuttgart, bevor er 1997 die Direktion des Fridericianums in Kassel übernahm. Seit 2008 führt René Block die auf Editionen spezialisierte Galerie Edition Block in Berlin. hatte mich auf Empfehlung, ob von Richter oder Polke weiß ich nicht mehr, zu einer Ausstellung eingeladen, auf Intervention von Beuys kamen meine Sachen zurück. Der hatte dem René Block gesagt: „Den stellst du nicht aus!“ Das war am Anfang nicht einfach, so eine Ablehnung zu erfahren, aber irgendwann habe ich gesagt, was soll’s. Von den Künstlerkollegen habe ich mich deswegen nicht distanziert.
Wieso hatte Beuys so einen Einfluss auf diese Leute?
Schmela war von seiner Arbeit begeistert. Bei René Block weiß ich es nicht. Beuys hat damals bei ihm diese Chef-Ausstellung gemacht. „Der Chef-Fluxus-Gesang“, Galerie René Block, Berlin, 01. Dezember 1964. Jedenfalls waren die mit ihm eng verbunden. Auf seine Schüler hatte er keinen direkten Einfluss. Du kannst das weder bei Imi Knoebel sehen noch bei Blinky Palermo noch bei Reiner Ruthenbeck, um drei zu nennen. Also, versucht hat er das, man musste sich dann schon durchsetzen. Diese Art von Selbstgewissheit, die nur eine Vorstellung, nur eine Sicht und Meinung zulässt, das war für mich total inakzeptabel. Wie seine Schüler damit umgegangen sind, weiß ich nicht.
Beuys war sicher eine sehr auffällige und dominante oder besser dominierende Person in Düsseldorf.
Durch und durch.
Auch du bist mit deiner „Weste“ durch die Stadt gelaufen und warst ja auch darauf angewiesen, dass man das in der Öffentlichkeit wahrnahm. Das 1965 realisierte Objekt „Ohne Titel (Weste) (Nr. 11 aus dem 1. Werksatz)“ wurde von Franz Erhard Walther sowohl im öffentlichen wie auch im privaten Raum vorgeführt. Vgl. Franz Erhard Walther, „Weste“, in: Kunstraum München (Hg.), „Franz Erhard Walther. Diagramme zum 1. Werksatz“, München 1976, S. 91.
Natürlich. Ich zielte jedoch eher auf die Kunstöffentlichkeit.
In dieser Zeit wart ihr vielleicht die zwei Hauptprotagonisten, die den öffentlichen Raum für sich beanspruchten.
Es war so. Bevor ich nach New York ging, ein paar Tage vorher, habe ich in der Aula der Kunstakademie eine sogenannte „Abschiedsvorstellung“ gemacht. Werkvorführungen mit dem „Werksatz“. Eine große Besucherzahl, es war toll! Beuys war auch da, saß in der ersten Reihe, guckte zu, und irgendwann ging er raus und sagte zu einem Studenten: „Du, sag mal dem Walther, der soll nicht nach New York gehen!“ Wie kommt er denn auf so was? Das war merkwürdig, wir hatten nie über meinen Umzug nach New York gesprochen. Wenn er mir gegenüber so ablehnend war und wo es nur ging versuchte, meine Arbeiten runterzumachen, warum sagte er dann: „Der soll nicht nach New York gehen.“ Was waren die Interessen? Ich weiß es nicht. Da war eine Wertschätzung, aber sowohl seine künstlerische Konzeption als auch seine menschliche Seite lagen mir überhaupt nicht! Mir war das auch alles zu sehr historisch gebunden. Ich erwähne noch mal die Linien von Manzoni, die fand ich ungleich frischer, zukunftsweisender als die Beuys-Geschichten, das muss er gespürt haben und wahrscheinlich hat es auch mit der ersten Begegnung zu tun.
Du meinst, dass diese erste Begegnung ihm so sehr in Erinnerung geblieben ist?
Ja, wir sind uns ja in der Akademie ständig begegnet und immer war das im Raum. Wir haben auch einmal in der Wohnung von Immendorff zusammen an einer Gruppenausstellung teilgenommen mit dem Titel „Frisches“. „Frisches“, Aktionsabend in der Privatwohnung von Jörg Immendorff und Chris Reinecke, Bankstraße, Düsseldorf, 30. Juli 1966. Beuys hat daran geknapst, wie meine Arbeit aufgenommen worden ist, und mir wurde berichtet, was er später anderen darüber erzählt hat, teilweise völlig daneben.
Was hast du da gezeigt?
Unter anderem die „Weste“. Es gibt ein Foto von Ruthenbeck, das Beuys in der „Weste“ zeigt. Dann die 4 x 4 Meter große schwarze gepolsterte Fläche als Sockel, das Stück zum Hineinlegen, das Stirnstück, also eine ganze Reihe der frühen Werksatzstücke. Die anderen Teilnehmer waren Jörg Immendorff, Chris Reinecke und Verena Pfisterer, sie kam übrigens auch aus Fulda. Die hat damals tolle Sachen gemacht.
Mit Immendorff warst du befreundet?
Wir waren sehr eng befreundet.
Hast du mit ihm über Beuys gesprochen?
Ich kann mich nicht erinnern. Er war mit Beuys nie im Krieg und immer ein braver Beuys-Adept. Der hat mit Beuys keine Probleme gehabt, gibt auch Bilder von ihm, in denen er Beuys porträtiert. Beuys muss für ihn sehr wichtig gewesen sein.
Obwohl er ja später Beuys auch kritisch gegenüberstand. Der Vorwurf, Beuys habe sich ab einem bestimmten Zeitpunkt mehr um die Politik als um die Kunst gekümmert, kam, glaube ich, von Immendorff. Wie hast du Immendorff kennengelernt?
Der kam auf mich zu, war von meinen Arbeiten angerührt. Wir waren beide so etwas wie Outsider. Der wurde von den anderen auch angefeindet. Von Polke und Richter. Richter sagte mal: „Na, man muss noch immer zwischen U- und E-Kunst unterscheiden!“ Also Gerhard hat gemeint, er macht E-Kunst und Immendorff U-Kunst. Immendorff war alles andere als beliebt. Dass Jörg und ich so eng zusammengekommen sind, liegt, glaube ich, daran, dass wir beide Outsider waren und dann gesagt haben, wenn wir uns nebeneinander stellen und die treten uns in den Arsch, trifft’s einmal dich und einmal mich, ganz einfache Formel. Mit Reiner Ruthenbeck gab es eine enge Freundschaft, aber wegen seiner Behinderung hat niemand gewagt ihn anzugreifen, was sie auch gerne versucht hätten. Aber irgendwie war da eine Beißhemmung.
Haben sie das offensiv gemacht oder hinter dem Rücken?
Gerne hinter dem Rücken. Eben rheinischer Stil.
Einmal haben sie auch eine Kissenschlacht mit deinen Arbeiten gemacht. Das erzählt K.O. Götz. Vgl. K.O. Götz.
Das haben Richter, Fischer und Polke mit meinen 16 Kissenformen veranstaltet. Sie haben sich diese Formen zugeworfen. Als Götz den Raum betrat und dem Einhalt gebot, sagten die drei scheinheilig: „Der Walther sagt doch immer, man soll seine Stücke benutzen.“
Hast du mit Jörg Immendorff auch über Kunst gesprochen?
Gute Frage. Konkrete Erinnerungen habe ich dazu nicht. Als ich nach New York ging, erhielt ich von ihm einen Brief: „Lieber Franz, es ist ein Unglück für Deutschland, dass du in die USA gehst.“ Ganz emphatisch. Er hat sich mit mir – ich hatte ihm in der Galerie Aachen auch noch eine Ausstellung vermittelt „vietnam vietnam vietnam“, Aktion und Malerei in der Galerie Aachen, Aachen, 23. April 1966. – so was wie eine Minikünstlergruppe vorgestellt, die anders agiert als die anderen. Das war im Raum. Er hat ja nicht nur Bilder, sondern auch eine ganze Reihe von Aktionen gemacht. Die hat er offenbar mit mir verbunden. Und bei meiner Ausstellung, der Werkvorführung in der Galerie Aachen 66, „Franz Erhard Walther. Jörg Immendorff – Vorbereitungsstücke und Teile aus dem 1. Werksatz“, Galerie Aachen, Aachen, 1966. hat er mit mir auch agiert, als Assistent. Also, das war sehr eng und emotional.
Hast du auch an seinen Sachen partizipiert?
Ich habe in einem meiner Räume in unserer Wohnung zwei seiner Bilder von 1964/65 hängen gehabt, weil ich deren Stillosigkeit geschätzt habe. Bei Polke gab es den Bezug zu Francis Picabia und den Rasterbildern Roy Lichtensteins. Bei Richter die Präsenz des Handwerklichen. Und Jörg hatte immer so eine zittrige Hand, machte diese stillosen Sachen. Das hat mich interessiert. Und die sehr persönlichen Themen, die er gewagt hat, unabhängig vom Mainstream. Die anderen haben eigentlich Dinge gemacht, die irgendwie in der Luft lagen.
Konnte man ihm so etwas sagen: „Jörg, ich finde deine Malerei hervorragend, weil sie stillos ist“?
Ja! Ich habe übrigens 1966 auch für ihn und seine damalige Frau Chris Reinecke in dieser Fuldaer Galerie eine Ausstellung arrangiert. „deutsch deutsch deutsch“, Galerie Junge Kunst, Fulda, 04.–28. Januar 1966.
Wer hat das gesehen?
Heimisches Publikum. Ich hatte die Vorstellung, man muss in diesem kleinen Städtchen informieren. Das war Jörgs erste Ausstellung. Zuvor hatte es eine Ausstellung mit Reiner Ruthenbeck gegeben. „Reiner Ruthenbeck. Objekte“, Galerie Junge Kunst, Fulda, 13. November – 21. Dezember 1965. Es hat dort auch eine Gruppenausstellung gegeben mit Arbeiten aus einer rheinischen Sammlung. Dabei waren Fontana, Manzoni, Yves Klein, Claes Oldenburg und Lichtenstein.
Gab es auch Künstlerinnen?
So gut wie überhaupt nicht. Allein Verena Pfisterer, die mir eng verbunden war. Das war aber keine Liebesgeschichte, sondern eine Künstlerfreundschaft. Die ist mir nach Offenbach gefolgt, dann nach Frankfurt zur Städelschule, ist immer aufgenommen worden, später ist sie auch nach Düsseldorf gekommen. Ich hatte ihr Gerhard Hoehme empfohlen, hat auch geklappt. Nach New York konnte sie nicht mehr mit. Im Herbst 64 hat mich Eva Hesse Eva Hesse (1936 Hamburg – 1970 New York) war eine US-amerikanische Künstlerin deutscher Herkunft, die insbesondere für ihre Überführung „armer“ Materialien in prozessbasierte Installationen und Objekte bekannt ist. In ihrem Spätwerk beschäftigte sie sich auch mit Themen des Feminismus. in Düsseldorf in der Akademie besucht, da habe ich ihr auch die Arbeiten von Verena in der Klasse Hoehme gezeigt. Es gibt Motive, die Hesse offenbar beeindruckt haben. Verena hat Einfluss auf Ruthenbeck gehabt, auf Polke … Als ich 67 nach New York ging, ist sie nach Berlin übersiedelt und dort in politische Zusammenhänge geraten. Ihre Kunst ist dabei versandet, das war dann nicht mehr wichtig. Jetzt ging es um politische Arbeit. Ein Unglück.
Und andere Frauen?
An erster Stelle Verena Pfisterer, Katharina Sieverding und Chris Reinecke.
Das heißt, das war eine Sonderstellung?
Sie hatte eine Sonderstellung, ja. Es gab natürlich Studentinnen. Chris Reinecke hat mit Jörg Immendorff politische Manifestationen verfasst, da gibt es interessante Sachen. Das ist später weggebrochen, soweit ich das habe sehen können. Beuys hat gelegentlich peinliche Sprüche über Frauen losgelassen.
Ein Beispiel bitte!
Die mildeste Formulierung: „Die sind gut für’s Kochen und Kinderkriegen!“ Aber auch andere Sprüche. Ich habe ihn einmal in New York mit seinem „funny English“ erlebt, dort hat er eine Ausstellung gehabt. Es gab ein öffentliches Gespräch mit ihm, bei dem er sich als Förderer der Künstlerinnen inszeniert hat.
„Funny English“? Woher konntest du eigentlich Englisch?
Na ja, ein wenig Schulenglisch, wie es so geht, aber eigentlich habe ich es in New York gelernt. Ich war mit der Familie dort, mit zwei Kindern. Nach zwei Wochen war deren Deutsch weg, die haben einfach kein Deutsch mehr gesprochen, Englisch wurde auch dadurch unsere Alltagssprache.
Gab es in den USA grundsätzlich Frauen gegenüber eine andere Haltung?
Dieses unterschwellige „Na ja, Frauen eben“, das habe ich in New York nicht erlebt. In New York war eine Offenheit da. Dieses Hintenherum, diese Gemeinheiten, dieses Schlechtmachen, das habe ich in New York nicht erlebt. In der New Yorker Malszene der Nachkriegszeit und der 50er-Jahre gab es eine ganze Reihe von ernst zu nehmenden Malerinnen: Lee Krasner, Joan Mitchell, Grace Hartigan, Helen Frankenthaler. In Europa gab es lediglich eine, die man kannte, das war Maria Helena Vieira da Silva Maria Helena Vieira da Silva (1908 Lissabon – 1992 Paris) war eine Künstlerin, die vor allem für ihre abstrakten malerischen und grafischen Arbeiten bekannt ist. Sie war auf den ersten drei documenta-Ausstellungen (1955, 1959, 1964) vertreten. Als erste Frau erhielt sie für ihr Schaffen 1966 den französischen Grand Prix National des Arts. , eine Portugiesin, die in Paris lebte.
Was war deine erste Anlaufstation in New York?
Ich bin mit dünnem Gepäck angekommen. Damals musste man für einen Dollar 4,20 D-Mark bezahlen. Also auch mit ganz schmalem Portemonnaie. Ich kannte in New York niemanden, war aber über die dortige Szene gut informiert. Ich habe mir als Erstes eine Wohnung gesucht, die damals sehr preiswert war.
Jetzt muss ich noch mal fragen: Was hattest du bis zu diesem Zeitpunkt von der Welt gesehen? Kanntest du Paris?
Die erste Reise machte ich 1959 nach Spanien, 1960 nach Griechenland und 1961 in die Türkei.
Alleine?
Nach Spanien mit einem Künstlerfreund, nach Griechenland alleine und in die Türkei mit einem französischen Freund, das war alles. In Paris hatte ich mich mal umgesehen. Die École des Beaux-Arts war für mich ein Schock, ich werde nie vergessen, wie ich in einen Saal reingehe und Studenten sehe, die nach Gipsfiguren zeichnen. Die Galerie, die Wols ausgestellt hatte, gab es, glaube ich, gar nicht mehr. Ich erinnere mich an eine Galerie, die einige Amerikaner ausstellte.
Und Italien kanntest du nicht?
Da wäre ich auch nicht hingegangen, denn da gab es nichts außer dieser Galerie in Mailand, in der Piero Manzoni ausgestellt hat. Das historische Italien interessierte mich zu der Zeit nicht.
Die Galerie Azimut. Ich frage deswegen, weil du sagst: „In New York habe ich mir erst einmal eine Wohnung gesucht.“ Wenn man in den 1960er-Jahren das erste Mal nach New York kam, stelle ich mir vor, dass die Eindrücke dieser Stadt sehr intensiv gewesen sein müssen?
Faszination war natürlich da. Aber ich wusste über die Kunstszene in New York ziemlich gut Bescheid, durch Besprechungen, über Galerieanzeigen, die sehr viel erzählten. Ich wusste, was die Museen zeigten, also das Guggenheim, das MoMA, ich kannte auch Bilder, die im MoMA hingen. Künstler allerdings habe ich erst dort kennengelernt.
Und du hattest noch nie einen Wolkenkratzer gesehen!
Hatte ich nicht, außer in Abbildungen! Als ich dann einen Job hatte, also ein bisschen Geld, wollte ich sofort alle Museen und die Galerien erkunden. Ich hatte nach drei, vier Wochen ein totales Bild dessen, was in New York künstlerisch los war. Ich besaß ziemlich gute Vorinformationen. Es gab Anfang der 60er-Jahre mal ein dickes Sonderheft der Zeitschrift „Das Kunstwerk“ „Das Kunstwerk“, 1946 durch den Verleger Woldemar Klein gegründet, war ein deutsches Magazin für moderne Kunst. Nach dem Zweiten Weltkrieg zählte es in Westdeutschland zu den wichtigsten Informationsmedien über die internationalen Entwicklungen in der zeitgenössischen Kunst. Die letzte Ausgabe der Zeitschrift erschien im Frühjahr 1991. über New York. Darin war ein Bericht über die wesentlichen Galerien, gut beschrieben, und dann die Anzeigen, welche Künstler sie zeigten. Das hat mir genügt, um mich dort zunächst einmal zurechtzufinden. Und das Zusammentreffen mit Künstlern hat sich dann einfach ergeben, dadurch, dass mehrere Leute meine Arbeit anderen Künstlern gegenüber erwähnt haben. Unter anderem erfuhren Künstler von mir über eine Kuratorin vom MoMA, Jennifer Licht, die hatte mich 1966 in Düsseldorf besucht. Heinz Mack hatte sie zu mir geschickt. Er gehörte damals zu den bekannten Künstlern. Und Jennifer Licht hatte ihn gefragt, ob er einen Künstler kenne, der was anderes machte als das, was sonst zu sehen war. Mack sagte, er kenne da einen komischen Typen. Zu mir kam dann eine kleine Dame. Sehr British English mit ihrem Mann, Ira Licht. Sie seien auf einer Informationsreise durch Europa und von Heinz Mack auf mich verwiesen worden. Die waren so verblüfft über das, was sie bei mir sahen. Zum Beispiel die Elf-Meter-Bahn, die länger war als mein Arbeitsraum. Ich habe das Fenster aufgemacht und die Bahn hindurch in den Hinterhof gerollt. Jennifer hat mir später erzählt, diese Szene habe sie nie losgelassen. Das sei das Interessanteste gewesen, was sie in Europa gesehen hätten. Sie hat mich dann zu der Ausstellung „Spaces“ „Spaces“, The Museum of Modern Art, New York, 30. Dezember 1969 – 08. März 1970. An der Ausstellung beteiligt waren neben Franz Erhard Walther auch Michael Asher, Larry Bell, Dan Flavin, Robert Morris und die Pulsa Group. , die sie für das MoMA kuratiert hat, eingeladen. Sie wusste von mir auch, dass ich nach New York gehen würde und hat das weitererzählt. Ich habe dann den Kasper König Kasper König (* 1943 Mettingen) ist ein Kurator und Museumsdirektor. Nach einem Volontariat in der Galerie Rudolf Zwirner in Köln lebte er ab 1965 in New York. Von 1973 bis 1975 arbeitete er als Dozent am Nova Scotia College of Art and Design in Halifax, Kanada, und gründete 1977 gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Klaus Bußmann die Skulptur-Projekte in Münster. König war zwischen 1984 und 1988 Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Düsseldorf sowie 1989 bis 2000 Rektor der Städelschule in Frankfurt am Main. Im Jahr 2000 wurde König zum Direktor des Museums Ludwig in Köln berufen, das er bis 2012 leitete. Er verantwortete zahlreiche Großausstellungen, darunter „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“ (1981), „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“ (1984), die Skulptur-Projekte (1977, 1987, 1997, 2007, 2017) in Münster sowie die „Manifesta 10“ (2014) in St. Petersburg. König gilt als wichtiger Vermittler des Werks von Donald Judd, On Kawara, Claes Oldenburg, Gerhard Richter und Franz Erhard Walther. kennengelernt, der hatte wesentliche Informationen über die New Yorker Kunstszene von seiner damaligen Lebensgefährtin, der Fotografin Barbara Brown. Barbara hat die New Yorker Szene fotografiert, bevor die Künstler überhaupt bekannt wurden. Sie war mit Marcel Duchamp bekannt, mit William Copley, dem Maler, und hat für Eva Hesse fotografiert, die damals noch gänzlich unbekannt war. Kasper hatte über Konrad Fischer von mir erfahren und kam zu Besuch. Konrad Fischer wollte ja ursprünglich mit Kasper zusammen eine Galerie in Düsseldorf aufmachen. – So imposant die Wolkenkratzer auch waren, die Welt der Kunst war für mich faszinierender. – Also, Kasper war eine Informationsquelle. Der kannte über Barbara Brown viele Künstler, und da wurde auch von meiner Arbeit geredet. Einige riefen mich einfach an, das wäre in Düsseldorf nie passiert. Ich war in deren Ateliers und nach ein paar Monaten wussten diejenigen, die die Avantgarde bilden sollten, auch von meiner Existenz. Die haben meine Arbeiten ernst genommen und sie nicht, wie ich es in Düsseldorf erlebt hatte, hintenherum runtergemacht. Das hat es in New York nicht gegeben!
Du bist, wie du sagst, mit schmalem Gepäck, also ohne Werke angereist?
Ohne Werke, mit ein paar Fotos. Trotzdem kam es zu einem Zusammentreffen mit den Künstlern. Ich habe dann bald den „Werksatz“ und auch die frühen Arbeiten mit einem Schiffstransport kommen lassen, ich wollte ja auf Dauer in New York bleiben.
Damals gab es nur einen „Werksatz“?
Es war ja noch nicht der vollständige „Werksatz“, sondern es gab die Stücke von 1963 bis 1966. New York war dann wie eine Explosion, dort sind in zwei Jahren fast doppelt so viele Stücke entstanden wie vorher in fünf. Die Stücke wurden gesehen und es wurde darüber diskutiert. Es gab eine enorme Neugier. Und Jennifer Licht hat dann diese mittlerweile legendäre Ausstellung „Spaces“ gemacht, mit Robert Morris, Michael Asher, Larry Bell, Dan Flavin und mir. Jeder hatte einen eigenen Raum. Das war natürlich in bester Umgebung, und es hat der Rezeption meiner Arbeiten sehr geholfen.
Bis dahin hattest du bei Heiner Friedrich ausgestellt?
Bei Heiner Friedrich. Und zuvor hatte ich die Ausstellung in der Galerie Aachen.
Und in Fulda eine Ausstellung in deinem eigenen Kunstraum. Sowie die Aktion in der Düsseldorfer Akademie.
In Fulda war es eine Gruppenausstellung und in Düsseldorf eine abendliche Werkvorführung. Dann eben bei Heiner Friedrich, das war’s!
Und dann das MoMA!
Und dann das MoMA, das ist natürlich ein Sprung.
Fulda, Aachen, Düsseldorf, New York. Wie hat sich die Rezeption deiner Arbeiten verändert?
Also, mein Ausstellungsbeitrag in Fulda ist als Skandal empfunden worden, da gab es einen Artikel, in dem meine Arbeiten als „Scharlatanerie“ bezeichnet wurden. Anfang 64 beim Rundgang in der Akademie in Düsseldorf hatte ich einen ganzen Raum in der Klasse von K.O. Götz für mich, da war die Ablehnung durch die Künstlerfreunde nicht anders als in Fulda. Und einer der Professoren hat beim Rundgang verlangt, dass ich wegen meiner Arbeiten aus der Akademie rausgeschmissen werde. Eine dieser Arbeiten war eine gelb patinierte, in Nähung eingefasste Matratze auf einem fahrbaren Sockel. Das wurde als Provokation empfunden. Weiter eine Nähung aus 16 Kissenformen, das Stirnstück, ein gelber Kasten, zwei Matratzen nebeneinander, eine weiß gestrichen, eine in Altrosa. Und Joseph Fassbender, Professor an der Akademie, verlangte meinen Rausschmiss. Götz, so hat er es mir gesagt, rief in die Professorenrunde: „Das geht nicht! In Frankfurt haben sie ihn schon mal rausgeschmissen.“ In New York habe ich derlei Aggressionen nicht erleben müssen.
War das Werk zu radikal?
Ja, natürlich. Das widersprach offenbar den damaligen Kunstvorstellungen.
Aber das haben doch alle anderen auch probiert, allen Vorstellungen zu widersprechen.
Wer?
Als Allererster Joseph Beuys.
Zu der Zeit hat man von Beuys kaum etwas gesehen! Seine Arbeiten, die er bis dahin gemacht hatte, sind ja konventioneller als das, was später entstanden ist. Eine Radikalität ist in den frühen Arbeiten nicht zu sehen. Während des Jahresrundgangs 1964 hatte Richter im Atelier nebenan und auf dem Gang nach Fotos gemalte Bilder ausgestellt. Die haben überhaupt keinen Widerspruch erzeugt. Ich zeigte unter anderem im Jahr zuvor entstandene genähte Werkstücke. Zur gleichen Zeit hat auch Claes Oldenburg Claes Oldenburg (* 1929 Stockholm) ist ein Künstler, der zu den frühesten Vertretern der Pop-Art zählt. Bekannt ist er vor allem für seine monumentalen Skulpturen von Alltagsgegenständen. Oldenburg wuchs ab 1936 in Chicago auf und studierte ab 1953 am Art Institute of Chicago. 1956 siedelte er nach New York über. nähen lassen. Er konnte nicht wissen, dass es da noch einen Typ gibt, der die Technik der Nähung verwendet, und umgekehrt konnte ich das von ihm nicht wissen. Über die Nähungen haben die Künstlerkollegen ihre Witzchen gemacht: „Der Walther hat jetzt auf Schneider umgesattelt.“
Witzchen machen ist eine Sache, aber jemanden wegen seiner Arbeiten aus der Akademie ausschließen zu wollen, das leuchtet mir in Düsseldorf in dieser Zeit überhaupt nicht ein?
Das kam von einem 50er-Jahre-Maler.
Und wenn du beispielsweise mit der „Weste“ durch die Stadt gelaufen bist, wie waren da die Reaktionen?
„Der Karneval ist doch schon vorbei!“
Hattest du jemanden dabei, der dich fotografiert hat?
Manchmal ja.
Wer hat das gemacht?
Ach, der hat sich wegen einer Liebesgeschichte umgebracht. Peter Dörr, ein Beuys-Schüler. Hatte dann auch mit Nähungen angefangen, nicht ganz glücklich, es kamen verschiedene Dinge zusammen.
Du hast darauf geachtet, dass dein Werk dokumentiert wird?
Nicht unbedingt. Zum ersten Mal richtig dokumentiert hat es Reiner Ruthenbeck 1964/65. Er hat in meinem Arbeitsraum die ersten Aufnahmen gemacht. Ich hatte ihn nicht darum gebeten. Er ist von sich aus gekommen. Ich hätte das natürlich immer dokumentieren müssen, denn da sind so viele Dinge entstanden. Wenn es nicht wenigstens die wenigen Fotos gäbe, hieße es: „Das kann der Walther zu der Zeit gar nicht gemacht haben!“
Wie war es in New York, im MoMA, deine erste Ausstellung in den USA? Wie wurde dein Werk dort aufgenommen?
Werkhandlungen im MoMA, das wurde schon vorab als etwas Besonderes angesehen. Zwei Fernsehsender hatten Aufnahmeteams geschickt, es gab Radiointerviews und Claude Picasso fotografierte meinen Ausstellungsaufbau für das „Life“-Magazin. Die Eröffnung war ein großes Ereignis, bei dem ich unter anderen Barnett Newman und Robert Motherwell kennenlernte. Es war angekündigt, dass ich während der Ausstellung an allen Tagen mit den Besuchern Werkhandlungen vornehmen würde. Ich hatte das Gefühl, dass sich – vielleicht auch deswegen – das Interesse wesentlich auf meinen Raum konzentrierte. Ich bin halt weiter gegangen als die anderen beteiligten Künstler, indem ich die Handlung zu einem Werkbestandteil gemacht habe, ja, die Handlung selbst Werkcharakter erhielt. Ein Satz von Donald Judd zu der Zeit war: „I like your work, but without people!“
Deine Ausstellung im MoMA war mit Handlung?
Ja, jeden Tag. Ich bin morgens zur Öffnung des Museums gekommen und abends gegangen. In dem Durchgang vor dem Raum haben sich die Leute gedrängt, denn hinein konnte nur, wer agierte. An einer Längsseite des Raums gab es eine Glasfront, dort konnten die Leute von der Straße aus hineinsehen. Ich habe also Publikum im Museum und auf der Straße gehabt. Die „Daily News“ haben eine Doppelseite über den Raum veröffentlicht: mit der Beschreibung, im MoMA könne man eine ganz neue Erfahrung machen, nämlich die, die ein Boxer erlebt, wenn er einen K.-o.-Schlag erleidet.
Die Ausstellung war ein Riesenerfolg. Dennoch hat sich dann in New York für dich relativ wenig ergeben. Woran lag das?
Meine Werkkonzeption lag offenbar zu weit abseits dessen, was damals rezipiert wurde. Die Künstler haben sehr intensiv darauf reagiert. Später haben Verantwortliche im MoMA gesagt: „Warum haben wir den ‚Werksatzʻ nicht gekauft?“ Die hätten ihn für einen Appel und ein Ei haben können. Nun haben sie ihn vor ein paar Jahren erworben. Die Zeit war damals noch nicht so weit. Flavin, Morris, das waren alles Sachen, die irgendwie beschreibbar waren. Es wurde von „Primary Structure“ geredet, von „Hard Edge“. Mit diesen Begriffen war das beschreibbar, aber für die Werkaktivierung gab es keinen Begriff. Was ich dazu gesagt habe, schien ziemlich disparat zu sein. Die Situation etwa, wenn zwei Personen in so einem Werkstück stehen, und ich nenne das Skulptur. Man fragte, wie kann das eine Skulptur sein? Ein Werk muss eine gewisse Dauer haben. Die Werksituation existiert jedoch nur für eine kurze Zeit, wie kann man das Werk nennen? Ist das nicht eher Theater? Mir wurde damals gesagt: „Diese Zeitlichkeit, das ist eine Dimension des Theaters, der Musik.“ Bildende Kunst, so hieß es immer, kann das nicht, die muss Zeit übersetzen. Symbolisch, allegorisch, wie auch immer. Das kann man heute gar nicht mehr verstehen, aber das waren die Argumente, und die haben eine Rezeption kaum möglich gemacht. Mit Ausnahme einiger weniger Künstler wie Walter De Maria Walter De Maria (1935 Albany, Kalifornien – 2013 Los Angeles) war ein US-amerikanischer Künstler, der zu den wichtigsten Vertretern der Land-Art zählt. Zu seinen bekanntesten Installationen gehören die beiden Arbeiten „Mile Long Drawing“ (Mojave-Wüste, 1968) und „The Lightning Field“ (Catron County, New Mexico, 1977). Ab 1968 stellte Walter De Maria regelmäßig in der Galerie Heiner Friedrich in München, Köln und New York aus. , deren Arbeit auch in Richtung Handlung orientiert war. Der hat meine Werkkonzeption von Anfang an hoch geschätzt. Es gibt bei seinen frühen Arbeiten Stücke, die man durch Handlung manipulieren kann. Von wem ich mich ebenfalls verstanden fühlte, war Richard Artschwager. Es gab einige wenige, bei denen die Arbeit auch in Richtung Handlung orientiert war oder die eine Vorstellung davon hatten, dass Handlung Werkcharakter haben kann. Das habe ich bei De Maria gefunden.
Heiner Friedrich war ein großer Förderer von Walter De Maria.
Ja, er hat ihn hochgeschätzt. Auf meine Arbeiten hat Heiner schon in Düsseldorf reagiert. Zwar fand ich seine Beschreibung nicht ganz treffend, es war aber ziemlich nah dran. Das war schon viel. In München haben wir zwei Ausstellungen mit Werksatzstücken gemacht, 67 und 69. 1969 haben Walter und ich dort mit den Stücken agiert.
War Franz Dahlem damals noch in der Galerie?
67 war er noch da. Der lag mit meinen Arbeiten auf eine ganz komische Weise im Krieg und hat werkfremde Forderungen an mich gestellt.
Was für Forderungen?
Er konnte zum Beispiel meine Vorstellung der Lagerform als Werkform nicht akzeptieren – das Motiv habe ich schon bei den frühen Werken gehabt, Stapel als Lager, die Auslegung, die Handlung in Lagerform als Teil des Werks –, das war für ihn unmöglich. Die Lagerform als Werkform ist der Hauptzustand, die Handlung ist sozusagen die Ausnahme, und ich muss mir auch die Handlung vorstellen können. Heiner Friedrich hingegen konnte das akzeptieren. Dahlem hätte ja einfach sagen können: „Interessiert mich nicht.“ Aber er hat dann Krieg gemacht. Ich würde nicht richtig denken, ich hätte Vorstellungen, die nicht funktionieren. Gewürzt mit Beschimpfungen auf Bajuwarisch.
Gab es in der Galerie zwischen Friedrich und Dahlem eine klare Rollenaufteilung?
Ich fand, Heiner war der Chef und Franz war der einflussreiche Berater.
Aber offenbar nicht immer inhaltlich.
Nein, eher sehr stark ideologisch.
Dahlem hat sich zum Beispiel mit Joseph Beuys sehr gut verstanden.
Die haben sich perfekt verstanden. Möglicherweise hat er auch vom Joseph Sprüche gegen mich gehört, die ihn aufgeladen haben, das war teilweise so irrational und unsachlich. Jedenfalls war das ein starker Kontrast zu Heiner Friedrich, der meinem künstlerischen Anliegen offen begegnet ist.
Six Friedrich war auch noch mit im Bunde?
Die Six war sehr offen.
Heiner Friedrich war ab 1972 in New York.
Er hat Ende der 70er-Jahre den „Werksatz“ für die Dia Art Foundation angekauft. Irgendwann gab es ein Zerwürfnis. Im East River gibt es eine Insel, Wards Island. Auf dieser Insel gab es eine ehemalige psychiatrische Einrichtung mit mehreren leer stehenden Gebäuden inklusive eines Theatersaals. Heiner Friedrich wollte die Insel für die Dia erwerben. Immer groß, ganz groß! Es standen dort riesige Blechskulpturen von John Chamberlain. Ich habe gesagt: „Heiner, umgeben von Wasser, die rosten doch!“ Den Theatersaal, der war gar nicht so klein, hat er für mich umbauen wollen. Ich fand das etwas abgelegen. Von East Harlem wollte er eine Fußgängerbrücke bauen lassen, sodass die schwarzen Kids rüberkommen könnten. Ich sollte sie mit meinen Werksatzarbeiten von der Straße wegholen, es würden dann aus ihnen bessere Menschen werden. Ich sagte: „Ne, Heiner, erzähl mir nicht so einen Quatsch, die brauchen was anderes als meinen ,Werksatz‘!“ Und von dem Moment an hing der Haussegen schief. Er mit seiner großen Vision – das war eine Schnapsidee. Und so ist der „Werksatz“ für Jahrzehnte im Lager der Dia Art Foundation gelandet.
Friedrich hat es dann nicht gemacht, weil du es nicht wolltest?
Ja. Der „Werksatz“ ist dann eingelagert worden und wurde nie gezeigt. Es sollten auch noch Werkzeichnungen zugekauft werden, auch frühe Arbeiten, das ist dann alles flachgefallen. Vor drei oder vier Jahren bekomme ich von der Dia Art Foundation überraschend eine Anfrage: „Wir wollen in Dia:Beacon unbedingt den ,Werksatzʻ zeigen.“ Ich fragte mich: „Was ist denn da passiert?“ Heiner war längst nicht mehr da. Der Brief kam von der Dia-Kuratorin Yasmil Raymond, sie hatte im Guggenheim Museum Tino Sehgal getroffen, mit ihm diskutiert und ihn gefragt, wo er künstlerisch herkommt. Er sagte, ein wichtiger Ausgangspunkt für ihn sei Franz Erhard Walther. In der Dia hat sie dann davon gesprochen, dass sie gerne eine Ausstellung mit mir machen wolle, und es sagte daraufhin ein Registrar: „Wir haben doch Walthers ,Werksatz‘ im Depot.“ Sie hat zum nächstmöglichen Zeitpunkt für eineinhalb Jahre eine Ausstellung mit meinem „Werksatz“ gemacht. Dazu Fotos von allen Werkstücken in Aktion und Werkzeichnungen als auch zwei Räume mit frühen Arbeiten. Ich hatte mehrere von der Dia angestellte Kunstgeschichtsstudenten instruiert, die den Besuchern das Agieren mit den Werkstücken ermöglichten. Das MoMA hat dann für eine sechsmonatige Ausstellung des „Werksatzes“ einige dieser Studenten übernommen, die dort ebenfalls dem Publikum das Agieren mit den Werkstücken erläuterten. „Franz Erhard Walther. Work as Action“, Dia:Beacon, New York, 02. Oktober 2010 – 13. Februar 2012; „Eyes Closed/Eyes Open. Recent Acquisitions in Drawings“, The Museum of Modern Art, New York, 09. August 2012 – 25. Januar 2013.
Hattest du in diesem Zusammenhang mit Heiner Friedrich noch mal Kontakt?
Nein. Mir ist gesagt worden, dass er versucht hat, die Ausstellung in der Dia zu verhindern, was ich überhaupt nicht verstehe. Er hatte den „Werksatz“ zuvor regelrecht versteckt. Das ist seine persönliche Geschichte. Ausgangspunkt war wohl diese Diskussion über den umzubauenden Theatersaal auf Wards Island in den 70er-Jahren. Meine Absage muss ihn damals schwer getroffen haben.
Er hätte es ja trotzdem machen können. Auch ohne dein Einverständnis.
Natürlich. Aber er war so beleidigt, dass er gesagt hat: „Dann lassen wir es eben.“
Ein anderer wichtiger Schritt in New York war das Handbuch, das du mit Kasper König gemacht hast. Kasper König (Hg.), „Franz Erhard Walther. Objekte, benutzen“, Köln/New York 1968.
Das war natürlich für die Rezeption, primär in Deutschland, sehr wichtig. Es ist die erste Publikation des König-Verlags.
In dem Interview, das du mit Peter Weibel und Kasper König geführt hast, Franz Erhard Walther, „Die Kunst ist zu wichtig, um sie den Malern zu überlassen“, Gespräch mit Kasper König und Peter Weibel, in: Peter Weibel (Hg.), „Franz Erhard Walther. Objekte, benutzen“, Köln 2014 (2. Auflage), S. 25–54. klingt es so, als hättest du Kasper König in New York getroffen, er hat drei Arbeiten von dir gesehen, die du dort hattest, und dann hat er gesagt: „Wir müssen ein Handbuch machen.“ Ein Handbuch ist ja tatsächlich als Anleitung gedacht. Hast du sofort zugestimmt?
Ja, habe ich. Den Begriff „Handbuch“ fand ich gar nicht schlecht. Das war auch ganz praktisch gemeint. Hardcover war ausgeschlossen, man sollte es in der Tasche tragen können, was auch das Format bestimmt hat. Es gibt einige Dinge, die ich im Nachhinein nicht ganz glücklich finde. Das Konzept war, nicht chronologisch abzubilden, das wäre zu klassisch gewesen, sondern eher in formal inhaltlicher Folge. Abgebildet sind Sequenzen, immer nur das, was notwendig ist. Dann hatte ich Textzeichnungen zu den Werkstücken gemacht. Das sind keine Anleitungen, sie sollen vielmehr Möglichkeiten zeigen, wie sich Sprache entwickeln kann oder wie sich Sprache zu Handlungen verhält. Es ist ziemlich ambitioniert gewesen, und ich habe überlegt, ob man diese typografischen Zeichnungen braucht oder ob ich sie als Skizzen belasse und diese dann in Typografie umgesetzt werden. Die Typografie ist eher anonym, da gibt es ja keine Handschrift, die habe ich vermieden. Ich habe Allerweltstypografien genommen. Dann gibt es leere Seiten, darauf können die Leser ihre eigene Vorstellung projizieren. Ich habe gesagt: „Kasper, meine Kunst ist so unbekannt, da muss es ein Vorwort geben, das mindestens den Rahmen dieser Konzeption beschreibt.“ Und es war auch besprochen, dass erwähnt wird – und zwar präzise –, dass Johanna die Werkstücke näht. Denn das interessiert die Leute, wie die Sachen überhaupt gemacht werden. Kasper hat dann entschieden, die Textzeichnungen in Typografien umzusetzen, alles in Handsatz. Einige funktionieren sehr gut, andere nicht, weil die entsprechenden Schrifttypen nicht zur Verfügung standen. Es gibt kein Vorwort und es ist nicht erwähnt, dass Johanna die Arbeiten näht. Dann war alles auf Hochglanzpapier gedruckt, was überhaupt nicht meine Welt ist. „Wieso Hochglanz?“ – „Kunstdruckpapier vom Feinsten. Es war ein preiswerter Restposten.“ Kasper hat das Ganze über den Verkauf einer Assemblage von Arman finanziert. Gleich wie, die Wirkung des Buches war sehr groß. Vielleicht wirkte meine Kritik vor dem Hintergrund unpassend. Es war ja ein großzügiges Engagement von Kasper.
Die Kritik hast du direkt ausgesprochen?
Ganz vorsichtig. Warum soll ich das denn nicht sagen dürfen?
Hattet ihr über das Papier vorher nicht gesprochen?
Das kann ich nicht mehr beschwören, aber es war klar, dass es ein einfaches Papier sein sollte. Niemals Kunstdruckpapier! Das gibt es in meiner Welt nicht. Die Typografie war unentschieden, aber ich hätte wissen sollen: Dies kann umgesetzt werden und jenes nicht, dann hätten wir diskutiert. Er sagt zu Recht: „Das hätte ein Vermögen gekostet, dich von Köln aus in New York anzurufen und ein Brief hätte zwei Wochen gebraucht.“ Telegramm war ebenfalls zu teuer.
Er war in der Zeit in Köln?
Er ist von New York nach Köln zurückgegangen, warum weiß ich nicht. Da war auch ein Zwist mit seiner damaligen Lebensgefährtin, aber er ist eigentlich nach Köln gegangen, um das Buch zu produzieren und wollte, so erinnere ich es, wieder nach New York zurückkommen.
Ich dachte, ihr hättet das in New York zusammen gemacht.
Das Konzept haben wir dort festgelegt. In New York wurden die Aufnahmen gemacht und ich habe dort die Textzeichnungen und das Buchlayout entwickelt. Mir ist damals berichtet worden, das Layout des Buchs mit den Leerseiten sei so auffällig gewesen, das hätte jeder in der Hand gehabt. Auch weil es zum Zeitpunkt der ersten Kunstmesse in Köln erschienen ist und Kasper in einem Saal gegenüber der Galerie Zwirner eine Werkvorführung gemacht und das Buch vorgestellt hat. Zur Präsentation des Buchs „Objekte, benutzen“ während des Kunstmarkts 1968 organisierte Kasper König die 24-stündige Werksatzdemonstration „,Objekte, benutzen‛ von Franz Erhard Walther“ im Musenhof in Köln. Vgl. Helga Behn, „Franz Erhard Walther. OBJEKTE, benutzen. Köln, New York 1968“, in: „Kasper König. The Formative Years“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 23/24, 2014, S. 91. Also, mit einem Schlag war eine Bekanntheit da.
Die Werkvorführung hat König in deiner Abwesenheit gemacht?
Ja, ich konnte mir die Reise nach Deutschland nicht leisten.
Hatte er von dir ein Original dort?
Den gesamten „Werksatz“ hat er zur Verfügung gehabt. Ich kann mich nur auf Erzählungen verlassen: Er hat ihn über den Galeristen Zwirner hingebracht, der hat ja damals den Kunstmarkt mitbegründet, und die haben sehr viele Leute zu dem Saal gelotst. Jedenfalls fand das während des Kunstmarkts statt.
Hat sich die Rezeption deiner Werke dadurch verändert? Wurden deine Arbeiten in Deutschland dann mehr wahrgenommen?
Klar. Bazon Brock, der damals ein wichtiges Sprachrohr für die Avantgarde war, hat einen großen Artikel in der „F.A.Z“ veröffentlicht. Bazon Brock, „Die Überwindung der Kunst durch die Kunst. Franz Erhard Walther als Beispiel“, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 28.02.1969, S. 32. Den haben alle Leute, die sich für Kunst interessierten, gelesen. Der Artikel zeigt aber auch, bei aller Spracheloquenz, die Brock hat, die Schwierigkeit, mein Anliegen angemessen zu beschreiben. Ich weiß nicht, wie gut ich das selbst habe erklären können. Ich musste ja auch erst mal Stück für Stück lernen, wie man das in die Öffentlichkeit bringt. In New York im MoMA habe ich mich offenbar ganz tapfer geschlagen. Von der documenta 1972 gibt es ein Filmdokument mit einem Interview, das zeigt, wie ich meine Werkkonzeption auslege. Auf der „documenta 5“ (1972) war der „1. Werksatz“ (1963–1969) von Franz Erhard Walther ausgestellt. In wiederholten Werkvorführungen agierte der Künstler mit dem Material und dem Publikum. Für die filmische Dokumentation der Arbeit siehe: Jef Cornelis, „documenta 5“, DVD, 54 Minuten, 2012. Sprache bildet einen großen Teil meiner Arbeit, Sprache als Material. Darüber sprechen ist jedoch etwas anderes, als ein Werk mit Sprache zu formulieren. Das hat sich auch durch die Lehrtätigkeit Franz Erhard Walther war von 1971 bis 2005 als Professor an der Hochschule für bildende Künste Hamburg tätig. entwickeln können, die für mich nicht darin bestand, Tipps zu geben oder allein Korrekturen vorzunehmen. Ich habe mit den Studenten immer auch grundsätzlich über Kunst, Kunstgeschichte und Theorien gesprochen.
Die MoMA-Ausstellung war am Ende deiner Zeit in New York. Wen hast du damals außer Duchamp noch getroffen? Welche Begegnungen waren für dein Werk wichtig?
Meine persönliche Begegnung mit Duchamp war ein Telefonat. Er wollte mich treffen. Wir hätten uns gesehen, wenn ich in den folgenden Tagen die Zeit gehabt hätte.
Und wenn er nicht gestorben wäre …
Ja, wenn er nicht gestorben wäre. Er war neugierig darauf, mich kennenzulernen. Ich habe ihn gefragt, woher er von mir weiß. Er sagte, dass er bei William Copley gewesen sei, die kannten sich offenbar sehr gut, dort habe er Fotos meiner Arbeiten gesehen. Sie stammten von Barbara Brown. Am Eröffnungstag der Ausstellung im MoMA Ende 69 habe ich Barnett Newman kennengelernt. Er ist mir nach der Werkvorführung beim Empfang von Jennifer Licht vorgestellt worden. Ich sagte ihm, dass ich seine Arbeit sehr schätze, und wir sind ins Gespräch gekommen. Ich erzählte ihm von meiner Begegnung mit seinen Bildern auf der documenta 1959, was ihn sehr beeindruckt hat. Bei der Eröffnung gab es einen Rundgang, in meinem Raum hatte er eine Zeit lang zugehört und sich auch einige Begriffe gemerkt. Zum Beispiel „presence of the person“, also in der Werkhandlung die Präsenz der Person. Ich habe von „field“ gesprochen, der Ausdehnung als Dimension. Er hat die Begriffe auch auf seine Arbeit bezogen und war offenbar so angetan, dass er mich eingeladen hat. Komischerweise nicht ins Studio. Später habe ich erfahren, dass er das nie bei der ersten Begegnung gemacht hat. Wir haben uns in einem Coffeeshop getroffen und gingen danach in seine Wohnung. Irgendwie hat er Scheu gehabt, Leute in seinem Atelier zu haben. Wie auch immer, das war für mich eine wichtige Begegnung. Auch Robert Motherwell ist mir vorgestellt worden, ich habe Mark Rothko getroffen … die Heroen. Ich habe Oldenburg getroffen, Andy Warhol – beide waren für mich künstlerisch zwar nicht wichtig, aber dennoch war es schön, sie zu treffen und mit ihnen zu sprechen. Aus meiner Generation traf ich unter anderen Walter De Maria, Richard Tuttle, Dennis Oppenheim, Vito Acconci, Richard Serra, James Lee Byars und die etwas älteren Robert Ryman, Richard Artschwager und Donald Judd. Die Künstler haben mich in ihr Studio eingeladen und ich habe sie eingeladen. Die Einzigen, die ich nicht getroffen habe, waren Carl Andre und Sol LeWitt, von dem ich wusste, dass er mit Hanne Darboven befreundet war, sie lebte ja einige Zeit in New York.
Wie hast du das Werk von Donald Judd damals wahrgenommen? Konntest du damit etwas anfangen?
Ja. Aus zwei einfachen Gründen: „Primary Stucture“ fand ich keinen richtigen Begriff, „Hard Edge“ ebenfalls nicht, „Minimal Art“ klang für mich auch seltsam. Judd hat seine Arbeiten auf Realräume hin entwickelt, nicht monumental oder modellhaft klein, das fand ich wunderbar. Es war eine neue, andere Sprache. Das nicht in der Geschichte Gebundene bei Judd habe ich sehr geschätzt.
Und hast du mit Judd über das Werk auch sprechen können?
Kaum. Das war 1967/68 alles so selbstverständlich, dass man eigentlich nicht darüber sprechen musste. Georg Baselitz hat er einmal „Sauerkraut painter“ genannt. Das war seine Sicht. Er kannte dessen Malerei wohl durch Heiner Friedrich.
Hast du in New York mit deutschen Künstlern Kontakt gehabt?
Den einzigen deutschen Künstler, den ich dort getroffen habe, war Hans Haacke Hans Haacke (* 1936 Köln) ist ein Künstler und Wegbereiter der Konzeptkunst. Von 1956 bis 1960 studierte er an der Staatlichen Werkakademie in Kassel. 1965 siedelte er nach New York über, wo er im Jahr darauf seine erste Einzelausstellung in der Howard Wise Gallery hatte. In Deutschland wurde er ab 1971 von der Galerie Paul Maenz in Köln vertreten. Haacke war Professor an der Cooper Union for the Advancement of Science and Art in New York (1975–2002) und gewann 1993 gemeinsam mit Nam June Paik den Goldenen Löwen für seinen Beitrag im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig. Er war auf der documenta 5 (1972), 7 (1982), 8 (1987) und 10 (1997) sowie in der Ausstellung „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“ (1984) vertreten. .
Wie kamst du mit dem Werk von Hans Haacke zurecht?
Das ist eine lange Geschichte, er war 1960 an einer Gruppenausstellung in Fulda beteiligt, „Malerei: Erhard Imhof, Hans Haacke, Herwig Thiele/Skulptur: Karl Fiehler, Klaus Müller, Robert Sturm“, Galerie Junge Kunst, Fulda, 09.–31. Januar 1960. in der Galerie, die ich mitbegründet hatte. Dort habe ich ihn zum ersten Mal getroffen. Er hatte aus gefärbten, geformten Stoffen so komische dekorative Formen gemacht, auf Holzplatten montiert. In einer Ausstellung bei Schmela „Hans Haacke. Wind und Wasser“, Galerie Schmela, Düsseldorf, Mai 1965. habe ich ihn Mitte der 60er-Jahre wiedergetroffen, dort zeigte er kunstgewerbliche Plexiglaskästen, in denen Wasser kondensierte.
Ich erinnere mich an Röhrenformen. Solche Arbeiten habe ich dann noch mal in der Howard Wise Gallery in New York gesehen, dort hatte ich an einer Gruppenausstellung teilgenommen. „Festival of Lights“, Howard Wise Gallery, New York, 09. Dezember 1967 – 06. Januar 1968. Und dann hat er sozial engagierte Dinge gemacht, dazu habe ich nie ein Verhältnis gefunden. Das hat mich nicht betroffen, mehr kann ich nicht dazu sagen.
Wärst du in New York geblieben, wenn du nicht nach Hamburg geholt worden wärst?
Ja. Ich hätte keinen Grund gehabt, nach Deutschland zurückzukommen. Es wäre möglicherweise biografisch eine andere Geschichte geworden. Das treibt mich ab und zu um. Ich habe nach zwei, drei Jahren in American English gedacht. Ich war mittlerweile so weit von Deutschland entfernt, meine Kinder sind da groß geworden, schon aus dem Grund hätte ich nicht weggehen wollen. Die Kunstsituation ist allerdings ab 73 in New York abgesunken, das war nicht mehr interessant.
73? Da warst du doch schon weg?
Ja. Aber diese Situation hat bewirkt, dass ich zu der Zeit eine Rückkehr nach New York nicht erwogen habe. Auf die Stimmung hatte auch die Depression in Folge des Vietnamkriegs eingewirkt. Jedenfalls war die Galerieszene in New York nicht mehr interessant, die Musik hat in Europa gespielt. Die wichtigen konzeptuelleren Ausstellungen waren in Europa, in Deutschland, Holland, in der Schweiz. Ich habe natürlich darüber nachgedacht, ob sich das Werk anders entwickelt hätte, wenn ich in New York geblieben wäre. Geblieben wäre sicher die Vorstellung, ein Werk aus einer Handlung heraus zu denken! Das fasziniert mich nach wie vor. Aber ob es andere Formen gefunden hätte? Die Rezeption wäre eine andere gewesen. Ich habe das jetzt bei der Dia-Ausstellung gesehen: Da sind am Wochenende viele Leute gekommen, um mich, den Zeitzeugen, zu hören. Die Rezeption wäre in Amerika anders gewesen. Aber bestimmte Dinge, die für mich in Deutschland, in Europa, wichtig waren, wären dann nicht passiert, auch publizistisch nicht. Ein beunruhigender Gedanke für mich: Wären Teile des Werks in der Form anders? Ich glaube eigentlich nicht, aber ich bin nicht sicher. Die sprachen von „shapes“, ich von „Proportionen“, ein Begriff, der als altmodisch angesehen wurde. Einer der ersten großen Eindrücke in New York war die Offenheit, die ich dort erlebte. Nicht nur bei Künstlern, sondern auch beim Kunstpublikum. Diese Offenheit war mir völlig unvertraut, das habe ich in Deutschland nicht erlebt. Einfach fragen und akzeptieren, auch wenn man es nicht versteht.
Trotzdem bist du nach Hamburg gegangen. Weil es dich gereizt hat zu lehren?
Nein, das war eine Zufallsgeschichte. Ursprünglich wollte ich wieder nach New York zurückkehren. Als Abschluss war eine einwöchige Aktivierung des „Werksatzes“ in der Sammlung Ströher in Darmstadt vorgesehen.
Wie ist Karl Ströher an dich herangetreten?
Über Heiner Friedrich. Er kam mit Ströher nach New York und wir haben dort über die Werksatzkonzeption diskutiert. Die grandiose Offenheit Karl Ströhers ist mir unvergessen.
Das war nach dem Kauf der Kraushar-Sammlung? Bei einer New-York-Reise für den Sammler Karl Ströher hatte Franz Dahlem erfahren, dass die Sammlung Kraushar zum Verkauf stand, und setzte alles daran, Ströher dafür zu interessieren. Die Sammlung umfasste 160 Objekte, darunter 6 Bilder von Roy Lichtenstein, 21 Objekte von Claes Oldenburg, 6 Bilder und Objekte von Andy Warhol, 15 Bilder von James Rosenquist und 7 Bilder von Tom Wesselmann. Im Frühjahr 1968 erwarb Karl Ströher die gesamte Sammlung Kraushar und brachte diese nach Darmstadt. Vgl. Jean-Christophe Ammann/Christmut Präger, „Museum für Moderne Kunst und Sammlung Ströher“, Schriften zur Sammlung des Museums für Moderne Kunst, Frankfurt am Main 1991, S. 37, 81.
Ja! Das war Ende der 60er-Jahre. Heiner hatte bei Ströher das Interesse geweckt. Ströher kam, wollte den „Werksatz“ sehen, mit mir reden und hat dann gesagt, den kauft er. Er wollte auch die großen Land-Art-Projekte von Walter De Maria in der Mojave Desert Im Gebiet der Mojave-Wüste realisierte Walter De Maria 1968 die Arbeit „Mile Long Drawing“. Mit Kreidepulver zeichnete er zwei parallele Linien von einer Meile Länge auf den Wüstenboden. Bekannt wurde die Aktion insbesondere auch durch Gerry Schums filmische Dokumentation „Walter De Maria. Two Lines Three Circles on the Desert“. Vgl. Erika Suderburg, „Space, Site, Intervention. Situating Installation Art“, Minneapolis 2000, S. 133 f. sehen. Ströher war über 80. Sie haben ihn in ein kleines Privatflugzeug gesetzt und sind mit ihm über die Mojave Desert geflogen. Dann hat Paul Wember mithilfe der Sammler Helga und Walther Lauffs einen „Werksatz“ für das Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld erworben. Das ist der „Werksatz“, der sich jetzt im MoMA befindet. Und es gab auch einige Privatsammler. Wir konnten die Produktion in New York nicht realisieren. Das Material gab es dort nicht und auch die notwendigen Maschinen standen nicht zur Verfügung. Johannas Eltern besaßen in Fulda eine Schneiderwerkstatt, die stand zur Verfügung, und es gab in Fulda eine große Stofffabrik mit einem großen Restelager, wo es alles gab, was ich brauchte. Als die Kinder Ferien hatten, sind wir für zwei Monate nach Fulda gezogen, um hier die „Werksätze“ zu produzieren.
Hattest du das limitiert?
Ja, die haben wir limitiert.
Es gibt acht, oder?
Acht „Werksätze“ mit jeweils 58 Werkstücken. Ein gigantisches Projekt.
War das von Anfang an klar: Wir werden acht machen. Oder wie lief das?
Nein. Es gab nur einen, ich hatte nie über Repliken nachgedacht. Ströher sagte ich: „Ich kann den nicht verkaufen.“ Erst als mir Paul Wember schrieb, er möchte einen „Werksatz“ haben, habe ich darüber nachgedacht, Repliken zu machen. Und dann wie viele? Ich habe gesagt sieben, bezogen auf die sieben Tage der Woche. Die Zahl war spielerisch. Und einen für mich. Jetzt waren aber Sammler da, die Einzelstücke haben wollten. Da habe ich entschieden, wir machen auch „Werksätze“, die aufgelöst werden können. Es waren eher kleinere Stücke, die großen sind nie gefertigt worden. Geschlossene „Werksätze“ gibt es also acht. Die Produktion war in Fulda und gleichzeitig hatte ich Ausstellungen im Museum Haus Lange in Krefeld, dort hat Paul Wember Werkvorführungen veranlasst, in der Kunsthalle Düsseldorf war das Jürgen Harten, ebenfalls Werkvorführungen, dann eine Galerieausstellung bei Hans Neuendorf in Hamburg und eine Ausstellung im studio f in Ulm, beide mit dem „Werksatz“. Franz Erhard Walther zeigte 1969 seinen „Werksatz“ unter anderem in folgenden Einzelausstellungen: „1. Werksatz und Zeichnungen“, Galerie Neuendorf, Hamburg; „Werksatzdemonstration“, studio f, Ulm; „Werksatzdemonstration. Der gesamte 1. Werksatz“, Museum Haus Lange, Krefeld; „Werksatzdemonstration. Der gesamte 1. Werksatz“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf.
Die Hamburger Hochschule hatte die Einrichtung der Gastprofessuren. Durch den „F.A.Z.“-Artikel von Bazon Brock, der anlässlich meiner Publikation bei König erschienen war, kannten die Studenten meine Arbeiten, die fanden das interessant und wollten mich gerne als Gast haben. Ich bekam einen Brief nach New York. Und dachte erst: „Hamburg?“ Habe dann ganz frech gefragt, was die bezahlen würden. Die Bezahlung war opulent. Ich musste sowieso nach Deutschland, da der DuMont Verlag eine Publikation geplant hatte. Die Reise konnte ich mir auch leisten, da ich endlich Verkäufe hatte.
Was hat ein „Werksatz“ damals gekostet?
Ach du lieber Himmel. 40.000, 45.000 D-Mark für 58 teils großformatige Werkstücke. Ich war so bescheiden.
Und den Preis hast du dir selber überlegt? Du hattest ja zu dem Zeitpunkt keine Galerie?
Doch, Friedrich. Die Preise betreffend habe ich die Herstellungs- und Materialkosten berechnet und das verdoppelt.
Das heißt die Materialkosten, denn die Herstellung hat ja deine Frau gemacht? Die Arbeitszeit hast du nicht eingerechnet?
Die Arbeitszeit war kostenlos. Ich war so naiv, ich habe mich mit der Kostenrechnung so schwergetan. Wember wollte wissen: „Was kostet das denn?“ Ich habe gesagt, das könne ich noch nicht sagen. Sagte er: „Das muss ich aber wissen.“ Er würde das Geld dafür von den Lauffs bekommen. Ich habe mich, als dann die Summe feststand, lange gequält, bis ich gewagt habe, ihn anzurufen, um die Summe zu nennen. Wember sagte sofort: „Kaufe ich!“
Ich muss noch mal nachfragen: Friedrich war offiziell dein Galerist? Hattest du einen Vertrag mit ihm?
Per Handschlag.
Er hat ja gerne Verträge gemacht.
Ja, bei uns war es jedoch so: In New York hat er Arbeiten gekauft und wir haben regelmäßig monatlich Geld bekommen. Das war sehr großzügig.
Du hast monatlich Geld bekommen und er hat Arbeiten bekommen?
Ja.
Was hat er von dir verkauft?
Na ja, den „Werksatz“ an Karl Ströher. Dann gab’s den Sammler Herbig Jost Herbig (1938 Köln – 1994 Icking) war ein deutscher Chemiker, Wissenschaftspublizist und Kunstsammler, dessen Familie bis 1970 das Kölner Lackfarben-Unternehmen Herbol führte. Seine Kunstsammlung umfasste Positionen der europäischen und amerikanischen Nachkriegskunst, darunter Werke von Georg Baselitz, Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Blinky Palermo, Gerhard Richter und Richard Tuttle. Von 1976 bis 1997 war die Sammlung Herbigs als Dauerleihgabe in der Neuen Galerie in Kassel, bevor sie 1998 bei Christie’s in New York versteigert wurde. . Dann Lothar Schirmer und Erik Mosel, die später den Verlag gegründet haben, dieser Umkreis. Sie kauften Einzelstücke, die alle von Friedrich kamen. Zwirner hat dann auch einen „Werksatz“ ausgestellt. „Objekte, benutzen“, Galerie Rudolf Zwirner, Köln, 26. Februar – 25. März 1969. Das war natürlich ein Problem, weil Zwirner einen Vertrag machen wollte. Da sagte ich: „Herr Zwirner, das kann ich nicht, ich habe schon mit Heiner Friedrich eine Verabredung.“
Wann war das?
69. Konrad Fischer, der vorher seine Witzchen über mich gemacht hatte, besaß mittlerweile auch seine Galerie und wollte plötzlich eine Ausstellung mit mir machen, vermutlich auf Anregung von Kasper König. Das war eine gute Adresse, es ging aber nicht: „Konrad, ich kann das nicht machen, ich bin mit Heiner verbunden.“ Es war ein so enger Kreis. Das hätte vermutlich die alten Wunden geheilt und Sammlerkreise erschlossen, die Heiner Friedrich nicht hatte. Auch Carl Andre war vorher bei Heiner Friedrich und ist zu Konrad Fischer gewechselt. Einige andere Künstler ebenfalls. Es waren vermutlich die beiden einzigen Galerien in Deutschland, die professionell neue Kunst gezeigt haben. Für mich war Zwirner eigentlich kein Galerist, sondern ein Bilderhändler. Für eine Sache einstehen, dafür kämpfen und wirklich vertreten, das Gefühl hatte ich bei Zwirner nicht. Vielleicht ist das unfair, aber ich habe es so erlebt. Wobei er sich auch sehr engagiert gegeben hat.
Zwirner wollte dich überreden, deine Zeichnungen zum Verkauf anzubieten.
Das ist seine Leistung. Ich hatte nie daran gedacht, Diagramme oder Werkzeichnungen zu verkaufen, das war ja mein Tagebuch. Ich kann doch so etwas nicht verkaufen! So dachte ich. Er hat gesagt: „Doch, das sind Zeichnungen, die kann man sehr wohl verkaufen!“
Das hat er dir 69 vorgeschlagen?
Ja. Heiner Friedrich hatte akzeptiert, dass ich das als meinen persönlichen Bereich ansehe. Bei Zwirner war das anders. Ich habe zum ersten Mal über Verkäufe von Werkzeichnungen nachgedacht. Das hat einige Zeit gebraucht. Der nächste Schritt kam viel später. 1976 habe ich im Kunstraum München eine Ausstellung mit eher konzeptuellen Zeichnungen gemacht, mit sogenannten „Diagrammen“. „Franz Erhard Walther. Diagramme zum 1. Werksatz“, unter anderem Kunstraum München, 29. Januar – 20. März 1976. Hermann Kern war der Leiter. Das war eine wichtige Institution. Der nächste Schritt war 1981/82, da rief mich eines Tages Gerhard Storck Gerhard Storck (1940 Essen – 2008 Krefeld) war ein deutscher Kunsthistoriker. Er leitete von 1975 bis 1999 als Direktor die Kunstmuseen Krefeld. , der Leiter der Krefelder Museen, an: „Herr Walther, ich habe in Düsseldorf bildhafte Zeichnungen von Ihnen gesehen, gibt’s da mehr?“ – „Ja, es gibt eine ganze Menge, da hat sich bisher kaum jemand für interessiert.“ Als Joseph Kosuth Joseph Kosuth (* 1945 Toledo, Ohio) ist ein Künstler und Hauptvertreter der Konzeptkunst. Bekannt wurde er insbesondere für seine Arbeit „One and Three Chairs“ (1965), die den Stuhl als plastisches Objekt, als Reproduktion des Stuhls in Form einer fotografischen Abbildung und als Beschreibung des Stuhls in Form einer lexikalischen Definition enthält. In Deutschland wurde Kosuth ab 1970 von der Galerie Paul Maenz vertreten. Er nahm an den documenta-Ausstellungen 5 (1972), 6 (1977), 7 (1982) und 9 (1992) teil und war Professor an der School of Visual Arts in New York (1967–1985), der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (1991–1996) sowie der Akademie der Bildenden Künste München (2001–2006). die gesehen hatte, sagte er: „Too much of Wols, too much of Informel, too European, it smells too much.“ Für Joseph waren die nicht objektiv genug, zu wenig schwarz-weiße Konzeptkunst. So war die damalige Stimmung. Ich habe Storck also mit ein paar Kartons voll Zeichnungen besucht. Und er sagte: „Machen wir eine Ausstellung!“ Er hat im Museum Haus Lange eine große Ausstellung „Franz Erhard Walther – Werkzeichnungen“, Museum Haus Lange, Krefeld, 14. Februar – 18. April 1982. gemacht, und es ist dazu auch eine Publikation erschienen, das war 82. Kosuth sagte auch: „Mit deinem Werksatz hast du den Ball so weit nach vorne geworfen und mit deinen Zeichnungen kommst du nicht hinterher!“ Ich sagte: „Ich möchte die Erfahrungen, Ideen, Projektionen aus den Werkhandlungen aufbewahren, wie mache ich das denn? Fotos und Filme können das nicht, die können nur das äußere Bild zeigen.“ Das war ein sehr langer Prozess, bis diese bildhaften Zeichnungen eine Rezeption gefunden haben.
Wie ist dein Verhältnis zu Joseph Kosuth?
Sehr freundschaftlich.
Woher kennt ihr euch?
Aus New York. Joseph habe ich vor Jahrzehnten auf einer Party nach einer Galerieeröffnung kennengelernt. Ich war mit seinem Werk vertraut, er mit dem meinem. Wir haben uns über die Jahre immer mal wieder getroffen, zuletzt in Paris anlässlich einer Ausstellung zu meinem 75. Geburtstag. Joseph Kosuth gehört zu den wenigen Künstlern, die klare Vorstellungen von Kunst haben. Ich habe selten Künstler getroffen, die wirklich auch klar darüber sprechen können. Joseph gehört dazu.
Es gab noch ein paar Künstler in New York, die damals für die deutsche Kunstszene sehr wichtig waren. Zum Beispiel Nam June Paik Nachdem Nam June Paik (1932 Seoul – 2006 Miami) 1956 als Student nach Deutschland gekommen war, arbeitete er von 1958 bis 1963 im Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln und beteiligte sich an zahlreichen Fluxus-Aktionen. 1964 siedelte er nach New York über und begann sich zunehmend mit der Technik von Fernsehen und Video zu beschäftigen. Paiks Werk wurde unter anderem auf der „documenta 6“ (1977) und im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig (1993) gezeigt. Er zählt zu den Pionieren der Video- und Medienkunst. .
Als ich die erste Ausstellung mit seinen Fernsehfiguren in New York gesehen habe, empfand ich das eher als Kunstgewerbe. Ich konnte mit diesen Sachen nichts anfangen. Medienkunst hat mich interessiert, ich habe dazu vieles angesehen. Habe aber diese Dinge nicht in mein Werk aufgenommen, weil das meine Arbeit nicht erfordert.
Und Marcel Broodthaers?
Eher eine literarische Angelegenheit.
Und Blinky Palermo?
Wir haben ein gutes Verhältnis gehabt. Wenn die Vorbilder so durchschlagen …, ob das jetzt Kasimir Malewitsch ist oder Ellsworth Kelly, es ist letztlich stark historisch gebunden. Aber ich habe das nicht zu kritisieren.
Baselitz erzählt die Geschichte, dass Heiner Friedrich in seiner Galerie in New York eine Ausstellung mit Werken Palermos gemacht hat. „Blinky Palermo – Zeichnungen“, Heiner Friedrich Gallery, New York, 11. September – 02. Oktober 1975. Zur Eröffnung der Ausstellung war niemand da, und als Baselitz fragte: „Ist das hier immer so in New York, dass zu den Eröffnungen keiner kommt?“, sagte Heiner Friedrich: „Ich mag es nicht, wenn die Leute bei mir die Kunst angaffen, ich habe die Einladungen vernichtet.“ Es gibt das Gerücht, Heiner Friedrich musste mit Palermo eine Ausstellung machen, weil dieser sein Galeriekünstler war. Da es ihm aber eigentlich peinlich war, Palermo zu dieser Zeit in New York als Position vorzustellen, da, genau wie du sagst, die Vorbilder so stark durchkamen, habe er zwar die Ausstellung gemacht, aber dafür gesorgt, dass das möglichst wenig Leute mitbekommen.
Gut denkbar. Ich habe mich überhaupt gewundert, dass Palermo in New York rezipiert wurde. Letztlich war das alles schon irgendwie da. Peinlich würde ich nicht sagen, peinlich eventuell Baselitz, dieser Neoexpressionismus, diese anachronistische Malerei. Das hat damals in New York überhaupt keine Chance gehabt. Donald Judd nannte das einmal „German Sauerkraut Painting“. Auch Heiner war kein Baselitz-Fan. Das war mein Eindruck. Ich meine, dass das durch Franz Dahlem kam, der ihm das reingedrückt hat. Aber warum hat Heiner Palermo in New York ausgestellt?
Vielleicht weil er sich in Deutschland gut verkaufen ließ?
In New York hat sich damals niemand für Palermo interessiert. Verkäufe in Deutschland waren sicher rar.
Da Palermo aber in New York war, wollte er ihn vielleicht nicht vor den Kopf stoßen. Wobei Palermo finanziell offenbar von Friedrich ganz und gar abhängig war.
Total. In New York hat sich niemand für seine Serie „To the People of New York City“ interessiert, auch die Künstler nicht. „Haben wir schon mal gesehen, sieht aus wie …“, das war die Stimmung. Trotzdem engagierte sich Friedrich für Palermo. So wie ich Heiner kenne, würde ich sagen, dass er das nicht alleine entschieden hat. Ich könnte mir vorstellen, dass er sich den Rat von Walter De Maria geholt hat, den er sehr schätzte. Walter war ein sehr dezenter, zurückhaltender Mann, fand Palermos Sachen okay, war aber der Meinung: „Ich kenne das, ich habe das zuvor schon gesehen.“ Es erschien als eine Art „Hard Edge“, „Minimal Art“, „Primary Structure“. Das waren Begriffe von Anfang der 60er-Jahre, und das tauchte zehn Jahre später abgewandelt bei Palermo wieder auf.
Interessant ist ja, dass in dieser Zeit sehr viel aus den USA nach Deutschland kam, die Pop-Art, die Minimal Art und so weiter, aber sehr wenig von Deutschland in die USA.
So ist es. Diese einseitige Rezeption existierte früher für lange Zeit auch mit Frankreich.
Du, Joseph Beuys, ein bisschen später René Block, das waren Ausnahmen. Das ging dann eigentlich erst Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre mit der Pictures Generation so richtig los.
Genau so ist es. Für Sigmar Polke etwa hat in den 80er-Jahren eine Rolle gespielt, dass Julian Schnabel und David Salle sich auf ihn bezogen haben. Das hat ihm sozusagen die Tür geöffnet. Polke und auch Richter hätten sonst möglicherweise weniger Chancen gehabt. Ich habe 1981 eine Ausstellung bei Ileana Sonnabend von A.R. Penck „A.R. Penck. Painting“, Ileana Sonnabend Gallery, New York, 14. Oktober – 14. November 1981. gesehen: null, überhaupt keine Rezeption.
Wie hast du die Rezeption der Beuys-Ausstellung „Joseph Beuys“, The Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 02. November 1979 – 02. Januar 1980. im Guggenheim Museum 1979 wahrgenommen?
Da lebte ich nicht mehr in New York. Durch diese Ausstellung im Guggenheim haben sich die Leute das erste Mal mit dem Werk von Beuys befasst. Die Galerieausstellungen vorher hatten nur eine geringe Rezeption. Eine Rezeption hatten eher Polke und Richter. Die kommen dem amerikanischen Lebensgefühl viel näher. In New York gab es damals, ich weiß nicht, ob sich das mittlerweile geändert hat, kein Gefühl für diesen Schmuddel bei Beuys, diese Nachkriegsästhetik, wie ich es nenne. Das ist den Amerikanern unvertraut, das wirkte neben diesem Cleanen, Sauberen der Minimal Art und Pop-Art anachronistisch, alt.
Gilt das auch für die Arbeiten von Jannis Kounellis?
Könnte sein. Das habe ich nicht verfolgt. Es gab ja Anfang der 70er-Jahre in New York den Versuch, die Arte povera Die Arte povera war eine italienische Kunstbewegung, die sich durch die künstlerische Verwendung „armer“ und alltäglicher Materialien auszeichnete. Erstmals öffentliche Verwendung fand die Bezeichnung im Rahmen der Ausstellung „Arte povera e IM spazio“, die im September 1967 von Germano Celant in Genua organisiert wurde und Arbeiten von Alighiero Boetti, Luciano Fabro, Jannis Kounellis, Pino Pascali, Giulio Paolini und Emilio Prini umfasste. Weitere Vertreter der Bewegung waren Giovanni Anselmo, Mario Merz, Michelangelo Pistoletto und Salvo. Siehe auch: „Che fare? Arte povera – Die historischen Jahre“, hg. von Friedemann Malsch, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz, Heidelberg 2010. ins Spiel zu bringen. John und Joyce Weber haben sehr früh Ausstellungen mit Arte povera gemacht – das hatte aber kaum Wirkung, aus den eben genannten Gründen.
Interessant, darüber habe ich nie nachgedacht, dass das an der Oberfläche liegen kann.
Es waren zwei Kunstkritiker in New York, die mir das erzählt haben. Die erste Ausstellung mit Pop-Art, also was man dann Pop-Art genannt hat, war in der Sidney Janis Gallery, die in den 50er-Jahren Pollock ausgestellt hat, Newman, Rothko und so weiter, das war damals eine große Galerie. Sidney Janis wusste, in Frankreich gibt es wieder einen sogenannten „neuen Realismus“ mit Bezug auf Alltäglichkeit, Banalitäten. Er organisierte eine Ausstellung mit Lichtenstein, Warhol, Indiana, Rosenquist, Wesselmann unter dem Begriff „New Realists“ „International Exhibition of the New Realists“, Sidney Janis Gallery, New York, 01. November – 01. Dezember 1962. An der Ausstellung beteiligt waren 54 amerikanische und europäische Künstler, darunter Arman, Robert Indiana, Yves Klein, Roy Lichtenstein, Daniel Spoerri und Andy Warhol. – es war möglicherweise ein Bezug auf den Begriff „Nouveau Réalisme“ Nouveau Réalisme war eine Kunstströmung, die Ende der 1950er-Jahre in Frankreich entstand. In Abkehr vom Informel und anderen gestisch-abstrakten Ausdrucksweisen forderten die Künstler die Hinwendung auf die alltägliche Lebenswelt. Konkret sichtbar wurde dieser Anspruch zum Beispiel in der Verwendung von Alltagsgegenständen als Material in der Kunst. Am 27. Oktober 1960 wurde in der Pariser Wohnung Yves Kleins das gleichnamige Manifest von Arman, François Dufrêne, Raymond Hains, Yves Klein, Martial Raysse, Pierre Restany, Daniel Spoerri, Jean Tinguely und Jacques de la Villeglé unterzeichnet. Siehe auch „Nouveau Réalisme. Revolution des Alltäglichen“, hg. von Ulrich Krempel, Ausst.-Kat. Sprengel Museum Hannover, Ostfildern 2007. , den es ja in Amerika nicht gab. Pierre Restany wurde von Sidney Janis eingeladen, so ist es mir erzählt worden, die Pariser neuen Realisten mit den amerikanischen New Realists zu konfrontieren. Und Restany schreibt also ein Manifest, ob er das nun vorher gemacht hat oder erst in New York, ist unbekannt, jedenfalls wurde es anlässlich der Ausstellung publiziert – und da beschreibt er Warhol und Konsorten als rückwärtsgewandt und reaktionär und nennt die französischen Nouveaux Réalistes die Avantgarde mit Zukunft. In New York war das Frische eben das Finish und dann kamen die aus Paris mit ihren Klamotten, die an Dada erinnern. Darüber, so wurde es mir erzählt, habe die Kunstwelt in New York gelästert. Das muss eine katastrophale Wirkung auf die Rezeption gehabt haben. Die haben auch in New York nie wieder einen Fuß auf den Boden gekriegt. Arman ist später nach New York gezogen. Niente. Yves Klein hat es probiert, der hat sogar eine Ausstellung bei Leo Castelli gehabt, unter anderem hatte er dafür ein großes monochromes Querformat produziert. Ein wunderbares Bild, doch keine Wirkung. Angeblich war alles durch dieses Manifest von Pierre Restany verdorben worden. Das war damals ein kleiner Zirkel, der das weitergegeben hat. Eine Rezeption der europäischen Kunst hat es in Amerika gegeben, bevor die New York School auftauchte, also mit Matisse, Picasso, Braque, Chagall, diese Generation. Die hatten ihre Rezeption, aber die europäische Nachkriegskunst existierte in New York praktisch nicht. Wols, zum Beispiel, kannte niemand.
Eine andere These, die im Raum steht, ist, dass die deutsche Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA vor allem wegen der vielen jüdischen Händler, die damals in New York sehr wichtig waren, komplett abgelehnt wurde.
Deutsche Kunst, ich habe das selber erlebt, wusste kein Mensch einzuschätzen. Man kannte keine Namen, sie existierte praktisch nicht. Für mich war es damals unvorstellbar, noch zu erleben, dass die europäische oder gar die deutsche Kunst eine Rezeption in den USA haben könnte, wie wir sie heute sehen. Bei mir ist die Rezeption durch Jennifer Licht zustande gekommen. Ich erinnere mich an keinen anderen Künstler, außer an Hans Haacke, der zu der Zeit in New York wahrgenommen wurde.
Wir sind in Hamburg angekommen.
In welchem Jahr?
1971.
Also, es sollte nur für ein paar Monate sein, ich glaube, wir hatten vier Monate ausgemacht, danach wollte ich wieder nach New York zurück. Mein Auftreten in der Hochschule für bildende Künste hat die Professoren völlig verstört. Zuvor hatten dort in den 50er-Jahren gastweise Künstler, zum Beispiel Emil Schumacher und Ernst Wilhelm Nay, gelehrt, dann hatten sie dort Theoretiker, Max Bense und einige andere. Und es gab auch Gastprofessuren für Künstler. Es lehrten dort immerhin die Pop-Artisten Allen Johns, David Hockney und Peter Phillips. Die Hochschulprofessoren waren verstört, auch durch die Wirkung, die ich auf die Studenten hatte; viele der Studenten waren in meinem Alter und teilweise auch älter. Zur gleichen Zeit waren Polke und Hockney da. Polke und Hockney hatten aber wenig Wirkung, was eigentlich merkwürdig ist. Sigmar Polke hatte eine kleine Gruppe um sich, die interessant war. Ich hatte gastweise die ehemalige Bildhauerstelle von Gustav Seitz übernommen, ein klassischer Bildhauer, sein Vorgänger war Edwin Scharff und dessen Vorgänger Gerhard Marcks, also eine solide akademische Bildhauertradition. Damals gab es eine sogenannte „Drittelparität“: Ein Drittel der Stimmen bei der Wahl hatten die Studenten, ein Drittel die Assistenten und ein Drittel die Professoren. Sehr demokratisch. Und plötzlich war vonseiten der Studenten im Raum: „Den Walther wollen wir berufen!“ Das wurde ein richtiger Kampf, weil ein großer Teil der Studenten linkspolitisch argumentierte, für die war ich ein Renegat, lebte im Elfenbeinturm. Man sah in mir einen CIA-Agenten, aber die Gruppe der Studenten, die mich wollte, war sehr groß. Ich hatte mich übrigens nicht beworben, ich wurde gegen den Willen der Professoren von Studenten und Assistenten auf die Bewerbungsliste gesetzt. Dann war die Wahl, unter anderen stand auch Heinz Mack auf der Liste – und die Professoren haben mit Bedauern feststellen müssen: „Der Walther ist mit knapper Mehrheit gewählt.“ Ich war im Hessischen Landesmuseum Darmstadt und habe Werkvorführungen gemacht. Dorthin kam ein Anruf und man sagte mir, ich möchte dringend ans Telefon kommen. Am Apparat war Carl Vogel, ein guter Freund: „Du bist gewählt!“ – „Ach du lieber Himmel, ich kann nicht sofort zusagen.“ Ich bin erst einmal nach New York geflogen, um alles zu überdenken. Dorthin erhielt ich von Carl Vogel einen klugen Brief, der mich veranlasste, in Hamburg die Bedingungen zu besprechen. Dennoch blieb ich unentschieden, da ich mir zu dem Zeitpunkt nicht recht vorstellen konnte, an einer Kunsthochschule zu lehren. Vogel flog dann an der folgenden Weihnacht mit mir nach New York und hat mich dort, sozusagen unter dem Weihnachtsbaum, überredet, nach Hamburg zu kommen. Schlau hat er das gemacht. Sein Hauptargument war: „Du kannst zwar zusagen und solltest zusagen, aber wir können einen Vertrag machen, den du jederzeit kündigen kannst, ohne Kündigungsfrist.“ Das hat mich überzeugt, auch weil die Kunstsituation in New York so wackelig geworden war. Jahrelang habe ich überlegt, doch nach New York zurückzugehen. Die Familie war ja dort geblieben.
Wie lange war die Familie noch da?
Drei Jahre. Ab 1973/74 war die Szene in New York nicht mehr interessant. Trotzdem habe ich bis Ende der 90er-Jahre dort einen Arbeitsraum behalten. Das hat mir Freiheiten gegeben, ich habe in Hamburg einen Vertrag gehabt, der mir alle Freiheiten gelassen hat, auch was die Lehre betraf. Ich hatte einen großen Zulauf an Studenten. Die Auseinandersetzung war in gewisser Weise so, dass es egal war, ob ich im Museum oder in der Hochschule bin. Da war eine sehr gute Stimmung und ich habe über die Jahrzehnte immer eine interessante Klasse gehabt. Von Anfang an bis zuletzt.
Auch Martin Kippenberger war dein Schüler. Wie hast du ihn erlebt?
Ja, zwei, drei Jahre. Wir haben miteinander Spaß gehabt. Spaß heißt, es gab immer humorvolle Dinge. Er ist oft mit Provokationen gekommen und dabei eigentlich nie richtig gelandet.
Er war doch erst bei Rudolf Hauser, glaube ich?
Ja, aber das hat überhaupt nicht funktioniert. Die morbiden Österreicher. Hauser war eine ganz andere, eine manierierte Welt. Da ist er auch sehr bald wieder abgehauen. Irgendwann sagte er: „Chef, ich brauch ’ne Korrektur! Dürften da auch andere dabei sein?“ – „Selbstverständlich.“ Wir hatten eine Uhrzeit abgemacht, ich kam in den Raum, dort waren etwa zehn Leute. An der Wand hing eine Serie von Fotos. Selbstporträts mit Rasierschaum auf den Kopf, ins Haar und ins Gesicht modelliert. Kippenberger stand da und wollte eine Korrektur und ich habe gesagt: „Martin Duchamp, alles klar.“ Da fiel ihm die Kinnlade runter. Er wollte vor den anderen ein Witzchen machen und testen, ob ich ernsthaft auf seinen Duchamp-Verschnitt eingehe. Weil er dann gemerkt hat, dass ich mich historisch ziemlich gut auskannte, hat er in Zukunft die Finger von derlei Spielchen gelassen. Wir sind bis zuletzt Freunde geblieben, doch auch immer mit Provokationen.
Was sagst du zu seinem Werk?
Authentisch. Ich habe auch mal, auf seinen Wunsch hin, im Oldenburger Kunstverein eine Eröffnungsrede für ihn gehalten. Einmal habe ich ihn gefragt: „Na, und wie ist es mit Polke?“ Da haben er und seine Künstlerfreunde den Satz erfunden „Polke lügt“.
„Polke ist dumm und lügt.“ Vgl. Liga zur Bekämpfung des widersprüchlichen Verhaltens (Hg.), „Polke ist dumm und lügt“, in: „Dum Dum“, 1979, Nr. 3, Kopierheft, 25 Exemplare.
Ja. Sigmar hat sich darüber furchtbar aufgeregt. Kippenberger meinte: „Scheiße, die in Berlin und Köln, was die machen, das ist doch nichts. Wir sind doch viel besser, warum haben die mehr Erfolg als wir?“ Also, so war gelegentlich unsere Unterhaltung und ich habe mit denen immer mal wieder in Kneipen einen zu viel getrunken. Das Vienna Das Vienna ist ein Café und Bistro, das 1978 im Hamburger Stadtteil Sternschanze eröffnet wurde. Bis Ende der 1980er-Jahre war es ein beliebter Treffpunkt der Hamburger Künstlerszene und ein regelmäßiger Ausstellungsort für lokale Künstler. war dabei ein Hauptstützpunkt. Sigmar war ja auch Gastprofessor. Wir haben uns immer mal wieder getroffen. Zu der Zeit hat er so gut wie nichts verkauft. Er war auf das Professorengehalt angewiesen. Das hat ihm gar nicht gefallen, aber es war so. Sigmar hatte eine kleine Truppe um sich, die verschworen wirkte. Die erlagen ihm und er erlag denen. Außer Polke-Nachahmungen ist nichts Richtiges daraus entstanden.
Walter Dahn, Albert Oehlen, Georg Herold …
Das sind ja keine Schüler. Der Herold kam aus dem Osten zu mir in die Klasse und irgendwann war er verschwunden. Dahn hat bei Polke studiert?
Der war ja in Köln.
Eben.
Da hat Polke ja auch gewirkt.
Das ist eine andere Frage. Bei den Schülern an der Hochschule habe ich nur Nachahmungen gesehen.
Hatte er so eine Anziehungskraft oder warum haben ihn viele so verehrt? Oder hat er sie mit seiner Pilzsuppe gelockt?
Auch! Da wurde schon mal was verteilt. Er hat exzentrische Sachen unternommen außerhalb der Hochschule. Für derlei Dinge hatte ich keine Zeit. Es gab immer Typen, die sich davon angezogen fühlten. Sigmar war authentisch. Von den meisten Hochschullehrern konnte ich nicht sagen, dass sie wirklich authentisch waren. Was Sigmar und ich machten, stach so weit ab von dem, was als Lehre üblich war. Er ist dann leider gegangen, ich hätte ihn gerne weiterhin in Hamburg gehabt.
Was die 80er-Jahre-Malerei angeht, sprichst du dich klar für die Hamburger, also Albert Oehlen und Werner Büttner, aus?
Nicht weil sie in Hamburg waren, ich fand deren Unternehmungen einfach interessanter als die der Berliner. Die waren mir zu konventionell, zu stark am deutschen Expressionismus orientiert. Von den Kölnern wusste ich nicht so richtig, wie ich sie einschätzen sollte. Ich fand gewisse Arbeiten von Jiří Georg Dokoupil gut, einige von Walter Dahn.
Heute sind nur noch einige wenige Schüler aus deiner ehemaligen Klasse überhaupt ein Begriff. Über die Jahre müssen es Hunderte von Schülern gewesen sein. Gab es da nicht auch noch 10, 20 weitere, von denen du damals dachtest, die waren eigentlich gut und haben sich aber aus den unterschiedlichsten Gründen nicht durchgesetzt? Zum Beispiel Bettina Semmer? Bettina Semmer (* 1955 Düsseldorf) ist eine Künstlerin, die vor allem für ihre figurativen Bilder bekannt ist. Von 1976 bis 1983 studierte sie bei Sigmar Polke, Franz Erhard Walther und Jörg Immendorff an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. In den 1980er-Jahren zählte sie zum Umfeld von Martin Kippenberger und Albert Oehlen. Semmer arbeitete unter anderen zusammen mit Rosemarie Trockel und Jutta Koether.
Die kam gelegentlich in meine Klasse. Das war eine interessante Person. Es gab Hunderte von Schülern, meine Klasse hatte über die Jahrzehnte immer einen großen Zulauf. Darunter gab es immer wieder hochbegabte Leute und interessante Persönlichkeiten, für die die Kunst nur ein Teil ihrer Interessen war. Viele haben in Ausstellungszusammenhänge gefunden, was ich an den mir zugesandten Publikationen sehe. Mir wurde immer wieder gesagt, dass letztlich alle aus den Begegnungen Wesentliches für ihr Leben gewonnen haben. Das muss ja nicht immer in eine künstlerische Produktion münden. Man kann der beste Lehrer sein und trotzdem wird selbst aus den begabten Leuten nicht unbedingt etwas. Man muss als Person interessante Leute anziehen. Und es braucht eine kritische Masse, die sich dann gegenseitig befeuert. Das habe ich über die Jahrzehnte erlebt. Zuletzt mit Santiago Sierra, Jonathan Meese, John Bock, Christian Jankowski. Also immer wenn man, ich nenne das „kritische Masse“ zusammenbringt, kann etwas entstehen, als Lehrer ist man da nur der Katalysator. Ich habe sicher gute Ratschläge gegeben, aber das ist alles begrenzt. Leute anziehen, das war auch, was Beuys gelungen ist. Ich kann nicht sagen, dass Götz Leute angezogen hat, aber weil er damals, was das Informel anging, eine herausragende Figur war, sind wir zu ihm gegangen. Polke, Richter, Konrad Fischer und ich. Weil er vermutlich interessante Farbprobleme hatte, gingen mehrere Protagonisten der Moderne vor dem Ersten Weltkrieg zu Franz von Stuck an die Münchner Kunstakademie, unter anderen Heinrich Campendonk, August Macke, Wassily Kandinsky oder Giorgio de Chirico. Stuck war mit Sicherheit kein bedeutender Lehrer, aber er hat interessante Leute angezogen, die sich gegenseitig befeuert haben.
Wie war das für dich, als du 1970 aus den USA zurückgekommen bist? Da gab es die Malerei-Bewegung noch nicht, die sich aber ab Mitte der 70er-Jahre entwickelte. Wie hast du das beobachtet?
Die fand ich zunächst völlig uninteressant.
Aber wo kam das her?
Für mich war das eine Rückwärtswendung. Vielleicht hat Kippi [Martin Kippenberger] es auf den Punkt gebracht: „Ihr seid das Hochgebirge, da kommen wir nicht drüber, also laufen wir drum herum.“ Das ist klug. Ich habe in der Klasse hochbegabte Leute gehabt, die sich von meinem Unterricht angezogen fühlten, die wollten konzeptuell arbeiten. Das waren jedoch meist Nachahmungen. Lawrence Weiner, Lawrence Weiner (* 1942 New York) gilt als Mitbegründer der Conceptual Art und ist für seine ortsspezifischen Textarbeiten bekannt. Er studierte Literatur und Philosophie am Hunter College, New York und war auf der documenta 5 (1972), 6 (1977), 7 (1982) und 13 (2012) vertreten sowie auf der 36., 41., 50. und 55. Biennale von Venedig (1972, 1984, 2003, 2013). Unter anderem im New Yorker Whitney Museum of American Art (2007/08), im Haus der Kunst in München (2007) und im Stedelijk Museum in Amsterdam (2013) waren größere Retrospektiven seiner Arbeiten zu sehen. den ich als Gastprofessor nach Hamburg geholt hatte, sagte: „Mensch Franz, die machen das besser als wir, nur was soll’s.“ Die Generation um Kippi wusste, sie müssen was ganz anderes machen. Kippi hat ja nicht nur gemalt, er hat viele Dinge probiert. An der Hochschule studierte nur der Kippi. Albert Oehlen und Werner Büttner haben dort meines Wissens nie studiert.
Oehlen schon.
Wo denn?
Bei Polke.
Den habe ich dort nicht wahrgenommen.
Oehlen und Georg Herold waren bei Polke in der Klasse in Hamburg.
Als Herold aus dem Osten kam, hat er bei mir angefangen.
Der kam ja aus München. Erst war er in München an der Hochschule.
Bei der Herstellung meiner Schreitsockel hat er mitgearbeitet, er konnte sehr präzise schweißen. Rundungen kann man nicht schneiden oder flanschen, die mussten geschweißt werden. Oehlen habe ich mal in der Mensa gesehen, der ist mir aufgefallen, weil er so einen korrekten Hitlerjungen-Scheitel und ein kleines kokettes Hitlerbärtchen trug. Und Büttner habe ich im Vienna kennengelernt. Die haben an ihre Malerei geglaubt, das hat mir schon imponiert. In der Klasse war auch Hilka Nordhausen, die später die Buch Handlung Welt betrieb. Hilka Nordhausen (1949 Hamburg – 1993 Berlin) war eine deutsche Künstlerin und Gründerin des Projektraums Buch Handlung Welt, der von 1976 bis 1983 in der Marktstraße 12 in Hamburg bestand. Ein künstlerisch gutes Milieu.
Hatte sich aus deiner Sicht nach deiner Rückkehr aus den USA die Situation gegenüber Künstlerinnen in Deutschland verändert?
Nicht, dass es mir aufgefallen wäre. Verblüfft war ich allerdings zu sehen, wie viele Kunststudentinnen an der Hochschule politisch engagiert waren. Was sich seit den 60er-Jahren geändert hat, war die Zahl der Studentinnen, die war weit größer als zuvor.
In deiner Klasse hattest du keine Frauen?
Jede Menge. Sogar überwiegend Studentinnen. Die haben sich aber später oft nicht durchgesetzt. Warum weiß ich nicht. Wenn man in konventionellen Terminologien denkt, waren sie meist begabter als die Jungs.
Aber?
Die haben teilweise tolle Sachen gemacht und ich habe gedacht: „Da wird was draus!“ Aus irgendwelchen Gründen haben sie es nicht geschafft. Da gibt es sicher Gründe. An der Begabung liegt es nicht. Ich habe bei den Aufnahmeprüfungen gesehen, dass mehr Studentinnen als Studenten aufgenommen wurden, immer mehr Frauen, dass deren Mappen oft interessanter, individueller, fantasievoller waren als die der männlichen Bewerber.
Du sagtest gerade über deine Schüler oder die jüngere Generation, dass sie viel kopiert haben. Du hast mehrfach schon erwähnt, dass auch du mit deinem Werk häufig kopiert wurdest.
Was die Künstler und auch Kuratoren nicht gerne hören.
Es ist sicher nicht das Wichtigste, wer zuerst da war.
Nicht wer zuerst da war, sondern wer die überzeugendsten Werke zustande bringt.
Trotzdem ist es interessant, weil wir gerade auch über Polke und Palermo gesprochen haben: Es scheint heute fast relevanter als damals. War man damals wirklich so sehr darauf bedacht, etwas Neues zu machen? So wie du es Beuys gegenüber geäußert hast? War das ein Hauptantrieb für die Arbeit?
Bei mir schon. An der Städelschule waren es einige wenige, die in solchen Kategorien gedacht haben. Schon zeitgenössisch sein, aber „was Neues machen“ habe ich nie gehört, den Begriff gab es dort nicht. Es gab bei einigen den Versuch, „heutig“ zu sein. Wie soll ich mir eine Zukunft denken? Also davon träumst du. Ich weiß nicht, ob ich gesagt habe, „was Neues machen ist Zukunft“. Neu, das alleine wäre für mich viel zu flach gewesen. Ich hatte die Vorstellung, das Werk mit einer Handlung zu verbinden, auch mit einer physischen Handlung. Und im Vergleich mit dem, was es dazu historisch gab, habe ich gesehen, dass dies in der Form neu ist. Ich konnte aber überhaupt nicht einschätzen, was das in der Zukunft bedeuten würde. Das war ein Glaube, aber ich wusste, dass ich das will. Das hat mich einfach fasziniert, ich konnte nicht erklären warum. Ich habe mich immer für Prozessuales interessiert, für Fragmente, ich war fasziniert von den späten Bildern Paul Cézannes, die teilweise scheinbar unfertig geblieben sind. Das habe ich wiederum aufgegriffen und gesagt, dann muss ich als Betrachter diese Bilder in der Vorstellung vollenden, also handeln. Und mit dieser Vorstellung bin ich damals nach New York gegangen.
Aber was dann wirklich herausfordernd war: meine Vorstellung, aus der Geschichte auszutreten. Denn wenn ich in der Geschichte verbleibe, ist immer die Erinnerung an das Vorhandene da, das würde das, was ich will, beschädigen. Vor dem Hintergrund bin ich auf die Technik der Nähung gestoßen. Ich habe die nicht an meiner Kleidung entdeckt, sondern in der Werkstatt von Johannas Eltern. Ich hatte meine Handstücke zuvor geklebt. Beim Kleben hat mich immer die Konnotation „Collage“ gestört. Auf das Nähen bin ich gekommen, weil ich in dieser Werkstatt zwei sogenannte „Glanzkissen“ gesehen habe, die meinen Handstücken ähnlich sahen, und die Glanzkissen waren genäht. Das war eine reine Zufallsgeschichte, vielleicht wäre ich irgendwann darauf gekommen, vielleicht wenn ich die Arbeiten von Oldenburg gekannt hätte. Die formale Ähnlichkeit war der Auslöser. Diese Entdeckung erzeugte ein unendliches Glücksgefühl, ich muss es so empathisch sagen: Ich hatte eine neue unverbrauchte Technik gefunden, die es zuvor in der Kunst nicht gegeben hatte.
Um noch einmal darauf zurückzukommen: Die genähten Bilder von Manzoni hatte ich nicht als Nähung wahrgenommen, wahrscheinlich weil sie nicht plastisch waren. Die Linien von Manzoni waren für mich wichtig, sie waren singulär und brauchten die Visualität nicht, eine radikale Position. Meine Neigung zur Radikalität war mein Aufbegehren in der Stadt, in Fulda, diesem katholischen, konservativen Milieu, das in den 50er-Jahren dort existierte. Ich habe gegen die Familie in massivster Weise aufbegehrt. Das kam ursprünglich nicht aus der Kunst. Ich bin auch in Fulda mit meinen Umrisszeichnungen und den Wortbildern auf Unverständnis gestoßen.
Wann warst du das erste Mal in Berlin?
Zum ersten Mal 1963, das war ja ein riesiger Akt, durch die DDR dahin zu kommen. Es gab auch keinen richtigen Grund. Interessante Galerien gab es dort nicht. 1963, das war eine Studentenfahrt der Kunstakademie Düsseldorf. Ich weiß gar nicht, was der Grund der Reise war.
Aber nicht die Ausstellung von Baselitz bei Werner & Katz? „Baselitz“, Galerie Werner & Katz, Berlin, 01.–25. Oktober 1963. Die Ausstellung umfasste 52 Bilder, darunter die Werke „A. A.“, „P. D. Stengel“, „Erste Semmel“, „Nackter Mann“ und „Die große Nacht im Eimer“. Am 09. Oktober 1963 wurden die beiden letztgenannten Bilder wegen des Vorwurfs der „Unsittlichkeit“ von der Berliner Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Vgl. o. A., „Baselitz-Prozess – Klage und Qual“, in: „Der Spiegel“, Nr. 26, 24.06.1964, S. 82–84.
Unbekannte Namen. Das hätte mich auch nicht interessiert.
Hast du etwas davon mitbekommen?
Nein.
Und als Michael Werner nach Köln kam? Michael Werner (* 1939 Nauen) ist ein deutscher Galerist. 1963 eröffnete er zusammen mit Benjamin Katz (* 1939 Antwerpen) eine Galerie in Berlin und zog 1968 nach Köln, um dort die Galerie Hake, die er ab Oktober 1969 unter seinem Namen weiterführte, zu übernehmen. In den 70er- und 80er-Jahren vertrat Werner die Künstler Georg Baselitz, Antonius Höckelmann, Jörg Immendorff, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A.R. Penck. Die Galerie Michael Werner ist heute in Berlin, London und New York vertreten. 2011 wurde Werner mit dem Preis der Art Cologne ausgezeichnet.
Kunstpolitisch hat mich das interessiert. Aber die Maler, die er vertreten hat, lagen nicht in meinem Interessensfeld.
Und Schönebeck? Eugen Schönebeck (* 1936 Heidenau) lernte 1957 den jungen Georg Baselitz an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin kennen. Zusammen verfassten sie die „Pandämonischen Manifeste“ (1961; 1962) und vereinbarten, zukünftig nur noch gemeinsam auszustellen. Nachdem Schönebeck im August 1962 eine Einzelpräsentation seiner Arbeiten in der Galerie in den Hilton-Kolonnaden in Berlin eröffnet hatte, kam es zum Bruch zwischen den Künstlern. Unterschiedliche Quellen führen an, dass Schönebeck gegen Ende des Jahres 1966 seine Tätigkeit als Maler einstellte. Vgl. o. A., „Biografie“, in: „Eugen Schönebeck 1957–1967“, hg. von Max Hollein/Pamela Kort, Ausst.-Kat. Schirn Kunsthalle Frankfurt, Frankfurt am Main, München 2011, S. 160–161, hier S. 161, sowie o. A., „Biographische Daten“, in: „Eugen Schönebeck. Die Nacht des Malers“, hg. von Carl Haenlein, Ausst.-Kat. Kestnergesellschaft, Hannover 1992, S. 141.
Da habe ich später genauer hingeguckt. Zu der Zeit war der ebenfalls völlig unbekannt.
Und Penck? A.R. Penck (eigtl. Ralf Winkler; * 1939 Dresden – 2017 Zürich) absolvierte von 1955 bis 1956 eine Lehre als Zeichner bei der Deutschen Werbe- und Anzeigengesellschaft (DEWAG). Anfang der 1960er-Jahre entstanden seine ersten System- und Weltbilder, aus denen er in den folgenden Jahren das künstlerische Konzept „Standart“ entwickelte. Im Rahmen einer Ausstellung in der Galerie Michael Werner in Köln waren seine Werke 1970 erstmals in Westdeutschland zu sehen. Im August 1980 wurde Penck offiziell aus der DDR ausgebürgert. Aufgrund seiner Kontakte zur Galerie Michael Werner siedelte er ins Rheinland über. Von 1989 bis 2005 war er Professor für Freie Grafik an der Kunstakademie Düsseldorf. Nach seiner Emeritierung lebte Penck in Dublin. Seine Arbeiten waren auf zahlreichen internationalen Ausstellungen vertreten, darunter auch auf der documenta 5 (1972), 7 (1982) und 9 (1992) sowie in der Ausstellung „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“ (1984).
Kannte man nicht.
Wann hast du Penck entdeckt?
Kasper König hatte mir Anfang der 70er-Jahre Fotos von einigen seiner Bilder gezeigt. Ich wollte Jörg Immendorff an die Hochschule nach Hamburg holen und da sagte Jörg: „Ich will das unbedingt mit dem Ralf machen“, und brachte ihn mit. Penck war kurz zuvor in den Westen gekommen. Ich habe eine Flasche Wein aufgemacht, einen trockenen Riesling. Statt „trocken“ hat Penck ihn „bitter“ genannt.
Hattest du in Berlin noch andere Kontakte?
Wenn es nicht verhindert worden wäre, hätte ich in Berlin mit René Block Kontakt haben können. Seine Galerie war in Deutschland eine der wenigen, die was Neueres versucht haben. Schmela war ja eine ältere Generation. Dann natürlich Heiner Friedrich in München und etwas später Konrad Fischer in Düsseldorf. Und die Galerie von Adam Seide Adam Seide (1929 Hannover – 2004 Limburg an der Lahn) war ein deutscher Galerist, Schriftsteller und Kunstkritiker. Ab 1958 betrieb er die Galerie Seide im alten Rathaus in Hannover-Linden. Nach seinem Umzug nach Frankfurt am Main 1962 führte er dort seine Galerietätigkeit im Röderbergweg 64 fort. Sein Programm umfasste Ausstellungen mit Werken von Thomas Bayrle, Otto Muehl, Peter Roehr und Gerhard Wittner unter anderen. in Hannover, die vergisst man immer. Dort haben Palermo und Polke sehr früh ausgestellt.
In den 60er-Jahren werden zunehmend Editionen herausgegeben. Nicht nur René Block, auch Klaus Staeck Klaus Staeck (* 1938 Pulsnitz) ist gelernter Grafikdesigner und Jurist. In seinen künstlerischen Arbeiten beschäftigt er sich insbesondere mit der politischen Karikatur. Ab Mitte der 1960er-Jahre beteiligte sich Staeck regelmäßig an der Umsetzung künstlerischer Projekte. Zu seinen Weggefährten zählen Joseph Beuys, Dieter Roth und Daniel Spoerri. Von 2006 bis 2015 leitete er als Präsident die Akademie der Künste in Berlin. und viele andere haben damit gearbeitet. Wurde dir das auch angeboten?
Ich habe 1969 die Edition „Prozessbuch 2“ für Hans Neuendorf gemacht, der damals neben seiner Galerie einen Editions-Verlag hatte und unter anderem diese „London Knees“ Claes Oldenburg, „London Knees 1966“, Auflage 120, Editions Alecto Ltd./Neuendorf Verlag 1968. von Claes Oldenburg verlegte. Damals eine mutige Unternehmung, 80 Exemplare dieses Handlungsbuchs. Für Friedrich habe ich auch noch mal was gemacht, ich habe das immer mit Handlungssituationen verbunden. Gedrucktes als Edition gab es schon 1959, eine Siebdruckserie. Das war damals neu. Ein Freund, der bei der US-Army Art Instructor war, hat diese Technik mitgebracht. Die fand ich interessant. Klassische Drucktechniken habe ich abgelehnt, das passte nicht zu meinen Werkvorstellungen. Ich bekam an der Städelschule in Frankfurt deshalb Probleme, weil ich keine Lithografie machen wollte, keine Radierung, keinen Holzschnitt, obgleich das im Studium obligatorisch war.
Du hast mal gesagt, die Behauptung des Reinen, des Nullpunkts et cetera. bei ZERO sei unglaubwürdig. Vgl. Michael Lingner/Franz Erhard Walther, „Zwischen Kern und Mantel – Franz Erhard Walther und Michael Lingner im Gespräch über Kunst“, Klagenfurt 1985, S. 22.
Ja, „neuer Idealismus“ war auch so ein Begriff, den sie in die Welt gesetzt haben. Ich habe sie dieser Begriffe wegen „Neo-Nazarener“ genannt. Die frühen Arbeiten von Piene, von Uecker, die schätze ich, diese Nagelreliefs, die Rasterbilder von Piene, die Rauchbilder und Lichtarbeiten von Mack. Ein Problem sind die ständigen Wiederholungen, das habe ich überhaupt nicht gemocht. Aber die frühen Sachen sind nach wie vor gut.
Wieso unglaubwürdig?
Die Begriffe fand ich in ihrer Überhöhung unglaubwürdig, nicht die Arbeiten.
Also im Prinzip die Manifeste? Ab 1958 fertigten die Künstler des ZERO-Umfelds mehrere Manifeste an, die in den drei zwischen 1958 und 1961 erschienenen ZERO-Zeitschriften veröffentlicht wurden. Zu den bekanntesten Manifesten der späteren Periode gehört der Text „ZERO der neue Idealismus“ von 1963. Vgl. Wolfgang Asholt, „ZERO-Manifeste, Erklärungen, Proklamationen und die historische Avantgarde“, in: Dirk Pörschmann/Mattijs Visser (Hg.), „ZERO 4 3 2 1“, Düsseldorf 2012, S. 487–498.
Ja, das war so übertrieben. Die Manifeste fand ich an sich auch wieder gut, sie hatten aber in den Arbeiten keine Erfüllung. Irgendetwas stimmte da nicht.
1972 warst du erstmals auf der documenta vertreten. Nach der Ausstellung „When Attitudes Become Form“, „Live in Your Head. When Attitudes Become Form“, Kunsthalle Bern, 22. März – 27. April 1969. Die von Harald Szeemann kuratierte Ausstellung vereinte erstmals eine Anzahl internationaler künstlerischer Positionen, deren Werke sich durch Prozesshaftigkeit, materielle Transformationen und den Bezug zu situativen Kontexten auszeichneten. Die Präsentation gilt als wegweisende Verortung eines erweiterten Kunstbegriffs, wie er zu diesem Zeitpunkt insbesondere in der Arte povera, der Minimal Art, der Konzeptkunst und der Land-Art verhandelt wurde. An der Ausstellung beteiligt waren unter anderen Carl Andre, Giovanni Anselmo, Joseph Beuys, Michael Buthe, Hanne Darboven, Walter De Maria, Jan Dibbets, Ger van Elk, Hans Haacke, Eva Hesse, Yves Klein, Jannis Kounellis, Bernd Lohaus, Mario Merz, Robert Morris, Bruce Nauman, Reiner Ruthenbeck, Franz Erhard Walther und Lawrence Weiner. die Harry Szeemann Harald Szeemann (1933 Bern – 2005 Tegna im Tessin, Schweiz) war ein Ausstellungsmacher, der von 1961 bis 1969 als Direktor an der Kunsthalle Bern tätig war. Er leitete die „documenta 5“ (1972) sowie die Biennale von Venedig in den Jahren 1999 und 2001. Mit seinen innovativen Ausstellungsformaten zählte Szeemann zu einem der wichtigsten Vermittler der Kunst seiner Zeit. 1969 in der Kunsthalle Bern zeigte, warst du von seiner documenta 1972 weniger begeistert.
Richtig! „When Attitudes Become Form“ – wenn ich das übersetze, also etwa Haltungen nehmen Form an, eine Haltung wird Form oder ein Werk entsteht aus einer Haltung heraus –, das ist genau mein Thema. Viele der Namen für die Ausstellung hatte Harry Szeemann via Kasper König und Barbara Brown. Szeemann kam mit einer perfekten Liste an. Zuerst hat er mich in New York besucht. Ich habe ihn natürlich gefragt: „Welche Künstler sind dabei?“ Darauf sagte er: „Sie sind der Erste, den ich treffe.“ Und dann packte er sein Büchlein mit den Namen aus, ich kannte nahezu alle. Ich war völlig perplex, ich habe nicht weitergefragt, woher er die Namen hatte. Das war damals Insiderwissen. Die Liste war so präzise, die Auswahl so konzentriert. Daneben fand ich das, was dann auf der documenta war, eine Verwässerung. Da waren die meisten Namen immer noch dabei, aber auch viel dazwischen, das künstlerisch schwach war. Das war für mich enttäuschend. Die documenta 1959 habe ich dagegen als großartig empfunden. Vieles, was man da gesehen hat, war nur aus Publikationen bekannt, als Legende. Das vor sich zu haben, war für mich eine Sensation. Diese Grandiosität hatte die documenta 72 nicht.
An der documenta 5, 6, 7 und 8 hast du teilgenommen. Kannst du etwas zur Entwicklung der documenta in dieser Zeit sagen?
Die zweite documenta 1959 ist unübertroffen. Die dritte 1964 war, was die Ausstellungsstücke betrifft, der von 59 ziemlich ähnlich, ich fand sie langweilig und überflüssig. Die vierte 1968 habe ich nicht gesehen, da ich zu dieser Zeit in New York lebte. 68 konnte dann die Pop- und Minimal Art auftreten. Szeemann war mit der documenta 72 nahe an der Gegenwart dran. Die folgenden documenten fand ich allesamt nicht überragend. Ich dachte, dass solche Ausstellungen letztlich überall stattfinden könnten.
72 habe ich das erste Mal auf der documenta ausgestellt. In einem Durchgangsraum hingen Fotosequenzen, als Information zu den Werkhandlungen. In einem Raum war der „Werksatz“ in Lagerform. Aus diesem Raum habe ich an jedem Wochenende Stücke entnommen und, auch im Außenraum, mit den Werkstücken vor und mit dem Publikum agiert, während der gesamten documenta. 77 hatte ich in einem Raum zwei großformatige Schreitsockel. 82 eine Wandformation und großformatige Zeichnungen und 86 einen eigenen Raum mit drei großen Wandformationen. Danach habe ich die documenta zweimal abgesagt. Einmal 1992 mit Jan Hoet. Der hatte inakzeptable Vorstellungen, was ich zu machen hätte, und wenn man ihm nicht gefolgt ist, wurde er sauer. Und ein weiteres Mal mit Catherine David.
Wie haben die documenta-Besucher auf deine Arbeiten reagiert?
Die Handlungen mit dem „Werksatz“ haben immer viele Menschen angezogen. Die haben sich das angesehen und es kam natürlich zu Diskussionen: Was hat das mit Kunst zu tun? Wie kann man so etwas Skulptur nennen? Also, es war immer irgendetwas falsch in Bezug auf die Verständnismöglichkeiten der Zeit. Das hat sich mittlerweile erledigt und in den letzten sechs, sieben Jahren in Luft aufgelöst. Jetzt ist es zum ersten Mal möglich, einen Gesamtzusammenhang zu sehen, was auch mit einer Großausstellung im MAMCO in Genf zu tun hat. „Franz Erhard Walther. De l’origine de la sculpture, 1958–2009“, Musée d’art moderne et contemporain, Genf, 17. Februar – 02. Mai 2010. Das haben viele Leute aus der Kunstwelt gesehen, da war zum ersten Mal ein Gesamtüberblick möglich. Vorher wurde zu oft fast nur der „Werksatz“ gesehen. Irgendwie kriegte die Kunstwelt die Formen zu meinem Werkkonzept nicht richtig zusammen. Im Grunde ist ein neuer Blick auf meine Arbeit möglich geworden. Auch mit der Entwicklung des „Neuen Alphabets“, den Handlungsbahnen und Körperformen ist noch mal ein neuer Blick entstanden. Und auch dadurch, dass jüngere Künstler dieses Konzept, Handlungen zu einem Werkbestandteil zu machen, eine Handlung als Werk zu sehen, aufgegriffen haben.
81 warst du bei der Ausstellung „Westkunst“ „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“, Rheinhallen, Köln, 30. Mai – 16. August 1981. dabei.
Lediglich ein Handlungsbuch war ausgestellt, ein Buch, mit dem man agieren konnte, allerdings nur in Lagerform. Es hätte zumindest der „Werksatz“ dort gezeigt werden müssen. Die Ausstellung war ein Gang quer durch die neuere Kunstgeschichte, doch interessant gemacht. Bekannte und unbekannte Positionen. Die unbekannten waren interessanter präsentiert. Meinen „Werksatz“ von dieser Ausstellung auszuschließen, war nicht nur mir gänzlich unverständlich. Kasper König hatte Laszlo Glozer als Co-Mitarbeiter, und der hat nie ein Verhältnis zu meiner Werkkonzeption gefunden.
Würdest du sagen, dass König den Bezug zum Werk auch nicht hatte?
Er hat 1968 die erste Publikation zu meinem Werk herausgebracht. Was ihn später zu dem manchmal seltsamen Agieren gegen mich gebracht hat, weiß ich nicht.
Ich habe ihn gefragt, warum er in den USA so wenig deutsche Positionen vorgestellt hat. Da sagte er: „Ich habe doch mit dem Franz Erhard Walther das Buch gemacht, also so ist es ja nicht.“ Es ist für ihn damals schon eine wichtige Sache gewesen, denke ich.
Ja, das war es auch. Es kam auch immer mal wieder so was wie Stolz hoch, mit Recht! Er hat meine Werkstücke damals gesehen und unmittelbar reagiert. Ich meine, es waren vielleicht drei, vier Arbeiten, die ich ihm in der beengten Raumsituation in New York zeigen konnte. Seine spontane Entscheidung, mit großem Engagement eine Publikation zu den Werkstücken herauszugeben, habe ich nie vergessen. Dieses Buch hat ja für die Rezeption meines Werks eine große Bedeutung erlangt. Ich verdanke Kasper also sehr viel.