Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

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Heinz Holtmann

Heinz Holtmann

Heinz  Holtmann

Heinz Holtmann

Köln, 08. November 2016

Franziska Leuthäußer: Für uns sind sowohl die Kriegsjahre als auch die Nachkriegsjahre interessant: Wie kamen Sie zur Kunst?

Heinz Holtmann: Ich habe selbst gemalt. Ich wollte ein großer Künstler werden. Als ich dann im Kunsthistorischen Institut in Heidelberg anfing zu studieren, habe ich einen Band von Jackson Pollock in die Hände bekommen. Heinz Holtmann studierte von 1960 bis 1970 Kunstgeschichte, Archäologie, Philosophie und Literaturwissenschaft in Heidelberg und Kiel. Er hatte schon alles gemacht, wovon ich glaubte, dass ich es erfunden hatte. Und so habe ich von heute auf morgen mit der Malerei aufgehört. Ich habe schwer gelitten. Als ich mich nach etwa 14 Tagen wieder gefangen hatte, habe ich mir überlegt: „Ich bleibe bei der Kunstgeschichte.“ Das war der eine Strang. Den anderen Strang habe ich erst sehr spät entdeckt: Eines Tages bekam ich eine Anfrage von einer Doktorandin, ob ich Heinrich Holtmann sei. „Nein, eigentlich Heinz Holtmann, im Pass steht allerdings Heinrich Holtmann.“ Ob ich in den 30er-Jahren Fotos gemacht hätte. „Nein, da habe ich noch nicht gelebt, ich bin erst Ende der 30er-Jahre geboren.“ Sie hätte Fotos von einem Heinrich Holtmann, der in der „Deutsche Apotheker Zeitung“ Fotos aus der Botanik und von jungen BDM Seit Beginn der 1930er-Jahre bildete der Bund Deutscher Mädel (BDM) eine Teilorganisation der nationalsozialistischen Hitlerjugend (HJ). Im BDM wurden Mädchen und junge Frauen zwischen 10 und 18 Jahren in unterschiedlichen Aktivitäten ausgebildet und ideologisch geschult. Ab 1936 galt für den BDM eine gesetzliche Pflichtmitgliedschaft. Siehe auch: Dagmar Reese (Hg.), „Die BDM-Generation. Weibliche Jugendliche in Deutschland und Österreich im Nationalsozialismus“, aus der Reihe „Potsdamer Studien“, Band 19, Berlin 2007. -Mädchen publiziert hatte. Mein Vater hatte Apotheker lernen wollen, sollte aber die Druckerei meines Großvaters übernehmen. Da hat er mit dem Fotografieren angefangen. Es passte also alles haargenau, die Fotos konnten nur von meinem Vater sein.

Das weist bereits auf einen künstlerischen Weg hin. Hinzu kam die Druckerei. Ich habe immer schon mit Papier zu tun gehabt. In der Druckerei meines Großvaters habe ich Weinetiketten gedruckt, da war ich noch so klein, dass ich kaum an die Maschinen kam. Das war eine Handmaschine mit einem großen Tiegel. Dort musste ich die kleinen Kärtchen einlegen. Eigentlich war vorgesehen, dass ich die Buchdruckerei übernehme. Da ist das Künstlerische mit dem Kaufmännischen verbunden. Ich habe damals schon gemerkt, dass ich auch eine kaufmännische Ader hatte. Ich stammte aus einer Kaufmannsfamilie mit künstlerischem Einschlag, wenn man so will.

Waren Sie mit Ihrer Familie im Museum? Gab es zu Hause Kunstwerke, Kunstbände, war Kunst ein Thema?

Die ersten Ausstellungen, an die ich mich erinnern kann und die mich fasziniert haben, waren in Hamm. Da gibt es das Gustav-Lübcke-Museum, wo ich zum Beispiel eine Ausstellung von Franz Radziwill gesehen habe. Franz Radziwill (1895 Strohausen – 1983 Varel-Dangast) schloss sich als ausgebildeter Maurer und Architekt nach dem Ersten Weltkrieg der Berliner Kunstszene um Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel und Max Pechstein an und war ab 1931 Mitglied der Novembergruppe. Von 1933 bis zur Amtsenthebung und zum Berufsverbot durch die Nationalsozialisten 1935 war Radziwill Professor an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. Ab 1942 lebte er in Dangast an der Nordsee. Die Ausstellung „Professor Franz Radziwill“ im Städtischen Gustav-Lübcke-Museum, Hamm, fand vom 18. September bis 16. Oktober 1955 statt. Das hat mich damals fasziniert und auch noch lange Zeit begleitet. Das war eigentlich der erste Weg in die Kunstgeschichte. Sonntagmorgens habe ich meine Mitschüler durchs Museum geführt, die waren immer begeistert, wenn ich etwas zu den Bildern erzählen konnte.

Waren Sie in der Zeit auch in anderen Städten im Museum?

Nein, wir sind sehr wenig gereist. Münster war das Weiteste. Dort habe ich das neue Theater bewundert. Der Architekt wurde später ein guter Freund. Er hat auch das Musiktheater in Gelsenkirchen gebaut und mit Yves Klein zusammengearbeitet.

Werner Ruhnau Werner Ruhnau (1922 Königsberg, Ostpreußen, heute Russland – 2015 Essen) ist für seine Theaterbauten und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern bekannt. 1956 gründete er ein eigenes Büro in Gelsenkirchen, wo 1959 das von ihm entworfene Musiktheater im Revier eröffnet wurde. Zwischen 1957 und 1960 arbeitete Ruhnau zusammen mit Yves Klein (1928 Nizza – 1962 Paris) an eigens für den Neubau des Theaters entwickelten Werken. Neben zwei realisierten großformatigen Schwammreliefs und zwei blauen monochromen Gemälden für das Foyer entstand auch das „Manifest zur allgemeinen Entwicklung der heutigen Kunst zur Immaterialisierung (nicht Dematerialisation)“ (1958/59). Für das Kunstprogramm der Olympiade in München 1972 entwickelte Ruhnau eine Spielstraße. 1978 war er für die Umbauten des Schauspielhauses in Frankfurt am Main verantwortlich. Er war von 1965 bis 1967 Professor an der Universität Laval in Québec und der École d’Architecture in Montréal und lehrte 1971 bis 1972 als Professor am Institut für Theaterwissenschaft der Universität zu Köln. ?

Werner Ruhnau! Er hat mir viel über die Zusammenarbeit mit Yves Klein erzählt. Unter anderem, wie er zu den Farben kam. Das ist alles nicht so mystisch gewesen, wie manche glauben. Yves Klein ist in eine Apotheke gegangen und hat sich das tiefste Blau geholt. Was heute YKB (Yves Klein Blau) genannt wird, war schlichtes Ultramarin. Damit haben Ruhnau und Klein experimentiert. Es gab einen großen Rechtsstreit, in dem es darum ging, ob Werner Ruhnau berechtigt sei, auch kleine blaue Bildchen zu malen. Ich habe noch ein paar davon. Die Rechtsstreitereien hat Ruhnau immer gewonnen. Das ist bis zum höchsten Gericht gegangen. Wie wir heute wissen, hat Rotraut, die Frau von Yves Klein und Schwester von Günther Uecker, sich darum gekümmert. Rotraut (eigtl. Rotraut Klein-Moquay, geb. Uecker; * 1938 Rerik) und Yves Klein lernten sich 1957 kennen. 1962, wenige Monate bevor Klein starb, heirateten sie. Rotraut hatte 1959 ihre erste Ausstellung in der New Vision Centre Gallery in London, seither waren ihre Werke weltweit in diversen Ausstellungen zu sehen. Sie lebt heute in Phoenix, Arizona. Ruhnau erzählte mir, dass sie die Wandgestaltung zusammen entwickelt haben. Sie haben die frischen Farben – ich glaube mit Putz gemischt, damit es etwas Struktur bekam – aufgetragen und dann die Schwämme hinzugefügt, damit es nicht so langweilig aussah. So sind die berühmten Schwammreliefs entstanden, und das hat Ruhnau mitentwickelt.

Was haben Sie sich von Ihrem Kunstgeschichtsstudium versprochen?

Es war wie gesagt eigentlich eine Notlösung. Aber ich hatte einen Lieblingslehrer: Klaus Lankheit. Er war immerhin bis zu August Macke vorgedrungen. Das war das Modernste, was damals angeboten wurde. Wir haben keine documenta und keine Biennale besucht. Da haben sich die Professoren nicht rangetraut, weil sie dazu nichts zu erzählen wussten. Das erste Mal bin ich bei einer Exkursion nach Stockholm mit großer Kunst in Berührung gekommen. Eigentlich waren wir dort, um die alten Stabkirchen anzuschauen, was mich natürlich nicht interessierte. Ich hatte aber gelesen, dass Niki de Saint Phalle im Moderna Museet in Stockholm ausstellt. „Hon – en katedral av Niki de Saint Phalle, Jean Tinguely, P.O. Ultvedt“, Moderna Museet, Stockholm, 3. Juni – 8. September 1966. Und da habe ich die große Liegende gesehen, in die man durch die Vagina hindurch hineingeht.

Das heißt, Sie haben sich außerhalb der Universität über die zeitgenössische Kunst informiert. Wussten Sie von ZERO Ab 1958 verwendeten Heinz Mack und Otto Piene den Begriff „ZERO“ im Kontext ihrer gemeinsamen Ausstellungen sowie als Titel für die drei Ausgaben ihrer in Düsseldorf publizierten Zeitschrift. Ab 1961 nahm auch Günther Uecker regelmäßig an den Ausstellungen und Aktionen von ZERO teil. ZERO stand für die Stunde null, für Aufbruch und einen radikalen Neuanfang nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. ZERO setzte sich deutlich vom etablierten Informel ab. Mit neuen Materialien und der Einbeziehung von Bewegung, Licht und Raum in das künstlerische Werk etablierte ZERO eine neue Formensprache. Vgl. Wieland Schmied, „Etwas über ZERO“, in: Dirk Pörschmann/Mattijs Visser (Hg.), „ZERO 4 3 2 1“, Düsseldorf 2012, S. 9–18. ?

Ja, ZERO hat uns damals sehr beeindruckt. Künstler, die nicht mit den üblichen Buntfarben, sondern mit Silberfarbe malten, die man eigentlich fürs Ofenrohr verwendete, oder die mit Aluminiumblechen arbeiteten. Mack hat mir erzählt, dass ihm einmal so ein Blech auf einen Sisal-Teppich gefallen sei – Sisal-Teppiche waren damals große Mode, auch ich hatte einen in meiner ersten Galerie –, und Mack ist über das Blech gelaufen und dadurch entstanden Abdrücke. Das waren die ersten Prägedrucke, die ZERO sozusagen erfunden hat. Kennengelernt habe ich Mack erst wesentlich später, aber ZERO war uns Studenten ein Begriff. Das war das Aufregendste, was nach dem Krieg passierte. Sie haben einfach bei null angefangen und die Kunst entwickelt. Ich habe 1959 Abitur gemacht, und 1957 war ZERO gegründet worden. Als ich in diesem Beruf anfing, war mir klar, dass ZERO einmal eine ganz wichtige Geschichte werden würde. Und sie hatten ja wirklich großen Erfolg. Bis Ende der 80er-Jahre, da kamen plötzlich die Jungen Wilden Die nachwachsende Künstlergeneration entdeckte in den 1970er-Jahren die figurative Malerei als Ausdrucksmittel von Spontaneität, Dynamik und Dilettantismus in Abgrenzung zum akademischen Stil. Aufgrund ihres expressiven Malstils werden die Vertreter häufig unter dem Begriff „Junge Wilde“ zusammengefasst. Gemeint sind damit in der Regel die Künstler der Ateliergemeinschaft Mülheimer Freiheit, namentlich Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Gerard Kever und Gerhard Naschberger, die ab 1979 in Köln-Deutz arbeiteten, sowie die Künstler der Galerie am Moritzplatz, die seit 1977 bestand. Dazu gehörten Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer. Zu den Vertretern der figurativen Malerei der 80er-Jahre werden ferner gezählt: Elvira Bach, Ina Barfuss, Werner Büttner, Georg Herold, Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Volker Tannert und Thomas Wachweger. Vgl. „Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“, hg. von Martin Engler, Ausst.-Kat., Städel Museum, Frankfurt am Main, Ostfildern 2015. . Damit wurde alles andere weggefegt. Fetting und Salomé waren die großen Wilden aus Berlin. Fetting habe ich bei einer meiner ersten Beteiligungen auf der Art Basel ausgestellt, das kann sich heute keiner mehr vorstellen. Wenn Sie sich heute bei einer großen Messe mit Fetting oder Salomé bewerben, werden Sie gar nicht zugelassen. Das ist nicht mehr akzeptabel. Damals hatte ich diese Künstler für mich neu entdeckt. Ich dachte: „Da passiert wenigstens ein bisschen was. Und alle anderen Positionen sind ohnehin schon besetzt, dann stellst du jetzt mal diese Künstler aus.“ Die „F.A.Z.“ hat einen großen Bericht, eine ganze Seite, über die genannte Art Basel herausgebracht. Ich glaube, das erste Mal mit Farbabbildung. Und was haben sie gezeigt? Rainer Fetting bei der Galerie Holtmann. Was heute allenthalben gemacht wird, war eine kleine Sensation. Damals war das neu und wichtig.

Kannten Sie ZERO, bevor Sie Beuys kannten?

Als ich anfing, war Beuys für mich wichtiger als ZERO, weil da etwas Neues passierte. Die erste Ausstellung mit Beuys machte ich 1971 in Kiel. „Joseph Beuys. Handzeichnungen“, Kunsthalle zu Kiel, 07. März – 11. April 1971. Das hatte mein damaliger Chef, Jens Christian Jensen, angeleiert, konnte dann aber nichts damit anfangen. Damals kam ich das erste Mal mit Originalen von Beuys in Berührung. Ich war so fasziniert, dass ich kurze Zeit später Richtung Kleve zu den Brüdern van der Grinten Die Brüder Hans van der Grinten (1929 Kranenburg – 2002 Essen) und Franz Joseph van der Grinten (* 1933 Kranenburg) gelten als große Förderer von Joseph Beuys (1921 Krefeld – 1986 Düsseldorf). 1951 erwarben sie die ersten Arbeiten des Künstlers, dem sie 1953 in ihrem Elternhaus in Kranenburg bei Kleve eine Ausstellung ausrichteten. Die Brüder van der Grinten sind Mitstifter des Museums Schloss Moyland, das 1990 gegründet wurde und insgesamt circa 6.000 Werke sowie das angeschlossene Joseph Beuys Archiv umfasst. auf den Bauernhof gefahren bin. Heute würde man „kleiner Kotten“ sagen, ein Minibauernhof. Ich wollte unbedingt sehen, was die da gesammelt hatten. Es wurde ein Schuhkarton nach dem anderen unter dem Bett hervorgezogen, ich durfte alle Zeichnungen durchschauen und sagte dann: „Ich muss eine Zeichnung besitzen.“ Natürlich konnte ich es nicht bezahlen, und die van der Grintens wollten auch nie etwas verkaufen. Als denen bei einem Sturm einmal das Dach weggeflogen ist, habe ich gesagt: „Ihr müsst doch nur eine Zeichnung verkaufen, dann könnt ihr das Dach neu decken.“ – „Bist du verrückt? Zeichnungen von Beuys verkaufen? Nein, niemals.“ Ich durfte mir aber damals eine aussuchen und habe sie mit Zeichnungen von Walter Leistikow bezahlt. Ich hatte ja über Jugendstil gearbeitet – meine begonnene Doktorarbeit war über Leben und Werk von Walter Leistikow; leider verstarb mein Doktorvater zu früh und die Arbeit blieb stecken. Fünf Jugendstilzeichnungen gegen eine Beuys-Zeichnung.

Das war, glaube ich, schon die dritte Arbeit, die Sie erworben hatten. Die erste war von Victor Vasarely, oder?

Ja. Als Student war ich in der Overbeck-Gesellschaft Mitglied. Das ist ein Kunstverein in Lübeck. Da habe ich eine Vasarely-Arbeit, ich glaube für 52 D-Mark, gekauft. Das war ein Fünftel meines Monatsgehalts.

Die Arbeit haben Sie etwa zwei Jahre später für ein Vielfaches verkauft.

Am Ende des Studiums habe ich sie für 2.500 D-Mark verkauft.

An wen haben Sie die Arbeit verkauft?

Das weiß ich nicht mehr. Aber damals wurde mir bewusst, dass ich eine Begeisterung für die Kunst und auch einen gewissen merkantilen Impetus hatte.

Die nächste Arbeit war von Roy Lichtenstein.

Ja, darauf war ich sehr stolz, dass ich so früh einen Lichtenstein kaufen konnte.

Ich weiß, dass Sie die Arbeit in Köln gekauft haben, konnte aber nicht rausfinden, wo genau.

Lichtenstein habe ich wahrscheinlich von der Galerie Jöllenbeck bekommen. Die Arbeit kostete bereits damals 300 D-Mark. Das war schon sehr viel. Verkauft habe ich sie glaube ich für 14.000, heute kostet so eine Arbeit etwa 30.000 Euro.

Warum mussten Sie diese Arbeiten besitzen?

Das ist dieses Jäger- und Sammlertum, was der Mensch so an sich hat. Was er schön findet, will er besitzen.

Fanden Sie es nur schön?

Ich fand es aufregend. Von Lichtenstein war es das Bild „Crak!“ Roy Lichtenstein, „Crak!“, 1963. . Das wurde auch sehr politisch aufgefasst. Ein Kriegsbild. Vielleicht war es auch das Preiswerteste. Ich weiß es nicht mehr genau. Um die Frage bezüglich Vasarely zu beantworten: Vasarely war der Erfinder der Op-Art Op-Art ist eine Strömung der neoavantgardistischen Kunst Anfang der 1960er-Jahre. Durch geometrisch abstrakte, sich wiederholende Kompositionsmuster wird eine Bildfläche geschaffen, die durch das Licht-Farben-Spiel eine Vibration oder ein Flimmern im Auge des sich bewegenden Betrachters auslöst. Die optische Täuschung gleicht einer virtuellen Bewegung. Als wichtige Vertreter der Op-Art gelten Josef Albers, Heinz Mack, Jesús Rafael Soto und Victor Vasarely. , und er war damals sehr berühmt. Später, als ich ihn ausstellte, sagte er mir einmal: „Jetzt muss nur noch Chagall sterben, dann bin ich der Größte.“ Er hat mich wirklich fasziniert. Ich habe ihn auch in Gordes besucht, wo er lebte. In einem alten, igluähnlichen Backsteinbau. Ihm ging es damals schon sehr gut, mit Köchin und allem Drum und Dran. In einer angenehmen Kühle saß man in dieser schönen alten, mindestens 1.000 Jahre alten Hütte und aß zu Mittag, während es draußen eine brütende Hitze war.

Wann war das ungefähr?

1978 bekam er den Kaiserring Der Kaiserring der Stadt Goslar wurde 1974 als internationaler Preis für herausragende Positionen der zeitgenössischen Kunst vom Verein zur Förderung moderner Kunst gestiftet, den der Goslarer Unternehmer Peter Schenning im selben Jahr gegründet hatte. Seit 1975 wird der Kunstpreis jährlich verliehen. Zu den Preisträgern gehören unter anderen Henry Moore, Joseph Beuys, Christian Boltanski und Isa Genzken. , also muss es 1977/78 gewesen sein. Den ersten Kaiserring bekam Henry Moore 75. Er hat mir ein schönes Foto geschenkt. „From Henry to Henry“ hat er daruntergeschrieben. Den Kaiserring haben wir erfunden, weil wir Goslar bekannt und interessant machen wollten. Wieland Schmied Wieland Schmied (1929 Frankfurt am Main – 2014 Vorchdorf, Österreich) war ein österreichischer Kunsthistoriker und Kurator, der von 1963 bis 1973 als Direktor die Kestnergesellschaft in Hannover und von 1978 bis 1986 den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Berlin leitete. Ab 1986 lehrte Schmied bis zu seiner Pensionierung 1994 als Professor für Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden Künste München. war damals Chef der Kestnergesellschaft in Hannover und hatte, wenn ich mich recht erinnere, die zündende Idee. Wir sind alle sofort drauf aufgesprungen. Erst später habe ich mich gefragt, wieso dieses kleine Kaff Goslar im Mittelalter eine blühende Stadt gewesen ist. Warum setzt sich ein Kaiser dorthin? Bis ich herausfand, dass er dort seine Gelddruckmaschinen hatte. Bei Goslar waren Silberbergwerke, da wurde das Silber für die Silberlinge geschürft.

In Goslar waren Sie schon mittendrin. Wenn Ihnen das Kunstgeschichtsstudium in Kiel es nicht nahegebracht hat, wie sind Sie dann an die Gegenwartskunst geraten?

Die ersten vier Semester habe ich in Heidelberg studiert und immerhin noch Kahnweiler Daniel-Henry Kahnweiler (1884 Mannheim – 1979 Paris) gründete 1907 seine erste Galerie in Paris und war seitdem als Kunsthändler tätig. Befreundet mit Pablo Picasso, Georges Braque und der zeitgenössischen Pariser Kunstszene wurde Kahnweiler als Vermittler von deren Kunst, insbesondere der Stilrichtung des Kubismus, bekannt. Er veröffentlichte unter anderem das Buch „Der Weg zum Kubismus“ (1920) und seine Memoiren „Meine Maler – meine Galerien“ (1961). in Karlsruhe kennengelernt. Aber das waren Größen, an die ich mich gar nicht rantraute. Er hatte im Kunstverein in Karlsruhe eine Picasso-Ausstellung Im Badischen Kunstverein Karlsruhe fanden in den Jahren 1963/64 folgende Ausstellungen statt: „Manolo und Pablo Picasso“, 21. Juli – 18. August 1963; „Pablo Picasso und Henri Laurens“, 21. August – 25. Oktober 1964. gemacht. Solche Sachen haben mich interessiert. Ich habe anschließend nächtelang die Bücher gewälzt. Ich war immer ein Büchernarr und habe auch sehr viele Bücher gesammelt. Ich glaube, ich habe mindestens 6.000 Bücher. Ganz stolz bin ich auf die erste deutsche Ausgabe von Vasari, acht Bände, die deutsche Klett-Cotta-Ausgabe von 1830/40 Giorgio Vasari, „Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister, von Cimabue bis zum Jahre 1567“, übersetzt und hg. von Ludwig Schorn/Ernst Förster, Klett-Cotta, Stuttgart 1832–1849. . Bücher waren der einzige Weg, sich über die Kunst zu informieren. Ich hatte nicht genug Geld, um zu reisen. Andere waren mir da voraus und waren zum Beispiel viel in Italien. Mich interessierte aber mehr: Was passiert da auf dieser neugierig machenden documenta? Da sind wir dann natürlich schon hingefahren.

Wann haben Sie die erste documenta gesehen?

Das muss entweder 68 oder 72 gewesen sein.

Erinnern Sie sich, was Sie damals am meisten beeindruckt hat?

Ich glaube, das war damals Pop-Art. Dann gab es eine documenta, wo der amerikanische Fotorealismus Furore machte. Das war sensationell.

Andere entdeckten auf der documenta Yves Klein, Pollock oder Beuys … Das kannten Sie zu dem Zeitpunkt alles schon?

Ja. Persönlich kennengelernt habe ich Beuys allerdings erst viel später. Nachdem er den Kaiserring bekommen hatte, rief ich ihn an, um ihm zu sagen, dass ich mich selbstständig machen würde. Daraufhin stutzte er, und ich fragte: „Ist etwas nicht in Ordnung?“ – „Ich dachte, du bist ein Museumsmann. Aber es muss ja auch gute Galeristen geben.“ Er sagte für die Eröffnung der Galerie, die 1980 in Köln mit Werken von Beuys stattfinden sollte, zu. Von einigen Kollegen wurde ich damals mitleidig angeguckt. Das hätten schon andere verkündet, und dann würde Beuys doch nicht auftauchen. Bei mir war er da! Und außer ihm kamen weitere 500 oder 600 Besucher. Alle wollten den berühmt-berüchtigten Beuys sehen, der gerade als erster lebender deutscher Künstler im Guggenheim Museum in New York eine große Ausstellung hatte. „Joseph Beuys“, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 02. November 1979 – 02. Januar 1980. Wir sind damals alle hingeflogen. Wir wollten dabei sein. Und auch Andy Warhol kam sofort um die Ecke, damals entstand sein Beuys-Porträt. Ich habe Warhol bei der Gelegenheit mit der Polaroidkamera, einer SX-70, fotografiert, woraufhin er mir die Kamera aus der Hand nahm und ein Foto von mir machte. Anschließend hat er beide Bilder signiert, sodass ich ein eigenes Porträt von Andy Warhol habe.

Das heißt, 1979 kannten Sie Joseph Beuys schon persönlich?

Ja. Ich denke, ich habe ihn Anfang der 1970er-Jahre kennengelernt. Ich hatte noch nicht viele Originale gesehen. Aber die Zeichnungen haben mich wirklich fasziniert. Sehr vom Jugendstil angehaucht, wie Paul Klee. Das war für mich eine ganz wichtige Station. Ich bin Beuys öfter begegnet. Ich habe ihn natürlich auch in Kassel besucht, das waren schöne Momente. Und dann hat die Jury ihn eben für den fünften Kaiserring vorgeschlagen. Nach Henry Moore, Max Ernst, Alexander Calder und Victor Vasarely kam Beuys. Und als Museumsdirektor war es meine Aufgabe, ihm mitzuteilen, dass er den Kaiserring in Goslar bekommen würde. Beuys hat nicht sofort zugesagt. Das war für mich eine heikle Situation. Er sagte: „Ich komme erst mal nach Goslar und gucke mir das da an.“ Die Verleihung des Kaiserrings war ja auch immer mit einer Ausstellung im Mönchehaus, das wir mit einem Mäzen gegründet hatten, verbunden. Das war auch eine verrückte Geschichte. Das Museum haben wir in einer Nacht- und Nebelaktion aus dem Boden gestampft. Als wir im Autoreisezug zu Vasarely fuhren, hatte mich dieser Mäzen nachts um zwei Uhr aus dem Schlaf geholt. Er klopfte an mein Schlafwagenabteil: „Holtmann, mach mal auf, ich habe eine Idee. Ich habe gerade eine Flasche Champagner beim Wagenkontrolleur bestellt.“ – „Worauf trinken wir?“ – „Hiermit möchte ich dich zum Museumsdirektor ernennen“. Da habe ich gefragt: „Für welches Museum, bitte?“ – „Das machen wir noch, das gibt es noch nicht.“

Wer war dieser Mäzen, wenn ich fragen darf?

Peter Schenning. Schenning hatte eine große Firma und zwölf Galerien, mit denen er ein Galerienimperium aufbauen wollte. Er hatte eine sehr große Begeisterung für Kunst, sammelte aber die falschen Sachen. Hundertwasser und alles, was so dekorativ danach kam. Langsam habe ich ihn umgepolt. Ich glaube, ich habe ihn damals auch mit Mack, also mit ZERO, und Adolf Luther zusammengebracht. Das waren meine Freunde, die ich da protegieren wollte. Jedenfalls kam Beuys damals nach Goslar, und ich führte ihn herum und zeigte ihm den Ring, ich glaube der war in Worpswede hergestellt worden. Ein dicker Goldring mit einem Aquamarin und dem Siegel Heinrichs IV., des Kaisers in Goslar. Damals kostete der Ring etwa 3.000 D-Mark. Das war also nichts Besonderes, und es war das Einzige, was die Künstler bekamen, außer der Ausstellung. Heute wird der Preis so gehandelt, als wäre es der Praemium Imperiale, mit 100.000 oder 300.000 Euro verbunden, dem ist aber nicht so.

Es ist die Ehre …

Ja, nur die Ehre. Die Ehre und der Ring. Mir schlug das Herz. Dieser berühmte Beuys, hoffentlich nimmt er das an. Er beugte sich über die Vitrine und sah diesen schönen Ring – der auf einem Reichsapfel aus blauem Leder präsentiert war – und sagte: „Der ist doch jut, den nehme ich.“ Anschließend haben wir gefeiert, bis ihm einfiel: „Ich habe ja morgen früh um neun Uhr eine Diskussion mit den Grünen. Ich muss heute Abend noch nach Hause.“ Da habe ich gesagt: „Das kannst du vergessen, es fährt nichts mehr.“ Er verschwand einen Augenblick, kam nach fünf, sechs Minuten wieder und sagte: „Ich habe ein Taxi bestellt, ich fahre gleich.“ Er wollte die 400 Kilometer nachts mit einem Taxi nach Hause fahren. Das Taxi habe ich abbestellt und gesagt: „Sie sind unser Ehrengast. Ich bringe Sie nach Hause.“ Wir haben die ganze Nacht über Kunst geredet, und er konnte so herzlich, aus tiefster Seele, lachen. Das war immer sehr erfrischend. In einer Autobahnraststätte kam der Ober mit der Karte. „Nein, nein, wir wollen nur einen Kaffee trinken“, sagten wir. „Aber ist das nicht der Beuys? Können Sie die nicht signieren?“ Also hat Beuys die Tageskarte signiert. Er war immer sofort voll dabei.

Nicht nur Franz Dahlem und Heiner Friedrich, sondern auch Alfred Schmela, Hans Mayer, René Block und Klaus Staeck haben sich als Händler und Galeristen mit Beuys beschäftigt. Sie eröffneten 1980 Ihre Galerie mit einer Beuys-Ausstellung. Kamen damals keine Fragen? Warum macht der jetzt auch noch Beuys?

Doch, klar. Damals gab es das berühmte Galeriehaus in der Lindenstraße Auf Bestreben der Brüder Christoph und Andreas Vowinckel wurde das Galeriehaus Köln 1968 in der Lindenstraße 18–22 eröffnet. Zur ersten Generation der dort ansässigen Galerien gehörten: Galerie Heiner Friedrich, Galerie Hans-Jürgen Müller, Galerie Neuendorf, Onnasch Galerie, Galerie Ricke, Galerie M. E. Thelen und Galerie Wilbrand. Vgl. Brigitte Jacobs van Renswou, „Porträt Galeriehaus Köln, Lindenstraße 18–22“, unter: http://www.artcontent.de/zadik/default.aspx?s=1061 (eingesehen am 14.06.2016). . Da pilgerten wir natürlich schon von Kiel aus zwei-, dreimal im Jahr hin. Das war der Nabel der Welt. Ich erinnere mich an einen großen einseitigen Bericht, der in New York erschien, mit der Überschrift: „Läuft uns Köln den Rang ab?“ Ich hatte die Möglichkeit, eine Galerie in Düsseldorf zu übernehmen, habe mich dann aber eindeutig für Köln entschieden. Köln war das Zentrum. Alle gingen damals dorthin. Ich hatte Gerhard Richter noch in Düsseldorf besucht. Plötzlich waren sie alle in Köln.

Mussten Sie sich mit irgendjemandem besprechen, bevor Sie Beuys in Ihrer Galerie ausstellen konnten?

Nein. Ich habe ihn angerufen, und er hat es mit mir ausgemacht. Er fragte: „Hast du genügend Arbeiten?“ – „Nein, ich habe drei Zeichnungen. Die berühmten aus der Sammlung van der Grinten. Das ist mein Grundstock.“ Außerdem hatte ich zwei Grafikmappen, „Spur I“ und „Spur II“, und ein paar kleine Objekte von Klaus Staeck, die waren ja damals noch sehr, sehr preiswert. Klaus Staeck habe ich in der Tangente kennengelernt, weil ich in Heidelberg studiert habe. Tangente war ein Jazzschuppen, wo wir abends hingingen. An einem Tisch saß Klaus Staeck und verkaufte für 8 D-Mark kleine Holzkisten Joseph Beuys, „Intuition“, 1968, unlimitierte Auflage, circa 12.000 Exemplare hergestellt, signiert und datiert. von Beuys. Das war der Anfang.

Die haben Sie damals schon gekauft?

Selbstverständlich! Später habe ich ausfindig gemacht, wer die Kisten hergestellt hat und bin dann mit dem Auto zu Wolfgang Feelisch zum Vice-Versand in Remscheid gefahren, wo ich für meine erste Galerie in Hannover einen ganzen Kofferraum voll von diesen Kisten gekauft habe. Die kosteten nämlich auch nur 8 D-Mark.

Zu welchem Preis haben Sie die Kisten in der Galerie verkauft?

Für das Doppelte, wie man es halt so macht. Für 16 D-Mark.

Und wer hat das bei Ihnen gekauft?

Von einem meiner frühesten Sammler, Christian Boros, damals ein kleiner Junge, der immer mit seinen Eltern kam, habe ich neulich in einem Interview erfahren, dass diese Beuys-Kiste das erste Kunstwerk in seiner Sammlung war, und das hatte er bei mir gekauft.

Wieso sind Sie eigentlich damals vom Kunstverein Braunschweig weggegangen? Von 1972 bis 1977 leitete Heinz Holtmann den Kunstverein Braunschweig.

Dieser bereits genannte Mäzen kam nach Braunschweig und sagte mir: „So einen Mann wie Sie brauche ich. Ich habe jetzt zehn Galerien, und wir kraxeln da herum. Wir haben nicht die richtigen Leute. Wollen Sie das nicht machen?“ Darauf habe ich gesagt: „Ich bin Museumsmann, ich gehe nicht in eine Galerie.“ Er lud mich dann nach Goslar in das höchste Gebäude der Stadt ein: Es hatte vier Stockwerke. Aber ein Schwimmbad auf dem Dach. Dort residierte Schenning über seiner Firma in einem Penthouse. Am Pool wurde ich köstlich bewirtet, und er bohrte, ob ich nicht doch seine Galerien betreuen würde. Ich habe lange darüber nachgedacht – er machte mir Angebote in unanständiger Höhe und fragte: „Was verdient man denn so als Kunstvereinsdirektor?“ – „Die zweithöchste Angestelltentarifgruppe: BAT IIa.“ Das waren damals 2.000 D-Mark. Da fragte er ganz trocken: „Kann man davon leben?“ Er bot mir ein Vielfaches, aber ausschlaggebend war letztendlich das Budget für die Kataloge. Das ist ja das Einzige, was von der kuratorischen Tätigkeit übrig bleibt. Im Kunstverein hatte ich einen Jahresetat von 10.000 D-Mark, den Rest musste ich mir in Form von Jahresgaben verdienen. Da habe ich die tollsten Jahresgaben gemacht. Ich habe auch den Kunstverein Braunschweig innerhalb von fünf Jahren immerhin von 800 Mitgliedern auf 1.600 Mitglieder gebracht. Heute haben sie wieder 800. Schenning sagte: „Ich biete Ihnen 100.000 D-Mark als Jahresetat, davon können Sie ein paar schöne Bücher machen. Und was haben Sie für einen Reiseetat?“ – „Auch 10.000.“ Das reichte für einmal Basel und vielleicht zwei Künstlerbesuche. „Erhöhe ich auch auf 100.000. Sie müssen natürlich auch ein anständiges Auto haben mit Autotelefon.“ Ein Autotelefon war damals etwas ganz Verrücktes. Der ganze Kofferraum war voller Röhren, und die Sekretärin musste dem Anrufer dann sagen: „Er wollte von Goslar nach Köln fahren, jetzt gerade könnte er in Bielefeld sein.“ Man musste die Bielefelder Vorwahl wählen, um jemanden im Auto zu erreichen, der gerade in Bielefeld war. Das war also alles schon sehr verführerisch. Zwei Jahre lang habe ich das gemacht, und dann bekam das Unternehmen finanzielle Schwierigkeiten. Damals sagte Schenning zu mir: „Jetzt habe ich Sie nach Goslar in unser Kaff geholt, jetzt muss ich ja für Sie sorgen. Dann werden Sie jetzt eben Museumsdirektor, und ich baue Ihnen ein Museum.“ Das ist das berühmte Mönchehaus Museum, das heute Bettina Ruhrberg macht. Die Tochter eines meiner damals engsten Freunde, Charlie Ruhrberg Karl Ruhrberg (1924 Elberfeld – 2006 Oberstdorf) war ein Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher. Als Gründungsdirektor leitete er von 1965 bis 1972 die Kunsthalle Düsseldorf. Dort organisierte er unter anderem frühe Überblicksausstellungen zum Werk von Bernd und Hilla Becher (1969), Edward Kienholz (1970) und Claes Oldenburg (1971). Zusammen mit Wieland Schmied sollte er die künstlerische Leitung der „documenta 6“ übernehmen, beide Ausstellungsmacher traten jedoch 1974 nach anhaltenden Konflikten von ihrem Amt zurück. 1978 bis 1984 war Ruhrberg Direktor des Museums Ludwig in Köln. Nach seinem Rücktritt war er für die Stadt Köln beratend tätig. .

Wieso haben Sie dann erst in Hannover eine Galerie eröffnet, bevor Sie nach Köln kamen?

Wir hatten ja mit Schenning diese zehn Galerien. Ich war jedes Wochenende woanders. In Kopenhagen, in Zürich, auf einer Eröffnung in Belgien oder in Düsseldorf, wo wir auch eine Galerie hatten. Der Galerieleiter sitzt heute im Gefängnis. Helge Achenbach (* 1952 Weidenau) ist ein Kunstberater, der 1978 die Achenbach Art Consulting in Düsseldorf gründete. Er beriet private Sammler, Wirtschaftsunternehmen und öffentliche Sammlungen beim Kauf von zeitgenössischer und moderner Kunst. Dabei handelte er vor allem mit Werken international renommierter Künstler, darunter Georg Baselitz, Joseph Beuys, Andreas Gursky, Jörg Immendorff, Neo Rauch, Gerhard Richter und Frank Stella. Aufgrund illegitimer Preisaufschläge erstattete unter anderen Babette Albrecht – die Witwe von Berthold Albrecht, ehemals Miteigentümer der Discounter-Kette Aldi-Nord – 2014 Anzeige gegen Achenbach. Das Landgericht Düsseldorf und das Landgericht Essen verurteilten ihn im Frühjahr 2015 zur Zahlung eines Schadenersatzes über mehr als 19 Millionen Euro sowie zu 6 Jahren Haft. Es zeichnete sich damals schon ab, dass ich Schwierigkeiten mit ihm bekommen würde. Wir mussten uns dann sehr schnell trennen. Er war durchaus begeisterungsfähig für die Kunst, aber da stimmten so einige Parameter nicht. Das ist lange her … Ich habe die Galerie in Hannover übernommen, es war wirklich eine der schönsten Galerien, 400 Quadratmeter im Gebäude der Landesbank. Ich zahlte eine Miete von einem symbolischen Wert. Ich glaube, es waren 1.000 D-Mark im Monat. Das war das, was ich glaubte, aufbringen zu können, um mich selbstständig zu machen. Dann wurde es aber schwierig mit den anderen Galerien, und ich lernte die Stünkes Hein Stünke (1913 Oberhausen – 1994 Fribourg, Schweiz) und Eva Stünke (1913 Köln – 1988 Köln) betrieben ab 1945 in Köln-Deutz die Galerie Der Spiegel. Als eine der ersten Galerien in Deutschland verlegte Der Spiegel ab 1949 grafische Editionen, unter anderem von Max Ernst, Hans Hartung, Fritz Winter oder Wols. kennen, die sagten: „Kommen Sie doch nach Köln, übernehmen Sie unsere Galerie.“ Und so bin ich bei Stünkes eingestiegen.

Ich habe meine Galerie ohne Kapital angefangen. Mein Kapital war die Freundschaft mit den Künstlern, die ich als Museumsmann oder als Kunstvereinsdirektor ausgestellt hatte. Die habe ich der Reihe nach durchtelefoniert und Ausstellungen mit ihnen gemacht.

Und wie bekamen Sie Kontakte zu den Sammlern?

Sammler kannte ich nur sehr wenige. Es gab ja auch kaum welche. Der größte Sammler in Hannover wurde stetig abgeworben. Als ich die Galerie nach zwei Jahren geschlossen habe, bekam ich abends einen Anruf: „Ich kann heute Abend leider nicht kommen.“ – „Wer sind Sie?“ – „Bernhard Sprengel.“ Bernhard Ludwig Friedrich Arthur Sprengel (1899 Hannover – 1985 Hannover) war Besitzer der Schokoladenfabrik B. Sprengel & Co. und Kunstmäzen sowie Namensgeber des Sprengel Museums in Hannover, in dem seine Sammlung seit der Eröffnung des Hauses 1979 präsentiert wird. Da sagte ich: „Herr Sprengel, Sie waren jetzt in zwei Jahren nicht ein einziges Mal bei mir. Schade, dass Sie heute Abend wieder nicht kommen können, das war die letzte Chance. Ich schließe die Galerie.“

In Köln gab es sicher mehr Sammler, aber es gab auch sehr viel mehr Galerien.

Ich bin ganz bewusst zu dieser alten Galerie nach Köln gegangen. Galerie Der Spiegel. Das war in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren die führende Galerie in Deutschland. Sie gehörten zu den Ersten, die Christo ausgestellt haben. Sie haben Max Ernst wieder hoffähig gemacht. Das war eine große Nummer. Als ich bei Stünkes eingeladen war, hing ein kleines Ölbildchen mit Klatschmohn an der Wand. Ich fragte: „Von wem ist denn das?“ – „Nehmen Sie es doch ab.“ Und hinten stand: „Pour Eva de Max.“ Es war natürlich von Max Ernst. Das war schon sehr beeindruckend. Ich habe mir damals gesagt: „Nicht im Hinterhof anfangen, sondern einfach diese Galerie übernehmen, dann bist du wer.“

Wurden Sie in Köln akzeptiert?

Ich habe gefühlt 30 Jahre gebraucht, um wirklich in der Sammlergesellschaft anzukommen. Heute braucht man zehn Jahre, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Ich hatte damals nicht das Geld, den Bestand der Galerie Der Spiegel aufzukaufen. Sie wollten, glaube ich, drei Millionen haben. Und was fand ich dann in der Sammlung? Lüpertz! Da habe ich gesagt: „Mit dem kann ich nun überhaupt nichts anfangen. Ich habe schon Lawrence Weiner und die Arte povera ausgestellt, da kann ich nicht auf Herrn Lüpertz zurückspulen.“ Damit habe ich meine erste Million verloren, denn zu dem Zeitpunkt hätte ich die Bilder für 5.000 D-Mark das Stück kaufen können. Zehn Bilder hatte man mir angeboten. Das wären 50.000 D-Mark gewesen. Drei Jahre später kosteten sie 100.000 das Stück.

Aber Lüpertz kam für mich überhaupt nicht infrage. Das war für mich ein Wiederkäuen des Expressionismus. Auf die jungen Expressionisten bin ich dann wiederum abgefahren. Für mich waren die Jungen Wilden, das heißt Salomé, Middendorf oder Fetting damals viel wichtiger als die Alten Wilden, bei denen die Jungen gelernt hatten. Bei Baselitz bin ich, glaube ich, ins Fettnäpfchen getreten. Er kam mit seinem Galeristen damals nach Braunschweig und wollte eine Ausstellung haben, was ich ablehnte.

Er kam mit Michael Werner Michael Werner (* 1939 Nauen) ist ein deutscher Galerist. 1963 eröffnete er mit Benjamin Katz (* 1939 Antwerpen) eine Galerie in Berlin und zog 1968 nach Köln, wo er die Galerie Hake übernahm, die er ab Oktober 1969 unter seinem eigenen Namen weiterführte. In den 70er- und 80er-Jahren vertrat die Galerie Michael Werner unter anderen die Künstler Georg Baselitz, Antonius Höckelmann, Jörg Immendorff, Anselm Kiefer, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A.R. Penck. Die Galerie ist heute in Berlin, London und New York vertreten. 2011 wurde Werner mit dem Preis der Art Cologne ausgezeichnet. , oder mit wem kam er?

Ich glaube, mit Fred Jahn Fred Jahn (* 1944 Berg) ist ein deutscher Galerist, der seit 1978 eine eigene Galerie in München führt. Gemeinsam mit Gernot von Pape begann er 1967, unter dem Label der Edition X in München Grafik zu verlegen. Von 1969 bis 1977 war Jahn für die Galerie Heiner Friedrich tätig, die ab 1974 nach personeller und inhaltlicher Umstrukturierung in die Edition Galerie Heiner Friedrich umbenannt wurde. . Ich hatte aber gerade den neuen Job für das Museum angenommen, insofern konnte ich ihm mit Fug und Recht sagen, dass ich meinem Nachfolger keine fertige Ausstellung vorsetzen will. Das war meine offizielle Begründung, warum ich Baselitz nicht ausgestellt habe. Tatsächlich hatte ich keinen Zugang zu diesen Sachen. Wenn man sich mit Arte povera, mit Daniel Buren, Lawrence Weiner, On Kawara und solchen Leuten beschäftigt hat, konnte man nicht auf Baselitz umswitchen.

Das ist interessant. Es gibt ja durchaus auch andere Beispiele – Heiner Friedrich etwa, der die Minimal Art vertreten hat, aber trotzdem Baselitz im Programm hatte.

Ich muss auch sagen, ich habe mein Urteil später etwas revidieren müssen. Diese Künstler sind natürlich wunderbare Maler. Wenn Sie frühe Arbeiten von Lüpertz sehen: Das ist bravourös. Deswegen hatte die Galerie Der Spiegel ihn auch ins Programm genommen. Noch vor Werner. Aber sie haben damit keine Fortüne gehabt. Das lief erst mit Michael Werner. Der hat ihn groß gemacht.

Können Sie erklären, warum Sie für die Malerei von Salomé und Fetting empfänglicher waren als für die Bilder von beispielsweise Baselitz und Lüpertz?

In Braunschweig musste ich tatsächlich mit einer Otmar-Alt-Ausstellung anfangen, die mein Vorgänger mir überlassen hatte. Ich habe mich damals mit dem Künstler angefreundet, mit den Bildern leider nicht. Oder Gott sei Dank nicht. Ich konnte damit nichts anfangen. Dann kamen KP Brehmer und die Berliner mit dem Neuen Realismus. Das hat mich überhaupt nicht berührt. Salomé und Fetting, Elvira Bach oder hier in Köln Stefan Szczesny hingegen haben mich fasziniert. Salomés Bilder waren so frech, das war wirklich ein neuer Ansatz. Mit ihm habe ich mich sehr gut verstanden. Wir haben große Ausstellungen zusammen gemacht. Bis ich merkte: Da kommt nichts mehr. Diese jungen Maler waren sehr schnell ausgeblutet. Ich hatte ganz große Stücke auf sie gesetzt und habe mit sehr großen Erfolgen gerechnet. Die sie ja auch eine Zeit lang hatten. In den 90er-Jahren zählte ZERO plötzlich nichts mehr. Die Jungen Wilden beherrschten die 80er-Jahre. Sie haben alles andere weggefegt. Eine Zeit lang haben sie wirklich den Markt und auch die Köpfe beherrscht.

Wo sahen Sie zwischen den Alten und den Jungen Wilden, zwischen Beuys und ZERO, Gerhard Richter und Sigmar Polke?

Ich habe die grauen Bilder von Gerhard Richter ausgestellt. Es war nichts drauf, nur Grau. Damals habe ich ein längeres Interview mit ihm gemacht: „Sie müssen mir erklären, wie Sie dazu gekommen sind.“ Ich glaube, ich habe damals in solchen Dingen eine Verbindung zur Arte povera gesehen. Deswegen habe ich diese Richter-Ausstellung gemacht. Als ich begann, mit den Jungen Wilden zu arbeiten, haben mich einige meiner Freunde beschimpft, zum Beispiel der Biograf von Beuys, Heiner Stachelhaus, der sagte: „Du mit deinen jungen Malern, damit kann ich überhaupt nichts anfangen.“ Daraufhin habe ich ihm vorgeworfen: „Ich habe eine frühe Kritik von dir gefunden, in der du Beuys wirklich heruntergeputzt hast.“ – „Ja, ja. Ich habe mich dann mehr mit ihm beschäftigt, er ist doch ganz wichtig.“ Heiner Stachelhaus hat mir Beuys wirklich sehr viel nähergebracht. Man muss einfach viel von der Biografie der Künstler kennen, um zu verstehen, was die eigentlich wollen.

Es hat nach 1945 eine schnelle Folge von Stilen und Trends in der Kunst gegeben: Informel, Neue Figuration, Pop-Art, Minimal Art, Konzeptkunst, medienbasierte Kunst bis hin zur Malerei der 80er-Jahre. Das waren damals starke Setzungen, die zum Teil auch die Bewegungen in der Gesellschaft widerspiegelten oder sich darauf bezogen. Hinzu kommt, dass das Netzwerk oder die Kunstszene relativ klein war, sodass fast jeder über alles informiert war.

Genau das war der Punkt. Wir waren ein Kreis von Vernetzten. Man sprach über die Dinge, die passierten. Ich war zudem wahnsinnig neugierig und habe mich immer sehr stark an den neuesten Trends orientiert. Deswegen war man immer ganz vorne dabei. Man wollte es einfach genau wissen. Und dann brauchte man vielleicht das richtige Bauchgefühl, um einen Hauptweg zu finden. Ich habe sehr früh die Alten Wilden und schließlich auch die Jungen Wilden aussortiert und wieder zu meiner Hauptlinie – alles, was plus/minus Beuys war – zurückgefunden.

Polke habe ich relativ spät kennengelernt. Und da er mit der Galerie Werner liiert war, konnte ich ihn in meiner Galerie nicht ausstellen. Über einen Umweg, einen gemeinsamen Freund, Erhard Klein, hatte ich aber Zugang zu Polke. Immer, wenn Klein neue Arbeiten von ihm hatte, sagte er: „Heinz, du musst mal vorbeikommen. Polke hat mir schöne neue Arbeiten gegeben und hat gesagt: ‚Gib dem Holti auch etwas.‘“ Das heißt, ich hatte frische Ware aus dem Atelier, nur musste ich natürlich alles teilen und konnte ihn wie gesagt hier in Köln nicht ausstellen. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass man dem Kollegen nicht ins Handwerk pfuscht. Daran habe ich mich immer gehalten. Wenn Polke bei Werner ist, kannst du ihn zwar das eine oder andere Mal in einer Ausstellung oder in einer Gruppenausstellung zeigen, aber du kannst keine Einzelausstellung machen. Irgendwann rief Polke mich an: „Wenn wir von Michael Werner nicht erschossen werden und uns zusammen im Grabe wiederfinden wollen, lassen wir das mit einer Ausstellung lieber.“

Und die Preise hat Polke vorgegeben?

Das machen die Künstler immer. Bei jungen Künstlern muss man das unter Umständen diskutieren: „Nein, das ist zu billig.“ Oder: „Das ist viel zu teuer, da bist du noch nicht.“ Ich halte mich da an Kahnweiler, der Picasso sagte: „Niedrige Preise! Wenn du berühmt bist, kannst du deine Preise erhöhen.“ Die etablierten Künstler diktieren in der Regel die Preise. Das ist vielen gar nicht klar, dass die Preise nicht von den Galerien, sondern von den Künstlern gemacht werden. Es sei denn, die Künstler leben nicht mehr, dann kann man die Preise natürlich selbst gestalten.

Das übernehmen heute ja leider zum großen Teil die Auktionshäuser.

Das ist ein großes Problem geworden. Die Auktionen machen es den Galerien wirklich sehr schwer.

Sie machen es allen schwer.

Die Preise gehen immer höher und höher. Was den Künstlern, zum Beispiel Gerhard Richter, gar nicht recht ist. Der sagt: „So viel sind die Werke gar nicht wert.“ Das wird manipuliert. Es ist wirklich eine Katastrophe. Früher waren die Sammler auf die Künstler und auf die Werke konzentriert. Heute fragen sie: „Was bringt das?“ Sie kaufen Werke, behalten sie drei Monate und verkaufen sie dann für 30 Prozent mehr.

Inwiefern war die Kunst Ihrer Meinung nach in der Gesellschaft verankert?

Darum haben wir sehr gekämpft. Ich sehe mich noch mit einem Plakat rumlaufen: „Kunst ist für alle da.“ Das war der neue Slogan. Als ich noch Assistent an der Kunsthalle zu Kiel war, bin ich mit diesem Plakat in die Howaldtswerke, das sind die großen Schiffswerften in Kiel, gegangen. Wir hatten eine Vereinigung gegründet: Spot. Der Name spielte mit den Begriffen „Spott“ oder „Spotlight“. Wir waren ein Team von fünf Leuten und haben in Kiel auch Ausstellungen gemacht, weil die Kunsthalle nicht progressiv genug war. Obwohl ich darüber mit meinem Chef etwas Ärger hatte, habe ich das durchgezogen. Wir haben damals zum Beispiel Dieter Roth, Franz Erhard Walther und HA Schult ausgestellt. Ich glaube, Schult habe ich das erste Mal 1969 ausgestellt. Er war damals sehr wichtig, beispielsweise hat er den Markusplatz in Venedig in einer Nacht- und Nebelaktion mit 1 Meter Müll zugeschüttet, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir zu viel Müll produzieren.

Heute ist das Ganze eher merkantil geworden. Das gefällt mir nicht so sehr.

Als ich damals mit meinen Plakaten vor den Howaldtswerken herumlief, habe ich geglaubt, ich könnte die Arbeiter für eine Abendveranstaltung mit jungen Künstlern gewinnen. „Kunst ist für alle da.“ Die haben mich völlig verständnislos angesehen. Da ist mir bewusst geworden, dass Kunst doch sehr elitär ist. Du kannst einem Arbeiter nicht sagen: „Du musst dich mit Kunst beschäftigen.“ Die dachten: „Besorg mir erst mal eine vernünftige Wohnung, dann kannst du wiederkommen und deine Plakate aufhängen.“ Es war damals sehr schwer, an die Leute ranzukommen. Auch an die potenziellen Mäzene, die Baulöwen und so weiter kam man nicht heran. Den Ausstellungsetat für den Kunstverein musste ich wie gesagt über Jahresgaben verdienen. Damit habe ich im Jahr 100.000 D-Mark gemacht.

Wobei gerade die Jahresgaben und Editionen ja auch wieder auf das „Kunst für alle“-Programm führen. Haben Sie das auch als Demokratisierung der Kunst gesehen?

Ja. Das hat Beuys ja mit seiner „Rose für direkte Demokratie“ Joseph Beuys, „Rose für direkte Demokratie“, Multiple, Auflage unlimitiert, Edition Staeck, Heidelberg, 1973. Die Multiple Edition entwarf Beuys nach dem Rosenarrangement auf seinem Schreibtisch im „Büro für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“, das er auf der „documenta 5“ (1972) einrichtete. auch gemacht. Die Demokratisierung der Kunst ging damals sehr stark von der Druckgrafik aus. Deswegen waren die 70er-Jahre das Nonplusultra für neue Entwicklungen im Drucksektor. Einer der Tollsten und Besten war Dieter Roth. Er stand mit den Farbtöpfen an der Druckmaschine und hat hier ein bisschen was reingegeben und da ein bisschen was reingegeben, sodass jeder Druck ein Unikat war. Sie konnten keine Hunderterauflage durchdrucken, da war er schon wieder mit anderen Farbtöpfen zugange. Die Druckgrafik hat wirklich sehr zur Demokratisierung der Kunst beigetragen. Unser Traum der 70er-Jahre ist heute Realität geworden. Hunderttausende gehen zu den großen Messen. Ausstellungen haben 250.000 Besucher. Das war früher undenkbar. Wenn man das hochrechnet, sind die Museen stärker frequentiert als die Fußballstadien.

Die Besucherzahlen in den Museen sind seit den 60er-Jahren sicher stark angestiegen. In den 80er-Jahren hatte die zeitgenössische Kunst wahrscheinlich mehr Publikum als je zuvor. Das sogenannte „Rahmenprogramm“ ist wahrscheinlich kein ganz unwesentlicher Faktor. Das fand in den Galerien, zum Beispiel bei Rudolf Zwirner und vor allem bei Hans Mayer, bereits sehr früh statt.

Auch ich habe das von Anfang an gemacht. Es ist eine Form der Höflichkeit, dass man den Gästen ein Glas Wein oder auch mal ein Kölsch anbietet. Dann ging man dazu über, kleine Häppchen zu machen. Ich habe das immer großzügig gehandhabt. Ich bin der Meinung, das ist ein großartiges Kommunikationsmittel.

Wer waren Ihre wichtigsten Gesprächspartner?

Das waren die Kollegen im Museum … Ich war beispielsweise auch mit Willi Bongard gut befreundet. Bongard hat den „Kunstkompass“ erfunden. Der Kunstkompass ist eine jährlich erscheinende Rangliste zu den weltweit bedeutendsten zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern. Sie wurde erstmals 1970 durch den Kunst- und Wirtschaftsjournalisten Willi Bongard (1931 Allendorf – 1985 Nymbrecht) für das Magazin „Capital“ erstellt. Oder Bazon Brock – den habe ich schon sehr früh nach Kiel eingeladen. Dort hat er Vorträge gehalten. Um acht Uhr fing er an: „Ich habe vor, bis Mitternacht zu sprechen. Wem das zu langweilig ist, der kann um neun Uhr wieder gehen. Oder gehen Sie am besten jetzt schon.“

Und – war es Ihnen zu langweilig?

Nein, es war hochspannend. Bazon, der Schwätzer. Er hat ohne Ende geredet, wie ein Wasserfall. Er hat auch frühe Filme von Andy Warhol gezeigt. Ich fand das irre. Stundenlang war die Kamera nur auf ein Gebäude gerichtet. „Empire“, Regie: Andy Warhol, 485 Minuten, 1964. Es passierte absolut nichts. Das war aufregend.

Wir können heute den Erfolg von Joseph Beuys nachvollziehen. Wir können in der Geschichte mitgehen. Die Begeisterung, die Ihre Generation, mehr oder weniger geschlossen, für Beuys hatte, können diejenigen, die ihn nicht erlebt haben, jedoch nicht nachempfinden …

Wir waren einfach fasziniert. Wann immer er irgendwo auftrat, sind wir hingegangen.

Beuys war eine Zeit lang offensichtlich ziemlich depressiv. Das hat mir die Mutter van der Grinten erzählt, als ich am Kopfende des Tisches sitzen musste und meinen Birnenkompott aß. Sie sagte: „Den Joseph haben wir in einen Blaumann gesteckt und ihm gesagt, er kann mit aufs Feld gehen. So ist er langsam wieder normal geworden.“ Beuys hatte eine Silberplatte im Kopf, weil er im Krieg eine schlimme Verletzung erlitten hatte. In welchem Umfang Joseph Beuys im Krieg tatsächlich eine Kopfverletzung erlitten hat, ist wissenschaftlich nicht geklärt. Beuys selbst äußerte sich dazu 1983 wie folgt: „Im Krieg war ich Flieger, und da hatte ich einen Schädelbasisbruch, und ich hatte eine eingedrückte Schädelplatte. Seit der Zeit war ich immer ein bisschen empfindlich am Kopf.“ Joseph Beuys zit. n. Hans Peter Riegel, „Beuys. Die Biographie“, Berlin 2013, S. 69. Das war auch der Grund, warum er immer den Hut auf hatte, bis dieser irgendwann sein Markenzeichnen wurde.

Also wir haben die Arbeit von Beuys damals nicht als Kriegs- oder Vergangenheitsbewältigung gesehen. Für uns war das einfach etwas ganz Neues. Aber natürlich haben die Künstler sich durchaus auf ihre Vergangenheit bezogen. Beuys mit den Filzdecken und dem Fett … Das waren ja die Wärmemittel, wodurch er seinen Schock überlebt hat. Das habe ich alles verstanden. Aber sein politisches Engagement – ich war damals ein sehr unpolitischer Mensch – habe ich erst sehr viel später einordnen können. Mit der „Rose für direkte Demokratie“ hat er mir die Augen geöffnet. Die direkte Demokratie hat es in der Schweiz schon immer gegeben. Dort werden die Gesetze durch Volksabstimmung gemacht. Die direkte Demokratie war das eigentliche Anliegen von Joseph Beuys: „Schafft die Parteiendiktatur ab, und macht Politik durch direkte Demokratie, durch Volksabstimmung.“

In einem veröffentlichten Gespräch „Klaus Staeck im Gespräch mit Heinz Holtmann am 20.1.2009“, in: „Joseph Beuys. Wir betreten den Kunstmarkt“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 16, 2009, S. 61–80. mit Klaus Staeck sprechen Sie über diese politische Seite von Beuys.

Bei meiner Galerieeröffnung 1980 haben sich Beuys und Staeck überworfen. Beuys sagte damals: „Mit dir will ich nichts mehr zu tun haben, wenn du nicht für mich – sprich für die Grünen – bist. Du bist ein Roter …“ Ich glaube, sie haben ein oder zwei Jahre kaum miteinander gesprochen. Ich höre Klaus heute noch, der immer sagte: „Ach Joseph, das kannst du mir doch nicht antun. Wir sind doch enge Freunde gewesen.“ – „Wenn du nicht für mich bist, bist du gegen mich.“ Vgl. hierzu Klaus Staeck.

Sie haben mit Joseph Beuys auch eine Edition gemacht.

Ja, die berühmteste Edition ist die „Hirschkuh“ Joseph Beuys, „Hirschkuh“, Auflage 180 Exemplare, Edition Galerie Holtmann, Hannover, 1979. gewesen. Ich glaube, es war Fronleichnam, als ich in Hannover in der Galerie einen Anruf bekam, ob wir nicht eine Grafik verlegen könnten. Ich sagte: „Können Sie mich nicht werktags anrufen, heute ist doch Feiertag.“ – „Ich dachte, Sie wollen eine Grafik von mir verlegen.“ Ich fragte: „Wer sind Sie denn?“ – „Joseph Beuys.“ – „Natürlich wollen wir eine Grafik verlegen. Am liebsten einen Hirsch …“ Etwas später bekam ich dann diese braune Hirschkuh geliefert, bei Matthieu in Zürich gedruckt. Als ich die Holzkiste aufmachte und sah, was darin war, dachte ich: „Ich bin pleite. Das Ding kann ich nie verkaufen.“ Es kostete ein Vermögen, und ich hatte mein ganzes Geld, was ich als Kredit von der Bank bekommen hatte, in diese eine Grafik gesteckt. Ich musste die 180 Stück ja erst einmal komplett kaufen.

Das war eine Auflage von 180 Stück?

Ja. In den ersten drei Monaten habe ich, glaube ich, drei Blätter an Kollegen für 700 D-Mark inklusive Rabatt verkauft. Als Beuys das mitbekam, sagte er: „Das geht nicht. Meine Grafiken kosten 1.200 D-Mark. Du kannst die Preise nicht unterminieren, nur weil du eine höhere Auflage bekommen hast.“ Ich habe zehn Jahre lang an dieser Kiste verkauft. Aber dadurch konnte ich immer meine Miete zahlen, insofern muss ich Beuys sehr dankbar sein. Er hat mir wirklich die ersten zehn Jahre gerettet. 86/87 habe ich die letzte Grafik verkauft, da bekam ich für das Blatt 7.500 D-Mark. Nach dem Tod von Beuys machte Christie’s oder Sotheby’s in London eine Einzelauktion mit seinen Werken. Das hatte es vorher nie gegeben. Da wurde die Hirschkuh für 7.000 Pfund versteigert, das waren damals 21.000 D-Mark, plus Aufgeld. Damals sind die Preise sehr gestiegen, sensationell – und ich hatte nichts mehr.

Ist der internationale Markt durch die Malerei der 80er-Jahre auf die deutsche Kunst aufmerksam geworden, oder wann gelang der deutschen Kunst nach 1945 Ihrer Meinung nach der Durchbruch im Ausland?

Ich kann mich erinnern, dass die deutschen Künstler, vor allen Dingen Heinz Mack und Adolf Luther, damals sagten: „Kannst du nicht etwas tun, damit wir endlich in Amerika Erfolg haben?“ Das war deren großes Ziel, international bekannt zu werden. Es passierte aber nicht. Die Beuys-Ausstellung im Guggenheim Museum ist sehr beachtet worden. Er schaffte es damals auf die Titelblätter der New Yorker Zeitungen. Das hat sich aber nicht lange gehalten. Der ganz große Durchbruch der deutschen Kunst gelang erst mit Polke, Richter und diesen Leuten. Etwa vor zehn Jahren. Auf einmal explodierten die Preise für die ZERO-Kunst. Bilder, die mit 3.000 angegeben waren, gingen auf den Auktionen für 30.000 weg und so weiter … Ich wusste, dass das irgendwann kommen würde, weil ZERO nach dem Krieg die wichtigste Kunst in Deutschland war. Aber international war das nicht anerkannt. Überhaupt nicht.

Obwohl die ZERO-Künstler doch schon in den 60er-Jahren relativ große Erfolge in den USA hatten. Ab den 1960er-Jahren stellten Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker ihre Arbeiten in den USA aus. In folgenden Ausstellungen waren die Künstler vertreten: „ZERO“, Institute of Contemporary Art in Philadelphia, 1964; „Group ZERO. Mack, Piene, Uecker“, Howard Wise Gallery, New York, 1965; „The Responsive Eye“, The Museum of Modern Art in New York, 1965. Zwischen 1965 und 1966 organisierte die Howard Wise Gallery zudem jeweils erste Einzelausstellungen der Künstler. Viel mehr, als diejenigen, die danach kamen.

Mack hat sogar eine Zeit lang in New York gearbeitet. Aber der große Durchbruch war das damals noch nicht.

Wo sehen Sie Kiefer?

Dazu habe ich persönlich ein sehr gespaltenes Verhältnis. Mir ist das zu deutsch, wenn einer in die Bilder reinschreiben muss, was es bedeutet. Mich interessiert Kiefer vom Malerischen her. Das hat wieder mit diesen grauen Bildern, vielleicht mit Arte povera oder mit Richter zu tun. Aber ich habe Kiefer nie für die ganz große Kunst gehalten. Heute sehe ich das etwas anders. Warum er so einen großen Erfolg in Amerika hatte, weiß ich nicht. Das kann mit den jüdischen Sammlern zusammenhängen. Das ist eine Vermutung. Ich habe dieses Phänomen nicht weiter untersucht, weil ich diese ganze Künstlergruppe, diese Maler, persönlich nicht für so wichtig gehalten habe.

Die Künstler der Galerie Michael Werner … Polke ausgenommen.

Ja. Polke hat mich fasziniert.

Werner hatte seinen eigenen Angaben zufolge keinen leichten Start in Köln. Er hatte allerdings zu einigen Museumsleuten, darunter Siegfried Gohr, Johannes Gachnang oder Rudi Fuchs, offenbar einen sehr guten Draht …

Ich war anders orientiert. Meine Freunde waren Charlie Ruhrberg und Werner Spies, den ich sehr verehrt habe, weil er ein brillanter Kunsthistoriker ist. Dass er sich später mit den Beltracchi-Fälschungen Werner Spies (* 1937 Tübingen) spezialisierte sich als Kunsthistoriker und Publizist auf das Werk Max Ernsts, Pablo Picassos und der modernen europäischen Avantgarden. Seit 1960 lebt er in Paris und arbeitete dort für den Süddeutschen Rundfunk sowie ab 1964 als Kritiker für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Von 1975 bis 2002 lehrte Spies als Professor für Kunst des 20. Jahrhunderts an der Kunstakademie Düsseldorf und war von 1997 bis 2000 Direktor des Centre Pompidou in Paris. 2008 wurde im Zuge der Entdeckung zahlreicher von Wolfgang Beltracchi (* 1951 Höxter) gefälschter Kunstwerke bekannt, dass Spies die Echtheit von sieben Max-Ernst-Fälschungen bestätigt hatte. so verirrt hat, ist tragisch. Das beste Buch der Kunstgeschichte, das ich gelesen habe, ist das Buch von Werner Spies über die Collagen von Max Ernst. Werner Spies, „Max Ernst – Collagen: Inventar und Widerspruch“, Köln 1974. Ich habe mich sehr viel mit Werner Spies unterhalten. Später kam auch Harry Szeemann Harald Szeemann (1933 Bern – 2005 Tegna im Tessin, Schweiz) war von 1961 bis 1969 als Direktor an der Kunsthalle Bern tätig. Dort zeigte er 1969 die wegweisende Ausstellung „Live in Your Head. When Attitudes Become Form“. Szeemann leitete die „documenta 5“ (1972) sowie die Biennale von Venedig in den Jahren 1999 und 2001. Mit seinen innovativen Ausstellungsformaten zählte Harald Szeemann zu einem der wichtigsten Vermittler der Gegenwartskunst. noch dazu. Mit ihm war ich sehr befreundet und habe ihn auch oft besucht. Er hat uns dann aus seinem Garten einen Salat zusammengestellt.

Werner Spies war damals ein großer Theoretiker bei der „F.A.Z.“. Kennengelernt habe ich ihn in der Galerie Der Spiegel. Eva Stünke stellte ihn mir vor und sagte: „Was machen wir denn nur mit dem Wernerchen? Der muss doch endlich mal Professor werden.“ Eduard Trier, ein Kunsthistoriker in Bonn, hat dann dieses Buch „Max Ernst – Collagen“ gelesen, es für gut befunden und Werner Spies schließlich zur Promotion zugelassen. Kurz danach folgte dann die Habilitation. Das hat er wirklich der Galerie Der Spiegel zu verdanken. Das war ein Netzwerk. Spies habe ich dann natürlich auch in die Jury nach Goslar geholt. Dort haben wir Nächte durchgefeiert. Für zwei Tage im Jahr war das kleine Goslar eine Weltmetropole der Kunst. Es ist sehr schade, dass es mit Tinguely damals nicht geklappt hat. Wir hatten ihn schon besucht, und ich wurde in eine seiner Klamaukmaschinen eingewiesen. Die sollte ich durch Goslar fahren. Dazu ist es aber leider nicht gekommen, weil vorher ein Artikel in der Zeitschrift „Absatzwirtschaft“ erschienen ist, in dem Herr Schenning, der Mäzen, über die geniale Idee berichtete, eine Kleinstadt, nämlich Goslar, mithilfe von Künstlern und Ausstellungen groß zu machen, ohne dass es besonders viel kostete. Denn der Mäzen hatte ja nur den Ring und das Abendessen für die Künstler bezahlt. Dafür hat er aber auch immer eine Skulptur der Künstler für sich angekauft und auf diese Weise eine ganz beachtliche Sammlung zusammengetragen. Das hatte irgendjemand gelesen und es Tinguely gesteckt. Samstagmorgens in der „F.A.Z.“ beim Frühstück las ich dann: „Tinguely hat abgesagt.“ Zu dem Mäzen habe ich dann gesagt: „Es gibt nur eine Lösung: Sie treten aus der Jury aus, und ich hole Sie wieder rein, denn ohne Sie läuft in Goslar sowieso nichts.“ Er war der Meinung, ich wollte ihm damit in den Rücken fallen, und daraufhin hatten wir zehn Jahre lang Streit beziehungsweise gar keinen Kontakt, bis ich von Peter Schenning eine Einladung bekam, wir sollten doch mal ein Glas Wein zusammen trinken. Seither duzen wir uns.

Hatten Sie irgendwelche Beziehungen in die DDR?

Nein. Obwohl ich öfter da gewesen bin, weil meine zweite Frau in St. Petersburg geboren ist, und sie hat auch ein Buch über St. Petersburg geschrieben: „Die wiedergefundene Stadt“. Als wir 89 mit der Perestroika endlich nach Petersburg oder Moskau reisen konnten, dachte ich, da muss die Kunst doch jetzt explodieren. Das, was immer unterdrückt wurde, muss doch jetzt zum Vorschein kommen. Aber es war nichts da.

Ich war vielleicht zweimal auf diesen Leipziger Ausstellungen in der DDR. Da ging man schon mit Bauchschmerzen durch. An der Grenze wurde man behandelt wie der letzte Heini. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, wie wir da drangsaliert wurden. Es war die Hölle. Und diesen Sozialistischen Realismus Der Sozialistische Realismus war eine Kunstströmung des 20. Jahrhunderts, die sich an der Weltanschauung und Ideologie des Marxismus-Leninismus ausrichtete. Neben einem sozialistischen Ideengehalt sollten sich im Kunstwerk ebenso Volksverbundenheit und Wahrheitsanspruch manifestieren. Die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe einer sozialistisch verstandenen Gesellschaft durch die Mittel der Kunst war hierbei das zentrale Ziel. 1932 erklärte Josef Stalin den Sozialistischen Realismus zur einzig gültigen Kunstform der Sowjetunion. In den Folgejahren übte dieser auch auf die Staatskunst der DDR und Chinas starken Einfluss aus. Die Künstler Bernhard Heisig (1925–2011) und Willi Sitte (1921–2013) zählten zu den wichtigsten Vertretern der Strömung innerhalb der DDR. Siehe auch: Martin Damus, „Malerei der DDR – Funktionen der bildenden Kunst im Realen Sozialismus“, Berlin 2002. fand ich fürchterlich. Ich konnte auch später nicht damit leben, dass beispielsweise Neo Rauch, der aus dieser Schule kam und auch so malte, damit so einen Erfolg hatte.

Bis heute verstehen Sie das nicht?

Nein. Ich war mit Judy Lybke, der das ja protegiert hat, zusammen in Tokio auf einer Messe. Jeden Abend haben wir uns aus Frust in einer Kneipe verlustiert und über Gott und die Welt gesprochen. Damals trug er noch seinen Kommunionsanzug, heute nur die maßgeschneiderten Sachen. Weil ich Judy Lybke unterstützen wollte und auch neugierig war, habe ich in meiner Galerie eine Ausstellung mit KAESEBERG „KAESEBERG. Neue Arbeiten“, Galerie Heinz Holtmann, Köln, 1992. gemacht. Ich habe aber auch schnell wieder die Finger davon gelassen. Die DDR-Kunst hat mich nicht überzeugt. Und Judy Lybke ist international auch nur durchgekommen, weil er diesen unsäglichen Ossi-Bonus hatte. Er ist natürlich ein geschickter Arrangeur, Aussteller und Manipulator. Oder Verkäufer. Ich habe großen Respekt, dass er es geschafft hat, denn als wir uns das erste Mal begegneten, war er wirklich am Anfang seiner Karriere. Ich dachte damals, ich könnte ihm helfen – heute hat er uns lange überholt.

Sie haben Dieter Roth, Joseph Beuys und die ZERO-Künstler ausgestellt. Sie haben die Malerei der 80er-Jahre gezeigt – waren Sie auf die deutschen Künstler fokussiert?

Früher bin ich mindestens vier-, fünfmal pro Jahr in New York gewesen. Ich kannte die Szene sehr gut und hatte auch den einen oder anderen amerikanischen Künstler im Programm, die ich aber nie so richtig groß rausgebracht habe. Andy Warhol habe ich das erste Mal bei einem deutschstämmigen Chocolatier in New York getroffen. Da gab es frische Erdbeeren, in dunkle Schokolade getaucht. Das war sehr berühmt, da musste man einfach hin. Und dann stand vor mir an der Theke Andy Warhol. Ich erzählte ihm, dass ich eine große Ausstellung mit seinen Arbeiten aus der Sammlung von Gunter Sachs „Andy Warhol. Bilder, Grafik, Filme“, Kunstverein Braunschweig, 16. November – 30. Dezember 1973. in Braunschweig gemacht hatte. Braunschweig sagte ihm nichts, er wollte aber wissen, ob das in Ost- oder Westdeutschland sei.

Später habe ich mit der Galerie Schellmann & Klüser eine große Warhol-Ausstellung gemacht. „Andy Warhol. Neue Bilder und Grafik“, Galerie Heinz Holtmann, Köln, März 1982. Insgesamt habe ich vielleicht drei oder vier Warhol-Ausstellungen gemacht. Der Verkaufserfolg war sehr mäßig. Die Druckgrafik konnte man verkaufen. Hier in Köln insbesondere den „Kölner Dom“ Andy Warhol, „Cologne Cathedral (F. & S. II. 361–364)“, Edition Hermann Wünsche, Auflage 60 Exemplare, 1985. . Die Arbeit kostete damals 3.000 oder 4.000 D-Mark. Heute wahrscheinlich 30.000 Euro oder mehr. Außerdem habe ich mich um die Italiener gekümmert. Das war natürlich im Zusammenhang mit den Jungen Wilden. Warhol war eigentlich der wichtigste Künstler, den ich ausgestellt habe. Er kam aber nie zur Eröffnung. Wir haben uns immer irgendwo anders getroffen. Ich habe ja auch eine Fotoedition gemacht: „Beuys und Warhol“ „Beuys und Warhol (New York 1979, 3 Motive)“, Edition Galerie Heinz Holtmann, Auflage 50 Exemplare, 1982/83. . Die hat Beuys bereitwillig von 1 bis 33 signiert. Die Fotografin, die das damals gemacht hat, hatte die Idee, dass Warhol ebenfalls signieren sollte. Er ist aber nur bis Nummer 10 gekommen, dann kam sein Manager dazwischen: „Jede Signatur kostet 5.000 Dollar.“

In den letzten Jahren haben Sie auch einige Künstlerinnen im Programm gehabt. War das Verhältnis von Künstlerinnen und Künstlern für Sie je ein Thema?

Ja, das war ein großes Thema. Plötzlich kam Alice Schwarzer bei mir in die Galerie.

Ah, schön!

Sie hat mich beschimpft, ich hätte viel zu wenige Frauen in der Galerie … Heute sind wir eng befreundet.

Hatten Sie überhaupt Frauen?

Damals sehr wenige. Die wichtigste war Elvira Bach.

Können Sie mir etwas über die Malerei von Elvira Bach sagen?

Eine schwierige Dame. Ich glaube, ich habe auf der Messe in Köln einen Großsammler zur Kunst gebracht. Er hat bei mir sein erstes wichtiges Bild gekauft. Ein großes Ölbild von Elvira Bach. Es war kein Geringerer als Reinhold Würth. Er war damals schon der wichtige Sammler, der sagte: „Ich habe sogar meinen Bürgermeister mitgebracht.“ Ich fragte: „Aus welchem Ort denn?“ – „Künzelsau.“ – „Das sagt mir nichts. Wo ist das denn?“ Später hat Herr Würth dann auch noch mein teuerstes Bild von Andy Warhol erworben.

Ich kann mich erinnern, dass wir mit Elvira Bach nächtelang durchgetanzt haben. Das war in La Croix-Valmer an der französischen Riviera. Es waren mehrere Künstler dabei. Wir haben dort Urlaub gemacht, und in dem Haus, in dem wir ein Apartment gemietet hatten, wohnte über uns Elvira Bach. Meine Frau hat sich gar nicht mit ihr verstanden, ich weiß aber nicht mehr, was der Grund dafür war. Ich fand Elvira großartig, weil sie eine tapfere Frau war. Sie war unglaublich erfolgreich. Aber irgendwann sagte ich ihr: „Elvira, ich kann deine Kunst nicht mehr ausstellen. Es wiederholt sich stark und ist mir leider zu dekorativ.“ Sie hat sich immer wieder selbst gemalt, hunderttausendfach. Und irgendwann war der Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr damit arbeiten wollte. Sie war damals sehr erbost darüber.

Ich habe immer sehr enge Beziehungen zu den Künstlern gehabt. Das ist ja wie eine Ehe. Das war mein großes Prä, dass ich mit den Künstlern, mit denen ich gearbeitet habe, auch immer befreundet war. Und irgendwann gab es dann Schwierigkeiten, sodass wir nicht mehr zusammenarbeiten konnten. Bernd Zimmer hat sich von mir getrennt, als ich begann, Günther Förg auszustellen. Bei Fetting war der Alkohol der Grund. Darüber haben wir uns einmal fürchterlich zerstritten. Und im Fall von Elvira Bach konnte ich eben irgendwann mit der Kunst nichts mehr anfangen.

Salomé war immer pflegeleichter. Sehr nett und freundlich. Ich habe ja mehrere Museumsausstellungen mit ihm gemacht. In mittelgroßen Museen habe ich ihn damals überall untergebracht. Er war wirklich einer der ganz Großen. Auf einem Fest in Bonn stand er irgendwann auf und sagte: „Ich will der nächste Kanzler werden.“ Der plötzliche Ruhm stieg ihnen zu Kopf. Sie kamen nicht damit zurecht, dass der Preis eines Bilds von 2.000 D-Mark plötzlich auf 30.000 D-Mark und mehr anstieg. Das passierte innerhalb von ein, zwei Jahren.

Ich möchte noch mal auf den Besuch Alice Schwarzers in Ihrer Galerie zurückkommen …

Sie kam und hat die Quote angemahnt …

Und wären Sie selbst nicht darauf gekommen?

Nein. Das war damals im Bewusstsein nicht verankert. Das wurde wirklich von dieser Frauenbewegung an uns herangetragen. Dadurch haben wir begonnen, über die Sache nachzudenken. Für mich war es eigentlich ein Fakt der Geschichte, dass Frauen in der Regel keine großen Künstlerinnen waren. Einige wenige gab es natürlich, wie zum Beispiel die Künstlerinnen in Worpswede, Paula Modersohn … Es gab schon starke Frauen. Aber ich bin wirklich erst von außen darauf gestoßen worden.

Und die Frauen, die hier waren – Isa Genzken, Rebecca Horn, Ulrike Rosenbach, Katharina Sieverding … Warum haben Sie mit denen nie zusammengearbeitet?

Ulrike Rosenbach ist bei mir im Programm!

Aber seit wann?

Sehr spät. Seit sechs, sieben Jahren. Ich habe einen alten Brief gefunden, in dem sie mich fragte, ob ich sie nicht mal ausstellen könnte. Das ist lange her. Es gab noch mehr Künstler, die das gemacht haben, einige habe ich möglicherweise ziemlich vor den Kopf gestoßen.

Was war mit Isa Genzken?

Hatte ich nie einen Draht zu. Ich habe sie natürlich irgendwann durch Richter kennengelernt. Aber mit den damaligen Arbeiten konnte ich wenig anfangen.

Und die anderen Beuys-Schüler? Hat Sie das interessiert?

Nein.

Immendorff, Chris Reinecke …

Das war für mich immer eine Kategorie: Lüpertz, Baselitz, Immendorff. Das hat mich nie interessiert. Ich glaube, das ist eine ganz starke Fraktion. Entweder man liebte sie, oder man liebte sie nicht.

Interessant finde ich, dass Sie viele Ihrer Ausstellungen gemacht haben, ohne notwendigerweise die Urheber, das heißt die Künstler, miteinzubeziehen. Das würde man ja heute eher nicht mehr machen.

Wenn man anfängt, hat man wenig Geld. Dass ich hier mit Beuys angefangen habe, ist eine Sensation. Auch, dass ich den Mut hatte, mit Beuys zu eröffnen. Das kriegen Sie ja heute gar nicht mehr hin.

Wenn ich noch die Arbeiten meiner ersten Ausstellung aus Hannover hätte, wäre ich heute Millionär. Da kostet jedes Bild heute zwei, drei Millionen. Damals konnte ich sie nicht verkaufen. Ich war gleich mit der ersten Ausstellung in der „Bild“-Zeitung, weil ich zwei blaue Bilder und ein weißes Bild von Yves Klein hatte.

Wo hatten Sie die her?

Das weiße hatte ich, glaube ich, von Werner Ruhnau und das blaue von Adolf Luther. Der hat das gesammelt. Die hatten mir die Bilder zum Verkauf gegeben. Und dann schrieb die „Bild“-Zeitung: „Galerie Holtmann Neueröffnung: Er bringt es fertig, weiße Bilder mit nichts drauf für 120.000 D-Mark anzubieten.“ Daraufhin bekam ich einen Anruf vom alten Schmela: „Du hast jetzt das weiße Bild? Was kostet das jetzt?“ – „120.000.“ – „Weißt du, für wie viel ich es verkauft habe? Für 700 D-Mark, glaube ich, 1967“. Heute wird das Bild mindestens zwei, drei Millionen kosten.

Sie haben auch eine Ausstellung mit Timm Ulrichs in Braunschweig „Timm Ulrichs. Retrospektive 1960–1975“, unter anderem Kunstverein Braunschweig, Braunschweig, 26. September – 09. November 1975. gemacht.

Oh ja, ich war der erste Kämpfer für Timm Ulrichs. Ich war mit ihm befreundet und habe ihn gesammelt. Die Ausstellung, mit einem 120-Seiten-Katalog, war für ihn der Durchbruch, würde ich sagen.

Von dem Text Heinz Holtmann, „Timm Ulrichs – Totalkünstler“, in: „Timm Ulrichs. Retrospektive 1960–1975“, Ausst.-Kat. u. a. Kunstverein Braunschweig, Braunschweig 1975, S. 7–9. zur Ausstellung war ich etwas überrascht …

War ich da schon zu kritisch?

… ziemlich distanziert.

Ich kann mich erinnern. Einiges kam vom Dadaismus, das waren nicht unbedingt alles seine Erfindungen. Ich habe ihm dennoch die Treue gehalten. Auch heute habe ich noch sehr schöne Arbeiten von ihm.

Was genau ist das Problem mit Timm Ulrichs?

Das kann ich Ihnen sagen. Er war immer zu preiswert, das war sein Handicap. Er wollte seine Arbeiten immer sehr günstig unter die Leute bringen. Das kostete wirklich fast nichts. Deswegen konnte ich mir die Sachen auch leisten. Er fragte immer: „Wann stellst du mich aus?“ – „Ich mache keine Ausstellung mit dir, wenn die Sachen nicht fertig sind.“ Ich habe unter dieser Ausstellung in Braunschweig gelitten. Ich habe ihn nachts im Kunstverein eingeschlossen, weil er nicht fertig wurde. Er hat noch gehämmert, als die ersten Leute kamen. Und da habe ich gesagt: „Das werde ich als Galerist niemals dulden. Wenn die Ausstellung fertig ist, kannst du es mir sagen. Ich gucke mir alles an. Dann machen wir eine Ausstellung und auch einen schönen Katalog. Aber du wirst nicht bis zur letzten Minute daran arbeiten.“ Es war immer das Gleiche. Man bekam ihn ja nicht zu fassen. Meine Frau hat bei „Westermanns Monatsheften“ gearbeitet und hat auch die Kunstbücher betreut. Timm Ulrichs war ein rotes Tuch für uns. Er hat bis nachts korrigiert: „Du, ich muss den Text noch mal zurückhaben. Ich glaube, es fehlt ein Komma.“ Aber bei aller Kritik waren wir immer in Freundschaft verbunden.

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Heinz Holtmann