Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

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Jürgen Schweinebraden

Jürgen Schweinebraden

Jürgen  Schweinebraden

Jürgen Schweinebraden

Niedenstein, 29. Juni 2016

Franziska Leuthäußer: Wie kamen Sie zur Kunst?

Jürgen Schweinebraden: Die Antwort ist relativ einfach. Wie immer im Leben: über Freundschaften. Eine davon war mit Ralf Winkler, später A.R. Penck A.R. Penck (eigtl. Ralf Winkler; 1939 Dresden – 2017 Zürich) absolvierte von 1955 bis 1956 eine Lehre als Zeichner bei der Deutschen Werbe- und Anzeigengesellschaft (DEWAG) in Dresden. Anfang der 1960er-Jahre entstanden seine ersten „Systembilder“ und „Weltbilder“, aus denen er in den folgenden Jahren das künstlerische Konzept „Standart“ entwickelte. Seine erste Ausstellung in Westdeutschland hatte Penck 1970 in der Galerie Michael Werner in Köln. Im August 1980 wurde er offiziell aus der DDR ausgebürgert und siedelte aufgrund seiner Kontakte zur Galerie Michael Werner ins Rheinland über. Von 1989 bis 2005 war Penck Professor für Freie Grafik an der Kunstakademie Düsseldorf. Nach seiner Emeritierung lebte Penck in Dublin, Irland. Seine Arbeiten waren unter anderem auf der documenta 5 (1972), 7 (1982) und 9 (1992) ausgestellt. . Die Künstler zeigten mir ihre Bilder, und dann unterhielten wir uns. Es ging zuerst weniger um die Malerei als solche, sondern das waren Gespräche über alles Mögliche, über Existenzialismus und so weiter … Was man sich im Alter von 25 Jahren eben so erzählte. Wir hatten auch relativ guten Zugang zu Literatur aus Westdeutschland – die Rowohlt-Bücher gingen hin und her –, sodass man immer einigermaßen gut informiert war, auch wenn Dresden eine besonders schlechte Ecke gewesen ist. In Dresden hat man über Fernsehen oder Rundfunk kaum etwas empfangen können. Nur die starken Sender, das war meistens der AFN AFN (American Forces Network) ist ein Radiosender der US-Streitkräfte, der 1943 gegründet wurde, um die im Ausland stationierten US-amerikanischen Soldaten mit einem englischsprachigen Musik- und Nachrichtenprogramm zu versorgen. Ab 1945 lag das Hauptquartier des AFN Europa in Frankfurt am Main. Der Sender konnte über eine starke Mittelwellenfrequenz empfangen werden. .

Wir haben uns also eigentlich mehr über den Jazz kennengelernt als über die bildende Kunst. Ein wesentlicher Kondensationspunkt war eine Veranstaltung von einem Musikkritiker, der die Möglichkeit hatte, Schallplatten aus Westdeutschland zu bekommen. Er hatte die sogenannte Arbeitsgemeinschaft Jazz gegründet, die sich im Pionierpalast von Dresden – einem der Lingnerschlösser – traf. Es ist seltsam, dass man in einer so politisch angehauchten Atmosphäre über amerikanischen Jazz, über amerikanische Musik sprechen konnte. Er hatte einen ganz lässigen Trick, er sagte: „Das ist die Musik der Unterdrückten.“ Das war die Basis, auf der man sich getroffen und unterhalten hat. Es fing mit Blues an und ging zu diesen moderneren Sachen wie Gerry Mulligan Gerry Mulligan (1927 Long Island, New York – 1996 Darien, Connecticut) war ein Baritonsaxofonist, Arrangeur und Komponist, der als einer der Mitbegründer der Stilrichtung desCool Jazz in den 1950er-Jahren gilt. und Ähnlichem über. Wir waren eine relativ kleine Jazz-begeisterte Truppe von Jugendlichen. Und wie sich dann herausstellte, waren viele davon auch bildende Künstler, die bei Jürgen Böttcher, dem späteren Filmemacher in der DDR, mit Pseudonym Strawalde, in der Volkshochschule ihre Grundausbildung in Malerei erhielten. Im Wesentlichen waren das Ralf Winkler, Peter Graf, Peter Herrmann Peter Herrmann (* 1937 Großschönau) wurde als Chemigraf ausgebildet und gehörte ab 1971 zu den Mitbegründern der Künstlergruppe Lücke, ab 1974 konnte er als Mitglied des Verbands Bildender Künstler der DDR offiziell freischaffend arbeiten, nachdem er zunächst aus politischen Gründen abgelehnt worden war. 1984 siedelte Herrmann in die BRD über. und Winfried Dierske. Wir wohnten nah beieinander, sodass man immer engen Kontakt hatte. Die Situation damals war bedrückend. Es gab natürlich keine Atelierräume, die Bilder wurden in den Wohnungen gemalt. Wenn man da für eine knappe Stunde zum Bilderangucken hinkam, war das für die Künstler und auch für den Besucher, wenn er ein bisschen sensibel war, irgendwie belastend. Die Bilder waren im Schlafzimmer hinterm Schrank oder sonst wo verstaut, und es war stundenlange Arbeit, um das hervorzuholen und zu zeigen. Das war einerseits Unterhaltung, andererseits haben wir die Bilder auch in freundschaftlichen Gesprächen beurteilt.

Sie waren „Besucher“, Rezipient. Wen gab es damals noch, der sich so wie Sie für die Kunst interessiert hat, ohne selbst Künstler zu sein?

Das waren andere Freunde. Der Freundeskreis war nicht hermetisch abgeschlossen. Einer hatte wieder andere Freunde oder Bekannte der Eltern, die wissen wollten, was die Kinder machten. Aber insgesamt war es eine unbefriedigende Situation. Neben meinem Studium der Psychologie hatte ich immer auch ein nicht-fachbezogenes Interesse und habe zum Beispiel Vorlesungen bei den Architekten mitgehört. Vor allen Dingen über Ästhetik. Dort habe ich wiederum Leute kennengelernt, die sich auch mehr oder weniger intensiv mit Kunst beschäftigten, sodass sich der Freundeskreis in Dresden auch erweiterte. Zu den späteren Begegnungen gehört Jürgen Schieferdecker, der international weniger bekannt ist, in der DDR aber eine größere Rolle gespielt hat. Er hat neue Techniken in die Kunst der DDR eingeführt und hatte immer den Anspruch, ein politischer Künstler zu sein. Das hat er auf eine sehr subversive Art umgesetzt. Nachdem er mit der Malerei aufgehört hat, ist er zu Siebdrucken und anderen neueren Techniken übergegangen und hat dadurch auch eine andere Verbreitung gefunden.

Im Grunde ist dieser Freundeskreis der Kondensationspunkt geworden und geblieben – auch für die bildende Kunst. Hinzu kam, dass die Großmutter meiner ersten Frau eine Galerie in Stuttgart hatte. Auch dadurch ergaben sich Kontakte zur Kunst. Es schien so, als ob die Kunst zu einem wichtigen Bereich meines Lebens werden sollte.

Haben Sie damals eine gesellschaftliche Funktion von Kunst gesehen oder ausmachen können?

Die wurde uns mit der Ideologie eigentlich vorgeschrieben: Kunst hat in der DDR immer eine bedeutende gesellschaftliche Rolle gespielt, immer mit Blick auf die Ideologie der DDR. Es war nicht so, dass man Kunst allgemein als gesellschaftliches Phänomen gesehen hat, sondern man hat in einer konkreten Weise von der Kunst erwartet, dass sie den Zielen des Sozialismus dient. Das war natürlich eine Kunstform, die der meiner erwähnten Freunde überhaupt nicht entsprach. Sie hatten einen viel weiteren Blick, der durchaus auch durch Böttcher initiiert worden war. Es gibt frühe Bilder, von Peter Herrmann zum Beispiel, in denen er sich mit dem Lumumba-Regime in Afrika auseinandersetzte. Das war auch wiederum durch den Jazz bedingt, dadurch hatte man eine Beziehung zu afrikanischer Kunst. Das heißt, die künstlerischen Auseinandersetzungen bezogen sich weniger auf die sozialistische Realität, sondern darauf, was dem Künstler am nächsten lag. Das waren einerseits Soul und Jazz, das waren aber auch Stadtlandschaften. Es gibt von Herrmann einige sehr schöne Bilder von Dresdener Stadtlandschaften. Was ich dann erst später in Westdeutschland festgestellt habe – wenn man das in der DDR selbst alles miterlebt hat, hat man das natürlich nicht so stark empfunden, weil man selbst in dem Umfeld steckte –, ist, dass diese Bilder alle einen Grauton hatten. Es gab außer den sozialistisch verordneten Farben, die von anderen Malern wahrgenommen wurden, in den Bildern immer eine gewisse Dumpfheit. Vorwiegend Grautöne und dunkles Grün. Peter Herrmann verbrachte später eine Zeit lang bei Penck im Atelier in London und kam plötzlich mit Londoner Stadtlandschaften von einer Farbigkeit an, dass man einen deutlichen Bruch – psychologischer oder soziologischer Natur – erkennen konnte. Das muss eine ganz andere Empfindung des Künstlers gewesen sein; die Wahrnehmung wurde ganz anders reflektiert, als das in der DDR der Fall gewesen ist. Das war natürlich schon eine tolle Erkenntnis. Es gab nicht so fürchterlich viele Künstler, die eine hohe Qualität aufwiesen und sich vollkommen jenseits der sozialistischen Gepflogenheiten bewegen konnten. Es waren auch existenzielle Probleme, die dabei eine Rolle spielten. Man konnte von Kunst alleine in der DDR nicht leben. Es sei denn, man war in dem Verband Bildender Künstler Der Verband Bildender Künstler der Deutschen Demokratischen Republik, VBK, wurde 1950 gegründet. Die Mitgliedschaft im VBK erlaubte den Künstlern in der DDR, freischaffend zu arbeiten und war Voraussetzung für die Auftragsvergabe für Kunstwerke, die durch den Staat finanziert wurden. Außerdem war der VBK für die Auswahl der Künstler an Ausstellungen im In- und Ausland zuständig und organisierte unter anderem alle vier Jahre die Dresdener Kunstausstellung. Auch Auslandsreisen in den Westen konnten über den VBK beantragt werden. Die Aufnahmekriterien waren mit einem dreijährigen Kandidatenstatus verbunden und von den Qualitäts- und Gesinnungskriterien der DDR-Kulturpolitik abhängig. 1990 wurde der VBK auf einer Generalversammlung aufgelöst. Vgl. Constanze Musterer, „Hintergrund. Der Verband Bildender Künstler der DDR“, auf der Internetseite der neuen Gesellschaft für bildende Kunst e.V., nGbK, unter: http://ngbk.de/alexanderplatz/hintergrund/verband.html (eingesehen am 26.05.2017). . Dann bekam man über den Verband oder von den Kommunen – man kann fast sagen – Staatsaufträge, die natürlich mit gewissen Erwartungen, die Kunst betreffend, verknüpft waren.

Dass Sie der am Sozialismus orientierten Kunst nichts abgewinnen können, wussten Sie von Anfang an? Haben Sie die Strukturen bereits in jungen Jahren überblickt?

In dieser Dresdener Zeit war die Beschäftigung mit Kunst eigentlich keine intensive. Das lief eher über Gespräche und die Bilder, die man bei den Freunden gesehen hat. Mit Penck war es insofern intensiver, weil er der Belesenste von allen war. Er hat Literatur verschlungen, wie hungrige Leute ein Stück Brot essen. Er hat sich mit sehr vielen Dingen auseinandergesetzt. Er war zum Beispiel der Einzige, der die DDR-Zeitschrift für Deutsche Philosophie Die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“ (DZfP) wurde ab 1953 von einem Gremium in der DDR herausgegeben, dem als ständige Mitglieder Arthur Baumgarten, Ernst Bloch, Wolfgang Harich und Karl Schröter angehörten. Bis zur Wiedervereinigung 1989 lag ein Schwerpunkt der Zeitschrift auf der philosophischen Auseinandersetzung mit den theoretischen Strömungen des wissenschaftlichen Sozialismus. Seit 1992 erscheint die Zeitschrift im Akademie Verlag in Berlin (heute Verlag Walter de Gruyter). fast immer von vorne bis hinten gelesen hat. Dadurch konnte er auf einer Ebene mitdiskutieren, die andere gar nicht so sehr interessierte. Also man hatte bereits in der Jugend einen gewissen Abstand zu dem, was von einem eigentlich erwartet wurde und war kein Epigone dieser Dinge. Ich glaube, ich habe nie ein FDJ-Hemd oder dergleichen besessen. Diese Art war zwar nicht erwünscht, aber es war möglich. Wer diesen Spielraum wahrnehmen wollte, hatte dazu die Möglichkeit. Die sozialistische Kunst hat mich im Grunde nie interessiert. Es gab Leute wie Hans Grundig Hans Grundig (1901 Dresden – 1958 Dresden) war ein Maler und Grafiker, der sich in seinem gegenständlichen Werk sozialen und historischen Themen widmete. 1926 trat er in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein und gehörte 1929 zu den Mitbegründern der Dresdener Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands. 1932 nahm er an der Ausstellung „Revolutionäre Kunst in den Ländern des Kapitalismus“ in Moskau teil, während er in Deutschland nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mehrfach verhaftet und 1934 mit einem Berufsverbot belegt wurde. Von 1940 bis 1944 wurde Grundig im Konzentrationslager Sachsenhausen gefangen gehalten, von wo er aus einem Strafbataillon zur Roten Armee flüchten konnte. Von 1946 bis 1948 war er Rektor der Hochschule für Bildende Künste Dresden. , in dessen Arbeiten man etwas mehr gesehen hat als das, was man sehen sollte. Das waren Maler, die eigentlich nur benutzt wurden oder die in den 20er-Jahren schon in dieser Richtung gearbeitet hatten – und vor allen Dingen in ihrer kritischen Sicht auf die Gegenwart eine gewisse Bedeutung bekommen hatten, die man dann auch im Sozialismus nutzen konnte.

Die Möglichkeit, nach Berlin zu gehen, hat sich eigentlich erst ergeben, als ich meine jetzige Frau kennenlernte. Wir wollten natürlich zusammenziehen, und es gab in Berlin immer irgendwelche Möglichkeiten, eine Wohnung, in West-Berlin sagte man „besetzen“ konnte. Trotz aller Restriktionen, die damit verbunden waren. Wenn man das Ganze auf offiziellem Wege machte, war das meist ausgesprochen schwierig. Wir hatten das Glück, dass wir in einem Privathaus in der Dunckerstraße untergekommen sind. Wir konnten die Wohnung eines Freunds übernehmen, der dort ausgezogen ist und stellten dann fest, dass hinter unserer Wohnung und über unserer Wohnung noch eine Wohnung war. Die berühmten Hinterhofwohnungen in Berlin: ein Korridor, der dann gleichzeitig fast die Küche war und ein Raum. Aber man konnte etwas aus diesen Dingen machen.

Warum sind Sie von Dresden nach Berlin gegangen?

Ich hatte keine richtige Lust mehr auf die Arbeit, die ich damals machte. Ich arbeitete im Deutschen Hygiene-Museum, was insofern gar nicht so schlecht war, als ich dort auch sehr viel mit Werbung und ähnlichen Sachen zu tun hatte. Von der Arbeit her war also irgendwie immer schon ein Bezug zu grafischen Dingen gegeben. Aber ich wollte das nicht mehr machen und bin dann nach Berlin gegangen. Dort war ich beim Rundfunk, und es haben sich immer weitere Arbeitsmöglichkeiten ergeben, sodass ich in Berlin hängengeblieben bin. Obwohl die meisten Freunde eigentlich in Dresden waren. Auch Herrmann und Penck sind von Dresden später in den Westen ausgereist. Einige der Künstler habe ich später auch ausgestellt. Ich habe mich in der Galerie eigentlich wenig mit DDR-Kunst beschäftigt. Ganz wenige Leute aus der DDR, die mich von ihren Themen her interessierten, habe ich gezeigt. Rolf Händler zum Beispiel. Er hatte mal eine Porträtserie gemacht. Das war eigentlich ganz interessant. Sonst gab es in der DDR Leute, die sich als Künstler bezeichneten und Kunst auch als eine Art Gegenposition verstanden, die aber qualitativ so unter aller Kanone waren, dass ich sie nicht ausgestellt habe.

Waren Sie damals viel in den Museen, oder hatten Sie Zugang zu irgendwelchen Zeitschriften, um sich zu informieren?

Man hätte natürlich immer ins Museum gehen können. In den Museen ist aber in den meisten Fällen – abgesehen von der alten Kunst – nur sozialistische Kunst oder realistische Kunst gezeigt worden, die mich nicht interessierte.

Sie haben das kategorisch abgelehnt, weil es ideologisch war? Oder haben Sie das gar nicht als Kunst wahrgenommen?

Man hat es schon wahrgenommen, aber nicht ernst genommen. Das ist insofern wichtig, als dass dadurch auch eine ganz persönliche Haltung gegenüber dem System zum Ausdruck gebracht wurde. Alte Kunst hat mich weniger interessiert, weil ich dafür vielleicht zu sehr mit meinen Füßen auf der realistischen Ebene stand.

Als wir mit der Galerie begonnen haben, zu Anfang mit vollkommen unbekannten Bildern von Penck, war es eigentlich immer eine Doppelbelastung. Ab 1973 zeigte Jürgen Schweinebraden in der EP Galerie in der Dunckerstraße 17 in Berlin-Prenzlauer Berg zeitgenössische Kunst. Die erste Ausstellung – „Frühe Arbeiten“ – war Penck gewidmet. 1974 eröffnete die EP Galerie offiziell mit der Gruppenausstellung „in memoriam P.P.“. Siehe auch: Jürgen Schweinebraden, „Reflexionen und Beschreibungen einer vergangenen Zeit. Erinnerungen 1956–1980“, in: Günter Feist u. a. (Hg.), „Kunstdokumentation SBZ/DDR, 1945–1990. Aufsätze, Berichte, Materialien“, Köln 1996, S. 676–727, S. 698 f. Ich habe die Galerie, die ja eine informelle Galerie war, neben meiner Arbeit als Psychologe, Soziologe und Leiter der Ehe-, Familien- und Sexualberatungsstelle getätigt, sodass damit meine ganze Zeit verplant war. Ein Gang ins Museum war zeitlich gar nicht drin. Da ist man lieber mal ins Schwimmbad gegangen.

Sie haben eben beschrieben, dass die Künstler ihre Arbeiten in ihren Wohnungen hinter Schränken hervorholten, wenn es jemanden gab, der sich dafür interessierte. Warum war Ihnen daran gelegen, dass diese Kunst gesehen wird?

Weil ich merkte, dass gerade diese Leute keine offiziellen Möglichkeiten hatten, in der DDR auszustellen, und ich selber – das war sehr subjektiv – die Sachen so gut fand, dass ich der Meinung war, man sollte das zeigen und mehrere Leute sollten es gleichzeitig betrachten können. Denn wenn es mehrere sehen, gibt es auch einen Austausch über diese Dinge. Als Psychologe und Soziologe war ich natürlich gerade auch an Kommunikation und nicht bloß an Rezeption interessiert. Ich wollte, dass man sich darüber unterhält und austauscht.

Und wie ging das vonstatten? Die Eröffnungen waren scheinbar immer sehr gut besucht. Das kann man nachlesen. Aber wie hat dieser „Austausch“ stattgefunden?

Der hat manchmal auch jenseits des Galerieraums stattgefunden. Da hat man sich irgendwo getroffen, und dann wurde darüber geredet.

Waren das inhaltliche Gespräche? War das ein Diskurs über die Exponate in Ihren Räumen? Was war der Anlass?

Der Anlass war, dass das Dinge waren, die man woanders nicht sehen konnte. Zum großen Teil habe ich Leute aus Westdeutschland und aus westlichen Ländern ausgestellt. Das war mein Schwerpunkt. Und dann wurden auch Beziehungen zu dem, was man aus der DDR – möglicherweise auch aus den Museen – kannte, hergestellt. Es haben sich oft Gespräche ergeben, die natürlich auch ablehnend waren, weil das, was gezeigt wurde, unter Umständen nicht akzeptiert wurde. Weil es zu fremd oder in vielen Fällen auch zu blöd war. Ich kann mich entsinnen, dass ich einmal – das war wahrscheinlich eine der ersten Performances in der DDR – eine Arbeit von einem Tschechen gezeigt habe, von Petr Štembera Petr Štembera (* 1945 Plzeň, Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik) ist ein Künstler, der im Bereich der Body-Art arbeitete. Im Sommer 1976 zeigte er eine Performance in der EP Galerie in Ost-Berlin. . Da saßen die Leute und sagten: „Den Mist kann ich auch selber machen.“ Es ist also gar keine Relation hergestellt worden. Aber das Neuartige ist als neuartig, als andersartig und unter Umständen auch als negativ wahrgenommen worden. Und dann gibt es sofort ein Gespräch. Wenn es einfach heißt „Das sieht klasse aus, das ist prima. Das ist ein tolles Bild“, folgt darauf keine Kommunikation. Die Kommunikation entsteht erst in der gegensätzlichen Meinung.

Wie kamen Sie auf die Performancearbeiten? Hatten Sie das irgendwo gesehen?

Man hatte, gerade in Berlin, Kontakte zu Leuten. Sowohl über die Vertretung 1972 wurde im Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR die Einrichtung von je einer Ständigen Vertretung der beiden Staaten auf dem Gebiet des Nachbarn beschlossen, die de facto einer regulären Botschaftsinstitution entsprachen. Der Name sollte jedoch vermitteln, dass es sich aus Sicht der BRD nicht um eine Institution im Ausland, sondern in zwei innerdeutschen Staaten handelte. Die Ständigen Vertretungen wurden 1974 in Ost-Berlin und Bonn eröffnet. als auch über Bekannte von Bekannten kam man gelegentlich an Material ran. Wenn uns Freunde aus Westdeutschland besuchten, wussten die, sie müssen nicht unbedingt eine Flasche Whisky mitbringen oder Zigarren, sondern die haben dann einen Kunstkatalog mitgebracht. Ich verfügte also schon relativ früh über Publikationen, die ich dann wiederum an andere verliehen habe. Das erste Material über Performances habe ich von Ursula Block Ursula Block studierte Bühnenbild und Design in Köln. Sie siedelte 1962 nach Berlin über, wo sie ab Ende der 1970er-Jahre in der Galerie ihres Ehemanns René Block arbeitete. 1981 eröffnete sie in Berlin-Wilmersdorf die Galerie Gelbe Musik. Dieser war ein Plattenladen mit einer breiten Auswahl an avantgardistischer Musik angeschlossen. , der Frau von René Block, bekommen. Es gab immer irgendwie einen Austausch. Die Empfehlungen liefen zum Teil auch über den Deutschen Akademischen Austauschdienst. Ein späterer Bekannter, Thomas Deecke, war damals Leiter des DAAD in Berlin. Und der war wiederum befreundet mit einem von der Ständigen Vertretung. Über den kamen dann auch die Leute zum Teil zu uns.

Die Künstler sind über die Vertretung zu uns gekommen, oder sie haben Dinge mitgebracht, die relativ unauffällig waren, sodass es über die Grenze gebracht werden konnte. Da gab es natürlich Einschränkungen. Große Bilder von westdeutschen Künstlern konnte ich nicht ausstellen. Die größte Arbeit war einmal ein Bild von 300 x 150 Zentimeter. Das war von Ulrich Erben Ulrich Erben (* 1940 Düsseldorf) ist ein Maler und studierte zwischen 1958 und 1965 an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und der Accademia di Belle Arti di Urbino in Italien. Seine erste Einzelausstellung fand 1979 im Städtischen Museum Leverkusen statt. Von 1980 bis 2005 lehrte er als Professor an der Kunstakademie Münster. Erben war auf der „documenta 6“ (1977) vertreten. , der natürlich die Situation durch Erzählungen kannte und sich dann etwas einfallen ließ, was bei uns auch gezeigt werden konnte. Aus Blättern im Format 80 x 60 Zentimeter hat er mehrere so zusammengestellt, dass es ein Bild ergab, und hat sie dann an die Wand getackert. Dadurch war es ein relativ großes Bild. Die Künstler hatten ihre Tricks. Wenn sie an der Grenze gefragt wurden, sagten sie: „Ich wollte das mal meiner Großmutter zeigen.“ Also irgendwie klappte es immer. Wenn auch nur mit kleineren Sachen.

Machte diese Spannung, einerseits die Sachen rüberzubringen und andererseits im Untergrund – oder besser gesagt „inoffiziell“ – zu arbeiten, einen Teil Ihrer Motivation aus?

Ja, natürlich. Ich denke, auch für die westdeutschen Künstler war das ein Kick, mal im Osten auszustellen. Der Kontakt kam in vielen Fällen auch dadurch zustande, dass man sich im Westen oder in West-Berlin erzählte: „Dort gibt es so einen Irren. Der macht etwas, was man gar nicht machen kann. Den gucken wir uns mal an.“ Und dann hat es sich eben ergeben, dass durch die Gespräche eine gewisse Ernsthaftigkeit meinerseits deutlich wurde. Dadurch kam ich dann an die Sachen ran. Ich muss dazu sagen, dass ich sehr viel durch die Fluxus-Leute gelernt habe. Ich habe zum Beispiel Robert Filliou ausgestellt. „Hommage à Robert Filliou“, EP Galerie Jürgen Schweinebraden, Januar/Februar 1975. Die kamen dann häufig. Denen machte das sehr viel Spaß. Als Filliou seine Abschlussausstellung in der Akademie der Künste hatte, haben wir bei uns seinen Katalog „Die Erschaffung der Welt“ Robert Filliou, „Research on the Origin“, Edition von 1974. gezeigt. Das ist eine Rolle auf Millimeterpapier. Die zog sich bei uns über drei Wände. Das war beachtlich. Innerhalb dieser Ausstellung hatte ich unter anderem Hartmut Bonk Hartmut Bonk (* 1939 Pulsnitz) ist ein Künstler, dessen figürliche Plastiken und expressive Malerei meist die menschliche Figur zum Ausgangspunkt haben und sich thematisch auf die griechische Mythologie beziehen. Er studierte an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und war von 1988 bis 2004 Professor an der Universität der Künste Berlin. und verschiedene andere Leute ausgestellt, als eine Hommage an Robert Filliou. Robert kam nach seiner Ausstellung in West-Berlin zu uns und sagte: „Bei dir ist es viel schöner.“ Das waren dann vielleicht auch Gespräche, die für die westdeutschen Künstler interessant waren, weil sie sonst mit dem Osten nicht so sehr in Berührung gekommen sind. Und dadurch wiederum gegebenenfalls gegenchecken konnten, was in den Medien steht und was Wirklichkeit ist. Und das noch mal reflektiert durch eine Person, die nicht ganz auf der Linie rumtritt, sondern wirklich abseits dieser offiziellen Wege geht. Ich glaube, für viele war das recht spannend. Für uns oder für mich war natürlich wiederum spannend, was ich über die Leute erfahren habe – und überhaupt, dass ich sie kennenlernen konnte. Die Andersartigkeit, mit der man sich dort in einer Gesellschaft, die relativ klare Linien und Gleise vorgegeben hatte, bewegte, dass man abwich, das war schon spannend. Das war auch persönlich befriedigend, wenn es auch immer ein Gang auf Messers Schneide gewesen ist. Man durfte sich manche Sachen nicht allzu bewusst machen, dann hätte man sie nicht mehr gemacht. Erst später habe ich bei der Durchsicht der Stasiakten erfahren, wie sehr diese Sache unter Beobachtung stand.

Auch unter den Gästen waren wahrscheinlich durchaus Stasi-…

Immer Stasi!

Das wussten Sie?

Davon ist man einfach ausgegangen. Man war nicht so dumpf und gutgläubig, zu denken: „Das sind alles Leute, die sich für die Kunst interessieren.“ Sondern da waren auch Leute, die sich für die Leute interessierten, die sich für Kunst interessieren. Das war eigentlich klar. Und da ich das Ganze durchaus längerfristig machen wollte, habe ich verschiedene Dinge, die durchaus von mir erwartet wurden, gar nicht erst gemacht. Weil ich wusste, wenn ich es machen würde, wäre es sofort vorbei. Ich habe mich zum Beispiel nie mit Literatur beschäftigt. Also keine Dichterlesungen oder Musikveranstaltungen besonderer Art. Musik war eigentlich immer dabei, aber das war dann wirklich klassische Musik. Auch neue Musik. Von durchaus ernst zu nehmenden Komponisten der DDR. Paul-Heinz Dittrich zum Beispiel oder Hermann Keller. Das spielte immer eine Rolle. Und da meine Frau Gitarristin ist, waren alle Eröffnungen immer irgendwie mit Musik verbunden. Das war auch meine Idee, dass man Leute aus unterschiedlichen Genres zusammenbringt, sodass auch hier wieder Kommunikation entstehen konnte. Aber es gab eben auch einiges, was die Leute von mir erwarteten, und ich habe dann gesagt: „Nein, das mache ich nicht.“

Was wurde von Ihnen erwartet?

Durchaus auch bildende Kunst. Von Leuten, die meinten, mit ihrer Kunst sehr gegen den Staat zu agieren. Und ich habe es dann abgelehnt, vielleicht auch aufgrund einer gewissen Unkenntnis, aber auch weil es wegen der Andersartigkeit zu provokativ gewesen wäre. Im Nachhinein bin ich aber der Überzeugung, dass die, die ich abgelehnt habe, auch keine Qualität gezeigt haben.

Kunst, die sich von vornherein und offensichtlich als „anti“ präsentiert, ist unter Umständen ja weniger interessant als eine subtile intelligente Kritik oder Übersetzung.

Das war wahrscheinlich das Problem, dass die intellektuelle Auseinandersetzung, die sich auch in der Kunst manifestiert hat, interessanter war, als die reine Provokation, die primär das Andersartige hervorgehoben hat. Ich muss ein Beispiel erwähnen, das sehr eigentümlich war, weil ich da ganz hart an der Grenze meiner eigenen Bewertungsfähigkeit war: Ich hätte es eigentlich ablehnen müssen, aber ein Bekannter hatte sich damals um die Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler beworben und das wollte ich ihm nicht versauen. Also habe ich ihm die Möglichkeit gegeben, bei mir auszustellen. Ich fand es zum Teil schrecklich, was er gemacht hat. Zu der Ausstellung kamen auch ein paar amerikanische Freunde. Einen von denen haben wir sogar später noch mal in Houston besucht, der hat 20 Jahre später noch von dieser Ausstellung geschwärmt: „Das war toll damals. Crazy.“

Wenn man in den Verband Bildender Künstler aufgenommen werden wollte, hat es einem nicht unbedingt geholfen, wenn man nachweisen konnte, dass man zu Ihnen Kontakt hatte, oder?

Es war eine eigenartige Situation. Ich war ja nicht verboten. Und was nicht verboten ist, ist eigentlich auch nichts Schlimmes. Mit der Ausstellung bei mir bekam er eine Möglichkeit, sich zu präsentieren, auch für die Jury des Verbands.

Die kamen auch zu Ihnen?

Die waren da und haben sich die Sachen angesehen. Was natürlich dazu geführt hat, dass er nicht in den Verband aufgenommen worden ist. Es hat also nichts genutzt, was ich für ihn sehr bedauert habe. Er hatte Fähigkeiten, die im Zeichnerischen lagen, aber in der Ausstellung hat er diese Fähigkeit nicht zur Darstellung gebracht, sondern sich mit anderen Sachen beschäftigt, die ich wiederum beschissen fand: Er hat von mir eine Packung Spaghetti genommen, sie auf den Tisch gestellt und fallen lassen. „Das ist Kunst.“ Da konnte ich natürlich nicht mitgehen. Damals noch nicht. Sagen wir es mal so.

Und der Verband der Bildenden Künstler erst recht nicht, oder?!

Der konnte auch nicht mitgehen, nein. Einen angebissenen Apfel, den wollte er dann unbedingt auf mein Klavier legen. Oder Blumen … Er wollte, dass das ein Teil seiner Kunst ist. Ich habe gesagt: „Mensch, nimm den Appel wenigstens weg, wenn die kommen.“ – „Nein“, sagte er. Und dann ist es natürlich nichts geworden.

Wie haben Sie die Ausstellungen mit den Künstlern vorbereitet?

Ich habe es denen überlassen. Man kann das selbst bestimmen, wenn man die Möglichkeit zur Auswahl hat. Das war natürlich gerade bei den westdeutschen Künstlern nie gegeben. Und bei den wenigen Ostdeutschen war es so, dass ich eventuell das Thema vorgegeben hatte, weil ich wusste, er hat zu dem Thema etwas gemacht, aber die Auswahl habe ich den Künstlern überlassen. Die Präsentation habe ich dann natürlich übernommen.

Haben Sie da auch mal böse Überraschungen erlebt?

Nein, eigentlich nicht. Es ist auch in den seltensten Fällen etwas geschickt worden. In der Regel haben sie es gebracht. Aus dem Westen ging es gar nicht anders. Die tschechischen Künstler haben wir vorher besucht und wussten dann ungefähr, wie sie arbeiteten und was sie machten. Aber die Auswahl war ihnen überlassen. Ich wollte mir das auch gar nicht anmaßen, zu sagen: „Das nicht.“ Es sei denn, es waren diese deutlichen provokativen Sachen, da habe ich von vornherein gesagt: „Nein, so nicht.“ Aber das war selten der Fall, sodass die Auswahl durch die Künstler immer die beste gewesen ist.

Wie haben Sie Ihre Ausstellungen beworben?

Ja, das ist natürlich ein Thema. Das eine war reine Mund-zu-Mund-Propaganda, die aber auch das Haus füllte. Das andere war ein kleiner gedruckter Zettel, auf dem die jeweilige Kategorie, also „Malerei“, „Zeichnung“, „Grafik“ oder „Musik“, angekreuzt war. Den Namen des Künstlers habe ich mithilfe eines Gummistempelkastens eingestempelt. Die habe ich mit der Post verschickt oder wie Visitenkarten verteilt. Und dann ist man immer mutiger geworden und hat auch Karten gedruckt. Mit einer kleinen Abbildung, wie es dann auch hier im Westen üblich war. Ein einziges Mal habe ich ein Plakat für eine Ausstellung von Ralf Winkler gemacht. Das waren Übermalungen von ihm. Da habe ich die Auswahl getroffen. Ralf hat auf alles gemalt, was ihm in die Quere kam. Sofern sich Farbe oder ein Bleistiftstrich gehalten haben, hat er alles bearbeitet. Er war einer der wenigen, die ein eigenes Atelier hatten, in dem ich mich auch häufig rumgetrieben hatte. Da hatte ich mal eine ganze Menge zusammengesammelt. Kleine Sachen. Und habe dann eine Ausstellung mit dem Titel „Übermalungen“ „Übermalungen“, EP Galerie Jürgen Schweinebraden, 1979. gemacht. Diese Sachen habe ich auf 80 x 60 Zentimeter große Blätter appliziert und gerahmt. Das war mir damals so wichtig, dass ich da auch ein Plakat gedruckt habe. Die Übermalung war sehr intensiv – es war typisch für ihn, mit wenigen Mitteln sehr viel auszudrücken. Er hatte aus einem eigenartigen Heft, das nannte sich „Sputnik“ Die Zeitschrift „Sputnik“ wurde ab 1967 von der staatlichen sowjetischen Nachrichtenagentur Nowosti herausgegeben und erschien in der UdSSR sowie im sozialistischen und im westlichen Ausland. Die bunt illustrierte Zeitschrift sollte Einblick in Kultur, Politik und Gesellschaft der Sowjetunion geben und insbesondere den Lesern im Westen einen liberalen Eindruck vermitteln. , ein Bild mit einem Vulkanausbruch auf Kamtschatka herausgerissen und mit schwarzer Tusche ein Kreuz über diesen Vulkan gezeichnet. Das war wirklich von einer seltenen Eindringlichkeit. Das habe ich zu einem A3-Plakat gemacht und bei einem Bekannten, der im Prenzlauer Berg einen Laden mit einer großen Glasscheibe hatte, aufgehängt. Das hat die Polizei natürlich gesehen. Die anderen Sachen hat vielleicht nur die Stasi gesehen – aber das hat auch die Polizei gesehen und hat dann im Laden nachgefragt, ob das irgendwo genehmigt worden sei, weil ja alles genehmigt werden musste. Da sagte mein Bekannter: „Nö, das habe ich vom Schweinebraden gekriegt.“ Und dann kam die Polizei zu mir.

Was stand auf dem Plakat? „Ausstellung“? Mit Datum und Uhrzeit der Eröffnung?

Genau. Das war alles angegeben. Die Polizei war allerdings vor der Eröffnung da. Irgendwann kamen sie auch mal, da habe ich denen die Ausstellung erklärt: Die kamen zu zweit. Einer in Zivil, der andere in Uniform, ein Oberleutnant. Die wollten mich irgendwie zusammenscheißen. Ich kann manchmal sehr komisch sein und habe die gar nicht groß zu Worte kommen lassen, sondern ihnen einfach die Ausstellung erklärt. „Das dürfen Sie gar nicht machen. Sie müssen das genehmigen lassen.“ Und dann waren sie wieder weg.

Das heißt, man hätte jede Ausstellung genehmigen lassen müssen?

Man hätte jede Veranstaltung, die die Form einer Versammlung hatte, laut Versammlungsgesetz der DDR, genehmigen lassen müssen. Sogar Geburtstagsfeiern und Hochzeitsfeiern, wo mehr als eine bestimmte Anzahl von Leuten zu erwarten war, mussten genehmigt werden.

Und haben Sie irgendeine Ihrer Veranstaltungen genehmigen lassen?

Nein, natürlich nicht.

Weil die auch nicht genehmigt worden wären?

Ich habe mir gedacht, dass sie nicht genehmigt würden, und deswegen habe ich gar nicht erst gefragt.

Die wussten ja genau, was Sie damals machten. Hätten sie es ernsthaft verhindern wollen, hätte es sicher viele Möglichkeiten gegeben, das zu tun? Sie haben sicher gegen einige Regeln verstoßen?

Nein, habe ich nicht.

Es war nur eine Unterlassung?

Komischerweise hat die DDR mehr zugelassen, als man glaubt. Man ist hier unter Umständen eingeschränkter als man es in der DDR war. Wenn man ein bisschen – mein Großvater hat immer gesagt – „fischelant“, also im Kopf beweglich war, konnte man Lücken entdecken, durch die man sich gerade noch hindurchzwängen konnte. Und da gab es eine ganze Menge Leute in der DDR, die diese Fähigkeit hatten. Ich weiß nicht, ob die DDR es zugelassen hat oder ob sie es gar nicht bemerkt haben. In meinem Fall kommt natürlich noch eine besondere Schizophrenie des Staats hinzu. Auf der einen Seite war das natürlich eine Sache, die man nicht gerne gesehen hat, auf der anderen Seite konnte man – oder meinte man zu können – unter Umständen dort eine Menge abschöpfen: Wer geht zu diesen Ausstellungen? Was betreiben die? Das wurde von der Stasi durchaus auch als „Informationsquelle“ gesehen. Nur hat es ihnen nichts gebracht. Das, was sie möglicherweise erwarteten, nämlich dass dort gegen die DDR gemosert wird oder es heißt „Honecker Erich Honecker (1912 Neunkirchen – 1994 Santiago de Chile) stand der SED von 1976 bis 1989 als Generalsekretär des Zentralkomitees vor. 1992 musste er sich in Berlin wegen Menschenrechtsverletzungen des DDR-Regimes vor Gericht verantworten. Nachdem das Verfahren wegen einer Verschlechterung seines Krebsleidens eingestellt wurde, siedelte er noch im selben Jahr nach Chile über, wo er 1994 starb. muss abgesetzt werden“, das fand nicht statt. Es war eine reine Auseinandersetzung mit den Arbeiten, die zu sehen waren. Und damit konnte die Stasi wiederum nichts anfangen. Sie konnten höchstens sagen: „Die sind an Westkunst interessiert.“ Das ist eigentlich nicht verboten. Ich glaube, dass dieser eigentümliche Schutz, der dadurch gegeben war, dass sie glaubten, dort etwas abschöpfen zu können, das Ganze so lange ermöglicht hat. Das muss man ganz konkret so sagen. In welchem Umfang, ist mir erst später durch die Akteneinsicht klar geworden. Es wurden Briefe geöffnet, es sind uns falsche Dinge zugeschickt worden. Meiner Frau wurde zum Beispiel pornografisches Material aus Westdeutschland zugeschickt. Wir haben uns damals gefragt: „Woher kommt die Scheiße?“ Und dann stellte sich heraus, die Stasi hatte das geschickt. Wir hatten einen Freund verdächtigt, der so schräge Dinge machte, tatsächlich aber war es die Stasi.

Das sind ja schon gezielte Aktionen, um Ihnen zu schaden?

Das schon. Aber es gab nie ein offizielles Verbot.

Wenn ich das richtig sehe, ist der Plan auch nicht aufgegangen? Das Ziel dieser Stasi-Aktionen war, glaube ich, dass Ihre Nachbarn auf Sie aufmerksam würden und sich über Sie beschweren?

Ja, man hat im Hausflur in die Ecke geschissen.

Und die Nachbarn sind darauf aber gar nicht angesprungen?

Das war das Komische. Dass die Stasi das unter Umständen falsch eingeschätzt hatte. Sie glaubte, dass sie die Bewohner dieses Blocks irgendwie aufstacheln könnte, damit die unter Umständen mit veranlassen, dass das mit diesen Veranstaltungen, die ich machte, nicht weiterging. Aber da haben sie sich in den Finger geschnitten. Das war eine vollkommene Fehleinschätzung. Die sind zum Beispiel auch am Tag der Staatssicherheit mit einem Blumenstrauß zu uns gekommen, damit möglichst viele Leute denken, dass wir möglicherweise bei der Stasi sind. Das sollte auch als Abschreckung für meine Frau dienen, weil bekannt war, dass sie am Theater Interesse hatte. Ihr Vater war Schauspieler am Berliner Ensemble. Die Stasi hatte für sie immer einen Platz in der dritten Reihe des Berliner Ensembles vorgesehen, damit die Leute sehen konnten, dass es da eine Verbindung gab. Man wollte ganz deutlich einen Keil zwischen die Leute, die zu uns kommen, unsere Freunde und uns treiben, um es von innen her kaputt zu machen. Es gab weitere Fälle: Sie haben auch die Studenten von Weißensee gezwungen, negativ über uns zu reden, sonst wären sie von der Hochschule geflogen. Das kam dann auch in meinen Akten zum Vorschein. Also es gab eine ganze Menge Versuche. Das kann man vielleicht mit einem Bild ganz gut beschreiben: Es gibt in der Kriegstechnik immer die Möglichkeit, unter dem Radar durchzufliegen, um nicht bemerkt zu werden. Das war ein Teil unserer Strategie, unter diesem Radar durchzukommen. Kein Gesetz direkt zu verletzen. Es gibt kein Gesetz „Du darfst keine Bilder an deine Wand hängen“. Ich habe die Gesetzeslage der DDR nie studiert. Aber wenn man in so einem restriktiven System lebt und arbeitet, kann man einschätzen, was möglich ist und was absolut unmöglich ist. Und das scheint uns ganz gut gelungen zu sein.

Gab es für Sie nie die Überlegung, vorzeitig in den Westen zu gehen?

Nein, als es dann so weit war, gab es einen konkreten Anlass. Ich war damals als Psychologe und Soziologe Leiter der Ehe-, Familien- und Sexualberatungsstelle in Berlin-Treptow. Eines Tages wurde ich zum Bürgermeister zitiert, der mir eröffnete, dass ich suspendiert sei. Er hat mir aber keine richtige Erklärung gegeben, weswegen. Angeblich hatte ich eine falsche Bewertung und Beratung eines Ehepaars gemacht, das sich trennen wollte … Was in dieser Weise nicht stimmte. Und es war auch nicht der Bürgermeister, der für die Gesundheit verantwortlich gewesen wäre. Als Erstes hätte mein Vorgesetzter, der Bezirksarzt, mich zusammenscheißen müssen. Und wenn überhaupt der Bürgermeister, dann derjenige für Soziales und Gesundheit. Ich wurde aber zu dem für Inneres zitiert. Da habe ich mir natürlich gesagt: „Nachtigall, ick hör dir trapsen.“ Kaum war ich aus dem Büro raus, bin ich in die Ständige Vertretung gefahren und habe zu dem Beamten, der sich mittlerweile als Freund gezeigt hatte, gesagt: „Also, ich haue jetzt hier ab. Wir müssen irgendetwas machen, dass ich hier wegkomme. Jetzt haben sie mich am Arsch.“ Und das ging dann auch relativ schnell, sowohl durch die Unterstützung der Ständigen Vertretung als auch über eine wiederum unspektakuläre Familienzusammenführung, die von meinem Bruder, der schon mit meiner Mutter im Westen lebte, veranlasst wurde. Die Vertretung hat leicht nachgeschoben, sodass wir innerhalb von zwei Jahren – das war für ostdeutsche Verhältnisse sehr ungewöhnlich – die Ausbürgerung erhalten haben. Wir mussten noch schnell heiraten, damit meine Frau mitkommen konnte. Man glaubt es nicht, aber die Stasi hat nicht gewusst, dass wir den Ausreiseantrag gestellt hatten. Oder dass der Antrag auf Familienzusammenführung gelaufen ist. Mir dauerte das alles zu lange, und ich bin dann zu dem verantwortlichen Rechtsanwalt, Vogel, gegangen und habe gesagt: „Ich möchte mich nach unserer Situation erkundigen.“ Da sagt der zu mir: „Wer sind Sie?“ Ich sage: „Schweinebraden.“ – „Sie müssten doch schon lange draußen sein.“ Und dann ging das auch ganz schnell. Also in der DDR wusste die eine Hand manchmal nicht, was die andere machte. Na ja, hier ist es genauso.

Ende der 50er-Jahre hatten Sie den ersten Kontakt mit Kunst und Künstlern. Erst 1980 sind Sie in die BRD gegangen. Gab es nicht schon viel früher die Überlegung, dass Sie im Westen ganz andere Möglichkeiten gehabt hätten?

Nein. Es gab eine ganze Menge Leute, vor allem unter den Jugendlichen, die gar nicht wegwollten. Die Intellektuellen, zu denen wir uns mehr oder weniger auch zählten, wollten eigentlich nur eine veränderte DDR. Das ist oft genug gesagt worden und hat auch gestimmt. Wir wussten ja viel zu wenig vom Westen, als dass das für uns interessant gewesen wäre. Diese Leute gab es natürlich auch: „Reisemöglichkeiten, bessere Einkaufsmöglichkeiten“ und so weiter und so fort. Das interessierte uns aber gar nicht. Wir wollten mehr Freiheiten innerhalb des Systems. Wenn man so will, habe ich auch die Galerie in dieser Weise gesehen und betrieben, sodass also dieser „Wunsch“, in den Westen zu gehen, für uns zu keiner Zeit bestanden hat. Erst als mir klar war, dass ich nicht weiterführen konnte, was mittlerweile für mich sehr wichtig geworden war – sowohl als Selbstverständnis als auch zur Steigerung des Selbstbewusstseins und als Möglichkeit des Absetzens von der regulären Situation –, als klar war, dass das nicht mehr lange geht, gab es den Wunsch, abzuhauen. Und der hat sich ja dann auch sofort realisiert.

Haben Sie eigentlich Michael Werner Michael Werner (* 1939 Nauen) ist ein deutscher Galerist. 1963 eröffnete er zusammen mit Benjamin Katz eine Galerie in Berlin. 1968 zog er nach Köln und übernahm dort die Galerie Hake, die er ab Oktober 1969 unter seinem Namen weiterführte. In den 70er- und 80er-Jahren vertrat Werner vor allem die Künstler Georg Baselitz, Antonius Höckelmann, Jörg Immendorff, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A.R. Penck. Heute ist die Galerie Michael Werner auch in Berlin, London und New York vertreten. 2011 wurde Werner mit dem Preis der Art Cologne ausgezeichnet. über Penck schon im Osten getroffen?

Ja, natürlich.

Auch Markus Lüpertz?

Nein, Lüpertz nicht. Die Frau vom Lüpertz war mal da. Gelegentlich sind doch verschiedene Arbeiten von Ralf zu mir gekommen und Michael Werner hat sie bei mir abgeholt. Zwei- oder dreimal ist das der Fall gewesen. Und einmal war die Frau vom Lüpertz dabei. Aber Lüpertz hat mir damals noch gar nichts gesagt. Er gehörte auch noch nicht zu Ralfs Bekanntenkreis.

Wer war Michael Werner damals für Sie? Er war, glaube ich, regelmäßig im Osten und hat sich sehr intensiv mit Penck beschäftigt. Was für eine Beziehung hatten Werner und Penck?

Wir sind eigentlich immer sehr offene Typen gewesen. Er war ein normaler Besucher und eben der Galerist von einem Freund. Was er drüben machte, das interessierte uns relativ wenig. Michael hat uns manchmal auch Material mitgebracht. Kataloge … Er ist für mich nicht der große Galerist gewesen, weil mir das vollkommen unbekannt war. Er war der Galerist von einem Freund. Aus. Ende. Und das konnte man nur unterstützen.

Für die finanzielle Situation Pencks war er wahrscheinlich in der Zeit sehr bedeutend. Penck war in dieser Verbindung mit einem westdeutschen Galeristen ein absoluter Einzelfall, oder? Kennen Sie noch jemanden, der ähnliche Verbindungen hatte?

Ich glaube schon, dass er da eine Einzelfigur war. Letztlich kam das natürlich durch Baselitz, der Michael auf Ralf aufmerksam gemacht hat.

Kannten Sie Baselitz damals auch schon?

Nein. Ich kannte ihn nur aus Erzählungen, weil er zusammen mit Peter Graf, mit dem ich befreundet war, in Weißensee auf der Schule war und zur gleichen Zeit rausgeflogen ist. Peter Graf (* 1937 Crimmitschau) ist ein gegenständlicher Maler, der zum Freundeskreis um Jürgen Böttcher, Winfried Dierske, Peter Herrmann und A.R. Penck gehörte. Graf wurde zunächst in Abendkursen an der Volkshochschule ausgebildet und arbeitete tagsüber in verschiedenen Berufen, unter anderem als Transport- und Traktorfahrer. Ab 1956 studierte er an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee bei Toni Mau und wurde 1957 gemeinsam mit Georg Baselitz (* 1938) wegen „gesellschaftspolitischer Unreife“ zwangsexmatrikuliert. Die haben immer vom „Schorsch“ erzählt. Wenn der Ralf durch die Verbindung Vorteile hatte, umso besser. Ich wusste ja, wie er lebte. Aber für solche Sachen haben wir uns im Grunde nie interessiert. Zu dieser Verbindung gibt es übrigens eine sehr schöne Story: Die Arbeiten, die Michael Werner bei uns abgeholt hat, waren mitunter relativ groß. Das war nur möglich, weil Ralf vorher Acrylfarben erhalten hatte, sodass das schnell trocknende Material zusammengerollt werden konnte, ohne zu kleben. Michael Werner fuhr mit ein paar gerollten Leinwänden auf dem Autodach zur Grenze und musste alles auspacken. Die Bullen haben ihn gefragt, was das sein soll, und da hat er ganz ehrlich geantwortet: „Das ist Kunst.“ – „Was? Das soll Kunst sein?“ Da sagte er: „Sie sagen es“, hat die Arbeiten wieder eingerollt und ist weitergefahren. Inwieweit das wirklich wahr ist, weiß ich nicht. Aber es ist eine schöne Geschichte. Ich glaube durchaus, dass so etwas möglich war. Man hat der DDR und der Stasi mehr zugetraut, als sie tatsächlich konnten und machten.

Es war damals nicht nur Michael Werner, der nach Dresden zu Penck gefahren ist, sondern auch Franz Dahlem oder, wie Sie eben sagten, Jule Kewenig, damals Jule Lüpertz, und natürlich Lüpertz selbst. Die Bemühungen um Penck und seine Arbeit waren groß. Das war eine Kunst, die man zu der Zeit noch nie gesehen hatte.

Wollte ich gerade sagen. Diese totale Andersartigkeit, die Auseinandersetzung mit einer Realität, die er durch neue Formulierungen geprägt hat. Ich war immer entsetzt, wenn man ihn oberflächlicherweise mit dem Schweizer Hugo Suter oder sogar mit Keith Haring Keith Haring (1958 Reading, Pennsylvania – 1990 New York) war ein US-amerikanischer Künstler, der in seiner malerischen Praxis mit den visuellen Elementen der Graffiti-Kultur experimentierte. , der, wenn überhaupt, etwas von Ralf hatte, verglich. Dass jemand sich auf diese Art und Weise mit einer gesellschaftlichen Situation auseinandersetzt, war für den Westen natürlich neu. Dass das auch noch in einer Form geschah, die als Kunst akzeptabel war, war ein Phänomen. Das war die Stärke von Ralf.

Hatten Sie unmittelbar Zugang zu Pencks Arbeiten? Oder haben Sie sich das in der Kommunikation mit ihm erschlossen?

Das geht natürlich immer über Kommunikation. Wir haben uns viel unterhalten. Ralf war, vor allem in Dresden, einer meiner intensivsten Gesprächspartner damals. Aus einem natürlichen Unverständnis heraus habe ich ihn dann gefragt: „Was machst du da?“ Oder: „Warum machst du das so?“ Es hat sich mir nicht automatisch erschlossen, aber mit zwei, drei Hinweisen konnte man schon Kombinationen herstellen. Ganz entscheidend war natürlich, dass gerade das erste „Weltbild“ A.R. Penck, „Weltbild“, 1961. eine Deutlichkeit hat, der Kampf der Systeme, wie es sie wirklich selten gibt. Und dass sich auch viele seiner Zeichnungen mit diesem Grundthema, der Haltung von Aggressionen zwischen Leuten – später dann auch zwischen Tieren – beschäftigen. Das war für uns wahrscheinlich interessanter als für den Westen. Nur sind diese Sachen natürlich nicht bei mir und auch sonst in der DDR an keiner einzigen Stelle ausgestellt worden. Er hatte eine einzige offizielle Teilnahme in der Akademie der Künste, da haben sie ihn dann, zusammen mit Böttcher und Graf, aufgrund von zu viel Individualismus rausgeschmissen. Das waren aber noch nicht die Bilder, die später als „Systembilder“ bekannt geworden sind. Das waren realistische Bilder von Personen. Er hat von sich immer behauptet, er wäre ein abstrakter Maler. Da habe ich gesagt: „Du spinnst! Du abstrahierst die Realität.“ Das ist in meinem Verständnis etwas anderes. Das hat ihn aber nicht weiter interessiert. Die Arbeiten sind dann zum Teil auch abstrakter geworden, aber sie haben immer einen Realitätsbezug.

Penck entwickelt in seinen Bildern ein System, mit dem er die Situation der Welt darstellt. Gab es damals einen Drang nach Klärung, einen Wunsch nach Bewältigung?

Das ist den DDR-Künstlern vom Staat abgenommen worden. Der Staat hat es für sie bewältigt, sodass es für die Bürger des Staats eigentlich gar kein Problem oder Thema mehr gewesen ist. Während es im Westen, auch durch die unmittelbare Adenauer-Vergangenheit und die 68er-Zeit, doch eine ganz andere Präsenz hatte. Da wurden Möglichkeiten gesehen, sich anders zu verhalten, als von einem erwartet wurde. In der DDR war die Anpassung sehr viel stärker. Daher gab es dort diese intensive Auseinandersetzung – meiner Meinung nach – auch in der bildenden Kunst nicht. Zumal in der DDR auch die Tradition immer eine wichtige Rolle gespielt hat. Sowohl in der bildenden Kunst und im Theater als auch in der Literatur versuchte man immer, auf Tradition aufzubauen. Otto Dix Otto Dix (1891 Gera – 1969 Singen) war ein Künstler, der als Vertreter der Neuen Sachlichkeit gilt und insbesondere für seine kritisch-karikierenden Großstadtporträts Berlins in den 1920er-Jahren bekannt ist. Dix war von 1914 bis 1918 als freiwilliger Soldat im Ersten Weltkrieg. Von 1919 bis 1922 studierte er an der Dresdener Kunstakademie und war Mitbegründer der Dresdner Sezession – Gruppe 1919. 1925 zog Dix nach Berlin und war Mitglied der Berliner Secession. Ab 1927 war er Professor an der Dresdener Kunstakademie, bis er 1933 von den Nationalsozialisten seines Amts enthoben wurde. und solche Leute, das waren Ikonen in der DDR-Kunst, auch wenn sie bloß die 20er-Jahre dargestellt haben. Mir ist erst später in der Nationalgalerie klar geworden, als wir eine Max-Beckmann-Ausstellung gemacht haben und etliche Künstler aus der DDR kamen, um sich die Ausstellung anzuschauen, dass die nie über Beckmann hinausgekommen sind. In Halle gab es zum Beispiel einen Typen, ich glaube, er hieß Uwe Pfeifer Uwe Pfeifer (* 1947 Halle an der Saale) ist ein Maler, der mit perspektivischen Ansichten der Neubausiedlungen von Halle-Neustadt bekannt wurde und zu den Vertretern der Leipziger Schule gezählt wird. Er studierte von 1968 bis 1973 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer und Hans Meyer-Foreyt. Pfeifer war ab 1975 Lehrbeauftragter an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle und wurde 1978 Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR. Er war 1982 und 1988 auf den Biennalen von Venedig vertreten. , der Neubauviertel malte. Unterführungen unter der Eisenbahn und solche Dinge. Das war durchaus ein akzeptiertes Thema. Aber so wie er es gemacht hat, angelehnt an den Surrealismus, haben natürlich die Leute, die auch in der DDR das „Neue Deutschland“ zwischen den Zeilen gelesen haben, gewusst, dass er eine andere Aussage treffen will als die, die unter Umständen der Parteisekretär darin sieht. Davon gab es eine ganze Menge. Viele von uns fanden das natürlich langweilig, wir wollten die größere Auseinandersetzung oder den größeren Bruch. Erst Ende der 70er-, Anfang/Mitte der 80er-Jahre kam eine gewisse Freiheit in die DDR-Kunst. Da begannen metaphysische Elemente wie Ikarus Ikarus ist eine Gestalt aus der griechischen Mythologie. Eine zentrale Rolle übernimmt er in der Geschichte um den „Sturz des Ikarus“, bei der er zunächst mit künstlichen Flügeln aus seiner Gefangenschaft fliehen kann, aus Übermut jedoch die Flügel zerstört und beim Sturz ins Meer ums Leben kommt. Das Motiv des Ikarus zählt zu den populärsten in der Kultur des Abendlands. Siehe auch: Bernhard Greiner/Joachim Harst, „Daidalos und Ikaros“, in: Maria Moog-Grünewald (Hg.), „Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart“, Stuttgart 2008, S. 191–198. und Ähnliches eine Rolle zu spielen. Alles Elemente, die man – wenn man so will – natürlich auch als eine Gegenposition zur DDR-Ideologie interpretieren konnte und kann. Aber auch dort zeigte sich das Bemühen, nicht den großen Wurf zu wagen, den Ralf gemacht hat, sondern unter dem Radar durchzukommen. Etwas darzustellen, wovon man weiß, es ist gegen das Offizielle gerichtet, aber man sieht es nicht so deutlich, und man soll es auch gar nicht deutlich sehen, weil es sonst vorbei wäre.

Das hat Arno Rink eigentlich ganz gut beschrieben. Er sagte, man hat diese Auftragswerke, irgendwelche Kunst-am-Bau-Geschichten, gemacht, und das wurde auch so verteilt, dass jeder Künstler mal etwas bekommen hat, sodass man davon irgendwie leben konnte. Und den Rest der Zeit hat man eben zu Hause oder im Atelier für sich gemalt und wurde eigentlich relativ in Ruhe gelassen. Man musste also nicht die ganze Zeit gegen ein System anmalen. Vgl. Arno Rink.

Wenn Sie so wollen, war das auch die Situation des Künstlers in Westdeutschland, mit dem Unterschied: Die kratzen schon früh an den Galerietüren, um dort irgendwo reinzukommen. Aber letztendlich sind sie freie Unternehmer. Sie müssen irgendetwas tun, schon für ihr eigenes Selbstverständnis und in der Hoffnung, ihre Produkte dann irgendwann einmal an Land zu bringen. Und das geht natürlich wiederum nur über einen gewissen Wirtschaftskreislauf, also über Galerien, Museen und so weiter und so fort. Insofern ist das natürlich eine beschönigende Rede, wenn Rink sagt: „Ich habe für mich selbst gemalt.“ Es blieb ihm doch gar nichts anderes übrig. So viele Wandbilder konnte er dann auch nicht machen, weil er gar nicht so viele Aufträge gekriegt hat. Bei diesem Gerede wäre ich schon ein bisschen vorsichtig, was da wirklich dahintersteckt und was dabei dann auch wirklich rausgekommen ist. Viel ist nicht rausgekommen. In vielen Fällen ist es auch eine Überbewertung. Auch Volker Stelzmann Volker Stelzmann (* 1940 Dresden) ist ein gegenständlicher Maler und Grafiker, der zu den Vertretern der Leipziger Schule zählt. Von 1963 bis 1968 studierte er an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, wo er ab 1982 Professor war. 1970 wurden seine Werke in der Ausstellung „Junge Deutsche Malerei/Giovane Pittura Tedesca“ in der Galleria del Levante in Mailand gezeigt sowie ab 1975 regelmäßig in der BRD, in Frankreich und Italien in Ausstellungen über die Kunst der DDR. 1984 war Stelzmann auf der „Biennale von Venedig“ vertreten. Er siedelte 1986 nach Westdeutschland über und wurde 1988 Professor an der Hochschule der Künste Berlin, wo er bis 2006 lehrte. zum Beispiel. Die sind meiner Meinung nach total überbewertet. Aber das sind zum Teil auch subjektive Probleme. Und Wahrnehmung ist immer subjektiv. Wenn sie auch gesellschaftlich irgendwo determiniert ist. Aber es ist ein ganz anderes Verständnis von Kunst. Ob ich wirklich freie Kunst machen kann, ob ich auch abstrakte Kunst machen kann oder ob ich ein realistisches Gebilde ein bisschen schräg mache. Das sind schon Unterschiede. Was man sagen muss: Handwerklich waren die in der DDR alle top. Das würde wahrscheinlich sogar Gerhard Richter bestätigen. Und Gotthard Graubner hätte es bestätigt, wenn er noch leben würde. „Wir haben dort etwas gelernt.“ Das war wirklich eine solide Grundausbildung. Was dann daraus wird, ist eine Frage der Persönlichkeit. Und wenn die Leute gemerkt haben, hier wird es nichts mehr, dann mussten sie eben gehen. Und das haben sie gemacht. So wie Richter und Günther Uecker. Ein Freund von mir, den ich gerne zitiere, Robert Rehfeldt Robert Rehfeldt (1931 Stargard, Pommern, heute Polen – 1993 Berlin) gehörte der alternativen Kunstszene in der DDR an und arbeitete vor allem im Bereich der Mail-Art und im Fluxus-Kontext. Von 1948 bis 1953 studierte er an der Hochschule für Bildende Künste in West-Berlin und arbeitete nach der Ausbildung als Grafiker und Bildjournalist. Ab 1963 lebte er als freischaffender Künstler und Mitglied des Verbands Bildender Künstler der DDR (VBK) in Ost-Berlin. 1975 organisierte Rehfeldt die erste Mail-Art-Ausstellung in der DDR und veranstaltete 1986 in seinem Atelier den „1. Dezentralen Internationalen Mail-Art-Kongress in Ost-Berlin“. , hat mal gesagt: „Man müsste eine Arbeit über den Anteil der DDR an der Kunst des Westens schreiben.“ Die Jungs sind ja alle erst nach Gründung der DDR in den Westen gegangen. Ralf ist ein Sonderfall. Er wäre nie gegangen, wenn er die entsprechende Anerkennung gefunden hätte. Ich weiß nicht, in welchem Buch das steht, in welche Institutionen er alle rein wollte: Die Jungen Pioniere, FDJ, NVA, alles Mögliche. Ralf brauchte Anerkennung. Das ist ja eigentlich der Wunsch eines jeden Künstlers. Ich hatte aber den Eindruck, bei Ralf war er ausgeprägter als bei seinen Malerfreunden. Denen genügte es unter Umständen, wenn ein paar Typen wie ich kamen und gesagt haben: „Klasse!“

Ralf hatte immer ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Erst das ermöglicht natürlich auch den Sprung zu einer anderen Qualität. Die anderen malen weiter zu Hause in ihrem Kämmerchen. Auch Ralf hat in seinem Kämmerchen gemalt und Sachen weggeschmissen, die ich dann wieder eingesammelt habe. Sonst wären wirklich viele, viele, viele Dinge weg gewesen. Das war seine Auseinandersetzung mit der Malerei. Er hatte ja diese Phasen: Rembrandt, Picasso und so weiter. Das hat ihn auch nie ganz losgelassen. Er hat auch immer versucht, sich in andere hineinzuversetzen. Ich habe ihn einmal in seinem Atelier, an der Grenze zwischen Sachsen und Preußen, besucht, und da hatte er ein 80 x 60 Zentimeter großes Blatt liegen. Zwischen 1972 und 1975 nutzte A.R. Penck ein Atelier in dem Dorf Lindenau. Gestempelt, ein liegender Akt. Ich sage: „Ralf, stammt das von dir?“ Da sagt er: „Ich habe es gemacht, aber es stammt nicht von mir.“ Ich frage: „Woher?“ – „Ich habe so etwas auf der Gosse gefunden und wollte mal wissen, wer so etwas wegschmeißt.“ Er musste also etwas nachvollziehen, sich reinversetzen in eine Person und daraus seine besonderen Erkenntnisse ziehen. Deswegen musste er auch diese Rembrandt-Rekonstruktion, diese Picasso-Rekonstruktion machen. Er musste erst mal begreifen, wie die Jungs arbeiten, um sich davon auch wieder freizumachen.

Wie war das eigentlich, als er in den Westen gegangen ist? Nachdem A.R. Penck durch den Präsidenten des VBK, Willi Sitte, die Teilnahme an einer Ausstellung deutscher Gegenwartskunst in Paris verwehrt worden war, stellte er einen Ausreiseantrag und siedelte am 03. August 1980 in die Bundesrepublik über. Offenbar ist er damals in einem schockähnlichen Zustand gewesen? Haben Sie das mitbekommen, wie es ihm anfangs in der westdeutschen Kunstszene ergangen ist? Er ist ja genau in die Zeit des Malerei- und Kunstmarkt-Wahnsinns hineingeraten.

Ich glaube, das hat ihn eher befremdet. Aber er hat immer gesagt: „Das macht alles Michael.“ Ich glaube, das war nicht sein Problem. Er hat sich damit nie auseinandergesetzt. Ihm hat es gereicht, dass er leben konnte. Dass er seine Farben hatte und arbeiten konnte. Es gibt auch eine sehr schöne Serie, die er unmittelbar, nachdem er rübergekommen ist, gemacht hat. Die ist auf dem Wasserschloss in Kerpen entstanden. Da hat er die erste Zeit gewohnt, und da sind eine ganze Menge wunderschöner Arbeiten entstanden. Er hat immer gemalt. Das war für ihn das Wichtigste. Und dann hat er mir mal erzählt, dass er in jede Kinovorführung gegangen ist, um das System zu begreifen. Ich glaube nicht, dass es ein Schock für ihn gewesen ist. Er ist immer in der Lage gewesen, die Situation für sich zu nutzen. Das gilt auch für seine Musik. Er hat immer mit ein paar guten Leuten zusammengearbeitet. Ich hatte mal ein Band von ihm, da hatte er eine Bach-Serenade auseinandergenommen und neu zusammengesetzt. Das war verrückt. Wenn wir bei einem Spaziergang an der Elbe entlanggingen, konnte er aus einer Sache ein Sonett im Stil von Shakespeare machen. Er hat – und das habe ich immer an ihm bewundert – unheimliche Analysefähigkeiten und kann daraus dann wiederum eine Synthese bilden.

Und wie war das für Sie, in den Westen zu kommen? Was waren die ersten Kontakte oder Anlaufstellen?

Eigentlich hatte ich Schwein: Wir sind hier nach Nordhessen gekommen, weil meine Mutter und mein Bruder hier lebten und haben dann sehr schnell eine Wohnung gefunden. An Kunst haben wir erst mal gar nicht gedacht. Ich dachte, unter Umständen in meinem Fachgebiet wieder eine Arbeit zu finden. Das hat aber nicht funktioniert. Wenn man so will, war meine erste Anlaufstelle für Kunst dann die Nationalgalerie in Berlin. Da sowohl Dieter Honisch, der damalige Leiter der Nationalgalerie, als auch Lucius Grisebach Lucius Grisebach (* 1942 Marburg) ist ein Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher. Er studierte Kunstgeschichte in Freiburg und Berlin, wo er von 1974 bis 1988 als Kurator an der Neuen Nationalgalerie arbeitete. Von 1988 bis 1997 war er in Nürnberg erst Direktor der Kunsthalle sowie von 1997 bis 2007 des Neuen Museums. , einer der Kuratoren dort, meine Arbeit in der DDR kannten und uns zum Teil dort auch besucht hatten, sind sie auf mich zugekommen und haben gefragt, ob ich nicht Lust hätte, in der Nationalgalerie an einer Ausstellung mitzuarbeiten. Da war ich gerade ein knappes Jahr arbeitslos. Das war natürlich der beste Einstieg, den man sich nur denken konnte, sodass ich wirklich sagen muss: Ich habe nur Glück gehabt. Meine Frau hat auch relativ schnell eine Tätigkeit an einer Musikschule gefunden, sodass wir null Probleme hatten. Und mir war von vornherein klar, dass ich mit der DDR und der DDR-Kunst nichts mehr zu tun haben wollte. Es gab ein paar Leute, die gesagt haben: „Mensch, mach dich doch zum Spezialisten für DDR-Kunst.“ Das wollte ich nie. Ich wusste auch zu wenig, um ganz ehrlich zu sein. Und ich muss auch auf meine Kappe nehmen, dass ich Honisch ausgeredet habe, in dieser ersten Ausstellung, bei der ich damals mitgearbeitet habe, die DDR-Kunst miteinzubeziehen. Ich war der Meinung: „Die Arbeiten von den Leuten, die vielleicht für diese Ausstellung wichtig wären, bekommen wir nie. Wir bekommen dann Sitte Willi Sitte (1921 Kratzau, Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik – 2013 Halle an der Saale) war ein Maler und Grafiker. Bekannt ist er vor allem für seine figurative Malerei. 1947 trat er der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bei. Zwischen 1974 und 1988 war er Präsident des Verbands Bildender Künstler (VBK) der DDR. Sitte zählt zu den einflussreichsten Vertretern des Sozialistischen Realismus. , und den brauchen wir nicht.“ Dann wurde vollkommen darauf verzichtet. Mir war klar: Nur, wenn ich mich aktiv auf die gegenwärtige Situation einlasse, kann ich auch in dem Bereich arbeiten. Psychologie konnte ich hier abschreiben. Da wollte mich keiner haben. Also musste ich mich mit aktueller Kunst, mit Gegenwartskunst, beschäftigen und mich nicht mit so einer Vergangenheitskiste nach hinten orientieren.

Wie war das zuvor im Osten: Haben Sie selbst Werke angekauft? Gab es Sammler, die bei Ihnen gekauft haben?

Mir war von vornherein klar, dass ich nichts verkaufen kann. Da wäre wieder eine Abteilung aus der DDR-Hierarchie gekommen und hätte gesagt: „Nichts da, darfst du nicht.“ Das war auch kein Problem für mich. Ich weiß aber, dass einige Arbeiten von Museen aufgekauft worden sind, die ich vermittelt habe. „Gehen Sie zu dem Künstler, das ist seine Adresse.“ Inwieweit das auch bei Westkünstlern der Fall war – das glaube ich eher nicht. Unsere Sammlung ist durch Geschenke oder als übliche Gegenleistung entstanden: Ich schenke dir etwas, du schenkst mir etwas. Aber aktiv gekauft habe ich eigentlich nie. Hier im Westen habe ich dann etwas mehr gekauft. Aber alles im Rahmen unseres wenig üppigen Budgets.

Sie haben auch damals, wenn die Sachen bei Ihnen hingen, nicht gedacht, dass Sie das eine oder andere gerne behalten würden?

Nein, eigentlich nicht. Das hing auch damit zusammen, dass ich mich gefragt habe: „Was soll ich damit? Soll ich es stapeln, oder soll ich es an die Wand hängen?“ Und da hing ja auch schon einiges.

Und Privatleute gab es gar nicht, die sich danach erkundigt haben?

Das weiß ich nicht. Wenn jemand sich interessierte, habe ich die, wenn überhaupt, mit dem Künstler in Verbindung gebracht. Was die dann untereinander gemacht haben, hat mich nicht interessiert.

Was Sie gemacht haben, waren Editionen.

Die waren auch ein ganz eigenartiges Vertriebssystem. Es wurden meistens nur so viele Mappen gemacht, dass jeder Beteiligte zwei Mappen bekam. Und dann blieben drei oder vier übrig. Meistens hat ein Museum eine gekauft oder das Kupferstich-Kabinett in Dresden.

Das haben die aber gekauft?

Ich weiß nicht, ob ich sie denen sogar geschenkt habe. Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Von dieser einen Penck-Mappe sind durch mich zwei oder drei Sachen verkauft worden. Für einen Appel und ein Ei.

Wenn Sie es nicht verkaufen wollten, was steckte dann hinter der Idee, diese Editionen herauszugeben?

Die Idee war, dass man Kunst vervielfältigen müsste. Und wenn ich eine Edition in einer Auflage von 50 mache, waren das plötzlich 50 potenzielle Betrachter. Bei der Malerei ist es immer bloß ein Ding. Es hängt natürlich auch davon ab, wie viele Leute kommen und das Bild sehen, aber an sich ist so eine Edition schon eine Vervielfältigung. Das war für mich die Hauptsache. Ich habe ja dann hier im Westen – 82 glaube ich – auch angefangen, Postkarteneditionen zu machen. 1982 gab Jürgen Schweinebraden in der EP Edition die Kassetten 1 bis 5, 1984 die Kassetten 6 bis 11 mit Arbeiten zeitgenössischer Kunst auf Papier im Postkartenformat von unter anderen Armando, Christo, Per Kirkeby, A.R. Penck und Arnulf Rainer heraus, die größtenteils eigens für die Edition entstanden sind. Das auf jeweils 500 Stück limitierte Projekt war zugleich als Künstleredition wie als Mail-Art im Sinne der Kunstwerk-Verbreitung auf alternativen Wegen zur Galerieausstellung angelegt. Einfach aus der Idee der Vervielfältigung von Kunst heraus. Das war vielleicht auch noch so dieser brechtsche Begriff, den Kreis der Kenner zu vergrößern. Das ist alles gefloppt. Ich habe noch einen ganzen Haufen von den Postkarteneditionen. Von den anderen Editionen nicht, weil alle Beteiligten zwei Stück bekommen haben, und damit waren immer alle Mappen automatisch weg. Aber die kleineren Sachen, die ich gemacht hatte, auch die Kataloge und Katalogreihen, davon liegt die Hälfte noch bei mir im Keller.

Wissen Sie, was Ihre Grafikeditionen damals gekostet haben?

Keine Ahnung. Das ging ja nicht über den Preis. Im Osten habe ich eigentlich nichts verkauft. Ob die Künstler, die zwei Exemplare hatten, eines oder beide verkauft haben, weiß ich nicht. Ich weiß nur von einem Freund, der sich mehr für Auktionen interessiert, dass hin und wieder solche Mappen auf Auktionen aufgetaucht sind und je nachdem zwischen 600 und 1.400 D-Mark eingebracht haben. Eine Mappe, in der Baselitz drin war, hat, glaube ich, ein bisschen mehr gebracht. Eine andere muss auseinandergenommen worden sein, da ein paar Arbeiten einzeln verkauft worden sind. Aber keine Ahnung, mich hat Kunst als unmittelbarer Geldwert nie interessiert.

Sie hatten damals diese ganzen Westkünstler: Paeffgen, Baselitz … Wie kam die Auswahl dieser Leute zustande?

Über Freunde und Empfehlungen. „Ich kenne den, frag ihn doch mal mit an.“ Ich habe sie dann angeschrieben, und die haben mitgemacht oder nicht. Meistens haben sie mitgemacht. Gerade, weil es im Osten war, war dieser Seltenheitspfiff dabei. Joseph Beuys hat mir nicht einmal geantwortet, als ich ihn per Brief für eine Ausstellung angefragt habe. Als ich dann bei der Nationalgalerie arbeitete, war er mal da, und ich habe ihn darauf angesprochen. Da hat er gesagt: „Klar, wäre ich auch gekommen, aber ich hatte damals keine Zeit.“ Ich war erstaunt, dass er sich überhaupt an diesen Brief erinnern konnte.

Oder einmal brachten Freunde Christo mit zu uns in die Galerie. Danach habe ich dann eine kleine Postkartenedition von Christo gemacht. Da waren immer freundschaftliche Kontakte im Spiel, bis es ein Level erreicht hatte, wo ich nicht nur durch die DDR-Situation, sondern auch durch die Arbeit in der Nationalgalerie bekannt war.

Wie haben Sie Beuys damals erlebt?

Also ich muss sagen, dass der Kontakt natürlich ausgesprochen kurz gewesen ist.

Sie haben ihn nur dort in der Nationalgalerie getroffen?

Genau. Und das ist eigentlich nur dadurch zustande gekommen, weil ich ihn damals persönlich angesprochen habe. Als Psychologe würde ich sagen, er war ein unheimlich freundlicher Typ. Er ist auch sehr entgegenkommend gewesen. Mehr kann ich eigentlich gar nicht dazu sagen. Er war sympathisch.

War Beuys im Osten bekannt?

Deswegen habe ich ihn ja angeschrieben.

Und haben Sie auch die Kunstbewegungen in den USA verfolgt? Pop-Art, Minimal Art, Konzeptkunst?

Im Grunde nur über die Kataloge – die man dann doch irgendwie bekommen hat. Man hat das mit einem gewissen Erstaunen wahrgenommen. Erst später, als man Originale gesehen hat, bekam das auch eine andere Intensität. Kataloge sind letztendlich Bilderbücher, die man im Wesentlichen auch so betrachtet. Für mich war der persönliche Kontakt immer viel wichtiger. Die Kataloge waren eigentlich nur dafür da, um sich eine Einstiegsmöglichkeit zu verschaffen. Gerade aus dieser Idee heraus, dass Kunst etwas Kommunikatives ist, gab es bei mir zu jeder Ausstellung eine sehr intensive Einführung. Und die musste ich ja irgendwie vorbereiten. Das konnte ich wiederum nur auf einer gewissen Basis mit einem gewissen Material. Also das war Arbeitsmaterial, und sonst ging es über persönliche Beziehungen. Roman Opałka Roman Opałka (1931 Hocquincourt – 2011 Rom) war ein Konzeptkünstler, der mit seiner Arbeit „1965/1-Infinity“ (1965–2011) bekannt wurde. Seine erste Einzelausstellung hatte er 1966 in Warschau, die erste Ausstellung in den USA 1974 in der John Weber Gallery in New York. Außerdem war er auf der „documenta 6“ (1977), der „29. Biennale von São Paulo“ (1987) und den „Biennalen von Venedig“ in den Jahren 1995 und 2003 vertreten. 1993 erhielt er den Goslarer Kaiserring. war einmal bei mir. Ich glaube, er kam mit Gerhard von Graevenitz Gerhard von Graevenitz (1934 Schilde – 1983 bei Hapkern, Schweiz) beschäftigte sich ab den 1960er-Jahren insbesondere mit physikalischen Phänomenen. Er hatte Kontakt zu Künstlern der Bauhaus-Moderne, darunter zu Josef Albers, Johannes Itten und Alexander Calder , sowie zu den Künstlern des ZERO-Umfelds, namentlich Yves Klein, Heinz Mack, Otto Piene, Daniel Spoerri und Jean Tinguely. In Paris machte Graevenitz 1961 Bekanntschaft mit der Groupe de Recherche d’Art Visuel. Er unterrichtete an den Kunsthochschulen in Hamburg, Braunschweig und Kassel sowie an der Hochschule für Film und Fernsehen in München. damals. Zu Opałka hat es dann auch eine Zeit lang noch gute Kontakte gegeben. Wie eigentlich zu den meisten Künstlern, wenn man sich trifft. Aber es ist nicht so, dass man sich ständig irgendwelche Liebesbriefe schreibt.

Sie haben vorhin schon kurz René Block René Block (* 1942 Velbert) eröffnete Anfang 1964 in Berlin das Grafische Cabinet René Block, aus dem noch im gleichen Jahr die Galerie René Block hervorging. Dort zeigte er bis 1979 Ausstellungen und Aktionen unter anderen von Joseph Beuys, Bazon Brock, Stanley Brouwn, Sigmar Polke, Gerhard Richter und Wolf Vostell. In den Folgejahren organisierte Block als Kurator zahlreiche Ausstellungen für die daadgalerie in Berlin sowie für das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in Stuttgart, bevor er 1997 die Direktion des Fridericianums in Kassel übernahm. Seit 2008 führt René Block die auf Editionen spezialisierte Galerie Edition Block in Berlin. erwähnt. Er machte damals natürlich etwas ganz anderes als Sie, aber er hatte auch einen nicht-kommerziellen Raum in West-Berlin. Hatten Sie Kontakt zu ihm?

Über solche Typen wie mich, die etwas machen, was es gar nicht geben darf, wurde natürlich geredet. Einer, der beispielsweise häufig bei uns war, war Günther Uecker. Der erzählte natürlich danach: „Ich war wieder mal beim Schweinebraden.“ Das ist nicht bloß eine Akzeptanz meiner Person gewesen, sondern auch das Ereignis als solches, vom Westen in den Osten zu gehen. Und dann noch zu so einer Type.

Uecker war damals schon in Düsseldorf. Was hat er bei Ihnen in Ost-Berlin gemacht?

Es gibt Dinge, die prägen die Leute. Und Uecker ist – wenn Sie so wollen – ein Ostler. Er ist auf Wustrow groß geworden und hat noch eine ganz enge Beziehung dazu. Günther Uecker (* 1930 Wendorf) wuchs bis zu seinem 19. Lebensjahr auf der Halbinsel Wustrow auf. Sowohl für die Wehrmacht als auch für die sowjetische Besatzungsmacht war die Halbinsel während des Zweiten Weltkriegs von militärischem Interesse. Siehe auch Günther Uecker. Er redet auch darüber und steht dazu. Einer seiner besten Freunde, Dieter Honisch Dieter Honisch (1932 Beuthen, Oberschlesien, heute Polen – 2004 Berlin) war ein deutscher Kunsthistoriker und Kurator. Er studierte Kunstgeschichte an den Universitäten Münster, Wien und Rom und promovierte 1960 mit einer Arbeit über den Maler Anton Raphael Mengs (1727–1779). Von 1960 bis 1965 war Honisch Geschäftsführer des Westfälischen Kunstvereins in Münster und von 1965 bis 1968 Direktor des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart, wo er unter anderem die Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ verantwortete. 1968 wurde Honisch Kustos und später Oberkustos am Museum Folkwang in Essen, bevor er im Februar 1975 als Nachfolger von Werner Haftmann zum Direktor der Berliner Nationalgalerie berufen wurde, die er bis 1997 leitete. 1970 und 1972 war Honisch Kommissar des Deutschen Pavillons der Biennale von Venedig. , kam auch aus so einer Gegend. Schon als Honisch am Museum Folkwang in Essen war, hat er Ostkünstler gefördert. Nicht aus der DDR, dazu hatte er zu wenig Beziehungen, aber wahrscheinlich aus Ungarn und Polen. Er hatte auch immer ein Faible für diese Gegend. Ich glaube, es ist die Anerkennung einer besonderen Leistung, unter restriktiven Bedingungen etwas zu erarbeiten.

Würden Sie sagen, dass es unter denen, die aus dem Osten kamen, ein Gemeinschaftsgefühl gab?

Nicht unbedingt ein Gefühl, sondern eher ein anderes Verständnis. Es ist mehr eine intellektuelle Angelegenheit als eine emotionale. Ich glaube aber, dass es eine ganz entscheidende Sache ist. Der Blick auf die Situation ist ein anderer.

Die Künstler mit einer Vergangenheit in Ostdeutschland gehören heute zu den erfolgreichsten deutschen Künstlern überhaupt. Kann es sein, dass diejenigen, die als junger Mensch diesen Schritt aus dem System heraus gewagt haben, die stärksten Kämpfer sind? Sind das die, die sich durchsetzen können? Gibt es dazu Ihrerseits eine These?

Nein, eigentlich nicht. Aber ich sagte ja vorhin schon: Es gibt einen Moment, in dem man eine Grenze überschreitet, in dem man eine andere Form von Selbstbewusstsein entwickelt, die weit über den empfundenen Durchschnitt in der Gesellschaft hinausgeht. Von dem Moment an bemerkt man unter Umständen die Andersartigkeit relativ schnell und spürt die Decke, an die man dann automatisch stößt. Wahrscheinlich hatten gerade Richter, letztlich auch Klaus Staeck, Uecker – und wenn man so will auch Graubner – diese Empfindung sehr früh und sehr intensiv. Und sie waren der Überzeugung, selber eine Leistung vollbringen zu können. Ralf hatte das auch. Aber er wäre dortgeblieben, wenn man ihn akzeptiert hätte. Wenn Sie so wollen, ist er mehr vertrieben worden, als dass er freiwillig gegangen ist. A.R. Penck wurde in den 1950er-Jahren mehrfach von den Kunstakademien in Dresden und Berlin-Weißensee abgelehnt.1969 wurde ihm nach Ablauf der dreijährigen Kandidatenzeit die Vollmitgliedschaft im Verband der Bildenden Künstler der DDR und damit der offizielle Status als freischaffender Künstler verwehrt. Es gibt wahrscheinlich andere, die auch in den Westen gegangen sind, und trotzdem keinen Fuß auf den Boden bekommen haben, weil sie die innere Überzeugung nicht hatten. Um eine Leistung zu vollbringen, braucht man auch die Überzeugung, dass man diese Leistung erbringen kann. Auch später noch. Das war kein Zufallsereignis, wenn einem etwas geglückt ist. Von daher ist es schon eine menschliche Qualität, wenn man diesen Schritt bewusst und relativ früh gemacht hat. Bei Baselitz war es wiederum etwas anders. Er ist aus dem System geflogen Nachdem Georg Baselitz (* 1938 Deutschbaselitz) 1957 wegen „gesellschaftspolitischer Unreife“ ein Jahr nach Aufnahme seines Studiums an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee zwangsexmatrikuliert wurde, wechselte er im gleichen Jahr an die Hochschule für Bildende Künste in West-Berlin. und hat entschieden: Dann gehe ich in ein anderes System. Inwieweit er unter Umständen über die gleiche Erfahrung verfügte wie meinetwegen Richter, kann ich nicht beurteilen. Richter ist nirgends rausgeflogen. Er hat schon im Osten große Sachen wie zum Beispiel das Wandbild 1956 erhielt Gerhard Richter den Auftrag für eine Wandmalerei im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden. Das Bild trug den Titel „Lebensfreude“ und hatte die Maße 500 x 1.500 Zentimeter. Das Bild wurde nach der Flucht Gerhard Richters in den Westen übermalt. im Hygiene-Museum in Dresden gemacht. Der war dort ein gemachter Künstler.

Baselitz hatte das Bewusstsein, wie eine Gesellschaft unter Umständen funktioniert, um sich dann auf einer anderen Ebene mit dieser Gesellschaft und deren Gebaren auseinanderzusetzen. Das „Pandämonium“ Georg Baselitz und Eugen Schönebeck (* 1936 Heidenau) verfassten gemeinsam die Manifeste „Pandämonium I“ (1961) und „Pandämonium II“ (1962). Sie forderten darin eine neue Bildsprache, die sich von der vorherrschenden abstrakten Malerei absetzt und einen neuen Zugang zur Realität anstrebt. Sie rebellierten gegen die etablierten Kunstformen und forderten einen neuen expressiven Malstil. , das er mit Eugen Schönebeck zusammen geschrieben hat, hätte ein Westkünstler wahrscheinlich gar nicht gemacht. Von daher muss man vielleicht sogar sagen, dass man den Begriff der „politischen Kunst“ auch anders definieren könnte als nur vom Inhaltlichen her, und zwar ausgehend von der künstlerischen Intention. Also nicht vom Ergebnis her betrachtet, sondern von der Ausgangssituation her. Was hat ihn dazu veranlasst, brutal gegen die Gesellschaft anzumalen? Das hat Baselitz am Anfang ganz hervorragend gemacht. Wenn Sie so wollen, ist das auch bei den Amerikanern, bei John Cage oder Andy Warhol, so gewesen. Die Unzufriedenheit mit dem politischen System. Die Versuche, die Grenzen des Systems Kunst, in dem sie sich gerade aufgehalten haben, zu sprengen. Von daher ist Kunst wahrscheinlich immer politischer, als man gemeinhin denkt. Vielleicht denkt man bei „politischer Kunst“ automatisch an Staeck, ansonsten hat „politische Kunst“ hier im Westen gar nicht so eine große Bedeutung. Weil sie an bestimmten Punkten auch langweilig ist, und weil es schwierig ist, die Balance zwischen plakativ und subtil zu finden. Kunst ist für mich von dem Moment an revolutionär, wo sie etwas anders macht als es vorher gemacht wurde. Wo sie einen Bruch mit der Tradition wagt.

Und den Blick weglenkt. Diese Abstraktionsebene, auf die sich Penck auch begibt: Die Welt anders anzuschauen. Nicht den Spiegel vorzuhalten, es nicht mit dem, was man aus der Zeitung oder aus den Tagesmedien kennt, gleichzusetzen, sondern die Freiheit zu nutzen, das System anders zu denken. Das ist doch das Befreiende an der Kunst.

Ja, das würde ich unterstützen. Das ist eigentlich das Wesentliche der Kunst: Die Dinge anders zu sehen als sie sind. Nur die Künstler, die diese Fähigkeit haben, werden etwas oder sind etwas geworden. Wobei man natürlich sagen muss, dass es ein unendlich guter Trick des Kapitalismus ist, wenn die Marktgesetze so funktionieren, wie sie funktionieren, dass dann plötzlich gar nicht mehr die Kunst das Wesentliche wird, sondern der Run auf das damit verbundenen Geld.

Das ist ja weniger das Problem der Kunst, oder?

Nein, des Systems. Der Markt entwertet aber die Kunst, indem er sie einseitig auf dieses Marktgeschehen bezieht.

Das ist aber nur die eine Seite.

Es ist aber bedauerlicherweise eine wichtige Seite. Es geht ja auch um die Existenz. Man kann nur etwas produzieren, was man auch loswird, sonst ist man vorher tot. Andererseits schauen die Studenten viel zu sehr: Welche Galerie kann mich am besten vertreten und bringt mich am besten hoch? Was meiner Meinung nach ein Trugschluss ist. Kein Galerist schafft es, einen Künstler groß zu machen, wenn keine Substanz da ist.

Ja. Und letztendlich ist das vielleicht auch wie in allen Bereichen. Derjenige, der irgendetwas für seinen Lebenslauf tut, der tut es eben nicht für die Sache. Und das ist die Frage, wie lange sich so eine Strategie aufrechterhalten lässt. Aber das ist in anderen Disziplinen nicht anders. Das ist der natürliche Wettbewerb. Man kann nur hoffen, dass die Besten nicht untergehen.

Das stimmt.

Ich habe noch eine Frage zu den Frauen in Ihrem Programm. Ich glaube, Hilla Becher war einmal bei Ihnen ausgestellt „Fördertürme“, EP Galerie Jürgen Schweinebraden, 1978. , ansonsten waren die Frauen etwas „unterrepräsentiert“, und das ist noch sehr vorsichtig ausgedrückt. Da waren Sie damals keine Ausnahme, aber mich würde interessieren, ob das für Sie je ein Thema gewesen ist?

Mich hat es nicht richtig interessiert. Ich hatte da auch zu wenig Kenntnis. Ich habe tatsächlich keine Frau ausgestellt. Doch, Dóra Maurer. „Tomas Schmit, Tibor Gayor, Dóra Maurer“, EP Galerie Jürgen Schweinebraden, 1978. Aber ich habe mich mit diesem Thema wirklich überhaupt nicht auseinandergesetzt. Für mich wäre das wurscht gewesen, ob das von einer Frau oder von einem Mann ist, wenn es nach meiner Meinung gut gewesen wäre. Ich habe allerdings später festgestellt, dass ich unter Umständen doch eine leicht antifeministische Haltung hatte oder habe. Ich halte heute noch nicht so fürchterlich viel von Kunst von Frauen. Aber ich muss auch dazu sagen: Ich kenne zu wenig und habe mich zu wenig damit beschäftigt. Es ist also letztendlich mein Problem. Denn es gibt ja durchaus gute Frauen. In Hamburg habe ich Maria Lassnig mal ausgestellt. Maria Lassnig (geb. Maria Gregorz; 1919 Kappel am Krappfeld, Österreich – 2014 Wien) war eine Malerin. Ab den 1950er-Jahren entwickelte sie das Konzept für ihre „Körperbewusstseins-Bilder“. Sie nahm an der documenta 7 (1982) und 10 (1997) teil und erhielt 2013 auf der Biennale von Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk. 1989 organisierte Jürgen Schweinebraden für den Kunstverein in Hamburg die Ausstellung „Maria Lassnig. Mit dem Kopf durch die Wand. Neue Bilder“. Das ist natürlich ein Hammer. Und da gibt es durchaus noch eine Menge anderer. Andererseits sind sie natürlich unterrepräsentiert, und da muss man sich fragen, weswegen. Es kann nicht an der Gesellschaft allein liegen, es muss auch an den Frauen liegen, die natürlich wiederum ein Produkt ihrer Gesellschaft sind. Da bin ich nicht richtig zuständig. Ich bin weder Feminist, noch bin ich ein richtiger Anitfeminist. Und ich sage sicher nicht: „Ich stelle lieber eine Frau aus als einen Mann, weil es sich gehört und jetzt politisch korrekt ist.“

Ich frage mich manchmal: Ist das damals überhaupt aufgefallen? Heute geht es häufig um die „Quote“. Und natürlich sind wir an den Institutionen angehalten, eine repräsentative Auswahl zu treffen. Dazu gibt es bekanntlich sehr unterschiedliche Meinungen. Die andere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt: Entsteht mit der Medienkunst ein neues Feld, das weniger von den Männern besetzt ist und entsprechend von den Frauen leichter bespielt werden kann?

In der DDR spielte das eigentlich keine Rolle. Ich glaube, es gab insgesamt einfach weniger Studentinnen an den Hochschulen. In der BRD kam es mir so vor, dass die Unterrepräsentanz von Frauen, zum Beispiel eben in der Malerei, sie veranlasst hat, zu Performance oder zu Video zu wechseln. Gerade in der Anfangsphase sind diese Medien häufiger von Frauen benutzt worden als von Männern. Ich glaube, es ist sogar jetzt zum großen Teil noch so, dass Frauen mindestens gleichwertig, wenn nicht sogar stärker in diesen anderen Medien der Kunst tätig sind. Das hat natürlich einen Grund: Sie sind in der Malerei nicht ernst genommen worden. Aber sie haben dann auch eine eigene Sprache zu entwickeln, die sie möglicherweise – bis auf wenige Ausnahmen wie Meret Oppenheim Meret Oppenheim (1913 Berlin – 1985 Basel) wuchs in Süddeutschland und der Schweiz auf und studierte in Paris an der Académie de la Grande Chaumière Malerei. Sie gehörte dem Kreis der Surrealisten an und galt als Muse von André Breton (1896–1966) und Max Ernst (1891–1976). 1933 war Oppenheim im „6. Salon des Surindépendants“ vertreten. 1936 hatte sie ihre erste Einzelausstellung in der Galerie Marguerite Schulthess in Basel. zum Beispiel – nicht entwickelt haben. Sich bloß in Konkurrenz zu den Männern zu begeben, das haut nicht hin, das muss dann schon etwas Eigenes sein. Und das ist es mit Video und Performance auch geworden.

Warum müssen die Frauen sich da behaupten? Was ist denn der Unterschied zwischen einem Mann und einer Frau?

Es sind die gesellschaftlichen Verhältnisse. Das ist ganz einfach.

Die sich ja aber stark verändert haben.

Zugunsten der Frau zu einer größeren Objektivität hin.

Vielleicht auch zugunsten des Mannes?

Das würde ich nicht gerade sagen. Um noch einmal auf die DDR zurückzukommen: Dort hat es gar keine Rolle gespielt, weil die Frauen von vornherein gleichberechtigt waren, sodass die Frage, ob es Frauenkunst oder Männerkunst ist, gar nicht aufkam – es war entweder gute Kunst oder schlechte Kunst. Es gab durchaus ein paar Frauen. Zum Beispiel war Lea Grundig Lea Grundig (geb. Lea Langer; 1906 Dresden – 1977 Dresden) arbeitete vor allem als Zeichnerin und Grafikerin und sah sich selbst als Aktivistin. 1926 trat sie in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein. Nachdem Grundig mehrfach inhaftiert worden war, floh sie 1939 nach Israel, wo sie bis 1948 lebte. 1950 wurde sie Professorin an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und war von 1964 bis 1970 Präsidentin des Verbands Bildender Künstler der DDR. eine Frau, die gute Malerei gemacht hat. Meiner Meinung nach ist das mehr eine Auseinandersetzung auf gesellschaftspolitischer als auf künstlerischer Ebene.

Die aber in der DDR gar nicht stattgefunden hat?

Die musste nicht stattfinden, weil sie von vornherein durch Ideologie ausgesprochen determiniert gewesen ist.

Wie kamen Sie darauf, Ihren Raum „Galerie“ zu nennen?

Ja es war doch eine! In meiner Einfalt habe ich gedacht: Wo Bilder an den Wänden hängen – nur Bilder und nichts anderes –, ist eine Galerie. Es war auch keine Wohnungsgalerie. Manche haben ja eine Art Wohnungsgalerie, hängen ein paar Bilder in ihrem ganz normalen Wohnungsambiente auf und sagen, es ist eine Ausstellung. Bloß, weil die Bilder mal gewechselt werden. Es war in erster Linie für meine Frau als Übungsraum und Lehrraum gedacht, weil sie Gitarre unterrichtet hat. Sonst war der Raum immer frei. Es stand nichts drin außer ein paar Stühlen und unserem Flügel. Das war ein Galerieraum. Ich muss zugeben, dass ich, wenn Künstler aus dem Westen kamen, manchmal das Gefühl hatte, dass es ein sehr kleines Kabuff ist. Als ich dann aber später in den Westen kam und noch kleinere Galerieräume gesehen habe, dachte ich: „Na ja, so schlecht warst du gar nicht.“

EP steht für „Einzige Privatgalerie“?

Ja. „Einzig“ war sie aber nicht, das ist mir aber erst später gesagt worden. Es gab noch andere Galerien in der Art, wie es die Wohnungsgalerien waren. In Dresden kannte ich eine Frau – sie ist eigentlich ziemlich bekannt gewesen –, Ursula Baring. Die hat auch eine Galerie in ihrer Wohnung gemacht. Ursula Baring (1907 Dresden – 2002 Dresden), die nach einem abgebrochenen geisteswissenschaftlichen Studium ab 1945 als Krankengymnastin in Dresden arbeitete, gehörte ab den 1940er-Jahren zur Dresdener Kunstszene um Herrmann Glöckner, Hans Körnig, Jürgen Seidel und Willy Wolff. Sie sammelte insbesondere die während der NS-Zeit als „entartet“ verfemte Kunst der klassischen Moderne und begann ab 1948 in ihrem Gymnastiksaal in Dresden Ausstellungen zu zeigen. 1959 mietete sie zusätzliche Räume an und führte eine private Galerie, wo sie zeitgenössische Kunst zeigte, die den kulturpolitischen Vorgaben des Sozialistischen Realismus nicht entsprach. 1963 gab Baring ihre Galerietätigkeit nach Verhören und Drohungen durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR auf. Vgl. Yvonne Fiedler, „Kunst im Korridor. Private Galerien in der DDR zwischen Autonomie und Illegalität“, Berlin 2013. Da saßen wir auf dem Sofa vor dem Kaffeetisch, und dahinter hingen ein paar Bilder von irgendjemandem. Das war dann für sie auch eine Galerietätigkeit.

Hat sie auch verkauft?

Dinge, die von der Gesellschaft nicht akzeptiert waren oder der Ideologie nicht entsprachen, waren häufig idealistisch, und da wurde erst mal überhaupt nicht an das Geschäft gedacht. Das wurde wirklich aus einer idealen Haltung heraus und aus einer Liebe zur Kunst – und das war bei ihr in hohem Maße der Fall – gemacht, aber nicht aus irgendwelchen pekuniären Gründen. Das hat in der DDR nie eine Rolle gespielt. Nie. Natürlich war jeder Künstler froh, wenn er etwas verkaufen konnte oder musste, denn das war die einzige Basis, um sich etwas Freiheit von seiner betrieblichen Arbeit zu verschaffen. Ein Großteil des Werks von Ralf ist möglicherweise nur dadurch erklärbar, dass er einer der wenigen freien Künstler gewesen ist. Seine Freunde hatten alle noch andere Tätigkeiten, sie mussten ihren Lebensunterhalt verdienen. Er hat – wenn Sie so wollen – auf sein Leben verzichtet und mit dem vorliebgenommen, was er gerade bekommen hat, um malen zu können. Das war für ihn das Wichtigere. Dass er viele Tätigkeiten hatte, kann man überall nachlesen. Aber eigentlich war er total frei, und das ist das Entscheidende. Wenn man in einem Betrieb war, war man immer irgendwo der Gewerkschaft ausgesetzt, oder die Partei hat irgendwelches Zeug erzählt. Ralf war total frei. Ich kenne kaum jemanden, der in der DDR so frei gewesen ist wie er.

Die einen sagen: „Ich konnte zu Penck fahren und ihn ganz offiziell besuchen.“ Andere sagen: „Ich habe mich als Familienmitglied, Cousin oder sonst etwas ausgegeben müssen.“ Penck hatte viele Pseudonyme, und seine Kunst durfte offiziell nicht ausgeführt werden. Aber die haben doch im Osten sicher gewusst, dass er Kontakte in den Westen hatte und da auch verkauft hat?

Das haben sie auch gewusst. Zumindest zu einem etwas späteren Zeitpunkt. Sie haben auch versucht, daraus Profit zu schlagen. Das ist bloß nie gelungen. Er war praktisch schon weg, ehe sie richtig dahintergekommen sind, dass da unter Umständen Geld zu machen sei. Es gab in der DDR auch ein Kulturgutgesetz 1953 wurde in der DDR die Verordnung zum Kunst- und Wissenschaftsbesitz beschlossen, in der die zu erfassenden Werke wie Plastiken, Gemälde, Zeichnungen, Teppiche, Stickereien und Möbel verzeichnet waren. 1980 wurde das Kulturgutschutzgesetz der DDR verabschiedet. Vgl. Kerstin Odendahl, „Kulturgüterschutz: Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems“, Tübingen 2005, S. 98 ff. , wie das jetzt von Monika Grütters diskutiert wird, damals in einer etwas anderen Weise. Jeder, der regulär in den Westen ausreiste, so wie wir, musste alle seine Sachen begutachten lassen. In unserem Fall ist jemand vom Museum gekommen, eine Kuratorin. Wir mussten Listen anfertigen, und dann wurde jedes Stück angesehen. Penck war aber damals noch kein Kulturgut. Im Osten war nicht bekannt, dass Ralf seit Ende der 60er-Jahre im Westen schon so viel verkauft hatte. Das ist erst Ende der 70er-Jahre mehr oder weniger bekannt geworden. Ein schönes Beispiel hierzu: Ich sagte vorhin, dass die erste Ausstellung, die wir gemacht haben, Ralf gewidmet war, mit sechs oder acht unbekannten Bildern, zum Teil aus seiner Rembrandt-Phase. Die Bilder hat dann ein Professor der Kunsthochschule in Weißensee, ein echter, alter, guter Kommunist, der lange im KZ gewesen ist, gesehen und gesagt: „Mensch, ich wusste ja gar nicht, dass der Penck malen kann.“ Vielen in der DDR waren bloß die frühen Bilder bekannt, weil er zu der Zeit im Osten noch die meisten Kontakte hatte. Als er anfing, die großen Bilder zu malen, sind die häufig sofort in den Westen gegangen. Es wussten ganz wenige, was er damals alles machte.

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Jürgen Schweinebraden