Karlsruhe, 02. März 2009
Eva Mongi-Vollmer: Herr Gallwitz, 1963 eröffnete Michael Werner gemeinsam mit Benjamin Katz mit der sogenannten „Skandal-Ausstellung“ „Baselitz“, Galerie Werner & Katz, Berlin, 01.–25. Oktober 1963. Die Ausstellung umfasste 52 Bilder, darunter die Werke „A. A.“, „P.D. Stengel“, „Erste Semmel“, „Nackter Mann“ und „Die große Nacht im Eimer“. Am 09. Oktober 1963 wurden die beiden letztgenannten Bilder wegen des Vorwurfs der „Unsittlichkeit“ von der Berliner Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Vgl. o. A., „Baselitz-Prozess – Klage und Qual“, in: „Der Spiegel“, Nr. 26, 24.06.1964, S. 82–84. seine erste Galerie in Berlin. Dort wurden Werke von Georg Baselitz gezeigt, darunter das Bild „Die große Nacht im Eimer“, das von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurde. Sie waren zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt und Geschäftsführer des Badischen Kunstvereins. Haben Sie damals Kenntnis von der Berliner Ausstellung gehabt?
Klaus Gallwitz: Nur aus der Presse auf die oberflächlichste Art: „Staatsanwalt beschlagnahmt obszönes Gemälde.“ Vertieft habe ich mich darin nicht, denn ich war in dem Jahr sehr damit beschäftigt, die Beckmann-Porträt-Ausstellung „Max Beckmann. Das Portrait“, Badischer Kunstverein Karlsruhe, 26. August – 17. November 1963. für den Badischen Kunstverein in Karlsruhe zu realisieren. Dafür bin ich bis nach Amerika gereist. Baselitz war mir natürlich als Künstler schon gegenwärtig, aber persönlich kannte ich ihn damals noch nicht.
Wann haben Sie sich kennengelernt?
Das war im Zusammenhang mit einer Einladung von Franz Dahlem. Nahe kam ich ihm erst einige Jahre später, als ich ihn 1968 nach Baden-Baden einlud, sich bei der gerade ins Leben gerufenen Ausstellungsreihe „14 mal 14“ „14 mal 14. Junge deutsche Künstler“, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 05. April – 07. Juli 1968. in der Kunsthalle zu beteiligen. Das war der Auftakt von insgesamt fünf Durchgängen mit 70 Künstlern. Meine Frau und ich haben ihn aus diesem Anlass im Winter 1967/68 bei Eis und Schnee in Osthofen in der alten Mühle, die er über Frau Staab beziehen konnte, besucht. Georg Baselitz (eigtl. Hans-Georg Kern; * 1938 Deutschbaselitz) siedelte 1957 nach West-Berlin über. Ab 1966 lebte er in Osthofen bei Worms, ab 1971 in Forst an der Weinstraße und ab 1975 auf Schloss Derneburg in der Nähe von Hildesheim, das er 2006 an die US-amerikanischen Sammler Andrew und Christine Hall verkaufte. Seither lebt er in Inning am Ammersee. Dort wohnte er mit seiner Frau Elke, und im Hof wurden riesige Hunde gehalten. Das war eine bedrückende und herrische Zeit. Das Atelier und die Gänge waren voller Bilder. Gestapelt wie in einem Silo: Jäger, Kühe, Hunde. Und dann dieser intensive Leinölgeruch, etwas ranzig. Er hatte alle seine Sachen aus Berlin in die tiefste Pfalz geholt, und er selbst war damals im Grunde das, was er auch malte: einer seiner Wanderer-Helden, ein zerschlissener und zerfetzter Typ.
So haben Sie ihn kennengelernt?
Ja, mit einer großen frischen Schramme auf der Augenbraue. Das sah ziemlich unheimlich aus. Und unten heulten die Hunde. Eine der riesigen Doggen, die dort in einer zugehörigen Hundefarm gezüchtet wurden, kam irgendwann auch herauf und legte ihre gewaltigen Pranken meiner nicht sehr großen Frau auf die Schulter – zum Glück war sie weniger erschrocken als ich. Das alles gehörte zu dem sehr intensiven ersten Eindruck von der Arbeitsweise, dem Milieu und dieser doch sehr abseitigen, an Ernst Jünger erinnernden Situation in der Talmühle. Man muss sich vorstellen: Baselitz war für mich Berlin – und dann auf einmal dieser abgelegene Ort und ein völlig ungesicherter Lebensanfang im westlichsten Westen. In diesem Zusammenhang muss man auch Elke Baselitz unbedingt nochmals erwähnen: Sie hatte Geschick in allen Lebenslagen und eröffnete in Worms eine Boutique. Mir schien Worms nicht gerade eine Kaufstadt zu sein. Elke lässt sich jedoch nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen. Sie hat entgegen der tiefen Skepsis und der gewissen, schon damals durchscheinenden Bitterkeit, die Baselitz manchmal überkam, die Dinge immer wieder hochgezogen und auch hochgehalten. Ihre Mutter war die Dritte im Bunde. Sie hat das Leben der beiden wesentlich mit sächsischer Vigilanz begleitet und gestützt.
Sind die Werke, die Sie in Baden-Baden gezeigt haben, in Osthofen entstanden?
Zum Teil sind sie in Osthofen entstanden, zum Teil in Berlin. Wir hatten etwa 90 große Leinwände von Baselitz nach Baden-Baden gebracht und haben auch alle 90 Bilder ausgestellt. Die halbe Kunsthalle war mit seinen Bildern angefüllt. Wir zeigten die Tierbilder, die ersten Streifenbilder, die Helden – das war damals sozusagen alles nichts wert. Es gab keinen Markt für Baselitz. Es gab einige verrückte Sammler und Verschworene wie Michael Werner, dem es aber auch nicht viel besser ging als seinen Künstlern. Sehr bald zeigte sich, dass es eine Frage des Durchhaltens und der Ausdauer war und dann natürlich auch eine Frage der Verdichtung. Ich weiß noch, wie Baselitz 1980, als ich ihn auf der Biennale von Venedig zeigte, sagte: „Bisher hat kein deutsches Museum je ein Bild von mir gekauft.“ Damals war er 43 Jahre alt.
Denken Sie, diese Situation des Ausgegrenztseins, in der sich Baselitz, Michael Werner und einige andere befanden, war der Grund, dass sich eine Gruppe formierte, nämlich die sogenannten „Werner-Künstler“, die dann häufig gemeinsam auftraten?
Die Werner-Künstler gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht, denn Werner hatte damals noch gar keinen Namen. Er war ein Besessener, ein Enthusiast, aber er hatte überhaupt nicht das Standing, das sich die wenigen größeren Galerien, die es in der Zeit gab, gerade geschaffen hatten. Er gehörte zu einer anderen Generation, und er kam aus Berlin, über das man sagte: „Ohne Moos nichts los.“ Ich erinnere mich nicht, ob Werner damals in Baden-Baden zur Baselitz-Eröffnung kam. Ein Jahr später war Markus Lüpertz bei „14 mal 14“ mit Riesenformaten dabei. Und 1973 habe ich Eugen Schönebeck gezeigt, den Maler des neuen Menschen und gemeinsam mit Baselitz der Erfinder des „Pandämonium“ Georg Baselitz und Eugen Schönebeck (* 1936 Heidenau) verfassten gemeinsam die Manifeste „Pandämonium I“ (1961) und „Pandämonium II“ (1962). Sie forderten darin eine neue Bildsprache, die sich von der vorherrschenden abstrakten Malerei absetzt und einen neuen Zugang zur Realität anstrebt. Sie rebellierten gegen die etablierten Kunstformen und forderten einen neuen expressiven Malstil. . Lüpertz lebte damals schon in Köln. Seine Bilder hatte er zusammengerollt unters Bett geschoben. Ich habe sie bei ihm auf dem Fußboden angesehen. Lüpertz war damals ein armes Schwein.
Wo haben Sie Lüpertz kennengelernt?
Ich bin für die Auswahl der „14 mal 14“-Ausstellungsreihe sehr viel herumgefahren und musste mich sehr schnell entscheiden. Lüpertz habe ich das erste Mal in Berlin besucht. Da hatte er sein Atelier in einer großen, lebhaften Kaufstraße. Draußen war richtig schöner Berliner Kiez. Bei Lüpertz in dem riesigen Atelier dagegen war absolute Ruhe. In der Zeit malte er die Eisenbahnschwellen, die Telegrafenmasten und die Weizenfelder … riesige Tableaus – das war alles noch in Berlin. In Köln war er dann in der Innenstadt in einem großräumigen Lagerraum. Da lief alles zusammen: die Malerei, das Leben und die Bilder unterm Bett.
Der Kontakt mit Lüpertz lief von Anfang an direkt und nicht über seinen Galeristen Werner?
Nein, das habe ich selbst gemacht. Ich wollte nicht unbedingt mit Galerien zusammenarbeiten, das heißt, ich habe es vermieden, wo es ging. Das Konzept der „14 mal 14“-Ausstellungen war eine Erfindung. So etwas machten weder die Galerien noch andere Häuser oder Institute. Ich suchte mir die Leute selber aus und wollte dabei möglichst unabhängig handeln. Es ging nie um eine Gruppe oder einen Stil, eine Richtung oder eine Haltung, sondern immer nur um eine spezielle Leistung, um die individuelle Position. Alle 70 Ausstellungen im Rahmen von „14 mal 14“ waren Einzelausstellungen. Als ich damals anfing, war ich 36 Jahre alt. Heute, 40 Jahre später, gibt es in Baden-Baden eine Neuauflage von „14 mal 14“. Das läuft unter dem Titel „7 x 14“ „7 x 14. Jubiläumsausstellung“, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 14. Februar – 12. Juli 2009. . Für die erste Ausstellung wurden neun Künstler von damals eingeladen, darunter Baselitz, Lüpertz, Richter und Ruthenbeck – Kiefer ist nicht dabei. Kiefer stellte etwas später, nämlich 1973, seine Position bei „14 mal 14“ aus. Damals war Baselitz der Erste, der in der Ausstellung Bilder von seinem Kollegen Anselm Kiefer kaufte. Zu dem Zeitpunkt hatte er ein bisschen Geld in der Tasche. Das war fünf Jahre nach seinem eigenen Auftritt. Zu der Zeit waren Kiefers Bilder noch billig.
Bei welcher Gelegenheit haben Sie Kiefer kennengelernt?
Er war noch Student in Karlsruhe und ging dann mit seiner Frau Julia, die auch Künstlerin war, aber später Lehrerin wurde, wegen ihrer Anstellung nach Hornbach im Odenwald. Also dorthin, wo Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen. In Hornbach wohnten sie in einer alten Schule und zogen ihre Kinder groß. Kiefers frühe Arbeiten sind dort in den ehemaligen Klassenräumen und auf dem Dachboden entstanden. Ich bin den Künstlern immer gern hinterhergestiegen, weil ich dachte, dass es für die Arbeit im Museum notwendig ist, sich mit den Zeitgenossen vor Ort auseinanderzusetzen.
Als Sie später Direktor des Städel Museums waren, haben Sie für die Sammlung Werke der eben genannten Künstler angekauft …
Das erste Baselitz-Bild, das ich nicht bezahlen konnte, weil wir das Geld gar nicht hatten, kam über die Frankfurter Künstlerhilfe, in der ich von Anfang an engagiert war. Das war der große „Adler“ Georg Baselitz, „Adler“, 1982, erworben 1999 als Schenkung des Frankfurter Vereins für Künstlerhilfe e. V., Städel Museum, Frankfurt am Main. . Soweit ich mich erinnere, haben wir das Bild bei Werner gekauft. Ich glaube, es kostete damals 70.000 D-Mark. Das zweite Bild war der „Kopf“ Georg Baselitz, „Kopf“, 1963. , den ich in der Sammlung Beyeler entdeckt hatte. Ich fand das Bild so wichtig und so singulär, dass ich mich sehr angestrengt habe, es für die Städtische Galerie im Städel zu erwerben. Damals haben wir auch schon für die Deutsche Bank eine richtige Baselitz-Sammlung mit mehr als 100 Papierarbeiten zusammengetragen.
1980 haben Sie auf der Biennale von Venedig Kiefer und Baselitz im Deutschen Pavillon gezeigt.
Und der Dritte sollte Markus Lüpertz sein. Ich hatte die drei – ich sehe das noch vor mir – einmal an meinen schönen Arbeitstisch im Städel eingeladen und gesagt: „Bitte schön, wollen wir jetzt zusammen in den Ring treten?“ Ich war zum dritten Mal – was eigentlich etwas ungewöhnlich war – Kommissar für die Bundesrepublik Deutschland in Venedig und hatte mit Joseph Beuys, Reiner Ruthenbeck und Jochen Gerz 1976 die erste Ausstellung gemacht. In der zweiten, 1978, habe ich Ulrich Rückriem und Dieter Krieg gezeigt, und die dritte, 1980, sollte mit Baselitz, Kiefer und Lüpertz sein, die sich ja untereinander kannten. Kiefer war damals nicht mehr in der Galerie Michael Werner und sagte: „Nie mehr!“ Für ihn war das Kapitel abgeschlossen. Wir waren schon bei der Detailplanung, da war alles noch in Ordnung. Ich fragte Baselitz immer: „Was werden Sie machen? Was zeigen wir im Pavillon?“ Und dann sagte er: „Ich versuche mich gerade an einer Skulptur.“ Außerdem hatten wir in Venedig einige seiner neueren Bilder dabei, die ich mit Baselitz in Derneburg ausgesucht hatte. Das waren große Diptychen. Bei Kiefer waren es vor allem die Dachbodenbilder, schwere Bücher und große Holzschnitte. Und dann kam sehr überraschend – im Frühjahr 1980, also wenige Monate vor Eröffnung der Biennale – die Erklärung von Lüpertz, dass er sich entschieden hatte, nicht teilzunehmen.
Mit welcher Begründung?
Ganz genau weiß ich es bis heute nicht. Mir schien es so, dass er diese Dreier-Kombination für problematisch hielt. Vielleicht fühlte er sich als Dritter und nicht als Erster und in der Konstellation mit Kiefer vielleicht auch deplatziert – das weiß ich aber nicht. Ich habe ihn damals gebeten, es sich noch einmal zu überlegen, weil ich mir vorstellte, dass diese Dreier-Gruppe zusammen sehr stark gewesen wäre. Mittlerweile war klar, dass von Baselitz, neben den Bildern, die erste Skulptur kommen würde und dass diese in den großen Raum sollte. Vielleicht lag auch darin ein Grund, dass die Symmetrie des Deutschen Pavillons Lüpertz eine nicht plausible Seitenrolle zuwies. Vielleicht hat aber auch Michael Werner mitgewirkt, der im Hintergrund seine Leute immer sehr stark beeinflusste und platzierte. Wie gesagt, ich habe es nie herausbekommen. Ich war damals enttäuscht und habe die Absage sehr bedauert. An Ort und Stelle haben wir dann entschieden, die Bilder von Baselitz wegzulassen. So war er mit dieser einzigen Arbeit, dem „Modell für eine Skulptur“ Georg Baselitz, „Modell für eine Skulptur“, 1979/80. , vertreten, die am selben Platz stand, an dem Beuys vier Jahre zuvor mit mir den „Tram Stop“ Joseph Beuys, „Straßenbahnhaltestelle“, 1976. errichtet hatte und wo auch Rückriems große, kreuzförmig gespaltene Arbeit Ulrich Rückriem, „Dolomit, gespalten“, 1968. gestanden hatte. Auf diesen heißen Boden setzte Baselitz seinen Erstling, den alsbald Peter Ludwig erwarb. Damit war der Skandal für den Mittelraum sozusagen schon beschlossen, und Kiefer usurpierte einfach die beiden Seitenflügel des Pavillons. Damit war auch der zweite Skandal vorprogrammiert. Das äußerte sich darin, dass sich selbst die Kollegen und Kuratoren aufregten. Werner Hofmann Werner Hofmann (1928 Wien – 2013 Hamburg) war ein Kunsthistoriker und Kurator. Zwischen 1962 und 1969 leitete er als Gründungsdirektor das Museum des 20. Jahrhunderts, heute Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (mumok), und war anschließend bis 1990 Direktor der Hamburger Kunsthalle. Dort organisierte er unter anderem Ausstellungen mit Georg Baselitz, Joseph Beuys und Franz Erhard Walther. 1978 und 1980 war er zusammen mit Hans Hollein als Kommissar für den Österreichischen Pavillon der Biennale von Venedig verantwortlich. Dort stellten 1978 Arnulf Rainer, 1980 Valie Export und Maria Lassnig aus. , der damals für Österreich Arnulf Rainer ausgewählt hatte, kam herüber und mokierte sich über Kiefers Bild „Deutschlands Geisteshelden“ (1973). Werner Spies hat die Ausstellung in der „F.A.Z.“ verrissen. Werner Spies, „Überdosis an Teutschem“, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 02.06.1980, S. 20. Und Baselitz erging es nicht besser. Die deutsche Kritik stand gegen diese Künstler, dazu gehörte auch Petra Kipphoff von der „Zeit“ Petra Kipphoff, „Die Lust an der Angst – der deutsche Holzweg“, in: „Die Zeit“, 06.06.1980, S. 42. . Und merkwürdigerweise kam damals schon der erste Zuruf von anderer Seite, nämlich aus Schweden. Die schwedische Presse und auch die Niederländer sahen im Deutschen Pavillon keine Provokation, keine Nazifiguren oder -gesten, sondern im Grunde das, was sie schließlich auch durch ihre Ankäufe und Ausstellungen in den Museen bewiesen haben: einen außerordentlichen, ernst zu nehmenden und kräftigen Impuls, der sich in Deutschland damals gerade unter diesen Leuten bemerkbar machte. Wenig später folgten dann die Israelis. Kiefer hatte 1984 seine erste Ausstellung in Jerusalem. „Anselm Kiefer“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 24. März – 05. Mai 1984/Musée d’Art moderne de la Ville de Paris, 11. Mai – 21. Juni 1984/The Israel Museum, Jerusalem, 31. Juli – 30. September 1984. Nach der Biennale kam für Baselitz und Kiefer natürlich auch Amerika – so wie seinerzeit für Beuys, dessen Guggenheim-Ausstellung „Joseph Beuys“, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 02. November 1979 – 02. Januar 1980. eine direkte Folge seiner Teilnahme in Venedig war.
Ich erinnere mich gut daran, wie unterschiedlich Baselitz und Kiefer damals reagierten: Baselitz hielt diese außerordentlich scharfe und aggressive Stimmung beim Presserundgang kaum aus. Er kam morgens in einem hellen Seidenanzug mit Zigarre und Strohhut, eine Figur wie von Manet oder wie Manet selbst. Während Kiefer in Knobelbechern, Bluejeans und offenem Hemd erschien: ein Bauer zwischen seinen Kartoffeläckern. Und auf beide ging es runter: Kiefer hat man provoziert und Baselitz wurde ständig nach seinem Hitlergruß gefragt. Abends kam er zu mir: „Herr Gallwitz, ich halte das hier nicht aus. Ich fahre nach Florenz, noch heute Nacht. Ich werde zur Eröffnung da sein, aber ich kann der Presse hier nicht länger Rede und Antwort stehen.“ Und weg war er. Kiefer hielt durch. Er stand vor seinen Bildern und sagte: „Das ist die Sieglinde, die Kartoffel.“
Und Sie?
Ich war Schläge aus Deutschland gewohnt – das hatte ich auch schon bei Beuys erfahren –, und doch fühlte ich mich in meinen Entscheidungen bestätigt. Baselitz hat später, und ich denke, für Kiefer war das nicht anders, gesehen, was für ein gutes Jahr 1980 für die weitere Zukunft war.
Das war der Start für die internationale Wahrnehmung. 1981 hat Norman Rosenthal die „A New Spirit in Painting“-Ausstellung „A New Spirit in Painting“, Royal Academy of Arts, London, 15. Januar – 18. März 1981. in der Royal Academy in London gemacht. Er formulierte damals, mit Kiefer und Baselitz habe endlich eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus begonnen, und er bezeichnete die Werke entsprechend als Historienmalerei. Können Sie mit dieser Einordnung etwas anfangen?
Das war nie mein Aspekt. Die Sache ist in der Öffentlichkeit natürlich mit diesen Akzenten versehen worden. Das kann man den Amerikanern, Israelis und Holländern auch gar nicht verdenken, denn sie suchten eine Orientierung: Wo steht heute Deutschland mit den Künsten? Und da waren auf einmal Leute, die mit ihrer Machart und Thematik einiges aufrührten. Da haben sich viele ausländische Beobachter gefragt: Ist das eine Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit? Das hatte alles mit dem Druck zu tun, unter dem auch immer wieder der falsche Zungenschlag aufkam: Wie wird Deutschland mit seiner Geschichte fertig, und wo ist die Antwort seitens der Künste? Obwohl ja auch das Informel eine Antwort war. Es wurde nur nicht so verstanden, sondern es wurde als Fluchtbewegung vor der bedrückenden Nazivergangenheit gesehen, als Flucht in den großen internationalen Raum der Abstraktion. Und bei Kiefer und Baselitz hieß es dann: „Die Deutschen gehen an ihre Näpfe. Jetzt riechen sie wieder das faule Fleisch.“
Häufig wurde die Malerei von Baselitz und seinen Kollegen mit dem Begriff des „Neoexpressionismus“ in Verbindung gebracht, dadurch wurde auch versucht, einen Bogen zur deutschen Kunstproduktion der 10er- und 20er-Jahre zu schlagen.
Ich habe nie in diesen Stilkategorien gedacht. Vielleicht war ich zu lang mit Max Beckmann beschäftigt, einem meiner Nageknochen. Von ihm habe ich gelernt: „Bleib beim Ego, bei der Sache; lass dich nicht in den Expressionismus, die Neue Sachlichkeit oder die Politik hineinziehen.“ Die Künstler sind für mich tatsächlich das, wofür ich immer kämpfe: Individuen, die keine Aufgabe lösen, die andere ihnen aufgeben, und auch keine Fragen beantworten, die andere ihnen stellen, sondern sie geben eine ganz andere Antwort. Das muss man sich anhören und nicht in irgendeinen Geleitzug von Feuilleton, Geschichtsstunde und Vergangenheitsbewältigung bringen.
Dennoch wurde mit diesen Etiketten gerade in den 80er-Jahren sehr stark gearbeitet.
Es wurde sehr geklebt – im Grunde bis heute. Bei Baselitz gab es damals die Irritation mit der Umkehrung der Motive Das 1969 entstandene Werk „Der Wald auf dem Kopf“ von Georg Baselitz gilt als erstes Bild, das der Künstler auf dem Kopf gemalt hat. Das heißt, das Motiv wurde horizontal gespiegelt auf die Leinwand gemalt. Baselitz hatte bereits 1968 bei den Arbeiten „Zwei Hunde aufwärts“ und „Waldarbeiter“ mit der Verkehrung seiner Motive experimentiert. Vgl. Angelika Muthesius (Hg.), „Georg Baselitz“, Köln 1990, S. 86–89. . In Venedig sind wir mit den Füßen wieder auf dem Boden gelandet, denn mit dem „Modell für eine Skulptur“ hatten wir wieder die vertikale Weltordnung, allerdings in einer etwas härteren Form.
Wie Sie kurz erwähnten, waren die Arbeiten von Beuys und Rückriem, die zuvor im Deutschen Pavillon ausgestellt waren, ebenfalls Skulpturen. War das von Baselitz eine bewusste Entscheidung, sich in dieser Hinsicht seinen Vorgängern anzuschließen?
So war es. Das war der Prototyp, sein Einstieg in die Skulptur. Ich weiß noch genau, wie sie in Derneburg in der Waschküche oder Vorküche stand, wo gesägt und geschlagen wurde.
War das Missverständnis über den Hitlergruß vorhersehbar?
Man konnte es vermuten. Ich kannte diese Spielchen mit politischen Symbolen schon von Beuys. Nur wurde übersehen, dass die Arbeit von Baselitz, die Befreiung aus dem Holzblock und vor allem die Aufrichtung, sehr stark war. Die Hypothesen wurden allein durch die Körpersprache und den Ernst dieser unbeholfenen Figur Lügen gestraft.
Und wie haben Sie damals die großen Ausstellungen „Westkunst“, „von hier aus“ und „Bilderstreit“ wahrgenommen? „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“, Rheinhallen, Köln, 30. Mai – 16. August 1981; „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“, Halle 13 der Messe Düsseldorf, 29. September – 02. Dezember 1984; „Bilderstreit. Widerspruch, Einheit und Fragment in der Kunst seit 1960“, Museum Ludwig in den Rheinhallen, Köln, 08. April – 28. Juni 1989.
Das waren wichtige Pilotausstellungen. Vor allem bei der „Westkunst“-Ausstellung wurde durch Laszlo Glozer Laszlo Glozer (* 1936 Szombathely, Ungarn) ist ein Kunsthistoriker und Kunstkritiker. Ab 1966 war er als freier Kritiker für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Süddeutsche Zeitung“ tätig und wurde 1970 Redaktionsmitglied der „Süddeutschen Zeitung“. Gemeinsam mit Kasper König organisierte er 1981 die Ausstellung „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“ in Köln, wobei er insbesondere für das wissenschaftliche Gesamtkonzept und die Ausstellungspublikation verantwortlich war. Von 1985 bis 2003 war Glozer Professor für Geschichte der Moderne an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Schriften zur Gegenwartskunst, darunter „Joseph Beuys. Zeige deine Wunde“ (1976), „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“ (1981) und „Cy Twombly. Photographs 1951–2007“ (2008). ein völlig aus dem Blick entschwundener Kontext geliefert, nämlich die Singularität der Künste und der Künstler zu erkennen und eben nicht ihre Verwertbarkeit in Stil- oder Zeitzusammenhängen. Er hat Werkgruppen gezeigt: die späten Fensterbilder von Oskar Schlemmer, die fantastische Folge von Francis Bacon, in der er van Goghs „Maler auf dem Weg zur Arbeit“ zitiert, oder die frühen Porträts von Jean Dubuffet. Es waren immer geschlossene Werkgruppen, keine selektive Auswahl von renommierten Meisterwerken, sondern die Speicher der unverbrauchten Energie. Sie verfügen über jene Konsistenz und Verdichtung, die bei jedem großen Künstler zu bestimmten Zeiten zu finden ist. Darin war die „Westkunst“ einmalig, denn sie hat wirklich versucht, aus den Ideologien der Zeit herauszukommen. Das ist ihr dann im Abschnitt der jüngsten Zeitgenossen nicht in dem Maße gelungen, meine ich. Und das gilt in gewisser Weise auch für die Ausstellungen „von hier aus“ und „Bilderstreit“. Zum Teil lag es auch an der Präsentation. Dennoch waren diese Ausstellungen wichtig; ich habe sie alle besucht, auch in Berlin die „Zeitgeist“-Ausstellung von Christos Joachimides und „Der gekrümmte Horizont“ „Der gekrümmte Horizont. Kunst in Berlin 1945–1967“, Akademie der Künste, Berlin, 03. April – 01. Mai 1980. in der Akademie der Künste. Das waren Projekte, die neben der documenta sehr deutliche Zeitmarken setzten.
Bei der „Bilderstreit“-Ausstellung gab es den Vorwurf der Presse, die Kuratoren hätten zu eng mit dem Handel zusammengearbeitet. Worauf die Kuratoren stets antworteten, das sei bei einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst unvermeidlich. Wie sehen Sie das?
Ich habe in einer Zeit gearbeitet, in der es diese Galeriekraft noch nicht gab. Obwohl ich die Verdienste der Galerien immer wieder herausstelle, denn ohne die Galerien würden auch die Künstler zu nichts kommen, haben sie in Karlsruhe und Baden-Baden, als ich mit jungen Künstlern arbeitete, einfach noch nicht diese Rolle gehabt. Und es lag mir sehr daran, das Vorhaben direkt über das Atelier der Künstler umzusetzen, ohne Courtesy.
So sind Sie bei den Biennalen von Venedig vorgegangen?
Genau so. Mit Michael Werner hatte ich damals kaum Kontakt. Im Gegenteil, ich wusste, ich mache es mir nicht leichter, indem ich Kiefer dazunehme, weil Werner sich nicht gern an den Kiefer-Flüchtling erinnerte. Bei Beuys war es so, dass er lange krank gewesen ist, und in Venedig zeigte er nach längerer Zeit wieder einmal eine richtige Arbeit. Ich habe damals zu ihm gesagt: „Ich möchte etwas Konkretes haben. Ich möchte keine Sprüche über die Akademien oder Pädagogik oder Jeder-Mensch-ein-Künstler-Vorträge. Ich will was sehen!“ Und da kam ihm die Idee mit dem „Eisernen Mann“, mit Kleve und der Straßenbahnhaltestelle, an der er ja als Kind den „Eisernen Mann“ entdeckt hatte. „Die Straßenbahnhaltestelle“ entstand nach dem Vorbild der „Cupidosäule“ (auch „Eiserner Mann“), die 1653 von dem Statthalter Prinz Johann Moritz von Nassau-Siegen in Kleve aufgestellt worden war. Die barocke Skulptur war unter anderem aus Kriegsgeräten wie einem Kanonenrohr und vier Mörsern zusammengesetzt worden und stand in der Nähe der Haltestelle Eiserner Mann an der Nassauischen Allee. Und so hatte er die Erinnerung vor sich. Freunde von ihm, wie Heiner Bastian, sagten damals sofort: „Das ist nicht der Akademieprofessor oder Düsseldorfer Lehrer, sondern der erinnerungsstarke Erfinder der Sozialen Plastik.“
Lüpertz sagte einmal, das Verständnis von Kunst sei generationsbedingt. Es ist ketzerisch, gerade Sie danach zu fragen, da Sie sich intensiv mit Künstlern der klassischen Moderne und allen voran Beckmann beschäftigt haben. Gibt es für Sie einen Unterschied, ob Sie sich mit einem verstorbenen Künstler oder mit einem, der Ihre Gegenwart teilt, auseinandersetzen?
Für mich sind die Toten außerordentlich lebendig. Und manche Gegenwartskünstler sind mausetot. Da habe ich gar keine Präferenz. Ich bin Kunsthistoriker und Museumsmensch. Wenn ich die „Karlsruher Anbetung“ (um 1460) betrachte und dort insbesondere den Mantelsaum Marias, weiß ich: Das allein ist der Besuch in der Kunsthalle Karlsruhe schon wert gewesen. Oder wenn ich die Geschichte Hans Makarts entdecke, der plötzlich ein Faszinosum für die Öffentlichkeit war, und wie dessen Künstlerrolle im kaiserlichen Wien vermarktet wurde, dann erkenne ich dort Züge, die man zeitversetzt auch bei Andy Warhol beobachten kann. Diese Verbindungen habe ich immer versucht in Beziehung zueinander zu setzen. Zum Beispiel habe ich eine große Ausstellung der Präraffaeliten „Präraffaeliten“, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 23. November 1973 – 24. Februar 1974. gezeigt, die 1974 noch als entlegene englische Künstlergruppe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts galten. Mit ihrer raffinierten Mischung aus Akademie-Opposition, Surrealismus und einem sehr kalten, realistischen Malstil wurden sie jedoch in dem Augenblick, als in Deutschland die gegenständliche Malerei zurückkehrte, sehr aktuell. Ich habe die Präraffaeliten in der Kunsthalle Baden-Baden gezeigt und bin mit ihnen weiter ins Städel Museum nach Frankfurt gezogen, weil ich dachte, es sei genau das richtige Futter für die aktuelle künstlerische Diskussion. In Frankfurt hat der Funke allerdings erst später gezündet – mit den Nazarenern.
Sie haben gerade Andy Warhol erwähnt. Wie ist die amerikanische Pop-Art bei Ihnen angekommen?
Sie ist ja leider gar nicht angekommen, weil die Stadt Frankfurt beschlossen hat, die Ankäufe der Ströher-Sammlung in ein eigenes Museum zu geben. 1968 hatte der deutsche Sammler Karl Ströher (1890–1977) durch Vermittlung von Franz Dahlem und Heiner Friedrich die Sammlung des verstorbenen New Yorker Versicherungsmaklers Leon Kraushar gekauft. Durch die Initiative des Gründungsdirektors des Museums für Moderne Kunst (MMK) Peter Iden konnten 1981 70 Werke der Sammlung Ströher für das neu entstandene MMK in Frankfurt am Main erstanden werden. Zu den erworbenen Arbeiten zählen unter anderem Francis Bacons „Nude“ (1960), Yves Kleins „Monochrome Bleu IKB 88“ (1959), Robert Morris’ „Fountain“ (1963), Gerhard Richters „Fußgänger“ (1963) und Andy Warhols „One Hundred Campbell’s Soup Cans“ (1962). Siehe auch: Christmut Präger, „Das Museum für Moderne Kunst und die Sammlung Ströher“, in: Jean-Christophe Ammann/Christmut Präger, „Museum für Moderne Kunst und Sammlung Ströher“, Schriften zur Sammlung des Museums für Moderne Kunst, Frankfurt am Main 1991, S. 61–91, hier S. 84. Ich empfand das damals als einen Fehler. Aber es war ein vergeblicher Kampf, den ich gegen die Stadt führte, obwohl ich durch die Städtische Galerie aufs Engste mit ihr verbunden war. Ich war der Meinung, dass das zusammengebracht werden müsse, gerade wegen dieser für mich immer lebenswichtigen Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit. Schließlich war ich aufgrund meiner Arbeit in Baden-Baden nach Frankfurt berufen worden. Und ein Ziel meiner Ausstellungsarbeit war es, historische Positionen wie die Präraffaeliten, Hans Makart, Dalí und so weiter mit der Gegenwartskunst in Beziehung zu setzen. Aber die Pop-Art ist im Städel nicht angekommen – trotz unserer Ausstellungen mit Claes Oldenburg, Robert Rauschenberg und Jasper Johns –, sondern sie ist auf die andere Mainseite in das Museum für Moderne Kunst eingezogen.
Ich habe die Pop-Art das erste Mal intensiv in England, und zwar in der Whitechapel Gallery erlebt: Sie war damals ein Vorplatz der Avantgarde im Osten Londons. In einem wirklich heruntergekommenen Stadtteil wurde eine vorzügliche Galeriearbeit geleistet. Eine städtische Institution in einem herrlichen alten Haus. Dort fand die erste große europäische Ausstellung von Robert Rauschenberg statt. „Robert Rauschenberg. Paintings, Drawings and Combines, 1949–1964“, Whitechapel Gallery, London, 04. Februar – 08. März 1964. Sie hatten das „Bett“ und den „Hahn“ und alles das, was ebenso schmutzig, aufregend, widersprüchlich und widerständig war wie das ganze Viertel, in dem die Ausstellung stattfand. Dort wurde deutlich: Die Schwellen sind eingeebnet, die Kunst ist auf der Straße, die Straße ist in der Kunst.
Denken Sie, dass die großen Sammlungen, die in den 1960er-Jahren in Deutschland entstanden sind, vor allem die Sammlungen Ludwig und Ströher, maßgeblich Einfluss auf die Kunstproduktion in Deutschland hatten?
Ganz sicher. Insbesondere die Sammlung Ströher und seine Agenten Franz Dahlem und Heiner Friedrich. Es gab aber auch sehr schnell eine asymmetrische Reaktion, da klar war, dass unsere Leute diesen Weg nicht mitgehen würden. Weder Baselitz oder Lüpertz noch Richter oder Polke. Und was hier in Deutschland eine ebenso wichtige Rolle spielte, war die Rezeption von Francis Bacon. Seine Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim 1962 „Francis Bacon“, Kunsthalle Mannheim, 18. Juli – 26. August 1962. war für die Generation der jungen Künstler damals von größtem Interesse. Wichtiger noch als Ströhers Pop-Präsentationen in München und so weiter. Nachdem Karl Ströher 1968 die Pop-Art-Sammlung des verstorbenen New Yorker Versicherungsmaklers Leon Kraushar gekauft hatte, wurde diese unter dem Titel „Sammlung 1968. Karl Ströher“ auf einer Ausstellungstournee in folgenden Museen gezeigt: Galerie-Verein im Haus der Kunst, München, 14. Juni – 09. August 1968; Kunstverein in Hamburg, 24. August – 06. Oktober 1968; Neue Nationalgalerie, Berlin, 01. März – 14. April 1969; Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 22. Mai – 12. Juni 1969; Kunsthalle Bern, 12. Juli – 28. September 1969. Vgl. Katrin Sauerländer, „Die Sammlung Kraushar“, in: dies. (Hg.), „Karl Ströher – Eine Sammlergeschichte“, Frankfurt am Main 2005, S. 62–87, hier S. 74. Sicher haben für die ganze Sammlungspolitik in Deutschland die Pop-Art, Amerika und der Dollar die große Musik gemacht. Es hat aber die Künste in Deutschland eigentlich nicht befördert. Im Gegenteil, sie mussten sich im Gegenwind der Pop-Art hocharbeiten.
Haben Sie damals auch die Kunstproduktion der DDR verfolgt?
Ja. Und zwar ziemlich früh. Einmal weil ich selbst noch in der DDR studiert habe, zunächst an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin und dann ein Jahr in Halle. Die Verbindungen, die ich zu einigen Galerien und Künstlern hatte, habe ich immer im Auge behalten. Nach Oldenburg und Rauschenberg habe ich auch Werner Tübke und Bernhard Heisig ins Städel eingeladen und sie zu Vorträgen und Workshops in die Städelschule gebeten, mitten im Kalten Krieg. Mir kam dann auch zu Hilfe, dass ich 20 Jahre lang mit Peter Beye für die Deutsche Bank eine Sammlung deutscher Kunst des 20. Jahrhunderts aufbauen konnte und die Deutsche Bank mir wiederum durch ihre Verbindungen den Weg öffnete, noch vor der Wende Werke ostdeutscher Künstler zu erwerben. Ich bekam mein Visum für Leipzig und für Dresden und konnte unter Vermeidung des staatlichen Kunsthandels in der DDR einkaufen. Die Kontakte haben bis heute vorgehalten. Ich habe Judy Lybke Gerd Harry („Judy“) Lybke (* 1961 Leipzig) gründete im April 1983 die Galerie Eigen + Art in seiner Leipziger Hinterhofwohnung, wo er Werke befreundeter Künstler zeigte. Die Galerie, heute mit Standorten in Berlin und Leipzig, wurde mit Künstlern wie Neo Rauch, Martin Eder und Tim Eitel bekannt, die zur zweiten und dritten Generation der Leipziger Schule gezählt werden. noch als den Hinterhof-Galeristen besucht, der er ja in Leipzig vor der Wende war, und habe dort auch die Leute getroffen, mit denen er damals arbeitete oder die bei ihm ausstellten. Die Galerie operierte am Rande der Legalität, des Gerade-noch-Erlaubten oder -Zugelassenen. Es gelang noch vor der Wende, die erste Ausstellung von Joseph Beuys in Berlin im alten Marstall neben dem Palast der Republik und in der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst zu realisieren. „Beuys vor Beuys. Frühe Arbeiten aus der Sammlung van der Grinten; Zeichnungen, Aquarelle, Ölstudien, Collagen“, Akademie Galerie Marstall, Ost-Berlin (Wanderausstellung Bonn, Leipzig, Frankfurt am Main, Hamburg), 15. Januar – 06. März 1988. Kuratiert wurde sie von Werner Schade, damals Leiter der Graphischen Sammlung der Ostberliner Nationalgalerie, Werner Hofmann und mir in Verbindung mit der Akademie der Künste in der DDR. Diese Ausstellung kam dann auch ins Frankfurter Städel. Es war die erste umfassende Schau seiner frühen Zeichnungen und Gouachen.
Konnten Sie die teilweise sehr strikte, ablehnende Haltung, die hier in Westdeutschland gegenüber den DDR-Künstlern sehr verbreitet war, nachvollziehen?
Man kennt die documenta-Geschichten: „Wir hängen ab, wenn die aufhängen.“ Zur „documenta 6“, die vom 24. Juni bis zum 02. Oktober 1977 unter der Leitung von Manfred Schneckenburger stattfand, waren offiziell Künstler der DDR, darunter Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke, eingeladen. Georg Baselitz, Markus Lüpertz und Gerhard Richter sagten im gleichen Jahr aufgrund interner Differenzen mit dem Kuratorenteam ihre Beteiligung ab. Inwiefern die Beteiligung der DDR-Künstler Ursache für die Absage der anderen Künstler war, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Siehe auch: „Retrospektive – documenta 6“, unter: https://www.documenta.de/de/retrospective/documenta_6 (eingesehen am 28.11.2016). Aber an diesen Diskussionen habe ich mich wenig oder gar nicht beteiligt. Das Gleiche gilt für die Kontroversen Baselitz gegen Volker Stelzmann. Volker Stelzmann (* 1940 Dresden) studierte ab 1963 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Zwischen 1978 und 1986 war er Vorsitzender der Zentralen Sektionsleitung im Verband Bildender Künstler der DDR und wurde 1982 Professor an der Leipziger Kunsthochschule. 1986 flüchtete Stelzmann nach Westdeutschland, wo er unter anderem Professor an der Universität der Künste Berlin (1988–2006) war. Aus Protest gegen Stelzmanns Berufung legte Georg Baselitz dort vorübergehend seine Professur nieder. Siehe auch: Karl-Siegbert Rehberg, „Zwischen Skandalisierung und Verdrängung. Bildwelten der DDR in Ausstellungen und Museen nach 1989“, in: Lutz Hieber (Hg.), „Kunst im Kulturkampf – Zur Kritik der deutschen Museumskultur“, Bielefeld 2005, S. 73–92, hier S. 76. Nach der Wende kam ein ostdeutscher Künstler an die Berliner Hochschule, und da sagte Baselitz: „Dann gehe ich da weg.“ Er hat für einige Zeit seine Professur niedergelegt, hat sie dann aber wieder aufgenommen. Das waren Reaktionen, die eng mit der Biografie der Leute verbunden waren. Baselitz’ Erfahrungen und Erinnerungen seiner Jugend in der DDR waren etwas andere als die von Gerhard Richter, und die waren wieder anders als die von A.R. Penck. Tatsache ist, dass es in den 70er- und 80er-Jahren in der westdeutschen Kunstszene eine große künstlerische Potenz von Leuten gab, die gebürtig aus der DDR waren. Und jemand wie Immendorff hielt und unterstützte seine Freundschaft mit Penck. Es gab ja fortwährend Reibungsflächen. Und die besten Resultate sind nicht die der Kurzschlussreaktionen in Interviews, sondern jene, in denen die Kontroversen künstlerisch umgesetzt wurden. Für mich ist Immendorff mit seiner großen Bilderreihe „Café Deutschland“ Jörg Immendorff, „Café Deutschland“, Serie, 1977–1982. das beste Beispiel. Das ist ein Manifest deutscher Nachkriegsgeschichte, ebenso wie der „Zug der Volksvertreter“ Johannes Grützke, „Zug der Volksvertreter“, 1987–1990. , das große Rundbild von Johannes Grützke. Ich war sehr froh, als mein Vorschlag für diesen Wettbewerb in der Frankfurter Paulskirche, an dem auch Immendorff und Penck teilnahmen, zum Ziel führte. Die Paulskirche war im Wiederaufbau 1948 noch ein gesamtdeutsches Projekt, denn die SED hatte damals sogar die Hölzer für das zerstörte Dach spendiert. Werner Tübke erhielt bekanntlich in Bad Frankenhausen einen eigenen Rundbau für seine Ausmalung des Bauernkriegs von 1525, eingeweiht kurz vor dem Ende der DDR. Werner Tübke, „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, Panorama Museum, Bad Frankenhausen, 1976–1987.
Gab es gelegentlich auch Gegenreaktionen, wenn Sie für die Sammlung der Deutschen Bank Werke ostdeutscher Künstler vorgeschlagen haben?
Bei der Deutschen Bank habe ich nur Unterstützung erfahren. Sie waren schon allein aufgrund ihrer Geschäftsbeziehungen daran interessiert, jede Art der Isolation zu vermeiden. Wir hatten in der Ankaufskommission zu dritt darüber zu entscheiden, und es handelte sich ja auch nicht um Millionen-Objekte, sondern um transportable Papierarbeiten, die genau wie im Westen auch billig zu haben waren. Die Kernidee der Sammlung der Deutschen Bank, „Kunst am Arbeitsplatz“, war zugleich ein schönes Understatement der Bank, mit begrenzten Mitteln eine qualitätsvolle Sammlung aufzubauen. Es addierte sich natürlich, sodass die Ankäufe für einige Künstler durchaus eine ernst zu nehmende Unterstützung bedeuteten. Und das Papier war auch deshalb ideal, weil man es leicht über die Staatsgrenze befördern konnte.
Im Städel Museum hat es länger gedauert. Es handelte sich um Bilder, die entsprechend teuer waren. In der Rezeption der DDR-Kunst war die Hamburger Kunsthalle weiter vorn. Aber immerhin ist von Heisig ein Bild im Städel, Werke von Immendorff sowie frühe Arbeiten von Penck. Warum sind Tübke und Heisig damals ins Städel gekommen? Weil sie Maler sind und sich für unsere Sammlung der Alten Meister interessierten. Sie kamen anlässlich der Beckmann-Ausstellung. Beckmann war der große, unsichtbare Patron für die Malerei der DDR, weil er an Realismus und Metaphysik genau das mitbrachte, was sie alle machen wollten, aber eben nicht in der Weise, wie es einer der Parteitage vorschrieb. In der DDR gab es bis auf einige frühe Bilder in Halle, Dresden und Berlin keine Beckmann-Bilder. Man hat aber in der Hochschule in Leipzig nie vergessen, dass Beckmann gebürtig aus Leipzig war. Die erste Ausstellung, die im Rahmen des innerdeutschen Kulturaustauschs stattfand, galt Max Beckmann. „Max Beckmann. Gemälde 1905–1950“, Museum der bildenden Künste Leipzig/Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt am Main, 21. Juli 1990 – 13. Januar 1991. Ich hatte sie für Leipzig konzipiert, wo sie im Prachtbau des alten Reichsgerichts zu sehen war, ein gutes halbes Jahr nach dem Mauerfall. Es war eine umfassende Bilderschau, und ich konnte sie anschließend zur Einweihung des neuen Flügels im Frankfurter Städel zeigen. Mit Max Beckmann fand 1990 eine kulturelle Wiedervereinigung statt.
Waren die Leihgeber aus den USA und Europa bei diesem Anlass großzügig?
Ja, wir bekamen sogar das „Selbstbildnis im Smoking“ aus Cambridge, das Triptychon „Departure“ aus New York und auch das letzte Triptychon mit den „Argonauten“ aus Washington. Max Beckmann, „Selbstbildnis im Smoking“, 1927; „Departure (Abfahrt)“, 1932/1933–1935; „Argonauten“, 1950. Die 97 Bilder der Ausstellung waren eine internationale Manifestation der Rückkehr eines der großen Künstler des 20. Jahrhunderts ins geeinte Europa.