Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

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Mary Bauermeister

Mary Bauermeister

Mary  Bauermeister

Mary Bauermeister

Rösrath, 27. Oktober 2015

Franziska Leuthäußer: Wir konzentrieren uns auf die Zeit zwischen 1960 und 1989. Unsere Gesprächspartner haben den Krieg als Kinder zum Teil noch erlebt, vor allem aber waren sie mit dem Wiederaufbau konfrontiert.

Mary Bauermeister: Das ist wichtig, denn für Dokumentationen hatten wir damals kein Geld. Es ist ganz viel verloren gegangen. Ein Foto kostete 89 Pfennig, ein Blatt Papier 15 Pfennig. Künstler haben ihre Sachen nicht fotografiert und dokumentiert. Anders als heute. Heute wird alles dokumentiert. Es gab sehr viel Bewegung nach dem Krieg. Das zerstörte Deutschland wachte auf. Zwölf Jahre lang hatte es unter den Nazis „entartete“ Kunst gegeben: Alle Bücher, die mein Vater Wolfgang Bauermeister (1907 Braunschweig – 1975 Bensberg) war Mediziner und Anthropologe. Er lehrte als Professor an der Universität zu Köln. aus der Zeit hatte, Partituren von Arnold Schönberg, Werke über Surrealismus oder Dada, waren im Bücherschrank versteckt. In den Büchern habe ich meine ersten nichtgegenständlichen Bilder gesehen, teilweise sogar als Farbfotos. Das war in einer Zeit, in der Heimat und Adolf Hitler und Deutschtum und harmonische Musik – um Gottes Willen kein Arnold Schönberg und kein Igor Strawinsky, das war alles „entartet“ – propagiert wurden. Wir sind in der Vorkriegszeit aufgewachsen, unsere Kindheit bestand nur aus „Lieder singen“ und „Heimat“ und dem „glücklichen Volk“, das endlich wieder aufwacht. Und dann kam der Krieg, der das im Grunde zum Abbruch brachte. Wir zogen 1938/39 von Kiel nach Köln. Wenn ich an die 30er-Jahre, als ich geboren wurde, an die ersten Jahre meiner Kindheit denke, kann ich mich nur an Sonne erinnern. Meer, Sonne, Singen und Fröhlichkeit. Mit dem Krieg kamen Düsternis, Bomben und Fliegeralarm. Pausenlos waren wir im Keller, es gab Luftangriffe und tote Verwandte. Und – das ist der Bruch in der Kunstgeschichte – die Künstler, die in den Krieg mussten. Die sind anders als die, die nicht mehr mussten. Das ist manchmal nur ein Altersunterschied von fünf Jahren, aber es ist eine völlig andere Ausgangssituation. Joseph Beuys hat Flugzeuge geflogen und Bomben abgeworfen, Joseph Beuys (1921 Krefeld – 1986 Düsseldorf) wurde ab 1940 in Posen zum Bordfunker ausgebildet. Zwischen 1941 und 1943 folgte unter anderem eine Weiterbildung zum Fliegerschützen in Foggia. Ab Dezember 1943 diente Beuys auf der Krim im Süden Russlands, wo er dem Sturzkampfpiloten Hans Laurinck zugeteilt war. 1961 konstatierte Beuys: „[D]er allgemeine Ausdruck Sturzkampfflieger [ist] angebracht, da ich alle Sparten der Waffengattung durchgemacht habe; Funker ist falsch.“ Zit. n. Heiner Stachelhaus, „Joseph Beuys“, Düsseldorf 1988, S. 24. Zu den unterschiedlichen Darstellungen der Kriegseinsätze in der Beuys-Literatur siehe: Hans-Peter Riegel, „Beuys. Die Biographie“, Berlin 2013, S. 47 ff.; Götz Adriani/Winfried Konnertz/Karin Thomas, „Joseph Beuys. Leben und Werk“, Köln 1986 (3. Auflage), S. 22 f., und Stachelhaus 1988 (wie oben), S. 21 ff. Otto Piene war Flakhelfer, Otto Piene (1928 Laasphe – 2014 Berlin) war ein deutscher Künstler und Mitbegründer der ZERO-Bewegung. Von 1943 bis 1945 war er Flakhelfer der deutschen Wehrmacht. Vgl. Heinz-Norbert Jocks/Otto Piene, „Otto Piene. Das Gold namens Licht“, in: Heinz-Norbert Jocks (Hg.), „Das Ohr am Tatort. Heinz-Norbert Jocks im Gespräch mit Gotthard Graubner, Heinz Mack, Roman Opałka, Otto Piene, Günther Uecker“, Ostfildern 2009, S. 91–116, hier S. 92. Karlheinz Stockhausen hat Verwundete rausgetragen Karlheinz Stockhausen (1928 Mödrath – 2007 Kürten) war ein deutscher Komponist und Musiktheoretiker, der mit seiner seriellen Kompositionstechnik sowie dem Einbezug elektronisch erzeugter Klänge wesentlich zur Entwicklung der Musik im 20. Jahrhundert beitrug. Als künstlerischer Leiter arbeitete er von 1963 bis 1977 im Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks in Köln und gab parallel Seminare bei den Darmstädter Ferienkursen. Stockhausens kompositorischer Ansatz zeichnete sich durch eine innovative Verbindung von Musik, Raum und Live-Elementen aus. Zu seinen wichtigsten Werken zählen „Kontra-Punkte“ (1953), „Gesang der Jünglinge“ (1956) sowie „Elektronische Studien I und II“ (1964). Von 1967 bis 1973 lebte Stockhausen mit Mary Bauermeister in einer Ehe, aus der zwei Kinder hervorgingen. Er war während des Zweiten Weltkriegs (ab Herbst 1944) Krankenträger im Notlazarett Schloss Bedburg. Vgl. Mary Bauermeister, „Ich hänge im Triolengitter. Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen“, München 2011, S. 43. . Diese Schicksale, die die einzelnen Künstler, egal welcher Sparte, persönlich erlebten, prägten die Kunst in der Nachkriegszeit. Ich habe nach dem Zusammenbruch keinem Erwachsenen mehr irgendetwas geglaubt. Der Feind schmiss Bonbons! Das heißt, das ganze Bild von Heldensagen, Siegfried, Treue, Heldentum, was weiß ich, mit dem man als Kind aufgewachsen ist und was ja auch schöne Ideale sind, brach zusammen. Nicht weil der Krieg verloren war, sondern weil wir Fotos der Konzentrationslager sahen und begriffen: Das war ja gar kein Krieg, wo Volk gegen Volk kämpfte, das wäre grausam genug, sondern das war eine Extragrausamkeit. Mein Vetter ist mit 16 im Krieg gefallen; es gab tote Verwandte und zurückgekehrte Männer, die stumm waren, entsetzt, völlig desillusioniert: Wofür waren sie in den Krieg gezogen? Stell dir mal vor: Du kämpfst für dein Vaterland und dann kommst du nach Hause und merkst, dass der, dem du gedient hast, ein absolut Wahnsinniger war. Fünf, sechs Jahre ihrer Jugend haben die Menschen spendiert – für was? Und deshalb ist es unglaublich wichtig, wer wann geboren ist. Du kannst Beuys’ Werk nur verstehen, wenn du den Hintergrund kennst: Wenn er in einer riesen Ausstellung eine Kammer zeigt, wo nur Einmachgläser stehen, Holz und Düsternis und Einmachgläser, dann ist das die Atmosphäre der Nachkriegszeit. Da hast du Pilze gesammelt, hast sie getrocknet, dann hast du irgendwelche Pflaumen eingemacht … braunes Gemüse war die Rettung über den Winter. Das kann ein Mensch, der jung ist und nie Hunger gehabt hat, nicht verstehen. Unabhängig davon, ob nun die Fetteckengeschichte mit den russischen Tataren, die ihn retteten, wahr oder nicht wahr ist, Zu den widersprüchlichen Angaben in der Beuys-Biografie, die seinen Flugzeugabsturz während des Zweiten Weltkriegs betreffen, siehe auch Götz Adriani/Winfried Konnertz/Karin Thomas, „Joseph Beuys. Leben und Werk“, Köln 1986 (3. Auflage), S. 22 f., sowie Hans-Peter Riegel, „Beuys. Die Biographie“, Berlin 2013, S. 60 ff. die Erfindung der Geschichte gehört zu der Erfahrung.

Genau darum geht es. Die Bildsprache oder überhaupt der Ausdruck finden in der Nachkriegszeit sehr unterschiedliche Ausführungen: So steht die Kunst der ZERO-Bewegung Ab 1958 verwendeten Heinz Mack und Otto Piene den Begriff „ZERO“ im Kontext ihrer gemeinsamen Ausstellungen sowie als Titel für die drei Ausgaben ihrer in Düsseldorf publizierten Zeitschrift. Ab 1961 nahm auch Günther Uecker regelmäßig an den Ausstellungen und Aktionen von ZERO teil. ZERO stand für die Stunde null, für Aufbruch und einen radikalen Neuanfang nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. ZERO setzte sich deutlich vom etablierten Informel ab. Mit neuen Materialien und der Einbeziehung von Bewegung, Licht und Raum in das künstlerische Werk etablierte ZERO eine neue Formensprache. Vgl. Wieland Schmied, „Etwas über ZERO“, in: Dirk Pörschmann/Mattijs Visser (Hg.), „ZERO 4 3 2 1“, Düsseldorf 2012, S. 9–18. etwa der Malerei von Georg Baselitz oder Eugen Schönebeck gegenüber.

Baselitz gehört schon zur nächsten Generation. Das sind verschiedene Welten! Baselitz kannst du mit der Kriegsgeneration nicht mehr vergleichen. Er greift zum Beispiel das Figürliche wieder auf. Teilweise konnte man sich in die Kunst flüchten und sagen: Ich will nichts Politisches mehr machen. Stockhausen hat sich nie wieder für Politik interessiert und hat sich auch in politische Themen nicht eingemischt. Der sagte: „Um Gottes Willen, nur nicht Politik.“ Nun war er Musiker. In die Kunst zu flüchten und gesellschaftlich-politischen Fragen aus dem Weg zu gehen, ist eine Reaktion. Die andere Reaktion ist genau das Gegenteil: Engagiert euch, empört euch! Die ZERO-Gruppe war ganz pur, clean. Ich war ja am Anfang Teil der ZERO-Gruppe. Wir haben diese monochromen Ausstellungen gemacht, das waren rein ästhetische Sachen. Bloß keine Politik, keine Anklage, keine Horrorbilder. Das hat Wolf Vostell Wolf Vostell (1932 Leverkusen – 1998 Berlin) war ein deutscher Künstler, der vor allem mit seinen Installationen und Happenings bekannt wurde. Ab 1953 absolvierte er eine Lehre als Fotolithograf in Wuppertal, bevor er 1955 sein Studium der freien Kunst an der École nationale supérieure des beaux-arts in Paris begann. Er galt als enger Freund von Allan Kaprow und Boris Lurie. dann reingebracht. Der war Grafiker, daher konnte er gegenständlich malen. Wir haben es ja abgelehnt zu malen. Wir wollten nie gegenständlich malen, das fanden wir altmodisch. Die ganzen Pop-Art-Künstler waren Grafiker, und die brachten das Figürliche wieder rein. Wir waren damals mit den Franzosen befreundet, mit den Neorealisten, mit den Monochromisten – das war eine Bewegung, es ging nur um Ästhetik und nicht um Soziales. Innerhalb der ZERO-Gruppe hat es sich noch einmal aufgefächert. Die Manifeste Zwischen 1957 und 1966 veröffentlichten die Künstler im Umfeld der ZERO-Bewegung zahlreiche Manifeste. Viele ihrer Texte wurden in Zeitschriften veröffentlicht, die die Künstler selbst herausgaben. Dazu gehören: „ZERO“, „Azimuth“, „Nul“. Vgl. Wolfgang Asholt, „ZERO-Manifeste, Erklärungen, Proklamationen und die historische Avantgarde“, in: Dirk Pörschmann/Mattijs Visser (Hg.), „ZERO 4 3 2 1“, Düsseldorf 2012, S. 487–498, hier S. 489 ff. waren wichtig, um uns zu sammeln, aber letztlich waren es eigentlich Gefängnisse. Die ZERO-Gruppe hat sich dann schnell wieder aufgelöst und ich bin nach Amerika gegangen 1963 ging Mary Bauermeister nach New York und lebte dort fast zehn Jahre. Anfang der 1970er-Jahre verlagerte sie ihren Lebensmittelpunkt nach Rösrath unweit von Köln. .

In einer Zeit, in der die Städte mit München konkurrierten – wir haben die Münchener arrogant „Refugium der Landschaftsmaler“ genannt, in München machte Hans Werner Henze Hans Werner Henze (1926 Gütersloh – 2012 Dresden) war ein deutscher Komponist der Neuen Musik und Initiator der 1988 ins Leben gerufenen Münchener Biennale. harmonische Musik – und auch Düsseldorf und Köln in Konkurrenz standen, war das Besondere an meinem Atelier 1960/61, dass ich mich über diese Lokalkämpfe hinweggesetzt habe. Ich habe gesagt: „Wir bringen die Düsseldorfer mit den Kölnern zusammen und die Deutschen mit den Amerikanern und die Asiaten mit den Schweden.“ Das heißt, ich habe nicht nur jenseits von Städtepolitik die Leute zusammengesucht, sondern das unterstützt, was der offizielle Kunstbetrieb ablehnte. Wer schon im WDR Konzerte hatte, der hatte mich nicht mehr nötig. Aber Musiker, deren Musik abgelehnt wurde, John Cage, John Cage (1912 Los Angeles – 1992 New York) war ein Komponist und Künstler, der zu den zentralen Figuren der Fluxus-Bewegung und der Neuen Improvisationsmusik zählt. Nachdem Cage zwischen 1930 und 1937 Architektur, Harmonielehre und Kompositionstechnik in Paris und Los Angeles studiert hatte, siedelte er 1942 nach New York über und knüpfte dort erste Kontakte zu den Avantgarde-Kreisen um André Breton und Marcel Duchamp. Im Anschluss an seine Lehrtätigkeit am Black Mountain College unterrichtete Cage ab 1956 an der New School for Social Research in New York, wo unter anderen George Brecht, Dick Higgins, George Maciunas und Yoko Ono zu seinen Schülern gehörten. Zur selben Zeit unternahm Cage gemeinsam mit David Tudor mehrere Konzerttourneen durch Europa und beteiligte sich während dieser Aufenthalte an zahlreichen Fluxus-Aktionen. In Deutschland pflegte Cage insbesondere Kontakt zu dem Kölner Künstlerkreis um Mary Bauermeister, Nam June Paik und Karlheinz Stockhausen. Cage zählt zu den Hauptvertretern der Neuen Musik. Zu seinen bekanntesten Werken gehören „Untitled Event“ (1952), „4'33"“und „Essay (Writings through the Essay ‚On the Duty of Civil Disobidience‘)“ (1985/91). George Brecht, George Brecht (1926 Halfway, Oregon – 2008 Köln) war ein US-amerikanischer Künstler, der zu den zentralen Figuren der Fluxus-Bewegung zählt. Gemeinsam mit Robert Watts initiierte Brecht in den frühen 1960er-Jahren das auf experimentelle Kunstformen ausgerichtete Yam Festival in New York. Brechts Arbeiten waren unter anderem auf der documenta 5 (1972), 6 (1977) und 8 (1987) ausgestellt. La Monte Young La Monte Young (* 1935 Bern, Idaho) ist ein amerikanischer Komponist, der in Los Angeles, Berkeley, New York und in Darmstadt bei Karlheinz Stockhausen in Komposition, Jazz und Neuer Musik ausgebildet wurde. Er war Teil der Fluxus-Bewegung und arbeitete unter anderen mit John Cage zusammen. Young beschäftigte sich ab den 1950er-Jahren auch mit indischer und japanischer Musik und gilt als einer der Begründer der Minimal Music. oder Nam June Paik Nachdem Nam June Paik (1932 Seoul – 2006 Miami) 1956 als Student nach Deutschland gekommen war, arbeitete er von 1958 bis 1963 im Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln und beteiligte sich an zahlreichen Fluxus-Aktionen. 1964 siedelte er nach New York über und begann sich zunehmend mit der Technik von Fernsehen und Video zu beschäftigen. Paiks Werk wurde unter anderem auf der „documenta 6“ (1977) und im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig (1993) gezeigt. Er zählt zu den Pionieren der Video- und Medienkunst. , der damals auch noch kein Künstler war, für die habe ich mein Studio in der Lintgasse Von 1960 bis 1962 organisierte Mary Bauermeister zahlreiche Konzerte, Ausstellungen und intermediale Veranstaltungen in ihrem Atelier in der Lintgasse 28 in Köln. Ihr Programm gilt als wegbereitend für die Entstehung der Fluxus-Bewegung. Vgl. Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), „intermedial – kontrovers – experimentell. Das Atelier Mary Bauermeister in Köln 1960–62“, Köln 1993, S. 8 ff. geöffnet. Da trafen sich Künstler aller Sparten, aller Medien, nicht nur Maler oder Musiker, sondern alle: Philosophen, Schriftsteller … Das war international. Und plötzlich war der Kleingeist „Stadt gegen Stadt“ verschwunden. Es war derart aufregend, wenn Cage von Schweden nach Venedig reiste und bei uns vorbeikam. Wir haben dann einen Abend organisiert und wer schnell genug anreiste, konnte Cage und Merce Cunningham hier erleben. Für uns war das ganz selbstverständlich damals. Heute höre ich immer: „Boah, was hattet ihr damals für Möglichkeiten!“ Wir waren alle arm, es gab kein Geld, alle meine Veranstaltungen waren umsonst, Eintritt frei. Der Vorteil, wenn der Eintritt frei ist: Du schickst die Menschen, die schreien und protestieren wollen, einfach raus. Während ein Mensch, der im Konzertsaal sitzt, meint, er habe ein Anrecht auf eine Meinung, und die kann er rausbrüllen. Du kannst dir das nicht vorstellen, was damals niedergebrüllt wurde. Aus einer Ausstellung kannst du rausgehen, Konzerte wurden niedergebrüllt. Die Zusammenarbeit der Künstler war damals sehr wichtig, weil wir uns nur gegenseitig verstanden.

Können Sie die Atmosphäre beschreiben, als Sie 1956 nach Köln gekommen sind?

Also ausschlaggebend, ein großes Atelier zu mieten, war ein Schlüsselerlebnis, ein Konzert von John Cage im WDR im Kleinen Sendesaal. Am 19. September 1958 gab John Cage im Rahmen der Reihe „Musik der Zeit“ ein Konzert im Kleinen Sendesaal des WDR, bei dem er das Rundfunksinfonieorchester leitete. Vgl. Thomas Schäfer, „214 Fragen und 19 Zigaretten. Chronologische Notizen zu John Cages erstem Besuch bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik 1958“, in: „A House Full of Music“, hg. von Ralf Beil/Peter Kraut, Ausst.-Kat. Mathildenhöhe Darmstadt, Ostfildern 2012, S. 376–393, hier S. 381. Cage hat dort ein Stück dirigiert. Er dirigierte nicht, wie es sonst üblich ist, die Musiker hatten also gewisse Freiheiten und sie haben nur Blödsinn gemacht. Cage war restlos verzweifelt: Da gibst du den Menschen Freiheit und sie können damit nicht umgehen. Es wurde auch runtergebuht und nie fertig gespielt. Ich dachte, wir brauchen einen geschützten Raum. Das war das Schlüsselerlebnis. Und dann habe ich gesucht. Ich kannte einen Architekten Im Tausch gegen eines ihrer Reliefbilder hatte Mary Bauermeister das Atelier von dem Kölner Architekten Peter Neufert erhalten. Vgl. Mary Bauermeister, „Ich hänge im Triolengitter. Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen“, München 2011, S. 22. , der gerade ein Haus in der Altstadt renoviert hatte, er hat mir im Tausch gegen Bilder sechs Monate die Miete erlassen. So kam ich an das riesengroße Atelier. Die ZERO-Gruppe habe ich bei Alfred Schmela Alfred Schmela (1918 Dinslaken – 1980 Düsseldorf) eröffnete 1957 in der Hunsrückenstraße 16–18 in Düsseldorf eine Galerie. Sein Programm umfasste wesentliche Positionen der deutschen Nachkriegskunst, darunter Joseph Beuys, Gerhard Richter sowie Künstler aus dem Umfeld der ZERO-Bewegung. in Düsseldorf kennengelernt. Almir Mavignier, ein Mitstudent an der Hochschule für Gestaltung Ulm, brachte dann die ZERO-Leute auch mit ins Atelier. Es brachte einer den anderen zu mir und dann hatte ich die Leute zusammen. Wir waren auch oft in Wien zu Konzerten, weil die eine wunderbare Konzertserie unter anderen mit Cage und Kurt Schwertsik Kurt Schwertsik (* 1935 Wien) ist ein österreichischer Komponist und Musikpädagoge, der insbesondere im Bereich der Neuen Musik tätig war. hatten.

Wenn Sie sagen „wir“, meinen Sie …

Meinen ersten Partner Haro Lauhus. Mary Bauermeister war von 1953 bis 1960 mit dem Künstler Haro Lauhus liiert. Nach ihrer Trennung betrieb Lauhus 1961 für einige Monate eine Galerie in Köln und zeigte Werke von Christo, Benjamin Patterson und Wolf Vostell unter anderen. Wir sind nach Wien und haben Kurt Schwertsik und Arnulf Rainer Arnulf Rainer (* 1929 Baden) ist ein österreichischer Künstler, der vor allem für seine konzeptuellen Übermalungen bekannt ist. getroffen. Dann waren wir in Paris und haben Daniel Spoerri Daniel Spoerri (eigtl. Daniel Isaak Feinstein; * 1930 Galaţi, Rumänien) ist ein Künstler, der mit seinen Assemblagen aus Abfallprodukten – den sogenannten „Fallenbildern“ – bekannt wurde. Zwischen 1949 und 1954 studierte er modernen Tanz und Ballett in Zürich und Paris, bevor er 1957 als Regieassistent am Landestheater in Darmstadt arbeitete. 1959 siedelte Spoerri nach Paris über. In dieser Zeit entstanden seine ersten „Fallenbilder“ und er gründete die Edition MAT. Am 27. Oktober 1960 unterzeichnete er gemeinsam mit Arman, François Dufrêne, Raymond Hains, Yves Klein, Martial Raysse, Pierre Restany, Jean Tinguely und Jacques de la Villeglé das Gründungsmanifest der Nouveaux Réalistes.Von 1968 bis 1972 führte Spoerri das Restaurant Spoerri am Burgplatz 19 in Düsseldorf, dem ab 1970 die Eat Art Galerie angeschlossen war. Spoerri war von 1978 bis 1982 Professor an den Kölner Werkschulen und lehrte von 1983 bis 1989 an der Akademie der Bildenden Künste München. Mit seinem Werk war er in zahlreichen internationalen Ausstellungen vertreten, darunter in „The Art of Assemblage“ (1961), auf der „documenta 6“ (1977) und der Biennale von Sydney (1978). getroffen. Wir waren eigentlich immer per Autostopp unterwegs, Geld war keins da. Und so sind wir den künstlerischen Ereignissen in der Musik, Malerei oder Poesie gefolgt. Es gab ja nicht viel in Europa. Wenn bei mir etwas war – oft nachmittags oder spät nachts nach den offiziellen Veranstaltungen im WDR –, kamen die Leute aus Belgien und aus England herbeigeeilt, wenn es nicht gerade am selben Tag organisiert wurde. Wir hatten immer internationales Publikum. Und das Schöne war, dass ich eine Frau war – kein Platzhirsch.

Gab es andere Frauen?

Nein, in Deutschland nicht. In Deutschland gab es Ursula Burghardt Ursula Burghardt (1928 Halle an der Saale – 2008 Köln) war eine deutsche Künstlerin, die ab den 1960er-Jahren abstrakte Skulpturen aus Metall, Zink und Aluminium anfertigte. Seit 1957 lebte sie in einer Ehe mit dem argentinisch-deutschen Komponisten Mauricio Kagel. , die Frau von Mauricio Kagel, die im Schatten ihres Mannes wunderbare Werke schuf, die heute erst bekannt werden. Sie hat bei den Konzerten mitgespielt, wenn wir George Brecht aufführten. Sonst? Edith Sommer, Edith Sommer (* 1936 Wien) ist eine Malerin, die seit 1962 auf Ibiza lebt. Bis 1967 führte sie eine Ehe mit dem Wuppertaler Geschäftsmann und Kunstsammler Dieter Rosenkranz. die Frau des Wuppertaler Sammlers, die war Malerin. Oder Claire Falkenstein Claire Falkenstein (1908 Coos Bay, Oregon – 1997 Los Angeles) war eine amerikanische Malerin und Bildhauerin, die vor allem für ihre abstrakten Skulpturen aus Metall und Glas bekannt ist. haben wir eingeladen, bei uns auszustellen. Aber in Köln? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich da eine Künstlerfrau entdeckt hätte.

Auch an den Hochschulen nicht?

In Ulm war ich nur kurz, da hatte ich zu Irmgard Koch, einer Architektin, Kontakt. Musiker habe ich erst durch die WDR-Konzerte, die Nachtkonzerte, kennengelernt. Schon in Saarbrücken habe ich die angehört, das war wunderbar. Der WDR war eigentlich sehr revolutionär in der Aufarbeitung der Vergangenheit. Der hat bessere Schönberg- und Anton-Webern Anton Webern (1883 Wien – 1945 Mittersill) war ein österreichischer Komponist und Dirigent, der dem Kreis der Wiener Schule angehörte. -Konzerte gemacht als die großen Orchester in anderen Ländern, wo das gar nichts Besonderes mehr war. Für uns war es etwas Besonderes, weil wir das zwölf Jahre nicht hatten. Deshalb eilte da alles zusammen. Dann hatten wir in Köln diesen wunderbaren Verleger Ernst Brücher Ernst Brücher (1925 Berlin – 2006 München) war ein deutscher Kunstbuchverleger, der wesentlich zur Neugründung des DuMont Buchverlags im Jahr 1956 beitrug. vom DuMont Verlag, der hatte weitere Fäden in der Hand. Durch Hans G Helms Hans G Helms (1932 Teterow – 2012 Berlin) war ein deutscher Schriftsteller, Komponist und Sozialtheoretiker, der ab 1955 zahlreiche schriftstellerisch-kompositorische Arbeiten im Studio für Elektronische Musik des WDR entwickelte. 1959 erschien sein experimentelles Werk „Fa:m’ Ahniesgwow“ im DuMont Verlag. war die Frankfurter Schule miteinbezogen. Wir waren natürlich alle linke Socken. Anarchismus war nötig, denn die Welt verkrustete wieder. Deutschland hatte immer noch die alten Professoren, die alten Richter. Da wurde schon wieder aufgerüstet. Wir merkten dann: Halt! Wir sind in einer gefährlichen Situation. Es wird alles wieder bürgerlich. Stockhausen hat da nicht mitgemacht, Olivier Messiaen Olivier Messiaen (1908 Avignon – 1992 Clichy) war ein französischer Komponist, dessen Stücke auf einem Studium von Zahlenmystik, Vogelgesang und den Eigenschaften javanischer Gamelan-Orchester beruhen. auch nicht, aber alle anderen waren eingeschworene Atheisten und Anarchisten, links.

Und das waren nur Männer?

Ja. Die Frauen habe ich immer nur als … Na ja, in Südfrankreich habe ich die Frau von René Magritte und Dorothea Tanning kennengelernt. Der surrealistische Maler René Magritte (1898 Lessines, Belgien – 1967 Brüssel) lebte ab 1922 in einer Ehe mit Georgette Berger. Zu dem Freundeskreis des Paars zählte unter anderen auch die amerikanische Künstlerin Dorothea Tanning, die ab 1946 mit dem Künstler Max Ernst verheiratet war. Oder Gabriele Münter, Gabriele Münter (1877 Berlin – 1962 Murnau am Staffelsee) war eine deutsche Malerin des Expressionismus und von 1903 bis 1914 die Geliebte von Wassily Kandinsky. sie war auch Malerin, aber eigentlich war sie die Stütze von Wassily Kandinsky. Wenn wir es als Frauen wagten, Kunst zu machen, dann auf Kosten von Mann und Kindern. Nach elf Jahren Stockhausen habe ich Stockhausen sein gelassen. Kinder und Kunst, das ging. Alles drei war schwierig. Amerika war für mich die große Überraschung, da gab es unglaublich gute Frauen. Lee Bontecou, Lee Bontecou (* 1931 Providence, Rhode Island) wurde von 1953 bis 1958 an der Art Students League in New York bei William Zorach und George Grosz ausgebildet und erlangte in den 1960er-Jahren mit dreidimensionalen Wandarbeiten Bekanntheit. Nach der ersten Einzelausstellung in der Galerie Leo Castelli nahm Bontecou unter anderem an der Ausstellung „The Art of Assemblage“ (1961) im Museum of Modern Art New York, an der „6. Biennale von São Paulo“ (1961) und der „documenta 3“ (1964) teil. Marisol Escobar, Marisol Escobar (1930 Paris – 2016 New York) war eine Malerin und Bildhauerin und gilt als Vertreterin der amerikanischen Pop-Art. Sie lebte seit 1950 in New York. Trisha Brown Trisha Brown (* 1936 Aberdeen, Washington – 2017 San Antonio, Texas) war eine US-amerikanische Choreografin für modernen Tanz sowie Gründerin der Trisha Brown Company. … unglaublich viele gute Frauen.

„Gute Frauen“? Warum waren die Frauen in Amerika besser als in Deutschland?

Ich weiß es nicht. Ich war nicht in der Akademie. Ich bin aus Ulm schnell weggegangen, ebenso aus Saarbrücken. Mary Bauermeister studierte 1954/55 bei Max Bill an der Hochschule für Gestaltung Ulm. Anschließend war sie für ein Jahr bei Otto Steinert an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken, bevor sie sich 1956 als freie Künstlerin in Köln niederließ. Wenn ich jetzt nach Frauen suche – ich könnte Ihnen kein Bild zeigen, das mich aus den Socken gehauen hätte. Die Galerien, die neue Sachen zeigten, zeigten keine Frauen. Schmela zeigte die ZERO-Gruppe oder die Franzosen oder Spoerri. Der hat doch keine Frau gezeigt. Spoerri war zwar mit einer Frau, mit Ingeborg Lüscher Ingeborg Lüscher (* 1936 Freiberg) ist eine deutsche Fotografin und Konzeptkünstlerin, die insbesondere mit ihren „Stummelbildern“ bekannt wurde. liiert, das war seine Liebste, aber deren Arbeit kümmerte ihn nicht. Spoerri sagte in meiner ersten Ausstellung in Amerika „Bauermeister. Paintings and Constructions“, Galeria Bonino, New York, 17. März – 18. April 1964. so wohlwollend zu mir: „Begabtes Mädchen.“ Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Arroganz auch die ZERO-Gruppe hatte. Ich bin von ZERO weggegangen, weil da nur Männer waren. Die Frauen wurden nicht wahrgenommen. Ich wurde akzeptiert, weil ich eine gute Organisatorin war. Ich habe ihnen die Plattform gegeben. Es gibt Musiker, die später gesagt haben: „Ich habe gar nicht gewusst, dass Mary auch Kunst gemacht hat.“ Nun gibt es natürlich das Problem, dass sich Musiker nicht unbedingt sonderlich für Kunst interessieren und umgekehrt, aber das habe ich ja versucht zu durchbrechen. Genau das habe ich ja gerade versucht.

Das haben Sie aber damals nicht zum Thema gemacht?

Nein, warum denn?

So wie Sie auch einen geschützten Raum für andere Sparten oder Medien in der Kunst schaffen wollten.

Ich hatte noch nicht das Gefühl, einen geschützten Raum für Frauen machen zu müssen, ich hatte das Gefühl, ich muss mich von diesem Organisieren befreien, sonst werde ich eines Tages Kultusminister und vergesse dabei meine eigene Arbeit. 1962 habe ich die erste Gelegenheit wahrgenommen, nach Amerika zu gehen. Alle jammerten: „Das schöne Atelier, wer macht das weiter?“ Ich habe es dann Michael von Biel Michael von Biel (* 1937 Hamburg) ist ein deutscher Komponist und Maler, der zum erweiterten Umfeld der Fluxus-Bewegung zählt. gegeben. Diesen Schutz habe ich für mich selber gefordert, aber nicht für die Gesellschaft. Ich war froh, dass ich malen konnte, dass ich mühsam davon leben konnte. Ich hungerte zwar, aber ich konnte machen, was ich am liebsten tat. Das ist als Mädchen schon ein unglaubliches Privileg. Ihr könnt euch das nicht vorstellen, was ihr erreicht habt, was die Frauenbewegung in diesen 50 oder 60 Jahren erreicht hat. Für euch ist das selbstverständlich, dass ihr gleichberechtigt seid. Das kann aber wahnsinnig schnell wieder zurückkippen.

Wenn du nicht gesehen wirst und keine Resonanz hast, musst du wahnsinnig stark mit deinem Genius verbunden sein. Du musst deinen Ideen treu sein. Die einen haben Erfolg und werden anerkannt, während du etwas machst, was völlig fremd ist, was noch keiner gemacht hat, und dem musst du treu bleiben. Auch wenn die Versuchung groß ist, sich anders zu orientieren. Das war sehr schwierig. Mir wurde das jetzt erst klar: Alles, was ich machte, war damals noch gar nicht als Kunst anerkannt. Das war ja lange vor der Art brut „Art brut“ (franz. „rohe Kunst“) ist ein ab Ende der 1940er-Jahre von Jean Dubuffet geprägter Begriff, unter dem er die Kunst von Kindern, psychisch Kranken, nicht akademisch Ausgebildeten und fremden Kulturen zusammenfasste. Diese propagierte er gegen die tradierten Wertvorstellungen der bürgerlichen Kunst. Das Konzept der Art brut beinhaltet zugleich die Aufforderung, überall Kreativität zu entdecken und zu fördern. Siehe auch: Lucienne Peiry, „Art Brut. Jean Dubuffet und die Kunst der Außenseiter“, Paris 2005. , vor Arte povera Die Arte povera war eine italienische Kunstbewegung, die sich grundlegend durch den künstlerischen Gebrauch „armer“ und gewöhnlicher Materialien auszeichnete. Erstmals öffentliche Verwendung fand die Bezeichnung im Rahmen der Ausstellung „Arte povera e IM spazio“, die im September 1967 von Germano Celant in Genua organisiert wurde und Arbeiten von Alighiero Boetti, Luciano Fabro, Jannis Kounellis, Pino Pascali, Giulio Paolini und Emilio Prini umfasste. Weitere zentrale Vertreter der Bewegung waren Giovanni Anselmo, Mario Merz, Michelangelo Pistoletto und Salvo. oder der Multimedia- oder Concept-Art. Damals hieß es: Das ist doch Bastelarbeit, das ist doch Kinderarbeit, das ist Weiberarbeit. Als Michael Buthe Michael Buthe (1944 Sonthofen – 1994 Köln) war ein deutscher Künstler, der sich in seinen Arbeiten häufig mit außereuropäischen Kulturen sowie der Ästhetik „armer“ Materialien beschäftigte. Ab 1968 zeigte er seine Werke regelmäßig in der Galerie Rolf Ricke. mit Stoff anfing, hieß es: die neue Sensibilität.

Woran liegt das? Man tendiert ja selber fast ein wenig dazu … Als Schülerin habe ich auch gedacht, ich möchte keine Bilder mehr sehen von Frauen, die gerade das Geburtsthema und Kinderthema aus der eigenen Biografie heraus entdeckt haben. Das war für mich Frauenkunst.

Das geht mir heute so, wenn ich die Frauen immer mit ihren Genitalien handeln sehe. Da kriege ich das Kotzen.

Obwohl es darum bei der Frage nach den Frauen in der Kunst natürlich gar nicht geht.

Ich kriege das Kotzen, wenn ich eine Vulva oder Bilder mit Menstruationsblut sehe. Da wird etwas Heiliges profaniert. Um Herrgottswillen, das geht mir bis heute so. Dass die Frauen damit auf etwas aufmerksam machen wollen, sehe ich ja ein, die Männer haben es auch gemacht, die schwulen Männer: Es gab 1963 eine Ausstellung in New York, da hat ein schwuler Künstler über vier Wände einen Mann mit einem riesigen Geschlecht gemalt. Das war nicht sehr appetitlich. Im Museum sind ja sehr viele Frauen, aber nur nackte. Das Bild „Frühstück im Grünen“ Édouard Manet, „Le déjeuner sur l’herbe“, 1863, Musée d’Orsay, Paris. von Édouard Manet war mit den angezogenen Männern und der nackten Frau eine Revolution. Eigentlich ist es Pornografie. Da gehen zwei Männer mit einer nackten Frau in den Wald …

Ich habe mich dagegen gewehrt, wenn es hieß, Frauen, die Kunst machen, dürfen keine Kinder kriegen. Da habe ich ganz entschieden gesagt, wenn mein Kinderkriegen mich hindert, Kunst zu machen, dann kann ich sie gleich sein lassen. Als ich Kinder hatte, wurde ich besser. Ich habe keine Serien mehr gemacht, also 20 Stück wie vorher, sondern ich habe einen Schritt gemacht und der war gut. Da schrie ein Kind und ich musste mich fragen: „Ist das, was ich hier tue, wertvoll genug, dass ich das Kind schreien lasse?“ Du wirst selektiver, du wirst aufmerksamer. Ich habe morgens zwischen fünf und sieben, vor den Kindern, meine Inspirationszeit gehabt.

Als ich groß geworden bin, warst du schon ein Blaustrumpf „Blaustrumpf“ war während des 19. Jahrhunderts ein gängiger Spottname für emanzipierte Frauen. , wenn du studieren wolltest. Da war die Tatsache, dass man überhaupt eine Nische gefunden hatte, hungerte, aber malen konnte, ein Privileg. Dass das nicht anerkannt wurde, war ich gewohnt. Wir waren alle hungrig. Dass die Männer langsam anerkannt wurden, war mir egal. Ich hatte eine Bewegung ins Leben gerufen. Bis heute sind mir dafür viele große Künstler dankbar. Das waren eben nur Männer. Von den Frauen kam da oft Eifersucht: „Du bist ja keine Frau, du bist ja ein Mannweib, du bist eine Walküre.“ Nur weil man groß, tüchtig und schlagfertig war, war man gleich eine Walküre, weil man das Weibchenprogramm nicht mitmachte. Das habt ihr heute besser. Ich sehe heute Mädchen, die sehen aus wie Buben und sind stolz und werden nicht beschimpft, weil sie zu groß, zu lang, zu männlich sind und zu viel denken können.

Trotzdem konnten Sie Ihre Werke verkaufen.

Damit habe ich alles finanziert.

Wo sind Sie mit Ihren Arbeiten hingegangen?

In Saarbrücken lebten wir vom Verkauf von Fotografien an Arbeiter auf der Straße. Für die Semesterferien waren die Ateliers geschlossen und wir kamen nicht ans Papier. Da war unsere Geldquelle für Miete und alles versiegt. Ich habe mich damals auf ein Inserat zum Würstchenverkaufen auf dem Jahrmarkt für 2.000 Francs gemeldet. Da stand dann mein Vater und sagte: „Du wirst in der Gosse landen.“ Das war das Bild, das mir beim Weggang von zu Hause in Erinnerung blieb. Sozusagen seine geistige Erscheinung. Würstchen verkaufen war unter dem Stand einer Akademikertochter. Wer heute Würstchen verkauft, ist morgen im Puff, so ungefähr. Das war die Meinung. Aber das Einzige, was ich konnte, war malen. Also habe ich meine Mappe genommen, bin auf die Straße, ins nächste Haus und habe gelogen: „Ich komme auf Empfehlung von Professor Steinert.“ – „Kennen wir gar nicht.“ Ich bin trotzdem reingebeten worden, die haben meine Bilder angeguckt und so bekam ich schon mal Kaffee und Kuchen. Ich kam mir vor wie ein Hausierer. Als ich da rauskam, bin ich erst einmal in den Wald gegangen und habe geheult. Da kam ein kleiner weißhaariger Franzose den Berg hoch, den habe ich gefragt, ob er wüsste, wer in der Gegend moderne Kunst kauft. Er hat mich erst mal furchtbar ausgelacht: ein Mädchen im Wald mit der Mappe unterm Arm. Da habe ich wieder angefangen zu heulen. Er beschwichtigte mich: „Natürlich weiß ich das. Gehen Sie den Berg hinauf, das ist der Weinbergweg, im letzten Haus wohnt der Fleischfabrikant Schröder. Der hat eine Sammlung.“ Also bin ich dahingetigert, es war mittlerweile sechs Uhr abends, und habe da wieder mein Sprüchlein aufgesagt: „Ich komme auf Empfehlung von Professor Otto Steinert“, das war damals der Direktor der Schule. „Ach, mein Freund Steinert, kenne ich natürlich, kommen Sie rein, setzen Sie sich. Wir müssen noch zu Abend essen.“ Der leckere Duft des Abendessens … ich saß in einer Replika meines Zuhauses. Der Fußboden, der Eichenschrank, ein altes Bild, die Treppe nach oben. Ich dachte: „Da bist du vor einem Jahr weggerannt, um Künstler zu werden, und jetzt bist du am Hausieren.“ Dieser Mann hat mir an dem Abend ein Bild für 8.500 Francs (circa 85 D-Mark) abgekauft. Das war das Dreifache von dem, was ich in der Würstchenbude verdient hätte. Und da wusste ich: Es geht. Von da an bin ich von Haus zu Haus. Architekten, Rechtsanwälte und Ärzte waren meine besten Kunden.

Sie haben bei den Leuten geklingelt und haben gesagt: „Ich habe hier eine Mappe dabei …“

„Ich möchte Ihnen meine Bilder zeigen.“ Entweder haben die gesagt: „Wir haben schon einen Künstler.“ Dann habe ich noch einen Scherz gemacht: „Glauben Sie an ein Zweitbuch?“ Und sie haben lachen müssen. Wenn ich erst einmal drin war und die Situation erblickt hatte, habe ich gesagt: „Ein blaues Sofa, da passt mein blaues Bild hin“, und habe das Bild mit Heftzwecken hingehängt: „Ich komme nächste Woche wieder.“ Das war schon Verkaufsraffinesse. Wir haben dann gemerkt, dass manche Leute Haros Bilder lieber mochten, aber mich als Menschen und umgekehrt und haben erst signiert, wenn wir das herausgefunden hatten. Es gibt also eine ganze Menge Bilder in Saarbrücken, die nicht richtig signiert sind, weil wir keinen Käufer verlieren wollten.

Seit damals lebe ich vom Verkauf meiner Kunst. Ich habe nie von etwas anderem gelebt als von dem, was ich selber mit meinen Händen erschaffen habe. Das allein ist ein solches Privileg. Ich gehe an den Strand und sammle Steine, dann hole ich mir Klebstoff, ich habe einen Schreiner, den ich bezahle, und mache etwas daraus. Davon kann ich leben, das ist doch eine Gnade. Ich bin überhaupt nicht abhängig. Ich brauche kein Telefon, ich brauche kein Handy, ich brauche gar nichts. Ich habe keine Tageszeitung, kein TV, nichts. Ich lebe in der Natur, mit der Natur. Ich kriege ein bisschen was im Radio mit, wenn ich Auto fahre. Und ich lese viele Bücher. Ab und zu, alle zwei Jahre, gucke ich einen Film an und gehe ins Konzert. Das ist für mich eine analoge Welt, die ich liebe. Ich trinke morgens Ziegenmilch vom Bauern nebenan und dann gehe ich Himbeeren oder Pilze ernten. Das ist ein Leben, das mich glücklich macht. Wenn ich in eurer Situation wäre, die Zwänge hätte von Handys und Erreichbarkeit und Internet und was weiß ich, dieser ganze Scherz, ich würde wahnsinnig werden. Ich würde meine ganze Fähigkeit, intuitiv zu sein, verlieren. Ich wäre ja pausenlos mit etwas beschäftigt. Ich erlebe das mit meiner Enkelin, die hat Mühe mit mir nur drei Minuten still zu sitzen, ohne auf ihr Ding zu gucken. Weil sie pausenlos mit der ganzen Welt in Kontakt sein muss. Ihr seid eine andere Generation. Ich wünsche euch Glück, ich hoffe, dass ihr eurer physischen Natur nicht schadet, dass ihr überlebt und dass ihr noch ein bisschen wahrnehmt, was es an analogen Schönheiten auf der Welt gibt, bevor sie entweder weggestorben sind, die Natur weggezaubert ist oder halbe Maschinen uns übernehmen und wir alle einen Chip haben. Oder man superintelligente Wesen klont.

Sie haben das schon mehrfach ganz optimistisch formuliert: Es wird sich seinen Weg suchen.

Ich bin optimistisch. Weil ich großartige Enkel habe. Ich habe einen kleinen Enkelsohn, der war noch nicht in der Schule, als er fragte: „Mama, was ist im Universum, im Kosmos?“ Da sagte meine Tochter: „Nichts.“ – „Ach Mama, da sind Brocken, die Zeit und der liebe Gott. Aber die Zeit war vor dem lieben Gott.“ Das kann ein fünfjähriges Kind denken. Da ist für mich die Welt gerettet. Wenn diese Generation von Kindern hier auf die Welt kommt, die wird es richten.

Das denke ich auch. Aber wir müssen noch mal zurück in die 60er-Jahre.

Ja, damals die Medien: Nur Nam June Paik hatte eine Viertonspurmaschine und konnte damit arbeiten. Sonst musste man im WDR eingeladen sein, um an das Elektronische Studio zu kommen.

Sie haben das Werk von Paik sehr gefördert?

Natürlich. Ich hatte eine Ausstellung im Stedelijk Museum, „Karlheinz Stockhausen, electronische muziek & Mary Bauermeister, schilderijen“, Stedelijk Museum, Amsterdam, 02.–25. Juni 1962. Willem Sandberg hatte eine Komposition gesehen, die ich in Stockhausens Kompositionskurs gemacht hatte, und daraufhin hat er mir eine große One-Man-Show gegeben. Ich hatte noch nie vorher ausgestellt, außer mal in Wuppertal bei Rolf Jährling in der Galerie Parnass meine Leuchtfarben-Bilder, die „erlöschen“. „Mary Bauermeister. Bilder“, 12. Juni 1962 – 12. September 1962, Galerie Parnass, Wuppertal. Und in der ZERO-Gruppe. Die Ausstellung im Stedelijk Museum war 62 und damals war im Keller eine Ausstellung über amerikanische Kunst „4 Americans“, Stedelijk Museum, Amsterdam, Mai/Juni 1962. An der Ausstellung beteiligt waren Jasper Johns, Alfred Leslie, Robert Rauschenberg und Richard Stankiewicz. . Da habe ich den „Ziegenbock“ Robert Rauschenberg, „Monogram“, 1955–1959. von Robert Rauschenberg, die „Flagge“ Jasper Johns, „Flag“, 1954/55. von Jasper Johns und noch ein paar Maler gesehen und gesagt: „Wo das Kunst genannt wird, da muss ich hin.“ Habe dem Paik sofort telegrafiert: „Paik, ich weiß, wo wir hinmüssen, wir müssen nach Amerika.“

Nam June Paik kannten Sie aus Köln?

Den habe ich in meinem Studio groß gemacht. Der wurde in meinem Studio von einem Musiker zu einem Happening-Mann.

Wo haben Sie sich das erste Mal getroffen?

Paik habe ich 58 in seinem Studio in der Aachener Straße Nach seinem Umzug von Freiburg nach Köln im Jahr 1958 nutzte Nam June Paik zunächst sein Atelier in der Aachener Straße 687 für die Aufführung seiner Aktionen. Vgl. Susanne Rennert, „Chronologie (1958–1968)“, in: „,On sunny days, count the waves of the Rhine…‘ – Nam June Paiks frühe Jahre im Rheinland“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 9, 2005, S. 31–44, hier S. 31. getroffen. Da bin ich mit David Tudor und Helms hin und er hat uns Musik vorgespielt. Er war doch Schönberg-Schüler. Paik wurde mein Ziehkind. Ich habe Paik alles ermöglicht. Wenn er sagte, ich habe eine Idee, wurde die sofort ausgeführt. Die meisten Konzerte habe ich für und mit Paik gemacht. Willem Sandberg hat mir dann ein Bild im Stedelijk-Museum abgekauft, das war mein Ticket nach New York. Da hatte ich sehr schnell, ab Dezember 1963, einen Vertrag mit der Galeria Bonino und war sehr gut im Geschäft. Alfredo Bonino hat meine Arbeiten sofort an die Museen verkauft, von heute auf morgen. Gestern noch gehungert und am nächsten Tag hatte ich plötzlich Geld. Das war ein ziemlicher Schock. Ich habe Bonino dann gesagt, er solle Paik ausstellen. Und er sagte: „Was soll ich denn mit Fernsehapparaten?“ – „Du wirst nichts verkaufen, aber du wirst eine tolle Presse kriegen.“ Er hat sich überzeugen lassen, den Katalog habe ich finanziert. Die ersten drei Kataloge Vgl. Nam June Paik, „Electronic Art I“, Ausst.-Kat. Galeria Bonino, New York 1965; Nam June Paik, „Electronic Art II“, mit einem Textbeitrag von Allan Kaprow, Ausst.-Kat. Galeria Bonino, New York 1968; Nam June Paik, „Electronic Art III“, mit einem Textbeitrag von John Cage, Ausst.-Kat. Galeria Bonino, New York 1971. von Paik habe ich mit dem Verkauf meiner Bilder finanziert, sodass Bonino keinen Schaden hatte, aber Paik seine Ausstellungen. Dann hat Howard Wise ihn übernommen Nam June Paik war an folgenden Ausstellungen der Howard Wise Gallery beteiligt: „Festival of Lights“, Dezember 1967; „TV as a Creative Medium“, 17. Mai – 14. Juni 1969. Im Anschluss an seine Galerietätigkeit gründete Howard Wise 1971 die Organisation Electronic Arts Intermix (EAI) und kaufte mehrere Arbeiten Paiks für die Sammlung an. und damit war Paik gemacht.

Warum haben Sie das ausgerechnet für Paik gemacht? Es hätte wahrscheinlich auch noch 30 andere Künstler gegeben, die Sie hätten fördern können.

Paik war für mich der Faszinierendste, weil für mich da etwas Neues dazukam, wovon ich selber sehr profitiert habe: Das war die asiatische Denkweise. Ich habe mich damals sehr mit dem Zen-Buddhismus beschäftigt.

Wann und wie kam diese Welle?

How Zen became Zen? 1960 habe ich durch einen Sammlerfreund, Dieter Rosenkranz, der mir auch Bücher von C. G. Jung gegeben hat, ein Buch von Gotthard Günther, „Idee und Grundriss einer nicht-Aristotelischen Logik“, Gotthard Günther, „Idee und Grundriss einer nicht-Aristotelischen Logik“, Hamburg 1959. bekommen. Das kam mir als Anarchisten sehr recht. Es gibt nicht nur Gut oder Böse, sondern es gibt die ganze Skala. Also nicht Entweder-oder, sondern Sowohl-als-auch. Das heißt, philosophisch war ich sehr in dieser Richtung orientiert. Fundamentalistische Glaubenssysteme, die beschreiben, wie Gott aussieht, das war mir suspekt. Da war mir der Zen-Buddhismus natürlich schon sehr nahe. Den Begriff eines Monotheismus, einer auf einen Punkt gerichteten Zentralfigur, den kann ich als Menschen nicht räumlich sehen. Den kann ich nur als Punkt sehen oder als Null oder als nichts. Unendlich oder nichts. Ähnlich wie mein Enkel, der sagt, die Zeit war vor dem lieben Gott. Ich hatte als Kind ähnliche Gedanken, die die Erwachsenen nicht verstanden, an die ich mich aber bis heute noch erinnere. Man hat, bevor man in die Schule geht, bevor die Erwachsenen einen zu sehr einengen, einen unglaublich weiten Blick, der aus einer vorgeburtlichen Zeit kommt, wo man alles wusste. Ich war in einer Operation einmal tot, da war ich wieder allwissend. Allwissend natürlich nicht, aber ich konnte mich viel weiter ausstrecken. Das Leben in einem Körper und in einem Gehirn ist schon sehr begrenzt. Paik war für mich … ich weiß es nicht … ich mochte ihn auf Anhieb. Und er akzeptierte mich auch als Frau, als Künstlerin. Er war der einzige Mann, außer Stockhausen, der sich zwar daran störte, wenn ich Bilder machte, weil das Krach und Dreck machte, aber doch stolz war, wenn die Ausstellung dann fertig war, Einführungen schrieb, mich auf Reisen mitnahm, auf denen ich Vorträge hielt, und so weiter. Stockhausen hat das notgedrungen mitgemacht, dass ich Künstlerin bin, und ich habe ihn auch sehr inspiriert. Wir haben unsere Dinge immer in das jeweils andere Medium übersetzt. Paik war eigentlich der einzige männliche Künstler, der meine Arbeiten mochte. Als sein Bruder aus Japan kam, hat er mir Bilder abgekauft. Das ist Sympathie, vielleicht auch eine Seelenschwingung. Paik war großartig. Und es war selbstverständlich, dass ich alles für ihn tat, bis er es geschafft hatte.

Sie waren von seinem Werk aber auch wirklich überzeugt, oder wollten Sie es ihm nur ermöglichen?

Nein. Ich fand jede Erweiterung jedes Künstlers gut: Wer das Konzept von Kunst erweiterte, hatte für mich etwas Wichtiges beigetragen. Ob das jetzt Dreck-Kunst, langweilige Kunst, scheußliche Kunst ist, die muss ich gar nicht mögen. Jeder Künstler, egal welches Medium, der das, was Kunst genannt wird, erweitert, hat für mich eine Berechtigung. Künstler, die das machen, was schon gemacht worden ist, auch wenn sie es besser machen, sind für mich auch Künstler, aber sie sind für mich nicht in der ersten Reihe. Für mich sind die Innovatoren die Wesentlichen. Weil sie eine Erweiterung bringen. Die, die es perfektionieren, sind auch wichtig. Auch Konservatismus ist wichtig. Wenn wir keine Partituren hätten, wäre die ganze Musik verschwunden. Ich bin nicht gegen das Bewahren alten Handwerks. Ich liebe es, alte Handwerkskünstler heute zu unterstützen, damit sie nicht aussterben. Es ist immer eine Balance. Man möchte auch nicht von den konservativen und fundamentalistischen Manifesten erstickt werden. André Breton ist das beste Beispiel für einen am Ende faschistischen Diktator. Am Anfang war es eine Erweiterung, am Schluss wollte er bestimmen, dass man nicht heiraten darf. Und da musste Magritte mit seiner Frau das Land verlassen, weil er es leid war. Als ideologischer Wortführer der surrealistischen Bewegung nahm André Breton (1896 Tinchebray, Frankreich – 1966 Paris) immer wieder Anstoß an den bürgerlichen Liebesbeziehungen der Künstlergruppe. Nachdem er bei einem Treffen 1930 mehrmals gegen eine Kruzifix-Halskette von René Magrittes Frau polemisiert hatte, kam es zum Bruch zwischen ihm und Magritte. Vgl. Eduard Beaucamp, „Das Dilemma der Avantgarde. Aufsätze zur bildenden Kunst“, Frankfurt am Main 1976, S. 162. Ich finde alle Manifeste wunderbar, wenn sie die Menschen anstacheln, zu etwas Neuem bringen, zusammenbringen, aber nicht, wenn sie zu einem Korsett werden: Was kümmern mich meine Gedanken von gestern. Ich muss heute spüren, was jetzt wichtig ist. Ich habe Jahrzehnte keine politische Kunst gemacht. Heute mache ich politische Kunst, weil es nötig ist. Auf der anderen Seite kann ich mich dann völlig in einem roten Bild verlieren. Das ist reiner Farbrausch. Aber ich bin heute alt, ich habe alles, was ich als Künstler erreichen wollte, erreicht. Rauf und runter, Ruhm und nicht Ruhm, Verdammung und Verherrlichung, Hunger und Sattsein. Ich gucke darüber hinweg, es ist mir egal, ich tue das, was mein innerstes Gefühl und mein Genius mir in den Kopf oder ins Herz geben. Und das ist ein solches Privileg, da ist es mir völlig wurscht, ob ich Frau oder Mann bin. Heute kommen Museumsdirektoren und wissen gar nicht, was ich mache. Sie haben irgendwo eine kleine Ausstellung gesehen, wo irgendein unwissender Galerist eine angeblich revolutionäre Neuentdeckung zeigt. Als zum Beispiel Hans Ulrich Obrist mein Œuvre und meine Skizzenbücher sah, konnte er es nicht glauben, zu welchem Zeitpunkt ich was gemacht habe – immer vor den Männern.

In Ihrem Umfeld damals arbeitete auch Wolf Vostell.

Vostell war nie in meinem Atelier.

Wie kommt das?

Weil er Gebrauchsgrafiker war und mit Gebrauchsgrafik Geld verdiente. Ein Grafiker muss Werbung machen. Und Werbung fanden wir damals schon amoralisch. Geld für Werbung rauszuschmeißen, ist ja schon Übervorteilung. Wer die bessere Werbung macht, der wird gekauft. Das war für uns alles schon ad acta. Für uns war er Werbegrafiker.

Und Sie haben Vostell auch nicht bei Parnass oder bei Schmela getroffen?

Nein. In der Galerie Parnass habe ich Vostell nie gesehen. Vostells Karriere fing 1961 an, als Haro Lauhus und ich uns trennten und Haro Lauhus in seinem Extra-Atelier Vostell ranholte. Das war der Anfang von Vostell. Ich habe Vostell dann in New York mal wiedergesehen bei einem Happening, wo er einen Fernseher begraben hat. Wolf Vostell, „TV Burying“, realisiert im Rahmen des Yam Festivals, New Jersey, 19. Mai 1963. Aber in meinem Atelier war er nie. Ich habe ihn als Künstler erst wahrgenommen, als ich in den 70er-Jahren wieder nach Hause kam.

Und hatte sich Ihre Einstellung zu seinem Werk verändert?

Verändert? Wir hatten eine Zeit lang dieselbe Galerie, Inge Baecker. Die Galerie wurde 1970 von Inge Baecker (* 1943 Bochum) in Bochum gegründet und befindet sich heute in der Burg von Bad Münstereifel. Ihr frühes Programm umfasste vor allem Positionen der Happening- und Fluxus-Bewegung, darunter Allan Kaprow, Nam June Paik und Wolf Vostell. Aber Vostell suchte nicht meine Gesellschaft. Und ich auch nicht seine. Ich hatte meine Kinder, habe hier mein Haus aufgebaut, war auf einem esoterischen Trip, da hat mich Vostell erst recht nicht interessiert. Durch die Schweisfurth Stiftung kam ich dann wieder zu Vostell. Schweisfurth war ein Sammler, ein Münchener Mäzen, Karl Ludwig Schweisfurth (* 1930 Herten) ist ein deutscher Öko-Unternehmer und Kunstsammler sowie Gründer der in München ansässigen Schweisfurth Stiftung. der hat mich auch gekauft, und da sah ich gute Vostell-Bilder. Damals hatte ich mich wieder an gegenständliche Kunst gewöhnt. Das war für mich ja vorher keine Kunst, das war für mich eine Regression. Ich fand das eine unglaubliche Regression, dass die gegenstandslose Kunst so schnell verlassen wurde – in Amerika durch die Pop-Art und bei uns durch die Wiederentdeckung des Figurativen. Die Menschen ertrugen diesen kühlen Raum des Gegenstandslosen nicht. Das ist ein geistiger Raum, den musst du selber füllen. Wenn du Kandinskys „Über das Geistige in der Kunst“ Wassily Kandinsky, „Über das Geistige in der Kunst. Insbesondere in der Malerei“, München 1912. liest, dann weißt du, wie man überhaupt dazu kam. Oder Hilma af Klint, Hilma af Klint (1862 Schloss Karlberg – 1944 Djursholm) war eine schwedische Malerin, die in ihren Bildern komplexe spirituelle Ideen visualisierte. Ihre Arbeiten zählen zu den frühesten Beispielen der abstrakten Kunst. Vgl. „Okkultismus und Abstraktion. Die Malerin Hilma af Klint, 1862–1944“, hg. von Åke Fant, Ausst.-Kat. Albertina, Wien 1992. eine Frau, die lange vor Kandinsky gegenstandslos gemalt hat, heute wird sie mühsam entdeckt. Als ich sie in Amerika im MoMA PS1 „The Secret Pictures by Hilma af Klint“, MoMA PS1, New York, 15. Januar – 12. März 1989. entdeckte, habe ich einen Katalog gekauft, farbkopiert und an zehn Museen geschickt: „Ihr müsst die Kunstgeschichte umschreiben.“ Ich habe noch nicht mal ein Dankeschön erhalten. Jetzt wird sie als Sonderfall, als Ausnahme hingestellt. Ich sah in ihrem Katalog, der in Berlin herausgekommen ist, „Hilma af Klint. Eine Pionierin der Abstraktion“, hg. von Iris Müller-Westermann/Jo Widoff, Ausst.-Kat. Hamburger Bahnhof, Berlin/Moderna Museet, Stockholm, Berlin 2013. sogar einen Hinweis, dass es schon siebzehnhundertirgendwann eine gegenstandslose englische Malerin gab. Man könnte unter dem Aspekt der Künstlerinnen die ganze Geschichte noch einmal neu schreiben. Aber dann sind wir wieder am Aufarbeiten, dann sind wir wieder in der Vergangenheit. Lass uns mal gucken, dass wir die Zukunft enkeltauglich gestalten. Lass uns mal gucken, dass die Männer sich die Röcke erringen. Wir haben uns die Hosen errungen, die Männer haben das mit den Röcken noch nicht hingekriegt.

Bei uns noch nicht.

Ich meine den Rock als weibliches Symbol. Die Weiblichkeit, die Sensibilität. Ich rede nicht vom Schottenrock oder vom Kaftan, ich rede von dem Symbol. Wir Frauen haben bewiesen, dass wir alles auch können. Der nächste Schritt wäre, dass wir das sein lassen. Dass man nicht zeigt, dass wir auch Motorradrennen fahren können und Waffen machen, Kriege führen können und Drohnen, sondern dass wir es sein lassen können und die Männer in eine sanftere Lebensart, in eine friedliche, liebevollere Welt locken. Weg vom Porsche. Die Kultur wird in Amerika nur von den Frauen finanziert. Das ist eine große Aufgabe, die die europäischen Frauen noch zu leisten haben.

Noch einmal zu denen, die zu Ihrer Zeit in Ihrer Umgebung waren, zum Beispiel Ben Patterson Benjamin Patterson (1934 Pittsburgh – 2016 Wiesbaden) war ein Künstler und Musiker. Er zählt zu den Hauptakteuren der Fluxus-Bewegung der 1960er-Jahre. Nach seiner Ausbildung als Kontrabassist an der University of Michigan spielte Patterson in mehreren Orchestern, darunter dem 7th Army Symphony Orchestra. 1960 reiste er nach Köln, um Karlheinz Stockhausen und andere Komponisten zu treffen, und lernte auch Mary Bauermeister und John Cage kennen. 1962 nahm Patterson an dem Festival „Fluxus – Internationale Festspiele Neuester Musik“ in Wiesbaden teil und übersiedelte Ende des Jahrs 1963 mit seiner Familie nach New York. Patterson war von 1974 bis 1976 Professor am Staten Island Community College und zog 1989 nach Wiesbaden, wo er bis zu seinem Tod lebte. .

Ben Patterson war einer der Künstler, der plötzlich während des Festivals der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik Die 1922 von Rudolf Réti und Egon Wellesz gegründete Internationale Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) gilt als älteste Dachorganisation zur Förderung der Neuen Musik. Ihr jährlich an unterschiedlichen Orten ausgerichtetes Festival World New Music Days fand 1960 vom 10. bis 19. Juni in Köln statt. in Köln erschien. Der hat einen Flyer auf der Straße gefunden, dass bei mir ein Konzert ist, „Contre-Festival zum IGNM“, Atelier Mary Bauermeister, Köln, 15.–19. Juni 1960. Am Eröffnungsabend des Festivals war Ben Patterson an der Aufführung der beiden Stücke „Card-Piece for Voice“ und „Candle-Piece for Radios“ von George Brecht beteiligt. Vgl. Wilfried Dörstel, „Chronologie“, in: Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), „intermedial – kontrovers – experimentell. Das Atelier Mary Bauermeister in Köln 1960–62“, Köln 1993, S. 12–83, hier S. 25. und dann ist er erschienen. Cage hat ihn eingeladen mitzuspielen. 1960/61 war er Teil des Ateliers und hat dann meine Freundin Pyla geheiratet, sie haben zwei Kinder zusammen. Als Haro Lauhus und ich uns trennten, ist er in Haros Atelier gezogen.

Das war eine Spaltung?

Ja, das war eine Spaltung, bei der Paik vermittelt hat. Haro Lauhus wollte mich umbringen und Stockhausen und dessen Kinder auch. Da hat Paik verhandelt und hat gesagt: „Haro, wenn die Mary dir alle Happenings lässt, du das also weitermachen kannst und sie im nächsten Jahr nichts im Atelier macht, kannst du sie dann in Ruhe lassen und kannst du mir das schriftlich geben?“ Das hat Haro dann versprochen.

Und dann lief bei Ihnen im Atelier erst mal nichts mehr?

Da hat dann Michael von Biel weitergemacht. Es lief schon etwas: Wir haben zum Beispiel die „Originale“ „Originale“ ist ein experimentelles Musiktheaterstück von Karlheinz Stockhausen und Mary Bauermeister, das 1962 in Köln uraufgeführt wurde. gemacht … wir haben viel gemacht, aber der ganze Rummel fand zwei Straßen weiter beim Haro statt. Und da war Vostell dabei und Patterson. Patterson war immer gegen Stockhausen, und als wir die „Originale“ aufführten, entlud sich das. Ich hatte die „Originale“ mit Stockhausen komponiert, da war der ganze Anarchismus der Lintgasse drin. Das war nicht Stockhausen, sondern Bauermeister. Erst war es noch friedlich. Dann wollte George Maciunas George Maciunas (1931 Kaunas, Litauen – 1978 Boston) war ein Künstler und Kunsttheoretiker, der zu den zentralen Akteuren der Fluxus-Bewegung zählte. die „Originale“ für sich einnehmen. Das hat Stockhausen abgelehnt und dann war Maciunas gegen Stockhausen. Maciunas hat mir einen Brief geschrieben, er wollte in Köln bei mir anfangen, da war ich aber schon in Amerika. Und dann war in Amerika die Aufführung der „Originale“ und Maciunas bestreikte uns mit anderen, auch aus dem Umfeld von Fluxus. Im September 1964 wurde das Stück „Originale“ in der Judson Hall in New York realisiert. Zur Premiere am 8. September versammelten sich mehrere New Yorker Künstler um George Maciunas vor der Konzerthalle und protestierten unter dem Motto „Action Against Cultural Imperialism“ gegen Karlheinz Stockhausen. Vgl. Mary Bauermeister, „Ich hänge im Triolengitter. Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen“, München 2011, S. 163. Das waren wirklich teilweise lustige, teilweise aber auch üble Attacken. Da hat sich die Fluxus-Bewegung dann noch mal gespalten. Robert Filliou hat gesagt: „Wie kann man einen Radikalen wie Stockhausen bestreiken?“ Da hat sich dann die sogenannte Fluxus-Bewegung von Maciunas entfernt, erst nach seinem Tod waren sie wieder zusammen. Auch Paik ist mit Maciunas sehr kritisch umgegangen. Sie waren dann alle wieder in Amerika, auch Maciunas hatte da drüben sein Publikum, Dick Higgins und andere, die auch teilweise bei den „Originalen“ mitgemacht haben. Mich interessierte es, wenn Leute mit kontroversen Ideen zusammenkamen und sich austauschten. Wenn sie anfingen, sich zu bekämpfen, bin ich gegangen, dazu hatte ich keine Lust, da hatte ich auch keine Lust zu helfen. Wenn ihr Krach miteinander habt, adieu. Das ist nicht meine Welt. Wenn ich etwas richtig finde, verknüpfe ich mich nicht mit den negativen Aussagen der Welt durch Radio oder Fernsehen, sondern ich konzentriere mich darauf, wo ich positiv wirken kann. Da habe ich genug zu tun.

Die ZERO-Künstler waren zu Ihrer Zeit in Düsseldorf.

Pienes erste Aufführung vom „Lichtballett“ Otto Piene veranstaltete sein „Lichtballett“ anlässlich der ersten Atelierausstellung „Musik – Texte – Malerei – Architektur“ am 26. März 1960 im Atelier Mary Bauermeister. Am selben Abend zeigte Heinz Mack seine Aluminium-Reliefs. Vgl. Wilfried Dörstel, „Chronologie“, in: Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), „intermedial – kontrovers – experimentell. Das Atelier Mary Bauermeister in Köln 1960–62“, Köln 1993, S. 17 ff. war im schrägen Raum in meinem Atelier. Bei der documenta Heinz Mack/Otto Piene/Günther Uecker, „Lichtraum (Hommage à Fontana)“, documenta 3, Kassel, 28. Juni – 06. Oktober 1964. Anlässlich der „documenta 3“ entwarfen Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker eine Gemeinschaftsinstallation im Dachgeschoss des Fridericianums, welche die einzelnen Arbeiten der Künstler in einer raumgreifenden Inszenierung von Bewegung und Licht vereinte. Vgl. Tiziana Caianiello, „Der ‚Lichtraum (Hommage à Fontana)‘ und das ‚Creamcheese‘ im museum kunst palast“, Bielefeld 2005, S. 59 ff. hat er das dann auf dem Dach wiederholt. An einem schrägen Dach sind ganz andere Projektionen möglich als an geraden Wänden. Mit Piene bin ich zeit meines Lebens befreundet gewesen. Ich habe ihn in Amerika Ab 1964 verlegte Otto Piene seinen Lebensmittelpunkt in die USA und realisierte dort zahlreiche Projekte, darunter „Die Lichtauktion – oder New York ist dunkel“ (1966) und „Die Sonne kommt näher“ (1967). Ab 1964 lehrte er an unterschiedlichen Wissenschaftsinstituten in den USA und leitete von 1974 bis 1994 als Direktor das Center for Advanced Visual Studies am Massachusetts Institute of Technology. Vgl. Wulf Herzogenrath/Otto Piene, „Otto Piene“, Ausst.-Kat. Kölnischer Kunstverein, Köln, München 1974, S. 11 ff. bei seinen Happenings besucht, in Cambridge bei seinen Luftgeschichten und wir haben auch noch 2007 ein Symposium in Köln im Museum Ludwig „Licht in der Kunst der Gegenwart“, Symposium der Universität zu Köln, Museum Ludwig, Köln, 20. April 2007. An dem Vortragsprogramm nahmen unter anderen Mary Bauermeister, Hella Berent und Otto Piene teil. gehabt.

Konnte man Piene und Heinz Mack in den Hochzeiten von ZERO getrennt voneinander wahrnehmen?

Ich habe Mack dann gar nicht mehr wahrgenommen. In den 70er-Jahren habe ich ihn noch mal wahrgenommen, weil wir zu Kunst-am-Bau-Aufträgen eingeladen waren, und da habe ich verloren und er hat gewonnen. Aber ich habe ihn nie wiedergesehen. In der Lintgasse hat Piene das „Lichtballett“ gezeigt, da waren Mack-Bilder ausgestellt, seine Aluminium-Reliefs und Almir Mavigniers Punktstrukturbild. Günther Uecker war noch nicht da.

Waren Sie damals auch gelegentlich in Düsseldorf?

Ich war selten in Düsseldorf. Ich bin kein Mensch, der abends ausgeht, ich bin kein Säufer. Und diese ganze Düsseldorfer Szene … die meisten Künstlerszenen sind Saufszenen. Dafür war mir meine Zeit zu schade. Ich war befreundet mit Alfred Schmela und mit Jean-Pierre Wilhelm Jean-Pierre Wilhelm (1912 Düsseldorf – 1968 Düsseldorf) war ein deutscher Galerist und Kunstkritiker, der gemeinsam mit Manfred de la Motte von 1957 bis 1960 die Galerie 22 in Düsseldorf leitete. . Und da sind wir auch zu den Ausstellungseröffnungen gegangen. Aber ich bin kein Partymensch. Bis heute nicht, war auch in New York nicht mein Ding.

Und hatten Sie Kontakt zu Joseph Beuys?

Beuys habe ich erst in den 70er-Jahren getroffen. Ich habe ihn kontaktiert, als er in Düsseldorf tätig war.

Als Sie aus den USA zurückgekommen sind?

Ja. Beuys kannte mich, weil das Atelier in Köln bekannt war. Aber ich kannte Beuys nicht. Beuys kam erst in die Szene, als er das Klavier von Paik bei Rolf Jährling Rudolf Jährling (1913 Hamburg – 1991 Weidingen) war ein Architekt und Galerist, der 1949 die Galerie Parnass in Wuppertal gründete. Sein Galerieprogramm umfasste Ausstellungen mit Mary Bauermeister, Peter Brüning, John Cage, Nam June Paik, Sigmar Polke, Gerhard Richter und La Monte Young unter anderen. Bekannt wurde insbesondere auch die Veranstaltung „24-Stunden-Happening“ (1965), an der Joseph Beuys, Bazon Brock, Charlotte Moorman, Nam June Paik, Eckart Rahn, Tomas Schmit und Wolf Vostell teilnahmen. 24 Stunden lang traten sie in Jährlings Villa in Aktion. Bis zu ihrer Schließung im September 1965 galt die Galerie als einer der wichtigsten Vermittlungsorte der rheinischen Avantgarde. in Wuppertal zertrümmerte. „Nam June Paik. Exposition of Music – Electronic Television“, Galerie Parnass, Wuppertal, 11.–20. März 1963. Während der Eröffnung von Nam June Paiks Ausstellung zerstörte Joseph Beuys spontan eines der vorhandenen Klaviere. Vgl. Antonia Herrscher, „Der Rest ist Stille“, in: „Taz – Die Tageszeitung“, 21.08.2012, S. 16. Das war 63. Auf jeden Fall war ich da schon in Amerika. Jährling hat dann die Fluxus-Bewegung und Paik sehr unterstützt. Und da kam Beuys dazu. Aber das habe ich selbst nicht erlebt.

Und wie war dann Ihre Begegnung mit Beuys in den 70er-Jahren?

Angenehm. Ich fand ihn sehr sympathisch. Auch seine ganzen Forderungen, die Freie Universität Gemeinsam mit Klaus Staeck und Georg Meistermann gründete Joseph Beuys am 27. März 1973 in seinem Düsseldorfer Atelier die Freie Internationale Universität als prototypisches Modell für eine kreative und interdisziplinäre Forschung. Vgl. Götz Adriani/Winfried Konnertz/Karin Thomas, „Joseph Beuys. Leben und Werk“, Köln 1986 (3. Auflage), S. 313–322. und seine Basisdemokratie fand ich gut.

Da waren Sie aber schon sehr auf Ihrem eigenen Weg?

Ich war damals total auf einem metaphysischen Weg. Ich war zurück aus Amerika, meine anarchistische Zeit war vorbei, ich hatte Visionen, da war ich auf so einem anderen Trip … Es gibt jetzt ein herrliches zweites Buch: „Meine esoterischen Irrwege oder die Erleuchtungsneurose.“ Zehn Jahre lang war ich nicht auf der Erde, da habe ich die Kinder erzogen.

Hier in Rösrath?

Ja. Das Haus habe ich mir gebaut, weil ich wusste, ich kann mit Stockhausen nicht in einem Haus leben und Kinder haben. Und ich wusste auch, dass ich als Frau ersetzbar bin. Und da habe ich gesagt, nur um seine Post zu machen, das Telefon zu beantworten und Steaks zu braten, bleibe ich nicht bei ihm. Ich kann ihn ja sonntags besuchen. Ich habe noch Jahre für ihn Kostüme gemacht und Sachen entworfen. Habe auch noch seine Partituren korrigiert, aber ich wollte nicht mehr mit ihm leben. Ich war ersetzbar. Er hatte jüngere Frauen, bessere Frauen, anschmiegsamere, gehorsamere und vor allem Musikerinnen. Denn ich war unpassend, als ich nur zeichnete, war ich bequem, aber wenn ich Skulpturen machte, störte ihn das.

Sie haben schon angedeutet: Sie kamen nach New York und es ging von null auf hundert. Auf einmal gab es Ausstellungen, es gab Geld …

Da muss ich ausholen. Wie gesagt, die Ausstellung in Amsterdam im Stedelijk Museum ist durch die holländischen Museen gegangen. Ich hätte in Europa bleiben können, ich wäre gemacht gewesen. Wenn man als Frau damals schon im Stedelijk Museum ausstellt … Aber dem habe ich misstraut, außerdem sah ich im Keller die Ausstellung, wo Rauschenbergs „Ziegenbock“ und Jasper Johns’ „Flag“ war, da wusste ich: „Wo das Kunst genannt wird, muss ich hin.“ Dort wird auch keiner mehr diskutieren, ob meine Stoffbilder Weiberarbeit sind oder nicht. Dann hat Sandberg mir ein Bild abgekauft und ich bin in die USA gegangen, wo ich mit Stockhausen und seiner Familie auf Long Island wohnte. Ein halbes Jahr lang haben wir unsere Ehe zu dritt ausprobiert, dann ist er zurück in die Schweiz und sie ist mit den Kindern nach Köln. Karlheinz Stockhausen heiratete 1951 seine erste Frau Doris Andreae, mit der er vier Kinder hatte. 1957 lernte er Mary Bauermeister kennen, die er 1967 heiratete. Von Oktober 1962 bis März 1963 verbrachten Karlheinz, Doris und Mary eine gemeinsame Zeit in den USA. Vgl. Mary Bauermeister, „Ich hänge im Triolengitter. Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen“, München 2011, S. 95–109. Ich wollte nach New York und Doris, die Frau von Stockhausen, hat mir 500 Dollar geliehen, damit habe ich mir im National Arts Club Der 1898 gegründete National Arts Club ist ein privater Gesellschaftsklub, der sich mit verschiedenen Programmen für die Stärkung des kulturellen Lebens der Stadt New York einsetzt. Ab März 1963 mietete Mary Bauermeister dort ein Atelier. ein Atelier gemietet. Für 3 Monate habe ich die Miete hingelegt, dann hatte ich noch 50 Dollar. Ich hatte jeden Tag 20 Cent für Haferflocken und Vitamintabletten und bin mit meiner Mappe von Haus zu Haus, also von Galerie zu Galerie. Es wurde Sommer und Leo Castelli kam in mein Atelier und sagte: „Wenn ich davon zehn Stück bekomme, gebe ich dir eine Ausstellung.“ Da sagte ich: „Da habe ich ein halbes Jahr dran gearbeitet!“

Wie kam er in Ihr Atelier?

Ich war vorher bei ihm. Dadurch, dass ich John Cage in Deutschland berühmt gemacht hatte, war ich natürlich in der amerikanischen Szene sofort willkommen. Cage war mit Jasper Johns und mit Rauschenberg befreundet, das waren Schlüsselfiguren, und die waren bei Castelli. Castelli galt als Adresse. Also bin ich dahin und er bot mir diese Show an. Da sagte ich: „Dafür brauche ich sechs Jahre.“ Und dann sagte mir Ivan Karp Ivan Karp (1926 New York – 2012 Charlotteville, New York) war ein amerikanischer Galerist, der von 1959 bis 1969 als stellvertretender Direktor für Leo Castelli arbeitete. Anschließend gründete er die Galerie OK Harris in SoHo. : „Das geht in Amerika nicht. Wenn wir dich rausbringen, dann brauchen wir mindestens 50 Werke im Jahr, weil wir dann die Museen bedienen wollen.“ Da sagte ich: „Dann bin ich der falsche Künstler für Sie.“ Es gab noch eine andere Galerie, die mich ausstellen wollte. Und als der Galerist bei mir die Bilder aussuchte, wollte er mit mir schlafen, da habe ich ihn zur Tür rausgeschmissen. Er meinte: „Das gehört doch dazu.“ Ich sagte: „Nein, bei mir nicht.“

War das nicht eine wahnsinnige Veränderung? Von Ihrem Atelier in Köln über diese erste Ausstellung im Stedelijk Museum und dann New York?

Und am Anfang mit 20 Cent. Aber die Stadt war grandios. 1962/63 gab es die erste Pop-Art-Ausstellung. „International Exhibition of the New Realists“, Sidney Janis Gallery, New York, 01. November – 01. Dezember 1962. Die Ausstellung umfasste 54 künstlerische Positionen, darunter Jim Dine, Yves Klein, Claes Oldenburg, James Rosenquist und Andy Warhol. Und die Museen dort, die ganze Szene! Da verzichte ich doch auf Köln. Und ich habe malen können. Ich hatte ein wunderbares Atelier, habe herrliche Sachen gemacht, die später sehr wichtig wurden. Nach drei Monaten hatte ich kein Geld mehr und saß wirklich auf der Straße. Ich hatte nur mein Rückfahrticket. Und dann hat Gott sei Dank Emilio del Junco, ein kanadischer Galerist, gesagt: „Im Herbst verbinde ich mich mit einem südamerikanischen Galeristen, Alfredo Bonino, und dann können wir dich vielleicht in die Galerie nehmen. Und ich habe hier eine Adresse, die Fairleigh Dickinson University, Die Fairleigh Dickinson University ist eine Privatuniversität im US-Bundesstaat New Jersey. da ist gerade von zehn Eingeladenen ein internationaler Künstler ausgefallen, die Stelle kann ich dir besorgen.“ Ich habe mich dort vorgestellt und habe die Stelle bekommen. Da hatte ich für rund sechs Wochen kostenlos Essen, Schreiner und ein Atelier. Ich habe meine ganzen Bilder aus den sechs Monaten USA dahingekarrt, das war ein Sommercamp, und ich hatte zwei Schreiner, die für mich gearbeitet haben. Die anderen Künstler dort waren alle schon bekannt, die haben nur gefeiert und gehurt. Ich sagte: „Ihr müsst doch arbeiten.“ – „Ach, das können wir doch zu Hause.“ Die haben sich eine richtig schöne Zeit gemacht. Und ich habe die zwei Schreiner ausgebeutet. Von morgens bis abends haben die für mich gesägt und gehämmert. Am Schluss gab es eine Ausstellung, „International Artist’s Summer Seminar“, Riverside Museum, New York, 1963. da hat jeder ein Bild gehabt, gute Bilder, es waren gute Künstler, und ich hatte einen ganzen Saal voll Bilder. Dann hatte ich kein Geld mehr und musste nach Hause.

Hätten Sie damals nicht bei jemandem unterkommen können?

Doch. Ich habe mein ganzes Zeug zu einer polnischen Künstlerin gebracht, Hala Pietkiewicz, die hätte mich gerne dabehalten. Sie war eine Freundin von Cage und hat auch Cages Mutter gepflegt, als sie starb. Sie hat mein Zeug in ihr Atelier nach New Jersey gebracht und ich bin mit einer Reisetasche zurück nach Europa geflogen. Ich hoffte, in Europa etwas zu verkaufen, um wieder zurück nach New York kommen zu können. Mit Stockhausen habe ich dann eine Wohnung in Köln gemietet, weil das Haus in Kürten, das wir bauen wollten, noch nicht fertig war. Dann sind wir nach Sizilien, wo er eine Aufführung 1963 entwickelte Karlheinz Stockhausen in Palermo eine Inszenierung seines Stücks „Momente“, die jedoch niemals aufgeführt wurde. Vgl. Karlheinz Stockhausen, „Instrumentation Works for Orchestra – Momente“, unter: http://www.karlheinzstockhausen.org/moment_preface_german.htm (eingesehen am 23.06.2016). hatte, und dort hat mich über meine Mutter ein Telegramm eines südamerikanischen Galeristen erreicht, der im Riverside meine Ausstellung gesehen hatte und sagte: „Die will ich.“ Auf dem Telegramm stand: „Interested contract with you permanent artist. Bonino.“ Ich habe einen Brief zurückgeschrieben: „Ich komme sofort, ich schwimme sogar rüber, aber wenn ihr mir ein Ticket schickt, wäre ich schneller da.“ Ich bekam von ihm ein Ticket und habe von Köln aus meine ganzen Arbeiten aus dem holländischen Museum abgeholt und in die USA verschifft. Das war 1963. Im November bin ich hingereist und Bonino hat sofort Bilder von mir verkauft.

Was kosteten die damals?

1.000 Dollar pro Arbeit.

Hat Bonino den Preis vorgeschlagen oder haben Sie …?

Nein, er.

Sie haben auch einen Vertrag gemacht?

Er war Geschäftsmann. Er kriegte zwei Drittel von den Verkäufen, ich ein Drittel. Er hat mir aber erst für 10.000 Dollar 10 Arbeiten abgekauft, das habe ich sofort der Frau von Stockhausen geschickt, der schuldete ich 12.000 D-Mark. Das konnte ich ihr zurückschicken und hatte noch Geld übrig, sodass ich mir ein Atelier in New York mieten konnte. Ich hatte auch wieder einen freien Schreiner von der Galerie. Wenn ich Materialgeld extra brauchte, hat Bonino mir etwas abgekauft. Und dann war die erste Ausstellung, eine Gruppenausstellung, „2 sculptors, 4 painters“, Galeria Bonino, New York, 18. Dezember 1963 – 11. Januar 1964. da hatte ich nur vier Arbeiten und das Museum of Modern Art hat sofort die größte Arbeit Mary Bauermeister, „Progressions“, 1963. und einige Zeichnungen gekauft. Da war ich gemacht. Von da an hat Bonino nur noch an Museen verkauft. Denn so viele Arbeiten hatte ich ja nicht. Ich produziere nicht schnell. Später habe ich einige zurückgekauft, weil ich sie hier für mein Museum Seit Ende der 2010er-Jahre entwickelt Mary Bauermeister ihr Anwesen in Rösrath-Forsbach bei Köln zu einem Ausstellungsort und Museum. brauche. Ich will von allen Perioden Arbeiten haben.

Sie werden häufig als amerikanische Künstlerin bezeichnet?

Ja, das Whitney Museum hat mich gekauft, weil ich da lebte.

In den USA gab es zu der Zeit vor allem den Abstrakten Expressionismus und die Pop-Art. Wie passte Ihr Werk da rein? Wurden die Arbeiten gekauft, weil es was ganz anderes war?

Ja, sie waren nicht einzuordnen. Meine erste Einzelausstellung hieß „Paintings and Constructions“ „Bauermeister. Paintings and Constructions“, Galeria Bonino, New York, 17. März – 18. April 1964. . Claes Oldenburg hat einmal gesagt: „Komisch, wir versuchen für eine Ausstellung ein Thema zu haben, und sie kommt mit zehn verschiedenen Sachen und das passt.“ Weil ich natürlich nicht in Serie arbeite, sondern ich habe ein Pünktchenbild, ein Steinbild, ein Glasbild, und das passt alles zusammen. Ich habe keinem amerikanischen Künstler etwas genommen, weil ich keinem glich. Also haben mich alle gemocht. Inklusive Andy Warhol haben mich alle willkommen geheißen. Ich habe keinem etwas nachgemacht. Ich brachte etwas Neues. Ich hatte Kritiken, zum Beispiel von Brian O’Doherty, Brian O’Doherty/Stuart Preston, „International Selection of Painting and Sculpture in Local Galleries“, in: „The New York Times“, 29.12.1963, S. 67. einem sehr bekannten Autor, das waren Kritiker, die wirklich zählten, die in der „New York Times“ oder in der „Washington Post“ schrieben und worauf man hoffte. Die New Yorker kriegen sonntags ihre „New York Times“ und was da drinsteht, ist „die Wahrheit“. Ich hatte einen unglaublich guten Artikel von Brian O’Doherty: „Who Is Mary Bauermeister? Das ist die beste Ausstellung, die wir im Moment hier haben. Wer ist sie überhaupt?“ Das war eine halbe Seite in der „New York Times“ – völlig verrückt. Der letzte Satz war: „It will be interesting to see if she has the intelligence and cunning to cope with the major success she is obviously going to have.” Damit war ich eine gemachte Malerin.

Als ich das gelesen habe, war ich mir gar nicht sicher, wie positiv das gemeint war.

Das war positiv! Ja, es war auch eine Warnung. Du musst wahnsinnig intelligent sein, um so einem Boom standzuhalten und nicht darauf reinzufallen. Du kannst sehr schnell das Opfer des schlechten oder des guten Geschmacks deiner Epoche werden. Und du kannst hochmütig werden. Der Kunstbetrieb ist eine raffinierte mafiöse Geschichte. Du kannst ein guter Künstler sein und hast da vielleicht trotzdem nichts zu suchen, weil du nicht hineinpasst. Ich bin nach zehn Jahren gegangen, weil ich merkte, ich werde nicht besser. Ich werde künstlerisch nicht besser, wenn ich hierbleibe. Außerdem hatte ich meine Kinder und die wollte ich in einem deutschen Sprachraum erziehen. Und ich liebte Stockhausen noch. 1973 habe ich, das Haus in Rösrath hatte ich schon gebaut, New York erst mal für eine Zeit Adieu gesagt. Ich merkte: Zwar war mir materiell mehr möglich – meine Bilder wurden immer größer, immer gewaltiger –, aber ich merkte, ich verliere mich hier. Das ist vielleicht eine Ausrede, um zu rechtfertigen, dass ich gegangen bin, denn alle haben den Kopf geschüttelt: „Wie kann sie gehen? Wie kann sie nach so einem Erfolg gehen?“ Christo kann es bis heute nicht verstehen.

Verstehen Sie es im Nachhinein?

Ja. Es ist doch alles in Ordnung. Ich habe hier ein herrliches Leben, habe hier etwas ganz anderes aufgebaut. Ich habe eine esoterische Schulung durchgemacht, war Teil eines Lehrers, der die pythagoreische westliche Mysterienschule wieder aufgebaut hat. Ich habe mich sehr erweitert. Das andere konnte ich alles schon. Ich habe mein Leben noch mal in einem ganz anderen Bereich erweitert. Ich habe die Geomantie-Schule Die Geomantie ist eine esoterische Lehre, welche vor allem in ihrer modernen Form die energetische Identität von Lebensräumen und Orten behandelt. mitbegründet, also diese ganze feinstoffliche Sprache der Natur. Ich bin auch mit John Cage Pilze sammeln gegangen, aber ich habe hier mein Leben noch um einige Zwiebelschalen erweitert. Warum soll ich das bedauern? Finanziell ist es sicher nicht sehr günstig gewesen. Aber was soll’s?

Haben Sie alles, was Sie wollen?

Ich habe noch Schulden und ich habe noch nicht alles, was ich will. Ich brauche noch Stifter und Mitmenschen, die das hier übernehmen. Sonst fehlt mir nichts. Ich bin alt, der Körper zerfällt, aber ich bin immer grundlos glücklich. Ich werde immer glücklicher. Ich weiß nicht warum, ob das schon ein Zeichen eigener Demenz ist. Ich kann Negatives nicht mehr ernst nehmen. Das sind Lernprogramme. Zuletzt habe ich in der Meditation einen sehr schönen Satz gehört: „Wer sich über sein Schicksal noch beklagt, hat die Chance, daraus zu lernen, verpasst.“ Also, es gibt keinen Grund. Wenn mir die Zähne ausfallen und es hier und da wehtut und die Augen schlecht werden – shit happens.

Sie haben gerade Christo erwähnt: Die erste Ausstellung, die er in Europa hatte, war bei Haro Lauhus. Die Ausstellung „Christo“ in der Galerie Haro Lauhus in Köln wurde am 28. Juli 1961 eröffnet. Im Außenbereich der Galerie arrangierte Christo mehrere gebrauchte Ölfässer. Zeitgleich war die Arbeit „Dockside Packages und Stacked Oil Barrels“ im Kölner Hafen zu sehen. Es war die erste Zusammenarbeit mit seiner Frau Jeanne-Claude.

Ja. Es war eigentlich in meinem Atelier geplant. Ich hatte im Atelier auch schon seine Zeichnungen ausgestellt, „Der Geist der Zeit – In Malerei und Plastik“, Atelier Mary Bauermeister, Köln, 10. Juni 1961. das waren gefaltete Collagen, schwarz.

Woher kannten Sie Christo?

Durch Dieter Rosenkranz Dieter Rosenkranz (* 1925 Berlin) ist ein deutscher Unternehmer und Kunstsammler, der sich seit 2006 vor allem in der von ihm initiierten Stiftung Zukunft Berlin engagiert. , den Sammler aus Wuppertal, dessen Frau Malerin war Edith Sommer (* 1936 Wien) ist eine Malerin, die seit 1962 auf Ibiza lebt. Bis 1967 führte sie eine Ehe mit dem Wuppertaler Geschäftsmann und Kunstsammler Dieter Rosenkranz. und auch bei den „Originalen“ mitgespielt hat. Der hatte Bilder von mir und ging auch bei Schmela und Jährling ein und aus. Er brachte Christo mit. Und als der Bruch mit Haro kam, stellte er Christo aus. Die Tonnen auf der Straße. Daran erinnere ich mich: Lauhus hat immer die großen Grapefruitsaft-Dosen gesammelt und sie aufeinandergestapelt. Haro war sicher auch teilweise ein Impulsgeber, auch für die ZERO-Leute. Er hat sehr spannende, sehr einfache Arbeiten gemacht.

Noch nie habe ich von einem Künstler gehört: „Da hat mich eine Frau inspiriert.“ Ich habe in New York ein Bild gemacht: „My Contribution to Light Art Is Dead, Serious Art“ Mary Bauermeister, „My Contribution to Light Art is Dead, Serious Art“, 1966/67. . Runde Formen. Sogar die Doktorandin, die einen Artikel über mich verfasst hat, schrieb, das hätte ich wohl von Frank Stella. Dabei hat Stella das zwei Jahre später gemacht. Also, wer wirklich Feminist wäre, könnte auf die Barrikaden gehen. Ich hatte vor drei Tagen in Rom eine Uraufführung Die Uraufführung fand im Rahmen des „Romaeuropa Festivals“ am 23. Oktober 2015 im Macro Testaccio in Rom statt. meiner musikalischen Werke. Da hat die Sängergruppe auch die „Stimmung“ „Stimmung“ ist ein 1968 von Karlheinz Stockhausen geschriebenes Stück für sechs Stimmen und sechs Mikrofone. von Stockhausen gesungen. Ein wunderbares Konzert, aber im Katalog steht nur: Stockhausen-Konzert, „Stimmung“. Da steht nicht: „Mary Bauermeister“. Meine Stücke gehen jetzt als Stücke von Stockhausen in die Geschichte ein. Da können Sie nur staunen. Ich bin jetzt zu einer Welturaufführung eingeladen, weil der Hauptsänger, mit dem ich auch in Los Angeles ein Konzert hatte, das initiiert und mich gefragt hat: „Kannst du mir deine frühen Stücke schicken?“ Die habe ich alle 1963 in mein Skizzenbuch geschrieben. Das ist im Grunde ausgedachte Musik. Alle Musik war damals ausgedacht, die haben das ja nicht innerlich gehört, auch Paik nicht, das hat er sich ausgedacht. Also habe ich mir damals auch etwas ausgedacht. Den Tristan-Akkord zu variieren zum Beispiel. Ich habe einfach Stücke erfunden. Ich war selber erstaunt, das zu hören. Ich habe mir natürlich etwas vorgestellt. Aber das kam nicht aus dem inneren Hören, sondern es war erfunden. Und das wurde jetzt aufgeführt, es war musikalisch sehr spannend, aber ich wurde zur „Stimmung“ von Stockhausen eingeladen und gespielt haben sie auch meine Sachen.

Für Sie war die Neue Musik bereits in den 60er-Jahren sehr wichtig. Was ich interessant finde ist, dass wir heute, mehr als 50 Jahre später, was die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Musik angeht, kaum weiter sind.

Das liegt teilweise an einer Verflachung, die auch mit der figurativen Malerei wieder eintrat.

Das meine ich. Wie sehen Sie das heute?

Die Leute waren restlos glücklich, dass sie sich wieder selber sehen und nicht über ein Quadrat nachsinnen müssen. Die Minimal Music in Amerika füttert mehr den Rhythmus, ist einfacher, geht mehr in die Seele, hat mit dem Atem zu tun. Die serielle Musik war zu intellektuell und sie ist auch heute noch schwer nachzuvollziehen. Wenn die Stockhausen-Stiftung nicht Interpreten hätte, die pausenlos trainiert werden, würde auch die wieder einschlafen. Das heißt nicht, dass sie nicht top war, aber sie war zu anstrengend. Als Zweites kommt die Ökonomisierung von allem dazu. Heute hat Kunst mit Geld zu tun. Und auch die Produktion von Kunst ist auf Geld hin gedacht. Wenn du etwas für Geld machst, bist du schon nicht mehr an deinen Genius angeschlossen. Du bist an den Markt angeschlossen, an das, was irgendjemand schön findet und bezahlt. Das dürfen Künstler nicht. Ein Künstler muss sich an seine Inspiration halten. Und Geld ist ein Nebenprodukt guter Arbeit. Wenn der Schicksalsplan vorsieht, dass man kein Geld haben soll, dann kannst du die beste Kunst machen, dann kriegst du kein Geld. Und wenn dein Schicksalsplan vorsieht, reich zu werden, was viel schwerer ist, weil es Verantwortung bedeutet, dann kannst du die schlechteste Kunst machen und wirst damit berühmt. Das sind Dinge, die mit Schicksalen zu tun haben oder mit Lernprozessen. Aber die gesamte Gesellschaft rutscht ja in eine Ökonomisierung. Alles, sogar das Denken, wird mittlerweile bezahlt, also ökonomisiert. Und das ist eine Gefahr der Verflachung. Weil es sich an Geld und Materie orientiert. Es gibt natürlich Künstler und Kunst, die das genau auf den Punkt bringen und sich einen Spaß daraus machen, wie der Kristallschädel Damien Hirst, „For the Love of God“, 2007. Siehe auch unter: http://www.damienhirst.com/for-the-love-of-god (eingesehen am 18.04.2018). aus Silber oder Platin. Man macht sich das auch zum Thema. Ich glaube, was fehlt, wenn man als Künstler früh Erfolg hat, ist die Biografie. Die Künstler in der Nachkriegszeit hatten eine schwere Biografie, als Kind in der Kriegszeit haben sie schon unglaublich viel erlebt. Es gibt eine Fülle an Material, an Energie, die sich ausdrücken kann. Aber wenn eine Gesellschaft nur noch mit Lässigkeit, Drogen, Alkohol, Fernsehen und Handy aufwächst, dann ist, auf Englisch heißt es „scope“, die Reichweite der Erfahrungen darauf beschränkt. Da können zwar auch tolle Kunstwerke herauskommen, es kann etwas Wunderbares entstehen, aber es ist anders.

Wie haben Sie die figurative Malerei damals gesehen?

Als Rückschritt, als Verrat.

Und zwar alle? Eugen Schönebeck genauso wie Gerhard Richter oder Sigmar Polke?

Egal, als Verrat. Als ich in den 70ern zurückkam und mich damit abgefunden hatte, die Pop-Art verdaut hatte, konnte ich das anders sehen. Aber zunächst habe ich es bedauert. Und dann habe ich auch bedauert, dass der Sammler Peter Ludwig nur das kaufte, was eben auch geschmacklich, gegenständlich war und damit auch die abstrakte Kunst nicht finanziert wurde. Heute wird die ZERO-Gruppe wiederentdeckt. Es gibt jetzt ein Revival. Es gibt plötzlich Leute, die meine „Pünktchenbilder“ Vgl. Mary Bauermeister, „Blau-Gelb-Grünes Pünktchenbild“, 1958/60. großartig finden. Wenn du heute auf die Kunstmessen gehst, hast du das Gefühl, das ist alles Design, Theater, Happening, Event. Schön. Aber verwirrend.

Ich mache einfach weiter. Im Moment bin ich im Farbrausch. Ich kann gar nicht anders. Weil es jetzt für mich dran ist. Ich komme mir manchmal vor wie ein alter Baum, der noch mal ordentlich Früchte trägt, bevor er dann stirbt. Ich habe noch nie so ein produktives Jahr wie 2015 gehabt. Und ich komme nicht schnell genug hier aus Forsbach weg, um wieder in mein Pferdegestüt zu gehen. Hier ist meine Vergangenheit. Hier muss ich archivieren und einordnen und den Leuten helfen, dass sie ihren Film fertigkriegen. Aber heute ist da oben. Da bin ich heute tätig. Ob das, was ich mache, wichtig ist, ist mir völlig wurscht. Es kommt aus meiner Lebensfreude und hat die Energie, die ich brauche. Ich gehe nie mit schlechter Laune an ein Bild. Ich würde nie mit einer miesen Laune ein Bild machen. Wahrscheinlich muss einer, der Reportage-Kunst macht und das Elend zeigen will, wütend sein, auch Vostell musste sich in Rage malen. Das ist eine andere Kunst. Ich bin ein Visionär.

Noch einmal zurück zur Malerei. Gerhard Richter war in der DDR schon erfolgreich und war es später auch in der BRD.

Ja, Gerhard Richter hat gezeigt, dass er alles kann. Er kann alle Stile, kann auf allen Klavieren spielen, das hat er gezeigt. Ist ja in Ordnung. Seine damals realistischen Bilder mit den Kerzen Vgl. unter anderem Gerhard Richter, „Zwei Kerzen“, 1982. fand ich faszinierend. Ich fand auch Konrad Klapheck spannend. Es ist nicht so, dass ich alles Figurative ablehnte. Aber diese Rückkehr … Ich fand die Pop-Art am Anfang schon ziemlich banal. Nicht Jasper Johns und Rauschenberg, die fand ich grandios, aber Teile der Pop-Art-Bewegung fand ich ein bisschen lasch.

Als es in Köln und Düsseldorf gerade losging, als sich hier einige Galerien ansiedelten, waren Sie gar nicht mehr hier?

Da war ich in New York. Und als ich wiederkam, war ich hier auf dem Land. Ich habe nicht teilgenommen, weil mich der Kunstbetrieb nicht mehr interessierte.

Haben Sie das richtiggehend abgelehnt?

Nein. Ich kam nach Hause und Schmela sagte mir: „Mary, du musst es alleine machen, kein Galerist wird deine Kunst unterstützen, weil wir deine Jugendwerke nicht haben und du jetzt zu teuer bist, weil du amerikanische Preise hast. Mach es alleine, versuch gar nicht erst, eine Galerie zu kriegen. Wir sind eine geschlossene Gesellschaft, wir entscheiden auf den Kunstmessen, wessen Pferd jetzt hochgejubelt wird. Dann tauschen wir die Bilder aus, damit jeder den Piene überall sieht oder den Donald Judd überall sieht. Wir machen kein Geld. Wir tauschen unsere Hauptpferde aus und dann wissen wir, auf die müssen wir jetzt setzen.“ Und dann kommen die Sammler: „Boah, der Donald Judd hängt da und da und da. Ja, dann muss es ja was sein.“ Die Sammler sammeln aus finanziellen Gründen. Früher haben die Sammler gesammelt, weil sie sich in ein Bild verliebt haben. Heute wird als Geldanlage gesammelt. Wenn die Banker zusammenkommen, reden sie über Kunst.

Wann würden Sie sagen, begann sich dieses Netzwerk der Galerien, Händler und Sammler zu bilden?

Weiß ich nicht. Schmela hat mir das erzählt. Ich habe dann gar nicht mehr versucht, teilzunehmen. Wulf Herzogenrath Wulf Herzogenrath (* 1944 Rathenow) ist ein Kunsthistoriker und Kurator. Von 1973 bis 1989 leitete er den Kölnischen Kunstverein. Dort zeigte er 1976 die erste Einzelausstellung von Nam June Paik. Zwischen 1989 und 1994 war er Hauptkustos an der Nationalgalerie in Berlin, im Anschluss bis 2011 Direktor der Kunsthalle Bremen. Herzogenrath war unter anderem an der Organisation der documenta 6 (1977) und 8 (1987) beteiligt. Er gilt als wichtiger Unterstützer der Videokunst in Deutschland. hat mich einmal auf den Kunstmarkt eingeladen. Manchmal war ich auch bei anderen Galerien vertreten. 1986 war im Kunstverein eine Ausstellung, „Kölns Weg zur Kunstmetropole – Die 60er Jahre“, Kölnischer Kunstverein, Köln, 31. August – 16. November 1986. dazu durften die Hauptsponsoren je einen Künstler auswählen. Mich hat ein Banker eingeladen, bei dem ich früher einmal mit der Mappe im Haus war, sonst hätte ich auch daran nicht teilgenommen. Später hatte ich dann eine Galerie in Rolandseck, die Galerie Bassi, Die Galerie Rosemarie Bassi in Remagen zeigt seit 1979 regelmäßig Arbeiten von Mary Bauermeister. mit der habe ich gearbeitet. Danach mit der Galerie Schüppenhauer. Seit 1998 wird Mary Bauermeister von der Galerie Schüppenhauer in Köln vertreten. Aber ich bin nie mehr richtig in den Kunstbetrieb eingestiegen. Es brauchte mich keiner. Die hatten ihre Künstler. Und ich brauchte auch keine Galerie. Ich hatte Kunst-am-Bau-Aufträge, habe 20 Jahre lang Gartengestaltungen gemacht und mir meine Kunden selber gesucht. Ich machte selber keine Anstrengungen, mich irgendwo reinzudrängen. Auch jetzt, wenn aus der Serpentine-Gallery-Begegnung irgendetwas wird, dann deshalb, weil ich einen guten Vortrag gehalten habe. Und weil Hans Ulrich Obrist das hier gesehen hat, der sagte: „Das ist ja ein Museum, das ist ja ein Gesamtkunstwerk. Das muss man doch erhalten.“

Ich kaufe zurück oder tausche zurück. Aus einigen Perioden fehlen mir Sachen, weil sie alle verkauft sind. Jetzt ist wieder etwas versteigert worden. Es gibt drei, vier Sammler auf der Welt, die, wenn was auf dem Markt ist, mitsteigern. In Amerika haben sie sich jetzt geeinigt, es zu verteilen statt es hochzujubeln. Es gibt drei Galerien, die meine Sachen zurückkaufen. Die sagen, es ist Quatsch, dass wir uns die Preise verderben. Wir vereinbaren, wer das Nächste bekommt, damit die Preise gering bleiben.

Wie viele Ihrer Werke sind im Umlauf?

Das weiß ich nicht. Ich habe in Amerika 400 gute Arbeiten gelassen. Die sind jetzt teilweise vererbt und kommen auf den Markt. In Amerika sind drei, vier Sammler, die viel haben, in Deutschland drei, vier, aber die meisten Werke sind eigentlich ganz gut verteilt.

Als Sie damals nach New York gegangen sind, kannten Sie Paris und natürlich das Rheinland. Was kannten Sie noch? Waren Sie mal in Berlin?

Ja, in Berlin oder in Wien waren immer die modernen Konzerte oder irgendwelche guten Ausstellungen, und das war Anlass zu reisen. Mit Stockhausen bin ich dann durch die Welt gereist. Er war bei den Goethe-Instituten eingeladen, er war Exportschlager Nummer eins, elektronische Musik. Durch Stockhausen habe ich Japan und Finnland und andere Länder erlebt. Südafrika … das sind Einladungen, die hätte ich mir selber nicht leisten können.

Und sind Sie später viel gereist?

Ich habe dann hier vier Kinder erzogen und bin erst in den 80er-Jahren ab und zu zurück nach New York. Aber nie länger. Ich musste ja jemanden für die Kinder haben. Heute mache ich kurze Reisen. Ich war gerade zwei Tage in Rom, zwei Tage in London, eine Woche in Los Angeles, eine Woche am Smith College … Und Tourismus mache ich sowieso nicht. Ich fahre immer dann, wenn irgendwo ein Konzert ist oder eine Ausstellung. Ich fahre hin, unterrichte oder gebe Interviews, konzertiere, singe und dann komme ich wieder nach Hause.

Mir ist aufgefallen, dass die Reise als Entdeckung der Welt, Entdeckung von Kultur oder Landschaft oder überhaupt die Idee von Freizeit in Ihrer Generation und vielleicht besonders in der sogenannten „Kunstszene“ kaum eine Rolle spielte.

Freizeit – darum ging es nicht. Es geht darum, sich zu erweitern. Wenn ich in Japan plötzlich etwas höre, was ich noch nie gehört habe, oder in Mexiko etwas esse, was ich noch nie gegessen habe, egal welche Sinne erweitert werden, wenn ich in Afrika die Ursprünge von Pablo Picasso und Georges Braque sehe, ist das eine unglaublich schöne Entdeckung. Es hat aber immer mit dem eigenen Interesse zu tun. Wenn einer in Mode unterwegs ist, wird er andere Augen haben. Als Künstler geht man mit seinem Auftrag durch die Welt. Der Auftrag erweitert sich und das Material erweitert sich, die Ideen erweitern sich. Die Globalisierung, die jetzt auch durch die Medien stattfindet, vermischt alles mit allem.

Das Nam June Paik Art Center veröffentlicht jetzt Briefe, die mir Paik geschrieben hat. Sang Ae Park (Hg.), „Nam June Paik Art Center Interviews. Mary Bauermeister“, Yongin 2015. Auf Englisch, Deutsch und Koreanisch. Die habe ich denen geschenkt.

Das sind Briefe von Ihnen an Paik und umgekehrt?

Nein, meine sind verloren. Paik hat keine Briefe verwahrt.

Über welchen Zeitraum geht das?

Als wir in Köln waren, haben wir keine Briefe geschrieben. Sie sind aus der New-York-Zeit. Das waren die 60er-Jahre. Immer wenn er etwas brauchte oder etwas wollte und etwas berichtete, ich war ja seine Bezugsperson, schrieb er. Es gibt Briefe, in denen er für unsere unglaubliche Freundschaft dankt. Das war ihm sehr viel wert. Er hat dann Shigeko Kubota Shigeko Kubota (1937 Niigata – 2015 New York) war eine japanisch-amerikanische Videokünstlerin, die ab 1977 in einer Ehe mit Nam June Paik lebte. geheiratet. Und Shigeko hat verboten, dass ich den Roboter behalte, den Paik mir geschenkt hatte, weil ich ihm seine Kataloge finanzierte. Sie hat so gejammert, dass ich gesagt habe: „Nimm ihn zurück.“ Das fand ich aber auch ein bisschen komisch.

Paik muss eine sehr interessante Figur gewesen sein. Stimmt es, dass er tagelang in seinem Studio verbrachte und niemandem gezeigt hat, woran er gerade arbeitet?

In Europa war er ja eigentlich noch gar kein Künstler, da war er Musiker. Das war alles noch in der Schwebe. Er hat im WDR-Studio die Schnipsel von den Magnetbildern der anderen Künstler aufgesammelt und hat daraus Collagen gemacht, er war noch sehr auf der Suche. Er kam als Musiker nach Köln und in mein Atelier. Es gibt sehr viele Werke, die ich heute von Paik entdecke und feststelle: Das ist mein Material. So wie wir in meinem Atelier zu Musikern wurden, weil ich mir auch was ausdenken kann, dachten die Musiker: „Wenn man aus einer einfachen Kiste Kunst machen kann, wenn Duchamps Pissoir Marcel Duchamp, „Fountain“, 1917. Kunst ist, dann kann ich das auch.“ Das heißt, sich in einem fremden Medium auszudrücken, das war unser Austausch. Ich habe vor Kurzem einen Kasten von Paik gesehen, der eigentlich mein Kasten war. Ich sammelte altes Holz und sagte: „Kannst dich bedienen, nimm.“ Das war normal.

Sie hatten immer eine Sonderrolle, weil Sie einerseits im Atelier Konzerte und Ausstellungen organisiert haben und andererseits selbst Künstlerin waren. Wie groß war damals die Konkurrenz? Gab es Spannungen zwischen den verschiedenen Künstlerkreisen und -kollegen?

Also, in Stockhausens „Originale“ haben wir Paik als Akteur hineingenommen. Die Szene von Paik war immer die spannendste. Es hat Stockhausens Werk gedient. Paik wurde eigentlich erst in Amerika wahrgenommen. Der WDR in Deutschland hat seine Stücke abgelehnt. Bei Wolfgang Steinecke Wolfgang Steinecke (1910 Essen – 1961 Darmstadt) war ein deutscher Musikwissenschaftler und Kulturpolitiker, der 1946 die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt begründete. Als regelmäßiges Podium für progressive Musiker wie John Cage und Karlheinz Stockhausen übernahmen die Darmstädter Ferienkurse in den Folgejahren eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Vermittlung avantgardistischer Musik in Deutschland. in Darmstadt, den Ferienkursen für Neue Musik, ist er auch nicht durchgekommen. Also hat er alles bei mir im Atelier gemacht. Und da hat er dann von den anderen Künstlern und von Ernst Brücher, später auch von Wulf Herzogenrath, Zuspruch gefunden. Paik wurde eigentlich in New York durch die Ausstellungen bei Bonino und dann durch Howard Wise bekannt. Nam June Paik war an folgenden Ausstellungen der Howard Wise Gallery beteiligt: „Festival of Lights“, Dezember 1967; „TV as a Creative Medium“, 17. Mai – 14. Juni 1969. Im Anschluss an seine Galerietätigkeit gründete Howard Wise 1971 die Organisation Electronic Arts Intermix (EAI) und kaufte mehrere Arbeiten Paiks für die Sammlung an. Drüben gab es schon die Bewegung Experiments in Art and Technology Experiments in Art and Technology war eine 1967 durch Billy Klüver, Robert Rauschenberg und Robert Whitman gegründete Organisation, die Kollaborationen zwischen bildender Kunst und technischer Wissenschaft initiierte. Vgl. Billy Klüver/Julie Martin, „E.A.T. – The Story of Experiments in Art and Technology, 1960–2001“, Tokio 2003. von Billy Klüver, Robert Whitman und Rauschenberg. Da haben sie Paik am Anfang auch nicht reingelassen. Ich habe ihm geschrieben: „Wieso bist du nicht dabei? Wieso bist du nicht Teil davon?“ – „Glaubst du denn, dass ein Robert Rauschenberg mich reinlässt? Dann wäre ich ja besser.“ Das war schon auch ein Konkurrenzkampf. Aber Paik war eigentlich ein Pazifist, raffiniert. Er hat nicht so gekämpft.

Es gibt ja auch die These, Paik habe die Musik aufgegeben, weil er sowieso nie so gut hätte sein können wie Stockhausen. Kommt das von Ihnen?

Deshalb hat er mit der Musik aufgehört. Er war Schönberg-Schüler. Er war in einem klassischen Medium trainiert. Und Wolfgang Fortner Wolfgang Fortner (1907 Leipzig – 1987 Heidelberg) war ein deutscher Komponist und Hochschullehrer. Von 1956 bis 1958 war Nam June Paik an der Musikhochschule Freiburg im Breisgau sein Schüler. hat ihn nach Köln geschickt, weil dort die „Verrückten“ waren, die Elektroniker. Da hat Paik sich gesagt: „Ich werde nie so gut wie Stockhausen, Luigi Nono oder Pierre Boulez.“ Aber bei der visuellen Kunst hat er gesagt: „Die sind alle dumm.“ Weil die Künstler aus dem Bauch arbeiten, wir arbeiten nicht intellektuell, wir arbeiten nicht wie Komponisten. Jeder kann ein Bild hinschmieren, wenn er ein Gefühl hat.

Marcel Duchamp war aber damals schon bekannt.

Gut, in dem Sinne ja. Paik hat in meinem Atelier begriffen, dass das Medium wechselbar ist. Und dann kam das Fernsehen auf. Da sah er ganz große Möglichkeiten. Die ersten Fernseher hat er mit einem Magneten gestört. Vgl. Nam June Paik, „Magnet TV“, 1965. Der Magnet kam von mir, von meinen Magnetbildern, Vgl. Mary Bauermeister, „Ohne Titel“ (Magnetbild Schwarz-weiß), 1958/59. die ich damals machte. Dann kamen seine Roboter 1964 entstanden die ersten Roboter Nam June Paiks, etwa „Robot K-456“. und das Oben-ohne-Konzert Nam June Paik/Charlotte Moorman, „Opera Sextronique“, Film Maker’s Cinematheque, New York, 09. Februar 1967. Aufgrund ihres unbekleideten Auftritts wurde Charlotte Moorman während des Konzerts verhaftet und anschließend angeklagt. mit Charlotte Moorman. Damit war er natürlich ein Star in der ganzen provokativen Szene. Und erst da kamen die Europäer, Zwirner und so weiter, und haben ihn zurück ins Rheinland geholt. Das war die Zeit der großen Happenings. Und da war Paik einfach gut.

Waren Sie eigentlich in Wiesbaden, als 1962 das große Fluxus-Fest „Fluxus – Internationale Festspiele Neuester Musik“, Städtisches Museum, Wiesbaden, 01.–23. September 1962. An dem Festival beteiligt waren unter anderen Dick Higgins, George Maciunas, Nam June Paik und Wolf Vostell. Es gilt als erste offizielle Manifestation der Fluxus-Bewegung. Vgl. „1962 Wiesbaden Fluxus 1982. Eine kleine Geschichte von Fluxus in drei Teilen“, hg. von René Block, Ausst.-Kat. u. a. Museum Wiesbaden, Wiesbaden 1983. stattfand?

Nein, da war ich in Amerika.

Das haben Sie alles gar nicht erlebt?

Nein. Ich habe Maciunas geschrieben: „Ihr müsst woanders anfangen. Köln ist jetzt in den Händen von Michael von Biel, ich bin in Amerika.“ Ich hatte in dem Jahr meine Ausstellung im Stedelijk Museum, war bis Mai in Sizilien und im Oktober sind wir schon nach Amerika gefahren.

Haben sich die Aktivitäten der Fluxus-Leute bis nach New York herumgesprochen?

Nein. Das kam später. Als ich nach Amerika zurückkam, Dick Higgins die Something Else Press Der 1964 von Dick Higgins in New York gegründete Verlag Something Else Press veröffentlichte bis 1974 zahlreiche Künstlerbücher aus dem Umfeld der Fluxus-Bewegung. Vgl. Peter Frank, „Something Else Press. An Annotated Bibliography“, New York 1983. gegründet hat und Paik die University for Avant-Garde Hinduism 1960 begründete Nam June Paik die University for Avant-Garde Hinduism, deren einziges Mitglied er selbst war. Mit dem Absender der Organisation verschickte er mehrere selbstverfasste Essays als Briefserien an ausgewählte Adressaten. Vgl. Nam June Paik, „Postmusic. The Monthly Review of the University for Avant-Garde Hinduism“, in: Edith Decker (Hg.), „Niederschriften eines Kulturnomaden“, Ostfildern 1999, S. 93–95. , kam diese ganze Bewegung in Schwung. Aber da war ich auch schon nicht mehr daran interessiert.

1960 schnitt Paik John Cage während einer Vorführung in Ihrem Atelier die Krawatte Während der Uraufführung seines Stücks „Etude for Pianoforte“ im Atelier Mary Bauermeister am 06. Oktober 1960 schnitt Nam June Paik die Krawatte John Cages ab und shampoonierte ihm die Haare. Vgl. Wilfried Dörstel, „Chronologie“, in: Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), „intermedial – kontrovers – experimentell. Das Atelier Mary Bauermeister in Köln 1960–62“, Köln 1993, S. 48 ff. ab. Häufig wird das nebenbei als unterhaltsame Anekdote erwähnt. In der Cage-Biografie Kay Larson, „Where the Heart Beats. John Cage, Zen Buddhism, and the Inner Life of Artists“, London 2013. von Kay Larson wird die Szene ausführlich beschrieben, es wird deutlich, dass Cage über die Handlung alles andere als begeistert war.

Der musste sich damit abfinden. Cage predigte Anarchismus und Indeterminiertheit, aber wenn es am eigenen Leib passierte, war man dagegen. Adorno ist auch weggelaufen, als die Studenten protestierten, obwohl er sie zum Protest aufgefordert hatte. Cage hatte diese Krawatte von Daisetz Teitaro Suzuki Daisetz Teitaro Suzuki (1870 Kanazawa – 1966 Tokio) war ein japanischer Autor und philosophischer Gelehrter, der zahlreiche theoretische Abhandlungen über den Zen-Buddhismus verfasste. Durch Vortragsreisen in westliche Länder – insbesondere in die USA – trug er nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich zu einer internationalen Verbreitung der Zen-Philosophie bei. Suzukis Denken beeinflusste Intellektuelle und Künstler seiner Zeit, darunter John Cage, Erich Fromm, Carl Gustav Jung und Alan Watts. geschenkt bekommen und er war erst ziemlich traurig, wir haben darüber gesprochen und er hat mir gesagt: „It had to happen, I liked it too much.“ Ich habe zu sehr daran gehangen. Ein Zen-Buddhist darf nicht an Sachen hängen.

War das an dem Abend so spürbar?

Nein, nein. Es war großartig. Es war ein großes Hallo. Die Leute fanden das fantastisch, Cage mit shampoonierten Haaren und Tudor daneben. Das war natürlich ein Schock.

War das so richtig mit Luftanhalten?

Es war beides. Als Paik mit der Schere rumtobte, wusste man nicht, sticht er zu? Dann war es nur der Schlips …

Paik wusste ja selber nicht, was er eigentlich vorhatte?

Nein, das ist es ja. Ich saß hinter Cage, sein ganzes Hemd war verschwitzt. Du wusstest nicht, was Paik in Rage macht. Das war natürlich … das ist ja Kölner Karneval, Weiberfastnacht, wo die Frauen den Männern den Schlips abschneiden. Innerhalb der deutschen Faschingsriten bezeichnet die Weiberfastnacht den jährlichen Beginn des Straßenkarnevals am Donnerstag vor Aschermittwoch. Als symbolischen Akt der Entmachtung schneiden Frauen an diesem Tag traditionell die Krawatten der Männer ab.

Obwohl Paik es anders erzählt. Der sagte ja, er wollte Cage eigentlich den Frack abschneiden.

Er wollte ihm das Hemd abschneiden. Und dann hat er sich daran erinnert, dass er in Darmstadt mal gesehen hat, dass Cage sein Hemd ausgewaschen hat, weil er offensichtlich auf der Reise nur eins dabei hatte. Und da hat er gedacht: Das kann ich nicht machen. Ich kann ihm nicht so etwas Wertvolles zerschneiden. Der Schlips war dann naheliegend. Aber Schlipsabschneiden ist auch eine Geste, das hatte er sicher vom Kölner Karneval.

Es klingt harmlos, aber für Cage war es das offenbar nicht.

Weil es eine Krawatte war, die er liebte. Und deshalb hat er gesagt: „Es musste passieren, ich habe sie zu sehr geliebt.“ Das hatte er von Suzuki, das war ja sein Vorbild. Suzuki haben wir, Stockhausen und ich, 1966 auch kennengelernt. Da war er schon zurück in Japan. Ein halbes Jahr bevor er starb. Natürlich war es empörend. Cage konnte sich auch nicht wehren. Cage hatte selber zu viele anarchistische Projekte gemacht, als dass er dann, wenn er selbst Opfer wurde, protestiert hätte. Was hätte er denn Intelligentes machen können? Paik an die Gurgel gehen? Protestieren?

Da wird deutlich, wo die Grenzen sind.

Er konnte nur still sein und lachen.

Mir ist noch eine Frau eingefallen: Niki de Saint Phalle, die haben Sie auch getroffen.

Ja, in Amerika, nicht in Europa. Wir waren gut befreundet. Sie war natürlich nicht immer in New York, aber sie kam zu meiner Ausstellung 1964, die erste Einzelausstellung, die ich da hatte, und auch 1965. Bauermeisters erste Ausstellung in New York fand vom 17. März – 18. April 1964 unter dem Titel „Bauermeister. Paintings and Constructions“ in Galeria Bonino statt. Unter demselben Titel fand auch Bauermeisters zweite Ausstellung in der Galeria Bonino vom 13. April bis 08. Mai 1965 statt.

In New York haben Sie auch Duchamp getroffen, oder?

Ja. Durch Cage. Er kam mit Cage in die Ausstellung.

In Ihre Ausstellung bei Bonino?

Ja. Und er mochte meine Arbeiten sehr. Es gibt auch einen Brief, den Duchamp an Arturo Schwarz Arturo Schwarz (* 1924 Alexandria) ist ein italienischer Kunsthistoriker, Autor und Galerist, der von 1961 bis 1975 eine Galerie in Mailand führte. Mit der Präsentation künstlerischer Arbeiten von Jean Arp, André Breton, Marcel Duchamp, Man Ray und Daniel Spoerri unter anderen gilt seine Galerie als einer der wichtigsten Vermittlungsorte für die Strömungen des Dadaismus und des Surrealismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit der Schließung der Galerie im Jahr 1975 veröffentlichte Arturo Schwarz zahlreiche Bücher zu den künstlerischen Schwerpunkten seines ehemaligen Galerieprogramms. in Mailand geschrieben hat, als ich aus Amerika wegging. Da schrieb er: „Guck, dass du die Mary Bauermeister kriegst, die ist jetzt wieder in Europa.“ Er mochte meine Sachen sehr. Duchamp mochte alles, was ausgefallen war.

Aber sie hatten keinen engeren Kontakt?

Nein, nein. Ich war, glaube ich, einmal mit Cage bei ihm oder es war auf irgendeinem Fest. Ich war einfach fasziniert, ihn in meiner Ausstellung zu sehen. Ich fühlte mich sehr geehrt. Auch Giuseppe Ungaretti Giuseppe Ungaretti (1888 Alexandria – 1970 Mailand) war ein Schriftsteller, der zu den bekanntesten Vertretern des sogenannten „Hermetismus“ (ital. Ermetismo) gehört. 1917 veröffentlichte er mit „M’illumino / d’immenso“ das bis dahin kürzeste Gedicht der Literaturgeschichte. war in meiner Ausstellung. Ein ganz toller italienischer Schriftsteller. Uralt. Wenn so ein Meister auftaucht, ist man einfach von den Socken. Den habe ich verehrt. Wenn mich einer fragt, wer von den Alten Meistern mich beeinflusst hat: Duchamp.

Arturo Schwarz hat mich dann angeschrieben, dass er zur Kunstmesse nach Köln kommt und mich besuchen will. Da hatte ich das Atelier hier schon. Das Haus habe ich 1967/68 gebaut. Arturo Schwarz hat mich hier besucht, hat sich ganz viel ausgesucht und dann habe ich bei ihm eine Ausstellung gemacht. „Mary Bauermeister“, Galleria Schwarz, Mailand, 03.–29. Februar 1972. Anfang der 70er-Jahre. Das war eine große Ausstellung.

Konnte er die Sachen damals in Italien verkaufen?

Ja. Er hat gut verkauft. Davon habe ich mein Grundstück gekauft. Das Haus hatte ich schon gebaut, aber ich hatte noch kein Land. Er hat mir dann eine ganze Ausstellung abgekauft, sodass ich den ersten langen Streifen mit dem blauen Häuschen drauf kaufen konnte. Immer wenn ich Geld hatte, habe ich dem Bauern hier so ein Streifchen Land abgekauft.

Haben Sie damals irgendeine der documenta-Ausstellungen oder Biennalen gesehen?

Ich war ganz früh einmal bei einer documenta, ein- oder zweimal, höchstens. Aber ich kann mich nicht erinnern. Bei der Biennale war ich nie. Als ich nach Europa zurückkam, hatte ich Kinder, da konnte ich nicht verreisen.

Haben Sie die Ausstellung „When Attitudes Become Form“ „Live in Your Head. When Attitudes Become Form“, Kunsthalle Bern, 22. März – 27. April 1969. 1969 in Bern gesehen?

Nein. Ich kannte aber Ingeborg Lüscher. Sie war damals noch mit Spoerri verbandelt, ich habe sie in New York kennengelernt. Und ich habe sie dann auch später in Tegna, wo sie lebte, besucht. Dort lernte ich Harry Szeemann Harald Szeemann (1933 Bern – 2005 Tegna im Tessin, Schweiz) war von 1961 bis 1969 als Direktor an der Kunsthalle Bern tätig war. Dort zeigte er 1969 die wegweisende Ausstellung „When Attitudes Become Form“. Szeemann leitete die „documenta 5“ (1972) sowie die Biennale von Venedig in den Jahren 1999 und 2001. Mit seinen innovativen Ausstellungsformaten zählte Harald Szeemann zu einem der wichtigsten Vermittler der Kunst seiner Zeit. Szeemann war in zweiter Ehe mit der Künstlerin Ingeborg Lüscher verheiratet. kennen und die beiden waren 1972 oder so auch hier. Er kam außerdem noch mal mit in die Galerie von Rosemarie Bassi. Da hatte ich mit Ingeborg Lüscher und Rita Furrer eine Art Dreierausstellung, „Signale aus dem Verborgenen“, Galerie Rolandshof, Rolandseck, Remagen, 1980. meditative Kunst.

Mit Szeemann hatten Sie weiter nichts zu tun?

Nein. Er hat Wulf Herzogenrath geraten, eine Ausstellung mit mir zu machen. Und da hat Herzogenrath gesagt: „Die ist mir zu komplex.“ Ich war auf zu vielen Ufo-Treffen mit „Außerirdischen“. Das war den Leuten zu viel. Es war eine lustige Zeit. Heute bin ich mit den Beinen wieder auf der Erde. Ich habe am Kunstbetrieb nicht mehr teilgenommen, es sei denn, ich wurde eingeladen. In der Kunstszene ist es ja wichtig, dass man da ist, dass man dabei ist, dass man sich zeigt, das war mir alles zu anstrengend. Patterson ist auch ein spannender Grenzgänger, der von der Musik in die bildende Kunst kam. Auch wieder so eine Geschichte: Ein Musiker, der sieht, was die Maler machen, und sagt, das kann ich besser oder mindestens genauso gut. Er hat gute Sachen gemacht. Er ist sehr witzig. Pattersons Witz ist grandios und seine Intelligenz ist fantastisch.

Sein Werk ist eigentlich erst nach seiner Rückkehr nach Deutschland in den späten 80er-Jahren entstanden, oder?

Ja, natürlich. Da kam er in die Kunst.

War seine Hautfarbe damals ein Thema?

Er hat mir mal gesagt: „Als schwarzer Musiker im Orchester war meine Karriere in Amerika begrenzt.“ Damals saßen die Schwarzen im Bus noch auf gesonderten Plätzen. Seit Beendigung der Sklaverei im Jahr 1865 regelten die Jim Crow Laws die Rassentrennung in den USA. Diese sahen unter anderem vor, dass afroamerikanische Mitbürger nur im hinteren Teil der Nahverkehrsbusse Platz nehmen durften. Die Formen der allgemeinen Rassentrennung in den USA wurden erst 1964 durch den von Lyndon B. Johnson veranlassten Civil Rights Act aufgehoben. Das war in den 60er-Jahren. Das ist mit heute nicht vergleichbar. Da hat er es schon sehr schwer gehabt. Meine Freundin, seine erste Frau, war Grafikerin, die hat ihn in Paris durchgefüttert. Von 1962 bis 1963 lebte Benjamin Patterson in Paris. Pyla Patterson hat das Geld verdient. Sie haben zwei wunderbare Kinder. In den USA haben sie dann bei Dick Higgins gelebt.

Haben Sie in New York noch irgendjemanden aus Deutschland getroffen? René Block René Block (* 1942 Velbert) eröffnete Anfang 1964 in Berlin das Grafische Cabinet René Block, aus dem noch im gleichen Jahr die Galerie René Block hervorging. Zwischen 1974 und 1977 betrieb er eine Dependance im New Yorker Stadtteil SoHo. Bis zur Schließung seiner Galerie 1979 zeigte Block in seinem Programm unter anderem Ausstellungen und Aktionen von Joseph Beuys, Bazon Brock, Stanley Brouwn, Sigmar Polke, Gerhard Richter und Wolf Vostell. In den Folgejahren organisierte René Block als Kurator zahlreiche Ausstellungen für die daadgalerie in Berlin sowie für das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in Stuttgart, bevor er 1997 die Direktion des Fridericianums in Kassel übernahm. Seit 2008 führt Block die auf Editionen spezialisierte Galerie Edition Block in Berlin. zum Beispiel?

Den habe ich mal durch Michael Berger kennengelernt. Block fand nur eine einzige meiner Arbeiten gut, nämlich den Notenbaum Mary Bauermeister, „Zeichnungsbaum“, 1964. Die Arbeit enthält eine Partitur von Karlheinz Stockhausen. , den ich mit Stockhausen gemacht habe. Der hätte mir in Deutschland helfen können, aber die fanden mich nicht gut. Also, wer was in der Kunstszene zu sagen hatte … dem Herzogenrath war ich zu esoterisch … es hat sich keiner für mich interessiert oder eingesetzt. Im Gegenteil. Heute geht es mir gut, heute sehen sie: „Das hat sie ja alles zuerst gemacht.“ Wenn mir in London, wie jetzt beim Gespräch mit Hans Ulrich Obrist, die jungen Leute sagen: „Sie haben tolle Gedanken.“ Wenn da irgendetwas weitergegeben werden kann, ist das schon Grund genug für mich. Denn eigentlich ist Kunst ja ein ziemlicher Egoismustrip. Das muss man mal zugeben. Dass wir uns überhaupt so wichtig finden!

Was ist kein Egoismustrip?

Vielleicht ist jede Lebensäußerung egoistisch. Ich bin auch nicht gegen einen gesunden Egoismus, aber ich bin gegen Heldentum und Geniekult, das finde ich unangenehm. Wenn ein Genie da ist, ist es groß. Aber diesen Kult, den die Menschen um Menschen machen, finde ich nicht gut.

Suzuki muss ein echtes Genie gewesen sein?

Suzuki war ein Meister. Er war kein Held in dem Sinne, er war ein weiser Mann. Suzuki war ein Philosoph, ein Lehrer, kein Künstler. In Asien musst du erst alt sein, um überhaupt akzeptiert zu werden. Wenn du so eine Person erlebst … ich habe neben ihm auf dem Sofa gesessen und hatte das Gefühl, ich sitze neben einem Powerhaus, obwohl er fast am Sterben war und blind. Das ist Ausstrahlung und Charisma. Obwohl er nichts gemacht hat, außer seine Katze zu streicheln. Es gibt Menschen, die haben diese Ausstrahlung. Wie Bienen um den Honig. Da kommen die Menschen hin. Im Grunde genommen musst du den Kontinent wechseln, um irgendwo in Ruhe wieder anzufangen. Es ist immer eine Frage von Ausstrahlung, von Geben und Nehmen. Ein Genie kann ganze Konzertsäle erwärmen, aber wenn du mit ihm lebst, verbrennst du. Vielleicht sind Genies für die Fernwirkung gedacht und nicht für das tägliche Leben.

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Mary Bauermeister