Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

Gespraeche-slug

Peter Iden

Peter Iden

Peter  Iden

Peter Iden

Frankfurt am Main, 01. Februar 2016

Franziska Leuthäußer: Als ich letztes Jahr mit Gerhard Richter über die 60er-Jahre und seine Anfänge in der Bundesrepublik gesprochen habe, ist mir klar geworden, dass er bereits in der DDR ein sehr geschätzter und auch erfolgreicher Künstler war. Es ist interessant, dass jemand in zwei so unterschiedlichen Systemen mit seiner Kunst gleichermaßen Erfolg haben kann.

Peter Iden: Ja, Richter ist sehr versatil. Das ist ja das Hauptmerkmal seines Werks, dass er zwischen den Stilen wechseln kann, sodass man manchmal gar nicht denkt, dass das derselbe Künstler ist. Nehmen Sie zum Beispiel die abstrakten Farbmusterbilder Ab 1966 fertigte Gerhard Richter „Farbtafeln“ an. Dazu gehören unter anderen die Werke „Zehn Farben“ (1966), „180 Farben“ (1971), „4096 Farben“ (1974) und „Quattro Colori“ (2008). , die Tizian Motive Unter dem Titel „Verkündigung nach Tizian“ entstanden 1973 fünf Bilder von Gerhard Richter. Wie der Titel erahnen lässt, setzte sich der Künstler in dieser Werkgruppe mit Tizians Gemälde „Verkündigung an Maria“ (1537) auseinander. und jetzt die Birkenau Bilder Gerhard Richter, „Birkenau“ (1–4), 2014. oder überhaupt seine abstrakte Malerei – das ist wie von drei Künstlern und nicht wie von einem. Sehr sprunghaft. Das hängt innerlich ganz tief zusammen, ist aber schwer zu beschreiben. Es gibt wahrscheinlich im Moment keinen, der sich so stark bewegt hat wie Richter. Und das ist auch der Grund, warum es vollkommen legitim ist, dass er diese Auschwitz-Bilder, die ja außerordentlich heikel sind, abstrakt malt. Heikel deswegen, weil er – genau übrigens wie Anselm Kiefer oder sehr ähnlich – immer diese Last der Vergangenheit getragen hat. Ich kenne ihn noch von früher. Ich habe ja auch für die Stadt Frankfurt Bilder von ihm gekauft. Ich hatte damals den Auftrag, die Sammlung für das Museum für Moderne Kunst zu entwickeln. Zwischen 1981 und 1987 baute Peter Iden als Gründungsdirektor die Sammlung des MMK Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main auf. Dafür erwarb er 1981 unter anderem 70 Werke der Darmstädter Sammlung Ströher, darunter Francis Bacons „Nude“ (1960), Yves Kleins „Monochrome Bleu IKB 88“ (1959), Robert Morris’ „Fountain“ (1963) und Andy Warhols „One Hundred Campbell’s Soup Cans“ (1962). Und da war ich bei Richter im Atelier und habe sehr günstig gekauft. Das hat mir der Handel nachher schwer um die Ohren gehauen, weil die Galeristen benachteiligt wurden. Aber ich dachte, der Steuerzahler muss soweit es geht geschont werden und man muss es so günstig kaufen wie möglich und das geht im Atelier am besten. Ich würde das heute nicht mehr so machen, weil es die Galerien geschädigt hat.

Wann haben Sie Gerhard Richter kennengelernt? Oder wann haben Sie das erste Mal sein Werk gesehen?

Bald nachdem er in Düsseldorf aufgetaucht ist Im Frühjahr 1961 verließ Gerhard Richter die DDR. Ab dem Wintersemester studierte er in der Klasse von Ferdinand Macketanz an der Kunstakademie Düsseldorf. und mit Sigmar Polke den Kapitalistischen Realismus Anfang der 1960er-Jahre lernten sich die Künstler Manfred Kuttner, Konrad Lueg, Sigmar Polke und Gerhard Richter in Düsseldorf kennen. Als ironisches Pardon zu dem in der DDR vorherrschenden Sozialistischen Realismus formulierten sie 1963 einen Kapitalistischen Realismus, der sich durch die Verwendung alltäglicher und popkultureller Motive der westlichen Lebenswelt auszeichnete. Erstmals öffentlich verwendet wurde der Terminus anlässlich der Ausstellung „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“, die am 11. Oktober 1963 im Düsseldorfer Möbelhaus Berges eröffnet wurde. Dort stellten Konrad Lueg und Gerhard Richter neben ihren Bildern auch sich selbst als Teil der Installation aus. Zusammengefasst unter dem Begriff des „Kapitalistischen Realismus“ fanden weitere Gruppenausstellungen unter anderem in der Galerie Parnass in Wuppertal und bei René Block in Berlin statt. Vgl. Dietmar Elger, „Gerhard Richter, Maler“, Köln 2002, S. 44 f. gegründet hat. Da ist er mir das erste Mal aufgefallen.

Haben Sie die Ausstellung von Polke, Richter, Lueg und Kuttner in der Kaiserstraße in Düsseldorf „Kuttner, Lueg, Polke, Richter“, Ladengalerie, Kaiserstraße 31A, Düsseldorf, 11.–26. Mai 1963. gesehen? Oder die Ausstellung im Möbelhaus Berges „Leben mit Pop“? „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“, Möbelhaus Berges, Düsseldorf, 11.–25. Oktober 1963.

Die Ausstellung im Möbelhaus, ja. Da war ich mit Bazon Brock Bazon Brock (eigtl. Jürgen Johannes Hermann Brock; * 1936 Stolp, Pommern, heute Polen) ist ein Künstler, Kunsttheoretiker und Philosoph. Ab 1957 studierte er Germanistik, Politikwissenschaften und Philosophie an den Universitäten in Zürich, Hamburg und Frankfurt am Main. Parallel absolvierte er eine Dramaturgie-Ausbildung am Landestheater Darmstadt bei Claus Bremer und Gustav Rudolf Sellner. Ab 1959 nahm Brock regelmäßig an Fluxus-Aktionen teil, darunter am „Festival der Neuen Kunst“ 1964 in Aachen sowie am „24-Stunden-Happening“ 1965 in der Galerie Parnass in Wuppertal. 1968 initiierte Brock auf der „documenta 4“ in Kassel die erste Besucherschule, die er bis 1992 begleitend zu den documenta-Ausstellungen fortführte. Als Professor lehrte Brock unter anderem an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (1965–1976) und der Bergischen Universität in Wuppertal (1981–2001). 2011 gründete Brock in Berlin-Kreuzberg die „Denkerei“ mit dem „Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand“. .

Wie fanden Sie das damals?

Wir fanden es einen Akt der Ironie. Ich hatte immer Schwierigkeiten mit so scherzhaften Dingen. Ich habe auch Polke erst spät zu schätzen gelernt. Dieses ironische Moment bei Polke, das ganz wunderbar ist. Heute bin ich davon begeistert. Aber da muss man erst mal reinwachsen. Anfangs dachte ich, das ist nicht seriös. Das ist zwar technisch sehr spannend, aber es ist nicht wirklich ernst zu nehmen. Das war ein Fehler. Man macht halt in einem etwas längeren Leben Fehler in der Einschätzung. Ich habe ja auch Kiefer bei der Ausstellung auf der Biennale in Venedig damals nicht gemocht. Die „39. Biennale von Venedig“ fand vom 01. Juni bis 28. September 1980 unter der Leitung von Luigi Carluccio statt. Der von Klaus Gallwitz kuratierte Deutsche Pavillon umfasste Arbeiten von Georg Baselitz und Anselm Kiefer. Ursprünglich war auch Markus Lüpertz eingeladen, der seine Teilnahme jedoch absagte. Kiefers Werkschau „Verbrennen, verholzen, versenken, versanden“ löste eine Kontroverse über seine Intention und über die vermeintlich „deutschen Motive“ in der Kunst nach 1945 aus. Zu den bekanntesten Werken dieser Serie zählen „Deutschlands Geisteshelden“ (1973) und „Parsifal III“. Siehe auch: Walter Grasskamp, „Anselm Kiefer. Der Dachboden“, in: ders. (Hg.), „Der vergeßliche Engel. Künstlerportraits für Fortgeschrittene“, München 1986, S. 7–22. Das trägt er mir nicht nach, aber er erinnert mich jedes Mal daran, wenn wir uns sehen. Sagen wir es mal freundlich so: Ich habe darüber geschrieben und das war sehr negativ. Peter Iden, „Die Lieben der Komissare. Zur Eröffnung der diesjährigen Kunst-Biennale von Venedig“, in: „Frankfurter Rundschau“, 04.06.1980, S. 7. Ich dachte, das ist jemand, der den Gestus der von den Nazis gewollten großtuerischen Malerei repetiert. Fast alle waren damals kritisch. Auch Werner Spies zum Beispiel, wir waren alle bei der Ausstellung gegen Kiefer. Erst später habe ich gesehen, dass das ein Fehler war.

Wie konnte man damals denken, dass jemand wie Klaus Gallwitz Klaus Gallwitz (* 1930 Pillnitz) ist ein deutscher Kunsthistoriker und Kurator, der von 1967 bis 1974 die Kunsthalle in Baden-Baden leitete. Von 1974 bis 1994 war er Direktor am Städel Museum in Frankfurt am Main, von 1995 bis 2002 leitete er das Künstlerhaus Schloss Balmoral in Bad Ems. Seit 2004 war er unter anderem als Gründungsdirektor der Ausstellungshäuser Museum Frieder Burda in Baden-Baden sowie des Arp Museums Bahnhof Rolandseck in Remagen tätig. Zwischen 1976 und 1980 betreute Gallwitz dreimal den Deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig, wo er Ausstellungen mit Joseph Beuys (1976), Jochen Gerz (1976), Reiner Ruthenbeck (1976), Dieter Krieg (1978), Ulrich Rückriem (1978), Georg Baselitz (1980) und Anselm Kiefer (1980) verantwortete. , der ja 1980 zum dritten Mal Kommissar des Deutschen Pavillons war, einen Beitrag von zwei deutschen Künstlern auswählen würde, die sich offensichtlich zu einer politisch faschistischen Haltung bekennen?

Wenn Sie die Walhalla-Bilder von Kiefer nehmen, ist das ein riesiges Format und eine riesige Geste. Ein großer Auftritt. Das zusammen mit den deutschen Geisteshelden hatte schon etwas von der Vorstellung der Walhalla an der Donau Der ursprünglich aus der nordischen Mythologie stammende Begriff „Walhalla“ (dt.: „Halle der Gefallenen“) bezeichnet eine durch König Ludwig I. errichtete Gedenkstätte bei Regensburg, wo seit 1842 herausragende Persönlichkeiten „teutscher Zunge“ aufgenommen werden. Während des Nationalsozialismus wurde die Idee der Walhalla unter den Vorzeichen der rassischen Ideologie zu einem arisch-heldischen Sehnsuchtsort weiterentwickelt. Vgl. Ingo Wiwjorra, „‚Ex oriente lux‘ – ‚Ex septentrione lux‘. Über den Widerstreit zweier Identitätsmythen“, in: Achim Leube (Hg.), „Prähistorie und Nationalsozialismus – Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–1945“, Heidelberg 2002, S. 73–106. , die die Nazis hatten, wie sie das deutsche Kulturgut sehen wollten. Herr Gallwitz hat dabei keine besondere Rolle gespielt. Es war nicht anzufechten, dass man diese beiden Künstler zeigt. Sie waren ja beachtet in Deutschland. Aber die Kritik hat auf der Biennale in Venedig Kiefer weitgehend abgelehnt. Wie sie es heute übrigens wieder tut. Lesen Sie das, was Herr Geimer schreibt. Peter Geimer, „Zu Hause im Dinosauriergehirn. Eine Retrospektive zeigt in Paris das Werk von Anselm Kiefer“, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 25.01.2016, S. 11. Das ist eine sehr ablehnende Haltung, die auch Julia Voss teilt und auch Catrin Lorch von der „Süddeutschen Zeitung“. Das hat damit zu tun, ob man sich auf Künstler einlässt, auch persönlich. Ich habe Kiefer dann kennengelernt und habe verstanden, was er mit diesem Hitlergruß meinte, als er durch ganz Europa gefahren ist, in der Uniform seines Vaters und die Hand zum deutschen Gruß hob. 1969 reiste Kiefer mit der Uniform seines Vaters nach Frankreich, Italien und in die Schweiz, um in der Landschaft vor wichtigen Bauten und Denkmälern den Hitlergruß auszuführen. Die Aktionen nannte Kiefer „Besetzungen“. 1970 entstanden nach den fotografischen Vorlagen acht Gemälde unter dem Titel „Heroische Sinnbilder“. Die fotografische Dokumentation der Aktionen ist zudem 1975 in der Zeitschrift „Interfunktionen“ veröffentlicht worden. Vgl. Anselm Kiefer, „Besetzungen 1969“, in: „Interfunktionen“, 1975, Nr. 12, S. 133–144. Damals habe ich gedacht, es sei eine Schnapsidee, so etwas zu machen. Was soll das? Als ich ihn kennenlernte, habe ich verstanden, dass er – deswegen kommen wir ja drauf – tief bewegt ist und nicht fertig wird mit dieser deutschen Geschichte. Das haben die Engländer bei der Ausstellung voriges Jahr an der Royal Academy gut gesehen. „Anselm Kiefer“, Royal Academy of Arts, London, 27. September – 14. Dezember 2014. Alle namhaften englischen Rezensenten haben gesehen, dass es sich in vielen der Werke um die deutsche Geschichte handelt. Und zwar nicht zustimmend. Selbstverständlich habe ich auch damals nicht gedacht, dass er ein Anhänger, ein Neonazi, wäre. Aber erst später habe ich gemerkt – und das ist eben auch bei Richter so –, wie sehr sie das besetzt: Wie kann man auf die deutsche Geschichte, auf sechs Millionen Tote reagieren? Das Thema ist für Kiefer ganz unerlöst und ungelöst, wahrscheinlich auch unlösbar. Genau wie für Richter. Und diese Bewegung hat mich, weil ich ja aus einer ähnlichen Situation, aus der gleichen Generation, stamme, sehr bewegt. Das hat mich als junger Mann beschäftigt, beschäftigt mich aber heute noch mehr als, sagen wir mal, 1960. Weil wir 1960 dachten, endlich kommt jetzt etwas anderes. Mit ZERO Ab 1958 verwendeten Heinz Mack und Otto Piene den Begriff „ZERO“ im Kontext ihrer gemeinsamen Ausstellungen sowie als Titel für die drei Ausgaben ihrer in Düsseldorf publizierten Zeitschrift. Ab 1961 nahm auch Günther Uecker regelmäßig an den Ausstellungen und Aktionen von ZERO teil. ZERO stand für die Stunde null, für Aufbruch und einen radikalen Neuanfang nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. ZERO setzte sich deutlich vom etablierten Informel ab. Mit neuen Materialien und der Einbeziehung von Bewegung, Licht und Raum in das künstlerische Werk etablierte ZERO eine neue Formensprache. Vgl. Wieland Schmied, „Etwas über ZERO“, in: Dirk Pörschmann/Mattijs Visser (Hg.), „ZERO 4 3 2 1“, Düsseldorf 2012, S. 9–18. zum Beispiel. Dann kam Ende der 60er-Jahre die Bewegung im Theater, und in der Literatur wurde die deutsche Geschichte aufgearbeitet. Seitdem ist das für mich immer bedrängender geworden. Persönlich.

Ich finde es heute schwieriger damit umzugehen als Anfang der 60er-Jahre. Damals kam ZERO, das war wie ein Luftholen. Es ist die große, bleibende Tat von Heinz Mack: Mit dem silbernen Aluminiumanzug in der Sahara hat er sich in die Kunstgeschichte eingeschrieben. Heinz Mack, „Sahara Projekt“, 1968/69. Das normale Publikum hat gesagt: „Das ist eine irre Maßnahme. Was soll das?“ Der Punkt war, dass er da wirklich etwas Neues initiiert hat. Und das hat er nachher oft repetiert. Aber es bleibt sein Verdienst. Manche Leute machen eine Sache und gehen damit in die Kunstgeschichte ein. Andere brauchen ein Leben lang und schaffen das nie. Otto Piene und Heinz Mack, vor allen Dingen die beiden, etwas später auch Günther Uecker, haben einen anderen Atem, andere Luft in das deutsche Klima gebracht. Auch was die Geschichte angeht. Wie als wenn sie sagen wollten: „Jetzt ist mal gut, ja? Wir müssen jetzt mal sehen, dass wir eine Kunst schaffen können, die unseren Jahren entspricht.“ Das war nicht als Ablehnung der Beschäftigung mit dem Naziregime gemeint, sondern das war das Bestreben „Es ist jetzt auch unser Lebensmoment und wir müssen etwas machen“. Das hat sehr beeindruckt damals.

Kannten Sie die ZERO-Arbeiten vor Richter?

Ja, ja sicher. Ich bereite jetzt eine große Ausstellung zur Geschichte des Informel vor. Die Idee ist, dass man die Deutschen, die jungen Deutschen vor ZERO, also Bernard Schultze, Karl Otto Götz, international in den Vergleich rückt, im Zusammenhang mit der Frage, was wurde damals in Frankreich gedacht, in Spanien und so weiter. Das sind sehr interessante Verbindungen. All diese Länder haben ja das Ende des Kriegs erlebt. Und alle haben unterschiedlich darauf reagiert. Das muss man sehen: 49, also vier Jahre nach Kriegsende, haben sich zum Beispiel in Mestre, bei Venedig auf dem Festland, die italienischen Informellen getroffen, angeführt von Piero Dorazio. Da sind Leute aus Japan hingekommen, um die kennenzulernen.

War das Informel Ihr erster Kontakt mit der Kunst?

Ja. Die Frankfurter Quadriga, „Quadriga“ bezeichnet eine Künstlergruppe um Karl Otto Götz, Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze, welche durch die gleichnamige Ausstellung in der Frankfurter Zimmergalerie Franck 1952 einen wesentlichen Ausgangspunkt des deutschen Informel bildete. Vgl. Carolin Weber, „Quadriga – Die Auflösung des klassischen Formprinzips“, in: „Quadriga. Götz – Greis – Kreutz – Schultze“, Ausst.-Kat. Galerie Maulberger, München, München 2010, S. 8–33, hier S. 9 f. Karl Otto Götz, Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze. An den Universitäten war damals noch vor Paul Cézanne, wenn es überhaupt so weit kam, Schluss in der Kunstgeschichte. Es gab einen Professor für Kunstgeschichte in Frankfurt, der war der Ansicht, dass Cézanne sowieso unbedeutend sei, weil das eine schwache Malerei sei. So war der Stand. Und man hat immer gedacht: Ist ja schön und gut, aber irgendwie müsste man ja vielleicht doch mal sehen, was heute so gemacht wird. Und dann war eben sehr verführerisch, man selber war ja sehr jung, wie diese Künstler mit dem Rücken an der Wand standen. Schultze hat hier in Frankfurt in einer Gartenhütte angefangen. Und so war es mit allen. Das war wunderbar. Niemand wollte sie. Ich gehörte als Beobachter dazu und habe dann versucht, das in der Zeitung anzubringen. Ist ja auch gelungen, das war unvergleichlich. Wenn Sie eine ganze Gesellschaft gegen sich haben, ist das eigentlich die produktivste Situation für Künstler, die man sich vorstellen kann. Heute geht alles. Alles kann gemacht werden, nichts macht mehr Skandal. Ob im Theater oder in der bildenden Kunst, es geht alles. Und daher ist es für die Künstler heute sehr viel schwieriger.

Ich bin Anfang der 60er-Jahre nach Wien gegangen, weil in Wien das Informel mit Arnulf Rainer, Markus Prachensky, Josef Mikl, Wolfgang Hollegha und anderen noch ausgeprägter war. Die wurden angefeindet und ich mochte Leute, die angefeindet wurden. An der Universität in Wien war das noch schlimmer als hier. Die wurden nur verachtet. Arnulf Rainer galt als Skandalfigur. Markus Prachensky auch. Aber es war gut, mit ihnen zu sein, nächtelang zu reden und zu trinken und zu ermitteln, was sie nun eigentlich wollten. Das hat mich geprägt.

Und was wollten sie?

Sie wollten die individuelle Stimme. Wenn man das zusammenfasst: die Betonung der Individualität. Das ist ja das Programm des Informel. Also politisch gegen die Massenbewegungen, die vorausgegangen waren und nur Unglück erzeugt hatten. Die Informellen dachten: „Wir müssen zurück, um das alles von uns wegzuschieben. Wir müssen zurück in uns selber. Nur da ist die Wahrheit und die müssen wir suchen.“ Deswegen haben diese Leute angefangen, abstrakt zu malen. Es ist seismografisch, das ist da alles drin, der ganze Lebenskampf.

Und darüber konnte man nächtelang debattieren?

Ja. Finden Sie das dünn?

Nein, gar nicht. Aber es klingt so, als hätte es da eine ziemlich klare Haltung gegeben. Und das Informel war zu der Zeit ja nicht mehr ganz neu.

Richtig. Die Bewegung, die man Informel nennt, ist schon gleich nach dem Krieg weltweit entstanden. Die Künstler dieser Stilrichtung waren auch die Ersten, noch vor ZERO, die internationale Kontakte wollten. Schultze ist oft nach Paris getrampt, weil er da diese Franzosen treffen wollte. Georges Mathieu zum Beispiel, der eine ganz wichtige Figur wurde, oder Jean-Paul Riopelle. Der kam mit dem Fahrrad aus Paris in die Zimmergalerie Franck Klaus Franck (1906 Berlin – 1997 Bad Soden) war ein Versicherungsangestellter und Galerist, der von 1949 bis 1961 die Zimmergalerie Franck in der Böhmerstraße 7 und ab 1954 in der Vilbeler Straße 29 in Frankfurt am Main führte. Sein Programm umfasste vor allem frühe Positionen des deutschen Informel, darunter K. O. Götz, Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze. in Frankfurt. Die suchten als Erste den Anschluss, weil sie natürlich gesehen hatten: Das ist ja da schon gemacht worden. Insofern ist es richtig, was Sie sagen. Natürlich, Jean Fautrier Jean Fautrier (1898 Paris – 1964 Châtenay-Malabry) war ein französischer Künstler. Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Informel. hat schon vor dem Kriegsende in Frankreich so gemalt. Wols Wols (eigtl. Alfred Otto Wolfgang Schulze; 1913 Berlin – 1951 Paris) war ein Maler und Fotograf. Bekannt wurde er vor allem durch seine ab 1946 entstandenen abstrakten Ölgemälde. Er zählt zu den Vertretern des Tachismus (frz. tache = Klecks, Fleck). auch. Aber als Bewegung konnten sie das erst in der Gruppe – wie ZERO ja auch – durchsetzen. ZERO kam dann mit dem glatten Gegenprogramm. Sie haben gesagt, die Innerlichkeit ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass wir die Realität anders sehen. Und dass wir sehen, was man alles mit neuen Materialien, zum Beispiel mit Licht, machen kann. Das war ganz wichtig für ZERO. Nicht mehr mit Pinsel und Farbe, sondern ein anderes Auftreten. Das war nicht weniger wichtig als das Auftauchen des Informel. So ist man da reingeraten. Und dann fing auch das öffentliche Interesse an.

War die ZERO-Kunst in Frankfurt vor allem durch Rochus Kowallek Rochus Kowallek (* 1926 Berlin) betrieb in Frankfurt am Main von 1961 bis 1962 die Galerie dato, im Anschluss bis 1964 die Galerie d. Als künstlerischer Direktor leitete er ab 1967 die neu eröffnete Galerie Ursula Lichter. Nach dem Austritt von Ursula Lichter 1972 führte Kowallek die Galerie bis zur Schließung 1973 eigenständig weiter. bekannt?

Ja. Ganz wichtige Person.

Wann hatten Sie erstmals Kontakt zur ZERO-Kunst? Können Sie sich daran erinnern?

Ja, da spielte Rochus Kowallek eine große Rolle. Ich halte auf ihn große Stücke. Der Kowallek hat zwei oder sogar eigentlich drei Galerien in Frankfurt nacheinander betrieben, und das waren die wichtigsten Galerien, die es in Frankfurt bis heute gegeben hat. Das war bahnbrechend. Frankfurt wurde durch Kowalleks Galerie dato, die Galerie d und dann auch die Galerie Lichter, die er eigentlich auch gemacht hat – Frau Lichter war ja nur eine Sponsorin –, neben Düsseldorf zu einem starken Zentrum für die ZERO-Bewegung. Kowallek war schwer beschädigt aus dem Krieg gekommen. Er hat einen Enthusiasmus ausgestrahlt, das ist unvorstellbar gewesen. Das können Sie sich nicht vorstellen, was das für einen Eindruck gemacht hat: Ein junger, schlanker Leutnant, dem sie am letzten Kriegstag das Bein weggeschossen haben. Aber er war beweglicher als alle anderen. Und er hatte hier Galerien, die immer pleite waren, nie hat das Geld gelangt. Aber die Professionalität, die Führung, das war Pariser Niveau. In Paris gab es Galerien wie die von Denise René, das waren Leitgalerien für uns. Wir sind immer wieder nach Paris gezogen, um uns bei denen umzusehen. Alles Kowalleks Verdienst. Dann die Holländer, Henk Peeters, Herman de Vries, Die niederländischen Künstler Herman de Vries (* 1931 Alkmaar) und Henk Peeters (1925 Den Haag – 2013 Hall) standen der ZERO-Bewegung nahe. 1958 gründete Peeters gemeinsam mit Armando, Kees van Bohemen, Jan Hendrikse und Jan Schoonhoven die Holländische Informelle Gruppe, die sich 1961 in Nul umbenannte. Auch de Vries war 1962 in der Ausstellung „Nul“ im Amsterdamer Stedelijk Museum vertreten. die habe ich alle Kowallek zu verdanken. Das war ein Dynamiker von unvergleichlichem Ausmaß.

Piero Manzoni Piero Manzoni (1933 Soncino – 1963 Mailand) war ein italienischer Künstler, der ab Ende der 1950er-Jahre durch die neuartige Verwendung von künstlerischen wie alltäglichen Materialien den bestehenden Malereibegriff erweiterte. Mit seinen Werken formulierte er theoretische Ansätze, die wesentlich zur Entwicklung der Konzeptkunst sowie der Arte povera beitrugen. Anfang der 1960er-Jahre stellte Manzoni unter anderem im Kontext der ZERO-Künstler aus. kam, glaube ich, ursprünglich über Hermann Goepfert Hermann Goepfert (1926 Bad Nauheim – 1983 Antwerpen) war ein deutscher Künstler, der eng mit den Künstlern aus dem Umfeld der ZERO-Bewegung verbunden war. Bekannt ist er insbesondere für seine monochromen „Weißbilder“, die ab 1960 entstanden. Enge Freundschaften verbanden ihn mit Piero Manzoni, Lucio Fontana und Jef Verheyen. ?

Manzoni ist durch Goepfert hierhergekommen. Goepfert und seine Frau Lilott hatten hier ein Haus und Manzoni kam bettelarm. Kowallek hat Goepfert gefördert und hat ihn auch auf Fontana, Manzoni, Castellani – die Italiener – aufmerksam gemacht. Goepfert hatte eines dieser Bilder mit der Kunstfaser, ein „Achrome“ Zwischen 1957 und 1963 sind unter dem Titel „Achrome“ (dt.: „ohne Farbe“) in unterschiedlichen Materialien über 600 Werke Piero Manzonis entstanden. von Manzoni, und damals wurde ja wie verrückt geraucht, sodass das Bild ganz grau wurde. Dann war Manzoni einmal in Frankfurt und Frau Goepfert fragte ihn: „Wie kriegen wir das wieder weiß?“ Da sagte er: „Lass eine Badewanne einlaufen, wir waschen das mit Pril.“ Da haben wir die Manzonis in der privaten Badewanne von Frau Goepfert gespült. Das war natürlich eine Art Nachkriegsboheme mit schwer bürgerlichen Zügen. Es waren alles Bürger. Auch Manzoni und Fontana. Wenn man mit Fontana in Mailand durch die Stadt ging, wurde er immer als Maestro begrüßt. Der war damals schon ein Star. Lief im Zweireiher herum und grüßte seine Fans herablassend.

In welchem Turnus hat Kowallek seine Ausstellungen hier in Frankfurt gemacht?

Wenn er genug Geld hatte, hat er das dicht hintereinander gemacht. Die Werke hingen vielleicht vier Wochen. Und am Ende waren immer schon die Gläubiger zu Gange und haben ihn bedroht und bedrängt.

Wieso die Gläubiger?

Weil er Schulden hatte. Der hatte ja gar keine Einnahmen. Er konnte ja mit Kunst kein Geld verdienen.

Aber die Werke in seiner Galerie waren theoretisch verkäuflich?

Ja, das war verkäuflich, aber die Mieten in der Kaiserhofstraße 13 waren zu teuer, als dass er da irgendetwas hätte einnehmen können.

Wen gab es außer Rochus Kowallek zu der Zeit in Frankfurt noch?

Es gab immer Frau Bekker vom Rath. Hanna Bekker vom Rath (geb. Hanna vom Rath; 1893 Frankfurt am Main – 1983 Bad Nauheim) war eine deutsche Sammlerin, Galeristin und Malerin. Während des Nationalsozialismus organisierte sie in ihrem Berliner Atelier heimlich Ausstellungen mit politisch verfolgten Künstlern und Künstlerinnen. 1947 gründete sie das Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath in der Kaiserstraße in Frankfurt am Main. Kurze Zeit später zog sie in neue Räumlichkeiten am Börsenplatz, wo sie mit Max Beckmann, Otto Dix und Max Ernst vor allem künstlerische Positionen aus dem Exil zeigte. Bekker vom Rath gilt als bedeutende Sammlerin der Werke von Alexej von Jawlensky. Das war eine sehr zu achtende Person. Aber mit der Kunst, die sie vertrat, hatten wir wenig im Sinn. Weil wir die neue Kunst wollten, die Dynamik von ZERO und was da alles dranhing. Dann gab es diese Ausflüge von Frankfurt aus mit Kowallek, der immer irgendwen suchte, der ihn fahren konnte, weil er sich gar kein Auto leisten konnte und es auch nicht hätte fahren können. Und dann fuhr man zu den Ausstellungen nach Arnheim, nach Den Haag und so. Und immer in der Rolle von Außenseitern. Das ist wie im Sport. Der Außenseiter ist derjenige, der am besten dran ist. Heinz Mack hat neulich erzählt, zu vorgerückter Stunde, man sei damals sehr einsam gewesen, auch Otto Piene hat das erzählt, das war doch ein relativ enger Kreis. Das war nicht öffentlich, gar nichts. Das hat lange gedauert. Ich bin denen für die große, wesentliche Bereicherung und Richtungsänderung in meinem Leben dankbar. Und sie waren dankbar, dass es Leute gab, die unter der Androhung von Strafen durch Chefredakteure in Zeitungen über sie geschrieben haben. Das war ja nicht so leicht durchzusetzen. Bei mir war das nur möglich, weil der damalige Feuilletonchef der „Frankfurter Rundschau“, Erich Lissner, an dieser Stimmung, die von den Avantgarden ausging, einen Gefallen gefunden hatte. Er hat zwar immer gesagt: „Das war doch alles schon mal da und muss man das denn jetzt noch mal machen?“ Und: „Du irrst dich, das ist alles nicht so wichtig.“ Aber er hats immer gedruckt und dadurch hat man auch selbst ein bisschen mithalten können. Da waren die Künstler natürlich dankbar. Das ist nicht wie heute. Heute gibt es ja die Galerienkritik, die wir damals immer gemacht haben, wöchentliche Rundgänge durch Galerien, gar nicht mehr. Keine Zeitung, nur in Ausnahmefällen, berichtet über eine Ausstellung in Galerien. Aber die Galerien waren damals ganz wichtig. Sonst hat ja niemand diese Kunst gezeigt. Herr Holzinger, der damalige Städel-Direktor, hielt den Standpunkt, nach 1945 sei nichts mehr gemalt worden. Ernst Holzinger (1901 Ulm – 1972 Zaun, Schweiz) war ein deutscher Kunsthistoriker und von 1938 bis 1972 Direktor des Städel Museums in Frankfurt am Main.

Sie sagen, man hat in den Galerien die Avantgarde gesehen und auch gesucht. Haben Sie sich damals als Avantgarde verstanden? Die Vorreiterrolle, die mit diesem Begriff verbunden ist, wird ja häufig erst im Nachhinein sichtbar und definierbar.

Das ist richtig. Was aber spürbar war, war der Widerstand.

Und dadurch fühlte man sich als Teil einer Avantgardebewegung?

Ich weiß nicht, ob man das Avantgarde nennen muss. Damals hatte der Begriff noch einen Sinn: Avantgarde ist die vorlaufende Truppe, die vorausgehende Truppe. Das Gefühl war schon da. Heute können Sie den Begriff deswegen nicht mehr benutzen, weil niemand mehr vorausläuft. Sie machen vielleicht in ihrem Werk interessante Dinge, den Avantgardebegriff würde ich heute aber nicht mehr benutzen. Das ist verfallen. Das sieht der Cheftheoretiker der Avantgarde in Deutschland, Bazon Brock, ähnlich. Der würde den Begriff auch nicht mehr benutzen. Die Avantgarde war eine Bewegung, der Begriff passte auf die russischen Konstruktivisten Anfang der 20er-Jahre. Im russischen Kontext war das Avantgarde, und von Avantgarde konnte man auch bei den ganz frühen Leuten am Anfang des 20. Jahrhunderts sprechen. Also als Piet Mondrian, Wassily Kandinsky und Kasimir Malewitsch anfingen, abstrakt zu malen, und dann noch mal beim Informel und bei ZERO, aber das war es dann auch. Dann kamen diese schnellen Stilwechsel nach den 60er-Jahren, Pop-Art und Op-Art und wie das alles hieß. Avantgarde ist heute sehr schwer noch irgendwo zu erkennen. Ich glaube, Kiefer würde das auch so sehen. Der ist kein Avantgardekünstler. Der macht etwas sehr Ausgefallenes. Aber das ist nicht Avantgarde. Avantgarde heißt, sie gehen gegen die ganze Zeit. Ein Mensch, der in jedem besseren Museum der Welt hängt, ist kein Avantgardist mehr.

Er bleibt dennoch ein Avantgardist seiner Zeit.

Zu Ihrer Frage: Die haben sich damals so gesehen. Obwohl man auch einfach gelebt hat. Das war das Leben. Sie waren alle jung. Man hat gearbeitet. Man hat gelebt. Man hat jede Möglichkeit gesucht, in eine Tür einen Fuß reinzukriegen, in Galerien Ausstellungen zu machen und irgendwelche Sponsoren, die es ja dann auch allmählich gab, und andere Helfer zu finden, Förderer.

Wie sehen Sie die Rolle des Kritikers damals?

Das kann ich jetzt nur von mir aus beschreiben. Ich hatte das Bewusstsein, dass man das machen muss, weil es etwas Wichtiges ist. Und deswegen muss man es durchsetzen, auch in den Redaktionen. Und auch wenn die immer dagegen waren, es ging ja dann doch irgendwie. Ich glaube, dass die Kritik damals eine viel größere Rolle spielte als heute. Heute hat sie fast keine Bedeutung mehr. Damals hatte sie eine riesen Bedeutung für die Stärkung dieser jungen Künstler. Und deshalb habe ich es gerne gemacht.

Und warum fanden Sie das wichtig?

Weil ich die Kunst wichtig fand. Es hat ja immer bei der Kunst mit der Sache selber zu tun. Ich fand wichtig, dass es ein neues Theater gibt und dass es eine Kunst gibt, die, wenn die Gesellschaft sie nur ausreichend wahrnehmen würde, auch den Geist der Gesellschaft, den Zeitgeist, verändern würde. Das hat ZERO teilweise auch erreicht. Das ist schon ein großes Verdienst. Das ist das Verdienst der Künste. Keine Frage. In erster Linie. Und es war nötig. Wenn Sie heute solche Dinge fixieren, ist es ja auch eine Arbeit, die Sie tun, weil Sie – nehme ich mal an – überzeugt sind, dass es wichtig ist, so etwas zu retten oder zu haben. Irgendwann. Da sind Sie auch eine Ausnahmeerscheinung, weil wir heute eine Gesellschaft haben, die unter schweren Erinnerungsverlusten leidet. Insofern sind Sie auch Avantgarde. Avantgarde als Retrogarde. Retrogarde als Avantgarde. So kann man das schon sehen.

Sind Sie der Ansicht, dass Anfang der 60er-Jahre das Gefühl „Alles ist möglich“ dominierte? Dieser Vorstoß und dieses Lebensgefühl? Und dass die Lage ab Mitte der 60er-Jahre – und da würde ich gerne wissen, woran Sie das festmachen – mit dem Vietnamkrieg, den Studentenbewegungen und so weiter politisch angespannter wird? War das der Zeitpunkt, als man sich auch wieder mit der deutschen Vergangenheit zu beschäftigen begann?

Ja.

Das hat bis dahin nicht stattgefunden?

Bei ZERO nicht. Überhaupt nicht. Das hat nicht interessiert. Aber das kam eben, weil es ein verdrängter, kurzfristig sogar sehr verdrängter Geschichtsprozess war, den man wegschieben wollte. Erst einmal dominierte der Wiederaufbau in Deutschland. Der Wiederaufbauwunsch, das Wirtschaftswunder. Dann kamen aber Leute, dazu gehörten auch noch die ZERO-Künstler, die gesagt haben: „Achtung, es gibt auch noch eine ganz andere Dimension.“ Das ist die von Träumen. Also das Licht am Nachthimmel, was der Piene zum Beispiel sehr poetisch fabuliert hat. Vgl. Otto Piene, „Wege zum Paradies“, in: „ZERO 3“, letzte Ausgabe der von Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker herausgegebenen Zeitschrift, Düsseldorf 1961, o. S. Das sind sehr schöne Aufbruchstexte. Und in der Folge davon sind eben auch Leute wieder auf die düsteren Teile des Lebens gekommen und zu denen gehörte in Deutschland auf jeden Fall auch die Erinnerung an die Hitlerjahre.

Ich habe in Frankfurt Erwin Piscator Erwin Piscator (1893 Ulm – 1966 Starnberg) war ein deutscher Theaterintendant und Regisseur, der insbesondere durch die künstlerische Leitung der von 1927 bis 1931 bestehenden Piscator-Bühne in Berlin Bekanntheit erlangte. Piscator gründete zudem die New Yorker Schauspielschule Dramatic Workshop und übernahm von 1962 bis 1966 die Intendanz am Theater der Freien Volksbühne Berlin. kennengelernt, den Regisseur. Der war gerade aus der Emigration in Amerika gekommen. Der politische Regisseur der 20er-Jahre in Berlin. Ich war eine Zeit lang sein Assistent, bin zwei Jahre mit ihm durch Deutschland gefahren, als sein Privatsekretär. Und Piscator hat mich gefragt: „Gehen Sie mit mir in den Auschwitz-Prozess?“ Ich habe damals gedacht: „Na ja, muss man das jetzt machen?“ Ich war nur zweimal dort. Das ist ein Bruchpunkt in meinem Leben gewesen. Da habe ich etwas verstanden, ich habe gesehen, dass die Probleme, die die bildende Kunst zu lösen hat, wenn sie auf die Welt reagieren will, größer sind, als ich es als junger Spund gedacht habe. Und das hat mich dann an Leuten wie Kiefer oder Richter interessiert. Menschen, die damit gelebt haben, mit der Frage, wie die bildende Kunst auf solche Vorgänge reagieren kann? Der Literat kann es irgendwie. Schwer genug. Die Poesie kann es. Sehen Sie Paul Celan an oder Ingeborg Bachmann. Aber wie macht man das in der Malerei, wie soll das gehen? Das ist eine große Frage für die ernst zu nehmenden Künstler, die wir haben.

Welche Rolle nehmen in dieser Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Georg Baselitz und Eugen Schönebeck ein?

Baselitz gehört selbstverständlich auch dazu.

„Die große Nacht im Eimer“, die Baselitz-Ausstellung, die 1963 in der Galerie Werner & Katz in Berlin gezeigt wurde, war etwas später als ZERO. War das gewissermaßen auch die Antwort auf ZERO?

Natürlich!

ZERO war 1963 schon etabliert und die „Pandämonischen Manifeste“ 1961 und 1962 veröffentlichten Georg Baselitz und Eugen Schönebeck die „Pandämonischen Manifeste“. Darin postulierten sie eine neue Malweise, welche die traumatisierte Welt der Nachkriegszeit in den Mittelpunkt rückte. von Baselitz und Schönebeck richtete sich ja im Prinzip genau gegen diese weiße, reine, unendliche Traumwelt. Die Schreckensbilder sollten auf der Leinwand manifestiert und nicht wegmeditiert werden.

Ja. Sehr gut gesagt.

Und Baselitz und Schönebeck sagten: „Wir wollen das nicht, wir wollen die Augen nicht verschließen. Wir wollen das gespiegelt auf die Leinwand bringen.“

Ja, Sie haben völlig recht. Natürlich. Auch Gotthard Graubner hat damit zu tun gehabt. Die Antworten sind ganz verschieden ausgefallen. Aber die Last hat man an den Personen, wenn man sie gekannt hat, sehr deutlich gemerkt. Graubner hat ja nichts gemacht, was sich direkt auf Geschichte bezieht. Den habe ich sehr früh kennengelernt, als ganz jungen Mann, als er gerade aus dem Osten gekommen war. Dem hat man das immer angemerkt, dass er ganz tief gründet. Aber er wollte eben auch eine andere Realität schaffen, was Theodor W. Adorno das „schlechthin Andere“ In Kunst und Musik machte Theodor W. Adorno (1903–1969) das „Andere“, das „Nichtidentische“, das über die bestehenden Strukturen der Gesellschaft Hinausgehende aus. Vgl. Theodor W. Adorno, „Ästhetische Theorie“, Frankfurt am Main 1970, S. 285 f. genannt hat. Die Frankfurter Schule hat mit diesen Fragen natürlich auch zu tun gehabt. Adorno und Max Horkheimer haben selbstverständlich einen großen Einfluss auf die jungen Leute und ihre Studenten gehabt. Natürlich waren das die großen Idole. Als ich nach Wien kam, um dort zu studieren, weil ich mit dem Denken und dem Werk von Richard Hönigswald Richard Hönigswald (1875 Magyaróvár, Ungarn – 1947 New Haven, Connecticut) war ein österreichisch-amerikanischer Philosoph, der in seinen Schriften insbesondere die erkenntnistheoretischen Grundlagen von Psychologie und Pädagogik erforschte. , dem Philosophen der 30er-Jahre, zu tun haben wollte, habe ich die Verachtung gespürt, die man gegenüber Frankfurt hatte, weil es dort Adorno und Horkheimer gab. Deren Denken war verpönt. Und auch persönlich war man bei manchen Leuten in Wien nicht akzeptiert, wenn man aus Frankfurt kam. Da wurde gesagt, das seien die Leute, die nun alles besser wissen. Wien ist antisemitisch bis heute und die Antisemiten fanden die Lehren und Einsichten, die Adorno und Horkheimer vermittelt haben, nicht angemessen.

Haben Sie zu der Zeit schon mit Bazon Brock zu tun gehabt?

Ja, ich war mit Bazon Brock in den Proseminaren von Adorno und Horkheimer. Im Wintersemester 1958/59 leiteten Max Horkheimer und Theodor W. Adorno gemeinsam das Proseminar „Hegels Philosophische Propädeutik“.

Da haben Sie ihn kennengelernt?

Ja. Da habe ich ihn kennengelernt. Die Verhältnisse an dieser Uni und in diesem Seminar, das können Sie sich heute gar nicht mehr vorstellen, waren auf das Nötigste begrenzt. Alles war kaputt, wir saßen an Holztischen, die beiden Oberlehrer mit ihren Assistenten saßen an einer Seite und wir Studenten haben ehrfürchtig gelauscht. Von Lehre war auch nicht viel die Rede, denn die beiden haben untereinander einen Schleiermacher-Text ausgelegt oder Schriften von Hegel wie die „Phänomenologie des Geistes“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Phänomenologie des Geistes“, Bamberg/Würzburg 1807. . Es ging gar nicht um die Studenten. Sie müssen sich das vorstellen: Zwei der größten Köpfe des Jahrhunderts reden miteinander über so einen Text. Wir haben nur gelauscht. Und dann geschah eben das Wunder, ich werde das in meinem ganzen Leben nie vergessen, dass unter den Studenten eines Tages ein junger, blonder Typ aufstand und gesagt hat: „Herr Adorno, hier irren Sie.“ Das war Bazon Brock. Wir haben gedacht, uns trifft der Schlag. Die haben da vorne diskutiert und wir haben gedacht, das kann nicht gut gehen. Aber so autoritär war der sehr autoritäre Adorno dann doch nicht, sondern er hat gesagt: „Erklären Sie uns das.“ Und dann hat Brock zu einer langen Rede ausgeholt, die darin gipfelte, dass er – darüber muss er heute selber lachen – sich auf Schleiermacher zurückzog, der wichtiger sei als diese Hegel-Passage, um die es ging. Später hat Adorno, da war ich selber dabei, das kann ich eins zu eins bezeugen, bei einem Studentenfest über Bazon Brock gesagt, er sei sein bester Schüler. Das kann man auch heute mehr als damals nachvollziehen, weil Adorno an Brock die Qualität des Querdenkens gesehen hat. Eine andere Mentalität, ganz andere Paradigmen des Denkens. Und das hat ihn sehr interessiert. Leider ist er zu früh gestorben. Brock hat ja eine große Arbeit für ihn gemacht, das sollte seine Dissertation werden, Brock konnte sie aber nicht beenden, weil Adorno dann gestorben ist. Aber Brock ist ein bedeutender Kopf der neueren deutschen Geschichte. Ich weiß, dass das viele nicht so sehen, die ihn eher für so eine Knallcharge halten. Das ist völlig falsch. Wenn Sie mal das Buch „Die Re-Dekade“ Vgl. Bazon Brock, „Die Re-Dekade. Kunst und Kultur der 80er Jahre“, München 1990. in die Hand bekommen, werden Sie sehen, das ist das Buch eines bedeutenden deutschen Humanisten. Brock hat sich immer wieder leidenschaftlich engagiert für den, nach seiner Ansicht, richtigen Weg der Gesellschaft, die sich im Grunde jeden Tag neu denken muss. Und das liegt dem Menschen nicht. Samuel Beckett sagte, die Gewohnheit sei eine Sordine, das heißt, es ist die alte Hexe Gewohnheit, eine alte Hexe, die uns immer wieder sagt, lass uns das doch so machen, wie wir es gestern gemacht haben. Das kennen Sie auch. Jeder kennt das. Und Brock hat gegen nichts so sehr angekämpft wie dagegen. Das tut er heute noch. Wir haben jetzt einen heftigen Streit über diese Flüchtlingsfrage. Und da werden wir uns auch wieder irgendwie verständigen. Brock ist ein großer deutscher Kopf. Vollkommen unberechenbar, auch in seiner Leidenschaftlichkeit, bis heute. Ich glaube, er ist für das Land sehr wichtig. Da werden die anderen auch noch dahinterkommen.

Warum ist er so umstritten?

Tja. Wenn Sie den Leuten sagen: „Denken Sie mal um die Ecke, darauf kommt es an“, dann machen Sie sich nicht nur Freunde.

Ich habe ja auch mit ihm gesprochen, und da sagte er mir, er hätte sich damals so etwas wie eine Band gewünscht.

Eine Band?

Ja. Natürlich ohne Musik.

Ja. Eine Gruppe. Gut gesehen.

Und ich dachte, das kann doch gar nicht sein. Jemand, der so denken kann, so vieles verinnerlicht hat, Sie sprechen vom Querdenken und er beherrscht es, großartig. Es ist alles nachvollziehbar. Man kann anderer Meinung sein, man kann andere Ansätze haben, aber man wünscht sich viel mehr Menschen, die überhaupt in der Lage sind, so zu denken wie Bazon Brock.

Bei Brock muss man eine große Toleranzbreite haben, die hatte ich über ein halbes Jahrhundert und habe sie immer noch. Man muss immer bedenken, dass Brock sich eine enorme Bildung angeeignet hat. Die noch verstärkt wird dadurch, dass er wahrscheinlich einer der Deutschen mit der höchsten Kombinationsfähigkeit ist. Das heißt, er kann weit in der Zeit auseinanderliegende Begebenheiten und Daten miteinander verbinden. Das können nur wenige Leute, und bei manchen macht man sich keine Freunde, wenn man überlegen denkt. Nennen wir das mal so, hilfsweise. Dann kommt ein autoritärer Zug dazu. Deswegen war das neulich in Salzburg Vgl. „Aus neu mach alt“, ein Gespräch zwischen Bazon Brock, Peter Iden und Erwin Wurm in der Salzburg Foundation, Salzburg, 23. Juli 2015, unter: https://www.youtube.com/watch?v=637J34p7PHw (eingesehen am 11.04.2016). sehr wichtig, denn bei diesen Auftritten ist es nötig, dass er sich etwas zurücknimmt. Das konnte ich manchmal im Gespräch mit ihm erreichen. Brock ist so autoritär, dass er nichts mehr gelten lässt. Nur seins. Und das macht es manchen Leuten schwierig. Er ist sehr schwierig. Er hat einen schweren Mangel an – das wird er mir verzeihen, wenn ich das sage, weil er das selber hoffentlich weiß – sozialer Kompetenz. Er kann nicht verstehen, dass andere Leute anders denken.

Aber wenn er sich doch eine Gruppe wünscht, dann will man ja keine Gleichdenker haben, oder?

Na ja. Doch.

Also Leute, die in die gleiche Richtung denken, aber mit denen man doch diskursiv über Sachen sprechen kann.

Wissen Sie, Kowallek, der ihn ja auch sehr gut kannte und gefördert hat, hat immer gesagt, alleine einen Saal auszuräumen sei sehr schwierig. Aber Rücken an Rücken einen Saal auszuräumen, das macht Spaß. Und das ist genau das, was Brock sich immer gewünscht hat, wobei er die Leute, die mit ihm Rücken an Rücken gekämpft haben, dann auch plötzlich lieber gar nicht mehr gehabt hätte und alles alleine machen wollte. Es gibt ein Problem, das er hat – ich weiß nicht, woher das rührt. Anderen Menschen auch mal zuzuhören. Aber das ist ein kleiner Mangel, den muss man in Kauf nehmen, wenn man mit ihm ist. Dass er sich dann wünscht, es gäbe eine Gruppe, macht ihn ja sympathisch, aber es ist unmöglich, mit ihm auf Dauer eine Gruppe zu bilden.

Jedenfalls war er für Sie in den 60er-Jahren in Frankfurt ein wichtiger Gesprächspartner und ein Freund?

Ja natürlich! Ein Freund! Ich habe ja mit Karlheinz Braun Karlheinz Braun (* 1932 Frankfurt am Main) ist ein deutscher Literatur- und Theaterverleger. Gemeinsam mit Peter Iden leitete er von 1966 bis 1975 das Frankfurter Theaterfestival Experimenta. Karlheinz Braun ist Mitbegründer des Verlags der Autoren (1969). zusammen die Experimenta Die Experimenta war ein unregelmäßig in Frankfurt ausgerichtetes Festival, das sich jeweils für eine Woche dem experimentellen Theater widmete. Von 1966 bis 2001 fand das Festival siebenmal statt. hier gemacht, unterstützt von Erwin Piscator, der das angeregt hatte. Schon bei der ersten Experimenta war Brock dabei. Wir haben zehn oder zwölf Produktionen aus aller Welt eingeladen und eben auch Brock, der kein Stück hatte und praktisch zwei Abende vor der Premiere begonnen hat, den Entwurf für diesen Abend zu entwickeln. Wenn man die Verantwortung für das Ganze hat, fragt man sich schon, ob das so laufen muss. Seit einem halben Jahr wusste er davon. Nachher ist es ein wunderbarer Abend geworden. Ein großer Erfolg und ein riesen Skandal.

Was war der Skandal?

Der Skandal war das Theater, das große Theater. Wir waren angewiesen, in den bestehenden Theatern zu gastieren. Harry Buckwitz leitete das Schauspielhaus, und in den Kammerspielen, die es ja heute auch noch gibt, sollte dieser Abend von Bazon Brock stattfinden. Die Intendanz hatte sich kundig gemacht, durch Rumhören, Telefonieren, Lesen, wer Bazon Brock ist, und dann haben sie gesagt: „Das kommt gar nicht infrage.“ Nun war es ja damals so, dass die Spannung zwischen Leuten, die im Theater etwas Neues machen wollten oder das Neue fördern wollten, und den etablierten Leuten, die in den Stadttheatern die Macht hatten, sehr groß war. Und nur weil Piscator, die große, historische Figur, auf unserer Seite war, haben Karlheinz Braun und ich damals alles Mögliche durchsetzen können. Bei Brock wurde es aber sehr schwierig, weil wir noch nicht einmal sagen konnten, was er machen wollte. Und da hat Brock gesagt: „Sagt doch dem Buckwitz, ich werde am Schluss 1.000 rote Rosen aus der Decke des Theaters regnen lassen.“ „Ja“, haben wir gesagt, „das können wir mal probieren.“ Provokanter geht es ja kaum. Und dann habe ich Buckwitz gesagt: „Also, Herr Buckwitz, da fallen 1.000 rote Rosen aus der Decke.“ Da sagte er: „Iden, jetzt ist aber wirklich genug. Herr Brock kommt mir nicht ins Haus.“ „Im Übrigen“, und das war ein Fehler von Buckwitz, „geht das technisch gar nicht.“ Bei dieser Sitzung saß nun auch sein technischer Direktor Max von Vequel-Westernach dabei, der die ganze Zeit über gar nichts gesagt hatte. Und dann aber zu meiner großen Überraschung sagte, das war richtiges Glück: „Aber Herr Buckwitz, das ist doch gar kein Problem.“ Da war das gelaufen. Dann konnte Brock diese Rosen runterfallen lassen. Das war ein sehr schönes Schlussbild, aber darum ging es natürlich nicht. Es ging darum, wie wir alle dem Konsum, den Verführungen des Konsums verfallen sind. Durch die Werbung. Das war ja damals alles noch relativ neu Anfang der 60er-Jahre. Brock hat so einen Sog erzeugen können auf der Bühne, dass der Direktor des Suhrkamp Verlags, Siegfried Unseld, der mit seiner Frau vor mir saß, aufgesprungen ist und sich auf der Bühne Teile der Konsumgüter, vor allen Dingen Damenunterwäsche, gegriffen hat. Davon gibt es Fotos, das ist dokumentiert. Um diese Sache abzuschließen, dieses Greifen von Requisiten, hat Brock die Rosen fallen lassen. Das war wie eine Apotheose des Konsums.

Wer gehörte noch zu diesem Frankfurter Freundeskreis dazu?

Das war eine sehr kleine Mannschaft. Hermann Goepfert war ganz entscheidend …

Hatten Sie mit Peter Roehr Peter Roehr (1944 Lauenburg, Pommern, heute Polen – 1968 Frankfurt am Main) war ein Künstler, der sich in seinem Werk vorwiegend mit dem Prinzip der Serialität beschäftigte. Zusammen mit Paul Maenz organisierte er 1967 in Frankfurt am Main die Ausstellungen „Serielle Formationen“ (Studiogalerie, Goethe-Universität) und „Dies alles, Herzchen, wird einmal dir gehören“ (Galerie Dorothea Loehr).Trotz seines frühen Tods hinterließ Roehr ein künstlerisches Werk mit mehr als 600 Arbeiten. Kontakt?

Später ja. Adam Seide Adam Seide (1929 Hannover – 2004 Limburg an der Lahn) war ein deutscher Galerist, Schriftsteller und Kunstkritiker. Ab 1958 betrieb er die Galerie Seide im alten Rathaus in Hannover-Linden. Nach seinem Umzug nach Frankfurt am Main 1962 führte er im Röderbergweg 64 im 2. Stock des ehemaligen Gumpertz’schen Siechenhauses einen Salon. Das Programm umfasste unter anderem Ausstellungen mit Werken von Thomas Bayrle, Otto Muehl, Peter Roehr und Gerhard Wittner. hatte in einem Altenheim ein Stockwerk und hat dort einen Salon gemacht. Da war auch Peter Roehr ausgestellt. „Roehr bei Seide“, Galerie Adam Seide, Frankfurt am Main, 1966. Das war keine offizielle Galerie, aber es gab viele Anregungen. Da haben Leute gelesen, da war Brock und dort hat man manchen Abend verbracht. Auch Goepfert und die Leute, die Goepfert in der Stadt kannte, waren da, das waren diejenigen, die ein Museum für moderne Kunst in Frankfurt wollten. Das wollte ja sonst niemand.

Damals schon?

Ja natürlich, da fing das an. Weil Herr Holzinger meinte, nach 45 gäbe es keine Kunst mehr, sagten wir, das können wir uns nicht bieten lassen, man muss etwas dagegensetzen.

Und die Posenenskes Charlotte Posenenske (geb. Charlotte Mayer; 1930 Wiesbaden – 1985 Frankfurt am Main) war eine deutsche Künstlerin, die mit dem Architekten Paul Friedrich Posenenske (1919 Breslau, Niederschlesien, heute Polen – 2004) verheiratet war. waren da auch schon dabei?

Ja.

Hatten Sie damals auch mit Thomas Bayrle Thomas Bayrle (* 1937 Berlin) ist ein deutscher Künstler und wird zu den Vertretern der deutschen Pop-Art gezählt. Bayrle beschäftigt sich in seinen Arbeiten oft mit dem Prinzip des Seriellen. Er war 1964, 1977 und 2012 auf der documenta vertreten und stellte 2003 und 2009 bei der Biennale von Venedig aus. Bayrle war von 1972 bis 2002 Professor an der Städelschule in Frankfurt am Main. Kontakt?

Bayrle war mit Goepfert eng befreundet. Die hingen zusammen, das war diese Frankfurter Szene. Rolf Kissel Rolf Kissel (* 1929 Frankfurt am Main) ist ein Maler und Bildhauer, der insbesondere aufgrund seiner Lichtreliefs dem erweiterten Kreis der Künstlergruppe ZERO zugerechnet wird. gehörte noch dazu und Werner Schreib Werner Schreib (1925 Berlin – 1969 Lorsch) war ein deutscher Maler, Bildhauer und Grafiker, der sich vor allem mit der Wirkung struktureller Ornamente und den Möglichkeiten einer semantischen Malerei beschäftigte. . Der Kissel hat es nicht geschafft, in die erste Reihe aufzusteigen. Leider. Obwohl er große Qualitäten hat. Jedenfalls hat dieser kleine Kreis von Enthusiasten gesagt, es müsse ein Zentrum geben, in dem man sich mit der neuen Kunst beschäftigen kann. Und die Bürgermeister der Stadt haben die Kulturjournalisten immer gefragt: „Was kann man denn hier machen? Und was sollte man machen?“ Nur so als Information. Ich habe zweimal, nur zweimal, Vier-Augen-Gespräche mit Bürgermeistern in dieser Sache geführt. Das erste Mal mit Rudi Arndt Rudi Arndt (1927 Wiesbaden – 2004 Nähe Kiew, Ukraine) war ein deutscher SPD-Politiker, der von 1964 bis 1970 den Posten des hessischen Wirtschaftsministers und von 1972 bis 1977 das Amt des Frankfurter Oberbürgermeisters innehatte. .

Wann war das?

Das muss Anfang der 70er-Jahre gewesen sein, als Rudi Arndt hier Bürgermeister war. Der hat gesagt: „Ein Museum für moderne Kunst, das interessiert mich nun aber überhaupt nicht. Wenn Sie so etwas wollen, dann haben wir hier auch nichts mehr zusammen zu reden.“ Er hat mich praktisch rausgeschmissen. Später hat mich aber Walter Wallmann Walter Wallmann (1932 Uelzen – 2013 Frankfurt am Main) war Jurist und CDU-Politiker und von 1977 bis 1986 Oberbürgermeister von Frankfurt am Main. Er sorgte in seiner Amtszeit unter anderem für die Sanierung des Frankfurter Bahnhofsviertels und legte den Grundstein für das Museumsufer. bestellt. Das hatte nicht unbedingt mit mir zu tun, sondern mit der Funktion, die man als Kritiker hatte. Ich sagte ihm: „Wenn Sie hier etwas machen wollen, es geht der Stadt ja wirtschaftlich ziemlich gut, dann machen Sie ein Museum für moderne Kunst.“ Das war von mir nur eine Routinebemerkung. Ich habe damit gerechnet, dass er mir sagt: „Also gut, nett, guten Tag!“ Aber Wallmann sagte: „Das ist ja interessant.“ Wo ich mir so ein Museum denn vorstellen könnte? „Man könnte das doch am Mainufer machen, da gibt es diese ganzen Villen.“ Der Wallmann kannte sich in Frankfurt ja noch gar nicht aus. Am Nachmittag wurde ich von seinem Büro angerufen: „Der neue OB möchte gerne mit Ihnen am Main entlangfahren.“ Das haben wir dann gemacht und er sagte: „Wir prüfen jetzt, welche Villen hier eigentlich frei sind.“ Und hat sich dann für den Platz des heutigen Architekturmuseums entschieden: „Da machen wir ein Museum für moderne Kunst.“ Das war alles an einem Tag. Schon bald darauf hat er mich zum Leiter berufen. Dann ging es aber an der vorgesehenen Stelle doch nicht. Denn Heinrich Klotz Heinrich Klotz (1935 Worms – 1999 Karlsruhe) war ein deutscher Kunsthistoriker und Architekturtheoretiker. Er baute ab 1979 als Gründungsdirektor das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main auf und wirkte wesentlich an der Entstehung des Museumsufers in der Stadt mit. Von 1988 bis 1998 leitete er als Gründungsdirektor das ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Neben Peter Iden gilt Klotz als wesentlicher Initiator für den Bau des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main. kam dazu, mit dem ich sehr eng befreundet war, und gründete das Deutsche Architekturmuseum. Klotz ist jemand, der mich sehr beeinflusst hat, ein fantastischer Lehrer. Der Kunsthistoriker überhaupt. Und Klotz hatte schon in Marburg, wo er Professor war, eine Sammlung zusammengestellt – ich hatte ja noch keine Sammlung für das Haus. Erst als die Stadtverordneten später alles verabschiedet hatten, haben wir Geld bekommen, um einzukaufen.

Was war von hier aus das nächste Museum für moderne Kunst?

Darmstadt. Darmstadt hatte den Beuys und die Sammlung Ströher. 1970 übergab der deutsche Sammler Karl Ströher (1890 Rothenkirchen – 1977 Darmstadt) einen Großteil seiner Kunstsammlung als Leihgabe an das Hessische Landesmuseum Darmstadt. Neben zahlreichen Werken der amerikanischen Pop-Art umfasste diese ebenso den „Block Beuys“, den größten zusammenhängenden Werkkomplex der Künstlers Joseph Beuys. Eine dauerhafte Stiftung seiner Sammlung an das Museum knüpfte Karl Ströher an die Bedingung eines Museumsanbaus, wo die Sammlung dauerhaft gezeigt werden könnte. Nach gescheiterten Verhandlungen beziehungsweise zeitlichen Verzögerungen kündigten die Erben Karl Ströhers 1980 den Leihvertrag. Der „Block Beuys“ wurde 1989 durch das Land Hessen erworben und befindet sich seitdem wieder als dauerhafte Installation im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt. Vgl. Götz Adriani, „Die Ströher-Stiftung und der Standort Darmstadt“, Interview, in: Katrin Sauerländer (Hg.), „Karl Ströher – Eine Sammlergeschichte“, Frankfurt am Main 2005, S. 177–183.

Als Sie mit dem Wunsch aufgetreten sind, ein Museum für moderne Kunst in Frankfurt zu gründen, was haben Sie sich unter dieser modernen Kunst vorgestellt?

Die Idee war, eine Sammlung aufzubauen. Und um eine Basis für die Sammlung zu haben, haben wir dann einen Teil der Sammlung Ströher gekauft, 64 Arbeiten. Die Anzahl der angekauften Werke variiert in den Quellen zwischen 67 (Christmut Präger) und 87 (digitale Sammlung des MMK). Vgl. Christmut Präger, „Das Museum für Moderne Kunst und die Sammlung Ströher“, in: Jean-Christophe Ammann/Christmut Präger, „Museum für Moderne Kunst und Sammlung Ströher“, Schriften zur Sammlung des Museums für Moderne Kunst, Frankfurt 1991, S. 61–91, hier S. 84; sowie „Sammlung Ströher“, unter: http://mmk-frankfurt.de/de/sammlung/sammlung-stroeher (eingesehen am 12.04.2016). 64 Arbeiten für 14 Millionen D-Mark. Das ist die größte Rendite, die Frankfurt je gemacht hat. Das hat mir neulich der Stadtkämmerer erzählt. Für das 1981 erworbene Konvolut aus der Ströher-Sammlung zahlte die Stadt Frankfurt am Main 5,8 Millionen D-Mark. Vgl. Rolf Lauter, „Die Sammlung Ströher und das Museum für Moderne Kunst. Zur Geschichte einer Privatsammlung“, in: „Kunst in Frankfurt – Das Museum für Moderne Kunst und die Sammlung Ströher. Zur Geschichte einer Privatsammlung“, hg. von Rolf Lauter, Ausst.-Kat. Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1995, S. 6–59, hier S. 15; sowie Jean-Christophe Ammann/Christmut Präger, „Museum für Moderne Kunst und Sammlung Ströher“, Schriften zur Sammlung des Museums für Moderne Kunst, Frankfurt 1991, S. 61–91, hier S. 84 f. In ihrer ganzen Wirtschaftsgeschichte hat die Stadt Frankfurt kein besseres Geschäft gemacht als das. Wir haben beispielsweise zwei von den Unfallbildern Andy Warhol, „Green Disaster #2 (Green Disaster Ten Times)“, 1963; „White Disaster II (White Burning Car II)“, 1963. von Andy Warhol. Wenn wir eines verkaufen würden, würde das ungefähr 80 Millionen Dollar bringen.

Das war aber damals nicht der Marktpreis?

Ja, weil wir das ganze Paket gekauft haben. Auf der Seite der Stadt Frankfurt waren Hilmar Hoffmann Hilmar Hoffmann (* 1925 Bremen) ist ein deutscher Kulturschaffender, der 1954 die Internationalen Kurzfilmtage im nordrhein-westfälischen Oberhausen gründete. Von 1970 bis 1990 hatte er das Amt des Kulturstadtrats der Stadt Frankfurt am Main inne, wo er sich für eine nachhaltige Demokratisierung des Kulturbereichs engagierte. Als Präsident leitete er zwischen 1992 und 2001 das Goethe-Institut in München. und ich verantwortlich und wir hatten einen Gutachter geholt, den Galeristen Rudolf Zwirner. Für uns. Um uns abzusichern. Hoffmann hat von bildender Kunst wenig verstanden und dann wäre das ja allein auf meinen Schultern gelandet. Also, ich wollte den Zwirner dabeihaben und dann hatten wir noch einen sehr angenehmen älteren Herrn, der das Erbe des verstorbenen Ströhers betreute. Der sozusagen bevollmächtigt war, über diese Sachen zu verhandeln.

Ströher sagte, glaube ich, einmal zu Franz Dahlem Franz Dahlem (* 1938 München) gründete 1963 gemeinsam mit Heiner und Six Friedrich die Galerie Friedrich & Dahlem in München. Als eine der ersten Galerien in Deutschland zeigten sie mit Carl Andre, Dan Flavin, Walter De Maria und Andy Warhol Positionen der US-amerikanischen Minimal und Pop-Art. Zum Jahreswechsel 1966/67 eröffnete Dahlem eine Galerie in Darmstadt und lernte dort den Sammler Karl Ströher kennen. Gemeinsam mit Heiner Friedrich vermittelte er Ströher unter anderem im Jahr 1968 die Sammlung des US-amerikanischen Versicherungsmaklers Leon Kraushar sowie 1969 den sogenannten „Block Beuys“. Dahlem gilt als enger Vertrauter und wichtiger Vermittler der Kunst von Georg Baselitz, Joseph Beuys, Uwe Lausen und Blinky Palermo. : „Du bist der geistige Eigentümer der Sammlung.“

Ja. Das stimmt ja auch. Dahlem und sein Partner Friedrich Heiner Friedrich (* 1938 Stettin, Pommern, heute Polen) gründete 1963 gemeinsam mit Franz Dahlem und seiner damaligen Ehefrau Six Friedrich die Galerie Friedrich & Dahlem in München. 1970 siedelte er mit seiner neuen Lebensgefährtin Thordis Moeller nach Köln über und betrieb dort eine zweite Galerie. Ab 1973 expandierte er in die Vereinigten Staaten und eröffnete im New Yorker Stadtteil SoHo die Heiner Friedrich Gallery Inc. Das Galerieprogramm umfasste wichtige Positionen der Minimal Art und Konzeptkunst, darunter Carl Andre, Dan Flavin, Donald Judd und Walter De Maria. Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Helen Winkler und seiner späteren Ehefrau Philippa de Menil gründete Friedrich 1974 in New York die Dia Art Foundation, die sich für die dauerhafte Setzung künstlerischer Großprojekte einsetzt. haben das alles in Amerika vorbereitet. Ich habe immer dafür plädiert, dass die Stadt Darmstadt oder das Land Hessen Karl Ströher für diese Sammlung ein Museum baut. Ich war dafür, dass das in Darmstadt bleibt. Aber der hessische Kultusminister, damals Ludwig von Friedeburg, wollte das nicht, er war dafür nicht zu haben. Ich bin einmal mit ihm in seinem Dienstwagen durch die Gegend gefahren und habe versucht, ihn umzudrehen, aber da war nichts zu machen. Der wollte die Ströhers in Darmstadt nicht unterstützen. Daraufhin ist von den Ströhers signalisiert worden, dass man jetzt von Darmstadt und dem Land Hessen genug habe, und was wohl wäre, wenn wir das kaufen würden? So ist es passiert.

Es war einer der großen Tage meines Lebens, keine Frage: Als ich morgens nach Darmstadt fuhr, waren Fermont und Hasenkamp, große Transportfirmen, da und haben die Sammlung eingeladen und auf einen Hof in Frankfurt, einen Lagerungshof von Fermont, gebracht. Ich weiß noch, dass ich abends noch mal zu dieser Lagerstelle rausgefahren bin und durch den Sicherheitszaun die Autos gesehen habe, die Lieferwagen, in denen diese Bilder waren. Das können Sie sich nicht vorstellen, was man da für ein Gefühl hat! Wir hatten ja keine Lager, kein klimatisiertes Depot. Wir hatten auch kein Haus. Gar nichts. Aber die Sammlung hatten wir. Und da war Hilmar Hoffmann dann ganz großartig. Der hat sehr geholfen. Viele haben geholfen damals, auch aus der Pinakothek in München ist mir geholfen worden mit einer Restauratorin, Susanne Willisch, die dann nach Frankfurt kam. Die Sachen müssen ja ständig kontrolliert werden. Und die Stadt Frankfurt hatte gar keinen Begriff davon.

Wo war die Sammlung zunächst gelagert?

Sie war in einem Lager in der Weißadlergasse. Das ist nahe der Katharinenkirche.

Hatte Franz Dahlem dann noch irgendetwas damit zu tun?

Nein. Wir haben das von den Ströher-Erben gekauft. Aber Dahlem, das ist auch von mir in dem Buch zur Eröffnung des Museums dargestellt worden, Vgl. Peter Iden/Rolf Lauter (Hg.), „Bilder für Frankfurt“, München 1985. hat daran, dass die Sammlung nach Europa gekommen ist, einen riesigen Anteil gehabt.

Hatten Sie mit Franz Dahlem Kontakt, als er in Darmstadt lebte?

Ja, wir hatten immer Kontakt. Jetzt nicht mehr, da er zunehmend schwieriger wurde. Aber damals habe ich Dahlem oft erlebt. Er war ja auch sozial schwierig, in seinem Verhalten sehr sprunghaft und unberechenbar. Aber gut. Das ist ja nun in der Kunstszene eher wünschenswert und kommt auch häufiger vor. Aber er war eben in seinen, jetzt muss ich sehr vorsichtig sein, in seinen Auskünften eher unzuverlässig. Mehr ausführen will ich es nicht. Er hat dieses Verdienst. Allerdings, das muss man dazu sagen, immer mit seinem Partner Heiner Friedrich. Das war nicht Dahlem alleine, Friedrich und Dahlem waren die Firma. Oder Dahlem und Friedrich. Friedrich war der rationalere Kopf. Der das alles besser in die Welt bringen konnte. Der hatte an dem Kauf, an der Transaktion, einen großen Anteil. Dem Dahlem allein hätte kein Mensch in Amerika solche Werte anvertraut. Das war ja damals auch schon wertvoll.

425.000 Dollar. Katrin Sauerländer, „Die Sammlung Kraushar“, in: Katrin Sauerländer (Hg.), „Karl Ströher – Eine Sammlergeschichte“, Frankfurt am Main 2005, S. 62–87, hier S. 67.

Wie viel?

425.000 Dollar haben sie für die ganze Kraushar-Sammlung bezahlt. Die Bürgschaft hat ja Kasper König Kasper König (* 1943 Mettingen) ist ein Kurator und Museumsdirektor. Nach einem Volontariat in der Galerie Rudolf Zwirner in Köln lebte er ab 1965 in New York. 1972 war er Kurator des „Mouse Museum“ von Claes Oldenburg auf der „documenta 5“. Von 1973 bis 1975 arbeitete er als Dozent am Nova Scotia College of Art and Design in Halifax, Kanada, und gründete 1977 gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Klaus Bußmann die Skulptur-Projekte in Münster. König war zwischen 1984 und 1988 Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Düsseldorf sowie von 1989 bis 2000 Rektor der Städelschule in Frankfurt am Main. Im Jahr 2000 wurde König zum Direktor des Museums Ludwig in Köln berufen, das er bis 2012 leitete. Neben seiner institutionellen Tätigkeit verantwortete er zahlreiche wichtige Großausstellungen, darunter „Westkunst“ (1981), „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“ (1984), die Skulptur-Projekte (1977, 1987, 1997, 2007, 2017) in Münster sowie die „Manifesta 10“ (2014) in St. Petersburg. König gilt als wichtiger Vermittler des Werks von Donald Judd, On Kawara, Claes Oldenburg, Gerhard Richter und Franz Erhard Walther. übernommen.

Was heißt das?

Sie brauchten jemanden mit einem Wohnsitz in den USA, und das hat Kasper König übernommen. Vgl. „Brief von Kasper König an W. R. Keating & Company, Inc., 5.4.1968“, in: „Kasper König. The Formative Years“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 23/24, 2014, S. 39.

Gut, wenn Sie es so erzählt bekommen haben, wird es wohl so gewesen sein. Ich kann mir das, ehrlich gesagt, ohne es wirklich besser zu wissen, aber nicht vorstellen. Denn ich habe den jungen Kasper König erlebt. Ich habe hier in meinem Haus unterm Dach ganz oben eine Mansarde mit Archiven und dort habe ich auch mein Schreibbüro gehabt. Da kam eines Tages dieser junge Kasper König in mein Haus und wollte mich treffen. König hat solche Sachen ohne Anmeldung gemacht. Der ging einfach hin. In Amerika ist das auch richtig, da funktioniert das so. Also, er stand da und sagte: „Ich bin Kasper König.“ Ich wusste nicht, wer er war. Und habe gesagt: „Was wollen Sie denn hier?“ – „Gehen wir mal wohin, wo wir reden können.“ Und dann sind wir die fünf Stockwerke hochgegangen und haben da oben gesessen. Und er hat etwas ausgepackt. Die Ruine davon habe ich oben noch. Aus so einem Paketchen hat er ein Thermometer ausgepackt, ein Außenthermometer. Ich sagte: „Was ist das?“ – „Ja, das ist ein Thermometer, wie Sie sehen, das möchte ich Ihnen zum Geschenk machen. Als mein Gastgeschenk und als meine Wette auf die Zukunft.“ „Ja“, habe ich gedacht, „das ist ein echter Spinner. Das ist noch schlimmer als alles, was ich erlebt habe.“ Ich habe aber nach Kurzem gemerkt, wie zielstrebig er war. Ich habe nie in der Kunstszene einen Menschen erlebt, der so zielstrebig war. Der hat sich hier über die Institute kundig gemacht und hat gesagt: „Na ja“ – ich erinnere mich noch an diesen Satz –, „an das Städel komme ich nicht ran.“ – „Ja, das wird schwierig. Das ist eine schwierigere Aufgabe, aber vielleicht können Sie es mal kleiner versuchen?“ Und dann ist es über Hilmar Hoffmann gelaufen, dann war König der Rektor der Städelschule und mit einem Mal der Direktor des Museums Ludwig. Das ist schon beeindruckend.

Wann war er hier mit dem Thermometer?

Das weiß ich nicht mehr genau. Hilmar Hoffmann war schon da. Muss Ende der 70er-Jahre gewesen sein. Das kann ich jetzt nicht genau sagen.

Also an die Schule ist er 1988 gekommen.

Gut. Er hat ja auch erst noch etwas gebraucht, das alles auf die Wege zu bringen. Man muss ja viele Strippen ziehen, um das hinzukriegen. Aber das hat er gut gemacht.

Wir waren bei dem Kauf der Sammlung Ströher 1981 für das MMK. Wie kann man sich das vorstellen? Da gab es Listen, davon haben Sie sich etwas ausgesucht, und dann haben Sie das mit Zwirner besprochen? Oder wie sind Sie vorgegangen?

Ja. Wir hatten eine Alternative, die einen Moment lang diskutiert wurde, nämlich nicht Teile aus der Kraushar-Sammlung zu kaufen, sondern den ganzen „Block Beuys“ Der „Block Beuys“ bezeichnet den größten noch zusammenhängenden Werkkomplex des Künstlers Joseph Beuys, der in den Jahren 1967 bis 1969 in mehreren Ankäufen von dem Sammler Karl Ströher erworben wurde und seit 1970 dauerhaft in sieben Räumen des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt präsentiert wird. Den Kern des Werkkomplexes bildet eine Anzahl von Arbeiten, die erstmals 1967 in der Ausstellung „Parallelprozeß I“ im Städtischen Museum in Mönchengladbach gezeigt wurden. In seiner heutigen Form umfasst der „Block Beuys“ sowohl Plastiken und Arbeiten auf Papier als auch zahlreiche Relikte aus Aktionen des Künstlers. Vgl. „Die Ausstellungsgeschichte des Block Beuys“, in: Eva, Jessyka und Wenzel Beuys, „Joseph Beuys. Block Beuys“, München 1990, S. 395–403. , der heute noch in Darmstadt ist.

Entweder-oder?

Ja. Mehr Geld war nicht da. Heute ist man mir in Darmstadt dafür dankbar. Ich habe gedacht, wenn man ein neues Museum macht, soll man das nicht alleine auf einen Künstler stellen. Nur auf Joseph Beuys. Und das ganze Geld dafür ausgeben. Sie müssen wissen, ich war mit Joseph Beuys sehr eng. Wir haben ja dann auch noch einen Beuys für das MMK bekommen, den „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ Joseph Beuys, „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“, 1958–1985. Das Werk wurde 1987 vom Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main erworben. .

Der war in der „Zeitgeist“-Ausstellung „Zeitgeist. Internationale Kunstausstellung Berlin 1982“, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 16. Oktober 1982 – 16. Januar 1983. und dann auch noch mal auf der „documenta 8“ Die „documenta 8“ fand unter der Leitung von Manfred Schneckenburger vom 12. Juni bis 20. September 1987 in Kassel statt. Mit Arbeiten unter anderen von Joseph Beuys, Christian Boltanski, Hans Haacke, Alfredo Jaar und Richard Serra lag der Fokus einerseits auf künstlerischen Beiträgen mit einem eindeutigen politischen Bezug, andererseits wurden Positionen vorgestellt, die sich traditionellen Stil- und Formenbegriffen fast gänzlich entledigten. ?

Ja. Und auch in Los Angeles im Museum of Contemporary Art. Es gibt vier Versionen von dem „Blitzschlag“. Eine haben wir durch Rudolf Zwirner bekommen. Der Zwirner hatte die Rechte an dem Beuys-Objekt, gemeinsam mit dem Hersteller, also der Gießerei in der Schweiz. In einer Nacht ist Zwirner gekommen, wir haben das Hilmar Hoffmann vorgeschlagen und er hat mitgemacht. Dass Frankfurt ein Hauptwerk von Joseph Beuys hat, ist wesentlich ein Verdienst von Hilmar Hoffmann.

1986 wurde das Werk angekauft. Also fünf Jahre bevor das MMK eröffnet wurde.

Und Hans Hollein Hans Hollein (1934 Wien – 2014 Wien) studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien, am Illinois Institute of Technology in Chicago und an der University of California in Berkeley. 1964 eröffnete er ein eigenes Büro in Wien. Er war in den Bereichen Architektur, Design, Ausstellungsgestaltung und Bühnenbild tätig. Hollein war Mitbegründer und 1964 bis 1970 Redakteur der Wiener Zeitschrift „Bau“. Bekannt wurde er 1965 mit dem Bau des Kerzengeschäfts Retti in Wien. Er entwarf unter anderem das Museum Abteiberg Mönchengladbach (1982) und das Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main (1991). Von 1967 bis 1976 lehrte er als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, von 1976 bis 2002 an der Universität für angewandte Kunst Wien. 1985 erhielt Hollein den Pritzker Prize für Architektur. hat extra einen Raum dafür gebaut. Der Architekt des Museums musste also bei der Innengestaltung des Hauses diese Arbeit von Beuys berücksichtigen.

Für die Werke von Gotthard Graubner wurde, glaube ich, auch eigens ein Raum geschaffen?

Ja, die Halle im Entree. Graubner hängt da heute nicht mehr und das ist mir ein Schmerz, aber das kann man nicht beeinflussen. Ich habe das Amt des Direktors nur bis zur Eröffnung wahrgenommen und dann abgegeben, weil ich es nicht mehr wollte. Ein Museum. Ich wollte nur, dass es das gibt. Den Graubner-Block Der Graubner-Block im Museum für Moderne Kunst Frankfurt umfasst folgende Arbeiten: „Hommage à Tintoretto“ (1982), „Pensieri a Veronese“ (1982), „Triptychon ‚Venezia‘“ (1982) sowie zwei Werke „Ohne Titel“ (1982). Die Bilder waren 1982 im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig ausgestellt. habe ich auf der Biennale von Venedig erworben. Die gesamte Installation.

Das war 1982?

Ja. Die habe ich in einer Absteige gekauft. Graubner wohnte damals in einer Absteige in einem kleinen Hotel in Venedig, Hungaria hieß es. Das Hotel Albergo Ausonia & Hungaria liegt in der Gran Viale Santa Maria Elisabetta in Venedig. Und da haben wir diese Verhandlung geführt. Man muss wissen, Frankfurt hat eine Regel: Man kann ohne Bewilligung des Kulturausschusses des Parlaments nur für 49.990 D-Mark – das war die damalige Summe – kaufen. Also, das musste haarscharf unter 50.000 D-Mark sein. Alles, was darüber ist, muss das Parlament beziehungsweise der Kulturausschuss diskutieren. Der Kulturausschuss hätte den Graubner nicht gekauft. Graubner wollte insgesamt 90.000 D-Mark haben. Jetzt sind das aber mehrere Teile. Natürlich hatte Graubner das als Ganzes konzipiert, aber gemeinsam mit Hoffmann haben wir es in Teile zu je 29.000 D-Mark zerlegt und es so, ohne Mühe, durchgebracht. Das war eine Sache, die kann man nur mit Kulturpolitikern machen, wie Hilmar Hoffmann einer war, eine einzigartige Figur in Deutschland. Der war bereit, seine Autorität einzusetzen. Natürlich gab es später Nachfragen. Das hat doch nie im Leben nur 30.000 D-Mark gekostet? Hilmar Hoffmann war für die Frankfurter Kulturszene und ist es ja bis heute noch als geheime Instanz hinter den Kulissen sehr einflussreich. Das Museum hat zum Beispiel einen Arman Arman (eigtl. Armand Pierre Fernandez; 1928 Nizza – 2005 New York) war ein Künstler und zählt zu den Begründern des Nouveau Réalisme. Ab Ende der 1950er-Jahre entwickelte er seine ersten „Akkumulationen“, Anhäufungen von Objekten mit gleicher Funktion, die er häufig in einem Plexiglaskasten einschloss. Internationales Ansehen erlangte Arman durch die Ausstellung „Le Plein“ (1960) in der Galerie Iris Clert in Paris. Dort füllte er die Räume mit Unrat an. Gemeinsam mit François Dufrêne, Raymond Hains, Yves Klein, Martial Raysse, Pierre Restany, Daniel Spoerri, Jean Tinguely und Jacques de la Villeglé gehörte er im Oktober desselben Jahres zu den Unterzeichnern des Manifests der Nouveaux Réalistes. Arman nahm an zahlreichen internationalen Ausstellungen teil, darunter an den documenta-Ausstellungen 3 (1964), 4 (1968) und 6 (1977) sowie der Biennale von Venedig 1968 und 1976. . Das Werk ist ein Sportwagen, den ein Werberegisseur zu Schrott gefahren hat und den Arman durch weitere Bearbeitungen zum Kunstwerk gemacht hat. Arman, „White Orchid“, 1963. Der Mann, der den Wagen zu Schrott gefahren hatte, hat ihn zunächst vom Künstler zurückgekauft, und als er finanziell in Nöten war, hat die Bank in Düsseldorf dieses Auto, also das Kunstwerk, in Zahlung genommen. Wir hörten davon – das war ein Pfingstmorgen, da hat jemand hier angerufen und hat gesagt: „Hören Sie mal, es gibt ein Schnäppchen zu machen. Eine Bank in Düsseldorf hat diesen Sportwagen von Arman, und den können Sie kaufen.“ Ich wusste, dass ich das alleine nie hinkriegen würde. Ich erzähle es nur, weil das sehr bezeichnend für Hilmar Hoffmann ist. Ich habe Hilmar angerufen und gesagt: „Du musst sofort den Frühstückstisch verlassen, wir fahren jetzt möglichst mit deinem Dienstauto in diese Bank nach Düsseldorf. Unterwegs können wir uns unterhalten.“ Finden Sie mal einen, der das in Deutschland macht. Hoffmann ist eingestiegen, wir sind nach Düsseldorf gefahren und er hatte, noch ehe wir wegfuhren, mit dem Bankdirektor über private Kontakte einen Termin ausgemacht. Es war ein Feiertag. Dann kommen wir dahin und Hoffmann sagt: „Wir wollen jetzt diesen Sportwagen.“ Der hatte keine Ahnung, was das ist, auch nicht, wer Arman ist, aber er hat mir geglaubt und er hatte ja auch recht, muss man sagen. Und dann hat der Bankdirektor gesagt: „Wir hängen da mit 400.000 D-Mark drin.“ Da sagte Hoffmann: „Wissen Sie was? Darum geht es doch gar nicht. Sie schenken uns das Objekt. Die Bank schenkt uns das.“ Da habe ich gedacht, jetzt rührt den Direktor der Schlag, das ist das Ende der Fahnenstange. Die Bank hat es aber tatsächlich der Stadt Frankfurt geschenkt. Und wir haben eine Woche später das Ding mit dem Tieflader abgeholt. Das war Hilmar Hoffmann. Das war sein Verdienst. Solche Leute braucht man, wenn man etwas bewegen will. Aber wir sind jetzt weit von Ihrem Thema abgekommen.

Zurück zu Joseph Beuys. Wo haben Sie sich kennengelernt?

Ich habe als ganz junger Mann die erste Beuys-Ausstellung in Krefeld „Zeichnungen 1946–1971“, Museum Haus Lange, Krefeld, 19. Mai – 30. Juni 1974. gesehen und darüber geschrieben. So habe ich ihn kennengelernt. Dann war er hier. Saß hier oft rum.

Was hatte er in Frankfurt zu tun?

Ich erinnere mich an ein Mal, da hatte es gar nichts mit Kunst zu tun. Beuys hatte eine Schwäche für große Autos. Besonders für große amerikanische Schlitten. Wissen Sie, diese wunderbaren Gefährte, die es heute kaum noch gibt. Und wir sind zu einem Gebrauchtwagenhändler in die Mainzer Landstraße gefahren, weil er wusste, dass ich in Amerika aufgewachsen bin und mich gut auskannte. Da hat Beuys so ein Schiff gesehen und war sofort verknallt, Geld hatte er ja. Er hat es dann gekauft. Ich habe gesagt: „Joseph, kannst du mit so einem Auto fahren?“ – „Das kann ich.“ Eine gute Stunde später hat er mich von der Autobahn kurz vor Kassel angerufen, da hatte er diesen amerikanischen Schlitten in die Leitplanken gefahren und das Auto war hinüber. Von daher rührt nämlich diese Bentley-Sache. Danach sagte er: „Der Stahl der Amerikaner hält so was nicht aus. Man muss besseren Stahl haben für die Autos.“ Und dann hat er einen Bentley gekauft. In der Annahme, dass der Stahl besser ist.

Ich bin außerdem ein Bewunderer seiner „Honigpumpe“ auf der documenta Joseph Beuys, „Honigpumpe am Arbeitsplatz“, erstmals ausgestellt auf der „documenta 6“, Kassel, 1977. gewesen. Diese Ausdauer, mit der er die Dinge vertreten hat, die er da gemacht hat. Unglaublich. Eine unglaubliche Leistung. Und dann war er auch in Frankfurt, um das Museum zu unterstützen, bei Herrn Wallmann. Es gibt wohl kaum einen Menschen auf der Welt, der von Herrn Wallmann weiter entfernt war als Joseph Beuys. Nämlich Welten. Und Wallmann hatte eine Verachtung für Leute, die zu lange Haare hatten, die sich schlecht anzogen, die sich nicht gut frisierten. Die ganzen Äußerlichkeiten eines erzkonservativen Politikers. Und damals habe ich gesagt: „Herr Wallmann, Sie müssen nun einmal Joseph Beuys empfangen. Das ist ganz wichtig für das Image. Wir müssen die Presse bestellen.“ Da hat er gesagt: „Das kommt nicht infrage. Dieser Beuys mit dem Pelzmantel in Filz, ist das auch der mit dem Hut?“ – „Ja, das ist der mit dem Hut“. – „Nein. Das gibt’s nicht. Das kann man nicht machen.“ – „Sie müssen das machen. Eine halbe Stunde, dann machen wir die Fotos und Sie unterhalten sich ein bisschen mit ihm.“ Es war ein Wintertag, Schnee auf dem Römerberg: Joseph Beuys kommt mit Hut, seiner kugelsicheren Weste und einem ganz langen Mantel. So ein russischer Mantel, bis auf die Erde. Und der Bürgermeister Walter Wallmann, Manieren hatte er natürlich, kam aus seinem Büro im Rathaus im Römer und ich stellte ihn vor: „Das ist Joseph Beuys.“ Ich habe gesehen, wie sich Wallmann, das hat er natürlich gelernt, er war ja Volkspolitiker, zusammengenommen hat, aber ein Anflug von Verachtung war nicht zu leugnen. Daraufhin hat Beuys aus seinem Mantel eine Rose hervorgeholt, hat ihm die Rose gegeben und gesagt: „Herr Oberbürgermeister, ohne eine Rose geht es nicht.“ Diesen berühmten Spruch. Und dann hat Wallmann alle Termine abgesagt und Beuys hat mit ihm drei Stunden geredet. Wenn später dem Wallmann der Mund aufging über die moderne Kunst, hat er immer gesagt: „Ja, aber Beuys ist die Ausnahme. Das ist ein ganz toller, großer Künstler.“ Er war wirklich sehr beeindruckt. Die persönliche Energie, die Beuys hatte – Energie war ja eines seiner Lieblingsthemen –, die hat das Durchsetzungsvermögen angetrieben. Er hatte ein enormes Durchsetzungsvermögen. Das fing ganz harmlos an. Das fing immer harmlos mit ihm an und dann entwickelten sich diese seltsamen Theoriegebäude, die kein Mensch mehr durchschaut hat, auch seine Gesprächspartner nicht. Wenn es öffentlich gewesen wäre, hätte man es dauernd unterbrechen müssen. Es war am Ende ein Gestrüpp von theoretischen Ansätzen, die ziemlich heterogen zusammengebracht worden waren, aber es war irgendwie eindrucksvoll. Ich glaube nicht, dass Beuys, also, man mag’s mir verzeihen, in Wahrheit ein großer Theoretiker gewesen ist. Diese ganzen Geschichten über die Abschaffung des Gelds zum Beispiel. Wir haben ihn das einmal, auf einer Sonderseite der „Frankfurter Rundschau“ zu Neujahr, darstellen lassen. Es war alles sehr weit von der Realität entfernt. Ich finde ihn beispielsweise als Zeichner noch wichtiger denn als Erfinder der Installation. Ich meine, Beuys hat damit ein Genre miterfunden, das es vorher in der Kunst nicht gab: ein szenisches Arrangement, ein stummes, theatralisches Arrangement, das aus sich heraus eine Botschaft produziert. Es gab natürlich Edward Kienholz und auch Lucio Fontana hat in Mailand schon Installationen gemacht. Aber Beuys war derjenige, der das als eine Möglichkeit des Ausdrucks, des zeitgenössischen Ausdrucks in der bildenden Kunst erfunden, behauptet und durchgesetzt hat. Heute weiß jeder Leser, was eine Installation ist.

Wo haben Sie Beuys mal öffentlich erlebt?

Immer in Kassel natürlich und oft auch in Düsseldorf. Am Drakeplatz, wo sein Atelier war.

Sie waren also auch regelmäßig in Düsseldorf?

Regelmäßig, ja. Musste man damals sein. Alfred Schmela Alfred Schmela (1918 Dinslaken – 1980 Düsseldorf) eröffnete 1957 in der Hunsrückenstraße 16–18 in Düsseldorf eine Galerie. Sein Programm umfasste wesentliche Positionen der deutschen Nachkriegskunst, darunter Joseph Beuys, Gerhard Richter sowie Künstler aus dem Umfeld der ZERO-Bewegung. war im Grunde der Beuys-Entdecker. Schmela war die wichtigste Figur da, sozusagen ein Über-Kowallek. Keinerlei theoretisches Vermögen. Null. Aber Schmela hatte den tödlichen Blick, sagt man im Fußball. Für den tödlichen Pass. Der hat immer gesagt, das einzige Kriterium, das es für ihn gebe, sei: „Et jibt jute Kunst und et jibt schlechte Kunst.“ Mehr war es nicht. Alles Bauchentscheidungen, aber zu 90 Prozent, wenn nicht mehr, richtig. So ein Typ war das. Und ganz Düsseldorf war in seinem Bann. Also die Bürgerschichten. Die Durchsetzung der Avantgarde, wie wir vorhin gesagt haben, in Deutschland, im Bürgertum, im Mittelstand und immer höher, daran hat er mächtig gearbeitet und daran hatte er großen Anteil. Diese Galeristen wie Rudolf Zwirner, Schmela, Kowallek – Kowallek hat es nie zu dem finanziellen Erfolg gebracht, den Schmela und Zwirner hatten, aber war auch so bedeutend – und dann Rudolf Springer in Berlin und Hans-Jürgen Müller in Stuttgart, das waren die großen Galeriepositionen in den ausgehenden 50er- bis Anfang der 70er-Jahre.

Etwas später, 1970, kam dann Heiner Friedrich nach Köln, Michael Werner Michael Werner (* 1939 Nauen) ist ein deutscher Galerist. 1963 eröffnete er zusammen mit Benjamin Katz eine Galerie in Berlin. 1968 zog er nach Köln und übernahm dort die Galerie Hake, die er ab Oktober 1969 unter seinem Namen weiterführte. In den 70er- und 80er-Jahren vertrat Werner vor allem die Künstler Georg Baselitz, Antonius Höckelmann, Jörg Immendorff, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A.R. Penck. Heute ist die Galerie Michael Werner auch in Berlin, London und New York vertreten. 2011 wurde Werner mit dem Preis der Art Cologne ausgezeichnet. und Rolf Ricke Rolf Ricke (* 1934 Kassel) eröffnete 1963 in Kassel die Kleine Galerie Kassel, die ab 1964 in Galerie Ursula Ricke und ab 1965 in Galerie Ricke umbenannt wurde. 1968 siedelte Ricke nach Köln über und bezog Ausstellungsräume im Galeriehaus in der Lindenstraße 18–22. Zu den bekanntesten Künstlern des Galerieprogramms gehörten Richard Artschwager, Barry Flanagan, Donald Judd, Steven Parrino, David Reed, Richard Serra und Keith Sonnier. schon 1968 …

Rolf Ricke ist sehr wichtig gewesen in Köln. Und in Kassel. Der hat ja in Kassel angefangen, der Ricke, seine erste Galerie war in Kassel. Ich habe privat ein Bild von ihm gekauft, ganz früh. Ricke war beim ersten Kölner Kunstmarkt Auf Bestreben der beiden Galeristen Hein Stünke und Rudolf Zwirner fand der erste Kölner Kunstmarkt vom 13. bis 7. September 1967 in den Räumen des Gürzenich statt. Es war die erste Messe für moderne Kunst in Europa. Die 18 beteiligten Galerien waren: Galerie Aenne Abels (Köln); Galerie Appel & Fertsch (Frankfurt am Main); Galerie Block (Berlin); Galerie Brusberg (Hannover); Galerie Gunar (Düsseldorf); Galerie Müller (Stuttgart); Galerie Neuendorf (Hamburg); Galerie Niepel (Düsseldorf); (op) art galerie (Esslingen); Galerie Ricke (Kassel); Galerie Schmela (Düsseldorf); Galerie Der Spiegel (Köln); Galerie Springer (Berlin); Galerie Stangl (München); Galerie Thomas (München); Galerie Tobiès & Silex (Köln); Galerie van de Loo (München); Galerie Rudolf Zwirner (Köln). Bis 1973 wurde die Messe jährlich ausgerichtet und ging anschließend in den Internationalen Kunstmarkt Köln über, aus dem sich 1984 die Art Cologne entwickelte. Vgl. auch „Kunstmarkt Köln ’67. Entstehung und Entwicklung der ersten Messe für moderne Kunst. 1966–1974“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 6, Köln 2003. dabei, ich habe damals ein Blatt von ihm erworben, ein Porträt Monica Vittis, der Schauspielerin, die ich verehrte.

Rolf Ricke war auch im Galeriehaus Köln Auf Bestreben der Brüder Christoph und Andreas Vowinckel wurde das Galeriehaus Köln 1968 in der Lindenstraße 18–22 eröffnet. Zur ersten Generation der dort ansässigen Galerien gehören: Galerie Heiner Friedrich, Galerie Hans-Jürgen Müller, Galerie Neuendorf, Onnasch Galerie, Galerie Ricke, Galerie M. E. Thelen und Galerie Wilbrand. Vgl. Brigitte Jacobs van Renswou, „Porträt Galeriehaus Köln, Lindenstraße 18–22“, in: „Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels e. V.“, unter: http://www.artcontent.de/zadik/default.aspx?s=1061 (eingesehen am 14.06.2016). in der Lindenstraße.

Ja. Und Ricke war das jüngste Gründungsmitglied des Kölner Kunstmarkts. Das waren anfangs nur 18 Galerien. Eine davon war die von Kowallek. Und dann waren natürlich die großen dabei, Springer, die ich erwähnt habe, Schmela und so weiter. Ricke war der Jüngste und war ein Außenseiter. Aber sehr angesehen in den Kreisen der Avantgarde und der jüngeren Künstler. Da hat er sehr viel getan. Er hatte eine Nischenposition, aber interessant. Ich habe damals auf dem Kunstmarkt in Köln den ersten Katalog gemacht. Einen Leitartikel für die erste Ausgabe der Werbeschrift des ersten Kunstmarkts in Köln. Vgl. Peter Iden, „Kunstmarkt ’67“, in: „„sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 6, Köln 2003, auf der beiliegenden CD-Rom unter „1967/Publikationen/Informationsbroschüre“. Einen Text, den ich so heute nicht mehr schreiben würde, aber gut. Und ich habe damals den Ricke kennengelernt und dieses Blatt von ihm gekauft. Klar, er ist keine der Hauptfiguren gewesen. Die Hauptfiguren haben wir genannt. Das waren die großen Galeristen in Berlin, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf und die schönste – wenn ich das sagen darf, das ist nicht antifeministisch –, die schönste Galeristin Deutschlands war Helga Rottloff Helgard Müller-Jensen (geb. Helgard Rottloff; * 1939 Eisenach) eröffnete 1961 die Galerie Rottloff in Karlsruhe. Sie zeigte Arbeiten von Arnulf Rainer, Gerhard Richter sowie von Künstlern aus dem Umfeld der ZERO-Bewegung. in Karlsruhe. Die war für diese ganze süddeutsche Schule verantwortlich und hat eine exzellente Galeriearbeit gemacht. War unnahbar, aber von einer unglaublichen Schönheit, für die man besonders gern nach Karlsruhe gefahren ist. Sie hat, das war seinerzeit kühn, Lothar Quinte vertreten sowie Markus Prachensky, Herbert Zangs, Arnulf Rainer und Gerhard Richter.

Es heißt immer, in der Kunstszene damals hätte es wenig Konkurrenz gegeben, weil ohnehin kaum etwas verkauft wurde. Auf dem zweiten Kölner Kunstmarkt verkaufte René Block „Das Rudel“ von Joseph Beuys für über 100.000 D-Mark. Auf dem dritten Kölner Kunstmarkt, der vom 14. bis 19. Oktober 1969 in der Kunsthalle Köln stattfand, verkaufte René Block die Arbeit „The Pack (das Rudel)“ (1969) von Joseph Beuys für 110.000 D-Mark. Damit war Joseph Beuys der erste lebende deutsche Künstler, dessen Werk einen Preis im sechsstelligen Bereich erzielte. Vgl. Stella Baum, „Die frühen Jahre – Gespräche mit Galeristen“, Interview mit René Block, in: „Kunstforum International“,Bd. 104, 1989, S. 254–264, hier S. 260. Wann, würden Sie sagen, veränderte sich die Situation? Ab wann bildete sich ein Markt? Zwirner beispielsweise sagt selbst, er sei eher ein Kunsthändler gewesen als ein Galerist.

Zwirner habe ich persönlich viel zu verdanken, wie man alles diesen wenigen Galeristen zu verdanken hatte, was man über die Moderne lernte. Das ging nur über das Sehen und dazu musste es jemand herbringen. Das haben Leute wie Zwirner oder Hans-Jürgen Müller in Stuttgart gemacht. Da habe ich meinen ersten Cy Twombly oder Morris Louis gesehen. Das waren unglaubliche Leistungen von den Leuten damals, die hatten ja alle wenig Geld. Sie haben an diese Tradition des Kunsthandels, den es ja in den 20er-Jahren in Berlin auch schon gab, angeknüpft. Wissen Sie, ich glaube, am Ende ist es der Wohlstand, der eine Rolle spielt. Sie müssen ja Kunst kaufen wollen. Egal, ob Sie jetzt privat kaufen oder ob Sie eine große Firma haben, eine Stiftung veranlassen und es mit deren Hilfe kaufen. Es ist eine Frage der Mittel. Der finanziellen Mittel. Markt hat mit Geld zu tun. Und die Gesellschaft hat in den Jahren, von denen wir reden, plötzlich andere Perspektiven gehabt, Wohlstandsperspektiven. Das hat Leute veranlasst zu denken, ein Bild kann auch wie eine Aktie sein. Also noch nicht so extrem wie heute, aber es kann ein Wert sein und es lohnt sich. Es wird auf jeden Fall seinen Wert behalten, wenn nicht sogar steigern. Das, glaube ich, ist ein wesentlicher Punkt.

Und wann war das ungefähr?

Das setzte mit den ersten Kunstmärkten ein. Ganz klar. Man ging ja auf einen Kunstmarkt, nicht auf den ersten, aber danach, und konnte, auch als Journalist oder Kritiker, die Galeristen fragen, was kostet das? Die hatten Preislisten. Und da hat man gesehen, wie die Kurve für bestimmte Künstler langsam anstieg. Aber wichtiger ist, welches Maß an Leidenschaft die Vermittler entwickeln: Ich habe das einmal erlebt, sehr spät abends in Köln habe ich noch ein Gespräch mit Zwirner gehabt, allein. Da war die Galerie schon zu und an der Wand hing ein Rauschenberg Robert Rauschenberg (1925 Port Arthur, Texas – 2008 Captiva Island, Florida) war ein US-amerikanischer Künstler, der als ein Wegbereiter der Pop-Art gilt. Zu seinen bekanntesten Arbeiten gehören „Erased de Kooning Drawing“ (1953) und die Serie der „Combine Paintings“. Rauschenberg arbeitete häufig mit anderen Künstlern wie Jasper Johns, dem Choreografen Merce Cunningham oder dem Komponisten John Cage zusammen. Er nahm an der documenta 2 (1959), 3 (1964), 4 (1968) und 6 (1977) teil. . Ein großes Format. Den hatte er aus Amerika kommen lassen. Er hat eine halbe Stunde monologisiert und mir diesen Rauschenberg erklärt. Was das Bild an Welt enthielt. Das habe ich niemals vergessen. Das konnten Menschen wie Zwirner. Das kann Herr Gagosian nicht. Ich kann das sagen, weil ich ihn auch erlebt habe. Er kann es nicht. Das sind Leute, die sagen es eher wie Schmela, obwohl das natürlich anders paraphrasiert wird: „Es ist ein tolles Bild“, viel mehr ist da nicht zu holen.

Obwohl die Künstler und auch die Galeristen heute sagen, dass die Galeristen damals genauso wenig wie heute die Künstler entdeckten. Die Künstler gab es einfach. Es gab damals nicht mehr gute Künstler oder weniger gute Künstler als heute oder Galeristen, die die Künstler besser entdeckt hätten, sondern es gab einfach Künstler wie Joseph Beuys und es gab Künstler wie Walter De Maria Walter De Maria (1935 Albany, Kalifornien – 2013 Los Angeles) war ein US-amerikanischer Künstler, der zu den wichtigsten Vertretern der Land-Art zählt. Zu seinen bekanntesten Installationen gehören die Arbeiten „Mile Long Drawing“ (Mojave-Wüste, 1968) und „The Lightning Field“ (Catron County, New Mexico, 1977). Ab 1968 stellte De Maria regelmäßig in der Galerie Heiner Friedrich in München, Köln und New York aus.

Aber niemand in Deutschland hat zu der Zeit, als ich dieses Gespräch mit Zwirner führte, gewusst, wer Robert Rauschenberg war. Er aber wusste es. Und er konnte auch erklären, warum er bedeutend ist. Das heißt letzten Endes die gesellschaftliche Wirkung erfassen. Ich glaube es ist sehr wichtig, dass wir nicht vergessen, dass Kunst ein Publikum braucht, dass Bilder von jemandem nicht nur gemalt werden, weil er nicht anders kann, weil er das machen muss, ohne Blick auf irgendetwas Bestimmtes, sondern auch, weil der Wind der Zeit durch ihn durchgeht, und dass damit auch die Bilder etwas mit der Gesellschaft zu tun haben. Es geht nicht darum, Menschen in Blockbuster-Ausstellungen zu holen, die denken, man muss das gemacht haben. Sondern wir müssen den Kunstbegriff – und da sind eben die Galeristen sehr, sehr wichtig – wieder dahin bringen, dass Leute sagen: „Das ist ein junger Künstler in einer unbekannten Galerie, das finde ich ganz großartig und das möchte ich gerne haben. Können wir darüber reden, wie das geht?“ So. Das ist sinnvoll.

Sehen Sie einen Wendepunkt, an dem sich die deutsche Kunst internationalisierte?

Die deutsche Kunst hatte ihren internationalen Durchbruch 1979 mit der Ausstellung von Joseph Beuys im Guggenheim New York. „Joseph Beuys“, The Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 02. November 1979 – 02. Januar 1980. Das ist zweifellos das erste Mal in der Geschichte, dass das Guggenheim einem deutschen Künstler eine große Ausstellung widmete. Das war der Durchbruch, das wird auch Kiefer so sehen, das hat den Bann gebrochen für die Deutschen in Amerika.

Waren Sie dort?

Ja. Und ich war auch mit Beuys zusammen in seiner Suite, wo Beuys eine Entdeckung gemacht hat. Er hat gesagt: „Du musst zu mir zum Frühstück kommen, da gibt es etwas, das hast du noch nie gesehen.“ Er hatte eine Suite im Waldorf Astoria, ein großes Hotel, und oben waren seine Kinder, seine Frau und jede Menge Anhang. Die Attraktion, auf die er mich meinte hinweisen zu müssen: Es gibt in Amerika so eine aus Gewebe gebildete, aber durchlässige Hülle für Zitronen. Jetzt tun Sie eine aufgeschnittene Zitrone da rein und dann können Sie die durch die Hülle zusammendrücken, der Saft kommt unten raus und der Rest bleibt drin. Keine besondere Sache. Ich hatte das auch schon gesehen, der Beuys nicht. Er hat gesagt: „Ist das nicht unglaublich? Guck dir das mal an. Und bringen Sie noch Zitronen.“ Und er hat diese Zitronen gepresst. Das war rührend. Es war ein großer und schöner Tag und es war ein großer Erfolg. Die Amerikaner, die Presse, die ja in Manhattan mit Fachblättern vertreten war, haben gesagt: „Wir verstehen es nicht, aber es ist großartig und mystisch.“

Ich habe mit Laszlo Glozer neulich auch darüber gesprochen, er war damals ebenfalls in New York zu der Eröffnung im Guggenheim. Mein Eindruck war, dass gerade die amerikanische Presse eher negativ war?

Das würde ich so nicht sehen. Ich hab ja gesagt, es gab die Fachpresse. Diese Off-Blätter waren damals sehr wichtig in Manhattan, die „Village Voice“ zum Beispiel, die hatte eine hohe Auflage. Und die hatten ganz andere Positionen, ganz andere Kritiker, auch jüngere, die das ganz anders gesehen haben als die großen Blätter. Die haben schon geahnt, dass das mit dem Beuys ein Ereignis ist. Aber klar, wenn die „New York Times“ auch gejubelt hätte, dann wäre das ein Zeichen dafür gewesen, dass die Avantgardequalität von Beuys nicht funktioniert hätte, es sollte ja auch Widerspruch geleistet werden. Insofern war Beuys sehr glücklich. Was heißt in dem Zusammenhang Erfolg? Das ist schwierig. Heute wird der Erfolg daran gemessen, dass jemand eine Einzelausstellung da und dort in einem großen Museum hat, was bedeutet, dass der Preis hochgeht. Das ist der Erfolgsmesser. Ich glaube, dass Beuys eine starke Wirkung hatte. Beuys konnte Leute mit seinen wenn auch oft merkwürdigen Gedanken über die Genese und die Bedeutung seiner Objekte beeindrucken. Und es war auch für die Amerikaner schwierig: Diese „Filzecken“ sind nicht jedermanns Sache, da muss man ja mal ehrlich sein.

Mich interessiert auch sein Auftreten dort. Er kam mit seinem Gefolge, im Pelzmantel, in großen Autos vorgefahren und stellte das Haus auch mit seinen riesigen Installationen vor einige Herausforderungen. Dieser deutsche Künstler hat sehr viel Aufwand gemacht und es scheint eine große Rolle gespielt zu haben, dass er deutsch war. Offenbar hat er selbst bei den Amerikanern die Spitze des Eisbergs erklommen, es muss also heftig gewesen sein. Vgl. Hans-Peter Riegel, „Beuys. Die Biographie“, Berlin 2013, S. 467 f.

Na, das war’s ja wohl auch.

Meinen Sie, man würde eine solche Ausstellung heute nicht mehr machen?

Ja.

Auch nicht retrospektiv?

Das ist etwas anderes. Aber diese Ausstellung, die er damals gemacht hat, die würde man heute nicht mehr machen. Nicht weil sie überholt ist, sondern weil sie sozusagen überholt worden ist durch einen ganz anderen Geist. Sehen Sie doch, was die großen Museen in Deutschland machen. Ich habe selber daran Vergnügen und auch Vorteile davon. Das Frankfurter Städel zeigt jetzt die „Helden“-Bilder von Baselitz. „Georg Baselitz. Die Helden“, Städel Museum, Frankfurt am Main, 30. Juni – 23. Oktober 2016. Das ist, ohne Frage, diejenige Phase in dem Werk von Baselitz, die am leichtesten zugänglich ist. Das können Sie gut erklären. Baselitz kommt aus dem Osten, alles kaputt, alles „im Eimer“. Und dann malt er Leute, die nun skeptisch in der Landschaft herumstehen und hier auch nichts Besseres finden als dort. Das kann man leicht erklären, das versteht jeder. Das ist gut. Das ist, was die Kommunikationsfähigkeit betrifft, seine stärkste Phase.

Mir ist durch dieses Projekt noch mal klar geworden, dass in dieser Zeit nicht nur Richter, Penck und Baselitz aus dem Osten kamen, was ja bekannt ist, sondern auch Uecker, Graubner, Polke, Klaus Staeck und so weiter. Alles Künstler, die im Westen sehr erfolgreich geworden sind.

Ja und womit hat das zu tun? Ihrer Meinung nach? Weil Widerstand immer produktiv ist.

Wahrscheinlich. Das sind die Leute, die einen Widerstand haben. Und das sind natürlich auch diejenigen, die querdenken und sich äußern, durch die Kunst.

Ja, so ist es. Auch die gesellschaftliche Abwehr. Also, ich glaube, Kunst hat mindestens ein starkes Element von Widerstand. Dieser Widerstand wird auf ganz verschiedene Art und Weise artikuliert. Das muss nicht direkt politisch sein. Es ist ja auch eine gesellschaftspolitische Behauptung, wenn man sagt, die Poesie spielt eine Rolle im Leben. Das sind Widerstände, die man damit zu behaupten versucht. Und das ist sehr wichtig für Kunst. Das war der große Vorteil für diese Ostkünstler, dass sie Gegner hatten. Was ist denn aber heute Widerstand, da alles geht? Der Kulturbetrieb läuft. Im Theater können Sie es wunderbar sehen. Jede noch so schmale Begabung bekommt Raum. Kunstpreise, es gibt 1.400 Kunstpreise im Jahr, auch junge Künstler gehen nicht unter, Gott sei Dank. Das ist gut so. Aber wahrscheinlich bilden wir an den Akademien viel zu viele Leute aus. Jedes Jahr wollen 600 Leute hier an der Hochschule für Musik Schauspieler werden.

Für wie viele junge Leute, die ihr Leben auf so etwas gründen wollen, gibt es wirklich Chancen? Viele werden ausgebildet und dann sieht man die gescheiterten Lebensläufe. Wenn ich jemanden an der Kunstakademie oder an der Theaterschule aufnehme, dann hat man eine Verantwortung dafür, was aus dem Leben wird. Jetzt muss man genau schauen. Diese Leute sind ja meistens alle sympathisch. Aber man muss sehen, ob man wirklich sagen kann, ich traue dir das zu, dass du eine Künstlerin wirst, ein Künstler wirst, eine Schauspielerin, ein Regisseur und so weiter. Wenn man das tut, weil die Person sympathisch ist, ist das Risiko hoch, dass Sie später in einem Café sitzen und da kommt, wie ich das leider zweimal erlebt habe, eine junge Frau, die bedient und sagt: „Kennen Sie mich denn nicht mehr, ich habe bei Ihnen studiert.“ Da ist der Tag verdorben. Das können Sie vielleicht nachvollziehen? Man sieht den Fehler, den man gemacht hat, als man sie aufgenommen hat, an einer Akademie, in dem Fall einer Schauspielschule. Das kann jetzt immer passieren, it’s all in the game. Da kann man nichts machen. Ist natürlich auch ihr Risiko. Das Risiko dieses Mädchens. Sie muss es ja auch tragen. Aber man muss auch selber, die Lehrer müssen auch eine Verantwortung mitübernehmen. Ob das geht? Sehr schwer vorauszusagen.

Das bringt mich zu den Malern der 80er-Jahre. Die ja teilweise gar nicht studiert haben.

Ja. Jetzt machen sie gar nichts mehr.

Sie haben sie „hochgemute Nichtskönner“ Vgl. Peter Iden, „Die hochgemuten Nichtskönner“, in: „Das Kunstwerk. Zeitschrift für bildende Kunst“, 1981, Nr. 6, S. 3–33. genannt, glaube ich?

Ja, die Künstler der Wilden Malerei Die nachwachsende Künstlergeneration entdeckte in den 1970er-Jahre die figurative Malerei als Ausdrucksmittel von Spontaneität, Dynamik und Dilettantismus in Abgrenzung zum akademischen Stil. Aufgrund ihres expressiven Malstils werden die Vertreter häufig unter dem Begriff der „Jungen Wilden“ zusammengefasst. Gemeint sind damit in der Regel die Künstler der Ateliergemeinschaft Mülheimer Freiheit, namentlich Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Gerard Kever und Gerhard Naschberger, die ab 1979 in Köln-Deutz arbeiteten sowie die Künstler der Galerie am Moritzplatz, die seit 1977 bestand. Dazu gehörten Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer. Zu den Vertretern der figurativen Malerei der 80er-Jahre werden weiterhin gezählt: Elvira Bach, Ina Barfuss, Werner Büttner, Georg Herold, Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Volker Tannert und Thomas Wachweger. Vgl. „Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“, hg. von Martin Engler, Ausst.-Kat. Städel Museum, Frankfurt am Main, Ostfildern 2015. .

Sie haben sich über die Malerei der 80er-Jahre nicht nur kritisch geäußert, Sie haben damals für die Sammlung des MMK auch nichts gekauft. Wie haben Sie Ende der 70er-Jahre das Aufkommen der sogenannten „neuen figurativen Malerei“ erlebt?

Der Wilden Malerei? Da kann ich nicht viel dazu sagen. Ich war demgegenüber skeptisch aus verschiedenen Gründen, abhängig von verschiedenen Künstlern. Das ist mir, wenn Sie so wollen, malerisch oft zu dürftig gewesen. Und dann war es mir im Gestus zu hochfahrend. Von den Motiven auch zum Teil so, dass ich mich da nicht hineinfinden konnte. Ein enger Freund und Mentor in gewisser Hinsicht, Heinrich Klotz, hat ja genau den Gegenkurs genommen. Wir haben lange Streitgespräche darüber geführt. Der hat die gekauft. Privat. Und ich fand das nicht richtig. Ich bin jetzt, nach seinem Tod, für die Witwe unterwegs und versuche, diese Erwerbungen zu verkaufen. Und die Witwe hat schwer damit zu tun, dass die Preisvorstellungen der potenziellen Käufer keineswegs die sind, die sie hatte, und dass die Bilder oft teurer eingekauft worden sind als sie heute weggehen. Das ist jetzt nur ein Marktproblem und auch nicht entscheidend. Ich würde mal sagen, diese Malerei hat sich nicht durchgesetzt, so wie das kluge Leute, sehr kluge Leute wie Heinrich Klotz gedacht haben. Jetzt machen Sie eine Ausstellung, die diese Malerei wiederentdeckt oder wieder erweckt, das kann durchaus sein, weil wir jetzt alle Epochen Zug um Zug wieder erwecken, da gibt es gar kein Halten mehr.

Es stellt sich die Frage, ob es nicht auch ein Phänomen von Zeit ist, ob man nicht schon immer auch mit einem gewissen zeitlichen Abstand Dinge wiederentdeckt hat? Das gilt ja gleichermaßen für die Mode oder das Design, das ist eine Aneignung der Vergangenheit. Das würde auch der Theorie von Kiefer entsprechen, der sagt, wir haben dieses Dinosauriergedächtnis und das ist sowieso immer alles da und vorhanden und selbstverständlich kommt es dann auch immer wieder irgendwo an die Oberfläche.

Gut argumentiert.

Bei der 80er-Jahre-Malerei aber geht es ja nicht nur darum, gefällt einem das oder gefällt einem das nicht. Da liegt auch der Vorwurf in der Luft, dass damals tatsächlich eine Marktblase geschaffen wurde und dass zum Teil die Galeristen die Künstler gemacht haben und nicht umgekehrt.

Ja. So ist es.

Das ist vielleicht ein Grund, warum sie es heute nicht verkaufen können.

Das ist ein Grund gewesen, ja.

Es gab die Kritik an der dilettantischen Malerei, aber was zum Beispiel sehr wenig öffentlich kritisiert wurde ist, dass die Galeristen – und dazu gehörte in Köln zum Beispiel Paul Maenz Paul Maenz (* 1939 Gelsenkirchen) eröffnete 1971 eine Galerie in Köln. Das Programm umfasste Positionen der Minimal Art und Konzeptkunst, darunter Hans Haacke und Joseph Kosuth, sowie Künstler der Mülheimer Freiheit und der Transavanguardia. In den 1980er-Jahren zeigte Maenz als erste Galerie in Deutschland Arbeiten von Keith Haring (1984) und Jeff Koons (1987). – angeblich das Atelier für die Künstler gesucht, bezahlt und sie mit Farbe und Leinwand versorgt haben. Dass andere, wie zum Beispiel Bruno Bischofberger, Bruno Bischofberger (* 1940 Appenzell) ist ein Schweizer Kunsthändler und Sammler. 1963 eröffnete er in Zürich seine erste Galerie. Seine Sammlung umfasst hauptsächlich Werke der amerikanischen Pop-Art und der figurativen Malerei der 1980er-Jahre. Vertreten sind unter anderen Miquel Barceló, Jean-Michel Basquiat, Francesco Clemente, Jiří Georg Dokoupil, Rainer Fetting, David Salle, Salomé, Julian Schnabel und Andy Warhol. damals die Ateliers leer gekauft haben.

Maenz hat da eine Rolle gespielt. Maenz ist schon kritisiert worden. Er war ein Hauptbeweger dieser Richtung. Was kann man da machen? Man kann dieses Phänomen beschreiben, aber man muss ja sagen, schlussendlich geht es um die Leute, die das gemalt haben. Und es geht um die Malerei. Heute kann man sagen, das war ein Boom, weil die Galeristen daran verdient haben.

Eine Kritik an der Sammlung, die Sie damals für das MMK zusammengestellt haben, bevor das Museum eröffnet wurde, war, sie sei einerseits zu lokal, andererseits fehlten Positionen wie Baselitz, Lüpertz, Penck, Kiefer. Vgl. Rolf Dittmar, „Schilda am Main oder der aktualisierte Goethe“, in: „Kunstforum International“, Bd. 79, 1985, S. 295–304, hier S. 298 f.

Stellen Sie sich mal die Situation vor: Sie haben gar nichts. Gar nichts. Sie kennen ein paar Leute in der Welt und was machen Sie jetzt? Einen strategischen Plan, was man kaufen will und in so einer Sammlung haben will, macht man natürlich. Deswegen haben wir die Kraushar-Sammlung gekauft, um eine Basis zu haben. Und dann hat man versucht, habe ich versucht, die Sammlung um einige zeitgenössische Positionen zu erweitern. Also Robert Mangold zum Beispiel habe ich gekauft und auch einige andere Werke. Alles, das stimmt, in Amerika. Aber auf der anderen Seite habe ich versucht, einige lokale Künstler zu integrieren. Die sind nachher, das hat dann jemand anderer entschieden, nicht so ausgestellt worden, wie ich mir das gedacht hatte. Zum Beispiel Thomas Bayrle. Wir haben ja auch Werke Bayrles gekauft oder Skulpturen eines Bildhauers wie Eberhard Fiebig. Das Museum hat von ihm ein Hauptwerk, aber es hat den Gefallen der folgenden Direktionen nicht gefunden. Das ist in Ordnung. Es war der Versuch, einerseits die amerikanische Sache zu erweitern und andererseits bestimmte deutsche Positionen, eben auch Richter, aufzubauen. Wenn Sie gar nichts haben, ist es sehr schwer, denn natürlich sitzen Ihnen die Leute mit dem Geld im Kreuz.

Das verstehe ich. Vielleicht habe ich schlecht recherchiert, aber mir ist aufgefallen, dass Sie sehr viele Rezensionen über Gerhard Richter verfasst haben, und es scheint, dass Sie mit dem Werk sehr vertraut sind. In den letzten Jahren haben Sie mehrfach über Anselm Kiefer geschrieben. Markus Lüpertz dagegen – damit sind Sie nicht allein auf weiter Flur, es gibt viele, die sich mit dem Werk von Lüpertz schwertun –, diese Gruppe um Michael Werner, also Immendorff, Penck, Lüpertz, Baselitz, Polke, die kommt bei Ihnen nicht vor.

Damals hab ich mich nicht für Lüpertz interessiert. Mittlerweile habe ich einen „Orpheus“ aus der „Orpheus und Eurydike“-Serie für mich privat erworben. Jetzt, da ich nicht mehr für Frankfurt arbeite, darf ich das ja wieder. Aber für das Museum, da haben Sie recht, habe ich das nicht gekauft. Sie werden ja auch etwas von mir gelesen haben, über die Kämpfe, die da stattgefunden haben. Ich meine, nach dem Ankauf von dem Beuys hat die „F.A.Z.“ eine Beilage gemacht, um die Leserbriefe zu bewältigen. Die Leute haben gefordert, als wäre man im Mittelalter, die Stadt solle mich ausweisen. Das hat alles Eduard Beaucamp Eduard Beaucamp (* 1937 Aachen) ist ein deutscher Kunsthistoriker, der ab 1966 als Redakteur und Kunstkritiker bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ tätig war. Seit den 1970er-Jahren gilt Beaucamp als Verfechter der DDR-Kunst, insbesondere der figurativen Malerei der sogenannten „Leipziger Schule“, zu der die Künstler Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke gehören. betrieben. Diese ganze Sammlung ist unter den schwersten Vorbehalten der Frankfurter entstanden. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat dabei eine wichtige Rolle gespielt, muss man zugeben. Die wollten das nicht. Da hat nachts um zwei Uhr der Polizeibeamte angerufen, dem das merkwürdige dreieckige Grundstück gehörte, das für den Bau vorgesehen war, und gesagt: „Hören Sie mal, was soll ich denn machen, die ‚F.A.Z.‘ bedrängt mich, auf keinen Fall zu verkaufen, und Sie wollen doch da ein Museum bauen. Wie soll denn das jetzt gehen? Was mach ich armer Teufel? Ich komme hier in sonst was für eine Küche.“ Da war Heinrich Klotz übrigens sehr hilfreich, er ist zu ihm gegangen und hat gesagt: „Gucken Sie mal, ich bin ein renommierter Kunsthistoriker, Professor in Marburg und ich sage Ihnen, Sie müssen das verkaufen, die Stadt wird da etwas machen.“ Solche Dinge. Wenn Sie das im Kreuz haben … Bei jedem Schritt, den Sie gemacht haben, hieß es: Spesen! Der gibt das Geld des Frankfurter Steuerzahlers in Amerika aus und solche Sachen. Das war sehr unangenehm. Vor allen Dingen für meine Familie.

War das auch der Grund, warum Sie es dann nicht weitermachen wollten?

Der Kampf hat zehn Jahre gedauert. Ohne meine Frau hätte ich es nicht durchgehalten. Sie hat immer gesagt: „Wir machen es noch ein Jahr und dann machen wir es noch ein Jahr.“ Ich hätte längst aufgegeben. Wenn ich heute auf Flughäfen komme, denke ich, hier hat sie mich angerufen und mir vorgelesen: „Damit du es vorher schon weißt, was die ‚F.A.Z.‘ wieder über dich mitzuteilen hat.“ Mein Großvater, ein von Grund auf ehrlicher Mann, vollständig integer, ein sehr alter Mann, der aber seinen Betrieb noch hatte, hat gesagt, wenn er gelesen hat, was über mich geschrieben wurde: „Weißt du was? Wir bauen dir das. Wenn die das nicht wollen, wir bauen dir das.“ Ich habe gesagt: „Ja, das fehlt noch. So weit ist es noch nicht.“ Wir sind froh, dass wir es dann geschafft haben. Und es läuft. Das ist ein unvergleichliches Gefühl, egal was die jetzt machen. Die Wette auf die Zukunft dieses Hauses war richtig. Das ist ein schönes Gefühl. Wenn Sie das am Ende Ihres Projekts haben, geht es Ihnen gut. Und seit Kurzem ist der Verlag der „F.A.Z.“ ein Medienpartner des Museums. Welch ein Vergnügen für mich. Wie es aller Achtung wert ist, dass Beaucamp sich schließlich öffentlich entschuldigt hat für seine Attacken so vieler Jahre.

Und als Jean-Christophe Ammann Jean-Christophe Ammann (1939 Berlin – 2015 Frankfurt am Main) war ein Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher. Er war Direktor des Kunstmuseums Luzern (1968–1977), der Kunsthalle Basel (1978–1988) sowie des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (1989–2001). 1972 war Ammann als Mitarbeiter Harald Szeemanns an der „documenta 5“ beteiligt, 1995 war er kommissarischer Leiter des Deutschen Pavillons auf der „46. Biennale von Venedig“. Ab 1998 lehrte Ammann als Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. kam, haben Sie ihm das alles übergeben?

Wir haben ihn ja geholt. Hans Hollein und ich haben ihn in Basel dafür gewinnen können, das zu machen. Und wenn man etwas aufgibt, muss man es auch ziehen lassen. Da können Sie nicht mehr reinreden. Ich habe mich nur einmal mit Ammann unterhalten, warum man nicht den Graubner in der Halle großzügig ausstellt. Das war ich dem Künstler schuldig. Sonst muss man die Finger davon lassen, denn neue Leute müssen tun, was sie für richtig halten, das ist in Ordnung. Ich wollte das so und es ist gut.

Sie haben gerade von Ihrer Frau gesprochen. Ab Mitte der 60er-Jahre wird die Rolle der Frau in der Familie und in der Gesellschaft zunehmend hinterfragt. Wie zeigte sich das in Ihrem Alltag und was hieß das für die Rolle des Mannes?

Ich war immer mit Frauen zusammen, die eine nachdrückliche Präsenz hatten. Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, irgendwelche Rechte einzuschränken. Man musste eher seine eigenen Rechte dagegen behaupten. Das ist für mich nie ein Problem gewesen. Als ich an der Organisation der Ausstellung „Sechzig Jahre. Sechzig Werke“ „Sechzig Jahre. Sechzig Werke. Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland von ’49 bis ’09“, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 01. Mai – 14. Juni 2009. im Gropius-Bau in Berlin über die Kunst der 60er-Jahre beteiligt war, hieß es, da seien aber zu wenig Frauen präsent. Ich bin nicht der Meinung, dass man das so proportionsmäßig ausrechnen sollte, das finde ich nicht richtig. Ich finde, dass es in der Malerei der Gegenwart bedeutende Frauen gibt. Gerade gibt es in Köln die Ausstellung von Joan Mitchell, in Düsseldorf Agnes Martin. Zwei wunderbare Ausstellungen. Oder nehmen Sie Helen Frankenthaler, Louise Bourgeois. Das sind wunderbare Künstlerinnen. Es geht nicht um ein proportionales Gleichgewicht. Ich weiß auch nicht, ob es wirklich eine Frauenkunst gibt. Ich glaube, es gibt Frauen, die großartige Künstlerinnen sind, ob man dann nachweisen muss, wo da die weibliche Komponente ist, weiß ich nicht. Diese Frage ist eine Sache, die hat mit dem eigenen Leben zu tun. Und ich war in meinem Leben, Gott sei Dank, von meiner Mutter an über meine amerikanischen Zieheltern bis zu meinen drei Ehen immer mit Frauen zusammen, die stark waren und die nie den Verdacht haben aufkommen lassen, man müsste sie irgendwie gesondert fördern. Man musste eher darauf achten, dass man nicht unterging. Das kann Ihnen Bazon Brock bestätigen, der ja eine Zeit lang in meinem Haushalt gelebt hat, weil er in Frankfurt nichts hatte. Also, das war für mich kein Thema. Ich bin gegen jede Diskriminierung von Frauen und von Minderheiten überhaupt.

Sie waren bisweilen sehr nah an der Politik und an der Öffentlichkeit dran. War diese Bewegung der Emanzipation in den 60er-Jahren dort spürbar? War das ein Thema?

Das wird man sicher gespürt haben. Nun war ich jahrzehntelang in der Redaktion der „Frankfurter Rundschau“, wo das kein Thema war. Die hatten und haben noch immer Frauen, die sind stärker als viele der leitenden Männer dort. Es war nie eine Frage, wie man mit ihnen zusammengearbeitet hat. Das hat alles funktioniert. Wir hatten das Gefühl, ich denke auch die Frauen, so müsste es gehen. Natürlich kann man immer sagen, in leitenden Positionen gab es zu wenige Frauen. Das ist wohl richtig. Es ist ja auch jetzt noch so. Und dagegen muss man angehen. Vor allem, weil es um Gerechtigkeit geht.

Zurück zum Anfang
Peter Iden