Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

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1970-79

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„Und dann habe ich mich auf die Gender-Ambitionen eingelassen: Anima und Animus.“

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Ich habe in Konstanz studiert. Dort lernte ich Ingvild Otto kennen, die heute als Ingvild Goetz Ingvild Goetz (geb. Ingvild Otto; * 1941 Kulm, Westpreußen, heute Polen) ist eine Galeristin und Kunstsammlerin. 1969 gründete sie den Grafikverlag edition art in progress in Konstanz. Ab 1973 führte sie die Galerie art in progress, die in Zürich eröffnet wurde, sich dann bis 1975 in München befand und anschließend bis zur Schließung 1984 in Düsseldorf betrieben wurde. Ingvild Goetz baute eine umfangreiche Sammlung zeitgenössischer Kunst auf. Darin sind Positionen der Arte povera, der Young British Artists und der konzeptuellen Fotografie vertreten. Seit 1993 werden die Sammlungsbestände in einem neu errichteten Museumsgebäude im Münchener Stadtteil Oberföhring präsentiert. in der Szene bekannt ist. Ihr Vater Werner Otto (1909 Seelow – 2011 Berlin) war ein Unternehmer, der 1949 in Hamburg einen Versandhandel für Schuhe eröffnete. Daraus entstand in den darauffolgenden Jahren der Konzern Otto-Versand. war im Versand tätig, und sie wollte eine Versandgalerie machen. Darüber kamen wir ins Gespräch. Ich bin aus dem Ruhrgebiet, aus Bochum, nahe am Rheinland gelegen. Und Ingvild Goetz fragte mich: „Können Sie dort nicht mal ein paar Künstler interviewen, ob sie mitmachen würden? Ob sie auch Editionen produzieren würden?“ Ich war dann zum Beispiel bei Gerhard Richter. Das waren noch eigentümliche Zeiten: Er bot mir ein Bild an, ein Porträt Gerhard Richter, „Portrait Kühn“, 1970. von Heinz Kühn. Dafür wollte er 5.000 D-Mark haben, da habe ich gesagt: „Herr Richter, ich habe keine 5.000 D-Mark, ich bin Studentin!“ Ich war auch bei Günther Uecker und unter anderem bei Wolf Vostell Wolf Vostell (1932 Leverkusen – 1998 Berlin) war ein deutscher Künstler, der vor allem durch seine Installationen und Happenings bekannt wurde. Ab 1953 absolvierte er zunächst eine Lehre als Fotolithograf in Wuppertal, bevor er 1955 sein Studium der freien Kunst an der École nationale supérieure des beaux-arts in Paris begann. Im November 1970 zeigte er erstmals eine Auswahl seiner Werke in der Galerie Inge Baecker in Bochum. Vostell galt als enger Freund von Allan Kaprow und Boris Lurie. . Wir verstanden uns sofort sehr gut, weil seine Kunst dialogisch ist und ich in Konstanz bei Karen Bartel Unterricht in dialogischer Logik genommen hatte. Sehr schnell waren wir in einem sehr intensiven Gespräch. Er hat auch eine sehr schöne Grafik für die Ingvild-Otto-Edition gemacht. Der Kontakt blieb bestehen, und als ich meinen Abschluss hatte, sagte er: „Warum eröffnen Sie nicht selbst eine Galerie? Ich helfe Ihnen dabei.“ Hinzu kam, dass 1970 die „Happening & Fluxus“-Ausstellung „Happening & Fluxus“, Kölnischer Kunstverein, Köln, 06. November 1970 – 06. Januar 1971. in Köln stattfand. Die habe ich besucht. Vostell, Joseph Beuys und die ganze Korona waren da. Auch Allan Kaprow Allan Kaprow (1927 Atlantic City, New Jersey – 2006 Encinitas, Kalifornien) war ein Künstler, der Ende der 1950er-Jahre zu den Begründern der Happening-Bewegung gehörte. Ab 1971 zeigte er seine Arbeiten regelmäßig in der Galerie Inge Baecker in Bochum. Kaprow war unter anderem auf der documenta 6 (1977) und 8 (1987) vertreten. , der sagte: „Ich bringe sie Ihnen nach Bochum.“ Und dann waren sie alle da: Dick Higgins, Ben Vautier, die ganze Bande. Es bestand von Anfang an ein guter Kontakt mit ihnen. Und Vostell ließ nicht locker: „Mach doch eine richtige Galerie.“
Als Heiner 1970 nach Köln ging, bin ich richtig in die Galeriearbeit eingestiegen. Ich hatte eine wahnsinnig schwierige Position. Zwar war ich von Anfang an mit dabei, ich war aber jahrelang gar nicht im Geschäft. Ich habe die Leute bei den Eröffnungen bewirtet und bin ab und zu mal in der Galerie vorbeigegangen. Das wars.
Ich war eine Einzelgängerin. Da haben die, die von der Kunstschule kommen – und da wiederum die Männer, die sich schneller miteinander verbinden –, es leichter. Die Frauen haben sich ja erst durch den Feminismus einigermaßen miteinander verständigt. Vorher hatte man vielleicht eine Freundin, aber das, was man heute Netzwerk nennt, das gab es damals überhaupt nicht. Da sind die Männer weiter vorne gewesen. Also nach heutigen Begriffen. Ich habe ja auch keiner Schule oder dergleichen angehört, keiner Richtung. Das habe ich alles alleine gemacht.
Die erste Galerie hatte ich in meiner Wohnung. Das fand mein Hauswart nicht so gut. Mein erster Verkauf war der „Lippenstiftbomber“ Wolf Vostell, „B 52 (Lippenstiftbomber)“, 1968. von Vostell. Den habe ich an den damaligen Intendanten des Schauspielhauses Bochum, Hans Schalla, verkauft. Darauf war ich sehr stolz. Jedenfalls sagte mein Hauswart: „Das geht nicht hier im Haus!“ Meine Mutter hatte ein Anwesen mit einer großen Tiefgarage und bot mir diese an, da sie gerade nicht genutzt werde. Weiß gestrichen. Teppich rein. Wunderbar! Keine Fenster, nur Wände! Die erste Ausstellung „Wolf Vostell. Grafik“, Galerie Inge Baecker, Bochum, 07. November – 10. Dezember 1970. war dann mit Vostell. Und mein erster Kunde war Werner Hofmann Werner Hofmann (1928 Wien – 2013 Hamburg) war ein Kunsthistoriker und Kurator. Zwischen 1962 und 1969 leitete er als Gründungsdirektor das Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien. Anschließend war er bis 1990 als Direktor der Hamburger Kunsthalle tätig. Dort organisierte er unter anderem Ausstellungen mit Georg Baselitz, Joseph Beuys und Franz Erhard Walther. von der Hamburger Kunsthalle, er hat eine große Arbeit von Vostell gekauft. Dafür kam er persönlich nach Bochum. Danach zeigte ich Allan Kaprow. „Allan Kaprow. City Works (Activity)“, Galerie Inge Baecker, Bochum, 10. Januar – 11. März 1971.
Der Feminismus hatte natürlich in der Bundesrepublik schon begonnen. In Frankfurt durch den Weiberrat Der Frankfurter Weiberrat war eine feministische Gruppe, die sich im September 1968 im Anschluss an die 23. Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) in Frankfurt am Main gründete. Er bestand für mehrere Monate und gilt als zentraler Ausgangspunkt der Frauenbewegung in Deutschland. Siehe auch: Helgard Kramer, „Eine Biographie der 1968er Generation“, in: Ulrike Vogel, „Wege in die Soziologie und die Frauen- und Geschlechterforschung. Autobiographische Notizen der ersten Generation von Professorinnen an der Universität“, Wiesbaden 2006, S. 231–242, hier S. 234–235. – der Name sagt es ja schon. Los ging es eigentlich durch Alice Schwarzers Abtreibungskampagne im „Stern“. Als Titelstory des Magazins „Stern“ erschien am 06. Juni 1971 der Beitrag „Wir haben abgetrieben!“. Darin bekannten sich 374 Frauen öffentlich zu einem Schwangerschaftsabbruch. Die Aktion richtete sich gegen den § 218 StGB, der die vorzeitige Beendigung von Schwangerschaften gesetzlich unter Strafe stellte. Initiiert wurde die Kampagne von der Publizistin und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. Das wurde allgemein, und damit begann die Frauenbewegung.
Wir hatten ausgemacht, wir wechseln uns ab. Als ich mit dem Schuldienst an der Reihe war, hatte ich fünf Sachen auf einmal zu tun. Als er dann in Braunschweig eine halbe Professorenstelle bekam, hatte ich Zeit. Da habe ich gemalt, gemalt, gemalt. Zum Mittagessen ging ich schnell in die Kaufhaus-Kantine zu Hertie. Kein Kochen, kein Abwasch. In dieser Zeit, 1969 und 1970, entstand die Reihe der gleichformatigen Ölbilder, Variationen zum Thema „Optiman“.
Viele sind von selbst gekommen, weil die Presse und das Fernsehen gut mitgespielt haben. Damals war der Westdeutsche Rundfunk noch ein progressiver Sender mit einem guten Kulturprogramm – wovon heute keine Rede mehr sein kann. Über die meisten Ausstellungen gab es Berichte im Fernsehen. Hinzu kam, dass ich – vorbei an der Pop-Art – eine neue Tür nach Amerika aufgemacht hatte. Ich erinnere mich noch gut, wie Vostell gesagt hat: „Du musst rüberkommen!“ Da lernte ich natürlich auch all die anderen kennen und bin durch New York gedüst. Es gab eine Zeit, da war ich dreimal im Jahr in New York.
Damals hat Hans Haacke seine große Untersuchung über die Immobilien in Manhattan gemacht, und das war so brisant, dass Tom Messer, mit dem ich später sehr viel zu tun hatte, seinen Kurator entlassen musste, weil die Interessen der Träger des Museums durch Haackes Projekt massiv tangiert wurden. Anlässlich einer geplanten Einzelausstellung im Solomon R. Guggenheim Museum in New York entwickelte Hans Haacke 1971 das Projekt „Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings, A Real Time Social System, as of May 1, 1971“, eine Arbeit, die die Immobilienspekulation in Manhattan dokumentierte. Sechs Wochen vor Eröffnung sagte der damalige Direktor Thomas Messer die Ausstellung mit der Begründung ab, dass es sich bei dem Werk nicht um Kunst, sondern um eine soziale Studie handele. Vgl. auch Benjamin H. D. Buchloh, „Hans Haacke: von der faktografischen Skulptur zum Gegendenkmal“, in: „Hans Haacke – wirklich. Werke 1959–2006“, hg. von Robert Fleck/Matthias Flügge, Ausst.-Kat. u. a. Deichtorhallen Hamburg, Düsseldorf 2006, S. 42–59, hier S. 42 ff. Das war damals eine brisante politische Auseinandersetzung in New York. Das betraf das Museum als Institution und die Kunst ganz unmittelbar.
Ich muss immer wieder unterstreichen, dass es meinem Wissen nach zwischen dem Guggenheim Museum und diesen Grundbesitzern keine Verbindung gab. Das ist immer noch eine weitverbreitete Legende. Mir ist aber nichts Derartiges bekannt. Die Zensur hatte ideologische Gründe! Wenn ich heute aber etwas über Großgrundbesitz in New York zeigen wollte und Trustees des Museum of Modern Art oder anderer Museen dabei genannt würden – viele dieser Trustees sind im Immobiliengeschäft –, dann hätte das keine Chance, in diesen Museen gezeigt zu werden. Insofern hat sich wohl nichts geändert.
1970 hatte bereits in Amsterdam Flower-Power Einzug gehalten. Als ich 70, 71 in New York war, war im Central Park das erste Gay Pride Festival Meeting oder Gathering. Ein Jahr nach den sogenannten „Stonewall Riots“ fand am 28. Juni 1970 der erste Gay Pride March in New York statt. Er erstreckte sich über 51 Blocks – von der Christopher Street im Greenwich Village bis in den Central Park. Alles Hippies. Gay Hippies – Hippie Gays. Und das war gar nicht so anders. Ich fühlte mich da vollkommen zu Hause. Die Häuser waren größer, aber sonst? Es war sehr menschlich in New York. Mir hat es sehr gut gefallen. Ab 70 war ich auch beinahe jedes Jahr dort. Ich konnte mich aber nie entscheiden, dort zu leben.
Ich hatte alle Chancen, in die USA zu gehen. Ich erinnere mich an ein Gespräch, bei dem Richard Long, Sol LeWitt, Daniel Buren, wenn ich mich nicht irre, und auch Lawrence Weiner an einem Tisch versammelt waren. Das muss ungefähr 1969/70 gewesen sein. Damals haben wir darüber gesprochen, dass es eigentlich altmodisch wäre, ins Zentrum der Welt zu ziehen. Dass das total überholt sei. Es war ja zu der Zeit nicht mehr so, dass man in Rom, Paris oder Berlin leben musste, weil dort die Neuheiten in der Kunst passierten. Da die Kommunikation immer schneller ging, blieb man eigentlich besser zu Hause. Da konnte man genauso gut arbeiten. Das war eine Zeit, in der alle nach New York mussten. Wir aber fanden, dass das gar nicht notwendig sei.
Als ich das erste Mal nach Düsseldorf kam, war ich überrascht. New York war immer sehr offen für Leute, die von außen kamen. Da gab es keine Abschottung, damals nicht. Bis der Kunstmarkt entstand, wie wir ihn heute kennen. Ich kannte Blinky Palermo und ich kannte Leute, die aus dem Rheinland nach New York gekommen waren. Es war die Großzügigkeit der Künstler in Düsseldorf, die es möglich machte, dass diese ganze Szene sich entwickeln konnte.
Wenn die amerikanischen Künstler eine Woche in Düsseldorf bei Ohme Jupp Das „Ohme Jupp“ ist eine Traditionskneipe in der Düsseldorfer Altstadt und diente insbesondere ab den 1960er-Jahren als inoffizieller Treffpunkt der regionalen und internationalen Kunstszene. waren, langweilten sie sich, und dann hat Konrad zum Beispiel zu Robert Ryman Robert Ryman (* 1930 Nashville, Tennessee) ist ein amerikanischer Künstler aus dem Bereich der Analytischen Malerei. Bekannt ist er für seine weißen Bilder. Er war unter anderem auf der documenta 5 (1972), 6 (1977) und 7 (1982) sowie auf der Biennale von Venedig in den Jahren 1976, 1978, 1980 und 2007 vertreten. In den 1960er- und 70er-Jahren war sein Werk in Deutschland sowohl in der Galerie Heiner Friedrich als auch in der Galerie von Konrad Fischer mehrfach ausgestellt. gesagt: „Du kannst doch den Zug nach Amsterdam nehmen und von dort nach Amerika fliegen. Da gehst du einfach bei Jan Dibbets vorbei.“ Ryman kam also nach Amsterdam, und es war fantastisch. Wir sind unser ganzes Leben befreundet geblieben. Er war sehr schüchtern, aber wir haben geredet und geredet. Weil das so gut funktioniert hat, kam danach Carl Andre, dann kamen Sol LeWitt, Lawrence Weiner, Seth Siegelaub, Barry, Kosuth … Sie kamen von Düsseldorf nach Amsterdam, um mal etwas anderes zu sehen und flogen von hier aus zurück in die USA. So lernte ich sie alle kennen. Die Konrad Fischer Galerie war für den Austausch zwischen Europa und den USA sehr wichtig. Obwohl Heiner Friedrich Heiner Friedrich (* 1938 Stettin, Pommern, heute Polen) gründete 1963 gemeinsam mit Franz Dahlem und seiner damaligen Ehefrau Six Friedrich die „Galerie Friedrich & Dahlem“. 1970 ging Heiner Friedrich mit seiner neuen Lebensgefährtin Thordis Moeller nach Köln und betrieb dort eine zweite Galerie. 1973 expandierte er in die Vereinigten Staaten und eröffnete im New Yorker Stadtteil SoHo die Heiner Friedrich Gallery Inc., die bis 1979 bestand. Das Galerieprogramm umfasste wichtige Positionen der Minimal Art und Konzeptkunst, darunter Carl Andre, Dan Flavin, Donald Judd und Walter De Maria. Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Helen Winkler und seiner späteren Ehefrau Philippa de Menil gründete er 1974 in New York die Dia Art Foundation, die sich für die dauerhafte Setzung künstlerischer Großprojekte einsetzte. auch viele amerikanische Künstler gezeigt hat, hatte das weniger Einfluss auf Europa. Ausschlaggebend waren die Aktivitäten von Konrad Fischer.
Das war eine Szene. Irgendwie gehörten wir alle zusammen. Das war in Düsseldorf eigentlich das Schöne, diese Kunstszene, wo jeder jeden kannte. Wo jeder wusste, wer der andere ist. Man wusste, was man von dem anderen erwarten konnte. Düsseldorf ist an sich eine kleine Stadt. Da war sehr viel Informationsaustausch. Anders als heute stand die Kunst im Zentrum. Das ist das Verrückte, was die Leute heute gar nicht mehr wissen: In den 70er-Jahren war die Kunst Tagesgespräch. Wenn ein Künstler eine neue Ausstellung machte, haben die Leute darüber debattiert. Es gab nicht nur einheitliche Meinungen, es gab auch heftige Diskussionen. Das stand in der Zeitung und wurde ernst genommen. Es gab große Artikel, auch lokal. Es war eine Aufbruchsstimmung in der Kunst.
Beuys hatte einen Ruf, der junge Leute wie Imi Knoebel nach Düsseldorf zog. Dass es intern heftige Auseinandersetzungen gab, wusste man. Es gab auch Leute, die sich gegen Beuys aussprachen. Meinetwegen Gerhard Richter oder Sigmar Polke. Gerade Richter würde heute mit großem Respekt von Beuys sprechen. Aber damals? Man darf auch nicht vergessen, dass es Jahre gegeben hat, in denen Beuys sehr umstritten war. Er war nicht nur künstlerisch, sondern auch gesellschaftlich umstritten.
Joseph war eine Nervensäge. Für einen amerikanischen Künstler, einen Künstler aus New York, war dieses Auftreten des Maître oder Meisters … na ja, es war, was es war, und er war, wer er war. Er war einfach ein mysteriöser Künstler und als Person ein netter Typ. Immerhin kam er zu meiner ersten Ausstellung bei Fischer mit seiner halben Klasse, damit ich etwas Publikum hatte.
Natürlich sind gestandene Kollegen ihm auch an den Karren gefahren. Da gab es ja auch Auseinandersetzungen, vor allem in der Akademie. Nachdem 1972 ein neues Zulassungsverfahren an der Akademie eingeführt worden war, besetzte Beuys mit einigen seiner Studenten das Hochschulsekretariat. Der im Zuge dessen erteilten Entlassung durch den nordrhein-westfälischen Wissenschaftsminister Johannes Rau begegnete Beuys mit einer langjährigen Klage vor dem Bundesarbeitsgericht. In dem ihm gerichtlich auf Lebenszeit zugesprochenen Raum 3 der Düsseldorfer Kunstakademie initiierte Joseph Beuys 1973 gemeinsam mit Willi Bongard, Georg Meistermann und Klaus Staeck die Freie Internationale Universität (FIU), die als freie Hochschule das bestehende Bildungssystem ergänzen sollte. Die FIU bestand bis zwei Jahre nach dem Tod von Joseph Beuys im Jahr 1986. Das war nicht jedermanns Sache, aber ich hatte dafür schon was übrig. Es war auch modisch, dass man es so exzessiv betrieb, bis ein normaler Akademiebetrieb nicht mehr funktionierte. Aber ich steckte da nicht drin. Ich konnte das von außen sehen und konnte es auch von außen gut finden.
Es ging immer darum: Wer kann rein? Wer darf rein? Warum darf er rein? Wie viele dürfen rein? Und so weiter. Diese ganze Diskussion ist mir unheimlich vertraut und ich erkannte das im Zusammenhang mit der Flüchtlingsbewegung plötzlich wieder. Dieses Kapitel ist in der Kunst bereits durchexerziert worden. Nur haben die Kunsthistoriker das nie wirklich zur Kenntnis genommen. Die haben es immer „politisch“ genannt. Die haben gar nicht begriffen, dass das damals eine künstlerische Aktion von Beuys war: die unbeschränkte Aufnahme.
Er hatte zum Schluss 600 oder 700 Studenten.
Wir machten dann noch die Akademiebesetzung Im Dezember 1968 riefen Jörg Immendorff, Chris Reinecke und weitere Gleichgesinnte die Lidl-Akademie in der Kunstakademie Düsseldorf aus. Anlass war die interne Kritik mehrerer Professoren gegenüber der universitären Einflussnahme von Joseph Beuys und seiner Deutschen Studentenpartei. Dem Aufruf zur Lidl-Akademie folgte vom 05. bis zum 10. Mai 1969 die von Immendorff und Reinecke initiierte Lidl-Arbeitswoche, in der zahlreiche künstlerische und politische Aktionen an der für diesen Zeitraum geschlossenen Kunstakademie durchgeführt wurden. Siehe auch: Susanne Rennert, „Ein doppelter Strang. Lidl. 1968–70. Konzepte, Aktionen, Strategien von Chris Reinecke und Jörg Immendorff“, in: „Chris Reinecke. 60er Jahre – Lidl Zeit“, hg. von Barbara John u. a., Ausst.- Kat. u. a. Kunstmuseum Düsseldorf, Köln 1999, S. 35–64, hier S. 49–52. und ich war erstaunt, wie schnell sie anschließend wieder in der Kunstakademie waren und sogar eigene Klassen eröffneten. Am Thema wurde gar nicht weitergearbeitet, sondern jeder versuchte sein Plätzchen zu finden.
Ich habe in der Beuys-Klasse angefangen, und ich habe wirklich um ein DAAD-Stipendium gekämpft, um nach Amerika zu kommen, nachdem ich 1972 faktisch bei Beuys aufgehört hatte, weil er Berufsverbot bekam. Mir ist damals alles angeboten worden: „Gehen Sie doch nach Paris! Das ist das Zentrum der Kunst!“, oder „Gehen Sie nach Rom – noch älter und bedeutender“, aber ich habe gesagt: „Nein. Ich möchte in die USA.“ Ich glaube, ich war die erste Künstlerin, die so ein DAAD-Stipendium für New York errungen hat, nach vier oder fünf Jahren.
Wie lange ist die Zeit her, über die wir gerade reden? 30, 40 Jahre? Das ist eigentlich nicht besonders lang, aber innerhalb dieser Zeit hat es sich rapide geändert. Maßgeblich war auch nicht zuletzt der Rausschmiss von Beuys. Oder sagen wir mal so: Er fand in dieser Zeit statt. Damals hat sich eine andere Konstellation ergeben. Zum Beispiel spielte eine Zeit lang der Ratinger Hof, das heißt die ganze Musikszene hier in der Umgebung, eine ganz große Rolle. Da war unheimlich viel los. Als hätte sich das Zentrum von der Kunstakademie auf die Ratinger Straße verlagert.
Es war irgendwie der Beginn einer neuen Zeit, als die Videotechnik kam. Ich glaube, in dieser Richtung war Beuys einfach ein Vertreter der älteren Generation. Und er wollte den Kunstbegriff, so wie er ihn geformt hat, clean halten: die Soziale Plastik, der gesellschaftliche Umraum, das Aufbauprinzip nach Rudolf Steiner, die Plastik als menschliche Form. Das war sein Interesse und dabei sollte es auch bleiben. Seine Aktionen wurden gefilmt und es war ihm ganz egal, ob als Film oder Video. Für ihn war die Kamera ein Dokumentationsinstrument und keine neue Technik in der Kunst. Und das war eben bei Paiks Fluxus-Konzerten mit Charlotte Moorman und dem Bett aus TV-Sets Nam June Paik, „TV Bed“, 1971. oder in der „Prospect“ Unter dem Titel „Prospect“ fanden zwischen 1968 und 1976 in unregelmäßigen Abständen insgesamt fünf Ausstellungen in der Kunsthalle Düsseldorf statt. Initiiert von dem Galeristen Konrad Fischer und dem damals als Kunstkritiker tätigen Hans Strelow entstand „Prospect“ als Alternative zum Kölner Kunstmarkt, der 1967 erstmals stattfand und ausschließlich deutschen Galerien Zugang gewährte. „Prospect“ wurde zu einer internationalen Plattform für zeitgenössische Kunst, wobei die in- und ausländischen Galerien der Avantgarde die Transporte finanzierten und im Gegenzug Vorschläge zur Auswahl der Künstler einreichen konnten. -Ausstellung mit den Aktionen von Nauman, Acconci, Oppenheim und so weiter anders. Da wurde die Videotechnik als eine neue Technik für die Kunst vorgestellt – und dem wollte Beuys, glaube ich, nicht folgen.
Das, was in Amerika gemacht wurde, kannte hier eigentlich niemand. Ob Bruce Nauman Bruce Nauman (* 1941 Fort Wayne, Indiana) wurde ab den 1960er-Jahren mit einem künstlerischen Werk bekannt, das Skulptur, Video und Performance vereint. Seine erste Einzelausstellung in Deutschland fand 1968 in der Konrad Fischer Galerie in Düsseldorf statt. Im selben Jahr nahm er an der „documenta 4“ in Kassel teil. Seit seiner ersten musealen Einzelausstellung im Los Angeles County Museum of Art/Whitney Museum of American Art, New York, 1972 waren seine Arbeiten unter anderem im Walker Art Center, Minneapolis (1993), im Centre Pompidou, Paris (1997), im Dia Center for the Arts, New York (2002), und der Tate Modern, London (2004), in umfangreichen Ausstellungen zu sehen. Nauman wurde zweimal (1999 und 2009) mit dem Goldenen Löwen der Biennale von Venedig ausgezeichnet. in der Körperlichkeit oder Paik in der humorvollen, ironischen, populären Collage von Fernsehmitschnitten aus der ganzen Welt und Eigenaufzeichnungen oder Peter Campus Peter Campus (* 1937 New York) studierte bis 1960 experimentelle Psychologie an der Ohio State University und anschließend Filmtechnik am City College of New York. Bekannt ist er vor allem für seine Closed-Circuit-Installationen: Der Betrachter wird gefilmt und sieht sich – häufig simultan – seinem eigenen Abbild gegenübergestellt. 1973 zeigte er erstmals seine Arbeit „Three Transitions“, die heute zu den Schlüsselwerken der Videokunst gehört. Campus war unter anderem auf der „documenta 6“ (1977) sowie der Biennale in Venedig 1978 vertreten. mit dieser eher psychologischen Closed-Circuit-Videoarbeit.
Die Body-Art, das plastische Umgehen mit dem Körper vor der Kamera, hat mich total erfasst, weil ich mit meinen Objekten und Fotos schon Ähnliches erreichen wollte, aber nicht auf die Art, wie ich es in der Ausstellung sehen konnte. Einen Daumen in Nahaufnahme als Plastik zu sehen – das fand ich sehr gut. Und so habe ich mir dann eine Videoanlage gekauft. So konnte ich auf dem Monitor sofort sehen, wie eine Nahaufnahme, die ich machte, aussah. Beleuchtung und so weiter, das habe ich mir alles selbst beigebracht.
Es sind ja viele körperbezogene Arbeiten entstanden, ob nun nackt oder wie bei Rebecca Horn Rebecca Horn (* 1944 Michelstadt) studierte von 1963 bis 1971 an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und der Saint Martin’s School of Art in London. Zwischen 1972 und 1981 lebte sie in New York. Seit den frühen 1970er-Jahren arbeitet Horn vor allem im Bereich der Performance- und Medienkunst. Ihre erste Einzelausstellung fand 1973 in der Galerie René Block in Berlin statt. Horn wurde mit Performances, Rauminstallationen und kinetischen Skulpturen wie „Paradieswitwe“ (1975) oder „Die Pfauenmaschine“ (1979/82) bekannt. Von 1989 bis 2004 war sie Professorin an der Universität der Künste Berlin. Sie war auf der documenta 5 (1972), 6 (1977), 7 (1982) und 9 (1992) vertreten und nahm an der 39. (1980), 42. (1986) und 47. (1997) Biennale von Venedig teil. 1992 erhielt Horn den Kaiserring der Stadt Goslar. die poetisch-sensiblen Körper. Es konnte gemacht werden, keiner hat zugesehen, und es konnte gleich korrigiert werden. Das ist das Werk. Wenn ich mich – wie Friederike Pezold Friederike Pezold (* 1945 Wien) ist eine Künstlerin und Filmemacherin, die ab Mitte der 1960er-Jahre Ergotherapie und Freie Kunst in München studierte. Bekannt ist sie vor allem für ihre leiblichen Videografiken, in denen sie ihren eigenen Körper durch den Gebrauch des Closed-Circuit-Verfahrens ins Zeichenhafte übersetzt. Pezold gilt als wichtige Wegbereiterin der feministisch ausgerichteten Videokunst. Ihre Werke waren unter anderem auf der „documenta 6“ (1977) und der „41. Biennale von Venedig“ (1984) ausgestellt. den Busen, die Scham, die Beine, den Körper – abfilme, ist da eine Intimität möglich, ohne dass ich mich der Öffentlichkeit ausliefern muss. Das ist die Möglichkeit, zwischen Privat und Öffentlich auf eine andere Weise zu vermitteln, nicht nur mit anderen Medien. Vielleicht war es wirklich auch der Wunsch, diese intimen anderen Botschaften zu senden. Und deshalb passt so etwas zu Valie Export Valie Export (eigtl. Waltraud Lehner; * 1940 Linz) ist eine Künstlerin und zählt zu den Wegbereiterinnen der feministisch geprägten Performance- und Medienkunst. Gemeinsam mit ihrem damaligen Lebenspartner Peter Weibel entwickelte sie zwischen 1968 und 1972 Aktionen, die im öffentlichen Raum stattfanden, darunter „Tapp- und Tastkino“ (1968) und „Aus der Mappe der Hundigkeit“ (1969). Als Professorin lehrte Export unter anderem an der Hochschule der Künste in Berlin (1991–1995) und der Kunsthochschule für Medien Köln (1995–2005). Ihre Werke waren unter anderem auf der „documenta 6“ (1977) sowie der „39. Biennale von Venedig“ (1980) ausgestellt. sicher genauso gut wie zu – insbesondere hochverehrt – Joan Jonas Joan Jonas (eigtl. Joan Amerman Edwards; * 1936 New York) ist eine US-amerikanische Künstlerin, die als Wegbereiterin der Videoperformance gilt. Sie pflegte enge Kontakte zu den Künstlern Dan Graham und Richard Serra. Mit Serra kollaborierte sie Anfang der 1970er-Jahre für mehrere Projekte, darunter auch für die Videoarbeit „Anxious Automation“ (1971). , wo es nicht um Nacktheit, sondern um eine poetische Intimität geht. Bei Bruce Nauman war es eher die männliche Anwesenheit. Aber ich sehe, dass Frauen sich da wohlfühlten und das als Medium sehr gern akzeptierten.
Man musste auch als Künstlerin einen bestimmten Look haben. Künstlerinnen, die klein und hässlich waren, um das jetzt mal extrem zu sagen, hat es in der Erfolgsbranche in dieser Zeit nicht gegeben. Es wurden die Frauen gesehen, die gut aussahen und die es trotzdem als Manko gesehen haben, dass sie nur über ihren Körper definiert wurden. Ihnen wurde permanent gesagt: „Du siehst aber gut aus.“ Oder: „Du siehst zu gut aus, um eine gute Künstlerin zu sein.“ Es hat mich wirklich wütend gemacht, dass ich nur darüber definiert wurde. Daher habe ich zumindest bei den Aktionen darauf geachtet, dass ich einen weißen Anzug anhatte und nicht nackt war. Das wollte ich nicht. Weil sich der Zuschauer dann so auf den Körper konzentriert, dass das eigentliche Konzept komplett aus dem Sichtfeld verschwindet. Es ging ja um etwas anderes. Es ging um das allgemeine Kulturbild der Frau, das kritisch gesehen werden sollte. Oder um das allgemeine weibliche Schönheitsbild.
Das sind die ganz starken Arbeiten. Gerade bei Ulrike Rosenbach: „Tanz für eine Frau“. Ulrike Rosenbach, „Tanz für eine Frau“, 1977. Dieses Sich-zu-der-Musik-Drehen, diese endlose, fast nervende Intensität, ist doch nicht so viel anders als die nervende Intensität eines Bruce Nauman. Das gilt also nicht nur für Frauen.
Es ging nicht um mich. Das ist vielleicht ein Unterschied zu den Arbeiten von Marina und Ulay, die ihre Körper als Body-Art thematisiert haben. Wobei das Gute war, dass beide Körper nicht sexuell oder erotisch rüberkamen. Überhaupt nicht. Aber sie waren als Körper da und das wäre bei mir nicht gegangen. Ich hätte das auch selbst nicht ausgehalten – und ich wollte es auch nicht. Mir ging es in meiner Kunst um das Gesellschaftsbild der Frau. Ich habe meinen Körper als Werkzeug benutzt, um das Thema darzustellen.
68 war eigentlich eher politisch. In den 70ern wurde es niedlicher. Da war dann auch mehr Raum für Transformer, Travestie, Transsexualität und den Körper. Die 60er-Jahre waren mit den Linksextremisten oder den Linksintellektuellen wirklich sehr politisch. 68 ist die Revolution in Paris – und Rudi Dutschke. Am 03. Mai 1968 besetzten Studenten der Sorbonne in Paris mehrere Räume der Universität, um für Reformen in der Bildungs- und Sozialpolitik zu kämpfen. Nach der Räumung des Universitätsgebäudes durch die Polizei kam es in den folgenden Wochen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, an denen sich zunehmend auch die Arbeiterbewegung beteiligte. Die Unruhen gipfelten am 15. Mai 1968 in einem Generalstreik, der erst am 30. Mai 1968 durch eine Radioansprache des französischen Präsidenten Charles de Gaulles aufgelöst werden konnte. Die Ereignisse des „Pariser Mai“ gelten als wichtiger Bezugspunkt für die linksgerichtete 68er-Bewegung in Deutschland, die sich vor allem in Berlin und Frankfurt am Main für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsform sowie gegen den Krieg in Vietnam engagierte. Eine zentrale Rolle kam hierbei den Vertretern der Kommune 1 in Berlin sowie dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) um Rudi Dutschke zu. Siehe auch Ingrid Gilcher-Holtey, „1968. Eine Zeitreise“, Frankfurt am Main 2008. Da war kein Platz für Transformer.
Wir haben diese Thematik auch wirklich politisch verstanden. Sie müssen bedenken, dass das eine Zeit war, in der Schwule und Lesben überhaupt nicht anerkannt waren. Es war schon eine unglaublich radikale Darstellungsform, die wir uns leisteten. Vor allen Dingen auch Jürgen Klauke Jürgen Klauke (* 1943 Kliding) ist ein deutscher Künstler, der in den 1970er-Jahren mit fotografischen Inszenierungen über Geschlechteridentitäten bekannt wurde. Von 1993 bis 2008 lehrte Klauke als Professor für künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule für Medien Köln. , extrem herausfordernd und frech – very powerful und gegen das Establishment. In dem Moment, als diese Szene sich auch auf der politischen Ebene – nicht mehr nur auf der kulturellen oder künstlerischen Ebene – etablierte, hatte die Transformer-Bewegung in der Kunst allgemeine Aufmerksamkeit, verlor für mich aber an Bedeutung. Es war ein Thema der Zeit. Ich könnte es mit dem Flüchtlingsthema bei den heutigen jungen Künstlern vergleichen. Alle arbeiten dazu, weil es ein wichtiges Thema dieser Zeit ist. Wenn das Thema aus der Gesellschaft verschwinden würde, würde es auch aus der Kunst verschwinden. So war es damals auch mit den Transformer-Themen. Die wurden extrem gut besprochen und es wurde viel darüber geschrieben: Peter Gorsen Der Kunstwissenschaftler Peter Gorsen (* 1933 Danzig, Pommern, heute Polen) studierte Philosophie, Psychologie und Kunstwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. 1965 wurde er bei Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas promoviert. Gorsen war von 1973 bis 1976 Dozent für Kunst und visuelle Kommunikation an der Universität Gießen und lehrte ab 1977 bis zu seiner Emeritierung 2002 als Professor für Kunstgeschichte an der Universität für angewandte Kunst in Wien. 1981 veröffentlichte Gorsen den Band „Transformierte Alltäglichkeit oder Transzendenz der Kunst“. hat dazu geschrieben und auch Silvia Bovenschen Vgl. Silvia Bovenschen, „Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen“, Frankfurt am Main 1979. . „Transformer“ wurde schon deswegen mehr beachtet, weil es auch Männer betraf – hauptsächlich Männer. Daher konnte auch Jean-Christophe Ammann es vertreten. In dem Moment, in dem ein Thema nur Frauen betrifft, fühlt sich die Männerszene nicht verantwortlich und auch nicht angesprochen.
Wir haben uns in der Szene bewegt. Aber wir waren nur wenige. Das wurde nicht hinterfragt. Das war das, was wir machen wollten und machen mussten. Im Wesen ging es um Provokation. In der Öffentlichkeit so zu erscheinen und sich so zu benehmen, war provokativ! Und neben der Provokation wurde ein Stil entwickelt. Es wurden künstlerische Arbeiten entwickelt, die natürlich auch damals schon provokativ waren. Aber wie gesagt, Klauke hat sich eher verkleidet und auch so gelebt. Das muss man ihm anrechnen. Ich bin mehr und mehr auf das Körperliche eingegangen. Oft nackt. Überhaupt keine Kleidung mehr. Und dann habe ich mich auf die Gender-Ambitionen eingelassen: Anima und Animus. Das war einfach eine Investigation in meine sexuellen Ambitionen.
Es gab nichts, woran man sich orientieren konnte, und genau das war die Basis der Innovation, die Grundlage war für das künstlerische Schaffen der Avantgarde der 60er- und 70er-Jahre. Nicht nur musste man aus dem Nichts heraus den Kunstbegriff neu definieren, als Frau musste man auch definieren, warum Künstlerinnen und Künstler in dem Selbstverständnis einer neuen Gesellschaft, in der Mann und Frau emanzipiert sind, gleichberechtigt nebeneinander sind.
Es waren immer ganz wichtige und echte Auseinandersetzungen in diesen Begegnungen, die stattfanden. Im Hintergrund die Kunst oder im Vordergrund die Kunst. Da gab es auf einer documenta den „Phallus“ von Christo, diesen Ballon. Christo und Jeanne-Claude, „5,600 Cubicmeter Package“, 1967/68. Das Projekt wurde für die „documenta 4“ realisiert. Das war damals das Symbol der documenta. Das Ding kriegte man aber irgendwie nicht mit der Luft zum Stehen. Heute denkt doch niemand mehr an diesen blöden Luftballon. Dann gab es Franz Erhard Walther, der auf der Wiese seine Übung machte. Franz Erhard Walther, „1. Werksatz“, 1963–1969. Auf der „documenta 5“ führte Franz Erhard Walther Demonstrationen zu allen 58 Elementen seines „1. Werksatzes“ durch. Mehrere Leute mussten in irgendeine Ecke von einem großen Filz- oder Betttuch oder was auch immer reinschlupfen und dann tänzerisch meditieren. Dann gab es diese Musik von La Monte Young. La Monte Young und Marian Zazeela, „Dream House“, 1972. Die Installation war Teil der Sektion „Individuelle Mythologien“ auf der „documenta 5“. Alle hockten auf dem Boden und es wurde „Mmmmh“ gemacht – gesummt, buddhistisch irgendwie. Es waren wirklich absurde Sachen. Niemand gab sich zufrieden oder wollte ein Bildchen an der Wand haben, so wie ich das liebe, sondern alle hatten eine bessere, eine visionärere Welt, an der sie teilnahmen.
Ich wurde gefragt: „Wer könnte die documenta 72 machen?“ Dann habe ich gesagt: „Harald Szeemann.“ Harald Szeemann (1933 Bern – 2005 Tegna im Tessin, Schweiz) war ein Kurator, der von 1961 bis 1969 als Direktor an der Kunsthalle Bern tätig war. Dort zeigte er 1969 die wegweisende Ausstellung „Live in Your Head. When Attitudes Become Form“. Szeemann leitete die „documenta 5“ (1972) sowie die Biennale von Venedig in den Jahren 1999 und 2001. Mit seinen innovativen Ausstellungsformaten zählte Harald Szeemann zu einem der wichtigsten Vermittler der Gegenwartskunst. Daraufhin bin ich gebeten worden: „Reden Sie mal mit ihm.“ Das habe ich gemacht: „Harry, das wäre doch was!“ Wir haben uns dann mit Harald Szeemann in Kassel verabredet. Ich habe ihn in Köln am Bahnhof getroffen, und wir sind nach Kassel zu Dr. Hunstein gefahren. Da saßen zwei Herren, einer davon war Bazon Brock. Es kann sein, dass ich ihm vorher schon mal irgendwo begegnet bin, aber bei dieser Gelegenheit ist er mir intensiv in Erinnerung geblieben. Harald Szeemann und Bazon Brock kannten sich kaum oder mochten sich vielleicht nicht so richtig. Dann wurde über die documenta gesprochen, und Bazon Brock sagte: „Die Ausstellung muss so konzipiert werden, dass ich meine Besucherschule Zwischen 1968 und 1992 veranstaltete Bazon Brock die sogenannten „Besucherschulen“ als besonderes Vermittlungsformat auf den documenta-Ausstellungen 4 bis 9. Durch Action-Teachings sowie Text- und Medienmaterialien erschloss er gemeinsam mit Besuchern die Ausstellungen exemplarisch in einem übergreifenden Aussagezusammenhang. Siehe auch Bazon Brock, „Besucherschule zur documenta 7. ‚Die Hässlichkeit des Schönen‘“, Kassel 1982. machen kann. Meine Besucherschule kann ich nicht mit jeder Kunst machen, sondern, ich würde sagen, dann muss der Raum von Dan Flavin grün sein.“ Er griff richtig in den künstlerischen Prozess ein, und das ist mir in äußerst unangenehmer Erinnerung geblieben.
Die Besucherschule von Bazon Brock war ja die Widerlegung der Ausbildung von Harry Szeemann. So kann man es sagen. Die standen sich vollkommen im Weg. Der eine wollte Mythologie. Der andere wollte Aufklärung. Der eine wollte Intensität. Der andere wollte Didaktik, Verständnis. Das heißt, sie waren zwei produktive Gegner, die sich am gleichen Objekt abmühten. Die Besucherschule der „documenta 5“ war das Beste, was Bazon Brock je gemacht hat. Sie war überkandidelt, verkopft, stellte jedoch absolut die richtigen Fragen. Dadurch hat die Kunst ganz neue Antworten gegeben. Das Konzept der Ausstellung hat natürlich nicht Bazon Brock gemacht, sondern Harry Szeemann. Er hat es aus dem Bauch heraus entwickelt. Am Ende war aber beides vertreten: Die Ausstellung nach Bauchgefühl, das große Erlebnis und die Didaktik und Erläuterung, die Vermittlung, die sich auf alles, was Harry machte, eingelassen hat.
Eine Auswahl für die documenta entpuppt sich dann als bedeutend, wenn es eine unter bestimmten Gesichtspunkten wichtige Auswahl ist. Um aber die Auswahl schätzen zu können, muss man wissen, woraus der Kurator ausgewählt hat. Also haben alle documenta-Leiter ab Harry Szeemann 1972 verstanden, dass sie mich, die Besucherschule, brauchen. Weil nur wir den Leuten sagen können, warum die Wahl des Kurators überhaupt Sinn macht. Indem wir nämlich mit der Besucherschule in der Ausstellung präsentieren, was nicht gezeigt wird. Denn um zu bewerten, was der Kurator geleistet hat, indem er etwas Bestimmtes zeigt, muss ich wissen, was er nicht zeigt. Jedes Zeigen ist ein Nicht-Zeigen von anderem, also muss ich das Verhältnis zwischen Gezeigtem und Nicht-Gezeigtem kennen. Das heißt, das Nicht-Gezeigte muss irgendwie repräsentiert werden. Die Besucherschule oder Personen wie wir sind die Einzigen, die das, was nicht gezeigt wird, repräsentieren können und dadurch die ganze Ausstellung überhaupt sinnvoll machen.
Was es damals noch nicht gab und was heute wirklich dominiert: der Markt. Sie können heute Kunst nirgendwo besser sehen, stiller betrachten, eindringlicher betrachten als in den Auktionsvorbesichtigungen in New York. Dort sehen Sie wunderbare Sachen, alles, was es gibt. Wenn Sie zu einer documenta gehen, sehen Sie gar keine Kunst mehr. Da sehen Sie nur noch Publikum, das mit irgendetwas beruhigt wird, was mit Kunst nichts zu tun hat. Sozialprogramme, sage ich jetzt mal – und das ist der Unterschied. Das ist in andere Hände, in andere Köpfe gekommen.
Es war damals ein allgemeines Vorhaben, viel Kunst auf die Olympiade zu bringen. Aber welches Programm und wie, das war kontrovers. Die Architekten wollten natürlich möglichst überhaupt keine Kunst, die die Sicht auf ihr Werk beeinträchtigt. Und dann eignet sich am besten Minimal Art. Daraufhin haben Friedrich und Dahlem – ich weiß nicht, wer von beiden – eine Art Programm entwickelt. Im Rahmen der Ausgestaltung der Wohn- und Spielstätten für die Olympischen Spiele 1972 in München setzte sich Heiner Friedrich für die Realisation mehrerer künstlerischer Großprojekte ein. Neben Michael Heizers „Levitated Mass Olympia“ und einer 120 Meter tiefen Erdskulptur, die Walter De Maria aus einem Trümmerberg ausheben lassen wollte, schlugen Gerhard Richter und Blinky Palermo eine gemeinsame Farbfeldinstallation vor. Die Ablehnung aller von ihm unterstützten Projekte bewegte Heiner Friedrich letztlich dazu, seinen Arbeits- und Lebensmittelpunkt in die USA zu verlegen: „Am Tag der Absage fiel für mich die Entscheidung, Deutschland zu verlassen und zu versuchen, meine Ideen in Amerika zu verwirklichen.“ Vgl. Günter Herzog, „Die Galerie Heiner Friedrich. München, Köln, New York, 1963–1980“, in: „Galerie Heiner Friedrich. München, Köln, New York, 1963–1980“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 21/22, 2013, S. 9–21, hier S. 17.
Ein guter Freund, der mich auch beraten hat, war der Architekt Werner Ruhnau Werner Ruhnau (1922 Königsberg, Ostpreußen, heute Russland – 2015 Essen) war ein Architekt, der für seine Theaterbauten und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern bekannt ist. 1956 gründete er ein Büro in Gelsenkirchen, wo 1959 das von ihm entworfene Musiktheater im Revier eröffnet wurde. Ruhnau entwickelte eine „Spielstraße“ für das Kunstprogramm der Olympiade 1972 in München und war 1978 für die Umbauten des Schauspielhauses in Frankfurt am Main verantwortlich. . Er war schon bei der ersten Kaprow-Ausstellung dabei, und er sollte dann die „Spielstraße“ in München machen. Er sagte: „Ich muss doch jemanden haben, der einen Film macht!“ Da sagte ich: „Nimm doch Yoko Ono.“ – „Wer ist das denn?“ Ich habe es ihm erklärt, und dann wollte er, dass ich Kontakt zu ihr aufnehme. Bei meinem dritten Besuch in den USA, 1972, habe ich dann mit Charlotte Moorman gesprochen, die eng mit Yoko befreundet war. Und sie arrangierte ein Treffen: „Komm heute Abend um acht da und da hin, wir gehen zu Yoko.“ Yoko Ono wohnte in der Bank Street, sie war Nachbarin von John Cage. Und dann saßen sie da auf einem riesigen Bett: Yoko und John. Wir haben lange über Leni Riefenstahl, die Olympiade und Fluxus gesprochen.
Heiner war ja ein tragischer Fall. Er war ein Opfer der Olympiade. Er hat München im Zorn verlassen, als sie ihm das Bohrloch zugeschüttet haben. Im Rahmen der Ausgestaltung der Wohn- und Spielstätten für die Olympischen Spiele 1972 in München setzte sich Heiner Friedrich für die Realisation mehrerer künstlerischer Großprojekte ein. Neben Michael Heizers „Levitated Mass Olympia“ und Walter De Marias „Vertikalem Erdkilometer“ schlugen auch Gerhard Richter und Palermo eine gemeinsame Farbfeldinstallation vor. Die Ablehnung aller von ihm unterstützten Projekte bewegte Heiner Friedrich dazu, seinen Arbeits- und Lebensmittelpunkt in die USA zu verlagern. So äußerte er sich wie folgt zu diesem Schritt: „Am Tag der Absage fiel für mich die Entscheidung, Deutschland zu verlassen und zu versuchen, meine Ideen in Amerika zu verwirklichen“. Vgl. Günter Herzog, „Die Galerie Heiner Friedrich. München, Köln, New York, 1963–1980“, in: „Galerie Heiner Friedrich. München, Köln, New York, 1963–1980“, Reihe „sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels“, Nr. 21/22, 2013, S. 9–21, hier S. 17. Das hat er sehr persönlich genommen. Auch, dass ihm die Münchener, die er für seine Freunde hielt, dabei nicht helfen konnten oder wollten, weil das mit dem Loch zu politisch und zu spottbeladen war.
Ein fantastisches Konzept, das die Durchbohrung des aus den Kriegstrümmern entstandenen „Schuttbergs“ bis tief in die gewachsene Erde vorsah. Ein Erinnerungsmal, ein allerdings bis auf die abschließende Platte unsichtbares Denkmal. Das war unerhört.
Das wäre eigentlich billig gewesen. Es hätte drei Millionen gekostet. Aber sie haben sich irgendetwas von heiteren Spielen, von Otl-Aicher-Farbwegen Anlässlich der Olympischen Spiele 1972 in München entwickelte der deutsche Grafikdesigner Otl Aicher ein System von Piktogrammen, das bis heute gelegentlich bei der Gestaltung von Wegweisern genutzt wird. Siehe auch: Thilo Koch, „Piktogramm der Spiele“, München 1973. und solchen Eissalon-Sommerfantasien eingeredet.
Auch da gibt es verschiedene Lesarten. Eine Version ist, dass Heiner aus Enttäuschung über die gescheiterten Olympiaprojekte das Land verlassen hat und nie wieder zurückgekommen ist. Das stimmt am allerwenigsten. Die Kölner Galerie gab es immerhin bis 1980, und danach wurde sie eine Filiale der Dia Art Foundation.
Im East River gibt es eine Insel, Wards Island. Auf dieser Insel gab es eine ehemalige psychiatrische Einrichtung mit mehreren leer stehenden Gebäuden inklusive eines Theatersaals. Heiner Friedrich wollte die Insel für die Dia erwerben. Immer groß, ganz groß! Es standen dort riesige Blechskulpturen von John Chamberlain. Ich habe gesagt: „Heiner, umgeben von Wasser, die rosten doch!“ Den Theatersaal, der war gar nicht so klein, hat er für mich umbauen wollen. Ich fand das etwas abgelegen. Von East Harlem wollte er eine Fußgängerbrücke bauen lassen, sodass die schwarzen Kids rüberkommen könnten. Ich sollte sie mit meinen Werksatzarbeiten von der Straße wegholen, es würden dann aus ihnen bessere Menschen werden. Ich sagte: „Ne, Heiner, erzähl mir nicht so einen Quatsch, die brauchen was anderes als meinen ,Werksatz‘!“
Ich kannte Hilmar Hoffmann, den Kulturreferenten in Frankfurt am Main, sehr gut. Er hat ein Buch darüber geschrieben, wir haben Aufsätze dazu verfasst. Einen habe ich neulich wiedergefunden, er heißt: „Kunst für alle, aber wie?“ Autorenkollektiv der Aktionsgruppe im Berliner Kunstverein, „Kunst für alle – aber wie?“, in: „Berliner liberale Zeitung“, Nr. 9, 1969, S. 190–191. Uns hat die Frage interessiert: Wie macht man das? Wie kommt man an die Leute ran? Das ist eine Frage der Demokratie und der Kultur. Wenn es die Gegengewichte, die Abschirmungen für Eliten, nicht gegeben hätte, hätte es vielleicht etwas werden können.
„Kunst für alle“ habe ich jetzt erst durch Klaus Staeck Klaus Staeck (* 1938 Pulsnitz) ist gelernter Grafikdesigner und Jurist. In seinen künstlerischen Arbeiten beschäftigt er sich insbesondere mit der politischen Karikatur. Ab Mitte der 1960er-Jahre beteiligte sich Staeck regelmäßig an der Umsetzung künstlerischer Projekte. Zu seinen Weggefährten zählen Joseph Beuys, Dieter Roth und Daniel Spoerri. Von 2006 bis 2015 leitete er als Präsident die Akademie der Künste in Berlin. wieder gehört. Letztes Jahr hat er seine Abschlussausstellung „Kunst für alle“ „Kunst für alle. Multiples, Grafiken, Aktionen aus der Sammlung Staeck“, Akademie der Künste, Berlin, 18. März – 07. Juni 2015. mit seinen Editionen gemacht. „Kunst für alle“ haben wir, glaube ich, nie gewollt.
Die Demokratisierung der Kunst ging damals sehr stark von der Druckgrafik aus. Deswegen waren die 70er-Jahre das Nonplusultra für neue Entwicklungen im Drucksektor. Einer der Tollsten und Besten war Dieter Roth. Er stand mit den Farbtöpfen an der Druckmaschine und hat hier ein bisschen was reingegeben und da ein bisschen was reingegeben, sodass jeder Druck ein Unikat war. Sie konnten keine Hunderterauflage durchdrucken, da war er schon wieder mit anderen Farbtöpfen zugange. Die Druckgrafik hat wirklich sehr zur Demokratisierung der Kunst beigetragen.
Ach, das ist doch völliger Blödsinn! „Kunst für alle“, also diesen Unsinn, den der Frankfurter Stadtrat Hilmar Hoffmann der Kultur verpasst hat, das ist doch alles Quatsch.
Man war schon ein bisschen elitär. Ich glaube nicht, dass man „Kunst für alle“ wollte, Kunst war etwas Besonderes. Man musste sich anstrengen, um dem folgen zu können. Der Einzige, der das mal versucht hatte, auch diese Politisierung, war Jörg Immendorff um 1973 in seiner maoistischen Phase mit diesen komischen Politbildern. Mit Beginn der 1970er-Jahre entstanden Arbeiten des Malers Jörg Immendorff, die auf die zeitgenössische gesellschaftspolitische Situation Bezug nahmen. Zu den bekanntesten Werken dieser Schaffensphase zählen „Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege?“ (1973), „Zwei deutsche Türme“ (1977) und der Zyklus „Café Deutschland“ (1977–1982). Siehe auch: Dieter Koepplin, „Jörg Immendorffs ‚Café Deutschland‘“, in: „Jörg Immendorff, ‚Café Deutschland‘“, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Basel, Basel 1979, S. 9–16. Aber eigentlich hat jeder seine eigenen Entdeckungen gemacht. Nicht für alle, sondern für sich selbst.
Kunst kann nur ein Angebot sein. Ich habe für alle Menschen Verständnis, die sagen, mich interessiert die Kunst nicht. Mir ging es vorzüglich um Adressaten, die sich für Kunst interessierten oder es vorgaben, aus welchen Gründen auch immer – also um die Tastemaker, die zur geistigen Elite der Gesellschaft gehörten. Sie zu erreichen, war ein Ziel. Das waren nicht die Topmanager – die entscheiden viel weniger als man glaubt –, sondern es waren in Sachen zeitgenössische Kunst risikofreudige, aufgeschlossene, couragierte Menschen … also die typische Sammlerklientel der damaligen Zeit: Juristen, Ärzte, Kaufleute, Intellektuelle, die geistig Offenen. Die waren mein Publikum. Mir ging es um geistige und emotionale Perspektivveränderungen. Meine Theorie musste sich in der praktischen Arbeit bewähren. Und es hat sich ja sehr viel verändert seither!
Ich war damals in der Frauengruppe Brot und Rosen Brot und Rosen war eine feministische Gruppe aus Berlin, die sich in den 1970er-Jahren mit politischen Aktionen und Veröffentlichungen innerhalb der Frauen- und Emanzipationsbewegung engagierte. Bekannt ist sie insbesondere für ihre 1972 erschienene Publikation „Frauenhandbuch Nr. 1. Abtreibung und Verhütungsmittel“. . Da ging es um Abtreibung, die Pille, um Gesundheit, um soziale Verhältnisse und so weiter. Mit der Gruppe ging es dann zu Ende. Damals begann eine andere feministische Zeit, nämlich die der Selbstbetrachtung der Frau, die körperliche Selbstbetrachtung zum Beispiel, die Selbstfindung. Das war nicht mehr die reine solidarische aufklärerische Phase. Die Freischaffenden bei Brot und Rosen waren natürlich immer disponibel, und die, die arbeiten gingen, waren es nicht. Wir haben sehr, sehr viel mit der Gruppe gemacht, sodass meine eigene Malerei litt. Sehr. Der Verkauf sowieso. So ging es also nicht mehr weiter.
Ich hätte gerne mehr Künstlerinnen ausgestellt, aber es gab keine, die passten. Die Künstlerinnen traten ab Mitte der 70er-Jahre in Deutschland in Erscheinung. Rebecca Horn, Hanne Darboven, Ulrike Rosenbach, Katharina Sieverding. Rebecca Horn habe ich gezeigt, als sie noch Studentin in Hamburg war, sie machte mit mir ihre ersten Ausstellungen, sowohl in Berlin und auch später in New York 1975.
Während der Ausstellungsvorbereitung kam ich natürlich auch nicht zum Malen, aber immerhin bewegte ich mich damit in meinem Metier. Ein Teil der Gruppe von Brot und Rosen machte auch bei der Ausstellung mit. Wir waren vielleicht sieben oder acht Frauen, und zusammen haben wir dann die Ausstellung durchgeboxt. Das Konzept haben wir bei der nGbK eingereicht, und dann ging das seinen Gang. Es war wirklich eine bedeutende Ausstellung. Silvia Bovenschen hat einen Text darüber geschrieben: „Gibt es eine weibliche Ästhetik?“. Silvia Bovenschen, „Über die Frage: Gibt es eine weibliche Ästhetik?“, in „Frauen, Kunst, Kulturgeschichte“, aus der Reihe „Ästhetik und Kommunikation“, Nr. 25, September 1976, S. 60–75. Während wir anfangs dachten, es gäbe vielleicht eine weibliche Ästhetik, hat die Ausstellung uns gezeigt, dass es sie nicht gibt.
Als ich 1990 die Biennale in Sydney machte, hatten die Künstlerinnen einen Anteil von 40 Prozent. Das ist, glaube ich, eine ganz gute Quote. Die Biennale hatte zwei Teile, einen historischen als Ausstellung und einen aktuellen als Biennale-Werkstatt. Die Ausstellung war in Ringen angelegt. Ihr Thema war das Readymade in der Duchamp-Folge. Es gab den historischen Kern mit den Dadaisten, daran angegliedert gab es die 60er- und die 70er-Jahre. Im ersten Ring neben Duchamp, Man Ray und Francis Picabia: keine Künstlerinnen. In den 60er-Jahren erscheinen drei im Fluxus-Umfeld und noch zwei oder drei im Umfeld der Pop-Art. Für die 70er-Jahre dürfte sich der Anteil auf zehn oder zwölf erhöht haben: unter anderen Hanne Darboven, Rosemarie Trockel, Rebecca Horn, Jenny Holzer, Cristina Iglesias, Marie-Jo Lafontaine, Annette Messager, Sophie Calle.
Die Amerikanerinnen hatten schon damals große Anstrengungen gemacht, die waren viel weiter als wir. In den USA haben wir uns auch Material, Kataloge oder Bücher besorgt. Und bereits während der Vorbereitung haben wir festgestellt, dass es diese ästhetische Schublade nicht gibt. Das war in der Rezeption ein gewisses Problem für die Presse, ihnen fehlten die Schubladen. Der Anlass für die Ausstellung war natürlich zum einen die Unterrepräsentation von Künstlerinnen in Ausstellungen und in allen Bereichen, die mit der bildenden Kunst zu tun haben, und zum anderen war uns sehr wichtig, dass die Ausstellung mit internationaler Beteiligung stattfand.
Die eigentliche Biennale, also die künstlerische Werkstatt mit vorwiegend aktuellen Beiträgen aus den 80er-Jahren oder eben ganz neuen Arbeiten, hatte einen Künstlerinnenanteil von mehr als 50 Prozent, darunter natürlich viele australische Künstlerinnen. Diese Biennale zeigt doch sehr deutlich, wie sich die Position der Künstlerinnen verändert und entwickelt hat. Wobei aber eben die Künstlerinnen der 80er-Jahre durch Videoarbeiten, Performance und Fotografie, nicht unbedingt durch Malerei und Skulptur auffielen, was aber auch am Thema der Biennale lag.
Es heißt ja immer, mit der „documenta 6“ wurde endlich die Fotografie als Kunst durchgesetzt. Dazu kann ich Ihnen eine Anekdote erzählen. Damals kamen die Kuratoren Evelyn Weiss und Klaus Honnef nach New York und haben mich besucht. Ich hatte einen Entwurf für einen Beitrag gemacht, ein Statement zum Kalten Krieg, „SUPERMACHT AMERIKA“, und bin dann nach Düsseldorf geflogen, um die Arbeit zu produzieren. In einem Plastikrohr habe ich sie schließlich nach Kassel transportiert. Und als ich dort ankam, hieß es: „Ach, Katharina, hier ist jetzt überhaupt kein Platz mehr, die Arbeit ist zu groß, die können wir nicht hängen.“ Ich dachte: Moment mal, Ihr habt eine Dienstreise nach New York gemacht, um mit mir zu verhandeln, und jetzt gibt es endlich mal eine sogenannte „Medien-documenta“ und ich kann meine Arbeit nicht hängen? Über Nacht habe ich dann eine Gerüstfirma organisiert, und mit denen habe ich in neun Metern Höhe das Bild „VII/77, GRIM GAMES: HAMMER AND SICKLE FlIES OVER NEVADA“ Katharina Sieverding, „VII/77, GRIM GAMES: HAMMER AND SICKLE FlIES OVER NEVADA “, 1977. angetackert. Da sie keine Erfahrung hatten, wie man großformatige Fotorollen glatt an die Wand bringt, hing das Bild entsprechend ziemlich verknittert, und die Freude der documenta-Verantwortlichen, dass diese Arbeit doch Platz an der Wand fand, war natürlich groß. Das ist ein Beispiel, an dem deutlich wird, wie ich meine Arbeit immer wieder durchgesetzt habe. Damit machen Sie keine Karriere. Sie sind nicht Everybody’s Darling.
Ich weiß noch, wie wir zum Gespräch in Köln zusammensaßen, und ich sagte: „Ich hätte gerne einen Videoprojektor für die Ausstellung auf der documenta.“ Die Medienarbeiten sollten im Dachgeschoss des Fridericianums gezeigt werden. Da hat Herzogenrath gesagt: „Nein, der ist für Bill Viola.“ – „Okay, dann muss ich eine Wand bauen. Da brauche ich acht Monitore.“ – „Nein“, sagte er, „die sind für Joan Jonas Joan Jonas (eigtl. Joan Amerman Edwards; * 1936 New York) ist eine US-amerikanische Künstlerin, die als Wegbereiterin der Videoperformance gilt. Mitte der 1960er-Jahre zog sie nach New York, wo sie enge Kontakte zu den Künstlern Dan Graham und Richard Serra unterhielt. Mit Serra kollaborierte sie Anfang der 1970er-Jahre in mehreren Projekten, etwa für die Videoarbeit „Anxious Automation“ (1971). .“ Das waren die zwei ausländischen, amerikanischen Cracks, die mit mir dort ausgestellt haben. Ich habe mordsmäßig rebelliert, mit den Zähnen geknirscht und überlegt: „Was mache ich jetzt?“ Ich hatte eine tierische Wut im Bauch. Und dann habe ich die Arbeit „Herakles – Herkules – King Kong. Die Vorbilder der Mannsbilder“ entworfen – eine kritische Arbeit über das historische, gesellschaftliche Machtbild des Manns.
Ich habe damals meine Schwarz-Rot-Gold-Bilder Markus Lüpertz, „Schwarz-Rot-Gold (I-III)“, 1974. gezeigt und die hingen gegenüber von Francis Bacon. Ein Triptychon von Francis Bacon und meine drei Schwarz-Rot-Gold-Bilder auf der anderen Seite – eine wunderbare Korrespondenz. Dann wurde Penck ausgeladen, weil die DDR-Künstler sonst ihre Teilnahme erpresserisch zurückgezogen hätten.
Ich habe keine Ahnung, ob die DDR Druck gemacht hat. Wird wohl so sein. Ab wann engagierte sich Peter Ludwig in der DDR? Also wann hat er angefangen, DDR-Kunst zu sammeln und in Ost-Berlin Kakao zu verkaufen? Peter Ludwig begann ab Mitte der 1970er-Jahre Arbeiten von Künstlern aus der DDR sowie aus anderen Ländern der Sowjetunion zu erwerben. In seiner Sammlung waren unter anderem Werke von Ivan Chuikov, Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Boris Nemenskij und Werner Tübke. Kritiker beurteilten die Erweiterung der Sammlung Ludwig in diese Richtung als strategisches Vorgehen zur Pflege geschäftlicher Kontakte. Vgl. Boris Pofalla, „Chocolate, Pop and Socialism. Peter Ludwig and the GDR“, in: Jérôme Bazin/Pascal Dubourg Glatigny/Piotr Piotrowski (Hg.), „Art beyond Borders. Artistic Exchange in Communist Europe 1945–1989“, Budapest/New York 2016, S. 81–90.
Penck wurde abgehängt, woraufhin ich mich solidarisch erklärte und meine Bilder aus Protest zurückzog. Baselitz schloss sich dem an und auch seine Bilder wurden abgehängt. Ich habe dann mit Werner noch eine Pressekonferenz gegeben, auf der wir eine gedruckte Erklärung verteilt haben. Und was schreiben die in der Zeitung? Kein Wort darüber. Aus Angst vor Francis Bacons Bildern hätte ich meine Bilder abgehängt. Siehe hierzu auch: Gisela Schirmer, „DDR und documenta“, Bonn 2005. Das war das Einzige, was dazu geschrieben wurde.
Schneckenburger war nicht auffindbar und wir wurden völlig überrollt, als plötzlich Bilder in Bewegung gerieten. Ich habe zuvor keine Wand ohne Bilder gesehen. Und kaum war eine Wand frei, waren die Gehilfen der amerikanischen Kunsthändler zugange, um die Bilder ihrer Künstler dorthin zu hängen. Der spätere Besucher hat von diesem Revirement aber nichts bemerkt. Unser Konzept war bereits durch die Trennung von Fotografie und Malerei zerstört worden, aber äußerlich wirkte alles picobello.
Das ging eigentlich viel zu schnell. Das war alles etwas zu früh. Das sage ich heute, und das habe ich schon oft gesagt. Zwar bin ich für die documenta 1977 sehr viel gereist und habe praktisch zwei Jahre lang in den Ateliers der Künstler verbracht, aber ich bin dort nicht hineingeboren oder -gewachsen, wie beispielsweise Evelyn Weiss oder Klaus Honnef. Der hat als Kunstvereinsleiter in Münster schon zehn Jahre früher angefangen. Evelyn war von Anfang an im Wallraf-Richartz-Museum. Und das habe ich auch gemerkt: Für sie waren Dinge selbstverständlich, die ich mir erst erarbeiten musste.
Als es so weit war, fuhren wir nach Kassel. Wir hatten kein Konzept und keine fixe Idee, was wir machen wollten. Das hatten wir eigentlich nie. Wir dachten, wenn wir die Performance oder das Konzept für die Performance vor Ort entwickeln, erhöht sich die Authentizität. Im Fridericianum gab es, im Kellergeschoss, einen Raum für Performance. Den haben wir uns angeschaut und gesagt: „No way. Das ist eine Beleidigung. Warum nicht gleich in der Kantine oder auf der Toilette?“ Es ging dann darum: „Take it or break it.“ Marina bekam einen Heulanfall: „Was machen wir denn jetzt?“ Ich ging ins documenta-Büro, organisierte ein paar Briefbögen, und dann kopierten wir den Briefkopf und machten unsere eigenen Poster. Es blieb aber noch die Frage: Wo können wir es machen? Neben dem Fridericianum war Bilka, ein Billigkaufhaus mit Tiefgarage. Die haben wir uns angeschaut und waren uns gleich einig: „Das ist es.“ Dann haben wir mit dem Manager von Bilka gesprochen: „Wir brauchen die Garage für eine documenta-Geschichte. Allerdings ohne Autos.“ Und der sagte wirklich: „Okay. Ab fünf Uhr könnt ihr rein.“
Keine Eröffnung, keine Politikerrede, kein Sponsorendank. Null. Sondern drei Künstler machen die Eröffnung viertel nach acht im deutschen Fernsehen, live. Das fanden wir damals wichtig und gut. Und ich finde es bis heute fast eine revolutionäre Tat, wenn man die – natürlich notwendigen – Rituale der Eröffnung von Ausstellungen betrachtet. Da hat Beuys diese kleine Rede gehalten: „Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kinder …“
Die Performance sollte um acht Uhr stattfinden. Oder kurz nach acht, um acht Uhr war die offizielle Eröffnung, live mit Nam June Paik, Beuys und Charlotte Moorman. Zur Eröffnung der „documenta 6“ (1977) wurden Beiträge von Joseph Beuys, Douglas Davis sowie Nam June Paik und Charlotte Moorman live via Satellitenübertragung im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Ich habe dann die Installation gebaut. Statt der Betonsäulen haben wir stabiles Holz oben und unten mit Metallgleitplatten versehen. Darin waren Mikrofone eingebaut, die ich spontan von einer Rock-’n’-Roll-Band aus Karlsruhe bekam. Viertel vor acht war die Installation fertig, und ich war natürlich müde vom Bauen.
Ich habe deutsche Fernsehleute noch nie so nervös gesehen wie vor dieser Sendung. Es war noch nicht der Herbst 77, aber die politische Situation war angespannt. Beuys war dafür bekannt, dass er revolutionäre, besondere Thesen emotional hervorbringt. Sie haben ihn vorher gefragt: „Herr Beuys, was werden Sie erzählen? Können wir das probeweise mal haben? Dann können wir besser schneiden.“ – „Nein, Sie schneiden nichts. Frontalkamera, neun Minuten. Sie machen gar nichts, Sie lassen laufen und das ist es.“ Er blieb stur und man rechnete damit, dass um halb neun in Deutschland die Revolution ausbricht.
Erst passierte nicht viel, die Garage war ja nicht als offizieller Ort der documenta angekündigt. Als wir anfingen, war noch kein Mensch da. Wir zogen uns aus, legten unsere Kleider irgendwohin und begannen, nackt gegen die Säulen zu laufen, zu kollidieren. Das Geräusch war unglaublich. Sehr laut und gemein. Zwei nackte Körper, die gegen eine Wand laufen, machen ein sehr spezielles Geräusch. Eigentlich haben wir nur Nackt-Performances gemacht, wenn es um den Sound ging. Angezogen von diesem ungewöhnlichen Sound, der aus der Garage herausdrang, waren es am Ende ungefähr 900 Personen, die unsere Performance sahen.
Es wurde dann natürlich eine so komplexe, komplizierte Rede, dass kaum einer folgen konnte. Beuys sagte aber auch: „Das war keine Videokunst, das war mein Beitrag zum Fernsehen.“ Das war wunderbar auf den Punkt gebracht.
Ich bin nach 20 Minuten aus der Performanceanlage ausgestiegen. Marina hat fortgesetzt. Ich war ja nackt, und da waren so viele Leute, dass ich meine Kleidung nicht finden konnte. Zwischen den Beinen der Leute habe ich nackt auf dem Boden nach meinem Häufchen Kleidung gesucht. Und auf einmal sehe ich eine Dame im langen, roten Kleid mit einem schwarzen Cello-Koffer vor mir: Charlotte Moorman. Ich stehe auf, nackt, und sie fällt rückwärts in Ohnmacht. In ihrem roten Kleid, der schwarze Cello-Koffer auf ihr, lag sie auf dem Betonboden. Ein tolles Bild! Ich habe mich hingekniet, meine Hand unter ihren Kopf gelegt und ihr leicht auf die Wange geschlagen: „Charlotte, Charlotte, Charlotte, Charlotte.“
Georg Jappe war kurz nach der Eröffnung in San Francisco und hat gesagt: „Weißt du, dass du dir eine Million Werbekosten gespart hast? Die komplette Kunstszene in San Francisco spricht nur noch von Walter De Marias Bohrloch.“ Das Bohrloch wurde natürlich kaum beachtet, als es dann fertig war. Heute übersieht es auch jeder, weil es nur die Oberkante eines Messingstabs mit einem Durchmesser von 5 Zentimeter ist. Mehr ist es nicht. Aber das Bohrloch existiert natürlich in der Vorstellung. Und die ist tausendmal wichtiger als das, was dort sichtbar ist.
Der Konkurrenzkampf erhielt Ende der 70er-Jahre schärfere Konturen: Bereits die „documenta 6“ ()1977) wurde von einem harten Konkurrenzkampf unter den Händlern überschattet. Die gemeinsamen Interessen, die man einmal vertreten hatte, schwanden zugunsten von Marktinteressen. Der avancierte Kunstbetrieb differenzierte sich.
Ich habe damals eine Führung für die Taxifahrer in Kassel gemacht. Denn die waren ja die Ersten, die mit den Gästen Kontakt hatten. Und ich hab ihnen gesagt: „Stellen Sie sich mal 1.000 Meter vor und zwar möglichst genau. Nicht 999 oder 998, sondern 1.000 Meter genau.“ Das haben die weitergegeben. Denen hat es total eingeleuchtet, denn deren Tacho geht ja auf Kilometer. Es gab jedenfalls viel Diskussion, aber dadurch auch viel Werbung und auch viel Negativwerbung. Aber die Negativwerbung schlägt dann irgendwann in positive Werbung um. Damals hatte die documenta den größten Besuchersprung in der Geschichte der documenta gemacht, nämlich von 210.000 Besuchern bei Harry Szeemann auf 360.000 Besucher. Das ist, prozentual gesehen, bis heute der größte Sprung.
„So einen Mann wie Sie brauche ich. Ich habe jetzt zehn Galerien, und wir kraxeln da herum. Wir haben nicht die richtigen Leute. Wollen Sie das nicht machen?“ Darauf habe ich gesagt: „Ich bin Museumsmann, ich gehe nicht in eine Galerie.“ Er lud mich dann nach Goslar in das höchste Gebäude der Stadt ein: Es hatte vier Stockwerke. Aber ein Schwimmbad auf dem Dach. Dort residierte Schenning über seiner Firma in einem Penthouse. Am Pool wurde ich köstlich bewirtet, und er bohrte, ob ich nicht doch seine Galerien betreuen würde. Ich habe lange darüber nachgedacht – er machte mir Angebote in unanständiger Höhe und fragte: „Was verdient man denn so als Kunstvereinsdirektor?“ – „Die zweithöchste Angestelltentarifgruppe: BAT IIa.“ Das waren damals 2.000 D-Mark. Da fragte er ganz trocken: „Kann man davon leben?“ Schenning sagte: „Ich biete Ihnen 100.000 D-Mark als Jahresetat, davon können Sie ein paar schöne Bücher machen. Und was haben Sie für einen Reiseetat?“ – „Auch 10.000.“ Das reichte für einmal Basel und vielleicht zwei Künstlerbesuche. „Erhöhe ich auch auf 100.000. Sie müssen natürlich auch ein anständiges Auto haben mit Autotelefon.“ Ein Autotelefon war damals etwas ganz Verrücktes. Der ganze Kofferraum war voller Röhren, und die Sekretärin musste dem Anrufer dann sagen: „Er wollte von Goslar nach Köln fahren, jetzt gerade könnte er in Bielefeld sein.“ Man musste die Bielefelder Vorwahl wählen, um jemanden im Auto zu erreichen, der gerade in Bielefeld war. Das war also alles schon sehr verführerisch. Zwei Jahre lang habe ich das gemacht, und dann bekam das Unternehmen finanzielle Schwierigkeiten. Damals sagte Schenning zu mir: „Jetzt habe ich Sie nach Goslar in unser Kaff geholt, jetzt muss ich ja für Sie sorgen. Dann werden Sie jetzt eben Museumsdirektor, und ich baue Ihnen ein Museum.“
Als ich später im Museumsbetrieb war und diese deutschen Künstler kennengelernt hatte, habe ich mit meinem Kollegen Edy de Wilde Edy de Wilde (eigtl. Eduard Leo Louis de Wilde; 1919 Nijmegen – 2005 Amsterdam) war ein niederländischer Kurator und Sammler, der von 1945 bis 1963 das Stedelijk Van Abbemuseum in Eindhoven und anschließend bis 1985 das Stedelijk Museum in Amsterdam leitete. im Stedelijk Museum telefoniert. Ich war damals noch Direktor in Eindhoven, das muss etwa 1978 gewesen sein. Er fragte: „Was machst du so?“ – „Ich fahre morgen nach Deutschland.“ – „Weißt du nicht, was Georges Clemenceau Georges Clemenceau (1841 Mouilleron-en-Pareds – 1929 Paris) war ein französischer Journalist und Politiker, der von 1906 bis 1909 und von 1917 bis 1920 das Amt des Ministerpräsidenten von Frankreich innehatte. Nach dem Ersten Weltkrieg galt er als entschiedener Gegner Deutschlands und plädierte für dessen ökonomische sowie politische Schwächung. gesagt hat? Am Rhein fängt Asien an.“ – „Was machst denn du?“ – „Ich fahre nach Amerika.“ Das war der Punkt: Man ging entweder nach Deutschland oder nach Amerika. Die documenta war in meinem Kopf auch so aufgebaut. Es gab eine gewisse Stimmung, dass man entweder für oder gegen Amerika war.
Ich musste ihn quasi überreden. Und vor allem überzeugen: Wenn ich dorthin gehe, dann ist die Galerie ein europäischer Raum, sozusagen eine kulturelle Insel, die er frei betreten kann. Und auf dieser Überlegung basierte auch die Aktion mit dem etwas ironischen Titel „I Like America and America Likes Me“: Nichts sehen von Amerika, einwickeln in Filz am Flughafen wie schon in der Filzrolle beim „Chef“, dann in einem Krankenwagen nach Manhattan transportiert werden und das Haus am Westbroadway während der gesamten Woche nicht verlassen. Das war alles Bestandteil dieser Aktion. Der Dialog mit dem Kojoten als Symbol für den Genozid an den Indianern war ja nur ein Teil, wenn auch der zentrale, dieser sechs Tage dauernden Aktion. Vielleicht war die Anti-Amerika Haltung dieser Aktion auch zu deutlich. Jedenfalls hat die New York Times nicht über die Aktion berichtet und auch später über keine unserer Ausstellungen. Nur das New York Magazine warnte „The Germans are coming!“
Die deutsche Kunst hatte ihren internationalen Durchbruch 1979 mit der Ausstellung von Joseph Beuys im Guggenheim New York. „Joseph Beuys“, The Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 02. November 1979 – 02. Januar 1980. Das ist zweifellos das erste Mal in der Geschichte, dass das Guggenheim einem deutschen Künstler eine große Ausstellung widmete.
Heute wird der Erfolg daran gemessen, dass jemand eine Einzelausstellung da und dort in einem großen Museum hat, was bedeutet, dass der Preis hochgeht. Das ist der Erfolgsmesser. Ich glaube, dass Beuys eine starke Wirkung hatte. Beuys konnte Leute mit seinen wenn auch oft merkwürdigen Gedanken über die Genese und die Bedeutung seiner Objekte beeindrucken. Und es war auch für die Amerikaner schwierig: Diese „Filzecken“ sind nicht jedermanns Sache, da muss man ja mal ehrlich sein.
In New York gab es damals, ich weiß nicht, ob sich das mittlerweile geändert hat, kein Gefühl für diesen Schmuddel bei Beuys, diese Nachkriegsästhetik, wie ich es nenne. Das ist den Amerikanern unvertraut, das wirkte neben diesem Cleanen, Sauberen der Minimal Art und Pop-Art anachronistisch, alt.
Beuys repräsentierte wohl zu viel Alte Welt in der Neuen Welt. Wahrscheinlich war er, der am Anfang seiner internationalen Karriere stand, zu radikal, zu idealistisch, zu utopisch, zu romantisch, kurz: zu deutsch, um auf Anhieb in den USA Erfolg zu haben. Tom Messer Thomas M. Messer (1920 Bratislava, Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik – 2013 New York) wanderte 1939 zunächst nach Großbritannien aus und im selben Jahr weiter in die USA, wo er 1942 ein Studium der Modern Languages an der Boston University abschloss. Nach dem Kriegsdienst für die US-Army setzte Messer sein Studium an der Sorbonne in Paris und an der Harvard University fort. Von 1957 bis 1961 leitete er das Institute of Contemporary Art in Boston, von 1961 bis 1988 war er Direktor des Solomon R. Guggenheim Museum in New York. , der Direktor des Guggenheim Museum, musste sogar um seinen Job fürchten, es gab Überlegungen, ihm wegen des Beuys-Projekts zu kündigen.
Die große Ausstellung von Beuys im Guggenheim Museum war 1979 nur möglich, weil der Direktor, Tom Messer, von der deutschen Kultur geprägt war und das Auswärtige Amt die Ausstellung massiv finanziert hat. Hinzu kam, dass Heiner Bastian Heiner Bastian (* 1944) ist ein Galerist, Kunstsammler und Ausstellungsmacher, der ab den 1970er-Jahren Privatsekretär des Künstlers Joseph Beuys (1921–1986) war. Von 1996 bis 2007 arbeitete er als Kurator der Sammlung Marx am Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart in Berlin. 2007 eröffnete Bastian mit seiner Frau Céline Bastian die Galerie Bastian Am Kupfergraben in Berlin-Mitte. geschickt genug war, die amerikanischen Trade Unions aus dem Museum herauszuhalten und seine eigene Mannschaft einzufliegen. Ich habe mir die Ausstellung damals angesehen und erinnere mich, wie die Journalisten vor dem Guggenheim vorbeilaufende Jogger fragten: „Do you like Beuys“? – „Boys? I’m not gay.“ Die Amerikaner konnten mit dem Namen Beuys gar nichts anfangen.
Ich war auch mit Beuys zusammen in seiner Suite, wo Beuys eine Entdeckung gemacht hat. Er hat gesagt: „Du musst zu mir zum Frühstück kommen, da gibt es etwas, das hast du noch nie gesehen.“ Er hatte eine Suite im Waldorf Astoria, ein großes Hotel, und oben waren seine Kinder, seine Frau und jede Menge Anhang. Die Attraktion, auf die er mich meinte hinweisen zu müssen: Es gibt in Amerika so eine aus Gewebe gebildete, aber durchlässige Hülle für Zitronen. Jetzt tun Sie eine aufgeschnittene Zitrone da rein und dann können Sie die durch die Hülle zusammendrücken, der Saft kommt unten raus und der Rest bleibt drin. Keine besondere Sache. Ich hatte das auch schon gesehen, der Beuys nicht. Er hat gesagt: „Ist das nicht unglaublich? Guck dir das mal an. Und bringen Sie noch Zitronen.“ Und er hat diese Zitronen gepresst. Das war rührend. Es war ein großer und schöner Tag und es war ein großer Erfolg. Die Amerikaner, die Presse, die ja in Manhattan mit Fachblättern vertreten war, haben gesagt: „Wir verstehen es nicht, aber es ist großartig und mystisch.“
Johannes Cladders, Johannes Cladders (1924 Krefeld – 2009 Krefeld) leitete von 1967 bis 1985 die Städtischen Kunstmuseen (ab 1982 Museum Abteiberg) in Mönchengladbach. Für die „documenta 5“ (1972) arbeitete er im Team von Harald Szeemann. Cladders war 1982 und 1984 kommissarischer Leiter des Deutschen Pavillons der Biennale von Venedig. Er gilt als wichtiger Vermittler des künstlerischen Werks von Joseph Beuys, Robert Filliou und Jannis Kounellis. einer meiner documenta-Vorgänger und für mich eine Art Vaterfigur, ist damals mit Mitte 50 zum ersten Mal in seinem Leben nach New York geflogen. Für mich war er der große deutsche Museumsdirektor, der größte von allen. Ich war damals auch gerade in Amerika und wir haben uns bei der Eröffnung getroffen.
Die Ausstellung war in dieser Spirale stationsweise angeordnet. Von einem extraordinären Aufwand kann man wohl kaum sprechen. Wahrscheinlich war der Transport von diesen riesigen Talgblöcken von dem „Unschlitt“, die jetzt in Berlin sind, kostspielig. Die Eröffnung war ziemlich grandios.
Anschließend waren wir irgendwo in Manhattan in einer Kneipe und da war auch Richard Serra Richard Serra (* 1939 San Francisco) ist ein US-amerikanischer Künstler, der mit seinen monumentalen, aus Industriestahl gefertigten Skulpturen bekannt wurde. dabei. Nun kann man sagen, dass zwischen Serra und Beuys in der Farbigkeit eine gewisse Ähnlichkeit besteht. Man sieht, dass es die gleiche Periode ist. Als Typ war Serra manchmal ziemlich unerträglich und in der Kneipe hat er getobt: „Scheiß Beuys! Das ist unmöglich, dass er eine Ausstellung im Guggenheim hat und ich nicht!“ Darüber war er persönlich beleidigt. Und ich werde nie vergessen, wie wir, also Serra, Cladders, der ein alter Freund von Beuys war, und ich, damals gestritten haben.
Es war ein Kampf um Aufmerksamkeit, und Spannungen waren an der Tagesordnung. Auch Künstler wollen von ihrer Arbeit leben und ihre Werke verkaufen. Aber die Konkurrenz war nicht so brutal wie heute, es war kein Verdrängungswettbewerb. Franz Dahlem Franz Dahlem (* 1938 München), Heiner Friedrich (* 1938 Stettin, Pommern, heute Polen) und Six Friedrich (* 1938 Gelsenkirchen) eröffneten im Juli 1963 in München die Galerie Friedrich & Dahlem. Dort zeigten sie in den ersten Jahren unter anderem Werke von Uwe Lausen, Gerhard Richter, Francis Bacon, David Hockney, Cy Twombly, Georg Baselitz und Robert Rauschenberg. Nach Uneinigkeiten in der gemeinsamen Galerie eröffnete Dahlem zum Jahreswechsel 1966/67 eine eigene Galerie in Darmstadt und pflegte engen Kontakt zu dem dort ansässigen Sammler Karl Ströher. Gemeinsam mit Heiner Friedrich vermittelte er Ströher 1968 die Sammlung Kraushar sowie den „Block Beuys“, den größten zusammenhängenden Werkkomplex von Joseph Beuys, der in den Jahren 1967 bis 1969 in mehreren Ankäufen von Ströher erworben wurde.Dahlem gilt als enger Vertrauter und wichtiger Vermittler der Kunst von Georg Baselitz, Joseph Beuys, Uwe Lausen und Blinky Palermo. ist häufig hinter mir hergelaufen: „Ich muss Ihnen unbedingt etwas zeigen. Baselitz!“
Walter De Maria Walter De Maria (1935 Albany, Kalifornien – 2013 Los Angeles) war ein Künstler, der zu den wichtigsten Vertretern der Land-Art zählt. Zu seinen bekanntesten Installationen gehören die Arbeiten „Mile Long Drawing“ (Mojave-Wüste, 1968) und „The Lightning Field“ (Catron County, New Mexico, 1977). Ab 1968 stellte De Maria regelmäßig in der Galerie Heiner Friedrich in München, Köln und New York aus. Durch die Unterstützung der Dia Art Foundation wurde die Zusammenarbeit zwischen De Maria und Friedrich auch nach der Schließung der Heiner Friedrich Gallery im Jahr 1979 weiter fortgeführt. war zum Beispiel der Meinung, Sachen wie die von Georg Baselitz seien total unmöglich. Also innerhalb von diesem Friedrich-Programm – was ja heute als so eine Art Nukleus gesehen wird von allem, was wichtig war – gab es unglaubliche Spannungen und Reibungen. Das war mit Georg Baselitz so und später mit Markus Lüpertz, das war ein noch viel größerer Streitfall, da war der Heiner sehr explizit dagegen. Darum gab es eigentlich immer Zoff.
Am Anfang hat er sich noch sehr zurückgehalten, und dann fing er an, wie schlecht alles in Europa sei und dass in Amerika alles viel besser sei. Ich dachte: „Was für ein Quatsch!“, und sagte zu ihm: „Don, du darfst nicht vergessen, dass die Amerikaner vor dem Krieg eigentlich keine Ahnung hatten, was große Kunst ist. Nach dem Krieg haben sie einiges Großes hervorgebracht und dafür bewundern wir sie, zum Beispiel Barnett Newman. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Deine Arbeit ohne Leute wie Mondrian überhaupt existieren würde.“ Da ist er explodiert: „Mondrian, dieser dumme Europäer, damit habe ich nichts zu tun.“ Er hat sich so aufgeregt, dass er mich von der Treppe geschubst hat. Wir hatten alle zu viel getrunken, aber er hat mich wirklich die Treppe hinuntergestoßen und zur Tür hinausgeworfen. Rudi Fuchs ist mir hinterhergelaufen.
In den 70er-Jahren war die erste große Krise. Nicht die Krise der Kunst, sondern die Entmaterialisierung der Kunst. Die Konzeptkunst wurde immer stärker, die überintellektuelle Art. Ich brauche Sinnlichkeit in der Kunst. Ich möchte nicht, unter keinen Umständen, in der Galerie stehen und Texte darüber lesen, warum der Punkt jetzt rechts unten ist.
Das ist ein interessantes Problem. Darüber habe ich mich mit Lawrence Weiner heftig gestritten, der sagt: „Man kann das Kunstwerk ausführen oder nicht ausführen.“ Ich finde, der Künstler trägt auch die Verantwortung, wie etwas aussehen soll. Das ist seine Wahl, und das ist auch seine Arbeit. Das Konzept ist die eine Sache, aber das Konzept kann noch so fantastisch sein, ohne die Ausführung ist es überhaupt nichts. Das hat mittlerweile auch Lawrence Weiner begriffen. Früher hat er immer gesagt: „Hier ist mein Konzept, mehr mache ich nicht!“
Die Concept-Art war, wie Harald Szeemann es ausgedrückt hat, Kunst im Kopf, und diese Ambivalenz, sie zu realisieren oder auch nicht zu realisieren, ruft eine beunruhigende Vorstellung hervor. In diesem Punkt unterscheidet sich Kunst sicherlich von Philosophie, die um Eindeutigkeit und Präzision ringt – da war Joseph Kosuth meines Erachtens auf dem Irrweg. Kunst ist dagegen ein schillerndes Phänomen.
Das alles war nicht zuletzt auch systemkritisch, um nicht zu sagen antikommerziell. Trotzdem sind wir über die Runden gekommen, und es war alles andere als eine entbehrungsreiche Leidenszeit, eher so eine Art protestantischer, versachlichter Lifestyle. Was uns getragen hat, waren zum einen diverse Nebenjobs und natürlich die Überzeugung, einer quasi aristokratischen Kunstelite anzugehören.
Der große Streit mit Timm Ulrichs Timm Ulrichs (* 1940 Berlin) ist ein Künstler, der insbesondere für sein Konzept der Totalkunst bekannt ist. Mit Beginn der 1960er-Jahre zeigte er frühe Aktionen und Ausstellungen in seiner selbst organisierten „Zimmer-Galerie“ in Hannover. 1966 folgte die erste öffentliche Selbstausstellung als lebendes Kunstwerk in der Galerie Patio in Neu-Isenburg bei Frankfurt am Main. 1977 war Ulrichs auf der „documenta 6“ vertreten. Er lehrte von 1972 bis 2005 als Professor für Bildhauerei und Totalkunst an der Kunstakademie Münster. war dafür symptomatisch: „Ich habe das und das als Erster gemacht“, war seine ständige Rede – mitunter zu Recht. Doch niemand nahm es ernsthaft zur Kenntnis. Nicht nur die Künstler, auch wir Ausstellungsmacher waren auf die Zukunft fixiert und davon durchdrungen, dass unsere Arbeit Bestandteil der Kunstgeschichte werden würde.
Vielleicht hat Kippi [Martin Kippenberger] es auf den Punkt gebracht: „Ihr seid das Hochgebirge, da kommen wir nicht drüber, also laufen wir drum herum.“ Das ist klug. Ich habe in der Klasse hochbegabte Leute gehabt, die sich von meinem Unterricht angezogen fühlten, die wollten konzeptuell arbeiten. Das waren jedoch meist Nachahmungen. Lawrence Weiner, den ich als Gastprofessor nach Hamburg geholt hatte, sagte: „Mensch Franz, die machen das besser als wir, nur was soll’s.“
Im Untertitel der „Prospect“ Unter dem Titel „Prospect“ fanden zwischen 1968 und 1976 in unregelmäßigen Abständen insgesamt fünf Ausstellungen in der Kunsthalle Düsseldorf statt. Initiiert von dem Galeristen Konrad Fischer und dem damals als Kunstkritiker tätigen Hans Strelow entstand „Prospect“ als Alternative zum Kölner Kunstmarkt, der 1967 erstmals stattfand und ausschließlich deutschen Galerien Zugang gewährte. „Prospect“ wurde zu einer internationalen Plattform für zeitgenössische Kunst, wobei die in- und ausländischen Galerien der Avantgarde die Transporte finanzierten und im Gegenzug Vorschläge zur Auswahl der Künstler einreichen konnten. -Reihe hieß es immer: „Vorschau auf die Kunst in den Galerien der Avantgarde“. Man stellte aber nun fest, dass diese Ankündigung sich eigentlich erübrigte, weil diese Avantgarde inzwischen überall stattgefunden hatte. Es stellte sich eher die Aufgabe, ein Resümee zu ziehen: Wie sehen wir, aus der Sicht der „Prospect“-Veranstalter, die Kunst nach 45?
Ich habe wie die meisten an ein lineares Prinzip von der Fortschrittlichkeit in der Kunst geglaubt. Mit der Concept-Art sind wir allerdings am Ende der Fahnenstange angelangt. Auf einmal stellte sich heraus, dass dieses lineare Verständnis oder die Vorstellung von einer progressiven Kunst im höchsten Sinne fragwürdig war.
Es war Zeit für eine Veränderung, für einen Neuanfang.