Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

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Markus Lüpertz

Markus Lüpertz

Markus  Lüpertz

Markus Lüpertz

Teltow, 21. November 2015

Franziska Leuthäußer: Es gibt tatsächlich noch kein Interview mit Ihnen über diese Zeit, oder ist mir das nur nicht bekannt?

Markus Lüpertz: Sicherlich tauchen in einigen Interviews Anmerkungen auf und werden Themen von damals angeschnitten, speziell ist diese Zeitspanne jedoch nie betrachtet worden. Wie sah ich denn da aus? Moment … habe ich nicht ein Foto? Ich bin diesbezüglich nicht so organisiert, weil mich meine Vergangenheit eigentlich kaum interessiert. Ich finde, ich bin der Mann der Zukunft und habe mir nie wirklich Gedanken über meine Vergangenheit gemacht. Dafür bin ich noch zu jung!

Ich bin ja noch etwas jünger als Sie …

Das wäre mir gar nicht aufgefallen.

Ja, es fällt kaum auf.

Es fällt kaum auf, Sie haben völlig recht. Das haben Sie sehr nett gesagt. Der Tag ist für mich gerettet.

Sind Sie zufrieden mit Ihrer Ausstellung im Bode-Museum „Nichts Neues. Die Abstraktion hat noch nicht begonnen. Markus Lüpertz im Bode-Museum“, Bode-Museum, Berlin, 06. November 2015 – 20. März 2016. ?

Ja. Warum stellt man in einem solchen Museum aus? Weil es wie ein Museum aussieht. Kein moderner Schnickschnack an Architektur, sondern ein Museum, wie ein Museum auszusehen hat: mit Oberlicht und Räumen, in denen das Ausstellen von Kunst Freude bereitet. Alles ist von Kunst durchdrungen und man atmet die Atmosphäre einer besonderen Situation, steht mitten im Ereignis von Kunst. „Jetzt haben Sie 1.000 Jahre aktuelle Kunst vor sich“, hat der Direktor zur Eröffnung der Ausstellung treffend bemerkt. Dieser Anspruch, dieser Vergleich, dieses Beweisen und die Darstellung, woher man kommt und wohin man will – das wird in solchen atmosphärischen Stimmungen möglich und fordert den Betrachter. Die Leute müssen sich damit auseinandersetzen. Vorausgesetzt sie waren schon einige Male im Museum. Ich habe dort eine Pressekonferenz gegeben: 99 Prozent der Anwesenden waren vorher noch nie im Bode-Museum. Das ist Kulturpresse! Und die waren dermaßen eingeschüchtert. Ich meine, das ist doch ein völlig schwachsinniger Titel: „Nichts Neues. Die Abstraktion hat noch nicht begonnen“ – wenn man darauf nicht anspringt, ist Hopfen und Malz verloren.

Wo kommt der Titel her?

Diese Provokation habe ich mir einfallen lassen. Und da muss doch jeder Intelligente sagen: „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“

Hat keiner nachgefragt?

Nicht einer! Ist doch traurig und völlig unmöglich!

Aber der Artikel „Gunst der Götter“ Vgl. Christiane Meixner, "Gunst der Götter. Der Maler und Bildhauer Markus Lüpertz misst sich im Bode-Museum mit der Kunstgeschichte", in: „Der Tagesspiegel“, 13.11.2015, S. 19. von Christiane Meixner im „Tagesspiegel“ …

Der war gut. Da war ich sehr überrascht. Das war keine Lobhudelei, sondern einfach ein Versuch zu begreifen, was der alte Mann sich vorgestellt hat. Und das hat sie sehr gut beschrieben. Aber diese völlige Unfähigkeit der Journalisten, die eigentlich berufsmäßig damit beschäftigt sind, und die totale Ignoranz gegenüber dieser bemerkenswerten Situation – das bringt mich in Rage. Wo haben die ihre Augen? Sind die von Sinnen? Der grandiose Auftakt mit der Skulptur auf der Brücke vor dem Museum. Dann begegnest du, wenn du durch diesen Gang gehst, den wunderschönen Skulpturen von Andreas Schlüter, und beim zufälligen Blick in den Hof siehst du dann links und rechts die zwei Titanen. Die Möglichkeit mit Museen dieser Couleur zeitgenössisch umzugehen, ist einfach eine großartige Chance und Herausforderung, weil unsere Museen mittlerweile wirklich zu Geisterbahnen geworden sind.

Wo würden Sie Ihre Werke am allerliebsten sehen?

In einem Museum, das seinen Namen verdient! Und hier hat es einen Wandel gegeben, haben sich die Bedürfnisse und der Geschmack der Gesellschaft verändert, auch weil es an Wissen mangelt. Und genau da setzen die Schwierigkeiten ein: Wissen um und Gefühl für die Malerei haben sich mehr und mehr verloren. Kein Wunder, wenn sie die Wände der Museen mit Fotos zukleistern und die Räume den neuen Medien überlassen. Wie sollst du als Maler, als Bildhauer dagegen bestehen? Ich meine, wenn der Museumsgänger nicht mehr über die Bildung verfügt zu verstehen, was Malerei angeht, wenn er die Zusammenhänge nicht sieht, wenn er nicht ganz selbstverständlich ins Bildergeschehen involviert ist. Was dann? Bis in die 70er-Jahre hinein war Malerei der Höhepunkt der bildenden Kunst. Fotografie, eine periphere Randerscheinung, gehörte zur Avantgarde. Das fing mit Man Ray an und hatte dann seine Hochzeit in den 50er- und 60er-Jahren. Da war die Fotografie aber keine Kunst, sondern Fotografie war Fotografie. Es gab die photokina Die photokina ist eine seit 1950 in Köln ausgerichtete Fachmesse für Fotografie und neue fotografische Bildgewinnungsverfahren. in Köln, und es ging im Wesentlichen um Berichterstattung und Reportage. Der Fotograf hatte keine Samtjacke an und lange Haare, sondern stampfte mit schusssicherer Weste durch die Weltkonflikte und hoffte, dass sein Foto im „Life-Magazine“ erschien und prämiert wurde. Es herrschte ein ganz anderes Bewusstsein.

Jetzt, wo Sie Ihre Kunst im Bode-Museum zwischen den Skulpturen seit dem frühen Mittelalter sehen, würden Sie sich eine dauerhafte Präsentation in dieser Art für Ihre Werke wünschen?

Nein, weil ich in meiner Situation über Museen als Orte des Bewahrens noch nicht nachdenken will. Ich mache Ausstellungen in Museen und dann werden sie wieder abgebaut. Ich will kein Museum und ich will auch noch keinen Platz, wo meine Werke bleiben.

Aber Ihre Werke sind ja in Sammlungen.

Sammlungen gehen den Weg des Üblichen, was weiß ich. Aber ich würde kein eigenes Lüpertz-Museum wollen. Stellen Sie sich vor: Da kommt ein Fanverein und möchte ein Lüpertz-Museum bauen. Grauenhaft. Das wäre so, als würden die mir eine Beerdigung ausrichten. Ich bin noch am Anfang, ich betreibe den permanenten Anfang. Ich hasse es, in irgendeiner Form angekommen zu sein. Das Bode-Museum ist nur eine Stippvisite im Mittelalter. Das sind Dinge, die mich reizen. Dieser kurze Flirt, das Auskosten einer Möglichkeit. Und morgen lass ich mir wieder etwas anderes einfallen. Ich will nicht darauf festgenagelt werden. Wenn Sie es kaufen und hinstellen, habe ich nichts dagegen. Aber das wäre reiner Erfolg – wie immer, wenn man etwas verkauft.

Warum sind Sie damals nach Berlin gegangen?

Aus dem banalen Grund, aus dem alle Jugendlichen damals nach Berlin gegangen sind: um nicht zur Bundeswehr zu müssen. Ich war kein Kriegsdienstverweigerer. Politik hat mich, vor allem in der damaligen Zeit, auch nur peripher oder allgemein interessiert. Ich hatte einfach keine Lust, zum Bund zu gehen, ich wollte nicht. Ich bin nicht dagegen gewesen, sondern hatte keinen Bock. Und das war die einzige Möglichkeit, der Sache elegant zu entgehen und aus dem Rheinland rauszukommen, in dem ich groß geworden und aufgewachsen bin. Ich bin ja aus der Akademie in Düsseldorf rausgeschmissen worden. Und deswegen wurde ich – relativ früh – gezwungen, bildender Künstler zu sein.

Mit 20.

Ja, mit Anfang 20 und dem Bewusstsein, bildender Künstler zu sein, bin ich 1960 nach Berlin gekommen. Denn das war die Stadt, in die alle gingen. Ich will das nicht romantisieren. Es war eine harte Zeit. So viel wie in dieser Zeit hast du nie gefroren. Diese Wohnungen, die Mieten, die du nicht zahlen konntest, diese Umzüge, das Fliehen aus den Wohnungen, die Kneipen, die ganze Atmosphäre und Lebensart. Wenn man davon heute erzählt, hat das etwas Romantisches. Das war es nicht. Aber es war wunderbar. Und ich sage dies nicht aus sentimentaler Erinnerung, aus der Nostalgie eines Es-war-alles-besser – überhaupt nicht. Es gab zum Beispiel keinen Erfolg. Es gab keine erfolgreichen Künstler. Bescheidenen Erfolg hatten allenfalls die Professoren. Kein deutscher Künstler hatte damals Erfolg, international gesehen. Es gab nur ein Ziel: von seiner Kunst zu leben. Egal wie! Und das war das, was wir alle anstrebten. Entweder man hat reich geheiratet, der Oma ihr Haus verkauft oder musste, wie ich, jobben gehen, um seine Kunst finanzieren zu können. Da es jedem so ging, warst du das, was du behauptetest. Es gab Kneipen, in denen alle Künstler hockten, was man in der Form heute überhaupt nicht mehr antrifft. Jeden Abend hast du deine Kumpels getroffen, das war ein ganzer Haufen.

Gab es so etwas wie eine Kunstszene, als Sie in Berlin angekommen sind?

Es gab eine Kunstszene im Untergrund. Das waren einfach Leute gleichen Interesses und die tauchten gerade in Schöneberg und anderen billigen Gegenden auf. Natürlich waren die in irgendeiner Weise gebunden an die HdK am Steinplatz oder in der Grunewaldstraße. Und dadurch, dass ich Ecke Winterfeldt-/Potsdamer Straße eine Wohnung ergatterte, war ich automatisch bei den Künstlern von der Grunewaldstraße. Gegenüber gab es ein Lokal, das Puszta-Stube hieß, da gingen von den Professoren bis zu den Schülern alle hin. Im Anschreibenlassen war ich groß und als ich nicht mehr bezahlen konnte, hat die Wirtin gesagt: „Du musst jetzt hier arbeiten.“ Da fing ich an, in der Puszta-Stube mein Geld zu verdienen.

Wer ging alles in die Puszta-Stube?

Unsere ganzen Berliner Größen: Fred Thieler, Ludwig Gabriel Schrieber, Harry Kögler, Mac Zimmermann. Dann gab es die Schülergeneration, darunter K.H. Hödicke, Peter Sorge, Bernd Koberling – das war eine illustre Truppe. Mit mir kam damals Lambert Maria Wintersberger nach Berlin. Wir waren enge Freunde. Wir fingen zusammen an, und er war von uns allen der Erste überhaupt, der Erfolg hatte. Noch vor Georg Baselitz, den ich auch in Berlin kennenlernte. Wenn man den Schritt in die Stadt schaffte, dann ging man in die Paris Bar und traf da die anderen vom Steinplatz. Am Steinplatz selbst gab es ein kleines Café. Die Paris Bar gab sich jedoch ein bisschen anspruchsvoller. Ich war der erste Künstler, der in der Paris Bar anschreiben lassen durfte. Und dort hat man die Künstler von der Akademie angetroffen: Das waren Hann Trier, Kuno Gonschior, Karl-Heinz Krause und Hans Hartung, aber auch Hermann Bachmann und Gerhart Bergmann. Vor allen Dingen Bachmann war ein wunderbarer Künstler. Diese Leute waren damals in der Kunstszene akut, waren als Professoren im Künstlerbund. Das hatte mit Ruhm – Museumsruhm – jedoch überhaupt nichts zu tun. Die Galerie Bremer Die 1946 durch Anja Bremer (1901 Sköpen, Ostpreußen, heute Russland – 1985 Berlin) gegründete und ab 1955 in der Berliner Fasanenstraße ansässige Galerie Bremer war Ausstellungsraum, Bar und Treffpunkt der Berliner Kulturszene. Das Programm umfasste insbesondere Positionen der klassischen Moderne. machte in diesen Tagen von sich reden, also ging man hin. Dort lernte man die etwas wohlhabenderen Kollegen oder die erfolgreicheren Kollegen kennen. Eine seltsame Situation, aber es gab keinen Dünkel. Du warst das, was du behauptetest. Ich lief rum – breitspurig, zwei Zentner schwer, aggressiv – und posaunte: „Ich bin der Größte.“ Und wenn einer da widersprach, hatten wir Ärger. Das war ganz normal, und das war wunderbar. Du hattest einfach deine Position und die war auch unbestritten. Keiner hat an deinem Talent gezweifelt. Du maltest Bild über Bild, obwohl du den ganzen Tag arbeiten musstest. Dann hast du eben nachts noch einen draufgelegt. Das war eine andere Einstellung. Es gab den Erfolg des guten Bildes, nicht den Erfolg des Geldes. Lambert Wintersberger war der Erste von uns allen, der wirklich Geld verdiente. Er wurde entdeckt, bekam eine Seite im „Spiegel“ und in der Zeitschrift „Twen“ „Twen“ war eine deutsche Jugendzeitschrift, die von 1959 bis 1971 vom Verlag DuMont Schauberg in Köln herausgegeben wurde. Aufgrund ihrer linksliberalen Haltung zählte sie zu den wegbereitenden Sprachrohren der 68er-Bewegung. Vgl. Michael Koetzle (Hg.), „Twen. Revision einer Legende“, München 2001. . Dann verließ er Berlin, ging nach Stuttgart und verfiel dort leider dem Rauschgift. Davon hat er sich nie erholt.

Wurde in der Kneipe auch über Kunst gesprochen?

Ständig. Wir wussten, wie das Malen geht. Es existierten im Wesentlichen drei große Strömungen in Deutschland. Das waren die Süddeutschen, die sich konstruktiv gaben. Dann die schlauen Düsseldorfer, die nach Amerika schielten und dem Erfolg hinterhermalten. Und wir, die Berliner, waren rabiate Spätexpressionisten.

Die ganzen Professoren, die Sie aufgezählt haben, das war noch die informelle Schule.

Die ganze Riege war beeinflusst von der École de Paris Der Begriff „École de Paris“ umfasst die unterschiedlichen Strömungen der international einflussreichen Pariser Kunstszene zwischen der Jahrhundertwende und dem Zweiten Weltkrieg. Neben den französischen Künstlern Georges Braque, André Derain und Henri Matisse werden auch Hans Arp, Marc Chagall, Giorgio de Chirico, Max Ernst, Pablo Picasso, Joan Miró und Piet Mondrian zur damaligen Pariser Kunstszene gerechnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete sich die Nouvelle École de Paris, der vor allem Künstler der Lyrischen Abstraktion und des Tachismus zugeordnet werden. Zu den wichtigsten Vertretern dieser Generation zählen Jean Fautrier, Hans Hartung, Georges Mathieu, Jean Messagier, Serge Poliakoff, Pierre Soulages und Wols. Siehe auch: „Von Renoir bis Picasso. Künstler der École de Paris“, hg. von Erik Stephan, Ausst.-Kat. Kunstsammlung Jena, Jena 2011 sowie „Nouvelle École de Paris. Französische Malerei der Gegenwart“, Ausst.-Kat. Städtische Kunsthalle Mannheim, Mannheim 1958. .

Und haben Sie mit denen auch über Malerei gesprochen?

Ja, selbstverständlich. Wir waren mit denen dicke. Das mischte sich. Ein reger Austausch. Fred Thieler, ein großer Künstler und großer Maler, hatte einen richtigen Kreis von jungen Malern um sich, da gehörte ich auch dazu. Und das war sehr stimulierend, weil wir pausenlos über Kunst redeten. Wenn einer dann ein Bild gemalt hat, das anders war als die der anderen, hat er es gezeigt und es wurde kontrovers diskutiert.

Das war noch vor Großgörschen Unter dem Namen „Großgörschen 35“ schlossen sich 1964 in Berlin-Schöneberg 14 Maler zu einer Ausstellungsgemeinschaft zusammen, darunter Markus Lüpertz, K.H. Hödicke, Lambert Maria Wintersberger und Arnulf Spengler. In einer leer stehenden Fabriketage in der Großgörschenstraße 35 mieteten sie einen Ausstellungsraum, den sie gemeinsam finanzierten, um dort nach- oder miteinander ihre Arbeiten zu präsentieren. Mit wechselnden Mitgliedern bestand Großgörschen, ab 1966 mit Unterstützung von Eva und Lothar C. Poll, bis 1968. ?

Ja, Großgörschen war eine Erfindung von mir.

Sie haben sich dann Künstler gesucht, mit denen Sie das machen wollten?

Etwa meinen engen Freund Karl Horst Hödicke. Der hatte einen Kunstpreis gewonnen und besaß schon einen Namen in der Szene. Viele hatten von zu Hause 3,50 D-Mark, aber mit der Auflage, dass sie eben keine freien Künstler, sondern Kunsterzieher werden sollten. (Alle sind freie Maler geworden, keiner Kunsterzieher.) Das war der Kreis. Da gab es Maler wie Reinhard Lange, eben K.H. Hödicke, Eduard Franoszek und wie die alle hießen. Es waren wunderbare Maler, vor allen Dingen Ulrich Baehr, die damals erstaunliche Bilder malten. Und es gab Feste, da lud man eben seine Kumpels ein, jeder musste eine Flasche Schnaps mitbringen und dann wurde das neue Bild gefeiert.

Die Feste wurden zu Hause gefeiert?

Nur! Alles andere war gar nicht denkbar. Bis Großgörschen kam, ab dem Zeitpunkt haben wir unsere Feste in Großgörschen gefeiert. Nun, ich hatte die Idee. Das war aber keine besondere Leistung von mir, sondern ich hatte den Einfall im richtigen Moment und im Nu waren zehn, elf Künstler zusammen. Die Organisation lag mehr oder weniger in den Händen aller.

Ging es Ihnen mehr darum als Gruppe aufzutreten oder ging es Ihnen darum, eine Ausstellungsmöglichkeit zu haben?

Es ging darum, Ausstellungen zu machen. Die Gruppe war klar, man hatte miteinander zu tun und sich längst gefunden. Man ging abends gemeinsam weg und saß in der Kneipe zusammen. Natürlich hat man die, die einen umgaben, als Erste gefragt und mit reingenommen. Und dann ging es um die Ausstellungsmöglichkeit. Wir hatten ja sonst keine. Wer wollte denn schon einen jungen Künstler ausstellen? Und wir hatten sofort, vom ersten Tag an – und da muss man Berlin ein großes Kompliment machen – Presse. Jede Ausstellung fand ein Echo in der Presse. Es kamen die ganzen großen Kritiker, von Heinz Ohff bis Will Grohmann und Lucie Schauer – alle kamen zu uns in den Hinterhof.

Von dieser Medienaufmerksamkeit haben bis in die 80er-Jahre hinein auch noch die Künstler vom Moritzplatz profitiert.

Das mag sein, aber man sollte differenzieren, denn vieles hat sich im Laufe der Zeit in den Köpfen vermischt und festgesetzt. Übrig geblieben von dieser ganzen wilden Zeit sind für viele nur die Moritzplatz-Leute. Und das ist falsch! Denn die waren nur der letzte Ableger. Vorneweg gab es eine ganz andere Wucht. Wir waren die Ersten! Baselitz, Immendorff, Lüpertz und Penck – wir waren die Ersten. Damals machten wir in Aachen eine Ausstellung, die hieß „Les Nouveaux Fauves“ „Les Nouveaux Fauves“, Neue Galerie. Sammlung Ludwig, Aachen, 19. Januar – 21. März 1980. – Die Neuen Wilden. Und die Moritzplatz-Jungs nannten sich: Die Heftigen 1980 fand im Haus am Waldsee unter der Leitung von Thomas Kempas die Ausstellung „Heftige Malerei“ statt. Teilnehmer waren Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer. Mit dem Titel, den die Künstler für ihre erste gemeinsame Präsentation außerhalb der von ihnen gegründeten und selbst verwalteten Galerie am Moritzplatz wählten, wollten sie sich von dem Erbe des deutschen Expressionismus und den französischen Fauves, das ihnen stets in Verbindung mit dem Adjektiv wild angehängt wurde, befreien. Vgl. Franziska Leuthäußer, „Berlin“, in: „Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“, hg. von Martin Engler, Ausst.-Kat. Städel Museum, Frankfurt am Main, Ostfildern 2015, S. 28–73, hier S. 32. . Deren Antwort auf die wilde Malerei war die heftige Malerei. Sie waren alle Schüler von Hödicke. Bloß „heftig“ stellte sich für die Presse als nicht griffig genug heraus. Neue Wilde – das klang viel besser! Und wir waren dann plötzlich die Väter, was isoliert betrachtet, völliger Unsinn ist. Die Heftigen haben etwas ganz anderes in den Bildern versucht, womit wir uns gar nicht beschäftigten. Private Probleme, Expressionismus, Kirchner mit seinen lasziven Geschichten, die Homosexualität, die eine große Rolle spielte bei Rainer Fetting, Salomé … Große Talente übrigens, aber sie hatten einen anderen Anlass. Es entsprang nicht unbedingt der Auseinandersetzung mit der Malerei, sondern gestaltete sich mehr aus ihrem Lebensgefühl heraus. All dies hatte mit uns relativ wenig zu tun. Das war etwas Neues. Deswegen auch dieser plötzliche und immense Erfolg, den sie vorzuweisen hatten. Und das korreliert mit dem völligen Vergessen, das sie und ihre Werke heute heimsucht.

Großgörschen wurde 1964 gegründet, 1965 gab es schon den Bruch. Sie waren eigentlich nur ein Jahr mit Hödicke und Wintersberger dabei.

Nun – das war die Idee. Großgörschen war für ein Jahr konzipiert. Und das gehört zu meiner ganzen Lebensgeschichte: Es gibt nichts für die Ewigkeit außer den Bildern. Ich wollte ja keine Galerie betreiben. Es war eine Demonstration für ein Jahr. Ich habe zwei Ausstellungen dort gezeigt und dann war es vorbei und für mich gegessen. Hätte sich das alles etabliert, wäre es langweilig für mich geworden. Mein Konzept war für ein Jahr. Einmal durch und dann Arrivederci. Entweder hast du es dann geschafft oder nicht. Schnell gründete sich damals eine andere Geschichte am Potsdamer Platz Die Galerie Potsdamer Berlin wurde 1965 durch Wolfgang Rohloff (* 1939 Magdeburg) und Peter P. J. Sohn (* 1939 Königsberg, Ostpreußen, heute Russland) in den Räumen des Vox-Hauses am Potsdamer Platz als Selbsthilfegalerie gegründet. Bis 1968 zeigte die Galerie in ihrem Programm unter anderem Arbeiten von Will Grohmann, Markus Lüpertz, Jobst Meyer und Manfred Schmale. . Das war auch so eine Selbsthilfegalerie der Künstler. Da habe ich mal eine große Ausstellung „Markus Lüpertz. Die Anmut des 20. Jahrhunderts wird durch die von mir erfundene Dithyrambe sichtbar gemacht!“, Galerie Potsdamer Berlin, 1966. gehabt.

Wir, also Großgörschen, hatten ja vor nicht allzu langer Zeit eine Ausstellung „Großgörschen 35 – Aufbruch zur Kunststadt Berlin“, Haus am Kleistpark, Berlin, 06. Juni – 10. August 2014. . Ich war als Festredner bestellt und es war schon erstaunlich, die ganzen alten Zausel zu sehen. Ich kam mir so jung vor. Aber um auf die Gründerzeit zurückzukommen, für mich war dieses von Künstlern organisierte Ausstellungsforum keine Institution. Ich wollte das nie institutionalisieren.

Die Eröffnungsausstellung 1964 …

… war Hödicke. Hödicke war der Erste.

Wurde das ausgelost?

Nein, kein Gedanke! Er war der Älteste und für damalige Verhältnisse mit der Bekannteste. Da stellte sich die Frage nicht. Ich konnte doch als Erfinder der Geschichte nicht als Erster ausstellen. Das wäre absurd gewesen.

Und Sie waren auch nicht der Zweite?

Nein, ich war der Dritte. Äußerst intelligent!

Hödicke spricht von einer Sezession im Jahr 1965 Vgl. K.H. Hödicke. , nachdem dort ungefragt eines seiner Glasscheibenbilder abgehängt wurde, und er dann mit Ihnen und Lambert Maria Wintersberger Großgörschen den Rücken gekehrt hat. Die letzte Ausstellung in Großgörschen, an der K.H. Hödicke, Markus Lüpertz und Lambert Maria Wintersberger teilnahmen, war die „Retrospektive 1964/65 – Ein Jahr Großgörschen 35“, Galerie Großgörschen 35, Berlin, 24. September – 24. Oktober 1965.

Nein! Hödicke ging damals zu René Block, der zu dieser Zeit seine Galerie aufmachte. Block fuhr für einen Süßwarenladen die Lieferung aus und abends betrieb er die Galerie. Und da ist Hödicke hingegangen und machte dann seine experimentellen Geschichten mit Teer, der raustropfte, die Scheibenwischer-Bilder und all diese Dinge. Gott sei Dank, ist er heute wieder bei der Malerei!

Es gab also keine Spaltung der Gruppe?

Nein. Hödicke war genau wie ich der Konzeption verpflichtet, Wintersberger auch. Damals übernahm dann kurzfristig die Galerie Poll Großgörschen. Und dann kamen andere wichtige und große Künstler wie mein Freund Hermann Albert. Aber damit hatte ich dann nichts mehr zu tun. Das etablierte sich schnell als Galerie und vereinbarte sich nicht mehr mit meinem Montparnasse-Gedanken.

Die Galerie René Block zeigte 1967 die Ausstellung „G35 hat Geburtstag“ „G 35 hat Geburtstag“, Galerie René Block, Berlin, 19. Juni – 08. Juli 1967. Siehe auch Marius Babias/Birgit Eusterschulte/Stella Rolling (Hg.), „René Block. Ich kenne kein Weekend. Ausstellungsprojekte, Texte und Dokumente seit 1964“, n.b.k. Ausstellungen, Bd. 18, Berlin 2015, S. 461. .

Beteiligt waren K.H. Hödicke, Bernd Koberling, Lambert Maria Wintersberger und ich – wir vier. Die vier Protagonisten.

Kannten Sie Georg Baselitz zu der Zeit schon?

Baselitz lernte ich in genau diesen Jahren kennen. Georg war ja ein Maler, den es wegen seines Skandals gab und über den wir alle diskutierten. 1963 stellte Georg Baselitz in der Berliner Galerie Werner & Katz aus. Die Gemälde „Die große Nacht im Eimer“ und „Der nackte Mann“ wurden als unsittlich eingestuft und von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Vgl. Erika Rödiger-Diruf/Ursula Merkel (Hg.), „Die Malerei ist tot – es lebe die Malerei: 150 Jahre Kunstakademie Karlsruhe – die Professoren von 1947 bis 1987“, Karlsruhe 2004, S. 75 f.

Darüber haben Sie viel diskutiert?

Ja, selbstverständlich. Ich fand das so was von albern. Grauenhaft.

Waren Sie dort zur Eröffnung?

Ich war dort und war dann auch in seiner ersten Ausstellung „1. Orthodoxer Salon" Der „1. Orthodoxer Salon“ wurde am 27. Juni 1964 in der Galerie Michael Werner in Berlin eröffnet. , die Michael Werner Michael Werner (* 1939 Nauen) ist ein deutscher Galerist. 1963 eröffnete er zusammen mit Benjamin Katz eine Galerie in Berlin. 1968 zog er nach Köln und übernahm dort die Galerie Hake, die er ab Oktober 1969 unter seinem Namen weiterführte. In den 70er- und 80er-Jahren vertrat Werner vor allem die Künstler Georg Baselitz, Antonius Höckelmann, Jörg Immendorff, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A. R. Penck. Heute ist die Galerie Michael Werner auch in Berlin, London und New York vertreten. 2011 wurde Werner mit dem Preis der Art Cologne ausgezeichnet. gemacht hat. Da habe ich Baselitz getroffen, erstmalig gesehen und bin auch Werner erstmalig begegnet. Ich konnte mit dem für mich albernen Zeug nicht umgehen, dieses Gewusel, diese Pimmelwelt – grauselig. Dazu war ich viel zu puritanisch. Sie müssen sich die Zeit vorstellen: Damals konntest du nicht einfach hingehen und einen Pimmel malen wie heute. Das war eine andere Welt. Ich will dem Georg gar nichts unterstellen, aber er hat bewusst mit diesen Provokationen gespielt. Man konnte es sich an den fünf Fingern abzählen, dass der Staatsanwalt kommt, wenn man einen Knaben mit offener Hose beim Onanieren malte – das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Ich für meinen Teil fand das nicht sonderlich aufregend und dramatisch, eher unangenehm. Als ich 1970 meine Stahlhelme Markus Lüpertz, „Helme sinkend – dithyrambisch I“, 1970. Das Motiv des Stahlhelms wird von Markus Lüpertz ab 1970 wiederholt in seinen Bildern verwendet. ausstellte, hatten sie keine Möglichkeit, es zu verbieten, also haben sie es ignoriert. Dabei war das eigentlich eine viel härtere Provokation. Die Intellektuellen waren damals alle auf Baselitz‛ Seite, und letzten Endes ist die Sache ohne Verurteilung irgendwie vom Tisch gefegt worden. Mit einem Schlag war der Georg eine Größe. Zunächst gab es keinen Erfolg außer einem Presseerfolg, aber es wurde darüber geredet. Sie dürfen nicht vergessen, das war … – wann war das denn?

63.

Eine zutiefst bürgerliche Welt. Die frühe Bundesrepublik war durch eine biedermeierliche Restauration geprägt, der tiefschwarze Schatten des Völkermordes hing über ihr und mehr und mehr zeigten sich die Verbrechen des Holocausts in ihrem ungeheuerlichen Ausmaß. In dieser Situation war die Nation unheimlich um Moral und Anstand bemüht. Peinlich darauf bedacht, sich als liberal, aber auch als moralisch sauber zu etablieren. In dieser Gemengelage waren Provokationen wie die Bilder von Baselitz Reizthemen, was man heute nur noch schwerlich nachvollziehen kann.

Michael Werner und Benjamin Katz waren zu der Zeit noch völlig unbekannt, oder?

Werner und Katz waren unbekannte Größen. Junge, unerfahrene Galeristen, wie es sie damals zuhauf gab. Der Michael dachte: „Der Katz hat Geld.“ Und Benjamin hatte Geld. Er hatte von seinem Onkel ein Haus ausbezahlt bekommen, was 250.000 D-Mark waren – damals eine unvorstellbare Summe. Benjamin hat ungefähr ein Jahr gebraucht und das Geld war weg. Dann lernte er Werner kennen und mit dem Rest haben sie die Galerie aufgemacht. Michael hatte das Know-how und Benjamin das Geld – hieß es. Und dann kam diese Ausstellung von Baselitz. Sie war kein kommerzieller Erfolg, lediglich ein Nenn-Erfolg. Benjamin führte die Galerie weiter, Michael trennte sich von ihm und hat seine eigene Galerie gemacht. Zunächst bei sich in der Wohnung. Ich erinnere mich an ein Klappbett, das hochgeklappt wurde. Dann wurde ein Vorhang vorgezogen und die Bilder hingehängt. Das spielte sich Ecke Fasanen-/Kantstraße ab.

Werner war eigentlich an meiner Frau interessiert. Eine hübsche Frau, und die fand er ganz toll. Nach der Methode „Wie komme ich an die Frau ran?“ hat er im Sturm das Herz des Mannes erobert. Also wurde ich Künstler in der Galerie Werner und seitdem sind wir zusammen. Unsere Freundschaft hat länger gedauert als unsere Ehen. Auch seine Ehe mit meiner ersten Frau hielt nicht so lange an.

Michael Werner ging 1968 mit der Galerie nach Köln. 1968 siedelte Werner nach Köln über und übernahm die Galerie Hake, die er ab Oktober 1969 als Galerie Michael Werner weiterführte.

Ja – in Köln ging es los und es wurde ernst mit meiner Frau. Wir – Jule, heute Kewenig – sind ja noch zusammen nach Köln gegangen, denn in Köln spielte die Musik. Im Rheinland traf man auf eine unglaublich große Sammlergemeinde. Berlin hatte ja nie – bis heute nicht – auch nur einen Hauch von bedeutenden Sammlern. Alles, was sich in Berlin feiern lässt, kommt von außen, ist reingetragen worden als eine Art von Wiedergutmachung. Aber die Stadt selber hat nichts. Unser Erfolg fing in Westdeutschland an, nicht in Berlin.

1968 stellten Sie in der Galerie Michael Werner sowie bei Rudolf Springer, 1969 bei Benjamin Katz aus. „Markus Lüpertz“, Galerie Michael Werner, Berlin, 1968; „Markus Lüpertz“, Galerie Rudolf Springer, Berlin, 1968; „Markus Lüpertz“, Galerie Benjamin Katz, Maison de France, Berlin, 1969.

In der Zeit, als ich mit Werner nicht gearbeitet habe, fand das mit Katz statt. Werner und ich haben ein Jahr oder eineinhalb Jahre nicht miteinander geredet – begreiflicherweise weil ich das junge Glück nicht sehen konnte, sonst hätte ich ihn totgeschlagen. 1972 fing ich in Köln mit Hein Stünke in der Galerie Der Spiegel „Markus Lüpertz. Bilder und Zeichnungen“, Galerie Der Spiegel, Köln, Januar–Februar 1972. an.

Und Werner verweigerte Benjamin Katz nach der Trennung den Zutritt zu seiner Galerie?

Benjamin kam nicht mehr rein. Die beiden hatten gar nichts mehr miteinander zu tun. Katz war inzwischen auch nach Köln gezogen und wir waren weiterhin befreundet. Er hat jahrelang vom Verkauf meiner Werke gelebt.

Weil er so viele Bilder von Ihnen hatte?

Keine Bilder, es waren vor allem Zeichnungen, die er verkaufen konnte. In meiner unendlichen Großzügigkeit …

… haben Sie ihm Zeichnungen überlassen.

Ja.

Nett von Ihnen! Hatten Sie in der Galerie Der Spiegel dann einen Vertrag?

Ja, das war bei Stünke. Ich hatte einen Jahresvertrag mit denen.

War das die erste Galerie, mit der Sie einen Vertrag hatten?

Nun, mit Werner vorher auch schon. Das war ein mündlicher Vertrag, der bis heute noch hält.

Wie kann man sich so einen Vertrag vorstellen?

Ich erhielt monatlich soundso viel. Er kam dann, hatte die erste Wahl, konnte sich Bilder aussuchen und die Ausstellung machen.

Wie viel bekamen Sie?

Ich glaube, das war ein Tausender im Monat, was eine ordentliche Summe darstellte. Beim Verkauf wurde das verrechnet und vom Rest gab es die üblichen Prozente.

Das war dann schon in Köln?

Das war in Köln. 1970 ging ich nach Florenz und lernte dort meine zweite Frau kennen. Stünke kam noch ins Atelier in der Akazienstraße in Berlin, das war nach Florenz, also 71. Insofern war Werner da noch nicht wieder akut. Zwei, drei Jahre lang war Werner passé. Und dann intensivierte sich die Beziehung mit ihm wieder. Kurzfristig liefen die Geschäfte mit Stünke und Werner parallel, und sie versuchten beide miteinander zu arbeiten, was jedoch nicht funktionierte.

Gab es andere Galerien, die Sie interessant fanden oder wo Sie im Gespräch waren? Bei Rudolf Zwirner haben Sie 1976 ausgestellt. Rudolf Zwirner (* 1933 Berlin) betrieb von 1959 bis 1962 eine Galerie in Essen. 1962 eröffnete er neue Räumlichkeiten im Kolumbakirchhof in Köln. Zwirner zählte in den 1960er-Jahren zu den ersten deutschen Kunsthändlern, die in ihrem Programm US-amerikanische Gegenwartskunst vertraten, darunter John Chamberlain, Dan Flavin, Allen Jones, Roy Lichtenstein und Andy Warhol. 1966 gründete Zwirner gemeinsam mit Hein Stünke den Verein progressiver deutscher Kunsthändler, aus dem 1967 der erste Kölner Kunstmarkt hervorging. Markus Lüpertz zeigte 1976 in der Galerie die Ausstellung „Markus Lüpertz. Bilder 1972–76“.

Das war schon unter Werner. Die ganzen Ausstellungen mit Galerien wurden unter Werner gemacht. Stünke war der Einzige, der nicht mit Werner kooperierte.

Können Sie mir etwas zu dieser Berlin Biennale 1974 erzählen?

Auch das war eine Erfindung von mir. Eugen Schönebeck, K.H. Hödicke, Bernd Koberling und Leute wie Karl-Heinz Dennig und Jürgen Waller waren dabei. Vgl. Heinz Ohff, „Erste Biennale Berlin 1974“, in: „Das Kunstwerk. Zeitschrift für bildende Kunst“, Bd. 27, 1974, S. 38.

Wo hat das stattgefunden?

Mir stellte damals ein Sammler und Mäzen, Hans-Hermann Stober Hans-Hermann Stober (1934 – 1997 Berlin) war ein deutscher Bauunternehmer und passionierter Sammler zeitgenössischer Kunst. Unter anderem umfasst seine Sammlung zahlreiche Arbeiten von Markus Lüpertz aus den unterschiedlichen Werkphasen seit Mitte der 1970er-Jahre. , – er machte sein Geld in Immobilien – ein riesiges, leer stehendes Geschäft als Atelier zur Verfügung, und zwar in der Nähe des Bikini-Hauses in Berlin. Wenn Sie ein bisschen weitergehen, auf der rechten Seite in der Budapester Straße. Gute Künstler zuhauf, aber wenig Ausstellungsmöglichkeiten – es musste einfach etwas passieren. Da habe ich gesagt, lass uns doch mal eine Biennale gründen. Das war konzeptionell und nicht wirklich auf Dauer angelegt.

Deswegen auch Biennale …

Nun, der Name war eine Behauptung und nebensächlich, man musste sich ja nicht daran halten. Wir haben dann eine wunderbare Ausstellung auf die Beine gestellt und in dieser Atmosphäre ist ein sensationelles Buch „Erste Berlin Biennale 1974“, Ausst.-Kat. Berlin Biennale, Berlin 1974. An der Ausstellung nahmen teil: Hermann Albert, Karl-Heinz Dennig, Paul Uwe Dreyer, Gerd van Dülmen, K.H. Hödicke, Max Kaminski, Bernd Koberling, Markus Lüpertz, Eugen Schönebeck und Jürgen Walle. entstanden. Zunächst hat jeder ein Konvolut an Zeichnungen beigesteuert, aus dem wir dann eine Mappe gemacht haben. 30 Mappen mit Originalblättern – kannst du dir das vorstellen? Die wurden für, ich weiß nicht mehr genau, 10 oder 15 Mille das Stück verkauft. Wir hatten also für unsere Vorstellung Geld ohne Ende, konnten einen richtigen Katalog herausbringen und mit einem gigantischen Fest mit Krim-Sekt und allem möglichen Aufwand eröffnen. Der Höhepunkt dieser ersten und einzigen Biennale war schließlich, dass wir vom Museum in Rio de Janeiro eingeladen wurden, dort eine Ausstellung zu machen. „Primeira Bienal Berlim 1974“, Museu de Arte Moderna, Rio de Janeiro, 17. April – 18. Mai 1975. Diese Biennale, diese Künstler. Von den zehn Künstlern sind dann vier oder fünf nach Brasilien geflogen.

Und es gab keine zweite Ausgabe …

Einmal gesagt, einmal getan – dann war es vorbei. Zudem begannen ja auch unsere verschiedenen Karrieren, was sich trennend auswirkte. Da kamen plötzlich Galerieinteressen ins Spiel und so weiter. Wir waren ja nicht mehr so frei wie zu Großgörschen-Zeiten. Zu dieser Zeit war ich eng mit Eugen Schönebeck befreundet: Er hasste Baselitz und Werner und tut dies bis heute. Georg war weg, er war schon in Westdeutschland. Und ich hatte eine Freundschaft zu Eugen Schönebeck, die ich sehr genossen habe. Eugen beteiligte sich an der Biennale und hat auch seine Zeichnungen abgeliefert.

Obwohl er da schon lange nicht mehr gemalt hat? Verschiedene Quellen führen an, dass Eugen Schönebeck gegen Ende des Jahres 1966 die Malerei aufgab. Vgl. o. A., „Biografie“, in: „Eugen Schönebeck 1957-1967“, Ausst.-Kat. Schirn Kunsthalle Frankfurt, Frankfurt am Main, München 2011, S. 160–161, hier S. 161, sowie o. A., „Biographische Daten“, in: „Schönebeck. Die Nacht des Malers“, hg. von Carl Haenlein, Ausst.-Kat. Kestnergesellschaft, Hannover 1992, S. 141.

Das trifft zu, aber es existierten Zeichnungen. Es war seine Entscheidung. Er ist ein bedeutender und wichtiger Künstler. Und für diese Mappe – scheinbar sitzen die Leute drauf, denn sie ist nie mehr im Handel aufgetaucht – habe ich hinreißende Blätter gezeichnet. Hödicke hat, schlau wie er war, damals schon Fotos gemacht, die er dann ein bisschen bearbeitete. Jürgen Waller, ein Berliner Realist, der davon lebte, dass er den Zwiebelfisch Der Zwiebelfisch ist eine Kneipe, die 1967 am Savignyplatz in Berlin-Charlottenburg eröffnete. putzte, war auch dabei. Und in diesen Räumen habe ich auch meine zweite Frau geheiratet. Noch während der Ausstellung der Biennale. Es war ein rauschendes, ausgelassenes Fest.

Sie feierten gerne Feste?

Ja, wir organisierten ständig Feste im Atelier, zu Hause oder wo auch immer. Und ich hatte schon immer den Hang zur Großmannssucht, also zu riesigen Festen. Das waren unvergessliche Veranstaltungen. Kam die Berliner Polizei, dann haben die mitgetrunken. Wir waren ziemlich grobe Jungs. Wenn ein Fest langweilig wurde und wir den Gastgeber nicht leiden konnten, haben wir die Fenster ausgehängt und in den Hof geworfen und solche Dinge. Es passierte immer irgendetwas. Die Polizei rückte an und sagte: „Jungs, stellt euch nicht so an, nun mal langsam!“ Und alles renkte sich schnell wieder ein. Es herrschte eine andere Atmosphäre. Der Hass, der erst mit den 68ern aufkam und im Fanatismus der Gruppe um Andreas Baader Andreas Baader (1943 München – 1977 Stuttgart) war ein führendes Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF). Nachdem er sich ab Mitte der 1960er-Jahre zunehmend im Umfeld der Berliner Studentenproteste bewegt hatte, beging er im April 1968 gemeinsam mit Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein einen Brandanschlag auf zwei Kaufhäuser in Frankfurt am Main. Seine Befreiung aus der Haft im Mai 1970, an der sich unter anderen Irene Georgens, Ulrike Meinhof und Ingrid Schubert beteiligten, gilt als Geburtsstunde der linksextremistischen Terrororganisation RAF. Diese verstand sich als militanter Teil des sogenannten „antiimperialistischen Kampfs“ und verübte in den folgenden zwei Jahren zahlreiche Anschläge in Deutschland. Im Juni 1972 gelang der Polizei in Frankfurt am Main die Festnahme Baaders. Ab 1975 wurde er gemeinsam mit weiteren zentralen Figuren der RAF in Stuttgart-Stammheim angeklagt. Er starb in der sogenannten „Todesnacht von Stammheim“ im Oktober 1977. Siehe auch: Jörg Herrmann/Klaus Stern, „Andreas Baader: Das Leben eines Staatsfeindes“, München 2007. endete, existierte nicht. Es gab dieses Lokal, S-Bahn-Quelle, da gab es jeden Abend etwas auf die Mütze. Der Baader zog meiner Frau immer an den Haaren, und ich hab ihn dann verprügelt. Zu dieser Zeit war Baader ein kleiner Wichtigtuer, der in der Szene herumlief.

Sie haben diesen Ruf, dass Sie sich gerne geprügelt haben.

Ja, das kam vor! Es sprach sich herum, Leute hörten davon und rückten dann mit mehreren an – das war wie im Wilden Westen, es gab richtige Showdowns. Damals war das so – ein Feierabendvergnügen. Es wurde härter getrunken – viel härter als heute und es war eben eine, wie soll ich sagen, Aggression. Aber keine destruktive, sondern eine ausgelassene Aggression. Man war übermütig und teilweise wurde es eben auch sehr gefährlich. Das war der Großstadt geschuldet. Ich kam aus dem Rheinland, da gab es nur den Faustkampf. In Berlin lernte ich dann, dass sie Gläser nahmen oder Rasierklingen dabeihatten und so.

Und Schönebeck, Baselitz, Wintersberger – haben die auch die Fäuste ausgepackt?

Baselitz und Schönebeck nicht. Der Lambert war halt Bayer und machte permanent die Damen an. Griff denen an den Hintern und deren Begleiter haben sich dann beleidigt den Lambert vorgeknöpft, woraufhin ich ihn aus der brenzligen Lage herausholen musste.

Was für Damen waren denn da? Die Tresenkräfte? Unter den Künstlern waren ja keine Frauen.

Doch es gab schon Malerinnen. Und jeder Künstler hatte ja auch eine Frau.

Die waren auch mit in der Kneipe?

Ja, natürlich! Ich schminkte Jule, meine erste Frau, und inszenierte unseren gemeinsamen Auftritt. Sie war meine Muse. Man dachte ja nicht in bürgerlichen Strukturen. Geheiratet hat man aus dem banalen Grund, um an die Vergütung aus dem Künstlernotstandsprogramm in Berlin zu kommen. Wenn man heiratete, bekam man 3.000 D-Mark. Wir haben damals in der Hoffnung geheiratet, das Geld einzustreichen. Ich glaube, ich bin der Einzige, der das nicht bekommen hat. Wir waren irgendwie nicht bürgerlich genug.

Haben Sie eigentlich Schönebeck auch über Baselitz und Werner kennengelernt?

Nein, die waren da schon zerstritten. Baselitz und Schönebeck haben ihre enge Symbiose zerschlagen und sich getrennt. Ich habe Eugen aber nicht aus den Augen verloren. Wir sind uns irgendwo über den Weg gelaufen, da wohnte ich schon auf der Potsdamer Straße. Er kam immer zu mir – ein sehr eigener, verschlossener und großartiger Mensch. Sein introvertiertes Verhalten machte ihm sehr zu schaffen. Und bei mir war immer viel los: Es gab Frauen und alles war immer lustig und froh, da hat er sich sauwohl gefühlt. Eines Tages gerieten wir in Streit wegen einer seltsamen und, wie ich finde, unbedeutenden Geschichte. Nicht, dass wir heute verfeindet sind, so wie er mit Baselitz – nein, das nicht. Aber es gab einen Bruch und wir verkehrten plötzlich nicht mehr miteinander. Ich erzählte ihm damals: „Stell dir vor, Leute sagen, du seist schüchtern.“ Und dass ich denen entgegnete: „Nein, er ist nicht schüchtern! Es verhält sich viel einfacher. Da er ein großer Künstler ist, ist er hochmütig. Also ist seine Zurückhaltung keine Schüchternheit, sondern der berechtigte Hochmut eines guten Künstlers, der um die Höhe seines Schaffens weiß.“ Ich empfand das als positiv und selbstbewusst. Eugen jedoch reagierte empört und bestätigte stattdessen das Urteil der anderen: „Nein, ich bin schüchtern.“ „Eugen, ist ja gut.“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen, er aber blieb aufgebracht: „Nein, wieso kannst du sagen, ich wäre hochmütig?“ – „Hochmütig“ sagte ich „im Sinne eines Hochmuts, wie ich ihn jedem großen Künstler unterstelle.“ Eugen jedoch wollte längst nichts mehr davon wissen, hat sich umgedreht, ist gegangen und hat sich nie mehr gemeldet.

Und Sie haben es auch nicht noch mal probiert?

Ich habe ja auch meinen Stolz. Wenn ich missverstanden werde und dann auch noch versuche, mich zu erklären, mein Gegenüber sich aber total verweigert – was soll man da machen? Außerdem habe ich gedacht, er geht wütend weg und morgen ist es vergessen. So etwas nimmt man doch nicht ernst unter Erwachsenen. Aber Eugen …

Er ist ein sehr spezieller Typ.

Ein sehr spezieller Typ! Er lebt isoliert, hat seine anfänglichen Erfolge verspielt und dann bis zum Schluss bei der Post gearbeitet. Er stand immer in dieser unguten Konkurrenz zu Baselitz. Eugen hat den Bruch provoziert, denn verabredet war, keine Einzelausstellung zu machen und nur gemeinsam aufzutreten. Als er dann seine Einzelausstellung organisierte und die Absprache missachtete, war das Ende nah. Baselitz fühlte sich gekränkt entbunden, ging seinen eigenen Weg und machte ebenfalls eine Einzelausstellung. Georg Baselitz (eigtl. Hans-Georg Kern; * 1938 Deutschbaselitz) und Eugen Schönebeck (* 1936 Heidenau) lernten sich 1957 an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin kennen. Gemeinsam verfassten sie die „Pandämonischen Manifeste“ (1961, 1962) und vereinbarten, zukünftig nur noch gemeinsam auszustellen. Nachdem Schönebeck im August 1962 entgegen der Vereinbarung eine Einzelpräsentation seiner Arbeiten in der Galerie in den Hilton-Kolonnaden in Berlin eröffnete, kam es zum Bruch zwischen den Künstlern. Unterschiedliche Quellen führen an, dass Schönebeck gegen Ende des Jahres 1966 seine Tätigkeit als Maler einstellte. Vgl. o. A., „Biografie“, in: „Eugen Schönebeck 1957-1967“, Ausst.-Kat. Schirn Kunsthalle Frankfurt, Frankfurt am Main, München 2011, S. 160–161, hier S. 161 sowie o. A., „Biographische Daten“, in: „Schönebeck. Die Nacht des Malers“, hg. von Carl Haenlein, Ausst.-Kat. Kestnergesellschaft, Hannover 1992, S. 141. Verletzte Freundschaft – alles lief auseinander. Bei Georg stellte sich alsbald der Erfolg ein, Eugen hatte ihn nicht. Und deswegen – meine ich – hat er auch aufgehört zu malen – aus stummem Protest.

Das war doch aber so früh, dass man noch gar nicht absehen konnte, ob der Erfolg da nicht noch kommen würde.

Das war ganz früh, ja! Aber Eugen sieht das nicht so. Sie dürfen Eugen nicht als kühl agierenden Menschen betrachten, der seine Entscheidungen mit Abstand trifft. Das ist einfach so.

Und haben Sie mit Baselitz und Werner später noch mal darüber gesprochen?

Ja, sicher haben wir darüber geredet. Ich habe Georg nach dem Grund des Zerwürfnisses gefragt, und er hat mir seine Sicht geschildert. Auch Werner gab seinen Senf dazu. Ich habe das damals sehr bedauert und mich bemüht, die zwei wieder zusammenzubringen. Nichts zu machen! Eugen war zu dieser Zeit ein wunderbarer Freund und Kollege. Ich mochte ihn und mag ihn noch. Sehr! Aber dann hat sich das in ganz verschiedene Richtungen entwickelt. Wir sind uns einmal zufällig begegnet, haben uns begrüßt und es war durchaus freundlich, aber es kam keine Wärme auf.

Als Sie nach Köln gegangen sind, haben Sie diese ganze Galerienszene, den Betrieb, erstmals richtig miterlebt?

Ja, gut. Ich war mit Werner zusammen und habe die Szene daher durch den Filter Werner gesehen. Um das Geschäft oder solche Sachen habe ich mich nie wirklich gekümmert. Ich war und bin natürlich auch für Galeristen kein besonders angenehmer Künstler, bin nicht zu disziplinieren und mache immer das, was ich will. Ob verkauft wird oder nicht, ob es unter Gesichtspunkten des Markts richtig oder falsch ist, das hat mich nie interessiert. Mit Werner streite ich bis heute. Das hat nie aufgehört.

Worüber streiten Sie?

Über alles Mögliche: die Rahmung, die Motive, die Farben, hell, dunkel …

Und er greift da auch ein?

Ja, selbstverständlich. Das ist ja sein großes Privileg. Und alle seine Künstler, bis auf meine Wenigkeit, sind aus diesem Grund bei ihm abgehauen. Das fängt mit Antonius Höckelmann an, das war mit Baselitz so und wiederholte sich mit Anselm Kiefer. Baselitz und Werner entdeckten Kiefer und Kiefer wurde Künstler der Galerie Werner. Irgendwann hat der Anselm gesagt: „Sag mal, was soll ich mir von dem erzählen lassen, was ich zu machen habe. Das weiß ich selber besser.“ Und er war auf und davon!

War er so penetrant?

Werner ist penetrant. Ein Muffkopf, oft schlecht gelaunt, kommt rein, nölt herum. Aber ich habe ja diese tiefe Heiterkeit, mich hat das immer wahnsinnig fasziniert. Ich gehe keiner Auseinandersetzung aus dem Weg und dann fliegen die Fetzen.

Georg Baselitz, Jörg Immendorff, Per Kirkeby, James Lee Byars, A. R. Penck – wir waren eine Truppe, die Werner-Maler-Künstler. Und das war so lange wunderbar, bis Baselitz sich von Werner verabschiedete. Der große Bruch. Die beiden waren das Ehepaar, ich war der Kammerjunker. Aber Baselitz und Werner? Das war wie eine Ehe.

Und er wollte sich nicht mehr reinreden lassen?

Letzten Endes ging es, wenn du genau darüber nachdenkst, ums Geld – wie immer. Baselitz hat dem Werner immer vorgeworfen, er blockiere ihn, würde ihn hindern und nicht genügend unternehmen und dass er ganz anders dastehen könnte, was er ja auch bewiesen hat. Alle Künstler, die Werner verlassen haben, wurden danach berühmt.

Sie sind geblieben …

Ich bin berühmt. Aber ich bin nicht reich, das ist der Unterschied.

Baselitz hat dem Werner bedeutet: „Du musst in die USA gehen.“ Er hat versucht, ihn zu pushen. Das haben Sie nie gemacht?

Nein. Baselitz und Werner haben Ideen vom Erfolg und sie reflektieren ihre Leistung dann auch im Erfolg. Ich habe nichts gegen Erfolg oder gegen das Ausstellen, mich hat aber immer an erster Stelle das Produkt selbst interessiert. Ich habe mit Werner und Baselitz immer nur über Kunst diskutiert. Georg kann sich strategisch verhalten, der kann sich eben Sachen einfallen lassen, wie das Auf-dem-Kopf-Malen. Ich weiß noch, wie er mich angerufen hat: „Ich weiß jetzt, wie es geht. Ich male auf dem Kopf.“ Ich sagte: „Toll, Georg, ich fang sofort auch damit an und rufe die anderen an, die ganzen Galerie-Künstler sollen ein Jahr lang auf dem Kopf malen.“ – „Nee, nee, das ist meine Idee, kommt nicht infrage. Das ziehe ich allein durch.“ – Ende aus und Schluss. Ich hätte es ja viel besser gefunden, wenn wir alle ein Jahr lang alles auf dem Kopf gemalt hätten und dann hätte keiner mehr auf dem Kopf gemalt. Einmalig in der Kunstgeschichte – sensationell.

Sie hätten das gerne mitgemacht, aber er wollte nicht?

Ja, ich habe ihm das sofort angeboten, aber für Georg kam das nicht infrage. Georg ist halt durch und durch Stratege.

Haben Sie trotzdem mal ein Bild auf dem Kopf gemalt?

Nein. Es gibt einen Baumstamm abwärts, den habe ich vorher gemalt. Aber das ist Quatsch. Es ist für mich bis heute dummes Zeug und in 100 Jahren hängt man die Bilder richtig herum, davon bin ich überzeugt. Es wird heißen: Nun, der hat die damals auf dem Kopf gemalt, um zu provozieren – mehr nicht.

Aber er malt sie doch auch auf dem Kopf!

Ja, sicher malt er sie auf dem Kopf, er dreht die Fotos um. Früher, wenn er nach einem Polaroid malte, hat er das Polaroid umgedreht und dann gemalt. Es ist wunderbar simpel und die einfachste Methode überhaupt, malen zu können, was man will. Und Georg hat das richtige Standing, um es als Sensation zu verkaufen, dass er auf dem Kopf malt. Das war genial. Aber letzten Endes bleibt es doch Quatsch. Warum soll einer auf dem Kopf malen? Können Sie mir das mal sagen? Oder denken Sie an Gerhard Richter, warum verwischt einer seine Bilder? Was soll der Blödsinn? Oder warum macht einer nur Strichmännchen wie mein Freund Penck, was soll das? Gehen Sie mal davon aus, dass das alles großartige Maler sind. Baselitz ist für mich einer der großartigsten Maler, die ich kenne und sicherlich international ein Meister der Farbe. Aber jetzt mal ganz ehrlich: Warum malt ein so großartiger Maler auf dem Kopf?

Was sollte er stattdessen malen?

Richtig herum! Einfach seine Bilder malen. Und Gerhard, ein ehrenvoller Mann, warum verwischt der? Die Kunsthistoriker bemühen sich um Erklärungen und entdecken darin eine neue Deutlichkeit. Sehen hinein, was sie sehen wollen. Jedoch, wenn wir von Malerei reden, ist das bestenfalls eine avantgardistische Idee.

Und kennen Sie einen Maler, außer Ihnen, der das besser macht?

Alle haben sich versucht. Und alle versuchen es über den Stil. Stil in seiner heutigen Prägung ist eine amerikanische Erfindung. Das heißt, als Maler malst du nicht mehr Bild an Bild, sondern erzeugst ein unverwechselbares Produkt. Verwischen, Rakeln, Spachteln – das sind alles avantgardistische Ideen, aber letzten Endes, wie alles Avantgardistische, ist es eben nur auf Zeit.

Und bei Schönebeck?

Eugen ist ja ein spezieller Fall. Eugen war der Schlauste von allen. Der hat ein paar tolle Bilder gemalt, die aber, wenn man sie sieht, nur zu dieser Zeit gemalt werden konnten. Er musste sich nie beweisen. Und deswegen ist der Baselitz der wichtigere Künstler, weil er sich immer der Situation gestellt hat. Eugen hat sich gleich von Vornherein heiliggesprochen mit seinen wenigen Bildern – und aus die Maus. Er hatte das Glück, in einer Zeit Bilder zu malen, als Bilder überhaupt noch wahrgenommen wurden. Das war reine DDR-Malerei, wenn Sie genau hinschauen; mit kleinen Verletzbarkeiten, dieser Art der Kantigkeit, dieser Form von Kubismen, der Farbsetzung … In der DDR malten viele so. Aber Schönebecks Mao-Bild Eugen Schönebeck, „Mao Tse-Tung“, 1965. ist einfach ein Geschichtsbild – das ist wunderbar. Er kommt ja, wie der Baselitz auch, nicht von der Akademie, sondern aus der Propagandaschule, wo die Plakate gemalt wurden.

Bis heute wünscht sich Eugen Schönebeck den Osten zurück, oder?

Die ganzen DDRler wünschen sich den Osten zurück. Gerade versuchen sie, ganz Deutschland zum Osten zu machen. Alle sind sie eifrig damit beschäftigt und kommen sehr gut voran.

Sehen Sie, es gab die 68er-Bewegung In Deutschland umfasst der Begriff der 68er-Bewegung insbesondere das Auftreten linksgerichteter Studentengruppierungen, die sich ab Mitte der 1960er-Jahre gegen den Krieg in Vietnam sowie für soziale Reformen und die sexuelle Gleichstellung engagierten. Eine zentrale Rolle kam hierbei den Vertretern der Kommune 1 in Berlin sowie dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) um Rudi Dutschke zu. Vgl. Thomas P. Becker/Ute Schröder (Hg.), „Die Studentenproteste der 60er Jahre: Archivführer – Chronik – Bibliographie“, Köln 2000. in Berlin, aber das waren reiche Jüngelchen, die vom Kommunismus in Vietnam begeistert waren, Hồ Chí Minh Hồ Chí Minh (1890 Kim Lien, Vietnam – 1969 Hanoi, Vietnam) war ein politischer Revolutionär, der 1930 die kommunistische Partei Indochinas gründete und von 1945 bis 1969 als Präsident der Demokratischen Republik Vietnam vorstand. Während des ersten Indochinakriegs (1946–1954) rief Hồ Chí Minh zunächst zum Kampf gegen die französische Kolonialherrschaft auf und organisierte bis zu seinem Tod 1969 den Widerstand der National Liberation Front (NLF) gegen die amerikanische Allianz (1960–1975). -Verehrer – eine Studentenschaft, die sich plötzlich wichtig nahm. Für uns hatte das nicht die geringste Bedeutung, bis auch die Künstler das besetzten. Und von diesem Zeitpunkt an wurde es für mich zum Problem, weil ich der Einzige war, der in den Zwiebelfisch kam, wenn die Maler alle streikten. Die Berliner Maler streikten! Ich kam also in die Kneipe, die Hände voller Farben und in Malklamotten, wollte im Zwiebelfisch ein Bier trinken, und dann hieß es: „Weißt du nicht, dass wir streiken?“ Und ich sagte: „Ihr lasst euch alles einfallen, um nicht zu malen. Ich denke gar nicht daran. Soll ich aufhören zu atmen?“ Sie wollten mein Atelier stürmen. Da habe ich sie gewarnt: „Hinter der Tür liegt eine Eisenstange. Wenn ihr mein Atelier besetzen wollt, bekommt der Erste die Stange vor den Schädel.“

Wer waren „die“?

Jobs Meier war einer von ihnen, aber es gab eine ganze Truppe, die alle im Zwiebelfisch saßen. Fantastisch nette Kollegen, die später brave Professoren geworden sind.

Haben Sie sich auch politisch mit Eugen Schönebeck auseinandergesetzt?

Nein, der Eugen hatte seine sozialistische Ansicht und war vernagelt. Ich bin sicher, dass er deshalb auch mit seinem einsetzenden Erfolg nicht umgehen konnte und ihn aus diesem Grund verleugnete. Er gilt als großer Maler, obwohl er nichts beweisen musste. Er hat vielleicht 12 oder 15 Bilder gemalt, was offenbar genügt. Wenn du nichts anderes mehr gemacht hast, was das infrage stellt, reicht es, um als großartig zu gelten. Das ist ähnlich wie bei Polyklet Polyklet (ca. 480 v. Chr. – ca. 400 v. Chr.) war ein Bildhauer der griechischen Antike, der vorwiegend mit Bronze arbeitete. Obwohl aus seinem Werk keine Originale erhalten sind, wird sein Schaffen in zahlreichen historischen Quellen belegt und gerühmt. Vgl. „Polyklet: Der Bildhauer der griechischen Klassik“, hg. von Herbert Beck/Peter C. Bol/Maraike Bückling, Ausst.-Kat. Liebighaus, Frankfurt am Main, Mainz 1990. , dem wohl berühmtesten Bildhauer der Antike. Es gibt von ihm kein einziges Kunstwerk, nur römische Kopien, aber er gilt als der größte Bildhauer schlechthin. So ist auch Eugen uns allen voraus.

Und Marwan?

Kenne ich nicht wirklich. Hatte nichts mit ihm zu tun.

Den kannten Sie damals gar nicht?

Doch. Er hatte eine wunderschöne Frau, so eine Rothaarige.

Und seine Malerei?

Das war nicht meine Welt. Der wurde ja immer mit Baselitz in Zusammenhang gebracht.

Warum eigentlich?

Wegen der Peinture … diesem Gewürme und Gewimmel damals beim Georg. Aber in meinem Lebensraum tauchte Marwan nicht auf.

Der tauchte auch in den Kneipen nicht auf?

Marwan war nicht präsent, er lebte woanders. Ich hatte mit ihm gar nichts zu tun. Berlin ist groß und es gab viele Cliquen, in denen sich die Maler tummelten. Wenn einer nicht in unsere Kneipen, nicht zum Steinplatz und nicht in die Grunewaldschule ging und nicht zu den Festen eingeladen war, dann kam er eben nicht vor. Man kannte ihn, man sagte Hallo, aber es gab keine Auseinandersetzung. Und zudem hat mich seine Peinture, seine Malerei, nie interessiert.

Waren Sie sich mit Ihrer Malerei sicher? Sie waren ja sehr jung.

Ich war – leider oder Gott sei Dank – immer sehr davon überzeugt, was ich vorhatte. Schauen Sie sich doch an, was ich gemalt habe und was die anderen gemalt haben. So was wie ich malte keiner. Nein – warum sollte ich unsicher sein? Es stellt sich auch nicht die Frage, ob ich sicher oder unsicher bin. Ich kenne keine Verzweiflung. Ich erfahre mein Unglück und habe meine Wutanfälle im Atelier – ich durchleide das alles wie jeder andere auch. In einem war ich sicher und das bin ich mir heute noch: Dass ich ganz und gar derjenige bin, der das macht. Ich, der ich nie ankomme, der aber sicher weiß, dass ich das alles noch sehr viel besser und größer und schöner machen kann – bis heute. Deswegen wiederhole ich: Ich will kein Museum. Ich habe Schwierigkeiten, meine Arbeiten zu datieren. Ich diskutiere ständig mit mir selbst und stelle meine Sachen immer wieder infrage. Habe ich ein Bild beendet, bin ich begeistert und gehe aus dem Atelier mit dem Gefühl, es heute geschafft, das Bild der Welt gemalt zu haben. Ich gehe in die Kneipe, komme nachts nach Hause, traue mich nicht ins Atelier, und am nächsten Morgen vor dem Bild kommt die Ernüchterung, dem eigenen Anspruch weiter gerecht werden zu müssen. Kein Ruhen, kein Rasten, kein Halten. Und dann geht es weiter.

Geht es an dem gemalten Bild weiter oder an einem neuen?

Entweder an dem Bild oder an einem neuen. Jedes Bild ist ein Scheitern, weil jedes Bild das nächste begründet. Diese Unruhe und dieses Getriebensein kannte Eugen zum Beispiel nicht. Der hat seine wenigen Bilder gemalt und für gut befunden. Ich hatte nicht das Glück oder Unglück, solche Bilder zu malen, mit denen ich zufrieden bin. Ich musste das immer wieder untersuchen. Und für mich ist jedes Bild, das ich beende, ein Versuch und ein Scheitern. Es ist natürlich sehr unprofessionell so zu denken, aber ich versuche auch meinen Sammlern immer klarzumachen, dass sie keine Bilder kaufen, sondern eine Aktie auf meinen Erfolg. Damit ich irgendwann einmal dahin komme, wo ich hin will. Das ist eine andere Einstellung.

Und das treibt Sie auch permanent an weiterzumachen?

Ich bin ständig damit beschäftigt, kann an nichts anderes denken und betreibe auch nichts anderes. Deswegen mache ich auch immer wieder Musik, damit ich mal auf andere Gedanken komme.

Michael Werner war nicht nur wichtig für Sie, weil er Ihre Malerei unterstützt hat. Gerade in der Anfangszeit in Köln gab es von anderen Galeristen und Künstlern heftigen Gegenwind, sodass seine Truppe auch für ihn sehr wichtig war, oder?

Selbstverständlich. Er bekam ja den Gegenwind wegen der Truppe. Michael ist ein schwieriger Junge und – nebenbei bemerkt – der einzige hochgebildete Galerist, den ich je kennengelernt habe. Er und Baselitz öffneten meinen Blick für die Kunst der Vergangenheit und den Raum der Kunst bis ins Mittelalter und in die Antike hinein. Ich habe von den beiden, speziell von Georg, sehr viel gelernt.

Und die Künstler, die später dazukamen? Penck, Immendorff, Kiefer?

Die kamen dazu, so wie wir dazu kamen: Sie passten ins Programm. Ich weiß noch, Baselitz machte damals Werner auf Anselm aufmerksam: „Michael, geh mal zum Kiefer, der ist spannend.“ Und dann haben Werner und Kiefer ein paar Jahre lang miteinander gearbeitet. Seine erste Ausstellung in der Galerie Michael Werner hatte Anselm Kiefer 1973: „Anselm Kiefer. Notung“. Bis 1978 war Kiefer regelmäßig in Ausstellungen der Galerie vertreten.

Werner informierte Baselitz in Florenz, dass er sie kennengelernt hatte …

„Bring ihn mal mit“, wird Georg gesagt haben, denn wir hatten uns vorher schon in Berlin getroffen, bevor Georg von dort wegging. 1966 ließ er sich in Osthofen nieder. Ich habe bei Baselitz gemalt und wir haben auch ein Bild zusammen gemalt. Daraus hat sich dann eine sehr, sehr enge und passionierte Freundschaft entwickelt, die bis heute besteht. Meine Zuneigung zu ihm ist grenzenlos.

Und die anderen?

Immendorff und ich, wir waren wie Brüder!

Ihn haben Sie aber auch erst über Michael Werner kennengelernt?

Ich habe ihn über Michael Werner kennengelernt, ja.

Und haben Sie Penck damals schon im Osten getroffen?

Ich bin oft mit Michael in den Osten gefahren, um Geld herüberzubringen. Mit dem Ralf sind wir dann Essen gegangen. Das Lokal hieß Ganymed. Da musste man eigentlich reservieren, meiner natürlichen Autorität aber hatten wir es zu verdanken, dass wir dort immer einen Platz bekamen. Wir haben dann diskutiert und geredet. Mit Ralf hatte ich immer einen regen Austausch.

Und Werner wollte sehen, wie Penck auf Sie reagiert?

Ja, das ist seine Geschichte gewesen. Natürlich! Der Michael braucht Bestätigung. Mit mir hatte er einen Künstler angeschleppt, der in kein Schema passte. Also brauchte er Bestätigung von den Künstlern, die in seinen Augen seriöser waren als ich. Baselitz und Penck waren vergleichsweise seriöse Künstler. Er wollte wissen, ob seine Künstler das, was er bei mir ahnte, auch bestätigt sahen.

Waren Sie sich dessen bewusst?

Nein. Ich habe über solche Dinge nicht nachgedacht. Wieso soll ich über so etwas nachdenken? Heute noch kann ich voll Stolz und Freude feststellen, dass ich viele große Künstler der Welt kennengelernt habe, weil ich neugierig bin. Auf Penck war ich neugierig, auf Baselitz und ebenso auf Kiefer. Penck war ein schlauer Sachse – wie Polke und Baselitz auch.

Polke hätte Michael Werner auch gerne in seinem Galerieprogramm gehabt.

Er hat ja auch lange mit ihm gearbeitet, aber das war später. Polke war immer ein Außenseiter, der gehörte nie so richtig dazu.

Weil er nicht wollte oder weil er nicht passte?

Als die beiden zusammenkamen, war Polke schon eine Größe und konnte die Bedingungen bestimmen. Er hatte mit allen Galerien gearbeitet. Der schlaue Polke hat sich nicht auf eine Galerie versteift. So wie das heute auch Kiefer oder Baselitz machen – die haben alle, seitdem sie sich von Werner getrennt haben, mit vielen Galerien gearbeitet. Ein mündlicher Vertrag basierend auf Freundschaft, wie ich ihn mit Werner habe, ist heute ganz außergewöhnlich und sicherlich selten. Früher war es üblich. Es gibt viele Museen und Galerien, die mit mir wegen Werner nicht zusammenarbeiten.

Aber Sie bleiben ihm treu!

Ja, wir haben ja zusammen angefangen, dann ziehen wir das jetzt auch zusammen durch.

Es gab verschiedene Figuren im Umfeld von Michael Werner wie Johannes Gachnang, Siegfried Gohr, Franz Dahlem …

Dahlem war ein Dreckspatz.

Dahlem war ein Dreckspatz? Warum?

Ein Tunichtgut von besonderer Art. Nur ein Beispiel: Wir sitzen bei Baselitz in der Rheinstraße, in Osthofen bei Worms zusammen und pokern. Der Dahlem war damals schon ein Mann, den man kannte, trat großkotzig auf, aber das war völlig in Ordnung, ich mochte ihn. Wir, die Künstler, setzten Bilder, er setzte Geld. Nun kann ich sehr gut Karten spielen und er hat in dieser Nacht sehr viel Geld verloren. Am nächsten Tag habe ich das Geld von ihm gefordert. „Nein, wieso?“ – er weigerte sich, seine Spielschuld zu begleichen. Erbost fuhr ich ihn an: „Wenn ich verloren hätte, hättest du meine Bilder auch genommen oder nicht?“ Dann kam seine Frau: „Du kannst jetzt kein Geld verlangen, wir haben ja gar nichts.“ Darauf entgegnete ich: „Ist mir alles egal. Wir haben unter Männern Poker gespielt und ich habe gewonnen.“ Und dann platzte es aus ihm heraus: „Ich hätte deine Scheißbilder sowieso nicht genommen.“ In Berlin oder Köln hätte ich ihn mir vorgeknöpft, hier als Gast wollte ich keine Eskalation: „Geht in Ordnung. Gut, dann sind wir damit geschiedene Leute.“ Das war dann für mich gegessen. Von diesem Zeitpunkt an hat er mich mit einem permanenten Hass verfolgt und sich über mich immer das Maul zerrissen. Wenn er auf mich traf, wurde er laut und ausfallend: „Der Lüpertz, der ist scheiße.“ Dann saßen wir einmal während des Kunstmarkts in Köln in einem Lokal. Plötzlich kam Dahlem mit jemandem herein, stellte sich unweit von uns – ich war mit Freunden da – an die Theke und, ich werde das nie vergessen, erklärte seinem Gegenüber, warum ich ein so schlechter Künstler bin. Provozierend laut, damit ich es auch ja mitbekam. Ich – guter Stimmung – wollte mich auf eine so billige Nummer nicht einlassen, schaute den beiden ins Gesicht und sagte mit einem breitem Grinsen: „Was Herr Dahlem da von sich gibt, stimmt. Ich bin wohl ein schlechter Künstler.“ Worauf meine Freunde und ich schallend lachen. Was willst du mit so einem Idioten machen? Wie auch immer – meine Äußerung brachte ihn in Rage und in heller Verzweiflung spuckte er mich an. Daraufhin habe ich ihn verdroschen.

Beim Kölner Kunstmarkt?

Ja, ich habe ihn mir geschnappt und ihn so richtig verprügelt und angeraunzt: „Geh bloß immer auf die andere Straßenseite, wenn du mich siehst.“ Ich habe ihn herumgedreht und ihm einen Tritt versetzt. Dann ist er noch einmal mit einer Flasche zurückgekommen. Die habe ich ihm abgenommen und ihm noch mal in den Hintern getreten. Dann war er endgültig draußen und für mich war das gegessen. Werner hat mit ihm dann noch irgendwie weitergemacht, aber ich habe immer gesagt: „Michael, pass auf, wenn der Dreckspatz kommt.“ Er hatte auch mit Baselitz noch zu tun, da war ich schon in Karlsruhe Professor. Zu dieser Zeit rief der Baselitz mich an und sagte: „Du musst unbedingt kommen, der Dahlem läuft ums Haus.“ Er hatte Muffen vor dem. Ich bin dann hingefahren und habe ihn verjagt. Dahlem war für mich ein ausgemachter Widerling. Und immer, das habe ich konsequent durchgehalten, wenn der irgendwo auftauchte, zum Beispiel einmal auf einer Eröffnung von Baselitz in Paris „Georg Baselitz – Gravures et sculptures monumentales", unter anderem Bibliothèque Nationale, Paris, 22. März – 12. Mai 1985. , habe ich gesagt: „Georg, der oder ich. Ich habe nichts dagegen, wenn du mit ihm arbeitest, in Ordnung, aber ich gehe dann.“ Da musste dann der Dahlem gehen, was ihn unheimlich gefuchst hat. Also, man spuckt mich nicht an. Das gehört sich nicht. Und damit ist er für mich ein ziemlicher Kotzbrocken, tut mir leid, aber es ist so.

Und hatten Sie auch mit Heiner Friedrich zu tun?

Das sollte man ja alles nicht erzählen … Natürlich hatte ich mit dem auch etwas zu tun, aber das ist zu persönlich.

Das ist etwas, was ich nie begriffen habe. Wissen Sie, die hatten alle mit Werner zu tun. Aber sie konnten ja nicht das ganze Programm von Werner übernehmen und gutheißen. Die mussten auch ihre pseudokritischen Duftmarken setzen. Und da war ich eben das gefundene Fressen. Ich war ja nie auf Linie und immer umstritten. Wenn ich die Stahlhelme malte, haben die Leute sich darüber furchtbar aufgeregt, weil sie nicht wussten, wie sie es einschätzen sollten. Die Linken haben dann gesagt, ich wäre ein Nazi, weil auf den Bildern nicht „Gegen den Krieg“ stand, sondern eben nur Stahlhelme zu sehen waren. Dazu kommen meine dreisten Sprüche. Ich bin ein Mensch, der sich schnell dazu verführen lässt, dumme Fragen gekonnt zu retournieren und das Tollste vom Himmel herunterzuflunkern, einfach nur, weil mein fragendes Gegenüber genau das hören will. Das bereitet mir ein enormes Vergnügen. Werner regt sich dann immer furchtbar auf, aber ich kann mich da nicht zurückhalten. Die Presse macht es sich auch allzu einfach: Lüpertz lehnt man ab, weil man die anderen hofiert. Und es scheint mein Schicksal, der Buhmann zu sein. Ich habe das nie untersucht und habe auch nie etwas dagegen unternommen – ganz im Gegenteil gebe ich dem Affen gern Zucker. Doch eines ist gewiss: Ich überlebe die Anfeindungen.

Die Ausstellungen, die Werner organisiert hat oder die er mit anderen abgesprochen hat, wie zum Beispiel mit Gachnang in Bern „Markus Lüpertz, Dithyrambische und Stil-Malerei“, Kunsthalle Bern, 20. August – 25. September 1977. … haben Sie das immer akzeptiert? Oder gab es auch Situationen, in denen Sie sagten, nein, da möchte ich nicht ausstellen oder mit dem möchte ich nicht ausstellen?

Nein. Höchstens, dass ich mal sagte: „Da will ich gerne ausstellen, kümmere dich darum.“ Aber Michael bestimmt das Programm und die Ausstellung, ich habe mich nie darum bemüht. Er sagt, wo ich ausstelle und er sagt, wie die Ausstellung auszusehen hat. Wenn Privatgalerien anfragen, bespreche ich das mit Werner und frage ihn: „Michael, stellen wir da aus?“ Stimmt er zu, läuft alles über die Galerie. Egal wer kuratiert, er kann Einspruch nehmen, wir sprechen das vorher immer ab. Denn das ist seine Aufgabe. Er muss ja für das Geld, das er mit meinen Arbeiten verdient, auch etwas tun. Ich war in dieser Richtung nie sonderlich aktiv. Natürlich habe ich auch durch das Rektorat an der Akademie 1986 übernahm Markus Lüpertz eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf. Von 1988 bis 2009 war er Rektor der Akademie. viele Kontakte, aber die entscheidende Vermittlung läuft immer über Werner.

Als Penck von der „documenta 6“ ausgeschlossen wurde, haben Sie und Baselitz Ihre Beiträge ebenfalls zurückgezogen.

Richter auch.

Hat Richter das auch wegen Penck gemacht?

Ja, der hat mitgemacht. Aber wie auch immer, die deutsche Presse ist ja legendär. Baselitz und Richter werden nie mehr erwähnt. Es ging nur um mich. Ich habe damals meine Schwarz-Rot-Gold-Bilder Markus Lüpertz, „Schwarz-Rot-Gold (I-III)“, 1974. gezeigt und die hingen gegenüber von Francis Bacon. Ein Triptychon von Francis Bacon und meine drei Schwarz-Rot-Gold-Bilder auf der anderen Seite – eine wunderbare Korrespondenz. Dann wurde Penck ausgeladen, weil die DDR-Künstler sonst ihre Teilnahme erpresserisch zurückgezogen hätten.

Absurd!

Ja, absolut. Penck wurde abgehängt, woraufhin ich mich solidarisch erklärte und meine Bilder aus Protest zurückzog. Baselitz schloss sich dem an und auch seine Bilder wurden abgehängt. Ich habe dann mit Werner noch eine Pressekonferenz gegeben, auf der wir eine gedruckte Erklärung verteilt haben. Und was schreiben die in der Zeitung? Kein Wort darüber. Aus Angst vor Francis Bacons Bildern hätte ich meine Bilder abgehängt. Siehe hierzu auch: Gisela Schirmer, „DDR und documenta“, Bonn 2005. Das war das Einzige, was dazu geschrieben wurde.

Im Nachhinein ist es schon ein bisschen aufgearbeitet worden. Es wird nur nirgendwo klar, was nun wirklich die Gründe waren und wer seinen Beitrag tatsächlich aus Solidarität zu Penck zurückgezogen hat. In einer Quelle heißt es beispielsweise, für Pencks Bilder wäre nicht genug Platz gewesen und deswegen musste das wegfallen.

Völliger Blödsinn! Penck war eingeladen. Und die DDR-Künstler haben gesagt: Nicht mit Penck!

Und wieso hat Richter abgehängt?

Richter liebt Trouble und hat dann mit abgehängt. Er stammt ja ebenfalls aus dem Osten und fand den Umgang mit Penck unmöglich. Jeder Künstler, der verantwortungsvoll ist, musste sich in dieser Situation mit Penck solidarisieren. Vgl. Gerhard Richter.

Zur „documenta 7“ haben Sie dann endlich mitausgestellt. Das war 1982 unter der Leitung von Rudi Fuchs. Haben Sie mit Rudi Fuchs diskutiert, was Sie ausstellen?

Nein, das geschah mit Werner. Rudi Fuchs und ich sind seit frühester Jugend Freunde. Ich habe meine erste Ausstellung „Markus Lüpertz“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, November 1977. mit ihm in Eindhoven 1977 gemacht. Das war eine meiner ersten großen Museums-Shows und die war fantastisch. Mich haben sie abends nicht reingelassen, weil ich so betrunken war.

Schon zur Eröffnung?

Ich hatte keine Erfahrung mit Jenever Jenever (auch Genever) ist ein traditionell in Belgien und den Niederlanden verbreiteter Wacholderschnaps, der als Vorläufer des Gin gilt. .

Rudi Fuchs beschreibt 1996 in seinem Katalogbeitrag Vgl. Rudi H. Fuchs, „Rede zur Eröffnung“, in: Armin Zweite (Hg.), „Reden zu Lüpertz“, Ostfildern 1996, S. 17–22. Das Buch erschien anlässlich der Ausstellung „Markus Lüpertz: Gemälde, Skulpturen“, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 30. März – 02. Juni 1996. zu Ihrer Ausstellung in Düsseldorf – und da bezieht er sich auf diese Eindhoven-Geschichte – wie stark die Ablehnungshaltung Ihren Arbeiten gegenüber war. Hatte das auch mit dem vermeintlich deutschen Thema zu tun?

Nein. Alle Künstler, die ich kenne, haben versucht zu provozieren. Der einzige Künstler, der es bis heute nicht unternahm zu provozieren, bin ich. Und doch schaffe ich es noch im hohen Alter, dass die Leute Schaum vor dem Mund kriegen, wenn sie eine Beethoven- oder Mozart-Skulptur von mir sehen. Ich strebe das nicht an. Ich will geliebt und bewundert werden. Aber aus irgendeinem Grund ist es bei Lüpertz eben anders. Ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht. Es ist halt so. Offensichtlich ist das meine Rolle.

Nervt Sie das nicht?

Es kostet Geld, ist lästig und wiederholt sich. Ein Beispiel: Frau Voss in der Frankfurter schreibt eine Kritik über meine Ausstellung in der Bundeskunsthalle Vgl. Julia Voss, „Markus Lüpertz: Welche Welt will dieser Fürst regieren?“, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 13.10.2009, S. 29. . Sie macht es sich einfach, verkehrt die Welt, legt alles, was positiv ist, negativ aus. Man merkt, sie hat einfach eine Aversion gegen mich. Dabei ist sie auch nicht sonderlich qualifiziert, aber darum geht es ja nicht. Sie hegt einen Hass auf mich, dabei kenne ich die Frau gar nicht. Das, was ich als Mann darstelle, ist für sie offensichtlich unerträglich. Was sollst du da machen? Soll ich mich damit auseinandersetzen? Eine Häufung von Klischees, an deren Entstehung ich – zugegebenermaßen – nicht ganz unschuldig bin, hat sich mehr und mehr verfestigt. Und dieses ewige Wiederkäuen finde ich, ehrlich gesagt, mittlerweile zum Kotzen.

Apropos Kotzen: Bruno Goller Bruno Goller (1901 Gummersbach – 1998 Düsseldorf) war ein deutscher Maler, der ab 1927 der Düsseldorfer Künstlergruppe Das Junge Rheinland angehörte. Von 1953 bis 1964 lehrte er als Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf. hat das, glaube, ich einmal über Ihre Bilder gesagt, oder?

„Nehmen Sie Ihre Bilder raus, sonst muss ich kotzen.“ Das war meine Karriere an der Kunstakademie Düsseldorf.

Und wieso waren die Bilder so zum Kotzen?

Keine Ahnung. Sie gefielen ihm nicht. Es ging nicht um das Figurative, es ging darum, wie du maltest und was du maltest. Und ich hatte Figuren am Lagerfeuer gemalt – ein verrücktes Bild, das es heute noch gibt. Die ganze Akademie hasste mich. Ich war einfach anders: kam aus dem Bergwerk, war vorher in der Fremdenlegion, hatte ein Kreuz wie ein Stier und war ziemlich aggressiv. Es gab immer Theater. Wir hatten kein Zimmer und drei oder vier Studenten hausten in Zelten auf der Rheinwiese. Eine spannungsgeladene, wild-chaotische Situation. Und das passte den Professoren nicht, denn auf solche Typen waren Joseph Fassbender, Otto Coester und Bruno Goller in ihrem erschlaffenden Tachismus nicht eingestellt. Ihre Gemälde waren von schöner Eleganz. Goller halte ich für einen großartigen Maler, aber er war eben ein sehr sanfter Mensch und ein Typ wie ich musste ihm unheimlich vorkommen. Das kann man ja auch verstehen. Der auslösende Anlass für den Eklat war ein Akademie-Fest, eine Riverboatshuffle. Sie hieß Olga und wollte von mir nichts wissen – dagegen ist ja nichts zu sagen. Aber wie dann ihr Typ mich verhöhnt hat … das war sein Fehler und danach ist es einfach schiefgegangen. Ich wurde von der herbeigerufenen Polizei abgeführt und anschließend von der Akademie geworfen.

Die Geschichte kenne ich noch gar nicht.

Ja! Ich war ein Semester auf der Düsseldorfer Kunstakademie und bin dann rausgeflogen.

Weil Sie sich geprügelt haben?

Weil ich mich geprügelt habe und weil sie mich und meine Arbeiten nicht mochten. Da kam eins zum anderen.

„Das Bild ist zum Kotzen“ – das war nicht der Ton, der an der Akademie vorherrschte, oder?

Nein, viel zu aggressiv. Aber auch daran bin ich nicht schuldlos. Coester habe ich herausgefordert. Der ist wegen mir wochenlang nicht in die Klasse gekommen. Ich wollte immer die Liebe von allen, habe sie bewundert, fand sie ganz toll, aber irgendwie waren sie von mir erschrocken. Mir ist das unbegreiflich, aber das hat sich bis heute gehalten. Es gibt immer Leute, die unterstellen mir die absurdesten Dinge. Natürlich bin ich wehrhaft, ich sage, was ich denke und natürlich kann ich auch ausfallend werden. Wenn man mir wirklich an den Karren pinkelt, kann ich ziemlich grob reagieren. Das ist heute noch so. Ich lasse mir nichts gefallen. Aber in aller Freundschaft! Ich habe mich seit vielen Jahren nicht mehr geprügelt. Jetzt? Das wäre lächerlich. Aber das Image hat sich gehalten, ich weiß auch nicht warum.

Und Ihr Rückzug in Venedig? 1980 war Markus Lüpertz zusammen mit Georg Baselitz und Anselm Kiefer eingeladen, unter der Leitung von Klaus Gallwitz im Deutschen Pavillon auszustellen.

Übermut!

Ja?

Na ja, ich habe mit Klaus Gallwitz, mit dem ich heute noch bekannt bin, das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, darüber geredet. Gallwitz holte Baselitz, Kiefer, Lüpertz. Eigentlich eine wunderbare Sache für eine Biennale. So weit, so gut. Was mich störte, war die Hierarchie. Baselitz war seine Nummer eins, Lüpertz war die Nummer zwei und Kiefer die drei. Ich wollte das durchbrechen und schlug den Freunden vor: Wir stellen alle drei im großen, im mittleren und im kleinen Raum aus – also immer in direkter Korrespondenz. Da hat der Georg Baselitz,der ja nun auch ein Mann ist, gesagt: „Nein, nein, ich will den großen Raum, ich bin hier die Nummer eins.“ Kiefer war damit einverstanden, für ihn war es enorm wichtig, überhaupt dort auszustellen. Mir aber ließ das keine Ruhe. Ich bin dann zu Gallwitz gegangen und habe gesagt: „Herr Gallwitz, das haut nicht hin, so geht das nicht. Wir müssen die Hierarchie aufheben oder wissen Sie was? Laden Sie die beiden aus, ich mach das allein.“ Da hat Gallwitz erwidert: „Herr Lüpertz, so geht es ja auch nicht.“ Also habe ich darauf verzichtet und mir gedacht: „Dann muss ich eben darauf warten, bis man mir eine Einzelausstellung anbietet.“ War natürlich völliger Unsinn. So wie sich die Biennale entwickelt hat, kann ich 200 Jahre alt werden, ehe ich da meine Einzelausstellung bekomme.

Zuerst sind Sie aber mit Michael Werner und Baselitz nach Venedig gefahren. Ohne Kiefer, oder?

Nein. Das wird unterstellt, aber das stimmt nicht. Wir waren zusammen eingeladen. Nur konnte Anselm aus irgendeinem Grunde nicht, er reist auch nicht so gerne. Der Einzige, der dann ausgestiegen ist, bin ich.

Und haben Sie es bereut?

Ja! Später. Weil die Biennale sich in einer Art entwickelt hat, dass ich da nie mehr wieder vorkommen werde. Schade eigentlich. Hätte ich die Ausstellung gehabt, wäre die Biennale aus dem Kopf. Heute fuchst mich das immer noch.

Vielleicht kommt es ja noch.

Bei den heutigen Kuratoren, die so überaus selbstgefällig ihre Nummer abziehen? Man muss einfach ehrlich sein, da habe ich auch nichts mehr zu suchen.

Lassen Sie uns noch einmal über den Kölner Kunstbetrieb sprechen. Anfang und Ende der 1970er-Jahre gab es die Ölkrisen Infolge des Jom-Kippur-Kriegs drosselte die Organisation erdölexportierender Länder (OPAC) im Herbst 1973 vorübergehend ihre Fördermenge und bewirkte somit eine sprunghafte Ölpreiskrise. Das Phänomen wiederholte sich im Winter 1979 als Reaktion auf die Islamische Revolution im Iran und den daraus resultierenden Ersten Golfkrieg. Vgl. Stefan Göbel, „Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre“, Berlin 2013. , was offenbar auch den Kunsthandel traf. Haben Sie das am Verkauf Ihrer Werke gemerkt?

Es lief immer schlecht. Lüpertz war nie gut zu verkaufen. Ob zur Zeit der Ölkrise oder nicht, das spielte keine Rolle.

Und gab es einen Auftrieb in den 80er-Jahren?

Nicht wirklich. Durch den Sammler Ludwig Peter Ludwig (1925 Koblenz – 1996 Aachen) war ein deutscher Industrieller und international agierender Kunstmäzen, der ab 1969 eine der bedeutendsten Sammlungen im Bereich der Pop-Art aufbaute. Durch Schenkungen und Leihgaben etablierte Peter Ludwig zahlreiche Kooperationen zwischen öffentlichen Trägern und seiner Privatsammlung. Die Stadt Köln erhielt 1976 eine umfangreiche Auswahl seiner Sammlung – unter der Voraussetzung, für diese einen eigenen Präsentationsort, das heutige Museum Ludwig, zu errichten. 1982 gründeten Peter und Irene Ludwig die Ludwig Stiftung für Kunst und internationale Verständigung, die nach dem Tod Peter Ludwigs 1996 in die Peter und Irene Ludwig Stiftung überging. Vgl. Heinz Bude, „Peter Ludwig. Im Glanz der Bilder“, Bergisch Gladbach 1993. , mit dem ich ganz gut bekannt war, bin ich überhaupt erst in den Sammlungen aufgetaucht. Ob jetzt die Weltwirtschaftskrise sich auf die Verkäufe ausgewirkt hat, ist vielleicht ein bisschen hochgegriffen, kann aber sein – ich weiß es nicht.

Sie haben das Michael Werner überlassen?

Ja, sicher. Sie müssen sich vorstellen, dass Lüpertz bis heute nicht leicht zu verkaufen ist. Meine Werke sind eine Last für die Galeristen. Und die ganzen Direktoren bei Michael Werner können sehr wenig damit anfangen.

Womit?

Ja mit mir.

Die Direktoren der Galerie Michael Werner?

Selbstverständlich! Die sind erfolgsorientiert, weil der Michael denen im Genick sitzt. Das ist schon wieder eine ganz andere Welt.

Also, Sie meinen, dass die jüngere Generation mit Ihren Bildern nichts anfangen kann?

Die jüngeren Galeristen nicht, weil sie es nicht verstehen. Ihnen fehlt eventuell die Bildung, die dazugehört oder sie folgen den Ideen nicht. Sie gehen zu sehr von den avantgardistischen Ideen und den amerikanischen Wegen aus, suchen stets den Rückhalt bei der Wiedererkennbarkeit, setzen auf Stil und all diese Dinge. Die können also keinen Bohemien verkaufen.

Von Anfang an, so erzählt es Michael Werner, wollten Sie zu Ihren Ausstellungen auch immer einen Text haben?

Sicherlich. Jede Ausstellung muss einen Text haben.

In Berlin, in einer Ihrer ersten Ausstellungen, sollte der Text von Christos M. Joachimides kommen. Der ist aber nie mit seinen Texten fertig geworden?

Er hat es einfach nicht geschafft.

Also gab es keinen Text?

Doch. Es wurde etwas zusammengeschustert.

In der Galerie in der Potsdamer Straße haben Sie die Kritiker, weil Sie mit deren Arbeit so unzufrieden waren, einmal bei einer Ausstellung offiziell ausgeladen. Vgl. Lothar C. Poll (Hg.), „Lesebuch Heinz Ohff. Schreiben für die Kunst“, Berlin 2007, S. 120.

Ja, die Aktion richtet sich gegen die Kritiker. Nur gegen eine verlorene Risikoprämie von 50 D-Mark wurde ihnen Einlass gewährt. Es ist kein Kritiker gekommen. Einer, der es nicht geglaubt hat, wollte rein. Da habe ich gesagt: „50 D-Mark.“ – „Nö!“ – „Dann gehen Sie wieder!“

Hat Werner vorgeschlagen, das so zu machen?

Nein, auf so einen Unsinn komme nur ich. Und das begründete eine lange, bis heute währende Feindschaft zwischen der journalistischen Kritik und mir. Es existieren nachhaltige Vorbehalte vonseiten der Kritiker – ich und mein Werk sind einfach zu intelligent für diese Art von voreingenommener Kritik.

Die arbeiten sich ja auch gar nicht erst so tief ein.

Überhaupt nicht! Und das ist ein Muss, wenn du dich mit Malerei beschäftigst – dann ist es unverzichtbar. Aus diesem ganzen Wust an visuellen Eindrücken, der uns heute umgibt, gilt es ja zunächst, die Größe der Malerei herauszuschälen. Du musst ja wissen, was Malerei eigentlich ist, denn es gibt sie ja gar nicht mehr, sie kommt kaum noch vor. Also Malerei im Sinne von Peinture. Eine Malerei verkommt heute oft zur bloßen Illustration von Inhalten. Schauen Sie sich so ein wunderbares Talent wie Neo Rauch an, der fantastische, abstrakte und halbgegenständliche Bilder gemalt hat. Er erstickt heute in seiner Illustration. Ich frage mich warum?

Hat Christos M. Joachimides damals verstanden, was Sie gemacht haben?

Na ja, Christos und ich – auch wir haben eine gemeinsame Vergangenheit. Ich habe keinen Menschen in meinem Leben erlebt, der so schnell essen konnte wie Christos. Wenn du den zum Essen eingeladen hattest, musstest du höllisch aufpassen, dass du etwas abbekommen hast. Wir waren sehr eng befreundet – er hat schöne Reden gehalten, hat die Texte geschrieben. Irgendwann hat er mich verraten und dann war es eben vorbei.

Aber er hat die Malerei verstanden?

Für damalige Verhältnisse war er in der Lage, das in eine intelligente Darstellung zu überführen. Ob er es letztendlich verstanden hat, weiß ich nicht so genau. Eher doch!

1981 machte er mit Norman Rosenthal die Ausstellung „A New Spirit in Painting“ „A New Spirit in Painting“, Royal Academy of Arts, London, 15. Januar – 18. März 1981. in der Royal Academy in London.

Das war eine der schönsten Ausstellungen, die ich je mitgemacht habe. Da lief es noch rund und die Welt war in Ordnung. Beteiligt waren die ganzen jungen Amerikaner mit Julian Schnabel, die Italiener wie Sandro Chia, mit dem ich besonders befreundet bin, dann wir und auch die Jungen Wilden. „A New Spirit in Painting“ war ein Traum, eine richtungsweisende Ausstellung. Ein Aufbruch – legendär. Alle Künstler waren da, selbst der alte Jean Hélion Jean Hélion (eigtl. Jean Bichier; 1904 Couterne sur Orne – 1987 Paris) war ein französischer Künstler der abstrakten und figurativen Malerei. Er zählt zu den Gründungsmitgliedern der 1931 ins Leben gerufenen Künstlervereinigung Abstraction Création und gilt als Wegbereiter der frühen amerikanischen Abstraktion. und Jannis Kounellis Jannis Kounellis (1936 Piräus – 2017 Rom) war ein griechischer Objekt- und Konzeptkünstler, der dem Gründungskreis der Arte-povera-Bewegung angehörte. , mit dem ich seit Jahrzehnten befreundet bin. Die Künstler haben die Bar gestürmt, bevor sie öffnete und die Galeristen durften kommen, die Runden bezahlen und mussten dann wieder gehen – und noch mehr solcher zauberhaften Kleinigkeiten. Es gab einen Empfang im Aquarium, den eine Whisky-Firma gesponsert hatte. Dort waren riesige Fischcontainer und du konntest durch die Scheibe Haifische und andere Meeresbewohner sehen. Davor stand die Bar mit dem Whisky, unvorstellbar hinreißend. Man tauschte sich aus und lernte sich kennen. Bei dieser Gelegenheit bin ich auf David Hockney und Gilbert & George gestoßen.

Und Christos M. Joachimides, Norman Rosenthal und Nick Serota waren vorher bei Ihnen im Atelier und haben sich Bilder ausgesucht?

Das haben die mit Werner gemacht. Serota hat 1974 meine erste große Einzelausstellung „Markus Lüpertz. Stil-Painting 1977–79“, Whitechapel Gallery, London, 21. September – 28. Oktober 1979. in der Whitechapel Gallery organisiert. Wir hatten einen Galeristen in London, da habe ich noch einmal ausgestellt. Zwischen 1981 und 1984 hatte Markus Lüpertz drei Ausstellungen in der Waddington Gallery in London: „The Alice in Wonderland Paintings“, 04. – 27. November 1981; „Markus Lüpertz“, 30. März – 23. April 1983; „Markus Lüpertz. Sculptures in Bronze“, 03.–28. April 1984. Danach hatte ich eine Auseinandersetzung mit Nick Serota und etwas später einen weitreichenden Konflikt mit Joachimides – auf beide Peinlichkeiten will ich hier nicht näher eingehen. Bei Christos war es besonders heftig, weil ich mit ihm sehr eng befreundet war. Er hat mich in einer Art hintergangen, die eigentlich nicht diskutabel ist. Gut, er wollte damals auch Erfolg. Und die Ausstellung hat ja dann doch stattgefunden, obwohl er versucht hat, sie zu boykottieren. Weil er dachte, er müsste jemand anderen da hereinschieben, hat er versucht, mich wegzudrücken.

Um welche Ausstellung ging es?

Um die Ausstellung im Reina Sofía in Madrid. „Markus Lüpertz. Retrospectiva 1963/1990”, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid, 05. Februar – 06. Mai 1991.

1983 haben wir in Israel eine Ausstellung im Tel Aviv Museum of Art ausgerichtet. „New Painting from Germany”, Tel Aviv Museum of Art,15. März – 14. Mai 1983. Ich hatte meine Stahlhelme hängen. Dann gab es irgendwelche Sandwich-Leute, die sagten, die Ausstellung müsste geschlossen werden. Dieses Theater gab es irgendwie immer. Und diese Art von Aversion … damals wurde das als teutonisch deklariert. Das Ganze stand unter der Ägide der Amerikaner. Die Vertreter des amerikanischen Expressionismus waren das Nonplusultra. Großartige Maler wie Philipp Guston, Franz Kline, Willem de Kooning – echte Heroen, auch für uns. Die haben aber alles platt gemacht, was nicht wie sie daherkam. Es gab ja genügend, die so waren. Etwa Richter. Ich habe heute noch das Bild aus den 40er-Jahren von James Rosenquist vor Augen: zehn Kinder, ein langes Bild, alle schwarzweiß und verwischt. Es hat Gerhard Richter nie geschadet, dass so ein Bild existiert. Genauso Polke mit seinen Punkten – es gab einen Franzosen, der hat das schon in den 50er-Jahren gemacht – genauso. Das alles hat den beiden nie geschadet. Ihr Vorteil war, dass sie mit ihren Gemälden im Kontext standen und leicht verständlich waren. Baselitz hatte mit seiner Peinture unheimliche Probleme. Obwohl er schon Erfolg hatte, „roch“ alles deutsch. Und erst als er das Deutsche verhohnepiepelte, indem er es auf den Kopf stellte, konnte er weiter deutsch malen.

David Hockney wollte angeblich seine Bilder in der Nacht, bevor die Ausstellung in der Royal Academy eröffnete, abhängen. Vgl. Norman Rosenthal.

In London? Warum? Weil wir ausstellten? Nun, dieses pikierte Naserümpfen hat es immer wieder gegeben. Das hatten wir ebenso in Italien. Die italienischen Künstler haben sich am Anfang wahnsinnig gegen uns gewehrt, als Rudi Fuchs und Johannes Gachnang damals in Turin die Ausstellung „Standing Sculpture”, Castello Rivoli, Turin, 17. Dezember 1987 – 30. April 1988. vorbereiteten. Was ich da abends in der Kneipe an Beschimpfungen erlebt habe, das können Sie sich gar nicht vorstellen.

Welcher Art?

Wir wurden als Nazis beschimpft, waren für die Faschisten; sie wollten einfach unseren kritischen Anspruch nicht verstehen.

Das haben die so gesehen?

Das haben die so gesehen! Aus dieser Zeit gibt es verrückte Geschichten. Ich habe einem in Turin die Ohren langgezogen, weil ich glaubte, er hätte hinter meinem Rücken eine Beleidigung gegrölt. Als ich mit ihm fertig war, zeigte er auf einen anderen und sagte kleinlaut, nicht ich, der da war es. Dann habe ich mir den auch noch geschnappt. Zig Jahre später ging es um einen Ankauf meiner Arbeiten im Centre Pompidou, und wer saß in der Ankaufskommission? Ausgerecht der, der mich damals einen Faschisten nannte und dafür von mir eins auf die Mütze bekam. Das Bild wurde trotzdem angekauft – es war eine Hinrichtung und die Soldaten des Kommandos steckten auch noch in deutschen Uniformen. Markus Lüpertz, Erschießung, 1992, Sammlung Centre Pompidou, Paris. So trifft sich das immer wieder und es kommt eins zum anderen.

Hatte sich das Thema Deutschsein nicht irgendwann einmal in den 80er-Jahren auch erledigt?

Das ist ja allgemein völlig verschwunden, nur bei mir ist es hängen geblieben. Baselitz, der deutscheste Maler von uns allen, hat es geschafft, das wegzudrücken. Der ist amerikanisch geworden – nach amerikanischem Muster: Er hat einen Stil, eine Produktion und diese Reihungen. Sein Held ist Andy Warhol. Das sind Dinge, die kann ich nicht nachvollziehen, aber das ist halt seine Nummer. Er hat es geschafft, den deutschen Geruch loszuwerden. Penck war DDR und gilt dann mittlerweile als intellektuell. Er ist versunken in seinen Dingen: Was er heute malt, ist immer noch das, was er früher malte – was für einen Maler seiner Größe völlig unangemessen ist. Warum malt er nicht schon längst gegenständlich? An seiner Stelle hätte ich schon seit Langem gegenständlich gemalt. Er kann das so großartig! Eigentlich müsste der ganz in der ersten Reihe stehen. Aber Ralf war nie ein genuiner Maler. Der hat immer die Malerei als Konzept begriffen. Für ihn ist die Malerei seit jeher Mittel zum Zweck gewesen.

Als Sie in den 80er-Jahren die jüngere Generation haben malen sehen, wie fanden Sie das?

Ich bin mit vielen von ihnen befreundet und finde manches Werk höchst erstaunlich. Es sind Bilder. Mich interessiert alles, was auf Bildern stattfindet und sie haben etwas reingebracht, was uns fremd war: Sie lassen die Hosen runter. Bis auf den frühen Baselitz – später hat er es ja auch nicht mehr gemacht – war das nicht unsere Geschichte. Obgleich der Georg auch immer wieder versucht, mit Hakenkreuz und Hitlerbärtchen zu provozieren, was albern ist. Aber er ist halt nie erwachsen geworden, wie wir alle nicht. Und bei seiner großartigen Malerei ist es auch egal.

Ich weiß, dass Helmut Middendorf Sie sehr geschätzt hat. Wie war Ihr Kontakt zu den jüngeren Berliner Malern?

Salomé hat bei mir gearbeitet, Fetting hat mich in New York besucht und wir sind da zusammen durch die Gegend gezogen. Markus Lüpertz verbrachte 1984 mehrere Monate in New York. Über die Zeit hat er ein Tagebuch verfasst. Vgl. Markus Lüpertz, „Tagebuch. New York 1984“, Bern/Berlin 1984. Ich kenne die gut, wir sind befreundet. Es gab und gibt überhaupt keine Sperre.

Waren Sie eine Art Lehrer für die?

Nein, der Lehrer war ich nicht, das war Baselitz. Ich war der Ältere. Man zeigte selbstverständlich den nötigen Respekt. Wir haben uns ausgetauscht und über Malerei diskutiert. Die Mülheimer Freiheit Die Kölner Künstler Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Gerard Kever und Gerhard Naschberger zogen im Oktober 1980 gemeinsam in ein Atelier in der Mülheimer Freiheit 110 in Köln-Deutz. Der Name „Mülheimer Freiheit“ fand erstmals anlässlich der Gruppenausstellung „Mülheimer Freiheit & Interessante Bilder aus Deutschland“ Verwendung, die vom 13. November – 20. Dezember 1980 in der Galerie Paul Maenz in Köln stattfand. Vgl. Franziska Leuthäußer, „Rheinland – Hans Peter Adamski, Peter Angermann, Peter Bömmels, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Gerard Kever, Jan Knap, Milan Kunc, Gerhard Naschberger, Andreas Schulze, Volker Tannert“, in: Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“, hg. von Martin Engler, Ausst.-Kat. Städel Museum, Frankfurt am Main, Ostfildern 2015, S. 126–181, hier S. 126 ff. oder Martin Kippenberger Martin Kippenberger (1953 Dortmund – 1997 Wien) war ein Künstler, der insbesondere für seine humorvollen, konzeptuellen und teilweise zynischen Arbeiten bekannt ist. Ab 1972 studierte er offiziell in der Klasse von Claus Böhmler und Franz Erhard Walther an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. 1978 zog er nach Berlin, wo er die Geschäftsführung des SO36 übernahm und gemeinsam mit Gisela Capitain Kippenbergers Büro gründete. Während der 1980er-Jahre war Kippenberger mit Werner Büttner, Albert Oehlen und Georg Herold in zahlreichen Gruppenausstellungen vertreten. 1986 zeigte das Hessische Landesmuseum in Darmstadt mit „Miete Strom Gas“ seine erste institutionelle Einzelausstellung. Als Gastprofessor lehrte Kippenberger an der Städelschule in Frankfurt am Main (1990) und der Gesamthochschule in Kassel (1992). Siehe auch „Martin Kippenberger. Einer von Euch, unter Euch, mit Euch“, hg. von Doris Krystof/Jessica Morgan, Ausst.-Kat. u. a. Tate Modern, London, Ostfildern 2006. waren dann wiederum eine andere Welt. Mit all denen war ich aber bekannt, mit manchen befreundet. Man hat zusammen gesoffen und sich Geschichten erzählt, aber ich habe diese Art Kunst von Kippenberger nie verstanden. Jiří Georg Dokoupil Jiří Georg Dokoupil (* 1954 Krnov, Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik) studierte von 1976 bis 1978 unter anderem bei Hans Haacke an der Cooper Union in New York. Seinem Werk eigen sind häufig wechselnde Stile, dazu gehört insbesondere auch die Aneignung von Stilmerkmalen anderer Künstler. 1982 war er mit dem Werk „Gott, zeig mir Deine Eier“, einer Hommage an seinen Künstlerkollegen Julian Schnabel, der von der documenta-Leitung nicht eingeladen worden war, vertreten. Seine Lebensmittelpunkte wechselten regelmäßig zwischen Köln, Madrid, New York und Santa Cruz de Tenerife. habe ich sehr geschätzt, der war ein guter Mann.

Es wundert mich jetzt, dass Sie die alle geschätzt haben. Weil Sie früher einmal sagten, unter denen, die unter Ihrer Leitung in der Düsseldorfer Akademie waren, gab es vielleicht zehn Leute, die Sie gut fanden.

Ich kenne, was die Kunst angeht, keine Voreingenommenheit. Ich bin immer neugierig auf all das, was gemacht wird. Ich muss es ja nicht mögen. Das muss nicht meine Welt sein und ich lehne auch ganz bestimmte Dinge ab, aber in aller Freundschaft. Ich bin ein Mensch, der diskutiert und Position bezieht. Mit Kippenberger war es nie einfach. Er war ein witziger Kerl, ich war gerne mit ihm zusammen und es war immer lustig. Kippenberger war professionell und Künstler mit Haut und Haar, aber kein passionierter Maler von Profession. Meine ganze Leidenschaft gilt der Malerei und Bildhauerei, mich interessieren Profimalerei oder -bildhauerei. Und dann steht da etwas quer, wenn dein Gegenüber Objekte schafft, die keine Bildhauerwerke sind und seine Gemälde nicht die feurige Leidenschaft wahrer Malerei verspüren lassen. Ich kann mit Tony Cragg über Bildhauerei reden, auch mit Thomas Schütte. In diesen Gesprächen fechte ich meine Positionen durch. Ich diskutiere leidenschaftlich gerne über Kunst und dies in großer Offenheit. Ich lasse mich auf alles ein, schaue mir auch Konzeptkunst an, sehe Videos und betrachte Fotos – es ist ja nicht so, dass ich diese Formen der künstlerischen Auseinandersetzung ignoriere, nur beziehe ich auch eine Position dazu. Das wird oft völlig falsch ausgelegt. Man hat mir in der Kunstakademie immer vorgeworfen, ich würde keine Fotografie zulassen. Völliger Unsinn! Wir hatten eine exponierte Fotoklasse an der Akademie. Bernd Becher Bernd (1931 Siegen – 2007 Rostock) und Hilla (1934 Potsdam – 2015 Düsseldorf) Becher waren ein deutsches Künstlerpaar. Mit ihren Typologien zur Industriearchitektur ab den 1970er-Jahren trugen sie wesentlich zur Entwicklung der konzeptuellen Fotografie in Deutschland bei. 1976 übernahmen sie die Professur für die neu eingerichtete Abteilung der Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf und begründeten in den Folgejahren die international renommierte Düsseldorfer Photoschule. Zu den bekanntesten Schülern von Bernd und Hilla Becher zählen Andreas Gursky, Candida Höfer, Thomas Ruff und Thomas Struth. hat mir persönlich immer gesagt: „Markus, nur eine Fotoklasse!“ Der wusste, was Exklusivität bedeutet. Das war ein kluger Mann. Und ich habe seinen Wunsch akzeptiert. Hilla, seine Frau, hat es mir später nicht gedankt und so entstand der Vorwurf, ich hätte die Fotografie vernachlässigt. Dabei wurde die fotografische Abteilung von der Akademie wirklich gehätschelt, weil ich Becher schätzte und er ein großer Künstler war. Heute herrscht Chaos, jeder versucht nur, seine eigenen Interessen an der Akademie durchzuboxen. Ich habe die Bude immerhin 28 Jahre lang zusammengehalten und es herrschte eine freundschaftliche Atmosphäre. Kaum bin ich weg, geht die Sache schief. Das ist doch furchtbar. Tony Cragg Tony Cragg (* 1949 Liverpool) ist ein britischer Bildhauer. Von 2001 bis 2006 lehrte er als Professor für Bildhauerei an der Universität der Künste Berlin. Anschließend übernahm er eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf und wurde 2009 als Nachfolger von Markus Lüpertz Rektor der Schule. ging nach Berlin und nach vier Jahren rief er an: „Sag mal, kann ich wieder zurückkommen?“ – „Selbstverständlich. Gerne.“

Was war Ihr Konzept als Rektor?

Ich habe das Haus und die tragende Idee der Akademie über alles gestellt. Das Wichtigste an der Akademie sind die Künstler, die dort lehren. Die erzeugen eine Atmosphäre, die den Schüler packt und fördert. Wir sind keine Universität, wir vermitteln keinen Stoff. Das wird immer völlig falsch verstanden. Ich spreche nicht von Studenten, sondern bewusst von Schülern. Ich lebte an der Akademie das Meister-Schüler-Verhältnis. Das war meine Welt. Jetzt musst du, durch den Bachelor und den Master, überall herumstudieren, du wirst dann ein Studierender. Die sehen ja alle nicht mehr wie Künstler aus an der Akademie, die interessiert ja nur Erfolg, das ist etwas ganz anderes. Ich betrieb eine Kunstbude – das war meine Idee. Äußerst wichtig war mir das Verhältnis der Kollegen untereinander – wichtiger als alles andere. Am Montag kamen immer alle zusammen, man ging zusammen essen, redete miteinander und machte alles gemeinsam. Abstimmungen wurden vorher besprochen. Alle meine Sitzungen dauerten eine viertel Stunde, weil alles im Vorfeld mit jedem in der Akademie beredet wurde. Es gab keine einsame Entscheidung des Senats. Nichts war abgehoben, die Kollegen korrespondierten ständig.

Wen haben Sie berufen?

Rosemarie Trockel, Peter Doig, Katharina Fritsch … die sind alle von mir berufen worden. Zum Schluss hat Tony nach meinem Weggang Professoren eingestellt, die ich noch berufen hatte. Das war der Übergang. Von Siegfried Anzinger bis Jeff Wall habe ich alle geholt. Bis dann irgendein Schüler, ein Schweizer, in der Akademie auf Jeff Wall geschossen hat, und der Jeff zu mir kam: „Du, Markus, tut mir leid, das ist mir zu riskant.“

Wieso hat er auf ihn geschossen?

Weil er ihn abgelehnt hat.

Hatten Sie als Schüler in Düsseldorf Kontakt zu Joseph Beuys?

Wir kannten uns sehr gut. Er war der älteste und ich war der jüngste Schüler in Düsseldorf. Der dolle Jupp, wie er damals liebevoll genannt wurde. Alle fanden ihn großartig.

Das finde ich faszinierend, dass alle ihn großartig fanden.

Ja, er war ein Bohemien. Später, als er ein heiliger Mann wurde, fingen meine Probleme mit ihm an, aber das hat unserer Freundschaft keinen Abbruch getan. Wir haben uns immer sehr geschätzt. Er war für mich einer der wichtigsten und erstaunlichsten Künstler, weil er eine völlig eigene Ästhetik entwickelt hat und in die Kunstgeschichte einbrachte: Er hat etwas unbelastet Deutsches in die Kunst getragen. Ihm haben wir es zu verdanken, dass wir international überhaupt wieder wahrgenommen wurden. Beuys ist für uns alle eine wichtige Figur, aber er ist ein gescheiterter Bildhauer. Er zeichnete im traditionellen Sinne, wie sein Lehrer Mataré das vorgelegt hat. Seine ganzen Pumpen, Installationen und Happenings werden auf Fotos weiterleben als wichtige Erscheinung im Zeitgeschehen der Kunst. Aber sein Werk ist heute zur reinen Devotionalie zerronnen. Es gibt kein Werk von ihm in dem Sinne wie von anderen Künstlern. Und das ist das, was ihn so einmalig macht. Heute kannst du keine Beuys-Ausstellung mehr ansehen, weil der leibhaftige Jupp fehlt und mit ihm seine Magie und sein Zauber. Alles wirkt leer und ohne Kraft. Aber stand er daneben, hast du ihm alles geglaubt. Er war großartig, absolut authentisch. Völlig unbelastet, ohne Zweifel, er war durchdrungen, er war gottgleich, er war Jesus. Und er konnte das vermitteln! In unserer Jugend war er Assistent bei Mataré und war eben der dolle Jupp, der eine Vorliebe für große amerikanische Autos hatte. In der großen Karosserie steckte ein Opel-Rekord-Motor drin, weil der weniger Sprit fraß und es billiger war. Seine ersten Happenings in der Galerie René Block: „Beuys. Der Chef/The Chief“, 2. Soiree der Galerie René Block, Berlin, 01. Dezember 1964; „Beuys. Eurasia“, 9. Soiree der Galerie René Block, Berlin, 31. Oktober 1966. Da kam er, das muss man sich mal vorstellen, mit einer alten Aktentasche, in der Butterbrote und eine Thermoskanne waren. Der Jupp kam, legte sich 24 Stunden auf den Tisch und machte ab und zu ein Päuschen. Dann saß man mit ihm da, er hat uns ein Butterbrot gegeben, Kaffee aus seiner Kaffeekanne angeboten und sich danach wieder hingelegt.

Sie saßen damals auch in der Galerie bei René Block?

Selbstverständlich! Jupp war ein Freund, da ging man aus Zuneigung hin und dann hat man sich das auch angeschaut. Bazon Brock ist zu dieser Zeit ebenfalls als Künstler aufgetreten, das haben wir uns auch angeguckt.

Wo haben Sie ihn das erste Mal gesehen?

In der Galerie Block. Auch Stanley Brouwn „This Way Brouwn“, 1. Soiree der Galerie René Block, Berlin, 27. Oktober 1964. das erste Mal in der Galerie Block. Eine der frühen Ausstellungen, die René Block in Berlin machte, war Bert Gerresheim. Vor Gründung seiner Galerie in der Frobenstraße 18 organisierte René Block von April bis Juli 1964 in Räumen über der Freien Galerie, die Dieter Ruckhaberle in der Kurfürstenstraße 149 betrieb, je eine Ausstellung mit KP Brehmer und Bert Gerresheim im Cabinet René Block: „Klaus Peter Brehmer. Druckgraphik“, 29. April – 31. Mai 1964; „Bert Gerresheim. Comic Strips“, 10. Juni – 03. Juli 1964. Kaum zu glauben! René Block! Ich bin René Block auf der Werkkunstschule in Krefeld begegnet, er machte Glasmalerei bei Gustav Fünders.

Und fanden Sie den gut?

Der konnte gar nichts, der tauchte gar nicht auf.

Ich meine als Typ – und sein Programm später in der Galerie.

Ja, wir waren befreundet, wir spielten nur eben nicht im gleichen Programm. Ich war ja bei Werner.

Er hat auch Paik, Vostell und diese Sachen gezeigt.

Oh ja! Vostell, die Happenings …bei diesen berühmten Vostell Happenings Wolf Vostell, „Phänomene“, 27. März 1965. Das Happening fand als vierte Veranstaltung der Reihe „Soiree“ in der Galerie René Block statt. habe ich auch mitgewirkt. Ich mochte ihn sehr gern. Es gab keine Sperren und Vorbehalte, man machte mit, auch wenn man selbst einen konträren Weg verfolgte. Mein Freund, Hermann Albert, für mich wirklich ein großartiger Maler, besaß eine große Wohnung, weil er eine gut situierte Frau hatte, und wenn Vostell nach Berlin kam, dann zog er in die Wohnung vom Albert und hielt da Hof. Das war einfach ganz selbstverständlich und besser als ein Hotelzimmer, denn das konnte sich keiner leisten – auch der Vostell nicht, der den ganzen Tag nur telefonierte und Briefe schrieb. Der Mann war ein Phänomen. Er hat dann ein Happening auf einem Autoschrotthof gemacht. Durch die ganze Stadt hatte er eine Spur aus Nessel gelegt und hat irgendetwas draufgesprüht. Und ich, immer auf Materialsuche, habe am Ende des Happenings den ganzen Nessel nach Hause geschleppt und darauf Bilder gemalt. Es gibt noch eine ganze Menge von früheren Bildern, die auf der Rückseite dieses Spray von Vostell aufweisen.

Hat René Block mit seinem Programm Pionierarbeit geleistet?

Absolut! Für die damalige Kunstszene in Berlin, die es ja leider heute in dieser Vitalität nicht mehr gibt. Ich sage es ungern, aber es ist so. Diese Art von Figuren wie René Block existieren bedauerlicherweise nicht mehr. René war ein immens wichtiger Mann für die Stadt und die ganze Entwicklung der Kunstszene. Es braucht Gegenpole. Werner hätte niemals diese Entwicklung genommen, wenn es Block nicht gegeben hätte – und umgekehrt. Das ist etwas, was heute überhaupt nicht mehr gesehen wird. Jedes Museum hat einen Warhol, einen Lichtenstein, einen Richter. Was anderes fällt ihnen gar nicht mehr ein. Das war damals differenzierter. Die Galerien hatten unterschiedliche Programme, aber das hieß nicht, dass sie sich nicht austauschten oder dass man nicht miteinander umging. Heute gibt es ja nur noch Konfektionszwang. Es gibt nur einen Stream, da musst du dazugehören, und wenn nicht, dann gibt es dich nicht.

Als die Galerie Werner nach Köln gegangen ist, war die Galerie mit ihren Künstlern eine geschlossene Gruppe – so wird es jedenfalls von vielen wahrgenommen, die nicht in der Gruppe waren. Es heißt immer, in den 60er- und 70er-Jahren gab es keine Konkurrenz, weil es eigentlich keinen Markt gab. Wann veränderte sich das?

Richtig. Das veränderte sich mit dem heiß laufenden Markt. Es wurde unpersönlicher und das Gerangel um die Positionen begann. Auch der Umgang mit den Sammlern änderte sich: Sie wollten hofiert werden, stellten Ansprüche, vergaßen das Gönnertum und fingen an zu spekulieren. Das hat dann viele Künstler eingeholt. Du hast ja keine Lust, mit einem zu verkehren, der sagt: „Das ist meine Nummer eins, du bist die Nummer zwei.“ Was willst du da? Auch wenn der Bilder von dir kauft.

Ich bin aber fest davon überzeugt, dass Freundschaften trotz des Konkurrenzgehabes fortbestehen und wenn ich wirklich in einer Krise steckte und ich den Baselitz anrufe, würde er mir zumindest zuhören. Und umgekehrt genauso. Ich würde für ihn sofort durchs Feuer gehen.

Ist er der Einzige, mit dem das so eng geblieben ist?

Nein. Das bezieht sich ebenso auf Penck und einige andere. Mit Wintersberger war es irgendwann mal vorbei, das hat sich verlaufen. Lambert hat sich durch seine Rauschgiftexzesse selbst ausgeklinkt. Agnes, mit der er damals nach Berlin kam, war eine erwachsene Frau – schon 40 – und hatte sich in den Kopf gesetzt, aus Lambert einen großen Künstler zu machen. Sie trug Perlenkette und Kostüm. Scharf!

Und die fand er gut?

Die fanden wir alle gut! Aber die Drogen schafften auch sie.

Ich würde gerne noch über eine andere Frau mit Ihnen sprechen. Marian Goodman Marian Goodman (* 1928 New York) ist eine einflussreiche Kunsthändlerin, die 1977 ihre gleichnamige Galerie in Manhattan gründete. Ihr Programm umfasst wesentliche Positionen der amerikanischen und europäischen Nachkriegskunst, darunter John Baldessari, Christian Boltanski, Maurizio Cattelan, Tony Cragg, Anselm Kiefer, Gerhard Richter und Lawrence Weiner. 1981 realisierte Markus Lüpertz in ihrer Galerie seine erste Einzelausstellung in den USA. und Ihren ersten Auftritt in den USA?

Marian Goodman war unsere Heimsuchung. Als zu der Ausstellung, „Zeitgeist“ „Zeitgeist. Internationale Kunstausstellung Berlin 1982“, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 16. Oktober 1982 – 16. Januar 1983. die ganzen amerikanischen Künstler und auch Mary Bumbum Mary Boone (* 1951 Erie, Pennsylvania) eröffnete 1977 ihre Galerie im New Yorker Stadtteil SoHo. Mit Georg Baselitz, Jean-Michel Basquiat, David Salle und Julian Schnabel vertrat sie einige der international erfolgreichsten künstlerischen Positionen der 1980er-Jahre. kamen, haben Julian Schnabel und ich beschlossen, dass Michael Werner und die Bumbum ein Paar werden. Wir haben die zusammengebracht. Das hatte nur einen Nachteil: Von all den Galerien, mit denen wir vorher gearbeitet haben – ich war bei Marian Goodman, eine Galerie, die ich sehr schätze, eine Frau, die mich sehr schätzt, die ich geliebt habe und die mich geliebt hat – mussten wir uns trennen, weil die Bumbum gesagt hat: „Werners Künstler gehören exklusiv in meine Galerie.“ Und das, obwohl die mit uns gar nichts anfangen konnte. Wir wechselten, was den amerikanischen Markt anging, alle zur Bumbum. Was sich, als die Ehe mit Werner schief lief, als Schuss in den Ofen erweisen sollte.

Und die Goodman wollte dann nicht mehr?

Doch. Die Marian hat gesagt: „Sofort, Markus, aber du musst dich von Michael trennen, das mache ich nicht noch einmal mit.“ Es war furchtbar! Ich weiß noch, wie ich mit ihr in New York gesprochen habe, sie hat geweint.

Sie haben bei ihr immerhin vier Ausstellungen „Markus Lüpertz“, Marian Goodman Gallery, New York, 1981; „Markus Lüpertz”, Marian Goodman Gallery, New York, 1982; „Markus Lüpertz. Recent Painting and Sculpture”, Marian Goodman Gallery, New York, 11. Oktober – 05. November 1983; „Markus Lüpertz. New Painting”, Marian Goodman Gallery, New York, 09. November – 04. Dezember 1984. gemacht.

Ja, sicher. Erfolgreiche Ausstellungen! Sie liebte das. Sie mochte mich und meine Arbeit. Und wenn ich irgendwo in Castrop-Rauxel eine Ausstellung hatte, kam die aus New York angereist. Sie war eine Traum-Galeristin. Die Bumbum war grauenhaft! Die konnte letztendlich mit mir und meinen Bildern gar nichts anfangen, ich war ihr viel zu machohaft. Ich habe zwei Ausstellungen bei ihr gemacht, und das waren eigentlich Katastrophen.

Wollte Michael Werner das?

Ich habe das nie so richtig begriffen, aber der Michael war damals im Liebesrausch und die beiden waren ja auch ein nettes Paar. Sie war sicherlich auch eine Kanone. Aber weil er oft unterwegs war, stand dann irgendwo mal ein Kellner im Weg und dann war das vorbei.

Wir haben noch gar nicht über Per Kirkeby gesprochen.

Kirkeby kam, wie Kiefer auch, aus der Beuys-Ära. Kiefer war in Karlsruhe an der Akademie bei Peter Dreher Peter Dreher (* 1932 Mannheim) ist ein deutscher Maler und Grafiker, der von 1968 bis 1997 als Professor für Malerei an der Außenstelle der Kunstakademie Karlsruhe in Freiburg tätig war. und kam dann in die Hände von Beuys. Er ging nach Düsseldorf und gehörte schnell zum engeren Beuys-Kreis. Kirkeby gehörte auch dazu. Ab 1963 entwickelte Per Kirkeby mehrere Aktionen mit Joseph Beuys, unter anderem die Arbeit „Sibirsk Symfoni“ (1963) und „MANRESA“ (1966). Vgl. Uwe M. Schneede, „Joseph Beuys, die Aktionen: kommentiertes Werkverzeichnis mit fotografischen Dokumentationen“, Berlin 1998. In seinen Anfängen versuchte er sich als Konzeptkünstler. Michael hat ihn entdeckt. Er hat in seinen Arbeiten etwas gesehen, was wir damals alle noch gar nicht so wahrnahmen. Kirkeby stieß zu uns und war von Vornherein ein richtiger Gewinn. Er ist ein Intellektueller, eigentlich Schriftsteller und Geologe. Er hat Eisbären und Meteore aus der Antarktis geholt und verfügte über einen völlig anderen Erfahrungshorizont. Für uns repräsentierte er etwas komplett Neues. Und dann habe ich mich dafür eingesetzt – ich und Baselitz waren bereits Professoren in Karlsruhe – dass Per auch nach Karlsruhe kam. Per haben wir das Malen beigebracht, haben wir immer gesagt. Per machte damals Konzeptkunst, Kreidetafeln und solche Dinge. Dann habe ich ihm in Karlsruhe eine Professur für Malerei beschafft und dann musste er auch malen. Er hat uns alle überholt. Er malt mit Abstand die schönsten Bilder von uns. Hervorragend! Er ist ein großartiger und bedeutender Maler geworden.

Zur Biennale von Venedig 1980 hat Baselitz zum ersten Mal eine Skulptur gezeigt.

Er war der Erste von uns, der eine Skulptur gezeigt hat. Es gab damals drei wichtige Skulpturen: Das war der „Grüßende“ von Baselitz – Beuys hat sich mit Hitlergruß vor dieser Holzskulptur filmen lassen, weil er sich von Baselitz angegriffen fühlte – dann das „Brandenburger Tor“ von Immendorff und mein „Standbein-Spielbein“. Georg Baselitz, „Modell für eine Skulptur“, 1979/80; Markus Lüpertz, „Standbein – Spielbein“, 1982; Jörg Immendorff, „Naht Brandenburger Tor – Weltfrage“, 1982/83. Die Skulpturen waren innerhalb eines Jahres oder anderthalb Jahre entstanden. Georg war der Erste, wie immer. Vgl. Georg Baselitz. Er war schließlich der große Leader, der große Anführer.

Sagen Sie das ganz ohne Sarkasmus?

Völlig! Wir waren ja ein Verein. Penck war der Kopf, der Schlaukopf, der mit den Theorien und mit den Ideen, er war der Verrückte – unser Jakob Böhme Jakob Böhme (1575 Alt-Seidenberg – 1624 Görlitz) war ein deutscher Mystiker, Philosoph und christlicher Theosoph. Hegel nannte ihn den „ersten deutschen Philosophen“. . Baselitz war der große Mann, der Anführer, der Gebildete, der Vernünftige, der Seriöse. Und ich war das Enfant terrible. Zu Baselitz‛ 70. Geburtstag habe ich eine Rede gehalten, die endete in einem charmanten Bonmot: „Georg, für mich bist du der größte Maler, den ich kenne. Aber das Genie bin ich.“

Der Leader hat also die erste Skulptur gemacht, Sie haben nachgelegt und auch Penck hat dann angefangen, Skulpturen zu machen?

Penck hat immer geschnitzt. Er saß auf der Toilette und hat geschnitzt. Im Hotel ist dann einmal das ganze Klo hochgekommen, weil er die Späne darin versenkt hatte.

Daraufhin hat er sich für Bronze entschieden?

Dass er Holz in Bronze gießt, mag ich nicht. Das kann ich bei Baselitz auch nicht leiden. Ich finde seine Holzskulpturen großartig, in der großen Tradition der deutschen Holzschnitzer waren die einmalig. In dem Moment, als er die in Bronze gegossen hat, war das weg. Bronze ist mein Metier, da ich immer in Gips gearbeitet habe. Er hätte nie in Bronze arbeiten dürfen. Aber Sachsen machen nie Fehler, infolge dessen ist das egal. Georg war der Erste mit dieser bemerkenswerten, wirklich außergewöhnlichen Skulptur. Und dann zog Immendorff nach, der als Skulpteur völlig unterschätzt wird. Er hat großartige Skulpturen entworfen, bis er diese dusseligen Affen Ab Mitte der 1990er-Jahre variierte Jörg Immendorff das Motiv des Affen in einer Vielzahl bronzener Skulpturen, so unter anderem in den Arbeiten „Alter Ego“ (1995), „Affe mit Besen“ (2000) und „Komm Jörch, wir gehen“ (2005). zu Tausenden produzierte. Aber vorher war der Jörg phänomenal. Und das „Brandenburger Tor“ zählt für mich in unserem Jahrhundert zu den wichtigsten Skulpturen überhaupt.

Diese Skulptur wurde bei der „documenta 7“ 1982 etwas beschädigt? Haben Sie das in Erinnerung?

Es passte nicht ins Zeitgeschehen. Man orientierte sich an den USA, denn von dort kamen die großen Themen. Schauen sie sich die Filme an, die Buchpublikationen und die Zeitschriften. Wir passten nicht mehr ins allgemeine Bild. Wir störten. Wir und unsere Themen störten diese internationale Seligkeit. Meine Theorie ist, Kunst ist nicht national, sie ist territorial. Ich male andere Bilder in Teltow als in Italien, das ist nun mal so.

Wo verbringen Sie mehr Zeit?

In Teltow.

Per war jedenfalls eine wunderbare Ergänzung. Wie gesagt, ich war der Querkopf, das Enfant terrible, er kam aus der Literatur und war fähig mit einer unheimlichen Intensität‚ seine Landschaft zu schildern und darzustellen. Mich erinnert das an Edvard Grieg Edvard Hagerup Grieg (1843 Bergen – 1907 Bergen) war ein norwegischer Komponist und Pianist und gilt als Vertreter der Romantik. Bekannt wurde er insbesondere mit seinen „Peer-Gynt-Suiten“. Das Theaterstück, nach dem Gedicht (1867) Henrik Ibsens, wurde 1876 mit der Schauspielmusik Griegs im Christiania Theater (heute Oslo) uraufgeführt. , wie er musikalisch Ibsens „Peer Gynt“ in Szene setzt. Diese ganzen Tagebücher, diese Beschreibungen, die Untersuchung der Landschaft … das war einfach phänomenal. Und wie er dann die Farbe, also die Peinture entdeckte, hat er im Handumdrehen begriffen, wie man Bilder malt. Das war schon erstaunlich.

War er jemand, der an dem, was er gemacht hat, gezweifelt hat?

Nein, überhaupt nicht. Wie kommen Sie darauf? Bitte, tun Sie mir einen Gefallen und glauben Sie nicht alles, was die Künstler über sich selber sagen. Per ist ein selbstbewusster Künstler und gilt als der berühmteste Maler Dänemarks. Er ist eine ganz große Nummer und hat auch einen enormen Beitrag in der Skulptur geliefert. Das muss man auch mal sagen! Nicht lange, nachdem er, Baselitz und ich in Karlsruhe unterrichteten, erhielt ich den Ruf nach Düsseldorf, Georg nach Berlin und Per nach Frankfurt zu Kasper König. Prompt regte man sich in Karlsruhe und fragte an: „Was können wir machen, damit ihr bleibt?“ Ich habe geantwortet: „Das ist ganz einfach, wir machen Folgendes: Wir holen Kiefer, Immendorff und Penck hierhin und dann bleiben Baselitz, Kirkeby und ich. Ich werde Rektor und wir machen eine Malerakademie, wie sie im Buche steht.“ Die waren ganz begeistert, aber meine Kollegen in Karlsruhe, Harry Kögler, Max Kaminski und Gerd van Dülmen wollten das nicht und weigerten sich. Die dachten, sie kommen nicht mehr vor. Und dann war diese großartige Idee gestorben. Stellen Sie sich das mal vor! Stellen Sie sich mal diese Akademie vor! Daran darf man gar nicht denken! Das wäre in die Geschichte eingegangen, auch wenn das nur einige Jahre gedauert hätte. Aber diese Künstler an einer Akademie … das hätte Geschichte geschrieben!

Und nach Düsseldorf konnten Sie Ihre Kollegen nicht mitnehmen?

Für Baselitz war der Ofen aus, Berlin stand ihm näher und Düsseldorf war ihm zu umständlich. Penck ist ja dann gekommen, Immendorff ist gekommen und Per sollte es auch. Aber Per wollte Kasper König nicht düpieren und ist in Frankfurt geblieben. Kiefer sollte nachziehen, konnte sich letztlich jedoch nicht entscheiden.

Wann waren Sie das erste Mal in New York?

1963. Da gab es einen Sammler, Reinhard Onnasch Reinhard Onnasch (* 1939 Görlitz) ist ein deutscher Bauunternehmer, Kunsthändler und Sammler. Ab den 1970er-Jahren betrieb er Galerien in Berlin, Köln und New York. Neben Bernd Koberling, Markus Lüpertz und Gerhard Richter zählten unter anderem auch Richard Artschwager, Edward Kienholz und Richard Serra zu seinem Galerieprogramm. Von 2007 bis 2009 zeigte er seine umfangreiche Sammlung in dem temporären Showroom El Sourdog Hex in Berlin. , der mich mitnahm. Kaum waren wir da, sagte er: „Ich habe kein Geld.“ Was mich erzürnte: „Was sollen wir dann hier machen?“ Der war reich, Reini war reich. Er hatte angeblich seine Brieftasche verloren. Ich sagte: „Reiner, gib mir mein Ticket, ich fliege sofort wieder zurück.“

Reinhard Onnasch hat Sie mitgenommen, um Ihnen New York zu zeigen?

Nein, er brauchte jemanden, der ihn stützt, denn er war furchtbar eingeschüchtert. Er ging zu Frau Sonnabend und zu Leo Castelli, und da brauchte er jemanden, der hinter ihm stand. Und siehe da, plötzlich war das Portemonnaie wieder da und angeblich nur verlegt gewesen.

Was haben Sie in New York gesehen?

Alles, was damals wohlfeil und in den Galerien ausgestellt wurde. Hans Hofmann zum Beispiel. Onnasch hat damals Hofmann gekauft, weil den keiner wollte. Ganz günstig auf meinen Rat hin. Hofmann ist ein wunderbarer Maler, der heute einen guten Preis hat.

Reini hat viele Arbeiten von mir, große, riesige Bilder. Der entwickelte sich dann auch. Damals war er noch sehr unschuldig, was das betraf. Bei Castelli jedoch gab es alles, was Rang und Namen hatte. Ileana Sonnabend wollte mich damals in ihre Galerie holen, aber ich hätte nur 2.000 Dollar im Monat erhalten und alles bei ihr verkaufen müssen.

Damals schon? 63?

Nein, nein. Nicht 63! Das war dann in den 80ern. 1963 gab es mich gar nicht. Später, als ich eine Zeit lang in New York lebte, hatten wir mit den Künstlern der Szene, also Warhol und allen anderen, Kontakt. Jean-Michel Basquiat Jean-Michel Basquiat (1960 New York – 1988 New York) war ein amerikanischer Maler, der in seinen Arbeiten Elemente der Pop-Art, des Neoexpressionismus und der Ethno-Kultur verband. Er gilt als erster afroamerikanischer Künstler, der auch international große kommerzielle Erfolge erzielen konnte. Siehe auch: Jordana Moore Saggese, „Reading Basquiat. Exploring Ambivalence in American Art“, Oakland 2014, S. 17. habe ich kennengelernt, Julian Schnabel, David Salle … die ganzen Jungs. Auch Sandro Chia und Francesco Clemente. Mit Clemente bin ich gut befreundet, auch mit Eric Fischl.

Haben Sie Basquiat damals als Maler begriffen?

Der war für mich mehr oder weniger ein Naiver. Straßenkunst. Warum nicht? Jedenfalls war er ein ganz netter Kerl.

Gab es für Sie dort auch Entdeckungen?

Nein. Die Initiation ging von hier aus. Und alles, was darauf folgte, ist mehr oder weniger belangloses Zeug.

Sie fangen in einer Zeit an, gegenständlich zu malen, als in Deutschland viele den sogenannten Nullpunkt beschwören.

Also, auf der einen Seite war ZERO Ab 1958 verwendeten Heinz Mack und Otto Piene den Begriff ZERO im Kontext ihrer gemeinsamen Ausstellungen sowie als Titel für die drei Ausgaben ihrer in Düsseldorf publizierten Zeitschrift. Ab 1961 nahm auch Günther Uecker regelmäßig an den Ausstellungen und Aktionen von ZERO teil. ZERO stand für die Stunde null, für Aufbruch und einen radikalen Neuanfang nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. ZERO setzte sich deutlich vom etablierten Informel ab. Mit neuen Materialien und der Einbeziehung von Bewegung, Licht und Raum in das künstlerische Werk etablierte ZERO eine neue Formensprache. Vgl. Wieland Schmied, „Etwas über ZERO“, in: Dirk Pörschmann/Mattijs Visser (Hg.), „ZERO 4 3 2 1“, Düsseldorf 2012, S. 9–18. . Aber ZERO befand sich bereits auf dem absteigenden Ast. ZERO war passé – erstaunlich die Renaissance, die ZERO jetzt gerade erfährt. Aber damals interessierte sich niemand mehr für ZERO. Die Abstraktion ist in ihren Möglichkeiten wahnsinnig begrenzt. Abstraktes Malen findet im freien Gestus statt, gibt sich der Konstruktion anheim oder sucht Zuflucht im Monochromen. Sie können die Nierenform tausendmal verändern, aber es bleibt letztlich eine Nierenform. Die Abstraktion setzt neue Impulse, in dauerhafter Ausübung jedoch wird es schnell sehr eng. Der größte abstrakte Maler, den ich kenne, ist Piet Mondrian Piet Mondrian (1872 Amersfoort – 1944 New York) war ein niederländischer Maler aus dem Bereich der Konkreten Kunst. Er gilt als Wegbereiter der abstrakten Malerei. Bekannt ist Mondrian insbesondere für seine Kompositionen geometrischer Farbfelder in Blau, Rot und Gelb. , und eigentlich sind seine wichtigsten und großartigsten Bilder die gegenständlichen Bilder. Auch Malewitsch wechselt zum Schluss ins Gegenständliche. Nach dem „Schwarzen Quadrat“ Kasimir Malewitsch, „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“, 1915. … was sollte da noch kommen? Der Gegenstand musste zwingend wiederauftauchen. Und doch sind wir alle nach der Hochzeit der Abstraktion abstrakt geblieben. Die neue Auffassung des Gegenstands in freier Form führte zu einer Bereicherung der Abstraktion, da sie in ihrer reinen Form formal begrenzt ist. Ich habe nie an den Gegenstand geglaubt, den ich gemalt habe. Nie versucht, ihn an sich einzuholen, sondern in der Abstraktion, in freier Form Gestalt zu gewinnen.

Bei Ihnen ist neu, dass der Gegenstand, den Sie malen – ich denke jetzt an die Dithyramben Ab 1964 entwickelte Markus Lüpertz das Konzept einer dithyrambischen Malerei, der Versuch einer Synthese von gegenständlicher und abstrakter Darstellung. Zu den bekanntesten Arbeiten dieser Werkgruppe zählen „Dithyrambe – schwebend“ (1964), „Feigling – dithyrambisch“ (1964) und „Tod und Maler – dithyrambisch“ (1973). Siehe auch: Armin Zweite, „Dithyramben und anderes“, in: „Markus Lüpertz: Gemälde, Skulpturen“, hg. von Armin Zweite, Ausst.-Kat. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Ostfildern 1996, S. 11–29. – kein Äquivalent in der physisch erfassbaren Welt hat.

Ja, er beruht auf freier Erfindung. Aber genauso kann ich einen Baum malen, genauso kann ich eine nackte Frau malen. Da besteht kein Unterschied. Ich habe zu den Gegenständen, die ich male, noch einen eigenen Modus hinzugefügt. Die dithyrambische Malerei geschah in einem Zwischenraum vor eigenem Horizont, mit eigenen Gebäuden wie die „Kleine Straße“ Markus Lüpertz, „Aus der kleinen Straße – dithyrambisch“, 1965. oder mit eigenen Gesichtern wie der „Feigling“ Markus Lüpertz, „Feigling – dithyrambisch“, 1964. … mit all diesen Dingen. Vermittelt über Aristide Maillol Aristide Maillol (1861 Banyuls-sur-Mer – 1944 Banyuls-sur-Mer) war ein französischer Bildhauer und Maler, der vor allem im Bereich der Plastik als wichtiger Wegbereiter der Abstraktion angesehen wird. habe ich in diesem Lüppiland wieder Figuren gesehen. Maillol öffnete mir einen neuen Zugang, Akte zu malen und das war einfach nur eine Bereicherung. Die dithyrambische Phase war reich an Bildern, Variation folgte auf Variation, bis die Erfindung für mich an Kraft verlor. Wie alle Erfindungen sind sie begrenzter als die Natur in ihrer Vielfalt. Und so landet man zwar automatisch wieder in den Händen der Natur, jedoch um eine entscheidende Erfahrung reicher. Ich male heute einen Akt wie ich eine Dithyrambe male.

Aber darin spiegelt sich kein Wieder. Es ist ein großer Denkfehler zu glauben, nach der Abstraktion sei wieder gegenständlich gemalt worden. Vielmehr ist der Gegenstand als Erweiterung in die abstrakte Welt eingedrungen. Nach dem ersten abstrakten Bild gibt es nichts Gegenständliches mehr! Die Abstraktion hat noch nicht begonnen. Es gibt in der Kunst kein Wieder! Mit der Abstraktion haben wir die gegenständliche Unschuld verloren. Heute ist der Gegenstand frei. Das ist ganz wesentlich. Die Abstraktion hat ja nicht den Gegenstand abgeschafft, sie hat die Malerei erweitert und die Sicht verändert. Wir bleiben weiterhin abstrakt, wir können gar nicht mehr anders denken. Wir sind abstrakt und befreit von herkömmlichen Sichtweisen.

Begreifen Sie die Erfindung Ihrer dithyrambischen Malerei dennoch als Meilenstein in dieser Entwicklung?

Ja, selbstverständlich.

1981 stellten Baselitz und Richter in der Kunsthalle Düsseldorf in einer gemeinsamen Ausstellung „Georg Baselitz, Gerhard Richter“, Kunsthalle Düsseldorf, 30. Mai – 05. Juli 1981. aus. War das von Jürgen Harten, dem damaligen Direktor der Kunsthalle, als Zweikampf inszeniert?

Das kann man so sehen! Zwei Jungstars, die beide aus der gleichen Ecke kommen und verschiedene Wege gegangen sind, treffen spannungsreich aufeinander. Für jeden war diese Ausstellung interessant. Es war auch eine Demonstration, wer mächtiger und einflussreicher ist – wer der Größere ist. Eine Art von Wettkampf, von dem ich es bedauere, dass es ihn heute kaum noch gibt. Ich fand diese Ausstellung fantastisch. Gerhard Richter war der rheinische Held und Baselitz war eben der Fremde. Das kam in dieser Ausstellung deutlich zum Vorschein, hatte aber überhaupt nichts zu sagen, weil sich derjenige, der Malerei liebte, auf die Seite von Baselitz schlug. Ich habe die Ausstellung als ein Ausloten und eine wichtige Positionsbestimmung empfunden. Der Gerhard hat ja ganz bewusst seine Tafeln In der Ausstellung zeigte Gerhard Richter ausschließlich abstrakte Bilder, darunter drei Bilder der Serie „Faust“ (1980), ein Bild der Serie „Grau“ (1974) und zwei Arbeiten der Serie „Spiegel“ (1981). hingesetzt und versucht, damit die eigentlich sentimentale Malerei von Baselitz lächerlich zu machen.

Mit wem hätten Sie sich so eine Gegenüberstellung mal gewünscht?

Ich hätte mich sofort mit allen gemessen bis hin zu Gotthard Graubner. In Italien habe ich mit Giulio Paolini ausgestellt. „Markus Lüpertz, Giulio Paolini. Figure – colonne – finestre”, Castello di Rivoli, Turin, 19. Dezember 1986 – 29. März 1987. Oder 2013 die Ausstellung „Transavantgarde: Markus Lüpertz und Mimmo Paladino“ „La Transavanguardia tra Lüpertz e Paladino“, Art Forum Würth Capena, Rom, 08. Februar 2013 – 15. Februar 2014. in Rom. Mit dieser Ausstellung jedoch war ich im Nachhinein unzufrieden. Die Position von Paladino war nicht stark genug. Er ist ein netter Kerl, nur seine Arbeiten sind mir suspekt. Als Sandro – Sandro Chia, mit dem ich sehr eng befreundet bin und den ich großartig finde – damals anfing, hätte ich einer Gegenüberstellung sofort zugestimmt. 2004 wurde in der Villa Massimo in Rom „Lüpertz – Vedova“ gezeigt. Und weil „vedova“ auf Italienisch Witwe heißt, haben alle gefragt, wieso stellt die Witwe aus, ist Lüpertz schon tot? Baselitz war der Erste, der Werke von Vedova gekauft hat. Im Gästezimmer bei Baselitz im Schloss Derneburg Georg Baselitz lebte und arbeitete von 1975 bis 2006 auf dem Schloss Derneburg in der Nähe von Hildesheim. hast du immer unter dem Vedova geschlafen. Ich kenne Vedova noch aus Berlin. Als er damals kam, empfing er Frauen immer nackt.

Ich glaube, dass es Michael Werner war, der sagte: „Der Lüpertz ist halt so einer, der Männerfreundschaften kann.“ Sehen Sie in der Gruppe der Werner-Künstler da Unterschiede?

Ja, in einem gewissen Sinne habe ich den Laden immer zusammengehalten. Ganz einfach, weil ich die meisten Feste gab. Ich lebe gern unter Künstlern, rede gern mit Künstlern. Ich war immer so ein bisschen der Kitt.

Und haben Sie auch mal neue Leute in den Werner-Kreis eingeführt?

Ich habe es mit Hödicke versucht, das hat ungefähr zwei Monate gedauert, dann waren sie wieder auseinander.

Wann war das? 60er-, 70er-Jahre?

Nein, nein, später noch. Da waren wir schon erwachsen.

Erwachsen! Als Hödicke bei René Block ausgestellt hat, hat er ja noch ganz andere Kunst gemacht.

Ja, er hat die Moderne ausgelotet. Horst hat immer das gemacht, was läuft. Aber er ist ein zu guter Maler, als dass er auf die Malerei hätte verzichten können. Er hat einen großen Beitrag zur Malerei geliefert.

War die 80er-Jahre-Malerei von Hödicke Ihrer Meinung nach eine Position?

Ja, der hatte alle Chancen auf seiner Seite. Dass das keinen Erfolg brachte, lag sicherlich daran, dass René Block die Galerie nicht mehr machte und Hödicke keine Galerie fand, mit der er arbeiten konnte. Eine klug agierende Galerie wäre eigentlich für Hödicke lebenswichtig gewesen.

Block hat angeblich nichts oder fast nichts verkauft.

Er musste dann ja auch später die Galerie aufgeben. Und Horst ist eigen. Der ist geizig und konnte nichts weggeben. Die Vorstellung, dass ein anderer an ihm etwas verdient, hat ihm den Schlaf geraubt

Wissen Sie, was er heute macht?

Ja, er malt. Erstaunliche Bilder, immer wieder, Horst ist ein Phänomen. Es ist heute unbedingt erforderlich, in der Öffentlichkeit präsent zu sein, um dich als Künstler und Maler zu behaupten. Dass ich dies immer noch schaffe, hat mit meinen Auftritten zu tun, mit meinem Erscheinungsbild, mit meinem Bohemien-Sein. Da ich sehr laut bin, nehmen die Leute zur Kenntnis, dass es einen Maler gibt, ohne letzten Endes zu wissen, was es bedeutet, ein Maler zu sein.

Wie wichtig ist der Galerist und wie wichtig die Präsenz in den Medien für den künstlerischen Erfolg?

Sagen wir mal 50 Prozent oder 60 Prozent meines Lebens bestehen aus Arbeit und 40 Prozent sind reines Trommeln.

Sie betreiben das intensiv?

Ich betreibe das ganz professionell. Natürlich! Ich habe einen riesigen Freundeskreis, den ich abklappere. Klappern gehört schließlich von alters her zum Handwerk. Man kann das auch anders bezeichnen und nennt es: Einsatz in eigener Sache.

Macht Ihnen das Spaß oder ist das Business?

Noch macht es mir Spaß. Seit ich vor Jahren bei einem Autounfall mein Knie gebrochen habe, hasse ich es immer mehr, mich zu bewegen, also wegzufahren. Aber das Vagabundieren liegt mir im Blut.

Es heißt, dass in den 80er-Jahren die Medien erstmals eine größere Rolle spielen.

Na ja, ich habe das ganz explizit versucht mit den Medien. Ich bin zu Talkshows gegangen, bin zum Bambi gegangen, habe über Gott und die Welt Interviews gegeben, habe alles Mögliche angestellt. Ich dachte, das ist eine Methode, dein Metier zu verteidigen und zu popularisieren. Als Ergebnis verpasst man dir dann einen Ruf wie „Malerfürst“. In den Medien wird das so gedreht und dargestellt, als hätte ich das selbst in die Welt gesetzt und gesagt. „Malerfürst“, völliger Blödsinn. Bei der Pressekonferenz im Bode-Museum habe ich wieder darauf hingewiesen: Wie dumm muss einer sein, der sich selber Malerfürst nennt?

Fast jeder Artikel über Sie beginnt damit.

Ich weiß. Ich finde es widerlich, ich sage in jedem Interview: „Ich bin kein Malerfürst!“. An welchem Hof denn? Ich bin ein Meister. Ich bin Markus, der Maler, aber ich bin kein Fürst, was soll denn der Unsinn? Irgendwann war in der Presse zu lesen, der benimmt sich wie ein Malerfürst und jetzt schreiben sie, der sich gerne Malerfürst nennt. Trotz meines Einspruchs wird das gebetsmühlenartig wiederholt und ist trotz aller Dementis wohl nicht aus den Köpfen und aus der Welt zu schaffen. Mittlerweile lasse ich mich, wenn ich darauf Einfluss nehmen kann, auch nicht mehr in der „Bild“-Zeitung ablichten.

Obwohl die „Bild“-Zeitung jetzt, glaube ich, zur Paris-Ausstellung im Musée d’Art moderne de la Ville de Paris „Markus Lüpertz – eine Retrospektive“, Musée d’Art moderne de la Ville de Paris, Paris, 17. April – 19. Juli 2015. , auch wieder etwas gebracht hat?

Ja, irgend so einen belanglosen Unsinn. Das kannst du vergessen.

Waren Sie mit der Ausstellung in Paris zufrieden?

Sehr! Es war ein Riesenerfolg. Eine außerordentliche Werkschau und ich hatte die meisten Besucher. Mehr als meine Kollegen davor.

Wer hat sich die Hängung in umgekehrt chronologischer Reihenfolge ausgedacht?

Michael. Das war eine Arbeit von Michael Werner. Auch im Bode-Museum. Michael hat solche konzeptionellen Ideen, die wir vorher diskutieren und dann zieht er es nach seiner Vorstellung durch. Das ist fantastisch.

Helfen die Fotos von Benjamin Katz, die in Paris begleitend gezeigt worden sind, dem Besucher, sich Ihrer Person und Ihrem Werk zu nähern? Anlässlich der 2015 ausgerichteten Retrospektive von Markus Lüpertz im Musée d’Art moderne de la Ville de Paris wurden im Foyer des Museums zahlreiche dokumentarische Fotografien von Benjamin Katz über das Leben des Künstlers gezeigt.

Was weiß ich. Puccini war der meistfotografierte Mann seiner Zeit. Ich bin ziemlich oft fotografiert worden, aber es gibt welche, die werden noch öfter fotografiert.

Das war ja schon eine anspruchsvollere Präsentation. Die Künstlerpersönlichkeit wird deutlich herausgestellt.

Die Leute wollen so etwas. Es lief auch ein Film. Und es kostete erhebliche Mühen und Anstrengungen, mich gegen die Filmemacher durchzusetzen, denn deren Vorstellungen liefen meinen zuwider.

Zurück zum Malerfürsten. Sie werden da beim Spaziergang durch den Wald gefilmt, das alles wirkt sehr inszeniert.

Was hat denn das mit Fürst zu tun? Das hat doch mehr mit Fontane zu tun! Selbstverständlich ist das inszeniert, jeder Film muss inszeniert sein, sonst ist es doch kein Film! Und Szenen als großer Maler liegen mir. Aber Fürst? Sah ich aus wie Bismarck? Was hat das mit Fürst zu tun? Ich habe das Schloss nicht gezeigt – ich habe kein Schloss, ich bin kein Fürst!

Aber man gewinnt den Eindruck, da sei ein Schloss …

Da war ja auch ein Schloss, aber nicht mein Schloss!

Die Leute haben es geliebt. Es war auch gut gemacht, fast am Ende der Ausstellung, man setzt sich ja dann auch gerne irgendwann einmal hin. Jeder, der dorthin kam, blieb mindestens 20 Minuten sitzen. Kunstvideos hält keiner durch, aber so etwas wollen alle sehen.

Ja, genau. Das ist ja auch die Absicht dahinter. Der Film ist toll, ich sehe bildschön darin aus.

Wir müssen wieder zurück in die Vergangenheit. Warum hat Konrad Fischer Konrad Fischer (1939 Düsseldorf – 1996 Düsseldorf) war ein deutscher Künstler und Galerist, der 1967 in der Düsseldorfer Altstadt eine Galerie eröffnete. Sein Programm umfasste frühe Vertreter der Minimal Art und der Konzeptkunst, darunter Carl Andre, Hanne Darboven, Bruce Nauman und Lawrence Weiner. Als „Konrad Lueg“ war Fischer vor Gründung seiner Galerie als Künstler tätig und stellte mehrfach mit seinem Künstlerkollegen Gerhard Richter aus. Die bekannteste künstlerische Aktion, an der Konrad Lueg beteiligt war, fand im Oktober 1963 im Düsseldorfer Möbelhaus Berges unter dem Titel „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“ statt. Sie nie ausgestellt?

Wir waren sehr eng befreundet – Konrad und ich, und Dorothee, seine Frau, und Jule, meine damalige Frau. Ich habe immer bei ihm gewohnt, wenn ich in Düsseldorf war. Aber damals war Konrad noch Künstler. Als er ins Galeristenfach wechselte, rief er mit seinen Künstlerfreunden parodistisch den Kapitalistischen Realismus Anfang der 1960er-Jahre lernten sich die Künstler Manfred Kuttner, Konrad Lueg, Sigmar Polke und Gerhard Richter in Düsseldorf kennen. Als ironisches Pardon zu dem in der DDR vorherrschenden Sozialistischen Realismus formulierten sie 1963 einen Kapitalistischen Realismus, der sich durch die Verwendung alltäglicher und popkultureller Motive der westlichen Lebenswelt auszeichnete. Erstmals öffentlich verwendet wurde der Terminus anlässlich der Ausstellung „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“, die am 11. Oktober 1963 im Düsseldorfer Möbelhaus Berges eröffnet wurde. Dort stellten Konrad Lueg und Gerhard Richter neben ihren Bildern auch sich selbst als Teil der Installation aus. Zusammengefasst unter dem Begriff des Kapitalistischen Realismus fanden weitere Gruppenausstellungen unter anderem in der Galerie Parnass in Wuppertal sowie bei René Block in Berlin statt. Vgl. Dietmar Elger, „Gerhard Richter, Maler“, Köln 2002, S. 44 f. aus – und ich war längst bei Werner. Das hat nichts mit unserer Beziehung und Freundschaft zu tun, das war halt ein anderer Weg. Es war sein Programm, das habe ich respektiert und er war ja auch wirklich eine der erstaunlichsten Figuren im Kunsthandel. Hinreißend verrückt und ungezogen. Er war schon eine Erscheinung.

Und er hatte ein sehr gutes Auge?

Er musste sich nicht auf sein Auge verlassen, sondern hatte das Glück – so wie auch Werner – dass er in der Zeit mit Künstlern zusammentraf, die durchgehalten haben. Werner hat doch nicht uns entdeckt, wir haben Werner entdeckt! Verstehen Sie? Einer konnte nicht malen, das war Michael, also wurde er Galerist. Eigentlich ist Michael Maler. Er will uns ja immer sagen, wie wir zu malen haben, bloß kann er es nicht – darunter leidet er furchtbar. Verstehen Sie? Das verhielt sich genauso mit Konrad. Konrad war ja vorher Künstler. Der hat dann gesehen, dass das nicht seine Welt ist, aber er brauchte sich ja nur umzudrehen. Er hatte alle Künstler der Welt, die damals das Sagen hatten bis hin zu Blinky Palermo. Das wird immer so falsch hingestellt; als wäre das Potenzial der Künstler endlos, dann kommt ein Galerist und sucht sich die Besten aus. Nein! Eine solche Symbiose muss sich zusammenfinden. Und das hat viel mit Glück und zufälligen Gegebenheiten zu tun. Herr Castelli wird hoch gefeiert, aber die Künstler gab es eben auch. Deswegen hat Werner sich nie mit Nachwuchs beschäftigt. Nach den großen Entdeckungen fehlt ihm das Interesse für diese Auseinandersetzung.

Stand Castelli unter dem Pantoffel von Sonnabend?

Die waren einmal verheiratet. Ich erinnere mich an eine Ausstellung „Gilbert & George“, The Baltimore Museum of Art, Baltimore, 19. Februar – 15. April 1984. in Baltimore von Gilbert & George. Frau Sonnabend hatte mich gebeten, ihren damaligen Mann, einen netten, harmlosen Mann, im Zug zu begleiten, weil er nicht flog. Dann bin ich mit ihm im Zug nach Baltimore gefahren. Nach der Ausstellungseröffnung ging man zu einer exklusiven Einladung. Und dort passierte, was ich lieber nicht erzählen sollte. Eine seltsame Geschichte.

Die seltsamen Geschichten wollen wir auch hören!

Es fing mit Basquiat an, den man unter dem Vorwand, keine Krawatte zu tragen, nicht einlassen wollte. Man erlebte damals in Baltimore einen krassen Rassismus, der in den 80er-Jahren noch sehr massiv war. In Baltimore hatte ich eine Dame kennengelernt, die ich nach dem Museum mit zum Essen genommen habe. Da raunzte der farbige Barkeeper sie an: „Was machst du hier, du hast hier nichts zu suchen!“ Das sagte er zu meiner Bekannten, einer Farbigen. Im Hause dieser vornehmen Familie aus altenglischem Adel wurde es als Fauxpas empfunden, dass ich eine „Negerin“ mitgebracht hatte.

Hat Sie das geschockt oder waren Sie darauf vorbereitet?

Mich hat das geschockt! Nein, ich war nicht darauf vorbereitet, blieb aber unverkrampft und scherte mich nicht weiter darum. Die hätten mich ja rausschmeißen können, dann wäre ich mit ihr zusammen gegangen. Dazu waren sie aber wieder zu vornehm und konnten sich keinen offensichtlichen Rassismus leisten.

Und Vorbehalte gegen Deutschland haben Sie in den USA nicht gespürt?

Nein, überhaupt nicht. Es gab keine Vorbehalte gegen deutsche Künstler in Amerika. Wieso denn?

Und warum war der Markt für die Deutschen so lange geschlossen?

Weil die Amerikaner national denken. Bevor die einen Deutschen handeln, handeln die erst mal ihre Leute so lange, bis es nicht mehr geht.

Hat sich das für Sie irgendwann spürbar verändert?

Nein. Also, ich habe auch in Amerika verkauft, so ist das nicht. Es ist nur so, dass es kein offensichtliches Bedürfnis gibt. Sie müssen sich überlegen, es gibt Richter, und Richter hat eine Höhe erklommen, bei der es völlig gleichgültig ist, wo er herkommt. Gerhard ist eine Währung geworden und leidet sehr darunter, dass die Bilder so viel Geld kosten, weil alle Welt nur noch auf den Preis schaut und nicht auf die Bilder. Bei der Ausstellung „Gerhard Richter: Panorama“, Neue Nationalgalerie und Alte Nationalgalerie, Berlin, 12. Februar – 13. Mai 2012. in der Nationalgalerie haben die Leute gesagt: „Was? Dafür bekommt der so viel Geld?“ Die Leute gucken nicht mehr die Bilder an, sondern sehen nur, dass 20 Millionen an der Wand hängen. Das ist ein großes, großes Unglück. Gut, Gerhard ist darüber reich geworden, aber für einen Künstler ist es das Ende der Diskussion.

Der amerikanische Markt bleibt launisch und wird von nationalen Interessen gesteuert, europäische oder gar deutsche Künstler bleiben zumeist außen vor. Neben Richter können sich vielleicht noch Baselitz und Kiefer halten. Obwohl Kiefer in den USA auch auf der Kippe steht, den mögen sie, den mögen sie aber auch nicht. Es schwankt. Ich habe ein paar Leute, die in Amerika über mich schreiben und dann verkaufst du. Es gibt Sammler, die haben ab und zu ein Bild oder eine Skulptur gekauft. Aber es gibt keinen Stream.

Mich wundert das insofern, als es so eine Malerei wie Ihre oder auch die von Baselitz in den USA nicht gibt.

Die Amerikaner sind nicht intellektuell, die Amerikaner sind national. Die kaufen amerikanische Künstler, die Chinesen kaufen chinesische Künstler, die Deutschen kaufen amerikanische Künstler, die Deutschen kaufen chinesische Künstler, die Deutschen kaufen keine deutschen Künstler. Verstehen Sie, was ich damit sagen will? Nur die Deutschen kaufen nicht national. Es gibt so viele Museen in Amerika, darin finden sie nur Amerikaner. Es gibt so viele chinesische Museen, da haben sie nur Chinesen. Nennen Sie mir mal ein Museum in Deutschland, in dem es nur Deutsche gibt. Im Whitney Museum dürfen nur Amerikaner ausstellen. Der Handel dort hat andere Gesetze.

Albert Oehlen zum Beispiel hat einen Markt in den USA.

Ausnahmen. Und in diesem Fall kann man sagen, gut, dass es diese Abweichungen vom Regelfall noch gibt. Peter Doig hat auch einen Markt in den USA. Aber das sind Einzelerscheinungen. Der Albert malt Bilder, die an etwas erinnern. Die haben das Privileg der Moderne, der greifbaren Moderne. Da kommen ein paar Computerauszüge hinten ins Bild und schon hat das eine Greifbarkeit. So etwas lieben die Amis. Die brauchen ab und zu mal einen, der anders ist, jedoch nicht sperrig, das verlangt die Marktstrategie und das bedient der Albert perfekt. Aber würden Sie mir ein Bild nennen, das für Albert Oehlen steht? Kennen Sie eins? Wenn ich an Albert Oehlen denke, denke ich nur an das Porträt, das Julian Schnabel von ihm gemalt hat. Ich schätze Albert sehr, ich bin mit ihm befreundet und ich habe ihn damals auch nach Düsseldorf geholt.

Was haben Leute wie Paul Maenz Paul Maenz (* 1939 Gelsenkirchen) ist ein deutscher Galerist und Kunstsammler. Er studierte ab 1959 Grafikdesign bei Max Burchartz an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen und war ab 1964 als Art Director in der Werbeagentur Young & Rubicam (Y&R) in Frankfurt am Main und New York tätig. Zusammen mit Peter Roehr organisierte er 1967 in Frankfurt am Main die Ausstellungen „Serielle Formationen“ (Studiogalerie, Goethe-Universität, Frankfurt am Main) und „Dies alles, Herzchen, wird einmal dir gehören“ (Galerie Dorothea Loehr, Frankfurt am Main). 1971 eröffnete er eine Galerie in Köln. Sein Programm umfasste wichtige Positionen der Minimal Art und Konzeptkunst, darunter Hans Haacke und Joseph Kosuth, sowie Künstler der Mülheimer Freiheit und der Transavanguardia. In den 1980er-Jahren zeigte Maenz als erste Galerie in Deutschland Arbeiten von Keith Haring (1984) und Jeff Koons (1987). oder Bruno Bischofberger Bruno Bischofberger (* 1940 Appenzell) ist ein Schweizer Kunsthändler und Sammler. 1963 eröffnete er in Zürich seine erste Galerie. Seine Sammlung umfasst hauptsächlich Werke der amerikanischen Pop-Art und der figurativen Malerei der 1980er-Jahre. Vertreten sind unter anderen Miquel Barceló, Jean-Michel Basquiat, Francesco Clemente, Jiří Georg Dokoupil, Rainer Fetting, David Salle, Salomé, Julian Schnabel und Andy Warhol. in den 80er-Jahren für den Markt bedeutet?

Mit denen hatte ich keinen nennenswerten Kontakt. Für ganz bestimmte Leute waren sie wichtig. Bischofberger arbeitete nur mit Künstlern, die gerade en vogue waren. Er versuchte dann immer, die teurer zu machen, also allgemeine Marktstrategien auf den Kunsthandel anzuwenden. Maenz hat das ebenfalls versucht, ein bisschen romantischer, nicht so kalt wie Bischofberger. Beide sind von der Bildfläche verschwunden. Maenz hat aufgehört – und im Gegensatz zu ihm gelang es Bischofberger noch nicht mal, zur Legende zu werden. Und doch haben die damals ein großes Rad gedreht, die Künstler standen stramm, wenn die vorbeischauten.

Hat das nicht auch viel kaputt gemacht?

Ja, sicher hat das manches zerstört, und vielen der kurzzeitig gepushten jungen Maler das Genick gebrochen. Die beiden Pseudo-Galeristen haben die Bilder gekauft, da war noch nichts auf der Leinwand zu sehen. Werner als Filter war hier hilfreich, und so kamen die nicht an mich heran. Ihre Opfer gehörten auch zu einer anderen Art von Künstlertyp. Sich der reinen Kunst zu verschreiben und ihrer Heimsuchung zu folgen, diese Boheme und den Wahnsinn, Künstler zu sein in vollen Zügen zu leben – davon waren diese Jungs weit entfernt. Man folgte einer anderen Mentalität. Erfolg war für diese Generation viel wichtiger als die Kunst.

Erfolg heißt Geld?

Eben. Das ist ja mittlerweile kaum noch zu trennen. Alle Leute denken, weil ich Erfolg habe, ich wäre reich. Das stimmt gar nicht! Ich bin eine arme Socke, aber ich habe – Gott sei Dank – Erfolg. Heute gibt es keinen Erfolg mehr ohne Geld. Wenn du kein Geld hast, wirst du eben zum Fürst gemacht. Und wenn du einen maßgeschneiderten Anzug trägst, hast du eben Geld.

Was war das für eine Aktion bei Michael Werner in der Bibliothek 1986, als die Werner-Künstler dort zusammen malten.

Keine Aktion. Das war einfach ein Betriebsausflug. Wir kamen zusammen, damit man mal wieder etwas miteinander zu tun hatte. Und dann hat man zusammen gesessen und rumgeblödelt. Zwei Tage lang.

Da sind auch Bilder entstanden?

Selbstverständlich.

Und Benjamin Katz hat das dokumentiert?

Er war dabei und fotografierte auch. Aber Katz hatte nicht mehr den Status, den er früher einmal für uns hatte, als er noch unsere Gemälde verkaufte. Jetzt machte er Fotos, war selber Künstler geworden und hat die Seiten gewechselt.

Von irgendetwas musste er ja leben …

Katz hat immer von irgendetwas gelebt, darum geht es doch nicht. In dem Moment, als Katz selber Künstler wurde, hatte er einen anderen Zugang. Früher war Katz dabei, hat einige Werke verkaufen können und kam gar nicht auf den Gedanken, seine Fotos zu verkaufen. Das waren Dokumentationen der Zeit. Daher konnte er überall mit. Er konnte mich in den intimsten Situationen bei der Arbeit fotografieren. Nun, da er seine Fotografien verkauft und in Editionen herausgibt, sperrt sich da etwas.

Wie ist das heute? Da gibt es wahrscheinlich auch Fotos von Ihnen …

Benjamin hatte offene Türen, er war überall dabei. Als Künstler ist er, wie auch immer, eine Art von Konkurrenz. Früher haben wir ihm gesagt, „Zeig mal die Fotos, wir brauchen für einen Katalog das und das.“, und dann hat man es ausgesucht. Jetzt entscheiden nicht mehr wir, was veröffentlicht wird. Benjamin war ein Studienkollege von Baselitz bei Hann Trier. Er war Zeichner und Maler. Dann hat er eine Galerie mit Werner gemacht. Als ich mit Werner auseinander war, bin ich mit Katz durch Berlin getobt. In dieser Zeit haben wir mehrere Ausstellungen gemacht. Und dann hat er angefangen zu fotografieren, weil er immer dabei war. Er hatte Zugang, wurde von allen geliebt und war beliebt. In dem Moment, als er dann selber als Künstler auftrat, hat sich das Verhältnis geändert und wir wurden in gewisser Weise zu Objekten. Von da an standen ihm die Intimität und die Nähe nicht mehr zu.

Haben wir jemanden vergessen?

Ich denke ja – sicherlich! Hunderte!

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Markus Lüpertz