Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

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Anselm Kiefer

Anselm Kiefer

Anselm  Kiefer

Anselm Kiefer

Croissy-Beaubourg, 26. Januar 2016

Franziska Leuthäußer: Sie begannen Ihr Studium in Freiburg. Wann genau gingen Sie an die Akademie in Karlsruhe?

Anselm Kiefer: Der Beginn meines Kunststudiums war 1966 in Freiburg. Dort habe ich in der Klasse von Peter Dreher Peter Dreher (* 1932 Mannheim) ist ein Maler und Grafiker. Ab 1965 unterrichtete er an der Außenstelle der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe in Freiburg im Breisgau und wurde dort 1968 zum Professor berufen. angefangen. Später bin ich dann nach Karlsruhe gewechselt, war aber weiterhin unter der Aufsicht von Peter Dreher. Gleichzeitig war ich in Karlsruhe in der Klasse von Horst Antes.

Und in der Zeit haben Sie auch in Karlsruhe gewohnt?

Ja, ich bin dorthin gezogen. Ich habe damals schon einen Lastwagen gebraucht. Meine Leinwände waren doch ziemlich groß, und da brauchte ich wirklich einen richtigen Lastwagen, um von der Akademie Freiburg nach Karlsruhe umzuziehen.

Sie haben zuerst Rechtswissenschaften studiert und hatten gar nicht vor, Kunst zu studieren?

Das stimmt so nicht. Ich wusste von früh auf, dass ich Maler bin. Ich dachte – und das ist ja halb richtig und halb falsch –, dass man als Maler geboren wird und dass ich die Kunstakademie nicht brauche.

Und wieso brauchten Sie die Akademie dann doch?

Ich habe gemerkt, dass es ohne Kollegen, ohne Kritik, ohne ein Gegenüber nicht geht.

Warum sind Sie damals nicht direkt an die Akademie in Düsseldorf gegangen?

Ich bin mit Paul Klee und Willi Baumeister aufgewachsen. Von Joseph Beuys habe ich erst in Karlsruhe gehört.

Was haben Sie dort über ihn gehört?

Ich habe gehört, dass da ein Künstler ist, der wichtig ist und Aktionen macht. Das war für mich neu.

Bei Horst Antes wurde gemalt, nehme ich an? Bei Ihnen hieß es aber auch eine Zeit lang: Hört auf zu malen.

Später dann in Karlsruhe, ja.

Was war für Sie damals Kunst?

Kunst war für mich Impressionismus, Expressionismus, Blauer Reiter und die Brücke. Das war für mich die Kunst.

Und deswegen haben Sie Kunst studiert?

Künstler wollte ich ja immer werden. Da kann man nicht sagen wegen dem Expressionismus oder wegen dem Blauen Reiter, sondern ich wollte Künstler sein, ich wollte Maler sein. Das war ganz klar.

Ab wann wollten Sie Maler sein? Ihre ersten Aktionen, die „Besetzungen“ 1969 reiste Kiefer mit einer Uniform seines Vaters nach Frankreich, Italien und in die Schweiz, um in der Landschaft vor wichtigen Bauten und Denkmälern den Hitlergruß auszuführen. Die Aktionen nannte Kiefer „Besetzungen“. 1970 entstanden nach eigenen fotografischen Vorlagen acht Gemälde unter dem Titel „Heroische Sinnbilder“. Vgl. „Anselm Kiefer. Bücher 1969–1990“, hg. von Götz Adriani, Ausst.-Kat. Kunsthalle Tübingen, Ostfildern 1990, S. 8–19, hier S. 12. beispielsweise, das war ja keine Malerei.

Nein, diese Aktionen machte ich, noch bevor ich von Beuys gehört hatte. Es war für mich auf einmal nicht mehr so wichtig, ob das, was mich besetzt hielt und was ich ausdrücken wollte, in irgendeine Kunstform passte.

Wie stellten Sie sich damals einen Künstler vor? Was hat Sie daran so gereizt?

Das kann ich schlecht sagen. Als Kind macht man sich das nicht klar. Für mich stand fest, dass ich irgendwo sein will, in einem Milieu oder in einem Kontext, der nicht vorgezeichnet ist. Ich wollte befreit sein von meiner kleinbürgerlichen, engen, autoritären Herkunft – mein Vater war Offizier. Ich wollte jenseits der Klassen, der gesellschaftlichen Konventionen stehen.

Und hat sich das bestätigt? Wir können es jetzt den „armen Poeten“ oder den „Außenseitertyp“ nennen, jemand, der in der Gesellschaft einfach eine andere Funktion oder eine andere Stellung hat?

So radikal habe ich das als Kind nicht formuliert. Ich wollte nur nicht meiner Klasse zugehören. Ich bin ja kleinbürgerlich aufgewachsen. Und das hat mir von Anfang an gestunken.

An der Akademie in Karlsruhe ging es wahrscheinlich noch ziemlich traditionell zu? Sahen Sie in einem Wechsel nach Düsseldorf zu Joseph Beuys eine Möglichkeit, davon wegzukommen?

Beuys war damals schon eine Legende.

Und Sie haben ihn angerufen und haben gesagt …

… „Ich will bei Ihnen Schüler sein. Wann kann ich Ihnen meine Arbeit zeigen?“ – „Das brauchen Sie gar nicht. Ich nehme jeden auf.“ Da war ich natürlich enttäuscht, dass der jeden aufnimmt.

Das war seine Antwort?

Ja. Das war ja sein Prinzip. Er hatte zum Schluss 600 oder 700 Studenten.

Wann sind Sie dann das erste Mal nach Düsseldorf zu Beuys gefahren?

1971. Da hatte ich schon einiges gemacht, verschiedene Aktionen, und das habe ich ihm gezeigt.

Und haben Sie mit ihm auch über die „Besetzungen“ gesprochen?

Ja, sicher. Das war ja mein Hauptwerk damals. Er war der Erste, der professionell reagiert hat. Er hat es moralisch überhaupt nicht beurteilt, sondern hat nur gesagt: „Ist eine gute Aktion.“ Das war eine professionelle Beurteilung über die Aktion als Kunstwerk. Und dann habe ich ihm gesagt: „Weißt du, ich habe Probleme da in Karlsruhe, die denken, ich sei ein Neofaschist.“ – „Du, Neofaschist? So wie du den deutschen Gruß machst? So unkorrekt. So könntest du als Faschist nie dastehen, das geht gar nicht.“ Zum ersten Mal öffentlich gezeigt hatte ich die „Besetzungen“ vor der Prüfungskommission in der Karlsruher Kunstakademie.

Und da waren Peter Dreher und Horst Antes dabei?

Der Dreher musste das verteidigen. Wir haben viel über Moral diskutiert und dass Moral mit Kunst nichts zu tun haben darf und so weiter. Ich hatte damals alles von Jean Genet gelesen und hatte gute Argumente. Peter Dreher hat dann vor dem Senat meine Arbeiten vertreten. Er hat sie unterstützt.

Ich habe ja mehrere Aktionen gemacht. Ich habe verschiedenen Künstlern das Malen verboten, ich habe Heidelberg überschwemmt Unter dem Titel „Die Überschwemmung Heidelbergs“ entstanden 1969 zwei Bücher, die das Szenario einer absichtlichen Flutung der Stadt behandeln. Vgl. auch die umfangreiche Dokumentation der Bücher in: „Anselm Kiefer. Bücher 1969–1990“, hg. von Götz Adriani, Ausst.-Kat. Kunsthalle Tübingen, Ostfildern 1990, S. 114–132. und so weiter.

„Die Überschwemmung Heidelbergs“ war ein Schritt von der tatsächlichen Aktion zur theoretischen Darstellung einer Idee.

Das war kein Experiment, das war schon eine ausgewachsene Tat. Es ist kein Experiment mehr, wenn man Heidelberg überschwemmt.

Aber Sie haben es ja nicht gemacht.

Doch.

Ja, in Ihren Bildern.

Ja, in meinem Buch. Da gab es gar keinen Zweifel, dass es gemacht wird. Ich hatte nie einen Zweifel, dass es gut ist, Heidelberg zu überschwemmen.

Schreiben Sie nicht in Ihrem Buch, es muss untersucht werden, ob es reicht, Heidelberg nur bildlich zu überschwemmen oder ob es nicht eben doch tatsächlich überschwemmt werden muss? „[…] zu untersuchen ist ob es genügt, H. nur bildlich zu überschwemmen, d.h. ob es genügt, die Idee zu haben, sie vielleicht mit einem manipulierten Foto anschaubar zu machen (wahrscheinlich wird es da dann doch besser sein sie in diesem Falle nur zu haben), oder ob es tatsächlich zu überschwemmen ist.“: Anselm Kiefer, „Die Überschwemmung Heidelbergs“, zit. n. Götz Adriani, „Jede Gegenwart hat ihre Geschichte“, in: „Anselm Kiefer. Bücher 1969–1990“, hg. von Götz Adriani, Ausst.-Kat. Kunsthalle Tübingen, Ostfildern 1990, S. 8–19, hier S. 13. Das ist doch ein Unterschied!

Ja, das stimmt. Anhand dieser theoretischen Aufzeichnungen in meinem Tagebuch wollte ich meine Aktion von allen Seiten beleuchten. Ich bin darum herumgegangen, wie man das bei einer Skulptur tut.

Und diese Art, die Kunst anzugehen oder um sie herumzugehen, haben Ihnen Ihre Lehrer an der Akademie beigebracht?

Wenn man etwas Neues macht, hat das mit dem Lehrer nichts mehr zu tun. Ein guter Lehrer – und Peter Dreher war ein sehr guter Lehrer – muss einen auffordern, über ihn hinauszugehen.

Hatten Sie später in Düsseldorf mit Beuys einen Gesprächspartner, mit dem Sie auf Augenhöhe sprechen konnten?

Ich habe sofort gespürt, mit Beuys kann ich normal reden. Dem brauche ich nichts erklären. Da muss ich bloß das Bild, oder was es auch ist, an die Wand hängen, und dann ist gut. Weiter brauchen wir gar nichts machen.

Haben Sie auch seine Arbeiten sofort verstanden?

Die erste Ausstellung, die ich von Beuys sah, war in der Kunsthalle Düsseldorf. Das war 1969. „Sammlung Karl Ströher“, Kunsthalle Düsseldorf, 25. April – 12. Juni 1969. Bis 15. Mai 1969 wurden in der Ausstellung auch die Werke von Joseph Beuys aus der Sammlung Ströher gezeigt. Ich war sofort perplex. Das war für mich eine Erleuchtung und eigentlich auch ein Wiederfinden.

Haben Sie noch in Erinnerung, was Sie damals besonders beeindruckt hat?

Ja, da waren die Vitrinen, und in den Vitrinen waren so komische Dinge drin. Das waren diese aufgeladenen Gegenstände.

Haben Sie ihn persönlich in der Ausstellung auch getroffen?

Ich habe ihn in meinem Leben nur vier-, fünfmal getroffen. Ich war ja nie in seiner Klasse. Also offiziell schon, aber praktisch nicht. Ich habe damals ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes bekommen und musste mich dann irgendwo einschreiben, sonst hätte ich es nicht gekriegt. Und dann habe ich mich in Düsseldorf eingeschrieben, und Beuys hat unterzeichnet.

Haben Sie ihm gelegentlich Ihre Arbeiten gezeigt?

Also wie gesagt zuerst die „Besetzungen“. Das fand er eine ganz tolle Aktion, und auch das Malverbot, das ich erteilte. Und dann habe ich diese „Dachbodenbilder“ Die häufig als „Dachbodenbilder“ bezeichnete Gemäldeserie Anselm Kiefers aus den frühen 1970er-Jahren zeigt Darstellungen mythologischer, religiöser und germanischer Symbolik vor dem Hintergrund hölzerner Innenräume, die Kiefers Atelierraum auf dem Speicher seines Hauses in Hornbach zum Vorbild haben. Dazu zählen unter anderen die Gemälde „Vater, Sohn, Heiliger Geist“ (1973), „Quaternität“ (1973) und „Notung“ (1973). Vgl. „Anselm Kiefer“, hg. von Jürgen Harten, Ausst.-Kat. Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 24. März – 05. Mai 1984/Musée d‘Art moderne de la Ville de Paris, 11. Mai – 21. Juni 1984/The Israel Museum, Jerusalem, 31. Juli – 30. September 1984. gemacht. Das fand er auch ganz prima. Ich habe es ihm eigentlich immer nur gezeigt, und das war es dann.

Dann sind Sie wieder in den Odenwald gefahren und haben weitergearbeitet?

Ja, ich habe die Bilder wieder eingerollt und bin abgefahren.

Gab es Kollegen, mit denen Sie sich ausgetauscht haben?

Nein, ich habe eigentlich mit so gut wie niemandem gesprochen. Ich bin immer nur hingefahren, habe vielleicht mal übernachtet, das weiß ich gar nicht mehr, und bin mit dem Käfer wieder zurückgefahren.

Sie brauchten keinen Diskurs und auch keine Bestätigung?

Naja, die hatte ich ja beim ersten Treffen, als ich die „Besetzungen“-Aktion gezeigt habe, da war das ganz klar, dass ich den gefunden habe, der es endlich mal richtig sieht. Und dann war ich natürlich froh, als ich die „Dachbodenbilder“ gemalt habe, dass er das auch toll fand. Ein Künstler braucht Bestätigung! Ich habe es bei Kollegen erlebt, die älter sind als ich, da gibt es manchmal Irrwege. Daher muss man immer mit jemandem im Gespräch sein.

Ihre erste Ausstellung hatten Sie in der Galerie am Kaiserplatz in Karlsruhe. „Bilder und Bücher“, Februar 1970, Galerie Helmut Rehme am Kaiserplatz, Karlsruhe.

Das war ein älterer Maler, der ältere Damen in Malerei unterrichtete. Und eben auch eine Galerie hatte. Er hieß Helmut Rehme. Ich erinnere mich genau.

Zu ihm sind Sie gegangen und haben gefragt, ob Sie Ihre Arbeiten zeigen können?

Nein, das habe ich nie gemacht. Nie in meinem Leben würde ich zu einem Galeristen gehen und fragen: „Kann ich bei dir ausstellen?“ Nein, er hat mich gefragt. Was habe ich denn da gezeigt? Da habe ich die Bücher gezeigt. Ausgestellt waren unter anderem die Bücher „Die Himmel“, „Du bist Maler“, „Die Überschwemmung Heidelbergs“, „Die Donauquelle“. Vgl. Eckhart Gillen, „Selbstgefällige Marmorpaläste“, in: „Badische Neueste Nachrichten“, 09.02.1970, S. 9.

Ich habe den Eindruck, Sie haben sehr zurückgezogen gearbeitet und sich aus dem Kunstbetrieb einigermaßen rausgehalten?

Ja. Ich meine heute noch, dass man sich als Künstler vom Betrieb fernhalten muss.

Mit „Betrieb“ meine ich nicht nur Galerie und Markt, sondern den gesamten Betrieb, also auch Akademie und Ausstellungen.

Da gibt es unterschiedliche Veranlagungen. Ich war sozusagen immer in der Wüste. In Südfrankreich war ich auch in der Wüste. Von 1992 bis 2007 lebte Anselm Kiefer im südfranzösischen Barjac auf dem 35 Hektar großen Gelände einer ehemaligen Seidenfabrik. Andere müssen mittendrin sein und machen trotzdem gute Sachen.

Wie haben Sie damals Ihre ersten Kontakte gemacht?

Die erste Ausstellung war 1973 mit Klaus Gallwitz – „14 mal 14“. Zwischen 1968 und 1973 organisierte Klaus Gallwitz die Ausstellungsreihe „14 x 14 – Junge deutsche Künstler“ in der Kunsthalle Baden-Baden. Teilnehmende Künstler waren unter anderen Anselm Kiefer, Georg Baselitz, Almut Heise, Imi Knoebel, Blinky Palermo, Gerhard Richter, UIrich Rückriem und Günther Uecker. Das war eine ganz neue Art, Ausstellungen zu machen. 14 Künstler haben jeweils 14 Tage in der Kunsthalle ausgestellt. Und damals hat Baselitz alle Bilder aus meiner Ausstellung gekauft.

Wirklich alle?

Ja, alle.

Haben Sie Baselitz dort auch persönlich das erste Mal getroffen?

Nein, nicht persönlich. Ich habe niemanden gekannt. Der hat es offiziell gekauft. Kennengelernt habe ich ihn erst später. Aber er war sehr generös. Er hat jetzt nicht gedacht, er muss mit mir verhandeln, sondern hat sogar noch die Prozente für die Kunsthalle abgeliefert. Die Kunsthalle verlangte 25 Prozent, und so reich war er ja damals auch nicht. Das war wahrscheinlich das, was er sich damals in Berlin immer gewünscht hat, dass einer kommt und alles kauft.

Baselitz und Lüpertz haben Sie dann später über Michael Werner kennengelernt?

Ja, der Werner hatte die Empfehlung von Beuys. Es gibt noch einen Brief, in dem Beuys mir schreibt, dass er den Galeristen Werner auf mich aufmerksam gemacht habe. Der Brief wurde anlässlich einer Ausstellung in Duisburg „Joseph Beuys. Anselm Kiefer“ im Katalog veröffentlicht. Vgl. „Brief von Joseph Beuys an Anselm Kiefer, Düsseldorf, 04. März 1973“, in: „Joseph Beuys. Anselm Kiefer. Zeichnungen, Gouachen, Bücher“, hg. von Götz Adriani/Walter Smerling, Ausst.-Kat. Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Köln 2012, S. 6. Die Ausstellung wurde allerdings vom deutschen Publikum, vor allem von der Kritik, so gut wie nicht wahrgenommen.

Außer Beuys gab es zu der Zeit auch noch viele andere Künstler in Düsseldorf. Zum Beispiel Sigmar Polke.

Polke habe ich mal getroffen, aber mehr indirekt. Horst Antes hat damals gedacht, ich müsste mal andere Leute kennenlernen, und hat mich dann mit seinem Sekretär nach Düsseldorf geschickt. Bei dem Besuch habe ich Polke kennenglernt und, ich glaube, den Richter auch.

Haben Sie verfolgt, was diese Künstler damals gemacht haben?

So viele Ausstellungen gab es damals noch nicht. Aber wenn es etwas gab, habe ich es angeschaut.

Sie haben die Ausstellungen besucht, aber nicht unbedingt zu den Eröffnungen?

Nein, das habe ich sowieso nie gemacht. Ich war da nie integriert.

Und das wollten Sie auch nicht sein?

Es hat sich nicht ergeben. Es gab nicht die Gelegenheit. Ich lebte damals im Odenwald. Das war weit weg.

Aus dem Odenwald konnte man rauskommen, wenn man es wollte.

Scheinbar hat es mir nicht gefehlt.

Mit Ihren „Besetzungen“ haben Sie sich unter anderem mit der jüngsten deutschen Geschichte beschäftigt. Sie haben einmal über die Nachkriegszeit gesagt, sie war kein Schatten der Geschichte, sondern deren Fortführung. „Bei mir war es ein Aufwachsen in der Fortdauer des Systems.“ in: Manfred Bissinger (Hg.), „Anselm Kiefer – Mathias Döpfner. Kunst und Leben, Mythen und Tod: Ein Streitgespräch“, Köln 2012, S. 72–73.

Es ging weiter, ja. Der Berater von Adenauer, Hans Globke, der den NS-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch verfasst hat, Als Referent im Reichsministerium des Innern verfasste Hans Globke (1898 Düsseldorf – 1973 Bonn) 1935/36 einen einflussreichen Gesetzeskommentar zu den von den Nationalsozialisten erlassenen Nürnberger Rassegesetzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Globke in der Zeit von 1953 bis 1963 als Staatssekretär in der Regierung von Konrad Adenauer tätig. war ein hoher NS-Mann, und Adenauer hat ihn behalten, weil er tüchtig war. Wenn man eine Revolution macht und alle rausschmeißt, geht es nicht weiter. Die Elite ist immer dieselbe.

Haben Sie das damals schon in dieser Weise erfasst?

Ich habe erfasst, dass da etwas ist, etwas ganz Furchtbares, etwas ganz Merkwürdiges, was nicht sichtbar war. Das habe ich studiert, und dann habe ich mich informiert. Das ging ja bis in die 60er-Jahre hinein. Es hat sich ja alles fortgesetzt. Das fing mit den Demonstrationen gegen den Schah von Persien an. Als der persische Schah Mohammad Reza Pahlavi (1919 Teheran – 1980 Kairo) auf Einladung des Bundespräsidenten Heinrich Lübke am 02. Juni 1967 Berlin besuchte, kam es aufgrund der schweren Menschenrechtsverletzungen im Iran vonseiten der linkspolitischen Studentenschaft zu zahlreichen Protesten. Während einer Demonstration vor der Deutschen Oper wurde der Student Benno Ohnesorg (1940 Hannover – 1967 Berlin) von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen. Das Ereignis markierte einen wesentlichen Kristallisationspunkt für die weitere Entwicklung und Radikalisierung der 68er-Bewegung. Siehe auch: Uwe Soukup, „Ein Schuss, der die Republik veränderte: Der 2. Juni 1967“, Berlin 2017. Die Polizisten und die Polizeioberen waren ja ehemals Teil des NS-Regimes. Die sind nicht ausgetauscht worden, und die haben reagiert, wie sie es unter den Nationalsozialsten gelernt hatten. Sie haben die Demonstranten verdroschen und eingesperrt. Erst dadurch ist die Rote-Armee-Fraktion ja überhaupt entstanden. Durch diese Übergriffe des Staats. Heute nennen wir es „Übergriff“, damals war das gar nicht so im Bewusstsein, dass es ein Übergriff ist.

Ich habe auch mit Bazon Brock darüber gesprochen. Er sagt, dass in dieser Zeit, in dem vermeintlich entnazifizierten Deutschland, vielerorts faschistische Tendenzen zu beobachten waren, auch in der Kunst, beziehungsweise gedeckt unter dem Vorwand, es sei Kunst. Er spricht auch von „demokratisch legitimierten Faschisten“. Vgl. Bazon Brock.

Zu sagen, ich bin Herr über Leben und Tod, das ist natürlich faschistisch. Und das war da zum Teil so. Die Zeit des Faschismus war ja 1945 nicht abgeschnitten. 1945, das ging unterschwellig immer weiter. Da gibt es viele Beispiele, und 1968 wurde es offenbar. Da wurde offenbar, dass es noch Strukturen gibt, die nicht nur autoritär, sondern faschistisch sind.

Dazu haben Sie sich aber in Ihrem Werk nicht geäußert, oder?

Zum Beispiel habe ich auf so ein „Dachbodenbild“ die Namen Ensslin, Meinhof, Raspe und Meins geschrieben. Das ist jetzt wieder übermalt. Aber wenn man genau hinschaut, kann man es noch sehen. Das hat mich beschäftigt. Dann hieß es damals: In deutschen Gefängnissen wird gefoltert. Das habe ich auch auf ein Bild geschrieben. Astrid Proll war die Erste, die in Isolationshaft gehalten wurde. Sie sagte, sie wäre bald verrückt geworden. Die Meinhof kam später in dieselbe Zelle. Das war brutal. „In deutschen Gefängnissen wird gefoltert“, das war natürlich medial sehr aufgebauscht, aber es war tatsächlich so. Es ist Folter, wenn jemand so unter Ausschluss gefangen gehalten wird. Da war kein Geräusch, gar nichts mehr. Da wird man doch verrückt. Das habe ich alles mitgekriegt. Als Holger Meins gestorben ist, Holger Meins (1941 Hamburg – 1974 Wittlich) war ein führendes Mitglied der Roten-Armee-Fraktion (RAF). Ab 1966 studierte er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Zur gleichen Zeit begann er sich im Umfeld der Außerparlamentarischen Opposition (APO) und der Kommune 1 zu engagieren. Unter dem Decknamen „Rolf“ schloss sich Meins im Oktober 1970 der RAF an. Wegen des Verdachts, an Sprengstoffattentaten beteiligt gewesen zu sein, wurde er am 01. Juni 1972 gemeinsam mit Andreas Baader und Jan-Carl Raspe in Frankfurt am Main verhaftet. Meins starb am 09. November 1974 in der Haftanstalt Wittlich an den Folgen eines Hungerstreiks. Siehe auch: Gerd Conradt, „Starbuck – Holger Meins. Ein Porträt als Zeitbild“, Berlin 2001. gab es eine Demonstration in Heidelberg, da war ich auch dabei. Aber ich habe mich nie einer Gruppe angeschlossen.

Führten Sie den deutschen Gruß damals aus, um am eigenen Körper zu erfahren, wie sich diese Geste anfühlt?

Ich habe das nicht reflektiert, ich habe gemerkt, da ist irgendetwas, was verborgen gärt. Dieses mir Verborgene wollte ich bildlich hervorholen.

Braucht man den zeitlichen Abstand, um etwas zu bearbeiten, zu verarbeiten und damit in der Kunst umzugehen?

Es ist ein Unterschied, ob man etwas zum Gegenstand hat, was schon eine Zeit lang da ist, was schon gewachsen ist, was ein Geheimnis hat, oder direkt einzugreifen – das ist etwas ganz anderes. Die Tagespolitik hat mich zwar interessiert, aber ich war, da es im Dunkeln des Augenblicks stattfand, nicht befähigt, darauf richtig zu reagieren.

Das ist interessant. Bei Beuys gab es ja beides. Er schuf einerseits neue Mythen aus seiner eigenen Biografie heraus, war aber andererseits auch tatsächlich politisch aktiv.

Ich würde sagen, das sind zwei verschiedene Dinge. Er hat die Mythologie weiterentwickelt. Das ist ja etwas, was sich immer weiterentwickelt. Das andere war Tagespolitik. Er wollte einfach die Macht, er wollte politische Macht.

Und in seiner Kunst hat er beides miteinander verknüpft.

Ja, aber es war eine Verknüpfung, die nicht funktioniert hat. Er ist ja als Politiker gescheitert. Weil die Grünen ihn nicht wollten. So einen Verrückten wollten sie nicht, sie wollten keinen Künstler, die Grünen. Ich habe mit Beuys viele Diskussionen über seine direkte Demokratie gehabt. Das war ja an sich Mittel zur Macht. Direkte Demokratie ist das Schlimmste, was man machen kann. Das führt sofort zum Untergang. Ich habe immer gesagt, geh nach Appenzell, da haben sie direkte Demokratie, allerdings ohne die Frauen damals noch.

Alle, mit denen ich gesprochen und die Beuys persönlich getroffen haben, sind sich einig, dass er eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Figur für die Entwicklung der deutschen Kunst nach 1945 war. Für die jüngere Generation, die ihn nicht erleben konnte, ist die Rezeption seines Werkes sicher eine ganz andere.

Für mich sind das klassische Skulpturen, die alles haben, was eine Skulptur haben muss. Man kann drum herumgehen, sie sagt einem etwas, sie besitzt eine Schönheit und so fort. Die „Honigpumpe“ Für die „documenta 6“ (1977) entwickelte Joseph Beuys das Werk „Honigpumpe am Arbeitsplatz“. In der Rotunde des Fridericianums in Kassel installierte er ein vom Erdgeschoss bis zum Dach geführtes Schlauchsystem mit einer mechanischen Pumpe, die den Honig verteilte. Erweitert wurde die Arbeit durch einen ebenfalls in das Schlauchsystem integrierten Tagungsraum, in dem die Freie Internationale Universität (FIU) ein 100-tägiges Arbeitskollektiv etablierte. Siehe auch: Veit Loers/Pia Witzmann, „Honigpumpe am Arbeitsplatz“, in: „Joseph Beuys. Documenta. Arbeit“, hg. von dens., Ausst.-Kat. Fridericianum Kassel, Kassel, Stuttgart 1993, S. 157–167. ist ein klassischer Fall. Honig, der durch das ganze Museum fließt, das ist doch wunderbar. Hat man nicht alle Tage, oder?

Es ist schwierig, mit seinen Werken eine Ausstellung zu machen. Zum Beispiel in München, in der Pinakothek der Moderne, könnten seine Steine besser hingelegt werden. Oder nehmen Sie die Kojoten-Aktion, die in New York stattgefunden hat. „Joseph Beuys. I Like America and America Likes Me“, René Block Gallery, New York, 20.–25. Mai 1974. Während der Aktion verbrachte Joseph Beuys mehrere Tage mit dem Kojoten Little John in einem Käfig innerhalb der Galerie. Da ist unten immer die Polizei vorbeigefahren, Tatütata. Ich habe es nicht gesehen, aber ich stelle es mir vor. Ein Kojote in New York hat unheimlich viel Bedeutung. Die Natur, die wieder auf die Insel zurückkommt, die Ureinwohner und was weiß ich alles. Das ist nicht künstlich aufgeladen, sondern das hat eine Bedeutung.

Das ist unbenommen. Ich frage mich dennoch, ob die Bedeutung seines Werks mit dem Abstand zur Person Beuys geringer wird? Inwiefern sich die Bedeutung in einer Generation verschiebt, die Beuys nicht persönlich kannte.

Die Wirkung wird sich verschieben, da Kunstwerke sich im Laufe der Zeit verändern. Aber selbst wenn Beuys nichts Werkhaftes hinterlassen hätte, würde es bis heute wirken, wenn es auch nicht mehr unmittelbar zu fassen wäre.

Beuys war offenbar eine absolute Ausnahmefigur?

Ja, das ist ganz klar.

Gab es einen zweiten Künstler, eine zweite Position neben Beuys, die in ihrer Bedeutung in seine Nähe kam?

Nein, wer sollte das sein? Fluxus war ja eine Bewegung mit mehreren Künstlern, da gab es Arthur Køpke, Tomas Schmit und viele mehr. Die haben nicht überlebt, weil es keine Ergebnisse gibt. Trotzdem waren sie sehr wichtig. Bei Beuys hingegen gibt es Ergebnisse. Und auch wenn Sie die Filme mit Beuys mit den Auftritten von Køpke oder Schmit vergleichen – das hat eine ganz andere Wirkung.

Wenn Sie von „Wirkung“ sprechen, geht es doch wieder um die Person?

Nein, es hat mit dem Ergebnischarakter zu tun. Die Fluxus-Leute waren damals sehr wichtig, sie haben agiert, und ohne sie wäre es nicht gegangen. Aber ein Foto von Køpke, hat einfach nicht diese Wirkung. Wenn Beuys aber auf einem Bild ein Kreuz hochhält und ihm das Blut übers Gesicht läuft, dann ist das ein Ergebnis. Joseph Beuys nahm am 20. Juli 1964 am „Festival der Neuen Kunst“ im Audimax der Technischen Hochschule Aachen teil. Nach „tumultuarischen Szenen“ des Publikums, die im Faustangriff eines Studenten auf Beuys kulminierten, wurde das Festival vorzeitig abgebrochen. Vgl. Götz Adriani/Winfried Konnertz/Karin Thomas, „Joseph Beuys. Leben und Werk“, Köln 1986 (3. Auflage), S.125–134. Siehe auch: Heiner Stachelhaus, „Joseph Beuys“, Düsseldorf 1988, S.165–168.

Das aber zufällig entstanden ist? Dieses Bild war ja von Beuys nicht geplant.

Doch! Das war alles von ihm intendiert. Das war alles gestaltet.

Waren Sie damals dabei?

Nein, aber ich weiß es. Als wir damals den Wald auskehrten, Im Rahmen der Aktion „Überwindet endlich die Parteiendiktatur“ fand im Düsseldorfer Stadtteil Grafenberg am 14. Dezember 1971 eine sogenannte „Umwelt-Demonstration“ statt, bei der Joseph Beuys mit einer Gruppe seiner Studenten den Wald auskehrte. Die fotografische Dokumentation der Aktion ist unter dem Titel „Rettet den Wald“ bekannt. rief Gabriele Henkel bei dem Herrn an, von dem wir die Besen hatten, was ihm eigentlich einfällt, Joseph Beuys zu unterstützen und so weiter. Der wurde Beuys gegenüber daraufhin irgendwie sehr negativ, was Beuys gespürt hat, und dann fing er an, ihn zu provozieren und sagte: „Schlagen Sie doch zu, schlagen Sie doch zu.“ Beuys wollte wirklich, dass er zuschlägt. Das meine ich mit „Ergebnis- und Werkcharakter“.

Provozierte Beuys, um die anderen herauszufordern oder um seine eigenen Grenzen zu testen?

Um ein schönes Bild herzustellen.

Er hat für das Bild provoziert?

Natürlich für das Bild! Natürlich! Er war ein bildender Künstler. Das ist ganz eindeutig. Es ging nur um Bilder. Wenn er anderen die Füße gewaschen hat, war das ein Bild. Bei der Veranstaltung „Gib mir einen festen Punkt, wo ich stehen kann, und ich bewege die Erde (hebe die Welt aus den Angeln)“ (Kunstakademie Düsseldorf, 05. Februar 1971) wusch Joseph Beuys mehreren seiner Studenten die Füße.

Während der Aktionen der Fluxus-Künstler wurde der Betrachter Teil eines Publikums – wie im Theater …

Die Fluxus-Künstler haben das Publikum zusätzlich integriert. Das Publikum sollte mitmachen. Und einer hat dem Beuys dann eben auf die Nase gehauen, der sollte auch mitmachen. Joseph Beuys nahm am 20. Juli 1964 am „Festival der Neuen Kunst“ im Audimax der Technischen Hochschule Aachen teil. Nach „tumultuarischen Szenen“ des Publikums, die im Faustangriff eines Studenten auf Beuys kulminierten, wurde das Festival vorzeitig abgebrochen. Vgl. Götz Adriani/Winfried Konnertz/Karin Thomas, „Joseph Beuys. Leben und Werk“, Köln 1986 (3. Auflage), S.125–134. Siehe auch: Heiner Stachelhaus, „Joseph Beuys“, Düsseldorf 1988, S.165–168.

So kann man es natürlich auch sehen. Dass das Publikum durch Provokation aufgefordert wurde, zu partizipieren. Bazon Brock schildert die Situation in Aachen 1964 anders. Er sagt, die Veranstaltung wurde gestört, zuallererst von Timm Ulrichs. Vorsätzlich. Timm Ulrichs hat Bazon Brock wohl während seines Vortrags im Kopfstand umgestoßen. Vgl. hierzu Bazon Brock sowie Timm Ulrichs. In Berlin plante Beuys mit Henning Christiansen 1969 ein Konzert, das wurde durch randalierende Studenten verhindert Zur Eröffnung der Ausstellung „Blockade 69“ der Galerie René Block sollte am 27. Februar 1969 das Konzert „Ich versuche dich freizulassen (machen)“ von Joseph Beuys und Henning Christiansen in der Akademie der Künste in Berlin stattfinden. Die Aktion wurde von randalierenden Studenten gestört und musste abgebrochen werden. Vgl. Jürgen Geisenberger, „Joseph Beuys und die Musik“, Marburg 1999, S. 109 f. – das konnte man doch im Voraus nicht planen?

Nein, nicht im Detail. Aber wenn es eine Faust braucht, um auf die Nase zu bekommen, weiß man intuitiv, wo man sie herkriegt.

In Berlin wurde damals vor allem die Malerei wiederbelebt, es gab andauernde Diskussionen um Figuration und Abstraktion. In Düsseldorf war ZERO. Die einen propagierten den Neuanfang, den Nullpunkt, die anderen manifestierten ihre Schreckensbilder auf der Leinwand und lieferten gewissermaßen den Gegenpart zum weißen, reinen Kunstwerk, dem Bildträger ohne Bild. Das waren Strömungen nach 1945, die sehr unterschiedlich auf den Zweiten Weltkrieg reagierten. Wo würden Sie Ihre Kunst verorten? Sie gehen in Ihrer Kunst mit den Symbolen der Geschichte um, und dennoch sind Ihre Werke, Ihre Aktionen völlig ergebnisoffen.

Ja, es geht überhaupt nicht um ein Ergebnis. Es geht um die Aktion. Zum Teil ist es auch eine Identifikation mit der Geschichte, auch wenn es nur der erhobene Arm ist. Ich hatte damals eigentlich überhaupt keine oder kaum Information gehabt. Ich habe Beuys noch nicht gekannt, ich habe Fluxus nicht gekannt und auch die Gruppe ZERO nicht. Ich war in einem ganz klassischen Kulturzusammenhang: Klee, Baumeister, Kandinsky, natürlich Picasso und Manet, Monet, das war meine Welt. Und in diese Welt ist diese Hitler-Geschichte eingebrochen, das ist da einfach eingebrochen.

Thematisch?

Nein. Wenn etwas in der Luft liegt, kann man nicht genau sagen, wo es herkommt und wo es hingeht, das weiß man nicht. Ich habe zufällig, das weiß ich noch wie heute, eine Schallplatte in den Händen gehabt, die die Amerikaner für die Deutschen produziert hatten, um sie über das Dritte Reich aufzuklären. Darauf waren die Reden von Hitler, von Goebbels, von Göring – es war alles drauf. Das war meine Initiation. Als ich Hitler da gehört habe, wie er geredet hat, habe ich gedacht: „Hoppla, was ist das denn?“

Wie haben Sie in den sogenannten „Betrieb“ hineingefunden, obwohl Sie persönlich offenbar wenig präsent waren?

Horst Antes hat mir sehr geholfen. Er hat mich zum Beispiel 1971 mit nach New York genommen. Dort haben wir Galerien angeschaut und waren bei George Segal und anderen Künstlern. Da habe ich dann wirklich etwas anderes erlebt. New York ist ja anders als Karlsruhe.

Hatten Sie eine Vorstellung, wo Sie mit Ihrer Kunst hinwollten? Ab wann konnten Sie Ihre Werke verkaufen?

An sich habe ich, außer mit den Verkäufen an Baselitz 1973, nichts verdient, bis 83/84 ungefähr.

Sie hatten gar keine Verkäufe gehabt?

Doch, ein bisschen.

Hat Michael Werner Ihre Sachen verkauft?

Zum Teil, ja. Aber er hat nur zögerlich bezahlt. Er war der Meinung, dass ich auf dem Land kein Geld benötigte. Das ist der klassische Fall. Ich habe dadurch gelernt, natürlich, und habe die Galeristen später strenger behandelt.

Ich glaube, Sie waren bis 1977 bei Michael Werner? Die letzte Ausstellung Anselm Kiefers in der Galerie Michael Werner fand vom 25. Oktober bis 19. November 1977 unter dem Titel „Ritt an die Weichsel“ statt.

Ja, das müssen drei Jahre gewesen sein. Kennengelernt habe ich ihn 1974, und als die Ausstellung 1979 in Eindhoven war, „Anselm Kiefer, schilderijen en aquarellen“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 09. November – 10. Dezember 1979. war ich schon nicht mehr bei ihm.

Bereits 1973 stellten Sie in Amsterdam in der Galerie im Goethe-Institut aus. „Anselm Kiefer. Der Nibelungen Leid“, Galerie im Goethe-Institut Amsterdam, September – Oktober 1973. Damals hatte Johannes Gachnang Sie eingeladen.

Ja, das war eine sehr produktive Zusammenarbeit mit Gachnang. Ich habe zweimal in Amsterdam in der Herengracht ausgestellt. Damals habe ich den ganzen „Parsifal“-Zyklus auf Tapete gemalt, weil es billig war. Die habe ich zusammengerollt und sie Gachnang am Bahnhof in den Zug gegeben. Er hat sie dann in Amsterdam aufgehängt. Ich selbst bin zu der Ausstellung gar nicht hingefahren.

Ihre ersten größeren Verkäufe gingen, außer an Baselitz, in die Niederlande.

Na ja, große Verkäufe waren das nie. Das war immer sehr bescheiden. Martin Visser war ein großer Sammler, und auch Martijn Sanders gehörte dazu. Martin Visser kaufte „Wege der Weltweisheit“ Anselm Kiefer, „Wege der Weltweisheit“, 1978. , das Bild mit den Köpfen, und Martijn Sanders kaufte „Vater, Sohn, Heiliger Geist“ von 1973 Anselm Kiefer, „Vater, Sohn, Heiliger Geist“, 1973. . Das ging in die Niederlande, die waren für mich sehr wichtig.

Warum konnten Sie dort besser verkaufen als in Deutschland?

Ich weiß es nicht. Dort waren aktive Sammler: Martin Visser und Martijn Sanders waren mit Rudi Fuchs bekannt. Bei der Biennale von Venedig 1980 konnte ich das erste Mal etwas Aufsehen erregen, allerdings in einem durchweg negativen Sinne – keine deutsche Zeitung fand das gut. Zur „39. Biennale von Venedig“ 1980 kuratierte Klaus Gallwitz den Deutschen Pavillon. Ausgestellt waren Werke von Georg Baselitz und Anselm Kiefer. Beiden Künstlern wurde aufgrund ihrer Werkauswahl „martialisches Deutschtum“ vorgeworfen. Siehe auch: Rudi H. Fuchs, „Die Kritik riecht Blut und greift an“, in: „Der Spiegel“, Nr. 26, 23.06.1980, S. 197–198; Petra Kipphoff, „Die Lust an der Angst – der deutsche Holzweg“, in: „Die Zeit“, 06.06.1980, S. 42; Werner Spies, „Überdosis an Teutschem“, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 02.06.1980, S. 19 und Peter Iden, „Die Lieben der Kommissare. Zur Eröffnung der diesjährigen Kunst-Biennale von Venedig“, in: „Frankfurter Rundschau“, 04.06.1980, S. 7. Die einzige Ausnahme war Klaus Wagenbach, der Herausgeber des „Freibeuter“ Der „Freibeuter“ war eine linksgerichtete Zeitschrift für Politik und Kultur, die von 1979 bis 1999 im Wagenbach-Verlag vierteljährlich erschien. . Der war extrem links, und da er gegen alles war, war er natürlich dagegen, dass alle gegen mich waren.

Hat Sie die Reaktion auf Ihre Arbeiten damals in Venedig überrascht?

Über die Einmütigkeit war ich überrascht. Ich wusste ja aber seit meiner Zeit an der Akademie, dass es Leute gibt, die sich an meinen Werken stoßen und die der Meinung waren, ich sei ein Neonazi.

Ich habe die Kritik von Petra Kipphoff vor Kurzem noch einmal gelesen. Das ist absurd. Es ist heute schwer nachzuvollziehen, wie man Sie damals so missverstehen konnte. Klaus Gallwitz war 1980 zum dritten Mal Kommissar des Deutschen Pavillons. Man hat ihm doch nicht ernsthaft zugetraut, dass er dort einen Künstler ausstellt, der sich mit seiner Kunst so offensichtlich zur Ideologie der Nationalsozialisten bekennt?

Ich verstehe es ja heute noch nicht. Es ist heute noch genau dasselbe.

Heute wirft man Ihnen aber nicht mehr vor, Sie seien ein Neonazi?! Allerdings ist das wohl am häufigsten verwendete Pressebild in der Berichterstattung über Ihre aktuelle Ausstellung im Centre Pompidou „Anselm Kiefer“, Centre Pompidou, Paris, 16. Dezember 2015 – 18. April 2016. die fotografische Reproduktion eines Ihrer „Heroischen Sinnbilder“, eine Ihrer ersten Arbeiten, die sicher auch zentral ist. Wenn man aber berücksichtigt, dass die Ausstellung eine Retrospektive mit Werken der letzten 50 Jahre ist, so überrascht es doch, dass der „Hitlergruß“ bis heute scheinbar für die Medien ohne Konkurrenz ist.

Haben Sie damals mit Klaus Gallwitz im Vorfeld der Biennale von Venedig über mögliche Reaktionen auf Ihre Werke gesprochen?

Gallwitz hat mir da freie Hand gelassen. Zuerst hatte ich andere Bilder ausgewählt. Dann habe ich aber noch einmal überlegt und bin auf die vier Themen „Verbrennen“, „Verholzen“, „Versenken“ und „Versanden“ gekommen. In den 1970er-Jahren arbeitete Anselm Kiefer an einer Reihe von Gemälden, auf denen hölzerne Innenräume dargestellt sind. Die durch Axthiebe und Feuer veränderten, mit Blei, Stoff und weiteren Materialien ergänzten Bilder wurden 1980 im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig unter dem Titel „Verbrennen, Verholzen, Versenken, Versanden“ gezeigt. Zu den bekanntesten Werken dieser Serie zählen „Deutschlands Geisteshelden“ (1973) und „Parsifal III“ (1973). Siehe auch: „Anselm Kiefer: Verbrennen, Verholzen, Versenken, Versanden“, hg. von Klaus Gallwitz, Ausst.-Kat. Biennale Venedig 1980: Deutscher Pavillon, Stuttgart 1980 und Walter Grasskamp, „Anselm Kiefer. Der Dachboden“, in: ders. (Hg.), „Der vergeßliche Engel. Künstlerportraits für Fortgeschrittene“, München 1986, S. 7–22.

Sie haben über die Inhalte der Werke mit Gallwitz gar nicht gesprochen?

Sie meinen, ob wir das problematisiert haben?

Ja, ob Sie darüber gesprochen haben, wie diese Werke, in diesem Zusammenhang, an diesem geschichtsträchtigen Ort, wirken?

Ich wusste natürlich, dass das Gebäude 1938 von den Nationalsozialisten umgestaltet worden ist. Es ist bis heute mein Lieblingsgebäude. Im Gegensatz zu der Malerei – ich habe aus dieser Zeit kein einziges Bild gefunden, das man überhaupt als Kunst bezeichnen könnte – ist die sogenannte „faschistische Architektur“ genauso wenig faschistisch wie zum Beispiel der Trocadéro Der Palais du Trocadéro war ein historischer Ausstellungspalast des Architekten Gabriel Davioud in Paris, der anlässlich der Weltausstellung 1878 errichtet wurde. Im Vorfeld der EXPO 1937 wurde er durch den neoklassizistischen Palais de Chaillot ersetzt. in Paris.

Sie sagen, Sie machen die Kunst zuallererst für sich. Aber wenn Sie Ihre Werke in der Öffentlichkeit präsentieren, wie etwa auf der Biennale von Venedig, überlegen Sie vielleicht doch, welche Wirkung das auf die Betrachter haben könnte?

Nein. Ich habe das damals nicht überlegt, und ich überlege das heute noch nicht. Ich überlege nie, wie etwas ankommt, ich überlege, was herauskommt, aber nicht, wie es ankommt.

Dass Sie in Deutschland derart missverstanden werden, tangiert Sie gar nicht?

Was die Kritik heute betrifft, die deutsche Kritik bezogen auf mein Werk, ist ja kein Missverstehen, sondern ein Abschreiben des immer Gleichen. Es ist mangelndes Nachdenken und vielleicht auch mangelnde Intelligenz. Ich habe beispielsweise in Hongkong einmal eine kleine Galerieausstellung gehabt. „Let a Thousand Flowers Bloom“, Galerie White Cube, Hongkong, 16. Mai – 25. August 2012. Dort habe ich auch Mao-Bilder gezeigt, die ich schon in drei Museen ausgestellt hatte – im Louisiana Museum in Dänemark, in Italien und in der Galerie bei Anthony d’Offay –, lange vorher. Nach der Ausstellung in Hongkong haben dann die Kritiker geschrieben, ich würde neuerdings den chinesischen Markt bedienen. Als ob ich diese Mao-Bilder für die Chinesen gemalt hätte. Und obwohl der Presse mitgeteilt wurde, dass ihre Annahme falsch war, haben sie es weiterhin geschrieben. Das ist ein Automatismus. Also ein Missverständnis wäre ja gut. Weil Missverständnisse zu etwas anderem, das mit dem Missverständnis nichts mehr zu tun hat, führen können. Aber inzwischen kann man bei Teilen der Kritik nicht mehr von einem Missverständnis reden, sondern einfach nur von Faulheit im Denken.

Und das Missverständnis gab es Ihrer Meinung nach auch 1980 in Venedig nicht?

Doch, damals war es ein Missverständnis. Das war ja begründet. Das war eine Kritik, die sinnvoll war. Es ist sinnvoll, dass man sagt, es ist verboten, dass einer sich hinstellt und den Arm hebt. Das war eine sinnvolle Kritik, die zwar unisono war, und jeder hat dasselbe geschrieben, aber sie war sinnvoll. Und es hat die Diskussion beflügelt.

Ursprünglich sollte mit Ihnen im Deutschen Pavillon nicht nur Georg Baselitz, sondern auch Markus Lüpertz ausstellen. Waren Sie für die Konstellation offen?

Das hatte ich nicht zu beurteilen. Wenn der Kommissar das so auswählt, dann ist es so.

Man kann die Einladung zu so einer Ausstellung annehmen – oder es so machen wie Markus Lüpertz damals, der sich entschied, nicht teilzunehmen. Markus Lüpertz sagte seine Teilnahme für den Deutschen Pavillon zur „39. Biennale von Venedig“ wegen interner Differenzen ab. Vgl. auch Markus Lüpertz.

Ich habe es gerne gemacht. Ich meine, jeder Künstler geht gerne in die Öffentlichkeit. Ich mache die Kunst ja nicht nur für zu Hause.

Hatten Sie in diesem Zusammenhang noch einmal etwas mit Michael Werner zu tun?

Michael Werner habe ich immer sehr geschätzt, weil er ein sehr gebildeter Mensch war, der sehr viel gelesen hat. Von den Galeristen, die ich kenne, war er einer der gebildetsten. Aber er hat ein Problem gehabt: Er ist immer über seinen eigenen Fuß gestolpert.

Was bedeutet das?

Er wollte Macht um der Macht willen. Er wollte bestimmen, wer wann wo ausstellt. Und das war mir zuwider. Dass ein Galerist Macht hat, ist klar. Je nachdem muss er mal etwas durchsetzen. Aber Michael Werner wollte Macht um der Macht willen, und das ist immer schlecht. Das führt immer zu den falschen Ergebnissen.

Hat er Ihnen damals viele Ausstellungen vermittelt?

Er hat mir andere Sachen vermittelt. Zum Beispiel hat er mir die französische Kultur vermittelt: Alain-Fournier, der „Der große Meaulnes“ geschrieben hat, oder Maurice Blanchot, Georges Bataille, Villiers de L’Isle-Adam und andere mehr, da müsste ich jetzt mit Ihnen durch meine Bibliothek gehen. Das war für mich sehr positiv. Ich bin nicht gern von der Galerie Michael Werner weggegangen. Das war für mich eine große, wichtige Entscheidung. Ich fand ihn sehr bemerkenswert in seiner Fähigkeit, seinem Willen, die Sache auch geistig zu durchdringen. Aber wie gesagt, man kann als Künstler nicht mit jemandem zusammenarbeiten, der machtbesessen ist.

Hatten Sie auch mit den anderen Künstlern der Galerie, etwa mit Baselitz, Lüpertz und Penck, damals einen engen Kontakt?

Penck habe ich vielleicht 1976 getroffen, in Ost-Berlin. Ihn habe ich sehr geschätzt und schätze ihn heute noch. Er ist unterbewertet. Aber einen Austausch hatte ich mit den Künstlern eigentlich nicht.

Haben Sie Penck zusammen mit Michael Werner im Osten besucht?

Ja.

Es war Michael Werner offenbar immer sehr wichtig, dass die Künstler sich untereinander kennenlernten und in Kontakt waren.

Ja. Daher war er ja ein guter Galerist. Über Michael Werner habe ich auch Marcel Broodthaers und James Lee Byars kennengelernt. Das war sehr wichtig für mich.

Hat der Austausch mit den anderen Künstlern auch Ihre Arbeit beeinflusst?

Das ist sicher. Wenn man mit anderen Künstlern einen Austausch hat, dann bewirkt es natürlich etwas. Als ich dann von Michael Werner wegging, haben alle anderen, außer meiner Frau, mich auch verlassen. Fred Jahn wollte nichts mehr machen, und mit anderen war es ähnlich.

Weil Sie sich von Werner trennten, wollten alle anderen auch nicht mehr?

So war es! Ich habe dann mit Helen van der Meij weitergearbeitet. In der Galerie Helen van der Meij in Amsterdam hatte Anselm Kiefer zwischen 1977 und 1982 vier Einzelausstellungen. Das war eine andere Machtbesessene, die hat sich um das Diktum von Michael Werner nicht gekümmert. Sie hat einfach weitergearbeitet.

1981 stellten Sie bei Six Friedrich, bei Paul Maenz und Marian Goodman aus. Im Januar 1981 zeigte Anselm Kiefer erstmals Werke in der Galerie Paul Maenz in Köln, im März stellte er in der Marian Goodman Gallery in New York aus und war außerdem in der Galerie Six Friedrich & Sabine Knust in München vertreten.

Ja, Marian Goodman war die Erste, die in Amerika eine Ausstellung gemacht hat. Und 83 kam dann Anthony d’Offay. „Anselm Kiefer: Paintings and Watercolours“, Anthony d’Offay Gallery, London, 1983. In Deutschland ist damals nicht viel passiert, eigentlich gar nichts. Los ging es eigentlich in Amerika. Und es ist heute noch so, der Ärmelkanal ist die Grenze.

Gibt es dafür eine Erklärung, dass Ihr Werk dort besser aufgenommen wird?

In Amerika waren es vor allem die emigrierten Juden, die dann Sammler wurden. Die haben es verstanden. Die haben verstanden, warum ich das mache, was ich mache. Als sie emigriert sind, haben sie die ganze Kultur mitgenommen. Und wahrscheinlich fanden sie es toll, dass da einer mit demselben Rucksack ankam.

So wie Ihr Werk in den USA verstanden wurde, sogar in Israel, wurde Ihre Arbeit in Deutschland nie angenommen. Gerade für die Deutschen wäre es wahrscheinlich sehr wichtig gewesen, dass man Ihre Kunst hier besser versteht.

Ich habe immer gesagt, die Deutschen haben nicht nur sechs Millionen Juden umgebracht, was ja schlimm genug ist, sondern sie haben auch sich selbst amputiert. Denn die 20er-Jahre waren ja eine unheimlich fruchtbare Zeit, und das wäre ohne die Juden gar nicht vorstellbar gewesen. Die Sammler, die Kritiker, die Intellektuellen. Die deutsche Kultur ist ohne das jüdische Element eine amputierte Kultur.

Gehört dazu nicht auch die Unfähigkeit der Deutschen, mit diesem Erbe umzugehen? Kann es sein, dass man sich in Deutschland mit dieser Vergangenheit einfach nicht mehr beschäftigen will? Im Ausland scheint Ihre Arbeit auch einen gewissen Bonus des Exotischen zu genießen.

Ich glaube, es gibt verschiedene Gründe. Die Deutschen mögen es small and beautiful. Die haben es gerne bescheiden. Die wollen sich nicht so weit herauswagen. Das ist, glaube ich, ein weiterer Aspekt. Aber ich denke nicht andauernd darüber nach.

Sie sind nicht der Meinung, die Gesellschaft in Deutschland kommt inhaltlich mit Ihren Arbeiten nicht zurecht?

Das müssten sie jetzt endlich kapiert haben, oder? Das kann es eigentlich nicht mehr sein. Das wäre ja absurd, wenn sie heute noch denken würden, ich wäre ein Neofaschist.

Nein, ich glaube, das denkt niemand mehr. Ich meine eher die Ästhetik einer vermeintlich „deutschen Kunst“. So, wie man auch die Deutschlandflagge lange nicht sehen wollte. Das hat sich erst mit der WM 2006 verändert.

Ja, die Deutschen haben ein Problem: Sie sind einerseits zu auftrumpfend, andererseits haben sie zu viele Komplexe. Die Deutschen haben immer Probleme mit sich selbst. Die haben ja auch nicht die Mythen, die andere Völker haben. Die Franzosen haben die große Revolution, die Engländer haben die erste Verfassung, die Amerikaner haben den Unabhängigkeitskrieg und so weiter. Die Deutschen haben dreimal versucht, eine Revolution zu machen und sind gescheitert. Da fehlt das verbindende Element. Also die großen Mythen haben die Deutschen nicht.

Sie haben selbstverständlich nicht nur Gegner, sondern auch zahlreiche Förderer. In den 80er-Jahren gelang Ihnen der internationale Durchbruch. War Ihr Beitrag im Deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig 1980 ausschlaggebend?

Nein, ausschlaggebend war das, was danach kam. Ich war damals eine Art Vorreiter. Anlässlich meiner Ausstellungsreihe in den USA in den 80er-Jahren „Anselm Kiefer“, Art Institute of Chicago, 05. Dezember 1987 – 31. Januar 1988/Philadelphia Museum of Art, 06. März – 01. Mai 1988/Museum of Contemporary Art, Los Angeles, 14. Juni – 11. September 1988/The Museum of Modern Art, New York, 17. Oktober 1988 – 03. Januar 1989. – Chicago, Philadelphia, Los Angeles und MoMA in New York – gab es Kritiken, die waren ungeheuerlich: der beste Maler auf beiden Seiten des Atlantiks und so weiter. Warum das so war, weiß ich nicht. Es war jedenfalls das erste Mal, dass ein Künstler meiner Generation so einen Erfolg hatte. Es folgten unter anderem Einzelausstellungen von Anselm Kiefer in der Neuen Nationalgalerie in Berlin (1991), im Sezon Museum of Art in Tokio (1993), im Museum of Modern Art in São Paulo (1998) sowie im Metropolitan Museum of Art in New York (1998).

War das gesteigerte Interesse an Ihren Werken in Bezug auf die Verkäufe unmittelbar spürbar?

Ja. Ich war ja bei Marian Goodman und Anthony d’Offay, und da gab es dann eine unheimliche Nachfrage.

Die USA haben schon damals ein bisschen anders funktioniert. Wie war die Zusammenarbeit dort mit den Galeristen im Vergleich zu den Erfahrungen, die Sie in Deutschland gemacht hatten?

Ich habe nur eine Galeristin in den USA gehabt, Marian Goodman. Sie hatte damals schon – das war noch nicht so üblich – europäische Künstler in der Galerie.

Zum Beispiel?

Lothar Baumgarten, die Italiener – Giovanni Anselmo, Giuseppe Penone –, Rebecca Horn. Marian Goodman hat damals die europäische Kunst nach Amerika gebracht.

Und dann kam sie drei-, viermal im Jahr nach Deutschland geflogen und hat sich bei Ihnen im Atelier Bilder ausgesucht?

Ja, und wir haben die nächste Ausstellung besprochen.

Von 1981 bis 89 hatten Sie außerdem jährlich Ausstellungen bei Paul Maenz. Wie haben Sie damals in sein Programm gepasst? 1979 zeigte er die Arte Cifra „Arte Cifra – Licht und Honig, Kampf und Dreck“, mit Sandro Chia, Franceso Clemente, Nicolai de Maria, Nino Longobardi, Mimmo Paladino, Ernesto Tatafiore, Galerie Paul Maenz, Köln, 21. Juni – 21. Juli 1979. , 1980 die Mülheimer Freiheit „Mülheimer Freiheit & Interessante Bilder aus Deutschland“, mit Hans Peter Adamski, Ina Barfuss, Peter Bömmels, Werner Büttner, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Georg Herold, Gerard Kever, Gerhard Naschberger, Albert Oehlen, Thomas Wachweger, Galerie Paul Maenz, Köln, 13. November – 20. Dezember 1980. .

Moment, zuerst hatte er die abstrakten Künstler, Daniel Buren, Niele Toroni und so weiter, das war ja ein ganz sauberes Programm. Ordentlich und sauber.

Und wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Ihnen?

Er hat bei mir nachgefragt. Nach der Trennung von Werner 1978 hatte ich ja in Deutschland keinen Galeristen mehr, und Paul Maenz hat sich interessiert gezeigt. Anfangs habe ich mit ihm gut zusammengearbeitet. Zum Beispiel die Ausstellung mit den Flugzeugen hat Spaß gemacht. Als er aber dann die Maler der Mülheimer Freiheit fallen ließ, weil sie auf dem Kunstmarkt nichts mehr einbrachten, habe ich Abstand genommen. Das fand ich nicht gut. Entweder man ist überzeugt oder nicht. Das war keine Prüfung durch den Galeristen, sondern eine Prüfung durch den Markt.

Gab es in dieser Malereibewegung ab Ende der 1970er-Jahre für Sie etwas zu entdecken, etwas was Ihr Interesse wecken konnte?

Grundsätzlich fand ich das nicht so interessant. Es gibt wenige, Walter Dahn zum Beispiel hat einige Sachen gemacht, worüber man diskutieren kann. Aber grundsätzlich war das nichts Neues. Es war ja mehr eine Haltung als eine neue Art der Malerei. Eine Haltung, zu sagen: „Ich kann in die Ecke scheißen, und das ist gut.“ Das ist eine Haltung, die für eine gewisse Zeit funktioniert. Penck hatte das auch. Penck sagte, ich kann eigentlich gar keinen Scheiß machen, alles, was ich da rauslasse, ist toll.

Das hat er gesagt?

Nein, aber so war es. Er hat es nicht so gesagt, aber ich sehe es so. Das Bildermachen ist für mich immer ein Kampf, ein Krieg im Kopf. Kann ich das jetzt veröffentlichen, oder muss ich das zerstören, um es dann später irgendwann wieder auferstehen zu lassen? Für mich ist der wahre Künstler ein Ikonoklast.

Und Sie meinen, bei Penck gibt es diese Zweifel nicht?

Nein. Die Haltung, dass alles, was man macht, gut ist, weil man es gemacht hat, ist eine jugendliche Haltung, eine wunderbare Haltung, aber wie kommt man damit ins Alter? Ich weiß nicht, was Penck heute macht. Ich kenne seine Arbeit, bis er nach Westdeutschland kam. Ich fand es toll. Ich habe Penck verehrt.

Warum?

Diese Strichmännchen, das würde man doch auch gern machen, oder?

Es ist interessant, dass sich Ihre Generation einerseits über Beuys und andererseits über Penck sehr einig ist.

Ich glaube, es gibt unter professionellen Künstlern ganz bestimmte Überzeugungen, es gibt über manches keine Diskussionen mehr, weil es unmöglich ist, das zu diskutieren. Zum Beispiel über Leonardo da Vinci, denke ich mal, wollen wir nicht mehr diskutieren, oder? Unter denen, die den Blick haben, den man braucht, ganz egal, wen ich treffe, ist man einer Meinung.

Bei Gerhard Richter schienen sich anfangs auch alle ziemlich einig zu sein, jedenfalls wollten alle Galeristen mit ihm arbeiten, ob Heiner Friedrich oder Rudolf Zwirner, Michael Werner oder René Block.

Ich fand seine Bilder immer von einer so stupenden handwerklichen Brillanz, dass ich es als solches immer bewundert habe.

Das Handwerk? Dabei sagen Sie doch, das Handwerk spielt in der Malerei eigentlich gar keine Rolle.

Ja, weil ich nicht so gut bin.

Weil Sie nicht so gut sind und weil Sie sagen, die Motivation spielt weniger eine Rolle als die Haltung.

Nein, ich meine, die Motivation kann eine falsche sein und trotzdem das richtige Ergebnis bringen.

Und bei Richter ist die Motivation mit dem Ergebnis kongruent?

Nein, ich nehme an, dass er mit der Motivation ein Problem hat. Also ich nehme es an, ich kenne ihn ja nicht, ich denke, dass er ein Problem hat, ein Thema zu finden. Das sieht man deutlich. Also das Problem: Was soll ich denn jetzt malen?

Sieht man das?

Also ich sehe es.

Und war das damals auch schon so?

Ja, das war immer so. Das war immer ein Problem mit der Motivation, glaube ich. Was aber nichts Schlechtes ist.

Nein. Wir reden ja auch nicht über gut oder schlecht. Darum geht es nicht. Wie war das bei Sigmar Polke?

Polke ist ein Hexenmeister. Polke habe ich immer ganz toll gefunden. Der nimmt ja alles auf den Arm, das ist wunderbar. „Höhere Wesen befahlen“ Sigmar Polke, „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“, 1969. oder die Bambusstangen im Wasserglas – der „Wiederbelebungsversuch“ Sigmar Polke, „Wiederbelebungsversuch an Bambusstangen“, 1967. –, das ist fantastisch. Oder die Kartoffeln Sigmar Polke, „Kartoffelmaschine – Apparat, mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann“, 1969. . Das bleibt einem im Kopf.

Humor spielt bei Polke sicher eine bedeutende Rolle, aber es gibt bei ihm doch auch eine ganz andere Ebene, oder? „Höhere Wesen befahlen“, das ist ja mehr als ein humoriger Kommentar.

Es ist auch ein Ergebnis, ein schönes Bild.

Wenn Sie den Prozess Ihrer Malerei beschreiben, entsteht der Eindruck, als würde mindestens gegen Ende auch ein höheres Wesen befehlen?

Ja sicher, man polemisiert ja nur, wenn es eine Kante gibt. Man polemisiert ja nicht gegenüber etwas Unwichtigem.

Das weiß ich nicht. Von Polke gibt es auch Arbeiten, wie die „Pappologie“ Sigmar Polke, „Pappologie“, 1968–69. – da ist die Kante nicht unbedingt von vornherein da.

Da ist im Hintergrund etwas sehr Ernstes, nämlich dass man mit allem Kunst machen kann. Man kann mit Marmelade, mit Scheiße, mit allem kann man was machen. Ein Künstler kann aus allem etwas formen oder etwas verformen. Das ist der Grund für die „Pappologien“. Es kommt dann ganz ironisch daher. Wenn ich jetzt vor Sie hintrete und sage, ich kann aus jedem Material was ganz Tolles machen, dann klingt das pathetisch. Man muss es auf andere Weise tun. Das ist dann die „Pappologie“.

Natürlich, man versucht ja auch, Bilder dafür zu entwickeln. Da möchte ich noch einmal zu Ihrer Motivation als Künstler kommen: Hat sich das Künstlerbild oder auch die Aufgabe des Künstlers seit den 60er-Jahren verändert?

Nein, überhaupt nicht. Es scheint nur anders zu sein. Aber im Grunde hat es sich nicht verändert. Es sieht jetzt so aus, als wenn die Kunst in die Breite gegangen wäre, auf einmal wollen sehr viele Künstler werden, es gibt sehr viele Ausstellungen, und die Massen strömen in die Museen. Das ist jetzt scheinbar ganz fantastisch. Aber im Grunde hat sich nichts geändert. Tatsächlich gibt es auch heute nur wenige Künstler, und es gibt auch nur wenige, die mit Kunst etwas anfangen können. Es gibt wenige, die das wirklich schätzen. Aber um die Stecknadel im Heuhaufen zu finden, braucht es ein bisschen mehr Arbeit, weil es so viel anderes gibt.

Sie haben einen Anspruch an sich selbst und an die Kunst. Sie scheint bei Ihnen nahezu eine Funktion zu erfüllen.

Der Begriff „Funktion“ ist schwierig. Bei einer Funktion im naturwissenschaftlichen Bereich drückt man einen Knopf, und dann kommt etwas heraus. Eine Funktion ist eine Kurve und die sagt, wie es weitergeht. Da weiß man immer, wie es weitergeht. Das ist bei der Kunst aber nicht so. Ich würde sagen, bei mir ist der Unterschied, dass ich nur male, wenn es nötig ist. Und nötig ist es für mich, wenn ich irgendetwas erlebt habe, was ich bearbeiten muss. Einen Schock. Dann werde ich aktiv. Also ich überlege mir nie, was kann ich jetzt malen. Ich bin nicht so wie dieses Mädchen in dem Film von Godard, Anna Karina, die am Meer entlanggeht: „Qu’est-ce que je peux faire? Je sais pas quoi faire!“ Jean-Luc Godard, „Pierrot le fou“, 1965.

Das heißt, Ihre Kunst entsteht aus einer persönlichen Notwendigkeit heraus?

Das hat mit Realität zu tun. Ich suche die Realität. Weil alles, was mich umgibt, nicht real ist. Sie sind nicht real, diese Kamera ist nicht real, das ist alles nicht real.

Was ist real?

Zum Beispiel ein Gedicht ist real oder ein Musikstück. Das ist Realität für mich. Alles andere ist Illusion. Und ohne die Realität kann ich nicht leben. Ich kann nicht in der Illusion leben.

Wo machen Sie den Unterschied zwischen Illusion und Realität?

Illusion ist etwas, was es nicht gibt. Was mir erscheint, zum Beispiel als Farbe. Dort ist ein rotes Licht, das ist eine Illusion.

Es ist also nicht da.

Doch es ist da, als Illusion.

Auch der Wald ist dann nicht Teil der Realität?

Der Wald? Den Wald gibt es für mich nicht, solange ich den Wald nicht gemacht habe. Der Wald an sich ist für mich keine Realität, bevor er sich nicht in einem Werk konkretisiert hat.

Mit wem teilen Sie diese Auffassung von Realität und Illusion?

Ich teile sie mit Philosophen wie Andrea Emo. Er sagt, dass das Bild nicht Mimesis oder Apparentia wie bei Plato ist, sondern Verweis auf das Abwesende. Dass das Ereignis nichts ist, sondern die Interpretation danach. Er möchte den Bildern das Bewusstsein ihres Nicht-Daseins geben.

Darüber muss ich noch einmal nachdenken. Wir machen weiter: 1989 fand in Köln die Ausstellung „Bilderstreit“ Die Ausstellung „Bilderstreit“ fand vom 08. April bis 28. Juni 1989 in den Rheinhallen in Köln statt. Die Kuratoren Siegfried Gohr und Johannes Gachnang interpretierten das Thema insbesondere als Auseinandersetzung zwischen den Entwicklungen der europäischen und amerikanischen Kunst sowie als Widerstreit zwischen konzeptuellen und malerischen Kunstansätzen. statt, wo Sie Ihre Bilder nicht zeigen wollten.

Beim „Bilderstreit“, das war eine Schweinerei. Da habe ich mich mit Johannes Gachnang zerstritten, leider. Das war eine Zeit lang mein bester Freund. Der „Bilderstreit“ war ja mein Thema. Ausgehend von der zentralen Arbeit „Bilderstreit“ (1977) umfasst die Werkgruppe Anselm Kiefers eine größere Anzahl von Ölbildern, Fotografien und Künstlerbüchern. Das habe ich entwickelt. Die Ausstellungsmacher unter der Regie von Michael Werner wollten allerdings nur einige private Bildchen zeigen, die mit dem Thema gar nichts zu tun hatten, und da habe ich protestiert. Heute wäre mir das egal, da würde ich mich gar nicht einmischen, aber damals fand ich es eine Unverschämtheit.

Michael Werner hatte doch mit Ihnen gar nichts mehr zu tun?

Ja, eben deshalb.

War das von ihm auch ein bisschen rachsüchtig?

Ja, sicher. Als ich die Galerie verließ, drohte er mir damit, dass er nun überall erzählen würde, ich sei ein schlechter Künstler. Das war natürlich kontraproduktiv für ihn selbst. Egal, wie ich einen Künstler persönlich finde oder wie er zu mir steht, ich würde das Werk immer von der Person trennen.

Sie haben damals eine Pressemitteilung verfasst, in der Sie deutlich machten, dass Sie Ihre Bilder zurückziehen wollen. Vgl. Anselm Kiefer, „Anselm Kiefer: Pressemitteilung“, in: „Kunstforum International“, Bd. 101 (1989), S. 408. Da Sie aber nicht der Leihgeber waren, konnten Sie das nicht durchsetzen. Die Kuratoren oder Ausstellungsmacher haben Ihre Werke gegen Ihren Willen ausgestellt und haben damit auch ihre Position oder Macht deutlich gemacht.

In diesem Fall war es nicht so sehr die Macht der Kuratoren, sondern vielmehr die einer einzigen Galerie.

1990/91 hatten Sie Ihre große Retrospektive in der Nationalgalerie in Berlin. „Anselm Kiefer“, Nationalgalerie, Berlin, 10. März – 20. Mai 1991 Im Anschluss setzten Sie mit der Kunst mehr oder weniger drei Jahre lang aus. Haben Sie sich damals eine Pause verordnet?

Nein, ich habe mir gar nichts verordnet. Ich habe damals eine neue Frau gefunden und bin ihr durch die Welt gefolgt, überallhin. Ich bin eigentlich immer den Frauen gefolgt.

Die Unterbrechung war also gar nicht programmatisch?

Ich dachte, es wird Zeit, dass ich überlege, nachdenke, wie ich weitermachen soll. Von Zeit zu Zeit muss man immer mal einhalten und überlegen.

Ausgerechnet, als Sie die ersten großen Erfolge mit Ihrer Kunst hatten, nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland.

Ja, gerade deswegen. Erfolge sind ja gefährlich. Man läuft Gefahr, sich durch die große Akzeptanz zu wiederholen, der Nachfrage stattzugeben. Man gerät dann leicht in eine Schublade.

Und das wollten Sie nicht?

Das war eine Entscheidung, die nicht so rational war. Ich habe mich scheiden lassen, ich habe eine neue Frau gehabt. Und bin zwei, drei Jahre gereist.

1992 sind Sie nach Frankreich gegangen? Haben Sie später leicht wieder Anschluss an den Kunstbetrieb gefunden?

Nein. Ich war nicht im Betrieb. Da war lange Zeit Pause. Ich habe lange eigentlich nicht viel gemacht. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.

Wie haben Sie dann den Einstieg gefunden?

Wenn man eine Zeit lang gearbeitet hat, möchte man das auch mal zeigen.

Und dann wollten es auch alle gleich wieder ausstellen?

Ja, das waren dann so Herausforderungen wie zum Beispiel die Salpêtrière „Anselm Kiefer. Chevirat Ha-Kelim“, Chapelle Saint-Louis de la Salpêtrière, Paris, 21. September – 05. November 2000. und das Grand Palais „Anselm Kiefer. Sternenfall“, Grand Palais, Paris, 30. Mai – 18. Juli 2007. in Paris, das sehr schwierig zu bespielen war, da das Grand Palais so eine immense Eigendynamik hat.

Haben Sie nach dieser Pause etwas Grundsätzliches an Ihrer Arbeitsweise geändert?

Das kann ich nicht beurteilen. Das müssten Sie sagen. Ich kann das nicht sehen. Es war ein Fehler, Deutschland zu verlassen. Ein großer Fehler. Ich habe Deutschland dann in Barjac eigentlich wiederholt.

Wieso war es ein Fehler, Deutschland zu verlassen?

Ich war in Südfrankreich in einer Umgebung, die sehr schön war. Aber ich habe kein einziges Bild gemacht, das auf der dortigen Landschaft beruht, obwohl die Landschaft objektiv eine sehr schöne ist. Bezeichnenderweise habe ich in Barjac angefangen, Tunnel zu graben, als wenn ich den Anschluss an den Odenwald suchte. Aber das, was dort nun entstanden ist, die Türme, die Gebäude mit den Installationen – es sind inzwischen über 50 –, die neu angelegten Straßen, das ist die Frucht dieses „Fehlers“, am Ende gibt es also keinen Fehler.

Machen Sie andere Kunst hier in Croissy als beispielsweise in Ihrem Atelier in Portugal?

Ich bin sowohl in Portugal als auch in Barjac und in Croissy in einer Diaspora.

Waren die Surrealisten damals auch wichtig für Sie?

Ich finde eigentlich das, was wir Realität nennen, schon surreal genug.

Womit wir wieder bei der Illusion wären. Und André Breton?

André Breton und vor allem Raymond Roussel – „Locus Solus“, fantastisch!

Ein ganz anderes Stichwort: Frauen. Hatten Sie zu Künstlerinnen damals Kontakt?

Sie meinen, als ich studiert habe? Ja, ich hatte zwei, drei Kolleginnen. Heute bin ich mit mehreren Künstlerinnen befreundet: Doris Salcedo, Laurie Anderson, von der ich dieses Jahr in New York einen wunderbaren Film gesehen habe, Marina Abramović, Shirin Neshat, Tatiana Trouvé, die Fotografin Barbara Klemm … Ich glaube, ich kenne mehr Künstlerinnen als Künstler.

Auf die Idee, zu sagen, Frauen seien die schlechteren Maler, wäre ich nie gekommen. Und überhaupt: Ich sehe in mir fast genauso viele weibliche Anteile wie männliche. Sehen Sie dieses Foto dort. Da bin ich einmal in New York als Frau gekleidet ausgegangen.

Abschließend würde ich gerne noch mit Ihnen über Ihre Idee sprechen, die DDR als Museum stehen zu lassen.

Schade, dass ich das nicht veröffentlicht habe, oder?

Haben Sie ja. Ich habe es doch gelesen.

Eigentlich wollte ich es in der „Süddeutschen“, im Magazin, veröffentlichen. Ich habe dem Redakteur gesagt, ich habe da einen Text verfasst, und man sollte die DDR als Museum stehen lassen, als das einzige Land, wo es richtigen Kommunismus gibt. Und an der Grenze sollte man Abenteuerurlaube anbieten, mit Stasiverhören.

Ein sehr interessantes Konzept, wie ich finde. Wenn Sie nun davon ausgehen, und so habe ich es verstanden, dass wir uns sowieso an alles erinnern, dass das kulturelle Gedächtnis oder vielleicht auch das evolutionäre von einer gewissen Dauer ist, ist die Musealisierung eines ehemaligen Staates – und dadurch die Erschaffung einer derartigen Erlebniswelt – dann Erinnerungshilfe oder visuelles Pendant?

Es war eine zynische Provokation, allerdings mit einem wahren Hintersinn, denn die blühenden Landschaften findet man bis heute noch nicht überall. Sie sind auch mehr auf die restaurierten Stadtkerne beschränkt. Wenn allerdings der Grund für eine Provokation nur die Provokation selbst ist, mache ich sie nicht. Darum habe ich es damals nicht veröffentlicht.

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Anselm Kiefer