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Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

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Jürgen Harten

Jürgen Harten

Jürgen  Harten

Jürgen Harten

Berlin, 15. November 2016

Franziska Leuthäußer: Sie haben in den 1950er-Jahren in Hamburg unter anderem Kunstgeschichte studiert. Wie sind Sie zu dem Fach gekommen?

Jürgen Harten: Ich hatte einen guten Kunsterzieher in der Schule, der die Nazizeit heil überstanden hatte. Und ich komme aus einer musischen Familie. Daher lag das Musische, besonders die bildende Kunst, nahe. Ich hatte nicht unbedingt vor, Künstler zu werden, obwohl es mich manchmal gereizt hätte. Mein Vater ist im Zweiten Weltkrieg gefallen. Er war Lehrer und ich hatte mir als kleiner Junge vorgenommen, ihn zu ersetzen. Erst habe ich eine Ausbildung am Pädagogischen Institut der Universität in Hamburg als Volks- und Realschullehrer im Fach Kunsterziehung gemacht und habe die Anbindung an die Philosophische Fakultät genutzt, um mich weiter zu orientieren. Heute würde man es „Cultural Studies“ nennen, damals hieß es „Kulturelle Anthropologie“. Dazu gehörten Philosophie, ein Quäntchen Theologie, Psychologie – Fächer, die sowieso Teil der Lehrerausbildung waren – und Kunstgeschichte. Die Lehramtsausbildung verlangte gleichzeitig auch das praktische Studium an der Kunstakademie in Hamburg, wo auch Bazon Brock Bazon Brock (eigtl. Jürgen Johannes Hermann Brock; * 1936 Stolp, Pommern, heute Polen) ist ein Künstler, Kunsttheoretiker und Philosoph. Ab 1957 studierte er Germanistik, Politikwissenschaften und Philosophie in Zürich, Hamburg und Frankfurt am Main. Parallel absolvierte er eine Dramaturgie-Ausbildung am Landestheater Darmstadt bei Claus Bremer und Gustav Rudolf Sellner. Ab 1959 nahm Brock regelmäßig an Fluxus-Aktionen teil, darunter am „Festival der Neuen Kunst“ 1964 in Aachen sowie am „24-Stunden-Happening“ 1965 in der Galerie Parnass in Wuppertal. 1968 initiierte Brock auf der „documenta 4“ in Kassel die erste Besucherschule, die er bis 1992 begleitend zu den documenta-Ausstellungen fortführte. Als Professor lehrte Brock unter anderem an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (1965–1976) und der Bergischen Universität in Wuppertal (1981–2001). 2011 gründete Brock in Berlin-Kreuzberg die „Denkerei“ mit dem „Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand“. war. Dadurch ergaben sich Freundschaften mit Künstlern und ich begann, mir auch Ausstellungen anzusehen. Wir hatten großen Nachholbedarf und nach dem Zweiten Weltkrieg war die sogenannte „moderne Kunst“ eine Öffnung zur Welt.

Können Sie sich an die ersten Kunstwerke erinnern, die Sie gesehen haben?

Als Schüler mochte ich Franz Marc sehr, was aber, glaube ich, generationsbedingt war. Die ersten Ausstellungen, die ich in Hamburg gesehen habe, waren Paul Klee und Jackson Pollock. „Paul Klee“, Kunsthalle Hamburg, 02. Dezember 1956 – 27. Januar 1957; „Jackson Pollock 1919–1956“, Kunstverein in Hamburg, 19. Juli – 21. August 1958. Und natürlich in Kassel die erste documenta Die erste documenta, geleitet von Arnold Bode, fand unter dem Titel „Kunst des XX. Jahrhunderts. Internationale Ausstellung“ vom 16. Juli bis 18. September 1955 im Fridericianum in Kassel statt. Ziel der Ausstellung war es, Deutschland nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs wieder an die internationalen Entwicklungen der Gegenwartskunst anzunähern. Neben Positionen der zeitgenössischen Kunst zeigte die Ausstellung mit Max Beckmann, Wassily Kandinsky, Paul Klee und Henri Matisse insbesondere auch Werke jener wegbereitenden Künstler, die während des Nationalsozialismus verfemt gewesen waren. Mit mehr als 130.000 Besuchern in 100 Tagen erzielte die erste documenta einen unerwarteten Erfolg. .

Sie haben die erste documenta gesehen?

Ja. Ich war von morgens früh – sie öffnete um neun – bis abends gegen acht durchgehend in der Ausstellung. Ich habe kaum etwas gegessen, es war wahnsinnig aufregend.

Was genau war so aufregend?

Heute würde man sagen: Ich war high. Es war unglaublich intensiv. Das waren ja alles Sachen, die man nie gesehen hatte. Ich ging auch mit dem Bewusstsein dorthin, dass diese Kunst in der Nazizeit verboten worden war. Ich hatte mir mit einigen ehemaligen Schulkameraden einen Volkswagen-Bus gemietet und damit sind wir nachts von Hamburg nach Kassel gefahren. Am nächsten Morgen haben wir kurz irgendwo in den Wiesen in Kassel gezeltet und dann ging es zur documenta. Mir geht es heute noch so, dass mich gute Ausstellungen ungeheuer beleben. Aber was das im Einzelnen war? Ich würde das nicht an bestimmten Künstlern festmachen, mit Ausnahme vielleicht von Marc Chagall, bei dem diese jüdische Komponente hinzukam. Es war einfach die Großzügigkeit, die Intensität, die Öffnung, auch eine fast utopische Form von Kommunikation. Wenn Sie nach dem Gefühl fragen, das ich dabei hatte: Es war ein ungeheures Versprechen. Ich sage das jetzt im Bewusstsein der Distanz. Es hat später auch Phasen gegeben, in denen ich diese ewige Wiederholung der Moderne als etwas stetig Aktuelles nicht mehr ertragen konnte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ein Versprechen von wem und an wen?

Ich erinnere mich, dass ich nach Hause kam, ich wohnte noch bei meiner Mutter, und als sie fragte, wie es war, sagte ich: „Ich möchte gerne wissen, was das für Menschen sind, die so etwas organisieren, zusammenstellen und vermitteln.“ Ich wollte herausfinden, was dahintersteckte. Ohne, dass ich wusste, wie stark ich mich später damit identifizieren sollte. Bei der „documenta 4“ bin ich Sekretär gewesen, aber das konnte ich zu der Zeit ja alles noch nicht ahnen.

Das heißt, Sie haben bereits bei der ersten Begegnung mit der documenta in der Organisation und Zusammenstellung der Ausstellung eine Arbeit gesehen, die Sie bewundert haben?

Ja. Schon als Kind habe ich gern Spiele gemacht, bei denen ganze Anlagen gebaut werden mussten. Dazu der Umgang mit diesen beeindruckenden und ebenso geheimnisvollen Exponaten. Diese auszuwählen und mit den Schöpfern dieser Exponate in Kontakt zu treten, interessierte mich.

Wie wichtig waren die Themen beziehungsweise die Konzepte, die hinter diesen Arbeiten standen? Haben Sie das analysiert oder war Ihre Wahrnehmung eher intuitiv.

Das war intuitiv. Man war damals gar nicht gewohnt, nach Konzepten zu fragen.

Hatten Sie dennoch den Anspruch, die Bilder zu verinnerlichen?

Ja, aber nicht in dem Sinne, dass diese Verinnerlichung selbstgenügsam gewesen wäre. Sondern man hat in den Kunstwerken – wenn ich mich etwas pathetisch ausdrücken darf – die Spuren dessen gespürt, was die Künstler erlebt haben. Man konnte das, was auf den Bildern oder Skulpturen dargestellt war, zum Teil dechiffrieren. Für mich ist die künstlerische Botschaft die primäre. Ich glaube nur bedingt an Diskurse. Es gibt heute viele Leute, die von Diskursen ausgehen und die Kunstwerke gewissermaßen als Beweismittel für die Diskurse benutzen. Das galt für mich nie, sondern umgekehrt: Die Diskurse waren Interpretationshilfen für das, was primär von den Kunstwerken ausging. Dazu muss man natürlich die Kunstwerke in ihrer Struktur und Beschaffenheit so genau wie möglich wahrnehmen.

Wenn die Botschaft des Künstlers für Sie an erster Stelle steht, heißt das, Sie haben ein heroisches Bild vom Künstler?

Das mag sein. Aber darauf bin ich damals nicht gekommen. Vielleicht, ja.

Das ist keine Diskursfrage! Es geht mir vielmehr um die Autoritätenfrage in der damaligen Gesellschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten sich viele davon befreien, das begann in der Schule mit den Lehrern und setzte sich mit den Professoren an den Universitäten fort. War der Künstler davon ausgenommen?

Ich muss dazu sagen, dass ich an dem sogenannten „Kunstbetrieb“ überhaupt nicht teilgenommen habe. Ganz abgesehen davon, dass er damals auch noch ganz anders war als heute. Diese Erfahrung bei der ersten documenta war sehr unmittelbar. Sie war nicht durch Referenzen zu irgendetwas geprägt, was sonst stattfand. Ich war etwas später mit einem jungen Künstler befreundet, der auch Dozent an der Hamburger Kunstakademie war. Er hatte ein bisschen diese Haltung, die Sie eben heroisch nannten. Das verkörperte er. Er war noch als Hitlerjunge eingezogen worden, hatte an der Ostfront gekämpft und lebte seine Kriegstraumata bei Atelierfesten mit viel Alkohol aus. Das war, wenn ich das mit etwas Abstand sehe, eigentlich ein Typ, der den Charakter eines einsamen Wolfs hatte. Mit ihm war ich befreundet. Ich habe im Laufe meines Lebens zu meiner eigenen Verwunderung immer wieder ganze andere Künstlerpositionen interessant gefunden.

Ahnten Sie, welche kunsthistorische Bedeutung Jackson Pollock einmal einnehmen würde, als Sie damals seine Ausstellung in Hamburg sahen?

Überhaupt nicht. Das war frischer Wind aus Amerika.

Hat es eine Rolle gespielt, dass Pollock Amerikaner war? War das exotisch? In den 60er- und 70er-Jahren waren ja viele amerikaorientiert.

Nein, das war viel unschuldiger. Ich habe es – wie Sie eben sagten – verinnerlicht und wirken lassen. Damals ahnte ich bereits, dass ich in dem Lehrerberuf auf Dauer nicht bleiben wollte.

Wie lange waren Sie als Lehrer tätig?

Ein paar Jahre. Erst an einer der ersten Ganztagsschulen in Hamburg, die den Vorteil hatte, dass man am Samstag nicht zur Schule musste. Dadurch hatte ich etwas mehr Spielraum. Kurz nachdem ich meinen Beruf angetreten hatte, begann ich, mich mit Kunst auseinanderzusetzen. Meine kleine Nebenbeschäftigung als Kunstkritiker fing mit einem Leserbrief in der „Zeit“ an. Daraufhin rief mich die damalige Feuilleton-Redakteurin Petra Kipphoff an und sagte, sie wolle den Artikel in das normale Feuilleton übernehmen.

Was für ein Leserbrief war das?

Das war eine Stellungnahme zur Auseinandersetzung oder zum Streit zwischen Ernst Wilhelm Nay und Hans Platschek. Ich fand beide Argumente fragwürdig, andererseits ergänzten sie sich in ihrer Fragwürdigkeit. Ich habe natürlich nicht geahnt – höchstens unbewusst –, dass ich damit testete, ob man so etwas publizieren kann. Aber zu meiner Überraschung funktionierte es.

Gab es Vorbilder? War Ihnen die Rolle des Kritikers in der Szene bekannt?

Ja, sicher. Man hat sich mit Freunden, also auch mit den eben schon angesprochenen Malern der Kunstakademie, über solche Möglichkeiten unterhalten. Die jungen Künstler nannten damals alle immer den gleichen Namen: John Anthony Thwaites. John Anthony Thwaites (1909 Kensington, Großbritannien – 1981 Leienkaul) war ein Kunstkritiker und Publizist. 1949 gründete er gemeinsam mit dem Maler Rupprecht Geiger in München die Künstlergruppe ZEN 49. 1955 verlagerte sich sein Lebensmittelpunkt nach Düsseldorf, wo er insbesondere die Künstler der Gruppe 53 sowie die Entwicklung des ZERO-Umfelds begleitete. Seine journalistische Arbeit trug wesentlich zur öffentlichen Wahrnehmung der deutschen Nachkriegskunst bei. Wenn man ihn kennen würde, so die Meinung, habe man die Möglichkeit, sich in diesem Bereich zu entwickeln. Also habe ich Thwaites besucht. Als Lehrer hatte ich ja Schulferien und da bin ich mit meinem Auto – einem französischer Deux Chevaux – durch die Lande getuckert und habe Leute wie Thwaites getroffen. Ich hatte eigentlich vor zu promovieren und betrachtete solche Begegnungen auch als Recherche für mein Dissertationsthema. Dass daraus nichts geworden ist, ist eine andere Geschichte.

Wie sind Sie an diese Leute herangetreten? Konnte man damals einfach anrufen und hinfahren?

Man war natürlich darauf angewiesen, dass man von irgendjemandem die Telefonnummer oder eine Adresse bekam. Dann hat man einen kleinen Brief geschrieben.

Was haben Sie geschrieben? „Ich möchte Sie kennenlernen“?

Ja, natürlich. Ich hatte nicht die Zeit, überall herumzuhängen und zu warten, bis sich bei irgendeiner Vernissage die Gelegenheit ergab, mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Ich bin sehr gezielt vorgegangen.

War die Bedeutung von Kunst in der Gesellschaft damals ein Thema für Sie?

Ja, ich glaube schon.

Was konnte die Kunst in dieser Zeit beitragen? Warum war sie wichtig?

Man traute der Kunst eine kommunikative Wirkung zu, die auch moralische Normen enthielt. Die Verbindung zu dem einzelnen Werk war dann das, was Sie vorhin andeuteten: Glaubwürdigkeit. Es bedurfte eines möglichst vorurteilsfreien Zugangs, um ähnlich vorurteilsfrei Rückschlüsse auf den Zustand der Gesellschaft zu ziehen. Das war das emanzipatorische Potenzial, was vermutet wurde. Das gibt es heute nicht mehr. Schon lange nicht mehr.

Ist es nicht nur einfach sehr unscharf geworden? Würden Sie sagen, dass dieses kommunikative Element, das Sie der Kunst zuschreiben, heute tatsächlich von der Kunst beziehungsweise durch die Künstler nicht mehr transportiert wird? Oder gibt es solche Werke und Künstler vielleicht durchaus noch, nur ist die Trennung zwischen Kunst und Medien vielleicht sehr unscharf geworden?

Man kann das ganz einfach dialektisch beantworten. Wenn man so wie ich eben davon redet, dass es das nicht mehr gibt, dann setzt das voraus, dass man weiß, was es noch hätte geben können. Wenn ich das auf heute übertrage: Es gibt natürlich auch heute noch einzelne ernst zu nehmende Künstlerpositionen. Aber häufig sind es vordergründige Geschichten, worauf sich der investigative Journalismus manchmal viel besser versteht als die Künstler. Es gibt eine Art Zeugenschaft. Ein mit mir heute befreundeter Künstler würde sagen, er will wissen, was überhaupt noch geht. In der Malerei zum Beispiel. Aber was heißt das überhaupt? Ob es noch glaubwürdig ist? Ob das Medium noch trägt? Ob man nicht längst vor der digitalisierten Welt kapitulieren müsste? Ob man nicht längst die Konsequenzen aus dem hätte ziehen müssen, was man Ende der 60er-Jahre „die Dematerialisierung des Kunstwerks“ nannte? Das war praktisch die Auflösung des Werkbegriffs in Richtung Aktion und Konzept.

In den 60er-Jahren wurde die Verbindung von Kunst und Leben von vielen Akteuren propagiert. Veränderte sich schon damals die kommunikative Komponente, von der Sie eben sprachen? Oder woran würden Sie das festmachen?

Es ist gar nicht leicht, so komplexe Fragen einfach zu beantworten. In meiner Düsseldorfer Zeit habe ich aktiv an solchen Diskussionen teilgenommen. In Düsseldorf gab es, so nannte man es schon Anfang der 60er-Jahre, eine „Szene“. Es gab die Düsseldorfer Szene und die Kölner Szene und beide zusammen waren die rheinische Szene. Sie zeichnete sich dadurch aus, dass es ganz verschiedene Einzelpositionen gab, die sich eigentlich gegenseitig ausschlossen und sich gleichzeitig tolerierten. Georg Jappe, ein Kritiker aus Köln, hat damals diesen schönen Begriff der „Republik der Einzelgänger“ Georg Jappe, „Die Republik der Einzelgänger, Düsseldorf, Zentrum der Künstler“, in: „Kunstjahrbuch I“, hg. von Jürgen Harten/Manfred de la Motte/Karl Ruhrberg/Wieland Schmied, Hannover 1970, S. 22–27. geprägt. Das ist kein ganz einfaches Problem, weil es eigentlich ein wirksamer Pluralismus ist.

Mit einem gewissen zeitlichen Abstand versuchen die Kunsthistoriker zu gruppieren, um zu klassifizieren. Bewegungen wie ZERO, die Schüler von Joseph Beuys, die Künstler Richter, Polke, Lueg oder das Programm der Galerie Michael Werner mit Baselitz, Lüpertz, Immendorff, Penck werden im Rückblick gerne zusammengefasst betrachtet. Dadurch entsteht der Eindruck, dass viele damals in einer Art Gruppe organisiert waren. Und dass der Einzelgänger es schon allein dadurch sehr viel schwerer hatte. Stimmt das mit Ihrer Beobachtung überein?

Das Einzelgängertum war nicht absolut gemeint. Die Leute haben nebeneinander an eigenen Entwürfen gearbeitet, die wenig miteinander zu tun hatten. Und jeder, der sich ernsthaft mit seiner Arbeit beschäftigte, musste konzedieren, dass jemand anderes sich ebenso ernsthaft mit seiner Arbeit beschäftigte. Ohne dass man notwendigerweise verstand, was der eine oder der andere wirklich wollte.

Bevor Sie nach Düsseldorf gingen, waren Sie unter Arnold Bode Sekretär der „documenta 4“. Wie sind Sie dazu gekommen?

Mir hat jemand den Tipp gegeben, dass man in Kassel einen documenta-Sekretär sucht. Eigentlich hatten sie schon jemanden, nämlich Peter Iden Peter Iden (* 1938 Meseritz, Posen, heute Polen) ist ein deutscher Kunst- und Theaterkritiker. Nach dem Studium der Philosophie, Geschichte und Theaterwissenschaften war er als Redakteur für die „Frankfurter Rundschau“ tätig. Von 1993 bis 2000 leitete er das Feuilleton der Zeitung. 1966 gehörte Iden zu den Mitbegründern des internationalen Theaterfestivals Experimenta in Frankfurt am Main, das er 1972 als Teil des Organisationskomitees in die „documenta 5“ einbrachte. Zwischen 1978 und 1987 leitete Iden als Gründungsdirektor den Aufbau des Museums für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt am Main. Er setzte sich besonders für den Erwerb eines Teilkonvoluts der Sammlung Ströher ein, was im Jahr 1981 gelang; dieses Konvolut bildet bis heute den Grundstock der Sammlung des MMK. Iden war von 1982 bis 2006 Professor an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. . Er hat jedoch – so wurde es mir damals erzählt – nach einigen Wochen aufgegeben. Leute, die wussten, wie das in Kassel läuft, hatten mich gewarnt: Es könnte sein, dass man scheitert. Das geht auf Leben und Tod. Ich habe es aber natürlich sofort als Chance begriffen, endlich das zu tun, was ich eigentlich wollte. Man musste sich in Kassel bei Freiherrn von Buttlar Herbert von Buttlar (1912 Stendal – 1976 Arlesheim, Schweiz) war ein Archäologe und 1955 Generalsekretär der ersten documenta. Von 1964 bis 1972 war er Direktor der Hochschule für bildende Künste Hamburg. und natürlich auch bei Arnold Bode Arnold Bode (1900 Kassel – 1977 Kassel) war ein deutscher Künstler und Ausstellungsmacher. 1936 belegte ihn das nationalsozialistische Regime mit Berufsverbot und stufte seine künstlerische Arbeit als „entartet“ ein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beteiligte sich Bode maßgeblich am Wiederaufbau der Kunstakademie in Kassel und gründete die Gesellschaft Abendländische Kunst des XX. Jahrhunderts e. V., aus der 1955 die erste documenta hervorging. Bei der „documenta 2“ (1959) und der „documenta 3“ (1964) war Bode als künstlerischer Leiter tätig. vorstellen. Das habe ich gemacht, und kurz darauf rief der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, in dem Fall auch der Oberbürgermeister von Kassel, den Hamburger Bürgermeister an und bat ihn, den Lehrer vom Schuldienst freizustellen. So kam ich zur documenta.

Wie lief das Vorstellungsgespräch? Wurden Sie gefragt, was Sie kannten, was Sie gesehen hatten oder mussten Sie irgendetwas präsentieren?

Überhaupt nicht, nein. Sie suchten jemanden, der das Büro aufbaute. Es gab damals noch den documenta-Rat. Es musste also jemand die Kontakte zu den Ratsmitgliedern haben, die Einladungen zu den Sitzungen der verschiedenen Ausschüsse vorbereiten, die Protokolle schreiben und die Beschlüsse in die Tat umsetzen. Das heißt, im Auftrag der Geschäftsführung mit Versicherern und Transportfirmen verhandeln. Das war eine ganz praktische Geschichte. Da ich gelegentlich auch als Kritiker in Erscheinung getreten war, durfte ich ein bisschen mitdiskutieren, aber nicht mitabstimmen. Es gab eine klare Aufgabentrennung, das war eine ganz andere Situation als heute. Der Erste, der das Prinzip des letztlich hauptverantwortlichen Kurators installiert hat, war Harald Szeemann Harald Szeemann (1933 Bern – 2005 Tegna im Tessin, Schweiz) war von 1961 bis 1969 als Direktor an der Kunsthalle Bern tätig. Dort zeigte er 1969 die wegweisende Ausstellung „Live in Your Head. When Attitudes Become Form“. Szeemann leitete 1972 die „documenta 5“ und organisierte die Ausstellung „Junggesellenmaschinen“, die ab 1975 an neun Ausstellungsorten in Europa, darunter in der Kunsthalle Bern, der Kunsthalle Düsseldorf, der Kunsthalle Malmö und im Stedelijk Museum Amsterdam, zu sehen war. 1983 folgte die Ausstellung „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“, die für das Kunsthaus Zürich konzipiert war und anschließend nach Wien, Düsseldorf und Berlin reiste. 1999 und 2001 kuratierte Szeemann die Themenausstellungen der Biennale von Venedig. Mit seinen innovativen Ausstellungsformaten zählt er zu den wichtigsten Vermittlern der Kunst seiner Zeit. .

Die documenta war 1968. Sie lebten damals in Hamburg. Wie haben Sie sich in dieser Zeit in der Kunstszene informiert und orientiert? Hatten Sie zum Beispiel Kontakte zur rheinischen Szene?

Ein bisschen. Unter dem Vorbehalt, dass ich nicht als Vermittler, sondern als Organisator aufgetreten bin. Ich lebte und wohnte in Hamburg und fuhr an den Wochenenden in der Regel nach Hause. In der Woche hatte ich ein Zimmer in Kassel, das mir die documenta ebenso wie ein Auto zur Verfügung gestellt hatte. Ich bin in der Zeit viel mit Jean Leering Jean Leering (1934 Amsterdam – 2005 Eindhoven) war von 1964 bis 1973 Direktor des Stedelijk Van Abbemuseum in Eindhoven sowie von 1973 bis 1975 Direktor des Tropenmuseum in Amsterdam. Er hatte ein besonderes Interesse an der zeitgenössischen amerikanischen Kunst sowie an einzelnen deutschen Positionen. Unter seiner Leitung fanden im Stedelijk Van Abbemuseum unter anderem Einzelschauen folgender Künstler statt: Christo (1966), Bernd und Hilla Becher (1968), Joseph Beuys (1968), Donald Judd (1970), Andy Warhol (1970), Bruce Nauman (1972) und Franz Erhard Walther (1972). Leering war von 1966 bis 1968 Mitglied des documenta-Rats. unterwegs gewesen. Leering war genau in meinem Alter. Damals war er Direktor des Van Abbemuseum in Eindhoven, etwas später wurde er Direktor des Tropenmuseum in Amsterdam. Er hat mich in Kassel mit dem Auto abgeholt und mit nach Eindhoven genommen, unterwegs haben wir sehr viel geredet. Ich war auch mit Max Imdahl Max Imdahl (1925 Aachen – 1988 Bochum) war ein deutscher Kunsthistoriker, der von 1965 bis 1988 als Professor für Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum lehrte. Er setzte sich insbesondere für Analysemethoden ein, die den individuellen Charakter des Kunstwerks berücksichtigten. Er ist der Vater des Kunsthistorikers Georg Imdahl (* 1961). bekannt, der mit Jean Leering zu den wichtigsten Gesprächspartnern zählte, und ich habe Albert Schulze Vellinghausen Albert Schulze Vellinghausen (1905 Bochum – 1967 Bochum) war ein deutscher Übersetzer, Sammler und Kunstkritiker, der zu den wichtigsten Förderern der Nachkriegskunst im Rheinland zählt. Er begleitete als Sammler zahlreiche junge Kunstströmungen, darunter die Gruppen junger westen und CoBrA wie auch die Künstler aus dem ZERO-Umfeld. Als Kritiker veröffentlichte er regelmäßig Beiträge über zeitgenössische Kunst in den Zeitungen „Die Tat“, „Der Kurier“ und „Der Mittag“. Ab 1953 war Schulze Vellinghausen als ständiger Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ für die Berichterstattung über das kulturelle Leben in Nordrhein-Westfalen zuständig. Seine Tätigkeit als Autor trug wesentlich zur öffentlichen Wahrnehmung des Ruhrgebiets als kultureller Produktionsstätte bei. noch kennengelernt, kurz bevor er starb. Außerdem gab es mit Arnold Rüdlinger Arnold Rüdlinger (1919 Ganterschwil, Schweiz – 1967 Basel) leitete von 1946 bis 1955 die Kunsthalle Bern. Anschließend war er bis 1967 als Konservator an der Kunsthalle Basel tätig. Rüdlinger gilt als Vermittler des Abstrakten Expressionismus sowie der amerikanischen Hard-Edge-Malerei in Europa. eine Begegnung in der Kunsthalle Basel. Rüdlinger war Bahnbrecher für die Farbfeldmaler in Europa. Grundsätzlich fühlte ich mich aber nicht bemüßigt, an allen möglichen Veranstaltungen teilzunehmen, bei denen ich gar nicht einschätzen konnte, ob sie wichtig sind oder nicht.

Wenn wir über Gruppierungen sprechen, müssen wir aufpassen, dass wir nicht dem unterliegen, was die Künstler zur Selbstdarstellung in die Welt gesetzt haben. Die Cleversten, was das Marketing angeht, waren die ZERO-Leute. Düsseldorf war eine Stadt, in der man viel mit Werbeleuten zu tun hatte. Einige Werbeleute waren auch selber Künstler, wie Karl Gerstner oder Michael Schirner. Was Künstler machten, war in gewisser Weise zwar bewusst strategisch, aber gleichzeitig, wenn man das mit den Marketingstrategien heute vergleicht, auch ziemlich naiv. ZERO war eine Kampagne in einem einzigen Wort: ZERO. Da konnte man unheimlich viel unterbringen. Bei anderen ergab es sich einfach so, das waren zeitlich begrenzte Künstlerfreundschaften. In Düsseldorf schlossen sich Studenten aus der Klasse von Karl Otto Götz K.O. Götz (eigtl. Karl Otto Götz; 1914 Aachen – 2017 Niederbreitbach) zählt zu den Hauptvertretern des deutschen Informel. Ab 1952 gehörte er gemeinsam mit Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze zur Gruppe Quadriga, zu der sich die deutschen informellen Maler zusammengeschlossen hatten. Er nahm an der „documenta 2“ (1959) sowie den Biennalen von Venedig in den Jahren 1958 und 1968 teil. Von 1959 bis 1979 war Götz Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Unter anderen gehörten auch Sigmar Polke, Gerhard Richter und Franz Erhard Walther zu seinen Schülern. zusammen. Dann gab es natürlich die Beuys-Clique, die aber keineswegs alle das verfolgten, was Beuys mit seiner stark von der Anthroposophie geprägten Weltanschauung vertrat. Sie waren Beuys eher dadurch nahe, dass sie sich als sehr radikal verstanden. Im Ratinger Hof – der in dieser Zeit berühmt war – gab es unentwegt Diskussionen, manchmal auch Schlägereien zwischen den Gruppierungen. Da ging es heftig zur Sache. Gleichzeitig gab es aber auch Privateinladungen bei Sammlern, wo alle friedlich nebeneinandersaßen. Auch Beuys. Er hatte übrigens einen unglaublichen Sinn dafür, im richtigen Moment an der richtigen Stelle präsent zu sein.

Können Sie ein Beispiel geben?

Beispielsweise bei den „betweens“. Jürgen Harten war ab 1969 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf. Im Zeitraum von 1969 bis 1982 fanden dort insgesamt neun Veranstaltungen der „between“-Reihe statt. Siehe auch: Renate Buschmann, „Chronik einer Nicht-Ausstellung. between 1969–73 in der Kunsthalle Düsseldorf“, Berlin 2006. Ich muss kurz erläutern, was es damit auf sich hatte. Die Reihe ist entstanden, nachdem in der Kunsthalle Düsseldorf ein Go-in von Kunststudenten – damals nannte man das so – stattgefunden hatte. Die Gruppe nannte sich „PSR“, Politisch Soziale Realität, und wollte die Eröffnung der „Minimal Art“-Ausstellung blockieren. Es war die erste Ausstellung, die ich in Düsseldorf zu betreuen hatte. „Minimal Art“, Gemeentemuseum Den Haag/Städtische Kunsthalle Düsseldorf/Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 17. Januar – 23. Februar 1969. Karl Ruhrberg Karl Ruhrberg (1924 Elberfeld – 2006 Oberstdorf) war Gründungsdirektor der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf, die er von 1965 bis 1972 leitete. Dort organisierte er unter anderem frühe Überblicksausstellungen zum Werk von Bernd und Hilla Becher (1969) und Claes Oldenburg (1971). Zusammen mit Wieland Schmied sollte er die künstlerische Leitung der „documenta 6“ übernehmen, beide Ausstellungsmacher traten jedoch 1974 nach anhaltenden konzeptionellen Konflikten von ihrem Amt zurück. 1978 bis 1984 war Ruhrberg Direktor des Museums Ludwig in Köln. Nach seinem Rücktritt war er für die Stadt Köln beratend tätig. hatte Albert Mangelsdorff, einen berühmten Jazzmusiker, eingeladen, der aber nicht spielen konnte, weil die Studenten so einen Krach machten. Dann kam es zu einer Auseinandersetzung um das Mikrofon. Die Gruppe trat mit 68er-Parolen auf, vertrat basisdemokratische Prinzipien und forderte, die Kunsthalle in ein selbstverwaltetes Kommunikationszentrum umzufunktionieren. Ruhrberg reagierte als Leiter des Hauses und warf ihnen vor, von Demokratie offensichtlich keine Ahnung zu haben, denn sie würden sich totalitär und autoritär verhalten, indem sie das Publikum hinderten, an der Eröffnung teilzunehmen. Daraufhin verlangten die Kunststudenten eine Diskussion über Kunst und Demokratie, die Ruhrberg zusagte. Ich habe dann noch Bazon Brock dazugeladen, den ich von der vierten documenta her kannte. Außerdem nahmen neben Ruhrberg noch Johannes Cladders Johannes Cladders (1924 Krefeld – 2009 Krefeld) war ein Künstler und Kurator und leitete von 1967 bis 1985 die Städtischen Kunstmuseen in Mönchengladbach. Für die „documenta 5“ (1972) arbeitete er im Team von Harald Szeemann. Cladders gilt als wichtiger Vermittler des künstlerischen Werks von Joseph Beuys, Robert Filliou und Jannis Kounellis. und natürlich diese PSR-Leute teil. Ganz unabhängig davon hatten die jungen Künstlerinnen und Künstler den Wunsch, in der Kunsthalle auszustellen. Jeder wollte in der Kunsthalle ausstellen. Ein Engländer, Tony Morgan, Tony Morgan (1938 Pickwell, Großbritannien – 2004 Genf) arbeitete im Bereich der konzeptuellen Fotografie und des frühen Experimentalfilms. Er war unter anderem 1969 in der Ausstellung „intermedia“ in Heidelberg und 1971 bei „Prospect 71“ in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf vertreten. fing damals an, politische Phrasen zu dreschen, woraufhin ich ihm sagte, seine Proteste würden mich nur überzeugen, wenn er dazu künstlerische Mittel verwendete. Ich hatte zu der Zeit keine Vollmacht, irgendwelche Programme zu entwickeln, hatte aber die Idee, die Umbauzeiten zwischen zwei Ausstellungen von ein, zwei Tagen zu nutzen, um Künstler einzuladen, die etwas zur Diskussion stellen wollten – ohne die üblichen Eröffnungsrituale, bei freiem Eintritt und ohne besondere Ankündigung. So kam der Titel „between“ – „zwischen“ den Ausstellungen – zustande.

Später habe ich erfahren, dass Ruhrberg hinter meinem Rücken Beuys gefragt hatte, ob er Künstler kenne, die für so etwas infrage kämen. Da hat Beuys angeblich Immendorff und Anatol vorgeschlagen. Ich glaube, Ruhrberg wollte damals vermeiden, dass die Polemik, die in der Kunstakademie herrschte, unmittelbar in die Kunsthalle getragen wird, und deswegen kam Jörg Immendorff nicht gleich zum Zuge. Aber Anatol war bereits bei dem ersten „between“ „between 1“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 27. Februar – 02. März 1969. In der Ausstellung wurden Arbeiten von Anatol Herzfeld, Gotthard Graubner und Tony Morgan sowie Filme von Lutz Mommartz und Adolf Winkelmann gezeigt. dabei. Die Veranstaltungen waren in der Szene sehr schnell bekannt und begehrt. Da musste ich wieder aufpassen, dass die Erwartung der Künstler, die auf ihre Karriere fokussiert waren, nicht zum Problem wurde, so legitim das für die Künstler auch sein mochte. Für mich als Vermittler kam es darauf an, etwas zu machen, was nicht festzulegen war. Entsprechend habe ich die Fragestellung, die sich damals aus der Entwicklung der Kunst, aber auch aus dem politischen Diskurs ergab, immer wieder geändert, sodass niemand genau wusste, was stattfand. Es wurde auch nicht weit im Voraus geplant. Wann und ob überhaupt ein nächstes „between“ stattfinden würde, blieb offen. Berühmt geworden ist „between 4“ „between 4“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 14./15. Februar 1970. An der Ausstellung beteiligt waren Rosemarie Castoro, Paul Cotton, Peter M. Dürr, Gilbert & George, Tony Morgan, Johannes Stüttgen, Timm Ulrichs und Renate Weh. Außerdem wurden Filme von Tony Morgan, Sigmar Polke/Christof Kohlhöfer und Paul Sharits gezeigt. .

Zur Szene gehörten natürlich auch die Kunsthändler. Eine besondere Rolle hatte Konrad Lueg Konrad Fischer (1939 Düsseldorf – 1996 Düsseldorf) war ein deutscher Künstler und Galerist. In seiner 1967 in der Düsseldorfer Altstadt eröffneten Galerie stellte er frühe Vertreter der Minimal Art und der Konzeptkunst vor, darunter Carl Andre, Hanne Darboven, Bruce Nauman und Lawrence Weiner. Als „Konrad Lueg“ war Fischer vor Gründung seiner Galerie als Künstler tätig und stellte mehrfach unter anderen mit Gerhard Richter aus. Die bekannteste künstlerische Aktion, an der Lueg beteiligt war, fand im Oktober 1963 im Düsseldorfer Möbelhaus Berges unter dem Titel „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“ statt. beziehungsweise Fischer, der selbst Künstler gewesen war, bevor er Kunsthändler wurde. Er behandelte die Künstler wie Kollegen und konnte sich sehr gut auf sie einstellen. Und er hatte gute Kontakte ins Ausland. Hinzu kam damals die Entwicklung der Kunstmärkte: 1967 war der erste Kölner Kunstmarkt, 1968 „Prospect“ „Prospect 68. Internationale Vorschau auf die Kunst in den Galerien der Avantgarde“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 19.–29. September 1968. in Düsseldorf. Was der Kölner Kunstmarkt zwar gewollt hatte, aber am Anfang nicht geleistet hat, war eine internationale Beteiligung. Düsseldorf dagegen hat von vornherein auf internationale Beteiligung gesetzt. Dass Düsseldorf international stärker wahrgenommen wurde als Köln, glaube ich allerdings nicht. In Düsseldorf war Schmela, Alfred Schmela (1918 Dinslaken – 1980 Düsseldorf) eröffnete 1957 in der Hunsrückenstraße 16–18 in Düsseldorf eine Galerie. Sein Programm umfasste wesentliche Positionen der deutschen Nachkriegskunst, darunter Joseph Beuys, Gerhard Richter, Jean Tinguely sowie Künstler aus dem Umfeld der ZERO-Bewegung. ein rheinisches Original, der selbst kein Naturell für internationale Diplomatie hatte, sich aber auf Empfehlungen von Künstlern verließ. Seine Galerie eröffnete er mit einer Ausstellung von Yves Klein. Gleichzeitig war das gewissermaßen die Geburtsstunde von ZERO. Alles fand simultan statt. Damals war Pierre Restany öfter in Düsseldorf und Peter Brüning Peter Brüning (1929 Düsseldorf – 1970 Ratingen) zählt zu den zentralen Vertretern des deutschen Informel. 1953 trat er der Gruppe 53 bei, zu der unter anderen auch Karl Fred Dahmen, Gerhard Hoehme, Horst Egon Kalinowski und Winfred Gaul gehörten. Von 1969 bis zu seinem Tod unterrichtete er als Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf. hatte engen Kontakt nach Paris. Bei Jean-Pierre Wilhelm Der Kunstkritiker Jean-Pierre Wilhelm (eigtl. Kurt Wilhelm; 1912 Düsseldorf – 1968 Düsseldorf) leitete von 1957 bis 1960 gemeinsam mit Manfred de la Motte (1935–2005) in Düsseldorf die Galerie 22. , der zwar kein richtiger Galerist war, aber Ausstellungen wie ein Galerist machte, ging es auch international zu, vom französischen Informel bis John Cage. Das war alles noch vor meiner Zeit, aber es war in der Szene präsent. Düsseldorf war keine lokalpatriotische Veranstaltung. Damals hat man auch in New York wahrgenommen, dass es so etwas wie eine Düsseldorfer Szene gibt. Deswegen war für mich selbstverständlich, dass ich bei den „betweens“ zu den Düsseldorfern und in Verbindung mit ihnen auch immer externe Künstlerinnen und Künstler hinzugenommen habe. Konrad Fischer hat seine Galerie in Düsseldorf mit Carl Andre eröffnet. Carl Andre hatte eher Ausstellungen in Deutschland als in Amerika.

Waren Sie mit der rheinländischen Kunstszene auch schon während Ihrer Hamburger Zeit vertraut?

Dass es die Akademie gab und wer da lehrte, wusste ich natürlich, aber ich habe mich nicht damit auseinandergesetzt. Ich bin durch Empfehlungen von Peter Brüning und Werner Schmalenbach Werner Schmalenbach (1920 Göttingen – 2010 Düsseldorf) leitete von 1955 bis 1962 die Kestnergesellschaft in Hannover und war von 1962 bis 1990 Direktor der neu gegründeten Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Er wirkte außerdem an zahlreichen internationalen Großausstellungen mit, darunter als Kommissar an der Biennale von Venedig (1960) und an den Biennalen in São Paulo (1961, 1963, 1965). 1959 und 1964 war er im Arbeitsausschuss der documenta. nach Düsseldorf gekommen. Da galt für mich das Gleiche, was für die documenta auch gegolten hatte: Erst einmal die Augen aufmachen, hingucken und abwarten, was dort passiert. Ich wollte mich nie selbst verwirklichen, indem ich meine eigenen ästhetischen, moralischen Prinzipien in Form von Gruppierungen propagierte.

Sie haben ZERO eben als öffentlichkeitswirksame Gruppe beschrieben. War das damals die allgemeine Meinung über ZERO?

ZERO war für mich Creamcheese Das Creamcheese war eine Bar, die 1967 von Hans-Joachim Reinert und Bim Reinert in der Düsseldorfer Neubrückstraße 12 eröffnet wurde. An der Ausgestaltung der Räumlichkeiten waren mehrere Künstler beteiligt, darunter Ferdinand Kriwet, Heinz Mack und Günther Uecker. Neben Theateraufführungen und Performances fanden im Creamcheese auch Konzerte statt, unter anderem traten Deep Purple, Genesis und Pink Floyd auf. Aufgrund anstehender Sanierungsarbeiten wurde das Creamcheese 1976 geschlossen. Siehe auch: Alexander Simmeth, „Krautrock transnational. Die Neuerfindung der Popmusik in der BRD, 1968–1978“, Bielefeld 2016, S. 113 ff. . Ich hatte gar keine Zeit, mich damit wirklich auseinanderzusetzen. Das war ja alles vor meiner Zeit passiert. Aber es gehörte zu den Geschichten, die man mantramäßig wiederholen musste, wenn man in Düsseldorf Einlass suchte.

Was meinen Sie mit „was man wiederholen musste“?

Es ging um Anerkennung und Wertschätzung. Und dazu gehörten in Düsseldorf unter anderem ZERO und Schmela. Und auch Jean-Pierre Wilhelm, den ich zum Beispiel nie kennengelernt habe.

Wann haben Sie Joseph Beuys das erste Mal getroffen?

1968 auf der „documenta 4“ in Kassel.

Am Eröffnungstag haben Studenten den Raum von Beuys besetzt. Angeblich sind Sie dazugerufen worden, um den Raum zu räumen, stimmt das?

Nein, das ist nicht richtig. Was bei der Eröffnung stattfand, habe ich nur partiell mitbekommen. Es war das reinste Chaos. Die Ausstellung war noch nicht fertig, was zum Teil daran lag, dass das Gebäude, die sogenannte „Neue Galerie“ an der Schönen Aussicht, die während des Kriegs beschädigt worden war, renoviert wurde. Sie wurde Stein für Stein abgetragen und neu zusammengesetzt. Das Dach war noch nicht drauf, als die ersten Kunstwerke kamen. Dann gab es ein Gewitter und es regnete durch, sodass unten das Wasser drinstand. Was im Fridericianum stattfand, habe ich nicht mitgekriegt, weil ich Tag und Nacht – ich hatte in den zurückliegenden 14 Tagen kaum geschlafen – dafür sorgen musste, dass wir in Kassel nicht alle verrückt wurden. Es hatte im Vorfeld Sitzungen des Arbeitsausschusses der documenta gegeben, in denen beraten wurde, wie man sich zu den gesellschaftlichen Vorgängen der 68er-Bewegung und deren Folgen verhält. Man wusste von Paris, man wusste, dass die Triennale in Mailand geschlossen worden war und dass in Venedig zur Biennale nur Teile eröffnet worden waren. Am 03. Mai 1968 besetzten Studenten in Paris mehrere Räume der Universität Sorbonne, um für Reformen in der Bildungs- und Sozialpolitik zu protestieren. Nach der Räumung des Universitätsgebäudes durch die Polizei kam es in den folgenden Wochen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, an denen sich zunehmend auch die Arbeiterbewegung beteiligte. Parallel zu den Ereignissen in Paris besetzten italienische Künstler und Studenten während der Eröffnungsveranstaltung am 30. Mai 1968 die Ausstellungsräume der Triennale in Mailand. Aufgrund verschiedener Protestaktionen blieben in dem Jahr auch Teile der Biennale von Venedig geschlossen. Siehe auch: „Triennale – Sturm auf die Vitrinen“, in: „Der Spiegel“, Nr. 24, 10.06.1968, S. 122. Man überlegte, wie man damit in Kassel umgehen sollte, denn auch dort war natürlich Protest angekündigt. Es war eine Mischung aus Protest von Künstlern, die nicht vertreten waren, und solchen, die das ganze etablierte Kulturgehabe nicht wollten, etwa Wolf Vostell oder Jörg Immendorff. Die „documenta 4“ fand vom 27. Juni bis 06. Oktober 1968 unter der künstlerischen Leitung Arnold Bodes in Kassel statt. Das Hauptaugenmerk der Ausstellung lag auf Pop-Art, Farbfeldmalerei und Minimal Art und damit auf den jüngsten Entwicklungen der amerikanischen Kunst. Dies nicht zuletzt zum Ärger der deutschen Aktions- und Fluxus-Künstler, die nicht vertreten waren: Mit Blindenbinden, Transparenten und Flugblättern stürmten Jörg Immendorff, Chris Reinecke, Werner Schreib und Wolf Vostell das Auditorium des Kasseler Rathauses und unterbrachen die Presseveranstaltung der Eröffnung durch ein Protest-Happening unter dem Titel „Ich mache die documenta frei“. Die Aktion richtete sich gegen das Auswahlverfahren des documenta-Rats sowie das allgemeine Konzept der Ausstellung, das aus Sicht der Protestierenden wesentliche Entwicklungen der zeitgenössischen Kunst vernachlässigte. Vgl. Petra Kissling-Koch, „Bildende Kunst um 1968 – eine ‚Kulturrevolution‘ und ihr künstlerisches Umfeld. Joseph Beuys und Andy Warhol auf der documenta 4 in Kassel“, in: Tobias Schaffrik/Sebastian Wienges (Hg.), „68er Spätlese – was bleibt von 1968?“, Berlin 2008, S. 98–108, hier S. 100 f. Beuys war – wenn man so will – eine Ausnahmeerscheinung, er trat nicht direkt als Agitator auf.

Er war ja auch offiziell eingeladen und vertreten.

Es gab andere Künstler, die nicht mehr teilnehmen wollten und verlangten, dass ihre Arbeiten aus der Ausstellung entfernt wurden. Arman zum Beispiel. Und ungefähr ein Dutzend weitere. Die meisten, auch Arman, revidierten aber ihre Haltung und nahmen doch noch teil.

War das teilweise auch eine Protesthaltung gegenüber den USA?

Ja. Die politische Großwetterlage war, dass man den amerikanischen Imperialismus kritisierte und eine Art kulturrevolutionäre Attitüde vor sich hertrug. Die politische Komponente wurde vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) vertreten. Welche internationalen Verbindungen es im Bereich der Opposition gegeben hat, kann ich nicht beurteilen, ich hatte nur mit den Leuten vor Ort zu tun. Einer der aktivsten Protestler war Dieter Ruckhaberle Dieter Ruckhaberle (1938 Stuttgart – 2018 Berlin) studierte Malerei und Grafik an der Stuttgarter Kunstakademie und an der Hochschule der Künste Berlin. Zu seinem kulturpolitischen Engagement zählen 1963 die Gründung der Freien Galerie in der Berliner Kurfürstenstraße, die Mitbegründung des Kultur- und Bildungswerks des BBK Berlin sowie der neuen Gesellschaft für bildende Kunst und sein Einsatz zur Rettung des Berliner Martin-Gropius-Baus. Von 1977 bis 1993 war Ruckhaberle Direktor der Staatlichen Kunsthalle Berlin. Parallel zur offiziellen Ausstellung organisierte er während der „documenta 4“ eine „Anti-documenta“ in der Stadthalle in Kassel. . Er war selbst Maler, leitete die Berliner Kunsthalle und stand dem SDS nahe, obwohl er Mitglied der Freien Demokratischen Partei Berlins war. Ein charmanter, witziger Typ, mit dem ich ganz gut Fingerhakeln konnte. Bei der Pressekonferenz wurde von Buttlar dann angegriffen. Ich glaube, es war Wolf Vostell, der mit Pfennigen um sich geworfen und ihn mit Honig eingeschmiert hat. Im Einzelnen habe ich das nicht mitbekommen. In dem Arbeitsausschuss hatte man beschlossen: Wir lassen alles passieren. Wenn man mit Verboten und Kontrollen anfängt, steigert man den Konflikt nur. Von Buttlar hatte dann die Idee – die er dem documenta-Rat vorenthielt –, zwei junge Künstler einzuladen und ein demonstratives Monument zu bauen: ein kinetisches Gebilde, einen großen Würfel aus Metallteilen, mit verschiedenen Lampen besetzt, die blinkten. Die Arbeit war von Klaus Geldmacher und seinem Freund Francesco Mariotti Klaus Geldmacher/Francesco Mariotti, „Projekt Geldmacher – Mariotti“, 1968. und wurde in der Aue vor der Orangerie eingerichtet. Es funktionierte, es zog die Leute an. Natürlich gab es im documenta-Rat aufgrund des Alleingangs von Buttlar Krach, aber die Hauptsache war, dass man unbeschadet durch die Eröffnungstage kam. Und es sind eigentlich auch keine Kunstwerke beschädigt worden.

Johannes Stüttgen beschreibt im „Ganzen Riemen“, dass er am Eröffnungsabend durch die Ausstellung gegangen sei und im Raum von Beuys Studenten traf, denen Beuys anbot: „Wir können gerne diskutieren, aber nicht hier, sondern auf der Treppe.“ Johannes Stüttgen, „Der Ganze Riemen“, Köln 2008, S. 319 f.

Das lief ein bisschen anders. Im Fridericianum hat es Raumbesetzungen gegeben, in der Neuen Galerie – soweit ich mich erinnere – nicht. Ich weiß aber, dass Beuys um seine Werke, die dort ausgestellt waren, sehr besorgt war. Das waren Filzstapel, Kupferplatten und mit Filz bespannte Latten, die an der Wand lehnten, eine Werkgruppe, die später in die Sammlung in Darmstadt übernommen wurde. Was auf der documenta stattfand, war ein Sit-in in dem Raum, der dem beuysschen Raum benachbart war und in dem sich das Soldaten-Bordell von Edward Kienholz, das „Roxys“, Edward Kienholz, „Roxys“, 1960/61. befand. Die Studenten kamen, typisch für die 68er, mit dem Argument: „Wenn hier ein Bordell ist, wollen wir eine Rotwein-Party feiern, und zwar so lange, wie es uns passt.“ Ich hatte das vorher erfahren und natürlich entsprechend Leute, die die Ausstellung mehr schlecht als recht bewachten, dorthin bestellt. Die Studenten fingen an zu diskutieren und Beuys, der sich Sorgen machte, was passieren würde, wenn alle durchdrehten, kam dazu. Es gab damals eine sogenannte „dumme Kiste“, eine mit Gummi ausstaffierte Kiste, in der sich hin und wieder Flüssigkeiten befanden, von denen niemand wusste, woher sie kamen. Irgendwann stellte sich heraus, dass einer von denen, die das Aquarium vom „Roxys“ gelegentlich reinigten, das Wasser nach dem Wechseln aus Faulheit in der „dummen Kiste“ entsorgte. Damit war Beuys sicherlich gewarnt. Als abends gegen acht der Schließdienst kam, erklärten die Studenten, sie würden bleiben. Beuys sagte daraufhin – das stimmt mit den Berichten von Stüttgen überein –, dass er das gegenüber dem Hausmeister nicht fair fände, denn dieser sei auch nur ein Mensch und hätte einen Auftrag. Wenn sie diskutieren wollten, müssten sie nicht hier sitzen, sondern könnten genauso gut mit ihm draußen vor der Tür weiterdiskutieren. Dem haben sich die Studenten dann gefügt, sie sind alle rausgegangen und haben tatsächlich vor der Tür weiterdiskutiert.

Das heißt, Sie wurden gar nicht dazugerufen?

Ich wurde nicht gerufen, ich war dabei.

Offenbar hat Beuys eine Aura besessen, die einen ungeheuren Eindruck auf die Leute gemacht hat. Die Faszination bezieht sich häufig auf die Person Beuys und nicht unbedingt auf sein Werk. Wobei er natürlich diese Gespräche und Diskussionen als Teil seines Werks betrachtet hat.

Beuys hatte sicherlich eine Art Charisma. Ich bin niemand, der sich von solchen Dingen besonders beeindrucken lässt. Was nicht heißt, dass mich die Persönlichkeit nicht beeindruckt hätte, nur lasse ich mich dadurch nicht einschüchtern. In Kassel habe ich eigentlich wenig mit Beuys zu tun gehabt. Aber ich habe mir damals für 500 D-Mark in der Galerie Ricke eine kleine Zeichnung von ihm gekauft.

1968?

Ja. Er wusste Jahre später noch, welche Zeichnung ich gekauft hatte. Ein kleines Beispiel: Nach der documenta bin ich von Kassel nach Düsseldorf gegangen. Dort habe ich irgendwann in der Eat Art Galerie eine Performance von Beuys gesehen, die etwas mit Fischen oder Fischgräten zu tun hatte. „Joseph Beuys. Freitagsobjekt: 1a gebratene Fischgräte“, Eat Art Galerie, Düsseldorf, 30. Oktober 1970. Wie ein Fries unter der Decke hatte Beuys Fischgräten aufgehängt, er selbst stand mit geschwärztem Gesicht da und figurierte eine Art Köhler. Am Bein hatte er ein Transistorradio und noch irgendetwas. Natürlich trug er seine Weste – also im üblichen Aufzug. Er präsentierte eigentlich sich selbst mit seiner Aura als Bestandteil des künstlerischen Ereignisses. Ich kam pünktlich zur angekündigten Uhrzeit in die Galerie und war zunächst mit Beuys allein. Als ich ihn da stehen sah, zögerte ich einen Moment, ob ich ihm auf normale Weise Guten Tag sagen könnte. Oder ob das vielleicht gegen den Geist des Ereignisses verstieße. Ich habe mich dann entschlossen, auf ihn zuzugehen. Er kam mir entgegen und gab mir die Hand. Er war nicht anders als sonst, das hat mich sehr beeindruckt. Es gab andere Künstler, die sich in der Sensibilität der Situation irritiert gezeigt hätten, wenn man sie gewissermaßen als persönlich bekannte Mitmenschen begrüßt hätte.

Meinen Sie mit der „Sensibilität der Situation“ den performativen Charakter der Aktion oder den Prominentenstatus und die damit verbundenen Allüren von Künstlerpersönlichkeiten?

Ich denke, dass auch Beuys diese Starallüren hatte. Und dass er sie durchaus genossen hat. Starallüren hatten andere Künstler, zum Beispiel Klaus Rinke, Klaus Rinke (* 1939 Wattenscheid) ist vor allem für seine ab 1969 entwickelten „Primärdemonstrationen“ bekannt. Während der 1970er-Jahre zeigte er seine Arbeiten regelmäßig in den Galerien von Konrad Fischer und Rolf Ricke. Im Rahmen seiner Performances arbeitete er zeitweise mit der Künstlerin Monika Baumgartl zusammen. Von 1974 bis 2004 war Rinke Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Er war auf der documenta 5 (1972) und 6 (1977) sowie auf den Biennalen von Venedig 1972 und 1977 vertreten. natürlich auch. Nur konnten sie es nicht durchhalten, da sie nicht dasselbe Charisma hatten. Ich kann mich erinnern, dass James Lee Byars James Lee Byars (1932 Detroit – 1997 Kairo) war ein US-amerikanischer Künstler, der insbesondere für seine ritenhaften Performances und Installationen bekannt ist. In der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf waren seine Arbeiten unter anderem 1986 in der Einzelschau „Palast der Philosphie/The Philosophical Palace“ (18. Oktober – 30. November 1986) zu sehen. Beuys ausgesprochen verehrte. Ich hatte mit Byars einmal eine Diskussion über Beuys, da sagte er zu mir: „Ich bin nur Schauspieler. Ich tue nur so als ob, Beuys ist aber wirklich so. Er hat wirklich Charisma, ich habe kein Charisma.“ Und das stimmte.

Wenn Sie sagen, dass andere das nicht durchhalten konnten, stellt sich die Frage: Durchhalten gegenüber wem?

Das mit dem Gegenüber trifft nur zum Teil zu. Der Auftritt hängt vom Publikum ab – das stimmt. Aber Beuys war immer so. Auch wenn man ihn am Drakeplatz besuchte. Hannah Weitemeier, Hannah Weitemeier (1942–2011) war eine Kunsthistorikern und Kuratorin. Während der 1960er-Jahre studierte sie unter anderem Kunstgeschichte in Frankfurt am Main und engagierte sich im Umfeld des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS). 1969 nahm sie an dem „Busenattentat“ auf Theodor W. Adorno teil. In ihrer kunsthistorischen Arbeit beschäftigte sie sich vorwiegend mit den Werken von Yves Klein sowie den Künstlern des ZERO-Umfelds. die 1980 im Auftrag der Kunsthalle die Ausstellung „Schwarz“ „Schwarz“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 16. Oktober – 29. November 1981. In der Ausstellung zeigte Joseph Beuys die Arbeit „Das schwarze Loch“ (1981). machte, erzählte mir, Beuys habe zuerst gesagt, er hätte nichts für die Ausstellung. Im Gespräch mit Hannah Weitemeier muss er dann auf die Idee mit dem Ofenloch gekommen sein. Beuys hatte einen Kanonenofen samt Ofenrohr ausgewechselt und übriggeblieben war ein Loch, in dem das Ofenrohr gesessen hatte. Das wollte er in der Kunsthalle zeigen, und als Weitemeier mit diesem Vorschlag zu mir kam, habe ich sofort Ja gesagt. Ich habe niemanden gefragt. Ich habe nicht gefragt, ob die Stadtverwaltung das erlaubt, und auch nicht, ob es der Architekt gestattet, denn für mich war die Kunsthalle ein Nutzbau, der den künstlerischen Ereignissen zu dienen hatte. An der von Beuys vorgeschlagenen Stelle wurde also ein Loch gebohrt, das nach seinen Angaben mit elfenbeinschwarzem Ruß ausstaffiert wurde, sodass es tiefschwarz war und man von einigen Metern Entfernung den Eindruck hatte, auf der Wand sei eine schwarze Scheibe. Es war als Loch gar nicht wahrnehmbar. Erst wenn man ganz dicht ranging, konnte man es sehen. Daher war es für Beuys auch eine entscheidende Metapher, vom Materiellen zum Immateriellen. Das ist eine typische Beuys-Geschichte.

Wie war das Verhältnis zwischen Joseph Beuys und den anderen Künstlern?

Das ging mich wenig an. Ich habe mich grundsätzlich aus Affären der Akademie herausgehalten. Als ich aufgefordert wurde, Mitglied des Freundeskreises der Akademie zu werden, lehnte ich ab. Ich wollte keine Interessenvermischung. Die meisten Künstler, die bei Beuys in der Klasse waren, wollten auch nicht gerne als Beuys-Schüler angesprochen werden. Sie wollten als Künstler für sich stehen. Ganz egal, ob das Reiner Ruthenbeck, Imi Knoebel oder Katharina Sieverding war. Soviel ich weiß, sind sie zum Teil ja auch gerade im Widerstand gegen Beuys erfolgreich geworden. Bei Knoebel war das ganz deutlich. Beuys hat das akzeptiert. Er hat sie vielleicht sogar dazu herausgefordert. Nicht alle haben es geschafft. Es hat auch Leute in der Umgebung von Beuys gegeben, die sich das Leben genommen haben.

Vor allem im Umfeld der Akademie hat Beuys offenbar einiges bewegt. Hat er den anderen dabei Ihrer Meinung nach noch ausreichend Platz gelassen? Oder war Beuys immer gut und richtig?

Beuys hatte einen Ruf, der junge Leute wie Imi Knoebel nach Düsseldorf zog. Dass es intern heftige Auseinandersetzungen gab, wusste man. Es gab auch Leute, die sich gegen Beuys aussprachen. Meinetwegen Gerhard Richter oder Sigmar Polke. Gerade Richter würde heute mit großem Respekt von Beuys sprechen. Aber damals? Man darf auch nicht vergessen, dass es Jahre gegeben hat, in denen Beuys sehr umstritten war. Er war nicht nur künstlerisch, sondern auch gesellschaftlich umstritten. Als 69 die erste Ausstellung von Beuys in der Kunsthalle im Rahmen der Sammlung Ströher stattfand, „Sammlung Karl Ströher“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 25. April – 12. Juni 1969. Der erste Teil der Ausstellung umfasste den Werkkomplex „Block Beuys“ von Joseph Beuys (25. April – 15. Mai), der zweite Teil eine Auswahl der Neuerwerbungen, die Ströher von den Erben des Versicherungsmaklers Leon Kraushar in New York erstanden hatte (22. Mai – 12. Juni). wollte die Stadt Düsseldorf die Präsentation verbieten. Das hat damals dazu geführt, dass der Leiter der Kunsthalle Karl Ruhrberg mit seinem Rücktritt drohte, und ich schloss mich ihm an.

Die Stadt hatte nichts gegen die Sammlung Ströher einzuwenden, aber gegen die Position Beuys?

Die Stadtväter und -mütter mochten ihn nicht. Es gab einen Kulturausschuss, der alles in allem tolerant war. Mit einem konservativen CDU-Vorsitzenden, der aber die rheinische Großzügigkeit aufbrachte, auch Sachen gelten zu lassen, die der sogenannte „normale Menschenverstand“ für abwegig hielt.

Sie mussten das Programm der Kunsthalle dort vorstellen?

Ja, das war noch zu Ruhrbergs Zeiten. Das war 1969, ich bin erst ab Herbst 72 für die Kunsthalle verantwortlich gewesen.

Haben Sie das damals nicht als Zensur empfunden? War das nicht skandalös?

Ich bin nicht sicher, ob der Kulturausschuss überhaupt direkt mit Beuys befasst war. Ich glaube, da wurde etwas vorgeschoben. Auf dem Programm stand die Sammlung Ströher. Und die Sammlung Ströher bestand aus allem Möglichen: Beuys, ein bisschen Eugen Schönebeck, Georg Baselitz und vor allem Pop-Art. Es stellte sich dann heraus, dass die Räume der Kunsthalle nicht ausreichten, um die komplette Sammlung Ströher, so wie sie vorher in Berlin zu sehen gewesen war, zu zeigen. Und da machte Beuys selbst den Vorschlag, man könne die Sammlung doch in Teil A, „die Amerikaner“, und Teil B, „die Deutschen“, teilen. Bei den Deutschen wollte er dann die Haupträume der Kunsthalle beanspruchen und der sogenannte „Grafikraum“, rechts am Eingang, der relativ niedrig war, sollte für Baselitz und Schönebeck reserviert sein. Beuys hatte sich vorgenommen, in seinem Saal Vitrinen mit vielen kleinen Werken aufzustellen, und er kam wirklich jeden Tag – ich glaube eine Woche lang oder sogar länger: Morgens um Punkt zehn stand er auf der Matte und arbeitete an seiner Ausstellung. Er richtete alles bis ins Detail selber ein, änderte viel, guckte genau, überlegte, schob, sondierte das Verhältnis zum Raum und so weiter. Hinzu kam, dass Beuys verlangte, ein eigenes Plakat zu bekommen.

Das klingt so, als habe Beuys den Platz besetzt, erkämpft oder vielleicht auch verteidigt?

Beuys hatte ein ambivalentes Verhältnis zur Kunsthalle. Er gehörte zu denen, die noch vor der Eröffnung an die Tür geklopft haben und den Abbruch der Kunsthalle forderten. Bei der Eröffnungsausstellung „Kunst des 20. Jahrhunderts aus rheinisch-westfälischem Privatbesitz“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf/Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 30. April – 18. Juni 1967. war er dann mit dem berühmten „Fettstuhl“ Joseph Beuys, „Stuhl mit Fett“, 1963. vertreten. Da gab es also auch eine Art rheinisches Arrangement, darauf verstand sich Beuys wunderbar. Ich kann mich nicht erinnern und habe auch nicht darüber nachgedacht, ob Beuys sich besonders wichtigmachte. Ich fand es berechtigt, dass er seine Sachen in der Kunsthalle ausgiebig zeigen wollte. Soviel ich weiß, hatte er vorher in Deutschland nur in Mönchengladbach ausgestellt. Die erste institutionelle Ausstellung von Joseph Beuys mit dem Titel „BEUYS“ fand vom 13. September bis 29. Oktober 1967 im Städtischen Museum Abteiberg in Mönchengladbach statt.

Gab es über die Ausstellung der Karl-Ströher-Sammlung damals eine größere Debatte? Die Pop-Art war in dieser Qualität und Quantität wahrscheinlich nie oder selten zuvor in Deutschland gesehen worden. Wie standen Sie damals selbst zu der Ausstellung.

Die Ausstellung kam nicht auf meinen Vorschlag hin zustande. Ich habe in der Regel gar nicht die Möglichkeit gehabt, irgendetwas vorzuschlagen, solange ich nicht selbst Direktor war. Ob Ruhrberg die Ströher-Sammlung wollte oder nicht, weiß ich nicht. 1964 gab es eine wichtige Ausstellung von Werner Hofmann in Berlin. 64 war überhaupt ein ganz wichtiges Jahr. Die Ausstellung hieß „Neue Realisten & Pop Art“ „Neue Realisten & Pop Art“, Akademie der Künste, Berlin, 20. November 1964 – 03. Januar 1965. und war im selben Jahr, in dem Robert Rauschenberg zur Verwunderung aller auf der Biennale von Venedig den Amerikanischen Pavillon bespielte. Robert Rauschenberg (1925 Port Arthur, Texas – 2008 Captiva Island, Florida) studierte am Kansas City Art Institute, an der Académie Julian, Paris, am Black Mountain College in North Carolina und an der Art Students League of New York. Er arbeitete häufig mit anderen Künstlern wie Jasper Johns, dem Choreografen Merce Cunningham und dem Komponisten John Cage zusammen. Rauschenberg war auf der documenta 2 (1959), 3 (1964), 4 (1968) und 6 (1977) vertreten. 1964 wurde ihm auf der „32. Biennale von Venedig“ der Große Preis für Malerei verliehen. Die Einladung, 1970 im US-amerikanischen Pavillon der Venedig-Biennale auszustellen, sagte er aus Protest gegen den Vietnamkrieg ab. Mir war die Pop-Art also geläufig. Dann kam dazu, dass in Kassel auf der documenta natürlich auch jede Menge Pop-Art gezeigt worden war. Das war insofern interessant, als man da feststellen konnte, dass in Deutschland Pop-Art gesammelt wurde. Ich glaube nicht, dass die Familie Ströher selbst an dieser Kunst besonders interessiert war. Der alte Ströher wusste gar nicht so genau, was alles in seiner Sammlung war. Ich weiß noch, dass Frau Ströher bei der Ausstellungseröffnung wissen wollte, was wir da eigentlich zeigten. Letztlich war es eine clevere Kampagne der Galeristen Dahlem und Friedrich. Mit Franz Dahlem hatte ich damals auch eine ziemlich heftige Auseinandersetzung. Ich sollte die Übernahme der Ausstellung vorbereiten. Ich habe sie mir in Berlin angesehen und dort Franz Dahlem getroffen. Die Versicherungswerte wollte er plötzlich höher ansetzen, als es in der Liste ausgewiesen war. Darauf habe ich gesagt: „Nicht mit mir.“ Es mag legitim sein, eine Privatsammlung zu zeigen, aber dass dann die öffentliche Hand auch noch dafür bezahlen muss, ging nach meinem damaligen Verständnis zu weit. Ruhrberg hätte das sicher auch nicht akzeptiert.

Dahlem hat die Sammlung Ströher betreut. Er war außerdem ein großer Verfechter von Beuys und von Baselitz. Wie haben Sie Dahlem damals erlebt?

Er ist eine witzige Person. Hinzu kommt sein bayerischer Dialekt, das macht es eigentlich immer amüsant, mit ihm zu reden. Ich habe ihn als euphorisches Element im Kunsthandel erlebt, gleichzeitig als sehr geschäftstüchtig. Bei Franz Dahlem lief alles mit einem gewissen Unterhaltungswert ab.

Gerade zu Beginn der 60er-Jahre waren die Galerien wichtige Unterstützer der Avantgardekunst. Inwiefern hatten die Galerietätigkeiten im Rheinland auch Auswirkungen auf die Kunsthalle?

Ganz sicher durch Informationen. Wieweit im Einzelnen persönliche Empfehlungen der Kunsthändler an die Institutionen eine Rolle spielten, müsste speziell untersucht werden. Wir waren uns eigentlich in der Kunsthalle bewusst, dass unsere Glaubwürdigkeit von unserer Unabhängigkeit abhing. Wenn wir der Spielplatz einer bestimmten Galerie geworden wären, wäre das falsch gewesen. Genauso wie man von der Stadtverwaltung politische Neutralität verlangte. Im Kulturausschuss hieß es dann mal: „Wenn ihr immer die eine Seite berücksichtigt“, damit waren die Linken gemeint, „müsst ihr uns aber auch mal berücksichtigen“, womit die CDU gemeint war. Das war nach den Spielregeln der Demokratie berechtigt. Genauso war es, wenn man Ausstellungen machte, die einer bestimmten Galerie konvenierten oder indirekt durch eine Galerie gefördert wurden. Da musste man dann auch mal eine andere Galerie berücksichtigen. Das hatte aber keinen Einfluss auf das Programm der Kunsthalle, zumindest nicht in der Zeit, in der ich die Verantwortung getragen habe. Ich glaube, ich hatte auch den Ruf, dass man das mit mir nicht machen konnte.

Haben Sie zu den Künstlern immer den direkten Kontakt gesucht?

Ja.

Sie haben das nicht über die Galerien eingefädelt?

Nein. Ruhrberg hat mehrfach mit der Marlborough Gallery zusammengearbeitet. Das war, wenn ich mich nicht irre, bei Francis Bacon und vor allem bei Kurt Schwitters der Fall – das wäre ohne Marlborough nicht gegangen. Es gab andere Galerien, die es bemerkenswert fanden, was wir machten. Ich kann mich an Daniel Lelong in Paris erinnern, die immer sehr interessiert an unserer Arbeit waren. Es gab natürlich einen Moment, wo sich die Tätigkeit der Galerien mit unserer überschnitt, und zwar bei „Prospect“ Unter dem Titel „Prospect“ fanden zwischen 1968 und 1976 insgesamt fünf Ausstellungen in unregelmäßigen Abständen in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf statt. Initiiert von dem Galeristen Konrad Fischer und dem damals als Kunstkritiker tätigen Hans Strelow, entstand „Prospect“ als Alternative zum Kölner Kunstmarkt, der 1967 erstmals stattfand und ausschließlich deutschen Galerien Zugang gewährte. „Prospect“ wurde zu einer internationalen Plattform für zeitgenössische Kunst, wobei die in- und ausländischen Galerien der Avantgarde die Transporte finanzierten und im Gegenzug Vorschläge zur Auswahl der Künstler einreichen konnten. . „Prospect“ war zunächst einfach die Düsseldorfer Antwort auf den Kölner Kunstmarkt. Das Format entwickelte sich sehr schnell und ging nur in Zusammenarbeit mit Galerien, die das selbst finanzierten. Die Kunsthalle leistete nur den Aufwand, der im Haus erforderlich war, für Versicherung und Transport mussten die Galerien aufkommen. Die Auswahl oblag am Anfang einer Jury, die aus Museumsleuten und Sammlern zusammengesetzt war. Es entwickelte sich dann jedoch dazu, dass es eigentlich mehr oder weniger Konrad Fischer und Hans Strelow waren, die über die Auswahl entschieden. Hans Strelow war als Kritiker für die „F.A.Z“ nach New York gegangen und kehrte als Kunsthändler zurück. Fischer war natürlich daran interessiert, die Künstler seiner Wahl zu lancieren. Das wiederum lief über die Galeristen seiner Wahl. Die kamen aus Mailand, Paris oder New York. Das Internationale spielte eine ganz große Rolle. 1976 bei „Prospect: Retrospect“ „Prospect: Retrospect. Europa 1946–1976“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 25. Oktober – 04. November 1976. gab es dann ein von mir eingesetztes Komitee, zu dem unter anderen Benjamin Buchloh Benjamin H. D. Buchloh (* 1941 Köln) ist ein Kunsttheoretiker und seit 1990 Mitherausgeber des kunstkritischen Fachmagazins „October“. Anfang der 70er-Jahre war er Assistent in der Galerie Rudolf Zwirner in Köln und gab die Kunstzeitschrift „Interfunktionen“ heraus. Buchloh lehrte von 1989 bis 1994 als außerordentlicher Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, Massachusetts, und war von 1991 bis 1994 Direktor des Programms für kritische und kuratorische Studien (Whitney Independent Study Program) des Whitney Museum of American Art in New York. 2005 wurde er an die Harvard University in Cambridge, Massachusetts, berufen und erhielt 2007 den erstmals für ein herausragendes kunsthistorisches Werk vergebenen Goldenen Löwen der Biennale von Venedig. Buchloh gilt als enger Weggefährte Gerhard Richters. gehörte. Das Avantgardistische in den Medien war in „Prospect: Projektion“ „Prospect 71. Projection. Filme, Video, Diaserien, Photoprojekte von 76 Künstlern“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 08.–17. Oktober 1971. zur Geltung gekommen. Mit „Projektion“ war Filmprojektion aller Art, die Diaprojektion und die Anfänge von Video, gemeint. 1974 wurde, was das anging, auf die Bremse getreten und man wollte wieder Malerei haben. Das waren noch nicht die „Wilden“ Die nachwachsende Künstlergeneration entdeckte in den 1970er-Jahre die figurative Malerei als Ausdrucksmittel von Spontaneität, Dynamik und Dilettantismus in Abgrenzung zum akademischen Stil. Aufgrund ihres expressiven Malstils werden die Vertreter häufig unter dem Begriff der „Jungen Wilden“ zusammengefasst. Gemeint sind damit in der Regel die Künstler der Ateliergemeinschaft Mülheimer Freiheit, namentlich Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Gerard Kever und Gerhard Naschberger, die ab 1979 in Köln-Deutz arbeiteten, sowie die Künstler der Galerie am Moritzplatz in Berlin, die seit 1977 bestand. Dazu gehörten Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer. Zu den Vertretern der figurativen Malerei der 80er-Jahre werden weiterhin gezählt: Elvira Bach, Ina Barfuss, Werner Büttner, Georg Herold, Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Volker Tannert und Thomas Wachweger. Vgl. „Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“, hg. von Martin Engler, Ausst.-Kat. Städel Museum, Frankfurt am Main, Ostfildern 2015. , die Ende der 70er-Jahre in Erscheinung traten, diese ganzen quasi expressionistischen, figurativen, neofigurativen, transavantgardistischen Geschichten der 80er-Jahre, sondern eine ziemlich spröde, zum Teil konzeptuelle Malerei, die aber breit angelegt war. Man hatte also die Medien gezeigt, man hatte Malerei gezeigt, und dann kam die Frage auf: „Was ist Mitte der 70er-Jahre eigentlich los?“ Im Untertitel der „Prospect“-Reihe hieß es immer: „Vorschau auf die Kunst in den Galerien der Avantgarde“. Man stellte aber nun fest, dass diese Ankündigung sich eigentlich erübrigte, weil diese Avantgarde inzwischen überall stattgefunden hatte. Es stellte sich eher die Aufgabe, ein Resümee zu ziehen: Wie sehen wir, aus der Sicht der „Prospect“-Veranstalter, die Kunst nach 45?

War „das Neue“ – ob medial oder thematisch – damals ein wichtiges Kriterium?

Ja, ganz sicher.

Es ging darum, dass es vorher noch niemand gemacht hatte?

Ja. Ob das dann im Einzelnen stimmte oder nicht, wäre ich nicht imstande gewesen zu hinterfragen. Aber als Grundhaltung war das auch meine Haltung, als derjenige, der in letzter Instanz das Programm der Kunsthalle vertrat. Das hatte nichts mit neuen Tendenzen zu tun, sondern damit, dass ich darauf geachtet habe, dass in der Kunsthalle nichts stattfindet, was gerade schon in ähnlicher Weise in der Nähe woanders stattgefunden hatte. In Köln, Krefeld oder sogar in Paris oder Berlin.

Warum ging das nicht? Die Kunsthalle hatte sicher internationale Ausstrahlung, dennoch konnte man damals vielleicht anders als heute doch nicht davon ausgehen, dass alles, was zwischen Berlin und Paris zu sehen war, auch von allen wahrgenommen wurde.

Wenn ich ganz kurz zusammenfassen darf, was meine Politik als Leiter der Kunsthalle gewesen ist: Ich schuldete der Öffentlichkeit, vertreten durch den Kulturausschuss der Stadt Düsseldorf, finanziell und inhaltlich Rechenschaft. Wie das Finanzielle abzuwägen war, will ich nicht weiter ausführen, dafür gab es den Rechnungsprüfungshof. Was das Inhaltliche anging, war mir bewusst, dass es darauf ankam, sehr unterschiedliche Interessenlagen des Publikums zu berücksichtigen. Lange tat man so, als ob das Publikum jeder sein konnte. Das war eine Art fiktive Vorstellung davon, wer unsere Besucher waren oder wo sie herkamen. Nachweisen konnte man das nicht. Man wusste nur, dass es eine Menge Leute gab, die sich gar nicht für Kunst interessieren. Dann gab es welche, die interessierten sich nur für bestimmte Kunst, und es gab welche, die interessierten sich überhaupt nur für das Neueste, für das Avantgardistische. Und es gab die Künstlerschaft selbst, die zu unserem Stammpublikum zählte.

In Düsseldorf gab es eine Vereinigung der Düsseldorfer Künstler. Die hatte seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine starke, auch historisch begründete Präsenz sowie auch Ausstellungsrechte. Diese Rechte wurden nicht in der Kunsthalle wahrgenommen, sondern im späteren Museum Kunstpalast und dem damaligen Messegelände, und zwar einmal im Jahr in der berühmten „Winterausstellung“. Wir haben immer versucht, in Ergänzung zu dem, was die Kollegen und Kolleginnen vom Kunstmuseum machten, unter dem Stichwort „Aufbrüche“ andere Positionen zu zeigen. Es gab zum Beispiel die Professoren, die durch ihre langjährige Tätigkeit an der Akademie quasi ein lokales Anrecht auf eine Ausstellung erworben hatten, was wir in der Programmgestaltung berücksichtigt haben. Dann gab es den Wunsch derjenigen, die Ausstellungen für das große, breite Publikum wollten, Ausstellungen wie „Römer am Rhein“ oder „Das Gold der Inkas“. Das war nicht unbedingt nur für Kunstinteressierte, sondern für alle, die zur Bewunderung des Seltenen, Kostbaren, Ungewöhnlichen und Exotischen Ausstellungen besuchten. Das musste auch bedient werden. Und dann gab es das von einigen wenigen Galerien forcierte Interesse an dem, was sich nicht nur aktuell lokal in Deutschland oder im Rheinland, sondern auch in Verbindung mit Holland, Belgien, Frankreich oder Italien entwickelte. Diese Bestandsaufnahme war ein sehr wichtiger Faktor.

Meine Politik bestand darin, auch repräsentative Ausstellungen zu ermöglichen, die mit dem Anspruch der Erstmaligkeit, der Lebendigkeit daherkamen, so wie wir es eigentlich nur von der zeitgenössischen Kunst erwarteten. Henri Matisse beispielsweise war in Deutschland nie richtig gezeigt worden. Das skulpturale Werk von Pablo Picasso hatte niemand gesehen. Wenn sich Gelegenheiten ergaben, diese Dinge nachzuholen, habe ich es gerne gemacht. Picassos Skulpturen hatte Werner Spies empfohlen. Matisse ergab sich, weil Felix Baumann vom Kunsthaus Zürich einen Ausstellungspartner suchte. Ich hatte Glück in Düsseldorf, denn wir waren flexibel. Ich hatte die Möglichkeit, die Verwaltung davon zu überzeugen, dass wir mittelfristig Vereinbarungen treffen konnten, ohne dass vorher immer alle möglichen Bedenken geprüft wurden. Das war meine Verantwortung und die habe ich auch wahrgenommen. Umgekehrt war es so, wenn zeitgenössische Kunst gezeigt wurde, konnte diese von dem Prestige der Kunsthalle, das unter anderem durch diese Klassiker-Ausstellungen erreicht wurde, profitieren. Und das überzeugte auch die Leute im Kulturausschuss, die sagten dann: „Dafür machen Sie im Anschluss wieder eine Ausstellung, in die viele Leute kommen.“ Das funktionierte, weil die Welt noch nicht so ökonomisiert war, wie sie es seit den 90er-Jahren ist. Wir waren nicht verpflichtet, jede Ausstellung einzeln abzurechnen und zu begründen, Zielvorgaben zu formulieren, dauernd Controlling auszuüben oder entsprechend kontrolliert zu werden. Es gab eine Rechenschaftspflicht, aber wir hatten die Möglichkeit, flexibel zu planen. Das war ein großer Vorteil.

1976 haben Sie in der Kunsthalle eine große Polke-Ausstellung gezeigt. „Sigmar Polke. Bilder Tücher Objekte. Werkauswahl 1962–1971“, Kunsthalle Tübingen, 14. Februar – 14. März 1976/Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 02. April – 16. Mai 1976/Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 25. Juni – 25. Juli 1976. Sowohl für die Öffentlichkeit als auch für den damals beteiligten Kurator Benjamin Buchloh war die Präsentation der Ausstellung offenbar eine Herausforderung.

Ich habe Buchloh nicht als Kurator wahrgenommen, für mich war zunächst einmal der Erstveranstalter – Götz Adriani in Tübingen – derjenige, der für die Zusammensetzung der Ausstellung verantwortlich war. Ob er diese als Kurator oder nur als Veranstalter verantwortet hat, habe ich nicht hinterfragt. Das wäre auch unsinnig gewesen, denn Polke lebte ja in der Nähe von Düsseldorf. Ich hatte zu Polke ausreichend Vertrauen, sodass ich es richtig fand, seinem Wunsch zu folgen, selbst zu bestimmen, wie die Ausstellung aussehen sollte. Ob und wie er das mit Buchloh abgestimmt hat, weiß ich nicht. Ich habe auch die organisatorische Übernahme nicht selbst vorgenommen, das hat damals mein Mitarbeiter John Matheson bewerkstelligt. Es waren sehr turbulente Tage. Ich glaube, ich bin gar nicht gefragt worden, Polke hat diesen Lattenzaun mit der Überschrift „Kunst macht frei“ einfach bauen lassen. Wahrscheinlich hat er mir das beim Aufbau gezeigt und da habe ich gesagt: „Von mir aus. Wenn das für Polke eine Botschaft ist – gut.“ Ich war nicht mit allen Arbeiten einverstanden, die Polke für die Ausstellung ausgesucht hatte. Einige waren mir zu plakativ, propagandistisch. Die Industriegesellschaft wurde sehr klischeehaft aufs Korn genommen, das fand ich zu demagogisch, und das habe ich Polke auch gesagt. Ich weiß aber nicht, ob er darauf überhaupt eingegangen ist. Als Nächstes wurde ich gefragt, ob ich einverstanden wäre, dass Polke die Bilder, die eigentlich für den Hauptraum der Ausstellung vorgesehen waren, nicht nur hinter diesem Gatter ausstellt, sondern mit dem Gesicht auf dem Boden liegend zeigt. Dem habe ich zugestimmt, unter der Voraussetzung, dass der Teppichboden sauber ist, sodass keine Schäden entstehen konnten. Vom Gestus her war das die Antwort auf „Kunst macht frei“. Genauer gesagt die Antwort auf die Assoziation, die sich mit der Überschrift zu Auschwitz ergibt. Die Bilder sind tot, sie liegen auf dem Boden und der Künstler entzieht sich damit gleichzeitig dem Kulturbetrieb. Das war ein inszenatorischer Akt, der als solcher künstlerisch begründet und deswegen auch zu erlauben war. So viel gibt es dazu von meiner Seite aus zu sagen. Später muss es noch eine heftige Auseinandersetzung gegeben haben – wahrscheinlich wieder im Ratinger Hof –, denn Polke erschien mit dem Arm in einer Schlinge und einem halb geschlossenen Auge. Wahrscheinlich hat es eine Prügelei gegeben, darum habe ich mich aber nicht weiter gekümmert.

Wie haben die Besucher auf die Ausstellung reagiert?

Ich kann mich nicht erinnern, dass es einen ausgemachten Skandal gegeben hätte. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich im Kulturausschuss dazu noch einmal befragt worden wäre. Ich bin vom Kulturausschuss einmal befragt worden, als Jörg Immendorff bei „between 7“ einen Tisch mit Büchern aufgebaut hatte, die sich mit dem Vietnamkrieg auseinandersetzten, was diese Anti-Vietnam-Demonstration mit Kunst zu tun hätte. Da sagte ich, das wüsste ich auch nicht. Und damit war der Fall erledigt.

Mit „Kunst macht frei“ bezog Polke sich deutlich auf die Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Themen des Zweiten Weltkriegs tauchten unter anderem auch bei Beuys auf, im Werk Gerhard Richters, bei Baselitz und Lüpertz und letztlich auch bei den ZERO-Künstlern. War das eine Art der Vergangenheitsbewältigung?

Im Prinzip schon, aber nicht generell und vorsätzlich. Es war eigentlich die Diskussion über die Wiedergewinnung der Subjektivität, gegen die Vermassung des Menschen durch den Nationalsozialismus. Diese Diskussion war ja bereits gelaufen, und zwar in der Informel-Generation. Genauer, es war der Kommentar zur Informel-Generation. Das Informel ist dann letztendlich – nicht so sehr in Deutschland, aber in Frankreich – umgeschlagen in eine Art Lyrismus. Uns hat das damals gar nicht mehr beschäftigt. Richter tendierte dazu, diese direkten Engagements abzustreiten. Er hat mir einmal erklärt, er habe versucht, Hitler zu malen, was völlig danebengegangen wäre. Und er hatte Fotos aus Konzentrationslagern, die er irgendwo aufbewahrt hat. Das wäre eine Art von Pornografie gewesen, mit der er nicht hätte fertigwerden können. Dazu habe er keine Bilder machen können. Sein Engagement ging dann über Baader-Meinhof. Der sogenannte „Stammheim-Zyklus“ „18. Oktober 1977“ (1988) von Gerhard Richter besteht aus 15 gemalten Porträts, die Personen aus dem Umfeld der Baader-Meinhof-Gruppe zeigen. Entstanden sind die Bilder nach Presse- und Polizeifotografien. 1995 erwarb das Museum of Modern Art in New York den gesamten Zyklus. Das war später, ich denke, da hatte er sich schon mit der Kritik dieser Generation an dem geheuchelten Wohlstand der etablierten Gesellschaft identifiziert. Die abstrakten „Birkenau“-Bilder, Gerhard Richter, „Birkenau“ (1–4), 2014. die von Fotos aus dem Konzentrationslager ausgegangen sind, sind ja erst kürzlich entstanden. So ein Thema kam damals nicht vor. Richter hat sich am liebsten gar nicht dazu geäußert. Ich habe Anfang der 90er-Jahre eine Ausstellung mit dem Titel „Deutschsein?“ „Deutschsein?“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 14. März – 25. April 1993. gemacht, Hintergrund waren diese pogromartigen Ausschreitungen in Rostock. Zwischen dem 22. und 26. August 1992 kam es in Rostock-Lichtenhagen zu rassistisch motivierten Übergriffen, an denen sich mehrere Hundert Menschen beteiligten. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) und das sogenannte „Sonnenblumenhaus“, in dem ehemalige Vertragsarbeiter aus Vietnam untergebracht waren. Rückblickend gelten die Ausschreitungen als Höhepunkt einer anhaltenden medial und politisch aufgeladenen Debatte um das Grundrecht auf Asyl. Das, was wir heute in Bautzen oder anderswo erleben, war in Rostock zum ersten Mal sichtbar. Ich habe darauf reagiert, indem ich indirekt die Frage stellte: „Hat das irgendetwas mit unserer deutschen historischen Identität zu tun?“ Damals haben zwei Künstler, die ich sehr schätze, ihre Teilnahme versagt. Der eine war Gerhard Richter, der sagte: „Das ist sowieso alles verlogen, was dazu gesagt wird.“ Und der andere war Anselm Kiefer. Er wollte das Image loswerden, dass er sich immer nur mit Deutschtümelei beschäftigt.

Anselm Kiefer hat in diesem Kontext eine interessante Position. Das ist spätestens seit der Biennale von Venedig 1980, als er gemeinsam mit Georg Baselitz im Deutschen Pavillon ausstellte, bekannt. Die Kritiken, die damals geschrieben worden sind – ob von Werner Spies oder Petra Kipphoff –, machen deutlich, dass man wirklich eine Verherrlichung der nationalsozialistischen Ideologie vermutete. Vgl. Petra Kipphoff, „Die Lust an der Angst – der deutsche Holzweg“, in: „Die Zeit“, 06.06.1980, S. 42; Werner Spies, „Überdosis an Teutschem“, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 02.06.1980, S. 19. Haben Sie den Beitrag von Kiefer und Baselitz damals gesehen?

Nein, ich war damals nicht in Venedig. Baselitz hat mir gegenüber etwas später gesagt, dass er es für völlig absurd hält, seine Skulptur mit Hitler zu vergleichen. Für die Tatsache, dass der Vergleich dennoch angestellt wurde, kann man den Künstler nicht verantwortlich machen. Aber es gibt sicher ein Wirkungselement, das auf eine latente Bereitschaft bei den Besuchern, die das so empfunden haben, angesprochen hat. Ob Baselitz damit gespielt hat oder nicht, weiß ich nicht. Baselitz ist nach meiner Überzeugung ein moralisch ernst zu nehmender Künstler. Gerade deswegen, weil er so tut, als sei er es nicht. Er hatte in Köln einige Jahre vor der Biennale eine Ausstellung mit den Überkopfgemälden, „Georg Baselitz. Gemälde, Handzeichnungen und Druckgraphik”, Kunsthalle Köln, 25. Juni – 08. August 1976. die ich überhaupt nicht mochte. Ich habe gesagt: „Das ist ein schlechter Lovis Corinth. Ich kann damit nichts anfangen.“ 1980 war dann die berühmte Londoner Ausstellung „A New Spirit in Painting“, „A New Spirit in Painting“, Royal Academy of Arts, London, 15. Januar – 18. März 1981. die habe ich gesehen. Da wurde – ähnlich wie bei der Ausstellung „Neue Realisten & Pop Art“ „Neue Realisten & Pop Art“, Akademie der Künste, Berlin, 20. November 1964 – 03. Januar 1965. – eine Epochenwende deutlich. Dort sah man zum ersten Mal diese Hängung, die Rudi Fuchs Rudi Fuchs (* 1942 Eindhoven) ist ein niederländischer Kunsthistoriker und Kurator und war von 1975 bis 1987 Direktor des Van Abbemuseum in Eindhoven sowie von 1993 bis 2003 des Stedelijk Museum in Amsterdam. 1982 verantwortete er die künstlerische Leitung der „documenta 7“. auf seiner documenta kurz darauf ausprobierte: Man stellte unterschiedliche Positionen nebeneinander und nötigte sie in gewisser Weise zum Vergleich. Das war bei „A New Spirit in Painting“ bis zum Exzess gemacht worden. Ich fand das hochinteressant und hätte die Ausstellung gerne in Düsseldorf übernommen, was sich letztlich aber nicht realisieren ließ. In London gab es einen Raum, in dem Bilder von Baselitz zusammen mit ein oder zwei Bildern von Balthus und drei oder vier späten Bildern von Willem de Kooning ausgestellt waren. In dieser Konstellation hat mich die Malerei von Baselitz sofort überzeugt. Ich kann Ihnen bis heute nicht sagen warum, aber es war evident. Das war lebendig und ausdrucksstark und es behauptete sich. Ein Jahr später habe ich dann die Doppelausstellung Richter/Baselitz „Georg Baselitz, Gerhard Richter“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 30. Mai – 05. Juli 1981. gemacht, die beide Künstler eigentlich hassten. Mir war es damals gelungen, die Düsseldorfer Stadtsparkasse als Sponsor für eine von uns organisierte Tagung des Comité international pour les musées d’art moderne (CIMAM) zu gewinnen, und da stellte sich die Frage: „Was zeige ich denen, wenn die nach Deutschland kommen?“ Ich entschied, die beiden Künstler vorzustellen, die ich persönlich für die interessantesten hielt: Richter und Baselitz. Natürlich wusste ich, dass sie überhaupt nichts miteinander zu tun hatten. Ich habe mit beiden über meine Ausstellungsidee gesprochen und beide waren schockiert. Richter sagte: „Um Gottes willen, Baselitz!“ „A New Spirit in Painting“ und die ganze Haltung, die dahinterstand, fand er entsetzlich. Und Baselitz sagte: „Was soll diese dämliche Pop-Art von Gerhard Richter? Mit diesem flachen Zeug kann ich überhaupt nichts anfangen.“ Darauf habe ich gesagt: „Ich möchte es meinen Kollegen vom CIMAM als verschieden zu kennzeichnende Positionen vorstellen. Es kommt mir darauf an, internationale Kontakte zu motivieren.“ Nachdem sich beide, ohne dass ich davon wusste, mit ihren Kunsthändlern abgesprochen und deren Segen eingeholt hatten, ging es darum, wie die Ausstellung realisiert werden sollte. Die Raumverteilung sollte gleichgewichtig sein. Richter wollte unbedingt, dass ich einen 20 Meter langen vergrößerten Pinselstrich Gerhard Richter, „Strich (auf Rot)“, 1979. aus einer öffentlichen Einrichtung, ich glaube in Paderborn, ausleihe, um seinen Anspruch als Monumentalmaler deutlich zu machen. Und er hat in der Ausstellung zum ersten Mal zwei große „Spiegel“ Gerhard Richter, „Spiegel“, 1981. ausgestellt. Einen davon hat er der Kunsthalle später überlassen.

Was die internationale Wirkung der Düsseldorfer Kunsthalle angeht: In zwei oder eigentlich drei Fällen bin ich glücklich darüber, dass bestimmte Ausstellungen „historisch“ erfolgreich waren. Der erste Fall ist Marcel Broodthaers. Die Broodthaers-Retrospektive von 2016/17 im MoMA New York, im Reina Sofía in Madrid und im K21 in Düsseldorf ist für mich wie ein fernes Echo der Broodthaers-Ausstellung, die 1972 in der Kunsthalle stattfand „Musée d’Art Moderne, Département des Aigles, Section des Figures: ‚Der Adler vom Oligozän bis heute‘“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 16. Mai – 09. Juli 1972. Marcel Broodthaers (1924 Brüssel – 1976 Köln) war ein belgischer Schriftsteller und Künstler. Sprache, Poesie sowie deren Bezugssysteme stehen im Mittelpunkt seines Schaffens. In seinen Arbeiten formulierte er grundsätzliche Fragen den Kunstbetrieb betreffend, dem er distanziert und kritisch gegenüberstand. Ab 1968 entstand in Brüssel sein Hauptwerk „Musée d’Art Moderne, Département des Aigles“, ein konzeptuelles Museum ohne permanente Sammlung und ohne dauerhaften Standort. Die verschiedenen Sektionen des Museums wurden in den Folgejahren an unterschiedlichen Orten gezeigt. Broodthaers lebte zwischen 1970 und 1972 in Düsseldorf. 2015 erschien im Verlag Walther König von Jürgen Harten: „Jürgen Harten über Marcel Broodthaers. Projet pour un traité de toutes les figures en trois parties. Versuch einer Nacherzählung“. . Der zweite Erfolg war Gerhard Richter. Ich weiß, dass die Preise für Arbeiten von Gerhard Richter bei Marian Goodman unmittelbar nach seiner Ausstellung in Düsseldorf 1986 „Gerhard Richter. Bilder 1962–1985“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 18. Januar – 23. März 1986. enorm angezogen haben. Ich wollte Richter mit der Ausstellung gewissermaßen auf das internationale Parkett führen. Ich hatte daher vorgeschlagen, den Katalog zweisprachig zu machen, und versuchte, jenseits des Atlantiks, in den Vereinigten Staaten und Kanada, Partner zu finden. Aber in den USA war man es nicht nur nicht gewohnt, Ausstellungen aus Europa zu übernehmen – schon gar nicht von einem europäischen, also von einem deutschen Künstler –, sondern man fand Richter auch völlig unwichtig. Der Katalog hat aber offenbar Wirkung gezeigt. Robert Storr, Robert Storr (* 1949 Portland, Oregon) ist ein Kunsthistoriker, Kurator und Kunstkritiker. Zwischen 1990 und 2002 war er Kurator für Malerei und Skulptur am Museum of Modern Art in New York. 2006 bis 2016 leitete er die Yale School of Art in New Haven, Connecticut. Zum Werk Gerhard Richters publizierte er unter anderem „Gerhard Richter. October 18, 1977“ (2000), „Gerhard Richter. Forty Years of Painting“ (2002), „Six Paintings by Gerhard Richter“ (2011) und „September. A History Painting by Gerhard Richter“ (2011). der sich in den letzten Jahren sehr intensiv mit Richter beschäftigt hat, hat mir irgendwann gesagt, er verdanke seine Einsicht in Richter meinem Essay, den ich damals zu der Ausstellung geschrieben habe. Zum dritten Beispiel, Anselm Kiefer, habe ich heute ein ambivalentes Verhältnis. Mir war nicht entgangen, dass Kiefer hier und da Aufmerksamkeit gefunden hatte. Weniger in Deutschland als in der Schweiz und insbesondere in Holland. Und auch bei Paul Maenz Paul Maenz (* 1939 Gelsenkirchen) ist ein deutscher Galerist und Kunstsammler. 1971 eröffnete er seine Galerie in Köln. Das Programm umfasste wichtige Positionen der Minimal Art und Konzeptkunst, darunter Art & Language, Hans Haacke und Joseph Kosuth. Darüber hinaus zeigte Maenz die figurative Malerei der Transavanguardia und der Künstler der Mülheimer Freiheit. 1981 stellte Anselm Kiefer erstmals in der Galerie aus. in Köln. Aber eine richtige Kiefer-Ausstellung hatte es noch nicht gegeben. Da griff also wieder der Vorsatz: Die Kunsthalle muss etwas zeigen, was noch nicht woanders stattgefunden hat. Kiefer war sehr kooperativ. Die Zusammenarbeit war fantastisch und hat mir viel Spaß gemacht.

Ich hatte immer Kontakte zu Kollegen und einigen Künstlern in Israel. Das lag unter anderem daran, dass ich mit einer Israelin, Doreet LeVitte-Harten, verheiratet bin, die selbst als Kuratorin und Kunstkritikerin tätig war und ist. Bei meinem ersten Besuch in Israel, das war 1980 mit dem Vorstand des CIMAM, habe ich einen israelischen Künstler kennengelernt, den ich sehr schätzen lernen sollte: Moshe Kupferman Moshe Kupferman (1926 Jarosław, Polen – 2003 Tel Aviv) war ein Künstler und Vertreter der abstrakten Malerei. Gemeinsam mit seiner Familie wurde er 1940 von den Nationalsozialisten aus Polen deportiert. Er überlebte den Holocaust in Arbeitslagern in Kasachstan und dem Ural. Bevor er 1948 nach Israel auswandern konnte, verbrachte er einige Zeit in einem Lager für Displaced Persons in München. Kupferman zählt zu den Mitbegründern des Kibbuz Lohamei HaGeta’ot. 2000 wurde ihm der Israel Prize for Painting verliehen. . Mein Kollege Martin Weyl, der damals das Israel Museum in Jerusalem leitete, warnte mich: Ich möge verstehen, wenn der Künstler nicht mit mir sprechen würde. Es war bekannt, dass Kupferman keine Kontakte nach Deutschland haben wollte und vor seinen Kibbuz-Mitgliedern, alle Überlebende des Warschauer Ghettos, geschworen hatte, niemals in Deutschland auszustellen oder etwas nach Deutschland zu verkaufen. Es kam aber ganz anders, Kupferman redete mit einer gebrochenen Mischung aus Englisch und ein bisschen Jiddisch fast ausschließlich mit mir. Wir hatten sofort einen sehr tiefen persönlichen Kontakt. Das erzähle ich, weil ich mir, als ich bei Kiefer war, überlegt habe: „Wie würde eine Ausstellung von Kiefer in Israel wirken?“ Ich fragte Moshe Kupferman und Martin Weyl, der als Partner infrage kam, was sie meinten. Und beide sagten, das könne man machen. So kam es, dass die Ausstellung, die ich eigentlich nur für Düsseldorf konzipiert hatte, anschließend, nicht komplett, aber zu einem großen Teil, nach einer Zwischenstation in Frankreich nach Jerusalem ging. „Anselm Kiefer“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 24. März – 05. Mai 1984/Musée d’Art moderne de la Ville de Paris, 11. Mai – 21. Juni 1984/The Israel Museum, Jerusalem, 31. Juli – 30. September 1984. Unter dem Aspekt der internationalen Anerkennung wäre noch zu bemerken, dass die Ausstellung in Israel dazu geführt hat, dass die amerikanischen Sammler auf Kiefer aufmerksam wurden und anfingen, Kiefer zu kaufen. Das hat ihn natürlich ungeheuer aufgewertet.

Das waren nur wenige Jahre, nachdem Kiefer mit seinem Beitrag in Venedig, vor allem von den Deutschen, gründlich missverstanden worden war.

Als ich die Ausstellung machte, schüttelten etliche Leute, die ich gut kannte, den Kopf: „Wie kann man einen solchen Schwachsinn ausstellen?“

Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen Kiefer bis heute nicht verstehen. Warum funktioniert das in Israel und in den USA und in Frankreich?

Was die USA und auch Frankreich angeht, kann ich mir vorstellen, dass es einen Vorbehalt gegen etwas gibt, was man das „Unheimliche“ bei den Deutschen nennt. Und dass Kiefer gewissermaßen den Schleier weggezogen hat vor diesem Unheimlichen. Er konnte das unter dem Vorbehalt einer Ästhetik des Erhabenen oder genauer gesagt des gescheiterten Erhabenen tun. Ich glaube, das hat für den Erfolg im Ausland gereicht. In Deutschland werden natürlich andere traumatische Schichten berührt. Da kommt auch das ins Spiel, was die Israelis den deutschen Schuldkomplex nennen. Deswegen hatten – und haben vielleicht noch – viele Leute in Deutschland Vorbehalte gegenüber Kiefer. Mir selbst geht es inzwischen so, dass ich einige Arbeiten nach wie vor sehr schätze, aber finde, dass er sich übernommen hat. Dass er seine Pathosformeln – wenn ich diesen Begriff benutzen darf – sowohl in der Dimension als auch in der Größe der Formate, also auch im Anspruch, überzogen hat. Ich bin der Meinung, dass man darunter nicht alles vom Alten Testament bis zu Mao Tse-tung abhandeln kann. Das finde ich heute fragwürdig.

Meinen Sie, dass die Ausstellung in Israel zu einer Art Legitimation für den Kunsthandel und dort vor allem für die jüdischen Händler und Sammler wurde, diesen deutschen Künstler zu vertreten und zu sammeln? War der Erfolg Kiefers darüber hinaus ausschlaggebend für die Öffnung der USA gegenüber der deutschen Kunst?

Das mag zum Teil stimmen. Ein anderer Grund könnte sein, dass die amerikanische Kunst allmählich etwas flacher, etwas lahmer wurde. Die großen Namen waren etabliert: Rauschenberg, Johns, Stella, Pollock, das war alles uralt. Und was danach kam, war vielleicht relativ wenig komplex oder schneller konsumierbar. So genau habe ich das nie analysiert. Ich habe mich in den 80er-Jahren mehr für die Russen als für die Amerikaner interessiert. Kiefer war mit seinem Anspruch und den für ihn charakteristischen Werken eigentlich ein Außenseiter. Es wird immer so getan, als ob die Kunstwerke als Gemälde wahrgenommen werden. In Wirklichkeit sind es Happening-Requisiten, die die betreffende Thematik illustrieren. Eine gewisse undifferenzierte Wahrnehmung, denke ich, spielte für den Erfolg auch eine Rolle.

Nach der „A New Spirit in Painting“-Ausstellung in London fand in Berlin die „Zeitgeist“-Ausstellung „Zeitgeist. Internationale Kunstausstellung Berlin 1982“, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 16. Oktober 1982 – 16. Januar 1983. statt. In Köln machten Kasper König und Laszlo Glozer „Westkunst“ „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“, Rheinhallen, Köln, 30. Mai – 16. August 1981. und in Düsseldorf etwas später „von hier aus“ „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“, Halle 13 der Messe Düsseldorf, 29. September – 02. Dezember 1984. . Waren diese Übersichtsausstellungen damals relevant?

Ich denke schon. Die „Zeitgeist“-Ausstellung war eigentlich eine Variante von „A New Spirit in Painting“. Das ging in die gleiche Richtung. Damals haben Christos Joachimides und Norman Rosenthal ihre vorzüglichen Kontakte genutzt, um den Impuls, den sie mit „A New Spirit in Painting“ in London gesetzt hatten, nach Berlin zu bringen. Zur begleitenden Ideologie von „A New Spirit in Painting“ gehörte: Das Künstlerindividuum muss wieder in seiner Unabhängigkeit betont werden. Das ist gewissermaßen die Tributleistung der Kunst an den Neoliberalismus, der zeitgleich stattfand. Nicht umsonst redete man damals wieder vom Malerfürsten und beschwor die Rolle des heroischen Künstlers, von der Sie anfangs sprachen. Obwohl das nicht den Ernst früherer Künstlergenerationen hatte, sondern mehr Theater war, weshalb ich das einmal „neogründerzeitlich“ genannt habe. Auch die Formate waren alle unbegründet, viel zu groß, und der Aufwand war enorm.

„Westkunst“ war eigentlich eine Idee von Karl Ruhrberg. Er hatte den Kölner Kulturdezernenten Kurt Hackenberg davon überzeugt, dass es sinnvoll, wichtig und attraktiv wäre – auch für die Region –, eine Überblicksausstellung zu machen. Die inhaltliche Verantwortung hatten Kasper König und Laszlo Glozer. Sie haben, nach meinem Urteil, eigentlich das fortgesetzt, was wir mit „Prospect: Retrospect“ auf den Weg gebracht hatten: eine Offenlegung und Fortschreibung dessen, was die Moderne einmal gewollt hatte, was sich aber im Laufe der Zeit erheblich verändert hatte. Woher kamen die ersten Impulse, wo waren die stärksten Äußerungen?

Für die „von hier aus“-Ausstellung haben in Düsseldorf einige Leute, die ein bisschen Geld hatten, eine Gesellschaft gegründet, um die Kraft der Region wieder zu betonen – das war übrigens auch die Motivation der Kölner „Westkunst“-Ausstellung. Es sollte deutlich werden, was tatsächlich „von hier aus“ ausgegangen war.

Dazu wieder ein kleiner Rückblick: Anfang, Mitte der 70er-Jahre wurde ich kritisiert, dass wir in der Kunsthalle zu viele Amerikaner zeigten. In der Tat haben wir nahezu alle prominenten Amerikaner, auch in Einzelausstellungen, vorgestellt: Wir hatten zum Beispiel die erste Oldenburg-Ausstellung und die erste Kienholz-Ausstellung in Deutschland. Kienholz sagte damals zu mir: „Mach dir keine Sorgen, du machst das genau richtig. Darauf wird es ein Echo geben, und das wird von der Kunst kommen.“ Dieses Echo war in der „von hier aus“-Ausstellung formuliert. Der Schriftzug stammte übrigens von Beuys. Ich weiß nicht, ob der Titel auch von Beuys kam oder ob er von Kasper König war. Im Unterschied zum „Bilderstreit“ „Bilderstreit. Widerspruch, Einheit und Fragment in der Kunst seit 1960“, Museum Ludwig in den Rheinhallen, Köln, 08. April – 28. Juni 1989. in Köln einige Jahre später war „von hier aus“ eine lebendige Ausstellung. Auch das Echo aus der Szene, von den Künstlern und Künstlerinnen, war stark. Es gab etliche, darunter Künstlerinnen wie Katharina Fritsch Katharina Fritsch (* 1956 Essen) ist eine Künstlerin, die für ihre figürlichen, monochrom bemalten Skulpturen bekannt ist. Gemeinsam mit Martin Honert und Thomas Ruff stellte sie 1995 im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig aus. Seit 2010 hat sie eine Professur für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf inne. , die damals durch die Unterstützung von Kasper König erst richtig auflebten. Das hat Wirkung gehabt. Es lag sicher auch an der Geschicklichkeit und Intelligenz von Kasper König, dass es mit den Galerien nicht zum Crash kam. „Bilderstreit“ ist daran gescheitert, dass die Galerien sich gegenseitig zerfetzt und miesgemacht haben. Das war kein Bilderstreit, das war ein Galerienstreit, der da ausgebrochen ist.

Harald Szeemann war der Erste, der als „Ausstellungsmacher“ die documenta geleitet hat. Dieser Beruf entsteht ja eigentlich erst Ende der 1960er-Jahre. Würden Sie sich selber auch als Ausstellungsmacher bezeichnen?

Ja. Ich habe mich nicht als Kurator gefühlt und auch nicht bezeichnet. Wenn das irgendwo vorkam, war das aus Versehen oder ohne meine Zustimmung. Dahinter steckte eine bestimmte Haltung, das hat mit der 68er-Geschichte zu tun. Die Künstler beanspruchten, die Ersten zu sein, die über ihre Arbeit entscheiden. So war es zum Beispiel bei Polke. Auch Richter hat seine Ausstellungen bis ins Einzelne mit Raummodellen der Kunsthalle und kleinen Abbildungen, die er von seinen Bildern gemacht hatte, konzipiert. Das fand ich immer sehr vorteilhaft, ich habe davon viel gelernt. Es gab ganz wenige Situationen, in denen ich das Gefühl hatte, ich müsste korrigierend eingreifen, weil jemand sich übernimmt. Und dennoch habe ich mich immer gefreut, wenn die Künstler sagten: „Mach du das. Das ist dann deine Art, damit umzugehen. Das respektieren wir.“ „Ausstellungen machen“ war für mich eine Art Regietätigkeit. Also durchaus auch eine künstlerische Tätigkeit, denn es kommt ja nicht nur darauf an, wie man die Sachen auswählt, sondern auch, wie man sie in den Räumen verteilt und wie man die Akzente setzt. Wie man die Raumachsen berücksichtigt und wie man Dinge, die nebeneinander gehören, aber nicht nebeneinander passen, über Eck hängt.

Wen haben Sie zu der Zeit noch zu den Ausstellungsmachern gezählt?

Harald Szeemann natürlich! Richtig kennengelernt habe ich ihn eigentlich 69 durch seine Ausstellung „When Attitudes Become Form“ „Live in Your Head. When Attitudes Become Form“, Kunsthalle Bern, 22. März – 27. April 1969. Die von Harald Szeemann kuratierte Ausstellung vereinte erstmals eine Anzahl internationaler künstlerischer Positionen, die sich durch Prozesshaftigkeit, materielle Transformationen und den Bezug zu situativen Kontexten auszeichneten. Die Präsentation gilt als wegweisende Verortung eines erweiterten Kunstbegriffs, wie er zu diesem Zeitpunkt insbesondere in der Arte povera, der Minimal Art, der Konzeptkunst und der Land-Art verhandelt wurde. An der Ausstellung beteiligt waren unter anderen Carl Andre, Giovanni Anselmo, Joseph Beuys, Michael Buthe, Hanne Darboven, Walter De Maria, Jan Dibbets, Ger van Elk, Hans Haacke, Eva Hesse, Yves Klein, Jannis Kounellis, Bernd Lohaus, Mario Merz, Robert Morris, Bruce Nauman, Reiner Ruthenbeck, Franz Erhard Walther und Lawrence Weiner. in der Kunsthalle Bern. Das war auch so eine Epochenausstellung – so wie vorher „Neue Realisten & Pop Art“, wo man wirklich alle wichtigen Leute zusammenhatte, darunter Künstler, die ich von „Prospect“ her kannte. Das war alles noch in Bewegung und hat dazu geführt, dass Szeemann von sich aus den Job aufgegeben hat, bevor er gefeuert wurde. Es hat damals in Bern einen Riesenskandal gegeben. Später konnte der Sponsor, Philip Morris, nicht oft genug betonen, wie stolz er darauf war, damals in der Schweiz so wagemutig gewesen zu sein. Von der älteren Generation würde ich Willem Sandberg nennen. Als ich in Düsseldorf antrat und gefragt wurde, welche Vorstellungen ich von meiner Tätigkeit in der Kunsthalle hätte, habe ich gesagt: „Für mich gibt es zwei Institute, die Vorbildcharakter haben.“ Das war das Stedelijk Museum in Amsterdam, geleitet von Willem Sandberg, den ich persönlich erst viel später kennengelernt habe, und das Moderna Museet in Stockholm, gegründet von Pontus Hultén, das anfangs in einer Art riesigem Schuppen untergebracht war. Bei Hultén in Stockholm habe ich die erste große Warhol-Ausstellung „Andy Warhol“, Moderna Museet, Stockholm, Februar/März 1968. gesehen. Damals habe ich Andy Warhol interviewt, während wir zusammen im Taxi vom Hotel zur Ausstellung gefahren sind. Das war ein typisches Interview, ich habe Andy Warhol ein paar Fragen gestellt und er hat geantwortet: „Ja, wenn Sie meinen.“

Waren Sie auch dabei, als Andy Warhol und Joseph Beuys bei Hans Mayer erstmals aufeinandergetroffen sind? Joseph Beuys und Andy Warhol begegneten sich offiziell erstmals am 18. Mai 1979 in der Düsseldorfer Galerie von Denise René und Hans Mayer. Der Anlass war die Eröffnung einer Einzelausstellung mit Werken von Andy Warhol. Vgl. Götz Adriani, „Biographische Hinweise“, in: „Joseph Beuys. Skulpturen und Objekte“, Ausst.-Kat. Martin-Gropius-Bau, Berlin, München 1988, S. 89–110, hier S. 107.

Ja, das hat mich aber nicht interessiert. Ich habe irgendwo im Gedränge gestanden. Was die beiden miteinander getrieben haben, wie es überhaupt zur Begegnung gekommen ist und wie sie darauf reagiert haben, weiß ich nicht.

Beuys und Warhol sind natürlich ganz verschieden, hatten aber beide Todeserfahrungen. Der eine war im Zweiten Weltkrieg, der andere ist bei einem Attentat beinahe ums Leben gekommen. Das waren Anekdoten, die da kolportiert wurden und die man gut weitererzählen konnte.

Viele der Künstler in Düsseldorf, Polke, Richter, Uecker, in Berlin Baselitz und Schönebeck, kamen aus der DDR. War das je ein Thema im Westen?

Nein. Als ich für den Katalog zur Richter-Ausstellung 1986 meinen Text schrieb, habe ich mich bei Richter nach seiner Zeit in der DDR erkundigt. Jürgen Harten, „Der romantische Wille zur Abstraktion“, in: „Gerhard Richter. Bilder 1962–1985“, hg. von Jürgen Harten, Ausst.-Kat. Städtische Kunsthalle Düsseldorf/Nationalgalerie Berlin/Kunsthalle Bern/Museum Moderner Kunst, Museum des 20. Jahrhunderts, Wien, Köln 1986, S. 9–61. Damals tat er sich sehr schwer, darüber etwas zu sagen. Mit Ach und Krach habe ich ein paar Sachen rausgekriegt. Er hat nur wenige Hinweise gegeben, die eine gewisse Verbindung zu seiner späteren Entwicklung erlauben.

Wie war das bei Günther Uecker?

Uecker war in Düsseldorf Schüler von Otto Pankok und ist sehr schnell eigene Wege gegangen. Die ersten Nagelobjekte und skulpturalen Verschmelzungen entstanden sehr früh. Eine Verbindung zu dem, was er vorher gemacht haben könnte, habe ich nie erkundet und bin auch nie von ihm darauf hingewiesen worden. Seine Beziehung zum Osten ist, glaube ich, ganz anders. Das geht viel weiter. Da gibt es eine merkwürdige Analogie zu Beuys’ Eurasia-Geschichte. Bei Beuys sind es die Tataren gewesen, die ihn im Krieg mit Filz und Fett gerettet haben. Inwieweit das der Wahrheit entspricht, sei jetzt mal dahingestellt. Bei Beuys bekam es diese sehr vereinfachte und verkürzte Fassung: Der Westen ist rational und der Osten ist irrational. Bei Uecker gibt es eine sehr komplexe, emotionale Komponente, die ihn zum Osten zieht. Deutlich geworden ist das meiner Meinung nach das erste Mal durch seine Auseinandersetzung mit Strzemiński Władysław Strzemiński (1893 Minsk – 1952 Łódź) war ein Künstler und Kunsttheoretiker, der insbesondere für sein Konzept des „Unizm“ bekannt ist. 1924 gehörte er zu den Mitbegründern der Künstlergruppe Blok, in der sich polnische Konstruktivisten, Kubisten und Suprematisten vereinten. Er zählt zu den einflussreichsten Avantgardekünstlern Polens. . Dieter Honisch, Dieter Honisch (1932 Beuthen, Oberschlesien, heute Polen – 2004 Berlin) war ein deutscher Kunsthistoriker und Kurator. Er studierte Kunstgeschichte an den Universitäten Münster, Wien und Rom und promovierte 1960 mit einer Arbeit über den Maler Anton Raphael Mengs (1727–1779). Von 1960 bis 1965 war Honisch Geschäftsführer des Westfälischen Kunstvereins in Münster und von 1965 bis 1968 Direktor des Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart, wo er unter anderem die Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ verantwortete. 1968 wurde Honisch Kustos und später Oberkustos am Folkwang Museum in Essen, bevor er im Februar 1975 als Nachfolger von Werner Haftmann zum Direktor der Berliner Nationalgalerie berufen wurde, die er bis 1997 leitete. 1970 und 1972 war Honisch Kommissar des Deutschen Pavillons der Biennale von Venedig. der auch so einen „Ost-Touch“ hatte – er besaß ein Haus in Ungarn –, hat es fertiggekriegt, in Essen die erste Strzemiński-Ausstellung in Deutschland „Konstruktivismus in Polen 1923–1936“, unter anderem Folkwang Museum, Essen, 12. Mai – 24. Juni 1973. zu machen. Ich habe dann einige Jahre später parallel zu Kasimir Malewitsch eine zweite Strzemiński-Ausstellung gemacht. „Kasimir Malewitsch (1878–1935). Werke aus sowjetischen Sammlungen“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 29. Februar – 20. April 1980; „Władysław Strzemiński (1893–1952)“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 07. März – 20. April 1980. Das war übrigens die erste Malewitsch-Ausstellung im Westen mit Werken aus sowjetischen Sammlungen. Die meisten Bilder waren noch nie vorher, weder im Osten noch im Westen, gezeigt worden. 1980 in Düsseldorf! Das war eine Weltpremiere. Ich wollte damals parallel dazu Strzemiński zeigen, weil der Weg in den Westen Malewitsch natürlich über Polen geführt hatte. Außerdem kannte ich Richard Stanisławski, den Leiter des Kunstmuseums in Łódź. Er war auch im Vorstand von CIMAM und betreute das Werk von Strzemiński und seiner Lebensgefährtin Katarzyna Kobro, die beide hervorragende Künstler waren. Von der Parallel-Ausstellung Malewitsch/Strzemiński wurde mir jedoch vonseiten des damaligen sowjetischen Kulturattachés Igor Maximytschew abgeraten. Er sagte, das sei alles hochdiplomatisch und ginge nicht, weil die Repräsentanten der Sowjetunion dann die polnischen Repräsentanten treffen müssten. Daraufhin habe ich vorgeschlagen, die Ausstellungen um eine Woche versetzt zu eröffnen, womit Maximytschew einverstanden war.

Wenn es so etwas wie eine Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs für mich gegeben hat, dann war das einerseits die private Auseinandersetzung mit dem Judentum, auch durch die Ehe mit meiner Frau, und zum anderen der Versuch, die Geschichte der Sowjetunion und vor allen Dingen auch der Avantgarde und ihrer Verleugnung zu verstehen. Sowohl die Nazis als auch die Sowjets haben die Avantgarde verleugnet. Warum? Wo gibt es Parallelen und worin unterscheiden sie sich? Für mich war diese Zeitenwende um 1980 – Stichwort „A New Spirit in Painting“, Stichwort „Neoliberalismus“ – verbunden mit einer Entideologisierung. Es war zum ersten Mal möglich, dass man offen über Kapitalismus und Kommunismus diskutieren konnte, ohne dass man verdächtigt wurde, in irgendein Lager zu gehören, oder dass einem etwas unterstellt wurde, was man nicht gemeint hatte. Damals gab es die Ausstellung „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“, Kunsthaus Zürich, 11. Februar – 30. April 1983/Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 28. Mai – 10. Juli 1983. von Harald Szeemann. Szeemann war ein sehr stark künstlerisch geprägter Mensch, nicht ganz ohne Einfluss der Anthroposophie. Daher hatte er, glaube ich, auch ein besonderes Verhältnis zu Joseph Beuys. Er hat mit dieser Ausstellung eine epochale Leistung vollbracht, die eigentlich im Kunstbetrieb nicht richtig rezipiert worden ist. Angefangen bei den Deutschen mit Richard Wagner, König Ludwig II. von Bayern über die Italiener bis hin zu den Russen ist er dem Anspruch nachgegangen, künstlerische Entwürfe als beispielhaft für gesellschaftliche Möglichkeiten zu verstehen. Dadurch hat er den Avantgardebegriff von seiner im Westen überwiegend formalistischen Rezeption befreit und ihn wieder mehr in der Gesellschaft verankert. In diesem Sinne hat die Avantgarde Mitte der 70er-Jahre endgültig ihr Ende gefunden. Natürlich haben die Künstler damals das Entscheidende geleistet, aber es gab auch eine allgemeine Erwartung, die uns Vermittler betroffen hat. Wir sind auch gegen die Langeweile des sich rituell verselbstständigenden bürgerlichen Kunstbetriebs angetreten. Gleichzeitig haben wir, ohne zu wissen, was wir taten, natürlich auch die Forderung vertreten: Die Museen müssen aus ihrer Exklusivität heraus. Das große Publikum muss mehr Zugang bekommen. Mit dieser Begründung haben wir auch verlangt, über mehr Geld aus öffentlicher Hand zu verfügen. Das heißt: mehr Einfluss einer intellektuellen, kritisch begründeten Kunstvermittlung statt von Sammlern, finanziell Interessierten oder Auktionshäusern. Das war alles bis Mitte der 70er-Jahre noch glaubhaft, danach nicht mehr. Um 1980 kam es zu einer Entideologisierung. Damit verlor die Avantgarde ihren Anspruch, gesellschaftsverändernd sein zu können. Und Szeemann hat es fertiggekriegt, das aus einer künstlerischen Gesamtschau heraus zu interpretieren: Dazu gehörte natürlich das Bauhaus, aber auch die Russen sowie „Das Ende des 20. Jahrhunderts“ Joseph Beuys, „Das Ende des 20. Jahrhunderts“, 1983. von Joseph Beuys und Anselm Kiefers großes Tableau „Deutschlands Geisteshelden“ Anselm Kiefer, „Deutschlands Geisteshelden“, 1973. . Die Ausstellung wurde vom Europarat unterstützt. Damals hat sogar Helmut Schmidt in Zürich in kleinem Kreise einer Diskussion über diese Ausstellung beigewohnt. Und ich habe sie in Düsseldorf übernommen.

„Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ war gut und wichtig, aber auch etwas unpolitisch. Welche historischen Bedrängnisse in der Realität zu den Entwürfen, die vielleicht konfrontativ gedacht waren, geführt hatten, wurde nicht vermittelt. Damals kam folgender Vorschlag von Jörn Merkert, der eine Zeit lang in Düsseldorf als Ausstellungsmacher von Werner Schmalenbach engagiert war: Alle Düsseldorfer Institute sollten sich zusammentun und eine Ausstellungsfolge zum Thema 1937 machen. Die einzelnen Institute haben sich dann ihre Aufgabenbereiche gesucht. Mich interessieren eigentlich immer Ausstellungen als Ausstellungen. Daher habe ich die fälschlich als „Weltausstellung“ bezeichnete „Kunst- und Industrieausstellung“ von 1937 in Paris zum Gegenstand einer Ausstellung genommen. „‚Die Axt hat geblüht …‘. Europäische Konflikte der 30er-Jahre in Erinnerung an die frühe Avantgarde“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 11. Oktober – 06. Dezember 1987. Bei den Italienern gab es in der Ausstellung einen Vorgriff auf 1942, auf die von Mussolini geplante Olympiade der Kultur, für die 1937 schon einige Gebäude verwirklicht worden waren. Bei den Deutschen habe ich zum ersten Mal einige Nazibilder ausgestellt. Zum Beispiel einen Kopf von Arno Breker, der natürlich in einem Raum mit Werken, die von den Nazis verboten worden waren, gezeigt wurde.

Ich hatte damals gehofft, die Sowjetunion würde mitmachen – ich hatte intensive Beziehungen zu den Russen –, sie hielten das Thema aber für verfrüht. Ich bekam, nach mehreren Besuchen in Moskau, ein Schreiben vom Kulturministerium: Es könne nicht angehen, nationalsozialistische Kunst mit bolschewistischer Kunst zu vergleichen. Und natürlich wäre es darauf hinausgelaufen.

1988 wurde ich neben Heiner Müller, Robert Wilson und anderen nach Moskau zu einem Symposium im Rahmen einer Ausstellung von Günther Uecker „Günther Uecker in Moskau“, Zentrales Künstlerhaus am Krimwall, Moskau, 14. September – 01. November 1988. eingeladen, Das war Ueckers erste große Ausstellung in Moskau. Ich habe damals gesagt: „Es gibt eigentlich nur zwei Sachen, über die ich reden könnte, entweder über Gerhard Richter“ – seine Ausstellung hatte ich noch frisch in Erinnerung – „oder über die Ausstellung 1937.“ Deren Titel „Die Axt hat geblüht …“ bezog sich auf ein Gedicht Paul Celans, Vgl. Paul Celan, „Ich höre, die Axt hat geblüht“, 1968. der Untertitel „Europäische Konflikte der 30er-Jahre in Erinnerung an die frühe Avantgarde“ darauf, wie der Anspruch des Totalitarismus – um Boris Groys zu zitieren – der frühen Avantgarde im autoritären Totalitarismus der Sowjets und der Faschisten aufgegriffen und umgesetzt wurde. Vgl. Boris Groys, „Gesamtkunstwerk Stalin. Die gespaltene Kultur in der Sowjetunion“, München/Wien 1988. Es hieß, das sei für Moskau ein interessanteres Thema. Und dann habe ich im Haus der Künstler in Moskau einen Diavortrag gehalten, der wegen der Übersetzung über drei Stunde dauerte. Als ich den deutschen Pavillon von Albert Speer dem sowjetischen Pavillon von Boris Iofan gegenüberstellte, klatschten die Leute stürmisch Beifall. Es war wie ein Befreiungsschlag. Da habe ich gemerkt: Das ist Geschichte. Hier passiert jetzt etwas. Und Irina Antonowa, die allmächtige Direktorin des Puschkin Museums, die Kommissarin der Roten Armee und für den Erwerb der Beutekunst verantwortlich gewesen war, saß in der ersten Reihe. Sie war dann bei der ersten Ausstellung „Berlin – Moskau 1900–1950“ in Berlin und Moskau die Partnerin von Jörn Merkert. „Berlin – Moskau 1900–1950“, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 13. September 1995 – 07. Januar 1996/Staatliches Puschkin Museum für Bildende Künste, Moskau, 01. März – 01. Juli 1996. An der zweiten Ausstellung „Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950–2000“, die 2003 stattfand, war ich als leitender Kurator beteiligt, neben Pawel Choroschilow von russischer Seite.

Die Ausstellungen, die Sie jetzt genannt haben, zeigen eher in die Vergangenheit. Was war mit den Zeitgenossen, nachdem die Avantgarde nach Ihrer Einschätzung an ihr Ende gekommen war?

Für die wirklich neu entstehende zeitgenössische Kunst habe ich mich in den 80er-Jahren – muss ich gestehen – weniger interessiert, als ich das in den 70er-Jahren getan habe. Zu der Generation, die Kasper König bei „von hier aus“ berücksichtigt hat, hatte ich nicht diesen persönlichen Kontakt. Das habe ich manchmal etwas bedauert. Andererseits gab mir diese Orientierung die Möglichkeit, Ausstellungen wie zum Beispiel den Vergleich zwischen Jackson Pollock und David Alfaro Siqueiros zu machen, „Siqueiros/Pollock – Pollock/Siqueiros“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 30. September – 03. Dezember 1995. was ja auch eine riskante Geschichte war. Da hatte ich – wenn man so will – den zeitgeschichtlichen Hintergrund. Sie waren beide Künstlerheroen. Die glaubten noch an die Kunst und ihre Wirkmacht und verzweifelten auch daran. Denn letzten Endes ließ sich diese Erwartung, etwa bei Siqueiros, an eine buchstäblich bewegende Wandmalerei nicht erfüllen. Heute gehen wir mit Bildern ganz anders um. Fernsehen und Internet sind überall präsent. Facebook und Google – die Kommunikation findet im Netz statt. Die Leute bilden sich ein, das sei die Wirklichkeit. Das sind heute ganz andere Fragestellungen. Ich bin vor einigen Monaten von jungen Leuten gefragt worden, ob ich glaube, dass die Idee von „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ noch irgendeine Aktualität hat. Überhaupt nicht! Das ist eine alte Geschichte, das sind alte Kamellen aus dem vorigen Jahrhundert. Auf das, was heute stattfindet, müsste man ganz anders reagieren.

Es kann ja tatsächlich sein, dass es Sachen gegeben hat, die ihre Zeit hatten und die man auch nicht verlängern oder wiederbeleben kann. Oder, wenn man sie wiederbelebt, unter ganz anderen Bedingungen wiederbeleben müsste. Man ist sehr geprägt durch die Zeit, die man am intensivsten erlebt, in der man am intensivsten lebt. Das kann man nicht mit gleicher Intensität und Vitalität unendlich fortsetzen. Es gibt Erfahrungswerte, die im Laufe des Lebens entstehen, und es bleibt einem nichts anderes übrig, als diese anzuerkennen. Sonst ist man sich selbst gegenüber nicht glaubwürdig. Irgendwann hatte ich das Gefühl, die Kunst der Gegenwart interessiert mich eigentlich überhaupt nicht mehr. Ich habe natürlich nicht aufgehört, mich in der heutigen Kunst umzusehen. Es gibt hier oder da auch einzelne Künstler, die ich schätze und mit denen ich auch freundschaftlich verbunden bin. Für die ich nichts tun muss und die für mich nichts tun müssen. Und das ist sehr schön.

Wir haben über viele Männer gesprochen, aber nur über wenige Frauen. War das für Sie je ein Thema, wie viele Frauen in den Ausstellungen vertreten waren?

Ich bin mit dieser Frage erst ziemlich spät konfrontiert worden. Zu der Zeit, als ich in Düsseldorf anfing, spielte das eigentlich keine Rolle. Zunächst einmal in meinem Team: Meine Mitarbeiterin, Vertreterin war eine Zeit lang Katharina Schmidt, dann kam Marie Luise Syring dazu. Ich hatte eigentlich immer – wenn ich das so sagen darf – weibliche Korrektive in meiner näheren Umgebung. Von meiner Frau ganz zu schweigen. Um den Anteil an Künstlerinnen in Gruppenausstellungen habe ich mich offen gesagt wenig gekümmert. Und wenn diese Forderung aufkam – das war aber erst in den 90er-Jahren, da hieß es dann, es müssten prozentual so und so viele Künstlerinnen vertreten sein –, fand ich es nicht richtig. Das war mir zu schematisch. Mir kam es nicht auf die Gender-Identität an, das war für mich wie eine Ideologie, sondern auf die künstlerische Leistung. Es gibt einige Künstlerinnen, wie Maria Lassnig Maria Lassnig (geb. Maria Gregorz; 1919 Kappel am Krappfeld, Österreich – 2014 Wien) war eine Malerin. Ab den 1950er-Jahren entstanden ihre „Körperbewusstseins-Bilder“, mit denen sie international bekannt wurde. Von 1980 bis 1997 war sie Professorin an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Sie nahm an der documenta 7 (1982) und 10 (1997) teil und erhielt 2013 auf der Biennale von Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk. , die ich sehr schätze. Und andere, die berühmt sind, die ich weniger schätze. Katharina Sieverding habe ich eigentlich von Anfang an in ihrer Karriere begleitet. Ihre erste Ausstellung hatte sie in der Düsseldorfer Kunsthalle. „Katharina Sieverding. Neue Arbeiten“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 08.–30. November 1980. In den 80er-Jahren habe ich eine kleine Ausstellungsreihe gemacht, die hieß „ein anderes klima“. Zwischen 1984 und 1988 fanden drei thematische Gruppenausstellungen unter dem Titel „ein anderes klima“ in der Städtische Kunsthalle Düsseldorf statt. Statt eines Katalogs erschienen dazu Hefte, die Magazine wie den „Spiegel“ imitieren sollten. Eine Ausgabe hieß: „Frauen arbeiten in neuen Medien“, weil mir aufgefallen war, dass Künstlerinnen, die ich beachtenswert fand – von Maria Lassnig mal abgesehen –, sich sehr oft nicht in den klassischen, sondern in den neueren Medien betätigten. Tina Modotti Tina Modotti (1896 Udine – 1942 Mexiko-Stadt) war eine Schauspielerin und Fotografin. Bekannt wurde sie durch ihre Porträts alltäglicher Straßenszenen sowie ihre dokumentarischen Studien zur mexikanischen Landbevölkerung. war für mich ein Beispiel in der Fotografie, Hanne Darboven Hanne Darboven (1941 München – 2009 Rönneburg) war eine deutsche Konzeptkünstlerin. Bekannt wurde sie durch ihre Konstruktionszeichnungen, die auf komplexen Zahlenoperationen und einem rhythmischen Gebrauch von Linien basieren. mit ihrer Schriftkunst, mit einer anderen Art konzeptueller Kunst, ein anderes Beispiel. In dieser Ausstellung waren also nur Frauen. Jenny Holzer, Jenny Holzer (* 1950 Gallipolis, Ohio) wurde mit ihrer Serie „Truisms“ (seit 1979) bekannt, in der sie Statements zu gesellschaftlichen Entwicklungen auf Plakaten, LED-Leuchtbändern und Aufklebern publizierte. Sie war auf der documenta 7 (1982) und 8 (1987) vertreten und wurde 1990 für ihre Installation „Mother and Child“ mit dem Goldenen Löwen der Biennale von Venedig ausgezeichnet. die damals noch nicht so bekannt war, war auch dabei.

Haben Sie eine Theorie, warum viele Künstlerinnen nicht in den klassischen Medien gearbeitet haben?

Ich habe keine Theorie. Ich vermute, es kommt diesen Künstlerinnen – „diesen“ wohlgemerkt – weniger auf das Werk als Werk an, auf etwas Statuarisches, als vielmehr auf den Prozess der Kommunikation, die man mit einer Arbeit auslösen oder signalisieren kann. Also das Kommunikative, das Bedürfnis nach Kommunikation.

Das haben Sie, glaube ich, schon einmal irgendwo beschrieben, dass Sie diesen kommunikativen Aspekt in der Kunst bei Frauen stärker sehen als bei Männern.

Das ist eine Vermutung. Ich weiß nicht, ob es stimmt.

Die andere Theorie ist, dass die klassischen Medien, also Skulptur und Malerei, so sehr von den Männern besetzt waren, dass die Frauen da wenig Chancen gehabt hätten, sich zu behaupten. Chris Reinecke sagte neulich, wenn sie ihren Keilrahmen in der Akademie zusammengehämmert hat, kaum aus der Ecke Richter/Polke Gelächter. Vgl. Chris Reinecke.

Das mag sein. Ich erinnere mich: Nachdem wir die Claes-Oldenburg-Ausstellung gezeigt hatten, kam eine Anfrage aus dem Museum of Modern Art, ob wir nicht Louise Bourgeois zeigen wollten. Das habe ich abgelehnt. Nicht weil sie eine Frau ist, sondern weil sie damals niemand kannte. Der Aufwand der Vermittlung wäre im Verhältnis zu dem erwartbaren Erfolg zu groß gewesen. Insofern haben Sie in dem Punkt recht, dass es für Frauen schwerer war, sich als Bildhauerin durchzusetzen.

1978 habe ich mit Horst Kurnitzky zusammen eine sehr merkwürdige thematische Ausstellung gemacht: „Das Museum des Geldes“ „ART. Museum des Geldes. Über die seltsame Natur des Geldes in Kunst, Wissenschaft und Leben“, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, 18. November 1978 – 04. Februar 1979. Die Ausstellung wurde von Jürgen Harten und Horst Kurnitzky organisiert. Beteiligt waren unter anderen folgende Künstlerinnen: Renate Bertlmannn, Hede Bühl, Christa Dichgans, Lynn Hershman, Anne Jud, Meret Oppenheim, Niki de Saint-Phalle, Ingrid Schreiber, Joanne Seltzer, Dorothea Tanning und Ilona Weber. . Ich hatte beobachtet, dass bei verschiedenen Künstlern immer wieder mit unterschiedlichsten Mitteln irgendwelche Anspielungen auf Geld vorkamen. Ich wollte dem einmal nachgehen, wusste aber überhaupt nicht, wie man daraus eine Ausstellung machen kann. Dann las ich zufällig die Dissertation von dem mir damals unbekannten Horst Kurnitzky, von dem ich erfahren sollte, dass er ein Schüler von Klaus Heinrich in Berlin war. Die Dissertation hatte den Titel „Zur Triebstruktur des Geldes“. Die Idee war, dass das Geld ursprünglich gesellschaftlichen Verhältnissen zu verdanken war, die Opfer verlangten, und dass die Opfer am Anfang der zivilisierten Kultur – weibliche – Menschenopfer gewesen waren, die später durch Tieropfer ersetzt wurden, die symbolisch auch wieder im Geld vorkommen. Thematisch habe ich das weitgehend Kurnitzky überlassen. Da das Thema auch schon bei den Surrealisten eine Rolle gespielt hat, haben wir damals André Masson in Paris besucht. Er war schon schwer krank, wurde aber wacher und wacher, als wir mit ihm redeten: „Wenn André Breton das gewusst hätte, er wäre begeistert gewesen.“ Es gab eine ganze Reihe von Künstlerinnen, deswegen komme ich jetzt darauf, die begeistert waren mitzumachen. Dabei ist für mich nicht die Frage nach dem Wesen einer möglicherweise genderbestimmten Kunst ausschlaggebend gewesen, sondern die Beteiligung hat sich selbstverständlich aus der Thematik ergeben. All diese Künstlerinnen hatten sich mit Opfergeschichten in Geldform beschäftigt.

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Jürgen Harten