Amsterdam, 30. September 2015
Rudi Fuchs: Habt ihr Jean-Christophe Ammann Jean-Christophe Ammann (1939 Berlin – 2015 Frankfurt am Main) war ein Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher. Er war Direktor des Kunstmuseums Luzern (1968–1977), der Kunsthalle Basel (1978–1988) sowie des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (1989–2001). 1972 war Ammann als Mitarbeiter Harald Szeemanns an der „documenta 5“ beteiligt und war 1995 kommissarischer Leiter des Deutschen Pavillons auf der „46. Biennale von Venedig“. Ab 1998 lehrte er als Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. vor seinem Tod noch erwischt?
Franziska Leuthäußer: Ich hatte einen Termin mit ihm, letzte Woche Dienstag, neun Tage zuvor ist er gestorben. Ihm ging es schon länger nicht besonders gut. Ich habe aber noch im Januar anlässlich eines Symposiums am Städel Museum „Die 80er. Figurative Malerei in der BRD“, Symposium, Städel Museum, Frankfurt am Main, 24. Januar 2015. Im Rahmen des Symposiums fand eine Gesprächsrunde zwischen Jean-Christophe Ammann, Helmut Middendorf, Salomé und Franziska Leuthäußer statt. Siehe auch unter: https://www.youtube.com/watch?v=sLDL5wxSBZ8 (eingesehen am 09.01.2017). mit Ammann, Salomé und Helmut Middendorf zusammengesessen.
Markus Lüpertz hat mir einmal erzählt, er hätte zu Mittag in der Paris Bar in Berlin gesessen – damals hatte er ziemlich großen Erfolg –, als Salomé ihn fragte: „Herr Lüpertz, wie machen Sie das mit dem Geld? Muss man das Geld als Künstler anlegen?“ Worauf Lüpertz antwortete: „Nein, wenn du Künstler bist, musst du alles verbrauchen!“
Sie haben diese Künstler in den 80er-Jahren ausgestellt.
Ja, ich habe damals auch Elvira Bach Elvira Bach (* 1951 Neuenhain) ist eine deutsche Künstlerin, deren Werk überwiegend autobiografisch angelegte Frauenbildnisse umfasst. 1982 nahm Elvira Bach an der von Rudi Fuchs organisierten „documenta 7“ in Kassel teil. ausgestellt.
Wie kamen Sie auf Elvira Bach?
Keine Ahnung. Wenn man eine Ausstellung machen muss, die documenta heißt und eine gewisse Tradition hat, gibt es bestimmte Bedingungen und Vorstellungen. Dazu gehörte 1982: weniger Amerikaner, mehr Europäer beziehungsweise mehr Deutsche. Das war der Ausgangspunkt. Dann gibt es natürlich gewisse Leute, die man dabeihaben muss, wie damals Joseph Beuys, Georg Baselitz oder A.R. Penck.
Warum musste man die dabeihaben?
Das war einfach klar. Beuys war ja der Chef.
Beuys war 1982 bereits das fünfte Mal auf der documenta vertreten. Joseph Beuys war auf der documenta 3 (1964), 4 (1968), 5 (1972), 6 (1977) und 7 (1982) vertreten. Kaum jemand wurde wahrscheinlich so oft auf der documenta gezeigt wie Joseph Beuys.
Stimmt.
Warum musste er dann noch einmal so einen großen Auftritt bekommen? Was heißt, er war der „Chef“? Der Chef von wem?
Ich erzähle gerne, was ich gemacht habe, aber ich bin nicht zum Examen hier. Warum Beuys? Einfach weil er da war.
Wie eng war Ihr Kontakt zu Beuys?
Damals war der Kontakt noch nicht so eng. Es wurde dann während der documenta viel enger. Ich kannte ihn auch vorher schon, aber nicht sehr gut. Ich wollte immer mit Beuys eine Ausstellung machen, auch später noch. Das hat nie geklappt, weil er nie Zeit hatte.
Sie haben in einem Interview einmal erzählt, dass Sie auf dem Weg von Eindhoven nach Kassel häufiger bei Beuys in Düsseldorf haltgemacht haben und mit ihm nicht nur über seine Arbeiten, sondern über das gesamte Programm der documenta gesprochen haben. Vgl. Heinz-Norbert Jocks, „,Wenn ich sah, wie Beuys zeichnete, stockte mir der Atem‘ – Heinz-Norbert Jocks im Gespräch mit Rudi Fuchs“, in: „Kunstforum International“, 1999, Bd. 148, S. 396–402, hier S. 399.
Ich wollte eine documenta machen, die nicht so spekulativ war. Die jungen Künstler waren insofern ein Problem, als man sie überall hatte: In Holland, in England, in Frankreich – überall gab es junge Künstler. Die documenta ist aber keine Ausstellung für junge Künstler. Die documenta hat eine andere Bedeutung. Beuys war ein sehr wichtiger Künstler. Er war in jeder Hinsicht der „Chef“. Alle Künstler haben ihn irgendwie geachtet. Ich wüsste jedenfalls nicht, wer nicht. Georg Baselitz vielleicht weniger, aber er hat es zumindest nie gesagt. Als Beuys starb, hat Penck gesagt: „Was sollen wir jetzt machen, da er tot ist?“ Beuys war eine Instanz. Auch für die Position der deutschen Kunst war er sehr wichtig. Gestern hat mich jemand gefragt: „Was sind die besten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts?“ Für mich sind das Kurt Schwitters Kurt Schwitters (1887 Hannover – 1948 Kendal, Großbritannien) war ein deutscher Künstler, Dichter und Werbegrafiker. Bekannt ist er insbesondere für seine Collagen und Materialbilder, die er unter dem dadaistischen Begriff „MERZ“ zusammenfasste. 1919 veröffentlichte er den international rezipierten Prosa- und Gedichtband „Anna Blume“. Gemeinsam mit César Domela, László Moholy-Nagy und Friedrich Vordemberge-Gildewart gründete er 1927 den ring neuer werbegestalter. und Beuys. Das sind die großen Figuren, weil sie gewissermaßen in ihrer Arbeit die Gebrochenheit Deutschlands reflektieren. Deutschland im 20. Jahrhundert war ja kein normales Land. Es war komplex, intelligent, aggressiv, träumerisch. Alles Mögliche lief durcheinander. Und es war auch ein Großteil des Jahrhunderts ziemlich arm.
Wie sah Ihr erster Kontakt nach Deutschland aus?
Meine Mutter war Sozialdemokratin, mein Vater Christdemokrat. Meine Mutter hatte 1937 in Rotterdam mit roter Fahne gegen den Spanischen Bürgerkrieg demonstriert. Sie war Turnerin und ist 1936 mit einer Freundin auf dem Fahrrad nach Berlin zur Olympiade gefahren. Dass Deutschland wichtig war, war mir schon immer klar. Ich bin in Eindhoven aufgewachsen. In der Nachbarschaft wohnte eine Familie, deren Mutter eine Deutsche aus Essen war. Sie war mit einem Holländer verheiratet und war im gleichen Alter wie meine Mutter. Jung, Anfang 30, hübsch, fröhlich. Und sie hat wunderbaren Streuselkuchen gebacken, den habe ich als Kind sehr gerne gegessen. Der Sohn der Familie war in meinem Alter und mein bester Freund. Deutschsein war damals ein Problem. Ich kann es nicht genau beschreiben, aber sie war jedenfalls „die Deutsche“. Mit dieser Familie bin ich Anfang der 50er-Jahre nach Deutschland gefahren, da war ich elf oder zwölf Jahre alt. Damals waren in Deutschland die Lebensmittel noch rationiert, man bekam ein Pfund Zucker für zwei Tage. In Essen haben wir ihre Familie besucht. Da es noch keine Autobahn gab, sind wir zwischen Düsseldorf und Essen durch das Neandertal gefahren. In einer Bucht stand eine Baracke, das Neanderthal Museum. Vor einem Jahr bin ich wieder da gewesen. Ich habe den Künstler Felix Droese Felix Droese (* 1950 Singen) ist ein deutscher Künstler, der von 1970 bis 1976 bei Peter Brüning und Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf studierte. Seine künstlerischen Arbeiten zeichnen sich durch eine kritische Reinterpretation politischer und ökonomischer Entwicklungen aus. Für öffentliche Diskussionen sorgte sein 2003 realisiertes Werk „Aktion Grundversorgung“, das in einer Auflage von 20.000 signierten Exemplaren eines Offset-Drucks über Aldi Süd vertrieben wurde. besucht. Da erinnerte ich mich wieder an die Kargheit, die damals in Deutschland allgegenwärtig war. Etwas später, ich war 14 Jahre alt, war ich mit diesem Nachbarsjungen im Urlaub. Er hieß Jost Haseleger. Haseleger, das ist das Bett der Hasen. Da, wo der Hase schläft.
Hasenlager.
Genau. Damals hat man Ferien mit dem Fahrrad und in der Jugendherberge gemacht. Keine Frage, wir wollten nach Deutschland, was damals in Holland sehr ungewöhnlich war. Man fuhr nach Frankreich oder nach Belgien. Ich aber bin sofort nach Deutschland gefahren.
Weil Sie das interessiert hat?
Instinktiv, ja! Auch weil meine Mutter da gewesen war. Sie hatte von der Olympiade erzählt und dass sie dort Adolf Hitler gesehen hatte. Und Jesse Owens Jesse Owens (1913 Oakville, Alabama – 1980 Tucson, Arizona) war ein US-amerikanischer Leichtathlet, der 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin vier Goldmedaillen gewann. , den schwarzen 100-Meter-Läufer, der damals gewonnen hat. Ein Schwarzer! Das war natürlich nicht im Sinne des Deutschen Reichs. Owens hat dann während der Siegerehrung, auf dem Podest stehend, salutiert. Es gibt ein berühmtes Foto davon. Ich kannte das Bild, weil meine Mutter auf dem Dachboden das Gedenkbuch der Olympiade 36 in Berlin hatte, fotografiert von Leni Riefenstahl Helene „Leni“ Riefenstahl (1902 Berlin – 2003 Pöcking) war eine deutsche Filmregisseurin, Drehbuchautorin und Fotografin. 1932 debütierte sie mit dem Film „Das blaue Licht“. In den Folgejahren arbeitete sie eng mit dem Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels zusammen und produzierte unter anderem die Reichsparteitagstrilogie, bestehend aus den Filmen „Sieg des Glaubens“ (1933), „Triumph des Willens“ (1935) und „Tag der Freiheit! Unsere Wehrmacht“ (1935). Diesem Auftrag folgte eine Dokumentation über die Olympischen Spiele in Berlin 1936 (Leni Riefenstahl, „Schönheit im olympischen Kampf“, Berlin 1937) sowie zahlreiche Kurzfilme während des Polenfeldzugs. Mit ihrer ästhetischen Inszenierung des „Dritten Reichs“ gilt sie als einflussreichste Vertreterin des nationalsozialistischen Films. . Ich habe es leider an ein Museum verschenkt, heute wäre es sehr viel Geld wert. Das waren bräunliche Fotografien aus den 30er-Jahren.
Wir wollten mit dem Fahrrad nach Heidelberg. Ich hatte die Straßenkarte meiner Mutter aus den 30er-Jahren dabei. Bei Maastricht passierten wir die Grenze. Es gab keine Autobahn, es war nicht viel Verkehr, kaum Autos, es war wunderschön. Das war 54/55. Und ich kann mich erinnern, in Deutschland war es sehr dunkel.
Es war dunkel?
Es war arm! Zum Beispiel gab es kaum Honig, sondern nur einen Ersatz. Damals war noch sehr viel kaputt. Hinter der Grenze mussten wir den Weg Richtung Monschau finden. Wir wollten die Eifelroute über Trier runter nach Heidelberg nehmen. Dort hatte ich einen Onkel, der sonst in Nordafrika wohnte und für Shell arbeitete. Vorher hatte er als Grafiker in der Zigarrenindustrie in Eindhoven gearbeitet. Er war der Abenteurer der Familie und wollte weg. Als Kartograf in der Ölindustrie bei Shell hat er zunächst in Tunis, Tunesien, und später in Libyen gearbeitet. Mein Onkel war aber auch Amateurmaler, also Kunstmaler. Einmal im Jahr kam er mit seiner sehr schönen Frau, die auch sehr unholländisch war, nach Holland. Sie war aus Den Haag und blondiert, was für die damalige Zeit sehr untypisch war. Sie hatten keine Kinder. Sie waren mondän. Bei ihnen wurde Champagner getrunken – was es sonst nicht gab. Es gab damals nicht einmal Wein zum Essen. Ich habe das eigentlich genossen, ich fand diese Kargheit sehr schön, bis heute noch. Ich kann diesen Luxus nicht ertragen. Düsseldorf ist deswegen eine schwierige Stadt.
Als wir über die Grenze bei Maastricht/Aachen auf dem Weg Richtung Monschau waren, habe ich einen Polizisten gefragt, wo die Reichsstraße 23 sei, da sagte er: „Sie müssen da links runter, junger Mann. Wir haben übrigens keine Reichsstraße mehr, das heißt jetzt Bundesstraße. Die Nummern sind aber gleich geblieben.“ Das war meine erste Begegnung in Deutschland. Wir sind dann den Rhein entlanggefahren. Es war ganz wunderbar. Ich habe mich in Deutschland immer wohlgefühlt.
Als ich später im Museumsbetrieb war und diese deutschen Künstler kennengelernt hatte, habe ich mit meinem Kollegen Edy de Wilde Edy de Wilde (eigtl. Eduard Leo Louis de Wilde; 1919 Nijmegen – 2005 Amsterdam) war ein niederländischer Kurator und Sammler, der von 1945 bis 1963 das Stedelijk Van Abbemuseum in Eindhoven und anschließend bis 1985 das Stedelijk Museum in Amsterdam leitete. im Stedelijk Museum telefoniert. Ich war damals noch Direktor in Eindhoven, das muss etwa 1978 gewesen sein. Er fragte: „Was machst du so?“ – „Ich fahre morgen nach Deutschland.“ – „Weißt du nicht, was Georges Clemenceau Georges Clemenceau (1841 Mouilleron-en-Pareds – 1929 Paris) war ein französischer Journalist und Politiker, der von 1906 bis 1909 und von 1917 bis 1920 das Amt des Ministerpräsidenten von Frankreich innehatte. Nach dem Ersten Weltkrieg galt er als entschiedener Gegner Deutschlands und plädierte für dessen ökonomische sowie politische Schwächung. gesagt hat? Am Rhein fängt Asien an.“ – „Was machst denn du?“ – „Ich fahre nach Amerika.“ Das war der Punkt: Man ging entweder nach Deutschland oder nach Amerika. Die documenta war in meinem Kopf auch so aufgebaut. Es gab eine gewisse Stimmung, dass man entweder für oder gegen Amerika war.
Vor Kurzem habe ich einen Film gesehen, wo Lüpertz – Professor Lüpertz muss man sagen – über Arnulf Rainer Arnulf Rainer (* 1929 Baden) ist ein österreichischer Künstler, der insbesondere mit seinen konzeptuellen „Übermalungen“ bekannt wurde. sagt, dass er der große Maler ist, der sich gut gegen die Amerikaner verteidigt hat. Baselitz hat sein ganzes Vermögen in Amerika verdient, Anselm Kiefer hat dort auch sehr viel Geld verdient, trotzdem war Amerika irgendwie feindlich. Damals ging es um die Frage: Wer macht die modernste Kunst? In dieser Zeit habe ich in Eindhoven eine Ausstellung mit Robert Barry Robert Barry (* 1936 New York) ist ein US-amerikanischer Künstler, der zu den wichtigsten Vertretern der Concept-Art gehört. gemacht. Ein ganz wunderbarer Künstler und ein ganz leiser, einfacher, fröhlicher Mensch. Ende 1976 habe ich dann die erste Penck-Ausstellung in Eindhoven gezeigt. „A.R. Penck“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 1976. Johannes Gachnang Johannes Gachnang (1939 Zürich – 2005 Bern) war ein aus der Schweiz stammender Künstler und Kurator. Von 1971 bis 1974 war er Kurator in der Galerie des Goethe-Instituts in Amsterdam, von 1974 bis 1982 leitete er die Kunsthalle Bern. Gachnang war unter anderem als Ausstellungsmacher für die „documenta 7“ (1982) und die Ausstellung „Bilderstreit. Widerspruch, Einheit und Fragment in der Kunst seit 1960“ in Köln tätig. Er gilt als wichtiger Vermittler des künstlerischen Werks von Georg Baselitz, Markus Lüpertz, A.R. Penck und Sigmar Polke. hatte sie zuvor in der Kunsthalle Bern gemacht und das Van Abbemuseum hat sie übernommen. Ich hatte erst ein halbes Jahr zuvor in Eindhoven angefangen, der Jahresetat war aber bereits von meinem Vorgänger Jean Leering Jean Leering (1934 Amsterdam – 2005 Eindhoven) war ein niederländischer Kunsthistoriker und Kurator, der von 1964 bis 1974 das Stedelijk Van Abbemuseum in Eindhoven leitete. aufgebraucht worden, sodass wir in dem Jahr keine eigenen Projekte machen konnten. Ich hatte die Ausstellung in Bern gesehen und fand sie sehr schön. Penck war vielleicht der Deutscheste von allen und gleichzeitig sehr modern, darin habe ich ihn immer mit Bruce Nauman verglichen.
Woher kannten Sie Johannes Gachnang?
Gachnang war in Amsterdam. Er war längere Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Goethe-Institut. Richtig kennengelernt haben wir uns aber erst später. Wir haben uns damals in verschiedenen Kreisen bewegt. Ich war ein Freund von Jan Dibbets Jan Dibbets (* 1941 Weert, Niederlande) studierte an der Fontys Hogeschool voor de Kunsten in Tilburg (1959–1963) sowie der Saint Martin’s School of Art in London (1967). Bekannt wurde der Konzeptkünstler Ende der 1960er-Jahre mit seinen „Perspektivkorrekturen“: Mit einfachen ins Bild gesetzten geometrischen Figuren verändert Dibbets das perspektivische Bild dreidimensionaler Räume im zweidimensionalen Bild. Seit 1968 vertritt die Konrad Fischer Galerie den Künstler in Deutschland. Dibbets nahm an der documenta 5 (1972), 6 (1977) und 7 (1982) teil und stellte 1972 im Niederländischen Pavillon der Biennale von Venedig aus. Von 1984 bis 2004 lehrte er als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Er gilt als Netzwerker zwischen den Kunstzentren in den USA und Europa, vor allem in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien. , Gachnang war eher mit Wim Schippers Wim T. Schippers (* 1942 Groningen) ist ein niederländischer Fernsehregisseur und Künstler, der gemeinsam mit Ger van Elk und Bob Wesdorp zu den Mitbegründern der Künstlergruppe Adynamische Groep gehört. und solchen Leuten befreundet. Robert Barry hat die Penck-Ausstellung in Eindhoven damals besucht und gesagt: „Mein Gott, bei uns an den amerikanischen Provinzschulen macht jeder so eine Malerei.“ Darauf habe ich geantwortet: „Bitte nenn mir die Namen, dann gehe ich sofort hin.“ Was ich damals gemacht habe, war ein bewusstes Hin und Her zwischen Konzeptkünstlern wie Robert Barry und Malern wie A.R. Penck. Michael Werner Michael Werner (* 1939 Nauen) ist ein deutscher Galerist. Ab 1960 arbeitete er in der Galerie Rudolf Springer in Berlin. 1963 eröffnete er mit Benjamin Katz am Kurfürstendamm die Galerie Werner & Katz und führte ab 1964 seine eigene Galerie in einer ehemaligen Kohlenhandlung. 1968 zog Werner nach Köln und übernahm dort die Galerie Hake, die er ab Oktober 1969 unter seinem Namen weiterführte. In den 70er- und 80er-Jahren vertrat die Galerie Michael Werner unter anderen die Künstler Georg Baselitz, Antonius Höckelmann, Jörg Immendorff, Anselm Kiefer, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A.R. Penck. Heute ist die Galerie in Berlin, London und New York vertreten. 2011 wurde Werner mit dem Preis der Art Cologne ausgezeichnet. hat mich als Pluralist beschimpft. Er meinte, ich müsste mich deutlicher zu Leuten wie Penck, Lüpertz, Baselitz und Imi Knoebel Imi Knoebel (eigtl. Klaus Wolf Knoebel; * 1940 Dessau) ist ein deutscher Künstler und Schüler von Joseph Beuys. Mit seinen analytisch angelegten Bildern und Skulpturen zählt er zu den Vertretern des Minimalismus in Deutschland. bekennen. Da habe ich gesagt: „Das mache ich nicht!“ Als Holländer stehe ich im Prinzip in der Mitte. Wenn ich eine Ausstellung mit Baselitz, Penck oder Jörg Immendorff Jörg Immendorff (1945 Bleckede – 2007 Düsseldorf) studierte ab 1964 bei Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf. 1969 wurde er wegen provokanter Kunstaktionen der Akademie verwiesen. In seinen Arbeiten behandelte Immendorff häufig politische und gesellschaftskritische Themen mit einem Fokus auf Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken zählen unter anderem das Gemälde „Wo stehst Du mit Deiner Kunst, Kollege?“ (1973) und die aus 16 Bildern bestehende Serie „Café Deutschland“ (1977–1982). Ab 1989 war Immendorff Professor an der Städelschule in Frankfurt am Main, bis er 1996 dem Ruf an die Kunstakademie Düsseldorf folgte. Immendorff war Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (Aufbauorganisation) und der Vereinigung Sozialistischer Kulturschaffender (VSK). mache, ist es deshalb interessant, weil ich auch andere Sachen mache. Ich mache eben auch Lawrence Weiner und Daniel Buren. Der französische Künstler Daniel Buren (* 1938 Boulogne-Billancourt) und der US-amerikanische Konzeptkünstler Lawrence Weiner (* 1942 New York) waren in folgenden von Rudi Fuchs organisierten Ausstellungen vertreten: „An Exhibition on the Work of Lawrence Weiner“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 1976; „Daniel Buren. Ailleurs/Elders“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 1976; „Lawrence Weiner“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 1980; „Daniel Buren. Essai hétéroclite. Les gilets“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 1981; „1968–1989 Art & Project. The Amsterdam Years“, Stedelijk Museum, Amsterdam, 1995. Einmal habe ich sogar Buren und Baselitz zusammen ausgestellt. Von Buren habe ich die etwas lose hängenden Tücher mit Streifen und von Baselitz die Linolschnitte aus den späten 70er-Jahren gezeigt. Die Ausstellung habe ich an einem Sonntag eröffnet. Beim Mittagessen saßen Baselitz und Buren an einem Tisch und haben kein Wort miteinander gewechselt.
Hatten Sie dafür Verständnis?
Damals habe ich das schon verstanden. Ich war aufgrund meiner anderen, kühlen, minimalistischen Seite seriöser. Ich gehörte ja keiner Partei an. Gachnang ist ähnlich vorgegangen. Das ist dann gewachsen. Bis dahin kannten wir uns nur aus der Ferne. Wir sind ungefähr zeitgleich Direktoren geworden. Anfang 1975 kam ich ans Museum in Eindhoven und Gachnang wurde ein halbes Jahr früher Direktor in Bern. Als ich ihn dort das erste oder zweite Mal besucht habe, hat er eine Baselitz-Ausstellung „Georg Baselitz. Malerei, Handzeichnungen, Druckgraphik“, Kunsthalle Bern, 24. Januar – 07. März 1976. gezeigt. Es waren die etwas kalten, bläulichen Akte Vgl. „Fingermalerei-Akt“ (1972), „Männlicher Akt“ (1975) und „Elke“ (1976). aus den 70er-Jahren ausgestellt, das war sehr schön. Als ich Ende des Sommers 1976 wieder da war, haben Gachnang und ich beschlossen zusammenzuarbeiten. Es war Liebe auf den ersten Blick. Wir teilten viele Interessen: Literatur, die Ablehnung von Luxus … Es war ganz prima. Er war sozusagen mein Eintritt in die deutsche Szene. Er wohnte in Bern, kannte aber die deutsche Kunstszene sehr gut. Ich wiederum war für ihn die Verbindung nach Amerika – zu der angelsächsischen Welt. Richard Long, Richard Long (* 1945 Bristol) ist ein britischer Künstler, der zu den Mitbegründern der Land-Art zählt. Donald Judd Donald Judd (1928 Excelsior Springs, Missouri – 1994 New York) war ein US-amerikanischer Künstler, der insbesondere für seine „Specific Objects“ bekannt ist. Er zählt zu den wichtigsten Vertretern der Minimal Art. . Das hat sich sehr gut ergänzt. Wir haben viel zusammen gemacht und es hat sehr gut funktioniert.
Als ich im Hochsommer zu jener Baselitz-Ausstellung nach Bern kam, stand plötzlich Baselitz da. Bis dahin hatte ich ihn persönlich noch nicht getroffen. Es war die letzte Woche seiner Ausstellung und er kam gerade von der Villa Romana in Florenz, wo er damals Stipendiat war. 1965 verbrachte Georg Baselitz als Stipendiat ein halbes Jahr in der Villa Romana in Florenz. Das war eine wunderbare Begegnung. Baselitz war für mich ein Künstler, den es bei uns in Holland, aber auch in Deutschland kaum gab. Künstler waren Leute wie Beuys: schlicht gekleidet, in Jeans oder Jeansjacke. Baselitz kam aus Italien, braun gebrannt in Begleitung seiner wunderschönen Frau Elke. Sie trug einen weißen Sommeranzug aus Leinen, war ebenso braun gebrannt, frisch und fröhlich. Ihre Mutter hat im Zirkus, im Kabarett, gearbeitet. Elke hatte etwas von ihrer Mutter. Sie war zwei oder drei Jahre jünger als Baselitz. Er ist vom Charakter her oft ziemlich böse und sehr schnell irritiert. Er meint es nicht so, er kann nicht anders. Er ist aus Sachsen und redet immer diskursiv: „Was meinst du?“ Einmal habe ich Baselitz in Derneburg besucht. An der Wand hing eines seiner Bilder und ich habe die rosarötliche Farbe als „elegantes Rot“ bezeichnet. Wir haben geredet und gesoffen. Es gab damals bei Baselitz in Derneburg immer viel zu trinken, Astenbecker Schnaps, der war sehr gut ...
Wann war das?
77/78.
Das war das erste Mal, dass Sie bei ihm waren?
Das erste oder das zweite Mal. Man konnte in der Nähe nirgendwo übernachten, daher hat man auch bei ihm gewohnt. Baselitz war einsam, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Elke fand es fantastisch, wenn Leute vorbeikamen. Sie wollte immer, dass ich meine Frau und meine Kinder mitbringe, und das habe ich auch gemacht. Sie fanden es toll. – Heute ist Baselitz weltberühmt, aber damals war er es nicht. – Am nächsten Morgen beim Frühstück war er irgendwie verstört. Ich fragte: „Was ist denn? Habe ich etwas falsch gemacht?“ – „Was hast du gemeint mit ‚elegantem Rot‘?“ – „Ich habe damit nichts gemeint. Ich fand die Farbe elegant, weich oder schön. Oder sie riecht gut.“ Ich war total überzeugt von Baselitz – und bin es bis heute. Er ist ein großartiger Maler. Aber Baselitz war in dieser Hinsicht sehr sensibel. Es gab damals eine gewisse Zwietracht zwischen den großen Künstlern. Auf der einen Seite die Werner-Künstler Baselitz, Penck und Lüpertz und auf der anderen Seite die Rheinländer Gerhard Richter, Sigmar Polke, Ulrich Rückriem, Katharina Sieverding und Imi Knoebel. Obwohl Knoebel und Sieverding wieder ein bisschen anders waren. Die Rheinländer haben bei Konrad Fischer Konrad Fischer (1939 Düsseldorf – 1996 Düsseldorf) war ein deutscher Künstler und Galerist. Seine 1967 in der Düsseldorfer Altstadt eröffnete Galerie stellte frühe Vertreter der Minimal Art und der Konzeptkunst vor, darunter Carl Andre, Hanne Darboven, Bruce Nauman und Lawrence Weiner. Als Konrad Lueg war Fischer vor Gründung seiner Galerie als Künstler tätig und stellte mehrfach unter anderen mit Gerhard Richter aus. Die bekannteste künstlerische Aktion, an der Lueg beteiligt war, fand im Oktober 1963 im Düsseldorfer Möbelhaus Berges unter dem Titel „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“ statt. ausgestellt und die anderen bei Michael Werner.
Wie haben Sie das von außen wahrgenommen?
Für mich war das unerheblich. Ich war mit beiden Galeristen sehr gut befreundet. Wir haben viel gesprochen und uns sehr oft gesehen. Von Eindhoven war man damals mit dem Auto in einer Stunde in Düsseldorf. Es gab keine Staus. Nach Köln brauchte man eineinhalb Stunden. Oft fuhr ich an einem Tag hin und wieder zurück.
Wann hat das angefangen?
Es fing 75 in Eindhoven an. Ich kannte die Künstler teilweise schon Anfang der 70er-Jahre. Denn bevor ich an das Museum kam, hatte ich schon eine Karriere als Kunstkritiker gemacht. Zwischen 1962 und 1975 war Rudi Fuchs als Kunstkritiker tätig und veröffentlichte unter anderem Beiträge in der Zeitschrift „De Gids“ und dem „Eindhovens Dagblad“. Die deutschen Künstler habe ich erst später kennengelernt, obwohl ich deren Ausstellungen damals bereits gesehen hatte. Im Museum musste ich dann andere Entscheidungen treffen. Es ist etwas anderes, ob man entscheidet, etwas auszustellen, oder ob man darüber schreibt und mit Leuten redet. Ich habe die Künstler dann alle – fast programmatisch – besucht.
Sind Sie in den 60er-Jahren auch nach Düsseldorf an die Akademie gegangen?
Nein. Ich habe von 1960 bis 1967 studiert. Ich war Rembrandt-Spezialist und bin als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität geblieben, wo ich bis 1974 gelehrt habe. Nach dem Abschluss seines Kunstgeschichtsstudiums 1967 arbeitete Rudi Fuchs bis 1974 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunsthistorischen Institut der Universität Leiden. In der Zeit habe ich für Zeitungen und Zeitschriften geschrieben. Das ging sehr gut. Ich war in Holland einer der bekanntesten jungen Kunstkritiker und habe unter anderem für die Zeitung „Dagblad“ geschrieben. Das ist wie bei euch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Dadurch habe ich auch viele Künstler kennengelernt, vorwiegend Holländer und Amerikaner. Ich war Anfang der 70er-Jahre immer in Amsterdam, das hat mir sehr gefallen. Auch die Amerikaner kamen oft.
Warum waren die in Amsterdam?
Um Ausstellungen zu realisieren. New York – Amsterdam war eine gute Flugverbindung nach Europa. Außerdem hat das Stedelijk Museum in Amsterdam damals sehr viel gemacht.
Was waren die Verbindungen nach New York? Gab es jemanden, der diesen Austausch besonders gefördert hat?
Ja, das waren de Wilde und Jan Dibbets. Dibbets war ein junger Künstler, er war sehr ambitioniert und hatte viele Ideen. Er war ständig bei Konrad Fischer, um seine neuen Arbeiten zu präsentieren, und hatte dann auch sehr schnell Ausstellungen. Jan Dibbets war in den 1960er-Jahren unter anderem in folgenden Ausstellungen vertreten: „Serielle Formationen“, Studiogalerie im Studentenhaus der Goethe-Universität, Frankfurt am Main, 1967; „Dies alles, Herzchen, wird einmal dir gehören“, Galerie Dorothea Loehr, Frankfurt am Main, 1967; „Live in Your Head. When Attitudes Become Form“, Kunsthalle Bern, 1969, sowie „Op Losse Schroeven. Situaties en cryptostructuren“, Stedelijk Museum, Amsterdam, 1969. Dibbets kannte viele Amerikaner. Er war in New York und London, kannte Robert Ryman Robert Ryman (* 1930 Nashville, Tennessee) ist ein US-amerikanischer Künstler, der zu den Vertretern der Analytischen Malerei zählt. und Richard Long und hat diese Kontakte auch vermittelt. Der Kontakt zu Ryman, der für de Wilde damals der wichtigste Maler überhaupt war, kam beispielsweise über Dibbets. Er hat gesagt: „Zu ihm musst du gehen!“ Dibbets war übrigens – von allen Künstlern hier – seit den späten 60er-Jahren mein bester Freund. Bis heute sind wir sehr gut befreundet. Er war auch maßgeblich an der Entdeckung der deutschen Malerei beteiligt. Er hatte zum Beispiel sehr früh ein Bild von Penck.
Holland ist wichtig gewesen, weil es in beide Richtungen offen war. Das spiegelte sich besonders im Programm vom Stedelijk Museum und vom Van Abbemuseum in Eindhoven wider. Holland ist eine kleine Nation und lebt vom Handel. Sie können es sich nicht leisten, mit Leuten wegen unwichtiger Fragen über Qualität oder Glauben zu streiten.
Für mich ist die Kunst auch ein Abenteuer. Man kann so viele verschiedene Dinge machen. Ich fand die Bilder, die ich damals von Penck und Lüpertz gesehen habe, sehr gut. Manchmal ist es für Leute schwierig, etwas gut zu finden, weil sie eine bestimmte Vorstellung davon haben, wie etwas sein sollte. Das gibt es sehr oft im Kunstbetrieb. Weniger bei den Künstlern, die sind meist sehr offen, auch wenn sie ihre eigene Arbeit immer am besten finden, was aber auch so sein muss, sonst könnten sie keine Kunst machen. Es sind die Leute drum herum, die Kritiker, die Theoretiker und die Ausstellungsmacher. Sie haben oft diese Ansichten. Ansichten zu haben ist der Tod der Kunst. Mein Freund Robert Barry konnte nicht verstehen, dass ein Maler wie Penck ein Künstler war. Er meinte, so könne man nicht malen. Er saß wie in einer Koje, festgefahren in seiner Vorstellung von Kunst. Das ist sehr oft bei Leuten so: „Kunst muss so sein! Das habe ich so gelernt, also muss es so sein!“ Das fängt schon bei der Trennung von Figuration und Abstraktion an. Bei Leuten wie Bruce Nauman wird das völlig aufgelöst, da kann man gar nicht mehr sagen, was abstrakt und was figurativ ist. Bei Penck genauso.
Als Penck 1975 die Ausstellung in Bern hatte, war er noch gar nicht im Westen.
Nein. Johannes Gachnang hatte versucht, ihn zur Eröffnung nach Bern zu holen, das ist aber nicht gelungen. Ich habe ihn zur Ausstellungseröffnung in Eindhoven auch eingeladen, denn Holland hatte eine besondere Beziehung zur DDR. Wir waren das erste Land, das die DDR als Staat anerkannt hat. Es gab somit eine gewisse Annäherung. Kurz vor der Penck-Ausstellung „A.R. Penck“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 1976. hatte ich eine Ausstellung von John Heartfield John Heartfield (eigtl. Helmut Herzfeld; 1891 Berlin – 1968 Ost-Berlin) war ein deutscher Maler und Grafiker, der als wichtiger Vorreiter im Bereich der Fotomontage gilt. Ab 1930 veröffentlichte er seine Arbeiten regelmäßig in der sozialistisch orientierten Zeitschrift „Arbeiter Illustrierten Zeitung“ (AIZ). Nachdem Mitglieder der SA 1933 seine Wohnung gestürmt hatten, flüchtete Heartfield zunächst in die Tschechoslowakei und später nach Großbritannien, von wo aus er weiterhin für oppositionelle Medien tätig war. Ab 1950 lebte Heartfield in der DDR und wurde 1956 zu einem ordentlichen Mitglied der Akademie der Künste gewählt. Die Ausstellung „John Heartfield. 1891–1968. Fotomontages“ fand vom 12. April bis 25. Mai 1975 im Stedelijk Van Abbemuseum in Eindhoven statt. gemacht. Er war auch aus der DDR, dadurch hatte ich schon mit Leuten aus der DDR zu tun gehabt. Ich bin damals zu der Botschaft in Den Haag gegangen und habe gesagt: „Ich mache eine Ausstellung mit einem Künstler namens Penck. Ich möchte gerne, dass er zu Besuch kommt – er geht auch wieder zurück.“ Penck wollte damals eigentlich gar nicht weg. Die Leute waren sehr höflich: „Penck? Wir kennen keinen Penck. Den gibt es nicht!“ – „Entschuldigung, offiziell heißt er Ralf Winkler.“ – „Nein, er ist nicht als Künstler registriert.“ Ich habe denen Kataloge gezeigt: „Das macht er!“ Sie blieben aber stur, es ist mir nicht gelungen. Später wurde ich gefragt: „Warum Penck?“ Penck ist im Grunde ein Realist wie Bernhard Heisig und Willi Sitte, nur macht er es abstrakt. Er entwirft Systeme wie die Künstler des Sozialistischen Realismus Der sogenannte „Sozialistische Realismus“ war eine Kunstströmung des 20. Jahrhunderts, die auf der Weltanschauung und Ideologie des Marxismus-Leninismus gründete. Neben einer sozialistischen Grundhaltung sollten sich im Kunstwerk Volksverbundenheit und Wahrheitsanspruch manifestieren. 1932 erklärte Josef Stalin den Sozialistischen Realismus zur einzig gültigen Kunstform der Sowjetunion. Ebenso prägend war der Stil in der durch den Staat kontrollierten Kunst der DDR und Chinas. Bernhard Heisig (1925–2011) und Willi Sitte (1921–2013) zählen zu den wichtigsten Vertretern der Strömung innerhalb der DDR. Siehe auch: Martin Damus, „Malerei der DDR. Funktionen der bildenden Kunst im Realen Sozialismus“, Berlin 2002. . Das liegt alles nicht so weit auseinander. Michael Werner hat ihn ja damals aus der DDR geholt. Nachdem A.R. Penck durch Willi Sitte, den Präsidenten des Verbands Bildender Künstler der DDR (VBK), die Teilnahme an einer Ausstellung deutscher Gegenwartskunst in Paris verwehrt worden war, stellte er einen Ausreiseantrag und siedelte am 03. August 1980 in die Bundesrepublik über. Wann war das?
Penck kam 1980 in den Westen.
1980. Genau! Kurz vor der documenta. Penck war im Westen unglücklich. Erst hat er bei Michael Werner im Schlösschen in Kerpen gewohnt, Zu Beginn der 1970er-Jahre mieteten der Galerist Michael Werner und seine damalige Frau Jule (heute Kewenig) das Schloss Loersfeld bei Kerpen. Für mehr als zehn Jahre war Loersfeld Lebens- und Arbeitsmittelpunkt des Paars. das konnte er aber nicht ertragen. Es war ihm zu fett, zu fettes Essen. Das war er nicht gewohnt. Heute wohnt er in Irland, in Dublin. A.R. Penck zog 1982 nach London. Nach seiner Emeritierung 2005 lebte er bis zu seinem Tod am 02. Mai 2017 in Dublin. Dublin ist ähnlich wie die DDR. Nicht identisch, aber sie leben nach ähnlichen Standards und haben einen ähnlichen Lebensstil: Bier trinken und Kartoffeln essen.
Hatten Sie Penck schon persönlich getroffen, als Sie damals die Ausstellung in Eindhoven machten?
Nein, ich kannte nur seine Bilder.
Und die Bilder kamen alle von Michael Werner? Oder waren die Werke zu der Zeit schon in irgendwelchen Sammlungen?
Hier in Holland wurde auch ein bisschen verkauft. Es gab zum Beispiel den Sammler Martin Visser Martin Visser (1922 Papendrecht ‒ 2009 Bergeijk) war ein niederländischer Möbeldesigner und Kunstsammler. Neben Werken der Gruppe CoBrA umfasste seine Sammlung unter anderem auch Arbeiten von Georg Baselitz, Keith Haring, Anselm Kiefer und Sigmar Polke. Ein Großteil seiner Sammlung befindet sich heute im Kröller-Müller Museum im niederländischen Otterlo. , der Zeichnungen von Penck kaufte, als wir die Ausstellung in Eindhoven hatten. Penck hatte mit seinen Systemzeichnungen Mappen gemacht und die hat Visser gekauft. Ich glaube, die Galerie Wide White Space in Antwerpen hatte auch Penck. Sie waren mit Michael Werner und Kasper König Kasper König (* 1943 Mettingen) ist ein Kurator und Museumsdirektor. Nach einem Volontariat in der Galerie Rudolf Zwirner in Köln lebte er ab 1965 in New York. Gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Klaus Bußmann gründete er 1977 die Skulptur-Projekte in Münster. König war zwischen 1984 und 1988 Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Düsseldorf sowie von 1988 bis 2000 Rektor der Städelschule in Frankfurt am Main. Im Jahr 2000 wurde er zum Direktor des Museums Ludwig in Köln berufen, das er bis 2012 leitete. Er verantwortete zahlreiche Großausstellungen, darunter „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“ (1981), „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“ (1984), die Skulptur-Projekte in Münster (1977, 1987, 1997, 2007, 2017) sowie die „Manifesta 10“ in St. Petersburg (2014). König gilt als wichtiger Vermittler des Werks von Donald Judd, On Kawara, Claes Oldenburg, Gerhard Richter und Franz Erhard Walther. befreundet und hatten dadurch Beziehungen zu ihm. Die Bilder in meiner Ausstellung kamen aus Bern, waren aber anders installiert als dort. Ich hatte drei Räume mit Tischen und Zeichnungen. Die Ausstellung kam sehr gut an, weil die DDR hier in Holland geliebt wurde.
Eine Ausstellung von einem Künstler zu machen, den keiner kennt und der nicht reisen darf, war das attraktiv?
Ich habe nie gedacht, dass ich ihn nicht kenne. Irgendwie kannte ich ihn. Gachnang hatte ihn auch besucht, ich war aber nie in der Nähe. Ich war nur ein paar Mal in Ost-Berlin.
Wann waren Sie das erste Mal in Berlin?
Anfang der 70er-Jahre.
Erinnern Sie sich, was Sie damals in Berlin gesehen haben?
Ich erinnere mich an ein Bild von Karl Friedrich Schinkel Karl Friedrich Schinkel (1781 Neuruppin – 1841 Berlin) war ein deutscher Architekt, Stadtplaner und Maler des Klassizismus. Als Oberlandesbaudirektor Preußens prägte er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem das Stadtbild Berlins. Nach seinem Tod führten die Architekten der „Schinkelschule“ die Prinzipien seines Stils fort. , ich weiß aber nicht mehr, wo ich es gesehen habe. Berlin war halt Berlin.
Michael Werner haben Sie damals in Berlin noch nicht getroffen?
Werner habe ich erst in Köln kennengelernt. Ich war mehr in Museen und Kunsthallen, weniger in Galerien. Wenn man kein Sammler oder Museumsdirektor ist, hat man keinen Anlass, in eine Galerie zu gehen. In Galerien geht man, wenn man etwas kaufen will. Als ich die Penck-Ausstellung damals machte, war Michael Werner natürlich sehr hilfreich. Er hat das sehr gut organisiert. Damals waren die Künstler alle noch bei Michael Werner, auch Markus Lüpertz, Georg Baselitz, Jörg Immendorff und Per Kirkeby.
Haben Sie die Künstler auch durch Michael Werner kennengelernt?
Die Künstler waren ab und zu in Gruppenausstellungen aufgetaucht, da hat man sie schon wahrgenommen. Dann war die Penck-Ausstellung „A.R. Penck“, Kunsthalle Bern, 22. Februar – 06. April 1975. in der Schweiz für mich sehr wichtig. Obwohl sie damals kaum beachtet wurde. In dieser Zeit habe ich Michael Werner getroffen, der später ein Freund wurde. Es gibt ja Leute, bei denen man sich sofort wohlfühlt. Über Michael Werner habe ich dann Immendorff und die anderen Künstler kennengelernt. Ich liebte auch die Diskussionen mit Werner: „Du bist ein Pluralist!“ und so weiter. Bis heute haben wir Diskussionen. Er behauptet, Lüpertz sei ein anti-moderner Maler – ein Anti-Modernist. Er meint, das sei die große Qualität von Lüpertz. Wenn wir darüber diskutieren, antworte ich Michael Werner bis heute: „Wenn man sich die Figuren in seinen neuen Bilder anschaut, sind sie ohne die moderne Malerei undenkbar. In jeder Figuration von Lüpertz spürt man die Abstraktion als Problem oder als Ausgangspunkt.“ Diese Diskussionen haben wir bis heute, und das finde ich schön.
Es gibt einen wunderbaren Satz vom Sammler Dr. Reiner Speck Der Kölner Mediziner Reiner Speck (* 1941 bei Köln) sammelt seit Ende der 1950er-Jahre Werke der europäischen und amerikanischen Gegenwartskunst. Die Sammlung umfasst unter anderem Arbeiten von Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, James Lee Byars, Martin Kippenberger, Sigmar Polke und Cy Twombly. Einen besonderen Fokus legt Speck, der ferner die Schriften Marcel Prousts und Francesco Petrarcas sammelt, auf künstlerische Arbeiten, die Schrift und Sprache einbeziehen. . Er hatte das gleiche Problem wie ich: Er hat unter anderem James Lee Byars, Günther Förg und Polke gesammelt. Außerdem Manuskripte von Francesco Petrarca und Marcel Proust. Dann kamen noch die Italiener hinzu und Jannis Kounellis. Er ist ein ziemlicher Pluralist und ein wunderbarer Mensch. Speck hat einmal gesagt: „Stell dir vor, du lebst im Jahr 1923. Du siehst ein Bild von Piet Mondrian Piet Mondrian (1872 Amersfoort – 1944 New York) war ein niederländischer Maler und Vertreter der Konkreten Kunst. Er gilt als zentraler Wegbereiter der abstrakten Malerei. , das du sehr schön findest, du siehst ein Bild von Kurt Schwitters und eines von Ernst Ludwig Kirchner Ernst Ludwig Kirchner (1880 Aschaffenburg – 1938 Frauenkirch-Wildboden, Schweiz) war ein deutscher Künstler des Expressionismus, der zu den Gründungsmitgliedern der Dresdener Künstlergruppe Brücke gehörte. Nachdem die Nationalsozialisten seine Kunst 1937 als „entartet“ eingestuft hatten, wurde in den Folgejahren ein Großteil seines Werks zerstört. 1938 beging Kirchner in Frauenkirch-Wildboden bei Davos Selbstmord. . Da kann man doch nicht sagen: ‚Das eine ist gut und das andere ist nicht gut.‘“ Man kann nicht sagen, dass Kirchner kein guter Maler ist. Er ist anders, vielleicht komplizierter, das sind andere Emotionen. Aber in den 70er-Jahren hieß es: „Judd ist ein wunderbarer Künstler und Baselitz ist scheiße.“ Das hat übrigens auch Donald Judd so gesagt. Es gab damals keine Diskussion darüber, was gut und was nicht gut ist, das war Geschmackssache. Es gab aber eine Diskussion darüber, was richtig und was falsch war. Ich habe das in einem Text, den ich über Schwitters geschrieben habe, ausgeführt. Als ich den Text in Amerika vorgetragen habe, waren die Amerikaner empört. – Michael hatte mich auf seinem programmatischen Feldzug für deutsche Malerei in Übersee nach New York eingeladen und sich selbst geopfert, indem er Mary Boone Mary Boone (* 1951 Erie, Pennsylvania) eröffnete 1977 eine Galerie im New Yorker Stadtteil SoHo. Mit Georg Baselitz, Jean-Michel Basquiat, David Salle und Julian Schnabel vertrat sie einige der international erfolgreichsten künstlerischen Positionen der 1980er-Jahre. geheiratet und mit ihr einen Sohn gezeugt hat. Alles für die deutsch-amerikanische Freundschaft. – Jedenfalls habe ich bei dem Vortrag gesagt, dass Schwitters ebenso wie Mondrian wichtig waren. Das hat die Amerikaner erstaunt. Sie waren wütend, weil die moderne Malerei, die für sie mit Jackson Pollock und Barnett Newman beginnt, damals zu ihrer Religion geworden war. Und die Religion hatte eine Kirche und die Kirche war das Museum of Modern Art. Einer der Kirchgänger war beispielsweise de Wilde. Er war ein großer Freund der Amerikaner, wie ich ein großer Freund von Michael Werner war. Das wurde mir auch von manchen deutschen Kritikern vorgeworfen. Bei der documenta hat jemand geschrieben, ich wäre ein romantischer Faschist, worauf ich in gewisser Weise stolz war.
Obwohl die Amerikaner wahrgenommen haben, dass Mondrian und Fernand Léger damals in Amerika gearbeitet hatten, waren sie mit meinem Vortrag nicht einverstanden. Dabei ist sicher, dass der junge Pollock die späte Arbeit von Mondrian gesehen hat. Wahrscheinlich war er sogar in seinem Atelier. Mondrian hat den Gegenstand in seinen letzten Bildern völlig aufgelöst und Pollock hatte das bei ihm gesehen. Das mindert die Qualität Pollocks in keinster Weise. Für Michael aber war es ein Fluch in der Kirche, weil die Amerikaner der Meinung sind, dass die amerikanische Malerei sui generis geboren ist. Wie Christus von der Jungfrau Maria geboren wurde. Die modernistische Malerei hatte von Beginn an diesen Glauben an das Neue und Reine. Wie Amerika selbst auch. In der Unabhängigkeitserklärung von Amerika, die von Thomas Jefferson 1776 verfasst worden ist, heißt es, dass in Europa alles falsch und durch die Kriege kaputtgegangen sei – was ja auch so war – und dass in Amerika alles neu und anders gemacht wird. Das ging so weit, dass Jefferson der Ansicht war, Amerika solle sich einzig auf die Landwirtschaft konzentrieren, da die Industrie das Proletariat hervorbringt und das schmutzig sei. Es gab diese Utopie um Amerika. Und auch die Malerei ist in diesem Sinne utopisch. Das habe ich auch Donald Judd gesagt. Es gibt einen Film über Judd Michael Blackwood, „The Artist’s Studio: Donald Judd“, 33 Minuten, 1972/2010. , und während einer Vorführung sagte er einmal: „Rudi denkt, ich wäre ein Utopist, aber für mich ist das real. Ich bin Realist!“ Ein Block ist ein Block. Punkt. So denken Amerikaner. Die Sonne ist die Sonne. Das Weiß von Robert Ryman ist weiß. Die sauberste Farbe, die es gibt, ist Weiß. Alle anderen Farben sind verwirrt, sie haben Leidenschaft. Das Rot, das Grün, das Blau. Weiß ist das Sein, mehr noch als Grau. Weiß ist das Unbeschmutzte. Damals habe ich in Eindhoven die grauen, monochromen Bilder von Gerhard Richter gezeigt „Ooghoogte. Stedelijk Van Abbemuseum 1936–1986“, Van Abbemuseum, Eindhoven, 14. Juni – 09. November 1986. und gesagt: „Das Grau von Richter ist das Grau des ‚Bamberger Reiters‘ Der „Bamberger Reiter“ ist ein aus Stein gefertigtes Reiterstandbild im Ostchor des Bamberger Doms, dessen Entstehung auf das Jahr 1235 geschätzt wird. Siehe auch: Hannes Möhring, „König der Könige. Der Bamberger Reiter in neuer Interpretation“, Königstein im Taunus 2004. . Das Grau von Diego Velázquez ist das Grau von Caspar David Friedrich. Runges Philipp Otto Runge (1777 Wolgast – 1810 Hamburg) war ein deutscher Maler der Romantik. Grau ist das des Wormser Doms.“ Es ist vieles grau in unserer Geschichte. Die europäische Malerei trägt stetig eine komplexe Geschichte mit sich. Amerika ist hingegen neu. Und die Amerikaner haben versucht, diese Neuheit als Ziel zu nehmen: „So muss es sein!“ An sich ist die amerikanische Malerei aber auch verschmutzt, von Hollywood zum Beispiel.
Ich sehe diese zwei Positionen, die Sie beschrieben haben.
Das eine war falsch und das andere war richtig. Das habe ich nie akzeptieren können.
Es gab noch andere, die sich für die Gruppe um Baselitz und Lüpertz interessierten, aber es waren wenige.
Ja, Gachnang und Klaus Gallwitz Klaus Gallwitz (* 1930 Pillnitz) ist ein deutscher Kunsthistoriker und Kurator, der von 1967 bis 1974 die Kunsthalle Baden-Baden leitete. Von 1974 bis 1994 war er Direktor am Städel Museum in Frankfurt am Main, von 1995 bis 2002 leitete er das Künstlerhaus Schloss Balmoral in Bad Ems. Ab 2004 war er unter anderem als Gründungsdirektor des Museums Frieder Burda in Baden-Baden und des Arp Museums Bahnhof Rolandseck in Remagen tätig. Zwischen 1976 und 1980 betreute Gallwitz dreimal den Deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig, wo er Ausstellungen mit Joseph Beuys (1976), Jochen Gerz (1976), Reiner Ruthenbeck (1976), Dieter Krieg (1978), Ulrich Rückriem (1978), Georg Baselitz (1980) und Anselm Kiefer (1980) verantwortete. . Es wurde eher, auch von den anderen Künstlern, darüber geschimpft.
Werner war sich aber so sicher, dass er immer dabeigeblieben ist?
Werner war stur. Ein Berliner, Preuße. Er hat gesehen, dass es eine Malerei gab, die sehr eigensinnig war. Für mich war sie deutsch. Ich hatte überhaupt kein Problem mit deutsch oder nicht deutsch. Ich liebte Deutschland. Wegen meiner Mutter, die zur Olympiade in Berlin war; wegen dieser Radfahrten nach Heidelberg. (Ein Jahr später sind wir ins Sauerland gefahren. Ich wollte die sauerländischen Seen sehen, wo man die Dämme errichtet hat, die dann bombardiert worden sind. Es gab einen berühmten Film: „The Dam Busters“ Michael Anderson, „The Dam Busters“, 122 Minuten, 1955. . Das war ein Kriegsfilm in Schwarz-Weiß, den ich sehr schön fand.) Gachnang hat gesagt: „Ohne Deutschland gibt es kein Europa.“ Wir sind natürlich auch nach Italien gefahren. Ich bin viel umhergereist und dann habe ich 1982 die documenta gemacht, zeitgleich mit dem Aufbau des Turiner Museums Castello di Rivoli. Rudi Fuchs war von 1984 bis 1994 Direktor des Museums Castello di Rivoli in Turin. Auch in Spanien haben wie nach Künstlern für die documenta gesucht.
Was heißt „gesucht“?
Ich habe für die documenta Künstler gesucht. Miquel Barceló Miquel Barceló (* 1957 Felanitx, Mallorca, Spanien) ist ein spanischer Künstler, der sich in seinen malerischen und skulpturalen Arbeiten vorwiegend mit religiösen und anthropomorphen Fragestellungen beschäftigt. , Julião Sarmento Julião Sarmento (* 1948 Lissabon) ist ein portugiesischer Künstler, dessen Werke sich vornehmlich durch konzeptuelle Fragestellungen sowie den Entwurf multimedialer Installationen auszeichnen. …
Wo und wie haben Sie die gesucht?
Wir haben herumgefragt: „Was gibt es hier? Gibt es einen neuen interessanten Künstler?“
Sie sind nach Madrid gefahren?
Und nach Portugal … Ich musste eine europäische documenta machen, das heißt, ich musste herausfinden, ob es Leute gab, die ich noch nicht kannte. Zu viele Künstler konnte ich natürlich auch nicht ausstellen und ich musste auch die Amerikaner berücksichtigen. „You can’t have them all.“ Ich habe mich zum Beispiel für David Salle und nicht für Julian Schnabel entschieden.
Warum nicht für Julian Schnabel?
Es gab keinen Grund.
Später hieß es: „Schnabel ist der berühmteste Künstler der documenta, der nicht teilgenommen hat.“ Dafür hat sicher unter anderem Jiří Georg Dokoupil gesorgt, der zur documenta ein Bild lieferte, das wie ein Schnabel-Gemälde aussah. Jiří Georg Dokoupil, „Gott, zeig mir Deine Eier“, 1982.
Ich weiß nicht, ob es aussah wie Schnabel.
Haben Sie mit Dokoupil nie über seinen Beitrag gesprochen?
Nein, ich habe nicht mit allen teilnehmenden Künstlern gesprochen.
Aber Sie kannten Dokoupil?
Ja, sicher.
Und Sie haben keinen Anlass gesehen, je mit dem Künstler über seine Schnabel-Imitation mit dem provokanten Titel „Gott, zeig mir Deine Eier“ zu sprechen?
Nein, es war sehr viel los damals. Ich war froh, als die documenta eröffnet war. Die Ausstellung war eigentlich sehr gelungen. Wenn ich heute in Kassel bin, werde ich immer noch von den Leuten umarmt: „Wunderbar, wunderbar!“ Es war eine gute Ausstellung. Sie war kompakt. Im Grunde war vieles da, bis auf ein paar Ausnahmen: Günther Förg war nicht dabei. Georg Herold war nicht dabei. Schnabel eben auch nicht.
Martin Kippenberger und Albert Oehlen waren auch nicht dabei. Kannten Sie diese Künstler damals noch nicht?
Ich kannte sie, fand sie aber nicht so gut. Bis heute finde ich das Werk übertrieben. Ich bin ja ein Intellektueller. Ich bin Holländer, aber ich lese auch französische Literatur und Gedichte. David Salle war für mich ein interessanter Maler. Das ist bei jeder Ausstellung so: Man zeigt seine eigene Generation. Ich war damals 40 Jahre alt und in etwa so alt waren auch die Künstler. 1982 war Baselitz 42, Lüpertz war 41, Immendorff und Richard Long waren mit 37 Jahren etwas jünger. Das war meine Generation. Man hatte die gleichen Filme gesehen und die gleiche Musik gehört. Wie heute auch. Ich sehe das bei meinen Enkelkindern. Sie haben mit 17 Jahren eine ganze andere Welt, das ist ihre Welt und das ist auch gut so. Förg und Herold waren jünger als ich. Es wäre mir nie eingefallen zu sagen, dass sie keine guten Künstler sind. Später war ich mit Förg eng befreundet. Das Gleiche gilt für Schnabel und Herold. Aber in der heißen Phase des documenta-Aufbaus kamen sie nicht vor. Es war auch ein Raumproblem. Man hat nur eine bestimmte Anzahl von Räumen und Quadratmetern und ich wollte unbedingt mehrere Arbeiten von den Künstlern haben und diese dann in der Gruppe zusammen zeigen. Das war das Prinzip. Zum Beispiel Robert Ryman mit Mario Merz. Oder Carl Andre mit Markus Lüpertz. Sie sind die gleiche Generation. Carl Andre ist etwas älter, er ist dieses Jahr 80 geworden. Das war meine Generation und das war deren documenta. Das funktioniert auch heute noch so.
Dabei haben Sie durchaus Künstler unterschiedlicher Altersklassen gezeigt.
Ja, ich habe auch ein paar Ältere gezeigt. Das war sehr programmatisch. Die großen abstrakten Maler: Richard Paul Lohse und Emilio Vedova. Beuys war in der Mitte. Beuys war wichtig. Auch für mich, für das Denken. Beuys hat sozusagen die Freiheit der Kunst präsentiert. Er hatte keinen Stil, Beuys war stillos. Über Baselitz oder Kounellis kann man sagen, dass sie Stilmacher sind. Die halten daran fest. Beuys fließt hin und her wie Wasser.
Und trotzdem hat das Werk einen starken Wiedererkennungswert.
Ja, Gott sei Dank!
Ist „stillos“ dann der korrekte Begriff?
Man darf nicht vergessen, dass es damals einen Streit über die Stilfrage gab. Kurz vor der documenta hatte Beuys eine Ausstellung im Guggenheim Museum. „Joseph Beuys“, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, 02. November 1979 – 02. Januar 1980. Überall stand groß: „Beuys im Guggenheim!“ Die Ausstellung wurde mit Geld aus Deutschland bezahlt, das war damals normal. Johannes Cladders, Johannes Cladders (1924 Krefeld – 2009 Krefeld) leitete von 1967 bis 1985 die Städtischen Kunstmuseen (ab 1982 Museum Abteiberg) in Mönchengladbach. Für die „documenta 5“ (1972) arbeitete er im Team von Harald Szeemann. Cladders war 1982 und 1984 kommissarischer Leiter des Deutschen Pavillons der Biennale von Venedig. Er gilt als wichtiger Vermittler des künstlerischen Werks von Joseph Beuys, Robert Filliou und Jannis Kounellis. einer meiner documenta-Vorgänger und für mich eine Art Vaterfigur, ist damals mit Mitte 50 zum ersten Mal in seinem Leben nach New York geflogen. Für mich war er der große deutsche Museumsdirektor, der größte von allen. Ich war damals auch gerade in Amerika und wir haben uns bei der Eröffnung getroffen. Anschließend waren wir irgendwo in Manhattan in einer Kneipe und da war auch Richard Serra Richard Serra (* 1939 San Francisco) ist ein US-amerikanischer Künstler, der mit seinen monumentalen, aus Industriestahl gefertigten Skulpturen bekannt wurde. dabei. Nun kann man sagen, dass zwischen Serra und Beuys in der Farbigkeit eine gewisse Ähnlichkeit besteht. Man sieht, dass es die gleiche Periode ist. Als Typ war Serra manchmal ziemlich unerträglich und in der Kneipe hat er getobt: „Scheiß Beuys! Das ist unmöglich, dass er eine Ausstellung im Guggenheim hat und ich nicht!“ Darüber war er persönlich beleidigt. Und ich werde nie vergessen, wie wir, also Serra, Cladders, der ein alter Freund von Beuys war, und ich, damals gestritten haben. Die Amerikaner haben damals gedacht und denken es heute auch noch, dass sie ein Recht haben, irgendwo zu sein. Obama hat das Recht zu sagen, dass Putin mit seiner Beurteilung von Assad falsch liegt. Seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 gilt der damals amtierende US-amerikanische Präsident Barack Obama als einer der vehementesten Kritiker des Bündnisses zwischen dem syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad und dem Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin. Siehe auch: Martin Klingst, „Obamas vertane Chance“, in: „Zeit Online“, 29.08.2016, unter: http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-08/syrien-konflikt-waffenruhe-usa-russland-stellvertreterkrieg (eingesehen am 09.01.2017). Warum eigentlich? Das Gute an Beuys, Baselitz und Lüpertz war, dass sie sehr stur waren: „Wir machen keine Kompromisse!“ Das war kompromisslose Malerei. Genauso wie Judd kompromisslose Abstraktion ist. Kompromisslos ist das entscheidende Wort. Kompromisslos war auch Schwitters, und das hat mir gefallen. Auch die documenta sollte kompromisslos sein.
Auf meinem Heimweg von Kassel nach Eindhoven habe ich öfters bei Beuys zum Kaffee gehalten. Ich erinnere mich, wie er die Wurst für das Abendbrot geschnitten hat. Und einmal habe ich ihn gefragt: „Was mache ich denn mit diesen jungen Künstlern?“ – „Du musst sie ausstellen. Das ist der Humus.“ Für Sachen, die sich verändern, hat er das Wort „Humus“ benutzt. Es gibt Künstler, die eine Form gefunden haben, eine Haltung – und es gibt die Jüngeren. Salomé im Vergleich zu Immendorff zum Beispiel: Salomé war der Humus und Immendorff war eine gestandene Position. Solche Überlegungen hat man gehabt. Die documenta ist eine sehr große Ausstellung, man arbeitet drei Jahre oder länger daran. Ich habe fast zwei Jahre in Kassel gewohnt. Johannes Gachnang kam auch für fast ein Jahr. Und es war die letzte Ausstellung ohne Fax und Internet, es gab nur Telefon und Briefe. Die Künstler kamen mit dem Zug nach Kassel, brachten ihre Modelle mit und dann wurde das dort besprochen. Die Amerikaner habe ich öfters zur Zollgrenze mitgenommen. Wenn man von Kassel ein Stück weiterfährt, kommt ein schönes kleines Dorf mit Fachwerkhäusern. Idyllisches Deutschland. Jedes Haus dort ist wie ein Dürer-Aquarell. Und einen halben Kilometer weiter waren der Zaun und die Wachtürme, dahinter kam die DDR. Kassel war das Ende der Bundesrepublik, es war ein Tal, wie das Neandertal.
Als Beuys einmal wegen seiner Eichen Joseph Beuys, „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“, 1982–1987. Zur „documenta 7“ stellte Joseph Beuys 1982 sein „7.000 Eichen“-Projekt vor: 7.000 Eichen sollten im Stadtraum Kassel angepflanzt werden. Begleitet wurden die Neupflanzungen jeweils durch die Aufstellung einer Basaltstele, die bis zu ihrer Verwendung auf dem Friedrichsplatz vor dem Fridericianum in einer Dreiecksform aufgeschüttet waren. Die Aktion endete begleitend zur „documenta 8“ im Jahr 1987. Ein Teil der Finanzierung wurde von der Dia Art Foundation übernommen. Über die Freie Internationale Universität (FIU) konnten für den Preis von 500 D-Mark zudem einzelne Eichen gekauft und gespendet werden. Siehe auch: Fernando Groener/Rose-Maria Kandler (Hg.), „7000 Eichen. Joseph Beuys“, Köln 1999. in Kassel war, sagte er irgendwann: „Ich habe noch nichts gegessen. Wollen wir etwas essen gehen? Hast du Zeit?“ – „Ich habe immer Zeit.“ Darauf sagte er: „Ich bin immer alleine.“ Und das stimmte. Abends war er oft allein. Wir waren also in einem Lokal und ich kann mich an die Gespräche nicht mehr erinnern, aber an die Stimmung. Sie war hoffnungsvoll. Ein Neuerwachen – auch in der deutschen Kultur. Viele meiner deutschen Kollegen in der Museumswelt, wie beispielsweise Dieter Honisch Dieter Honisch (1932 Beuthen, Oberschlesien, heute Polen – 2004 Berlin) war ein deutscher Kunsthistoriker und Kurator. Er studierte Kunstgeschichte an den Universitäten Münster, Wien und Rom und promovierte 1960 mit einer Arbeit über den Maler Anton Raphael Mengs (1727–1779). Von 1960 bis 1965 war Honisch Geschäftsführer des Westfälischen Kunstvereins in Münster und von 1965 bis 1968 Direktor des Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart, wo er unter anderem die Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ verantwortete. 1968 wurde Honisch Kustos und später Oberkustos am Folkwang Museum in Essen, bevor er im Februar 1975 als Nachfolger von Werner Haftmann zum Direktor der Berliner Nationalgalerie berufen wurde, die er bis 1997 leitete. 1970 und 1972 war Honisch Kommissar des Deutschen Pavillons der Biennale von Venedig. , haben damals das amerikanische Gelaber geglaubt und gedacht, dass sie weniger wert seien als die Amerikaner. Das war sehr schwierig. Ähnlich war es mit den Sammlern. Peter Ludwig Peter Ludwig (1925 Koblenz – 1996 Aachen) war ein deutscher Industrieller und international agierender Kunstmäzen, der ab 1969 eine der bedeutendsten Sammlungen moderner und zeitgenössischer Kunst aufbaute. Durch Schenkungen und Leihgaben etablierte Ludwig zahlreiche Kooperationen zwischen öffentlichen Trägern und seiner Privatsammlung. Die Stadt Köln erhielt 1976 eine umfangreiche Auswahl seiner Sammlung – unter der Voraussetzung, für diese einen eigenen Präsentationsort, das heutige Museum Ludwig, zu errichten. 1982 gründeten Peter und Irene Ludwig die Ludwig Stiftung für Kunst und internationale Verständigung, die nach dem Tod Peter Ludwigs 1996 in die Peter und Irene Ludwig Stiftung überging. Vgl. Heinz Bude, „Peter Ludwig. Im Glanz der Bilder“, Bergisch Gladbach 1993. zum Beispiel hat erst sehr spät die deutsche Malerei angenommen. Obwohl die Künstler sehr gut und sehr eifrig waren, gab es immer diese Vorbehalte. Die documenta sollte das große Spektrum zeigen. Das wurde dann natürlich von Johannes Gachnang, der aus der Schweiz stammte, und mir, einem Holländer, behauptet. Wie Bernhard Lohse sagte: die Schlachtfelder der Reformation. Holland und die Schweiz.
Wie sind Sie eigentlich zur documenta gekommen?
Das hat sich so ergeben. Ich war stur. Wenn man jung ist, denkt man, dass man alles weiß. Heute weiß ich nichts mehr. Die Suche nach einem neuen documenta-Chef begann um 78. Davor war Manfred Schneckenburger Manfred Schneckenburger (* 1938 Stuttgart) ist ein deutscher Kunsthistoriker und Kurator, der von 1991 bis 2004 die Professur für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Münster betreute. Als künstlerischer Leiter verantwortete er die beiden documenta-Ausstellungen 6 und 8 in den Jahren 1977 und 1987. der Leiter und davor Harry Szeemann Harald Szeemann (1933 Bern – 2005 Tegna im Tessin, Schweiz) war von 1961 bis 1969 Direktor der Kunsthalle Bern. Dort zeigte er 1969 die wegweisende Ausstellung „Live in Your Head. When Attitudes Become Form“. Szeemann leitete 1972 die „documenta 5“ und organisierte die Ausstellung „Junggesellenmaschinen/Les Machines Célibataires“, die ab 1975 an neun Ausstellungsorten in Europa, darunter in der Kunsthalle Bern, der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf, der Kunsthalle Malmö und dem Stedelijk Museum in Amsterdam, zu sehen war. 1983 folgte die Ausstellung „Das Gesamtkunstwerk“, die für das Kunsthaus Zürich konzipiert war und anschließend nach Wien, Düsseldorf und Berlin reiste. 1999 und 2001 kuratierte Szeemann die Themenausstellungen der Biennale von Venedig. Mit seinen innovativen Ausstellungsformaten zählt er zu den wichtigsten Vermittlern der Kunst seiner Zeit. . Alle haben über Harry geredet, inklusive mir. Harry war wunderbar. Schneckenburger war für mich ein typischer Deutscher.
Haben Sie seine documenta gesehen?
Ja, sicher. Ich habe seit 68 alle documenta-Ausstellungen gesehen. Schneckenburger war stur. Heute sind wir sehr gut befreundet, damals war das noch zu nah. Ich fand seine Ausstellung ein bisschen zu amerikanisch. Für die Suche des neuen documenta-Leiters gab es eine Kommission. Für die Ernennung des künstlerischen Leiters der „documenta 7“ (1982) wurde erstmals eine Findungskommission eingesetzt, die im Vorfeld Personalempfehlungen an den Aufsichtsrat gab. Der Aufsichtsrat der „documenta 7“ bestand aus zehn Stellvertretern der Stadt Kassel und des Landes Hessen, darunter dem Kasseler Oberbürgermeister Hans Eichel, dem Mathematik-Professor Klaus Barner und dem Direktor des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt Wolfgang Beeh. Siehe auch: o. A., „Documenta – Mehr von wenigen“, in: „Der Spiegel“, Nr. 8, 19.02.1979, S. 199–200. Sie bestand aus Klaus Gallwitz, Harry und Hans Eichel Hans Eichel (* 1941 Kassel) ist ein deutscher Politiker und seit 1964 Mitglied der SPD. Von 1975 bis 1991 war er Oberbürgermeister der Stadt Kassel und war in dieser Funktion zugleich Teil des Aufsichtsrats für drei documenta-Ausstellungen. Eichel war von 1999 bis 2005 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder Finanzminister der Bundesregierung. , der damals Kasseler Bürgermeister war. Ich hatte meine Karriere gerade erst begonnen und war innerhalb von drei, vier Jahren als Museumsdirektor berühmt geworden, mit diesen komischen Ausstellungen zu Baselitz, Richard Long und solchen Leuten. Ich machte damals jeden Monat eine neue Ausstellung. Richard Long, Gilbert & George, Jannis Kounellis und so weiter. „Richard Long“, 1979; „Gilbert & George. Photo-Pieces 1971–80“, 1980; „Jannis Kounellis“, 1981, alle Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven. Immer etwas anderes, aber immer so zeitgenössisch wie möglich. Auch mit viel jüngeren Künstler wie Carl Andre, Richard Serra oder Sol LeWitt. Die ganze Bande war da. Es gab überhaupt keine Zweifel, dass Richard Long, Judd, Sol LeWitt oder Daniel Buren sehr gute Künstler waren. Ich habe damals geschrieben: „Für mich ist Richard Long genauso gut wie Constantin Brâncuși, vielleicht auch besser.“ Für viele meiner älteren Kollegen war das Moderne modern, das Zeitgenössische zeitgenössisch, aber die eigentliche Kunst war für sie Mondrian, Picasso und Matisse. Ich denke, Picasso ist der letzte Maler des 19. Jahrhunderts, er hatte einen großartigen Auftritt. Die Moderne, das sind für mich Pollock, Judd und der Holländer Stanley Brouwn. Mein Programm fiel damals auf, und so wurde ich eingeladen, bei der Besetzung der neuen documenta-Leitung mitzureden. Das Treffen fand im Hotel Schweizer Hof in Kassel-Wilhelmshöhe statt. Tilman Osterwold, Tilmann Osterwold (* 1943 Hamburg) ist ein deutscher Kunsthistoriker. Er war von 1973 bis 1993 Direktor des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart. damals Leiter des Stuttgarter Kunstvereins, hatte eine Präsentation vorbereitet, die, soweit ich mich erinnere, von Gallwitz eingeleitet wurde. Lothar Romain Lothar Romain (1944 Geilenkirchen – 2005 Berlin) war ein Kunsthistoriker, Publizist und Ausstellungsmacher. Von 1968 bis 1973 war er Redakteur beim Südwestrundfunk Baden-Baden und gehörte von 1977 und 1987 dem documenta-Komitee an. Ab 1984 war Romain Honorarprofessor an der Akademie der Bildenden Künste München und lehrte dort von 1992 bis 1996 als Professor für Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Von 1996 bis 2005 leitete er die Hochschule der Künste in Berlin (ab 2001 Universität der Künste Berlin). war noch dabei und Bazon Brock. Ich war völlig unerfahren und habe dann über Amerika gesprochen und darüber, dass die deutschen Künstler sehr gut sind, und über meine Vorstellung, was die documenta leisten sollte. Ich war der einzige Ausländer, ansonsten waren es nur Deutsche. Abgesehen von Harry Szeemann, der als Schweizer aber als halber Deutscher zählte. Am zweiten Tag, das war ein Freitag, sagte Gallwitz, der das Ganze ein bisschen moderiert hat: „Warum machst du das nicht, Rudi? Du kannst das doch machen!“ Daran hatte ich gar nicht gedacht. Aber nach weiteren Gesprächen habe ich gesagt: „Okay, dann mache ich es mit Johannes Gachnang zusammen.“ Ich holte außerdem noch Coosje van Bruggen Coosje van Bruggen (1942 Groningen, Niederlande – 2009 Los Angeles) war von 1967 bis 1971 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Stedelijk Museum in Amsterdam. 1977 heiratete sie den Künstler Claes Oldenburg (* 1929 Stockholm) und siedelte 1978 nach New York über. 1982 gehörte van Bruggen zum Auswahlkomitee der „documenta 7“. , die ich aus Amsterdam aus meiner Studienzeit kannte, und den Designer Walter Nikkels Walter Nikkels (* 1940 Lobith) ist ein niederländischer Grafiker und Ausstellungsdesigner. 1982 war er offiziell für die Architektur sowie die grafische Gestaltung der „documenta 7“ verantwortlich. Nickel war von 1985 bis 2008 Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. in die Gruppe.
War nicht auch Germano Celant Germano Celant (* 1940 Genua) ist ein italienischer Kunsthistoriker und Kurator. Mit der Ausstellung „Arte povera e IM spazio“, die im September 1967 in Genua stattfand, prägte er den Begriff „Arte povera“. Von 1988 bis 1993 war er Kurator am Solomon R. Guggenheim Museum in New York. 1993 übernahm er die künstlerische Leitung der Prada Foundation in Mailand. Als Direktor organisierte Celant 1997 die Biennale von Venedig. damals im documenta-Beirat?
Ja, und aus Krefeld Dr. Gerhard Storck Gerhard Storck (1940 Essen – 2008 Krefeld) leitete von 1975 bis 1999 die Kunstmuseen in Krefeld. Dort zeigte er in den 1970er-Jahren Ausstellungen von Bruce Nauman, Claes Oldenburg, Blinky Palermo und Richard Serra. 1982 gehörte er dem künstlerischen Beirat der „documenta 7“ an. . Das war die Mannschaft. Sehr unterschiedliche Leute und ich war mit allen befreundet bis auf Storck, den kannte ich nicht so gut. Dann habe ich auch noch Harry gefragt, der musste dabei sein. Wir haben uns etwas abseits ein Hotel in Kassel gesucht, den Roten Kater, und etwas außerhalb von Kassel gab es ein Restaurant, wo man gut Fisch essen konnte. Der Chef hieß Willi Frosch. Er hatte sehr schönen Zander und Forelle. Wenn wir unsere Sitzungen hatten, kam Harry dazu. Er hatte die gleiche Position wie Beuys in der Ausstellung: Harry war ein Referenzpunkt. Nach einer Weile sagte er dann: „Junge, mach es alleine. Ich bin hier jetzt zu viel.“ Und damit hatte er auch recht, er hat andere Ansichten vertreten.
Wie kann man sich die Zusammenarbeit mit den Kollegen bei der documenta vorstellen? Haben Sie sich regelmäßig getroffen?
Ja, immer im Roten Kater, ein- oder zweimal im Monat. Die Idee, eine europäische Ausstellung zu machen, entstand in der Gruppe. Jeder musste die Künstler nennen, von denen er meinte, dass sie dabei sein sollten. Und die haben wir dann gemeinsam aufgesucht. Es gab eigentlich nie Probleme, weil jeder ziemlich genau wusste, worum es geht. Das waren intelligente Leute, die eine gewisse Erfahrung mitbrachten. Ich war völlig frei, denn ich hatte gar keine Erfahrung. Als ich in Eindhoven Museumsdirektor wurde, hatte ich nie zuvor als Kurator gearbeitet.
Wie kamen Sie dazu?
In Eindhoven hatte ich mich beworben. Ich war an der Universität, als mein Professor sehr plötzlich starb. Er war erst Anfang 60, hatte aber noch Probleme aus seiner Zeit im KZ. Es war vorgesehen, dass ich irgendwann sein Nachfolger werden würde. Zum Zeitpunkt seines Tods war es dafür aber noch zu früh. Ich habe mich trotzdem auf die Stelle beworben. Es hat letztlich fast drei Jahre gedauert, bis ein neuer Professor gefunden wurde. Drei Jahre habe ich das Ganze beobachtet. Der Direktor vom Van Gogh Museum, Ronald de Leeuw, hat bei mir studiert, hat sozusagen seine Doktorarbeit bei mir geschrieben. Nach drei Jahren hat man dann einen Amerikaner zum Professor ernannt, weil man der Meinung war, ich sei zu jung. Ich war sauer, denn ich fand mich überhaupt nicht zu jung. Es war alles gut gelaufen und ich habe gerne an der Universität gelehrt. Dann wurde die Stelle in Eindhoven frei, nachdem der damalige Direktor Jean Leering im Streit gegangen war. Ich bin in Eindhoven geboren und habe mich also dort beworben. Da ich als Kritiker bereits eine gewisse Bekanntheit hatte, bin ich dann Direktor geworden. Einfach so. Es hatte noch einen anderen Kandidaten gegeben, Frans Haks, Frans Haks (1938 Zeist – 2006 Amsterdam) war ein niederländischer Kunsthistoriker, der von 1978 bis 1995 Direktor des Groninger Museum war. der später das Museum in Groningen geleitet hat. Er gefiel den meisten Leuten in Eindhoven aber nicht, weil er möglicherweise zu mondän war. Es gab damals Leute pro Frans Haks und pro Rudi Fuchs, die Mannschaft in Eindhoven war geteilt. Die zwei Kuratoren waren für Frans Haks, weil sie dachten, unter ihm könnten sie weiterhin machen, was sie wollen. Mich haben sie für etwas strenger gehalten. Aber die Leute, die die Ausstellung realisierten – die die Bilder aufhängen –, waren alle für mich. Die Arbeiter sozusagen. In meinem Bewerbungsgespräch hat man mich dann gefragt: „Wie sehen Sie das, Herr Fuchs, Ihre engsten Mitarbeiter, die Kuratoren, hätten lieber Herrn Haks, nur die Arbeiter stimmen für Sie?“ Darauf habe ich geantwortet, und ich weiß selbst nicht, wie mir das so spontan einfiel: „Es ist ganz einfach. Das, was die Kuratoren machen, das kann ich auch und besser! Was die Handwerker machen, kann ich nicht, die brauche ich.“ Das fand die Kommission wunderbar und damit hatte ich die Stelle. Als Erstes konnte ich etwas für das Museum anschaffen und da habe ich in Amerika eine Arbeit von Sol LeWitt gekauft.
Wo waren Sie damals in den USA?
Ich bin direkt nach New York geflogen. Dort war ich bei Leo Castelli Leo Castelli (1907 Triest ‒ 1999 New York) eröffnete 1939 mit dem Architekten René Drouin eine Galerie in Paris. 1941 siedelte er nach New York über, wo er ab 1957 eine weitere Galerie betrieb. Neben den amerikanischen Künstlern Jasper Johns, Donald Judd, Bruce Nauman, Robert Rauschenberg und Andy Warhol umfasste sein Programm auch Werke europäischer Künstler, darunter Alberto Giacometti und Marcel Duchamp. Von 1932 bis 1959 war Castelli mit der Galeristin Ileana Sonnabend verheiratet. und John Weber John Weber (1932 Los Angeles – 2008 Hudson, New York) führte von 1971 bis 2000 die John Weber Gallery in New York. Er zeigte insbesondere Positionen der Arte povera und der Post-Minimal Art, darunter Werke von Giovanni Anselmo, Daniel Buren, Hans Haacke, Richard Long, Mario Merz, Dorothea Rockburne und Franz Erhard Walther. , das waren die berühmten Galerien. Die Minimal-Künstler waren damals sehr oft in Amsterdam, daher kannte ich Carl Andre, Donald Judd und Sol LeWitt. Das waren Freunde von Jan Dibbets. Die Arbeit, die ich von Sol LeWitt gekauft habe, besteht aus 13 weißen Quadraten. Sol LeWitt, „Untitled (Wall Structure)“, 1972. Das war so abstrakt, so rigoros, das musste ich haben. Ich wollte es in der Sammlung aufhängen, aber da es die Wand nicht füllte, habe ich ein schwarz-weißes Bild von Mondrian daneben gehängt. Heute ist das ganz normal. Damals war das brutal, diesen neuen Durchstarter-Künstler Sol LeWitt neben den großen Mondrian zu hängen. Das ging eigentlich nicht. Ich habe es trotzdem gemacht, weil ich wie gesagt nicht genug Arbeiten von Sol LeWitt hatte. Und so ist mein berühmtes Ausstellungskonzept entstanden, verschiedene Dinge durcheinanderzuhängen. Das war auf der documenta später für viele ein Problem.
Ich war nie gegen Amerika, ich bin nur pro Europa. Ich habe immer gesagt: „Man muss die Dinge miteinander vergleichen.“ Ich bin Holländer, das heißt, ich bin ein Harmoniemensch. Der Versuch der documenta-Ausstellung war – und deswegen war ich auch im Sinne von Michael Werner ein Pluralist – zu erklären, dass Baselitz gut ist, auch im Vergleich mit Judd. Das ist wichtig! Ich bin in meinem tiefsten Innern Lehrer und Erzähler. Am liebsten sage ich: „Schau mal, wie schön das ist! Und das daneben, das ist auch sehr schön.“ Ich habe kein Problem, Ausstellungen zu konzipieren und zu installieren. Ich mache das gerne. Ich kann es auch gut, das weiß ich. Harry Szeemann hat einmal gesagt: „Rudi macht alles besser. Bei Rudi sieht alles schöner aus.“
Aber Harry Szeemann hat auch gesagt, dass gerade dieses Gegenüberstellen auf der „documenta 7“ ihm eigentlich zu viel war. Vgl. o. A./Harald Szeemann, „Harald Szeemann. Zeitinvestition zu knapp“, Interview, in: „Kunstforum International“, 1987, Bd. 90, S. 320–322, hier S. 321.
Vielleicht war es zu viel für ihn, aber das liegt nicht daran, dass es nicht gut war.
Ähnliche Kommentare wie von Harry Szeemann liest man auch bei vielen anderen Kollegen in den Rezensionen über die „documenta 7“.
Dennoch haben sie es später alle nachgemacht.
Bei der „documenta 6“ hat Heiner Friedrich Heiner Friedrich (* 1938 Stettin, Pommern, heute Polen) gründete 1963 gemeinsam mit Franz Dahlem und seiner damaligen Ehefrau Six Friedrich die Galerie Friedrich & Dahlem in München. 1970 siedelte er mit seiner neuen Lebensgefährtin Thordis Moeller nach Köln über und betrieb dort eine zweite Galerie. Ab 1973 expandierte er in die Vereinigten Staaten und eröffnete im New Yorker Stadtteil SoHo die Heiner Friedrich Gallery Inc. Mit seiner späteren Ehefrau Philippa de Menil und der Kunsthistorikerin Helen Winkler gründete Friedrich 1974 in New York die Dia Art Foundation, die eine dauerhafte Setzung künstlerischer Großprojekte unterstützt. den „Erdkilometer“ von Walter De Maria Walter De Maria, „Der vertikale Erdkilometer“, 1977. Anlässlich der „documenta 6“ (1977) versenkte Walter De Maria zwischen dem Fridericianum und dem Landgrafendenkmal in Kassel einen Messingstab von einem Kilometer Länge vertikal im Boden. großzügig gefördert …
Bei mir war es Bruno Bischofberger mit den Italienern Enzo Cucchi, Francesco Clemente und Sandro Chia.
Waren Sie bereits vor der documenta mit den Künstlern der Transavanguardia Der durch den Kunstkritiker Achille Bonito Oliva geprägte Begriff „Transavanguardia“ bezeichnet eine italienische Kunstbewegung, die ab Anfang der 1970er-Jahre öffentlich in Erscheinung trat. Sie zeichnete sich vornehmlich durch die neue Erprobung figurativer Elemente sowie starke eklektische Tendenzen in ihrer Motiv- und Farbwahl aus. Zu ihren wichtigsten Vertretern zählen Sandro Chia, Francesco Clemente, Enzo Cucchi, Nicola De Maria und Mimmo Paladino. Siehe auch: Ida Gianelli, „Transavanguardia“, Mailand 2003. in Kontakt?
Nein, man kann nicht alles machen. Sie waren bei Jean-Christophe Ammann in der Schweiz ausgestellt, „Sandro Chia, Francesco Clemente, Enzo Cucchi, Nicola De Maria, Luigi Ontani, Mimmo Paladino, Ernesto Tatafiore“, unter anderem Kunsthalle Basel, 11. Mai – 22. Juni 1980. er war damals Direktor in Basel.
Im Zuge der documenta hatten Sie zwangsläufig mit den Galeristen zu tun. Heiner Friedrich war 82 schon in den USA, hatten Sie vorher Kontakt zu ihm?
Ich konnte gut mit Friedrich, gerade weil wir nichts miteinander zu tun hatten. Ich wollte 1979 eine Ausstellung mit Judd „Donald Judd“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, April 1979. machen. Damals kam Friedrich mit Judd vorbei. Gemeinsam saßen wir an einem Tisch. Judd war sehr schüchtern. „Herr Fuchs, wie machen wir das jetzt?“, hat Friedrich gefragt, natürlich auf Englisch. Da habe ich geantwortet: „Ich habe mit dem Künstler zu tun, nicht mit dir.“ Darauf hat Judd zu Friedrich gesagt: „Geh nach oben und schau dir die Ausstellung an.“ Es war nicht so, dass sich die Galerien bei den Künstlern einmischten. Sie haben es vielleicht versucht, aber die Künstler haben es nicht zugelassen. Es kam vor, dass die Galeristen manchmal etwas finanziert haben, aber nicht direkt über den Künstler. Ich hatte die Idee, die Werke für Judds Ausstellung direkt im Museum in Eindhoven zu produzieren. Es gab in der Nähe eine große Tischlereifabrik, wo diese Multiplex-Sachen hergestellt wurden. Judd hat damals die Wände des Museumsraums als Parameter genommen und dort Flächen hineingehängt. Das hat die Galerie bezahlt. Außerdem gab es eine Serie von Holzskulpturen. Etwa 1,20 x 1,20 Meter. Ungefähr 18 Stück. Die hatte ich reserviert, als ich in New York war. Friedrich sagte dann: „Die Arbeiten müssen in Kisten transportiert werden.“ Das fand ich etwas ungewöhnlich, und da habe ich zu Friedrich gesagt: „Wir machen das, aber du musst dem Museum die leeren Kisten dann wieder zurückschicken, denn wir haben sie ja bezahlt.“ Woraufhin er sagte: „Lass es sein. Es ist nicht so wichtig.“
Und hat Friedrich beziehungsweise die Dia Art Foundation nicht auch das Projekt „7.000 Eichen“ von Beuys mitfinanziert?
Das kann sein. Er hat sicher dazu beigetragen, aber nicht besonders viel. Das Schöne an den „7.000 Eichen“ war, dass Beuys es zum großen Teil selbst finanziert hat. Wir wollten bei der documenta nur etwa sieben oder acht Außenskulpturen machen. Bei der „documenta 6“ von Schneckenburger hatte sehr viel draußen auf den Straßen stattgefunden, das fand ich zu viel. Ich wollte mich auf den Innenraum konzentrieren, auch auf eine andere Art von Kunst: zum Beispiel auf die Malerei. Wir hatten einen bestimmten Etat und haben entschieden, fünf oder sechs Arbeiten draußen zu machen. Für jede kalkulierten wir 150.000 D-Mark. Daraus entstanden die „Spitzhacke“ von Oldenburg Claes Oldenburg, „Spitzhacke“, 1982. , die Arbeit von Kirkeby Per Kirkeby, „Skulptur (Backsteinbau)“, 1982. , Carl Andre, Beuys und einigen anderen. Ich habe Beuys damals angerufen: „Ich hätte gerne, dass du eine Fontäne machst.“ Ich kannte den Entwurf einer Fontäne für Kleve, die nie realisiert worden war. Eine frühe Arbeit. Am nächsten Tag rief er zurück: „Die Fontäne ist wunderschön, aber ich mache lieber 7.000 Eichen. Die 150.000 D-Mark nehme ich auch. Das andere mache ich selbst.“ Und das hat er dann auch getan. Er hat ein Baum-Zertifikat erstellt und jeder konnte für 500 D-Mark einen Baum mit Basaltsäule kaufen. Davon hat er sehr viele verkauft.
Bazon Brock schreibt in der Publikation seiner Besucherschule, dass die Basaltsäulen in einem Dreieck aufgeschüttet worden sind, sei ein Kompromiss mit Heiner Friedrich gewesen, der die Aura des „Erdkilometers“ von Walter De Maria schützen wollte. Vgl. Bazon Brock, „Besucherschule d7. Die Hässlichkeit des Schönen“, Kassel 1982, S. 26.
Es kann sein, dass dieser Keil von Beuys in eine andere Richtung geplant war, aber das war nie ein Problem.
Bazon Brock nennt außerdem ausdrücklich die Dia Art Foundation als Co-Sponsor der Arbeit.
Friedrich hatte Angst, dass die Bäume und die Basaltsteine den „Erdkilometer“ überlagern. Das sind Diskussionen, die es damals durchaus gab. Ich erinnere mich nicht genau. Es kann aber gut sein, dass Heiner Friedrich seine Künstler beschützen wollte, wobei ich nicht glaube, dass Beuys die Absicht hatte, die Arbeit eines Kollegen zu stören. Es war immer so, wie es heute da liegt, keilförmig die Straße hinunter. Ganz in der Nähe war auch eine Arbeit von Daniel Buren, Stöcke mit Fähnchen und Musik. Daniel Buren, „Les Guirlandes“, travail in situ, 1982. Und neben der Arbeit von Beuys stand das „Brandenburger Tor“ von Immendorff. Jörg Immendorff, „Naht (Brandenburger Tor/Weltfrage)“, 1982. Das war die Idee der documenta, dass die Sachen sich berührten, sich nahe sind. Die Idee von Heiner Friedrich war es, alles zu trennen. Einen Raum für den einen, einen Raum für den anderen – nie zusammen. Das war eine Haltung, aber es war nicht meine Haltung. Meine Haltung ist, dass die Kunstwerke einander berühren und miteinander umgehen, so wie die Leute auf der Straße auch. Es kann also gut sein, dass Friedrich sich auch über Buren beschwert hat.
Sie erinnern sich nicht?
Nein. Wenn er es getan hätte, hätte ich es sofort zurückgewiesen. Es ist ja so geworden, wie ich es wollte. Friedrichs Ansatz entstand natürlich aus der Ästhetik der Minimal Art heraus. Kühle, weiße Räume und in der Mitte einfach und allein eine Arbeit. Das habe ich später auch gemacht. Die documenta ist aber eine Gruppenveranstaltung. Eine Ausstellung von vielen, sehr verschiedenen Künstlern, die miteinander auskommen müssen. Das war unser Konzept. Man kann Goethe besser verstehen (oder gar nichts mehr verstehen), wenn man dazu auch Schiller, Heine und Kleist liest. Gemeinsam mit Friedrich Schiller (1759–1805) gilt der Dichter und Philosoph Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) als zentrale Figur der Weimarer Klassik. Demgegenüber stehen der Dichter Heinrich Heine (1797–1856) und der Dramatiker Heinrich von Kleist (1777–1811) der Strömung der Romantik nahe. Ein rotes Bild wird röter, wenn man ein schwarzes daneben hängt. Das war das Grundprinzip der documenta. Wenn du fragst: „Warum war der oder der nicht dabei?“, ist die Antwort: „Es war keine Ausstellung deutscher Kunst.“ Es waren Künstler aus verschiedenen Ländern in einem gewissen Gleichgewicht. Es gab mehr Deutsche als Franzosen. Richard Long hat sich damals beschwert, dass zu wenig Franzosen dabei seien, woraufhin ich ihm sagte: „Ihr habt ja heutzutage nicht so gute Kunst, dafür habt ihr gute Philosophen.“
Die dürften heute auch bei der documenta mitmachen.
Ja, damals bei Madame Catherine David waren nur Philosophen. Die „documenta 10“ (1997) nahm unter der künstlerischen Leitung der französischen Kuratorin Catherine David engen Bezug zu philosophischen Strömungen seit 1945 und insbesondere zu Theorien des Poststrukturalismus und des Postkolonialismus. Zentrale Themengebiete waren unter anderem „Michel Foucault – Andere Räume“, „Maurice Blanchot – Die zwei Versionen“ und „Gilles Deleuze – Félix Guattari – 1000 Plateaus“. Zahlreiche Theoretiker aus dem poststrukturalistischen und postkolonialistischen Umfeld waren in der ausstellungsbegleitenden Publikation vertreten, darunter Étienne Balibar, Jean-François Lyotard, Jacques Rancière, Edward Said und Gayatri Spivak. Siehe auch: Catherine David (Hg.), „Politics. Poetics – das Buch zur documenta X“, Ausst.-Kat. documenta X, Kassel, Ostfildern 1997. Es waren bessere Philosophen als Künstler dabei. Ich habe bei dem documenta-Aufbau sehr dafür gesorgt, dass nicht erkennbar war, dass ich das eine besser fand als das andere. Offiziell fand ich alles gleich gut. Privat hat mich das eine mehr interessiert als das andere. Ich meine, man reist das erste Mal durch eine Gegend, nach Bayern, ins Allgäu, und wenn man zurückkommt, überlegt man, was das Beste war. Man kann das aber nur entscheiden, wenn man weiß, was sonst noch da war. Es ging mir bei der documenta darum, ansatzweise zu zeigen, was es gab. Es ging nicht um Peter Bömmels, es ging um ein Beispiel für die Mülheimer Freiheit Die Kölner Künstler Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Gerard Kever und Gerhard Naschberger zogen im Oktober 1980 gemeinsam in ein Atelier in der Mülheimer Freiheit 110 in Köln-Deutz. Der Name der Ateliergemeinschaft wurde anlässlich der Gruppenausstellung „Mülheimer Freiheit & Interessante Bilder aus Deutschland“, die vom 13. November bis 20. Dezember 1980 in der Galerie Paul Maenz in Köln stattfand, erstmals öffentlich verwendet. . Es ging um Beispiele für die Berliner. Und das waren dann eben Salomé, Elvira Bach oder Thomas Wachweger, der ja eigentlich aus Hamburg war.
Warum waren Sie nicht im Osten? Sie waren in Italien und in Spanien. Warum waren Sie nicht in Ungarn, Tschechien oder in Asien?
Das wurde ich auch gefragt. „Herr Genscher Hans-Dietrich Genscher (1927 Heideburg – 2016 Halle an der Saale) war ein deutscher Politiker der FDP, der von 1974 bis 1992 unter der Regierung der Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918–2015; deutscher Bundeskanzler von 1974 bis 1982) und Helmut Kohl (1930–2017; deutscher Bundeskanzler von 1982 bis 1998) Außenminister der Bundesrepublik Deutschland war. hat anfragen lassen, warum wir nicht in Afrika waren.“ Afrika war politisch interessant. Geantwortet habe ich: „Ich mache eine Ausstellung über die Kunst in Westeuropa und Umgebung. Über das demokratische Europa.“ Das andere Problem war, dass ich nicht einfach in Afrika herumreisen und ein paar Künstler ausfindig machen konnte. Das ist auch heute noch schwierig. Dafür sucht man sich Leute, die das machen. Es mangelt uns allen an ausreichend Informationen. Ich kann nicht mit der gleichen Akribie wie hier entscheiden: „Das nehme ich und das nehme ich nicht.“ In Afrika wäre das spekulativ, zufällig gewesen. Einmal so und einmal so. Ich war der Meinung: Die sollen erst einmal ihre eigene documenta in Kenia machen.
In den USA gab es ja auch keine documenta.
Ja, aber die USA gehören zu uns. Es ist die gleiche Kultur. So empfand ich es damals.
Auch später sind Sie bei sehr westlich ausgerichteten Ausstellungen geblieben. Heute scheint es fast unmöglich, eine Ausstellung ohne weitere internationale Beteiligung von Künstlern zu machen.
Ich habe einmal in Amsterdam eine Ausstellung mit einem chinesischen Künstler gemacht. „Fang Lijun“, Stedelijk Museum, Amsterdam, 28. Februar – 13. April 1998. Ai Weiwei sagt mir aber gar nicht zu. Es gab auch ein paar gute Künstler in Japan von der Gruppe Gutai Die Gutai-Gruppe wurde 1954 von den japanischen Künstlern Shozo Shimamoto (1928–2013) und Jiro Yoshihara (1905–1972) gegründet. In dem 1956 erschienenen Manifest „Gutai bijutsu sengen“ forderten sie den künstlerischen Einbezug neuer Medien sowie eine performative Erweiterung der Malerei. Weitere wichtige Mitglieder der Gruppe waren Takesada Matsutani, Kazuo Shiraga und Atsuko Tanaka. Siehe auch: Marco Francioli/Fuyumi Namioka (Hg.), „Gutai. Painting with Time and Space“, Mailand 2011. , die haben allerdings lange in Paris gearbeitet. Weiwei hat zehn Jahre in New York gewohnt. Man kann in einem Haus nicht die ganze Welt erfassen, man kann nur ein Fragment darstellen, wovon man denkt, dass es wichtig ist. Jeden Künstler auf der documenta kann man durch einen anderen ersetzen.
Meinen Sie wirklich?
Die Zusammenstellung der documenta, die wir gemacht haben, war unsere Zusammenstellung. Ich kann es nicht verteidigen und ich kann es auch nicht beweisen. Ich kann den Leuten nur sagen: „Schau es an und glaub es.“ Ich habe in letzter Zeit sehr viel die Märchen der Gebrüder Grimm gelesen und da ist mir der Gedanke gekommen: „Kunst muss man glauben.“ Es gibt in der Kunst keine Gerechtigkeit in dem Sinne. Ich kann es nicht beweisen und ich kann niemandem erklären, was es bedeutet. Ich habe keine Ahnung. Es gibt zwei Momente: Es gibt eine weiße Leinwand, der Maler beginnt zu malen, bis das Bild fertig ist. Das macht er ohne Fantasie, ohne Vorstellung. Es entsteht aus seiner Handschrift, aus seiner Intuition. Wenn es fertig ist, kommen die Herren Kritiker – Herr Walter Grasskamp Walter Grasskamp (* 1950 Kapellen) ist ein deutscher Kunstkritiker und Kunstsoziologe, der von 1995 bis 2016 Ordinarius für Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden Künste München war. Er publizierte unter anderem zu Themen der zeitgenössischen Kunst und der Kulturpolitik. und andere – und wollen eine Erklärung, was es bedeutet. „Im Geschlechterkontext bedeutet es das …“ Oder: „Im Kontext der deutschen Einheit bedeutet es das …“ Ich habe nie eine Künstlerliste publiziert und auch kein Konzept vorgelegt, meine deutschen Freunde haben mich dafür gehasst. Die documenta begann und die deutschen Kritiker haben sich sofort eingemischt. Ich habe gesagt: „Ich mache A, B, C und D.“ Und in der Zeitung stand dann, warum ich nicht F, G und H mache. Wie du es jetzt mehr oder weniger auch machst. „Warum nicht der Künstler?“ – „Darum nicht.“ Ein Märchen ist eine Geschichte, die man als Kind hört. Es passieren die wunderbarsten Sachen. Da kommt einer und frisst die Großmutter. Das ist nicht sehr glaubhaft, was da passiert, trotzdem glaubt man es als Kind sofort. Man ist total ergriffen von der Fantasie des Märchens. Ein Bild entsteht genauso. Das muss man auch ein bisschen glauben, dann ist es am schönsten. Wenn man es nicht glaubt, wird man Kunstkritiker.
Das waren Sie ja auch einmal.
Ja, daher weiß ich, wovon ich rede. Als ich Kunstkritiker war, habe ich immer genau gewusst, was etwas bedeutet. Ich habe innerhalb von sechs Monaten ein Buch über Rembrandt Rudi Fuchs, „Rembrandt in Amsterdam“, Rotterdam 1968. geschrieben. Später habe ich noch einmal versucht eines zu schreiben, das hat viel länger gedauert. Alles wird komplizierter. Ich sage: Verglichen mit Baselitz ist Judd ein ganz reiner, präziser Künstler, mit scharfen Konturen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob es wirklich so ist. Es kann auch sein, dass Baselitz viel präziser ist als Judd. Der Künstler Kounellis hat einmal gesagt, das schönste Interview, das man führen kann, wäre an Bord der Santa Maria mit Kolumbus auf seiner Reise nach Amerika. In seinem kleinen Schiffchen Santa Maria wollte er Indien suchen. Er landete an einem Ort, der später Amerika hieß. Was ging ihm damals durch den Kopf? Hungrig, krank und frierend, auf seinem Schiff. Es wäre wunderbar gewesen, wenn ein Journalist dabei gewesen wäre und ihn gefragt hätte: „Wie geht es dir, Kolumbus?“
Es gibt ein Gedicht von Goethe, das habe ich erst viel später verstanden: „Ich ging im Walde / So für mich hin, / Und nichts zu suchen, / Das war mein Sinn.“ Johann Wolfgang von Goethe, „Im Vorübergehn“, 1813. Es ist von 1813 und beschreibt genau das, was ein Künstler tut.
Beschreibt es auch das, was ein Kurator tut?
Ja. Ich habe es jedenfalls versucht … Ich rede immer von mir, dabei war ich ja nicht allein. In der Regel waren es Johannes Gachnang und ich. Wir waren immer da, die anderen waren auch öfter mal weg. Johannes und ich haben sehr ähnlich gedacht: „Wir hängen das dahin.“ – „Nein, besser da.“ Es hat sehr viele Varianten im Laufe des Aufbaus gegeben. Das war das, was wir beide gemacht haben – „gestrickt“. Und wir haben gehofft, dass etwas Wunderbares entsteht. So wie plötzlich ein Lampion aufleuchtet. Ich habe auch in meinem Text im Katalog diesen Vergleich mit dem Wald, dem Park und der Landschaft gemacht. Kassel ist die Stadt der Grimm-Brüder. Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm lebten und arbeiteten von 1798 bis 1830 in Kassel. Ihr dortiges Wirken wird heute vor allem in dem Museum Grimmwelt Kassel erforscht und öffentlich präsentiert. Das hat mich immer beschäftigt. Johannes auch, wir sind beide verkappte Dichter. Er konnte auch sehr gute Briefe schreiben. Ich wollte damals vermeiden, dass die Kritik sich einmischte. Ich dachte: „Lasst uns in Ruhe. Lasst uns machen, was wir machen.“ Wie es ein Koch in der Küche macht. Da muss man sich nicht die ganze Zeit von Ratgebern stören lassen. Ich brauche keinen Rat. Da waren wir schon ziemlich stur. Wenn überhaupt haben wir den Rat von Künstlern angenommen. Dass es kein Konzept gab, war für die Deutschen unerträglich. „Wie machen Sie das dann, Herr Fuchs?“ – „Wie es kommt!“ Und es hat funktioniert. Die Ausstellung war sehr schön.
Da die documenta jahrelang vorbereitet wird, gibt es natürlich auch schon viel früher Gesprächsbedarf.
Lies doch jetzt die Zeitung, was gerade mit unserem polnischen Freund Adam Szymczyk Adam Szymczyk (* 1970 Piotrków Trybunalski, Polen) war von 2003 bis 2014 Direktor der Kunsthalle Basel. 2017 verantwortete er als Leiter die „documenta 14“ in Kassel und Athen. passiert. Er will die Sammlung von Cornelius Gurlitt zeigen. Dann kommt er mit Athen. Die Ausstellung ist schon kaputt, bevor sie überhaupt begonnen hat. Eine Ausstellung ist eine Überraschung. Man geht in einen Raum hinein und plötzlich geht das Licht an. Es ist ein Theaterspiel, eine Bezauberung. So habe ich es immer verstanden, bis heute. Wenn ich eine Ausstellung mache oder auch nur ein Bild aufhänge, geht es immer um die Bezauberung. Es gibt keine andere Bedeutung. Ein Bild ist keine Aussage über die Männlichkeit des Menschen. Es ist einfach ein Bild!
Sie haben statt einer Pressemitteilung damals einen Brief an die Künstler geschrieben. Was stand da drin?
Ich habe geschrieben, dass ich mir die Freiheit nehme, deren Arbeiten neben ein Werk unserer Wahl zu hängen. Der Slogan war: „Du machst die Kunst, wir machen die Ausstellung.“ Das sind zwei verschiedene Sachen. Das Problem ist wie beim Fußball, wenn ein Spieler sagt: „Ich will nicht mit dem spielen.“ Deshalb haben wir gesagt, das bestimmen wir. Die Ausstellung machen wir. Sonst kann man es die Künstler gleich selbst machen lassen. Dabei kommt aber, wie man weiß, nichts heraus. Die Versuche sind fast alle gescheitert, weil die Künstler einander kaum ertragen können. Deswegen sind sie ja Künstler geworden. Das sind Egoisten. Sie können nicht anders sein und müssen es auch nicht. Man macht einen Garten und pflanzt Blumen, Sträucher und Bäumchen. Dafür geht man in eine Gärtnerei und schaut, was es gibt. Was für Bäumchen und Blumen gibt es? Welche Farben gibt es? Daraus schöpft man, und das nächste Mal macht man etwas anderes.
Am Ende der documenta hat mich Hans Eichel gefragt, ob ich es noch einmal machen wolle. Ich weiß noch genau, wie wir an der Treppenstraße in Kassel in einem kleinen Eiscafé saßen. Er wusste nicht wohin. Meine Ausstellung war ein Erfolg. Es kamen viele Leute und es wurde Gewinn gemacht. Es gab damals einen sehr guten Geschäftsführer, Herrn Dr. Wolfgang Ziegler, der sagte zu mir: „Fuchs, wir haben so viel Geld. Du machst, was du willst. Ich kümmere mich um die Abrechnung, und wenn das Geld weg ist, sage ich Bescheid.“ Drei Wochen vor Ausstellungsbeginn sagte er: „Jetzt ist das Geld aus.“ Da brauchte ich noch Geld für Sol LeWitt und viele andere Sachen. „Was machen wir jetzt? Machen wir jetzt Schulden?“ Da sagte er: „Ja, das ist zu einem bestimmten Maß möglich. So wie es jedes Geschäft macht.“ Ich wollte einen weißen 6 x 6 Meter großen Block von Sol LeWitt zeigen. Ein großes Ding. Dafür hatte ich zwei Türken aus Hamburg gefunden, die das inklusive Material für ungefähr 10.000 D-Mark machen konnten. Weil die documenta eine Veranstaltung der Stadt Kassel war, musste ich damit zu Eichel: „Hans, das Problem ist Folgendes, ich muss diese Sol-LeWitt-Arbeit machen, sie ist sehr wichtig.“ Ich hatte innen schon einen Sol LeWitt, eine sehr schöne Wandmalerei, Sol LeWitt, „Wall Drawing 373“, Lines in Four Directions (equal spacing on an unequal wall), Fridericianum 1982. die jetzt in Den Haag ist. Mit schwarz-silbernen Streifen. Aber ich brauchte noch eine Skulptur. Im Aue-Garten stand das „Igloo“ von Mario Merz Mario Merz, „Igloo über die Kleine Fulda“, 1982. . Das war rund und weich, europäisch. Leidenschaftlich, poetisch. Und innerhalb dieser theatralischen Installation brauchte ich einen starken Block, eine scharfe Figur von Sol LeWitt. Sol LeWitt und Mario Merz waren Freunde, die gleiche Generation. Und dann habe ich zu Eichel gesagt: „Das wird sehr schön. Aber es kostet! Ich kann das von zwei Türken machen lassen, das kostet 6.000 oder 10.000 D-Mark. Geht das?“ Da nahm er das Telefon und rief einen Dezernenten für Tiefbau an: „Ich sitze hier mit Fuchs. Er kann das so und so machen. Wir müssen ja sparen. Geht das?“ – „Nein das geht nicht, gesetzmäßig muss man so und so vorgehen.“ Kostenvoranschlag und alles Mögliche. Daraufhin hat Eichel einen weiteren Juristen angerufen, der sagte aber auch: „Nein, das geht nicht.“ Und dann schaute Hans mich an und sagte: „Mach, was du willst.“ Deswegen war er ein sehr guter documenta-Vorsitzender. Ein ganz großartiger Mensch. Am Ende hatten wir ein Defizit von 150.000, 200.000 D-Mark. Nach drei Wochen sagte der Finanzmann: „Bereits heute haben wir das wieder mit dem Kartenverkauf eingenommen.“ Die documenta lief sehr gut. Es war Sommer und 100 Tage lang hat nur die Sonne geschienen. Es war heiß. Für mich als Holländer war das unerträglich. Im November kam ich dann, nach einem Jahr Sonnenschein und Freude und schöner Luft, wieder zurück nach Eindhoven und es hat geregnet. Das war wunderschön.
Man macht so etwas, wie gesagt, ohne Fax, ohne Geräte, einfach mit den Leuten. Der Vergleich mit dem Anlegen eines Gartens wird häufig genannt und er trifft auch zu: Man kann es nicht planen. Aber es hat sehr gut funktioniert. Sogar die Bäumchen von Beuys mit der Musik von Buren waren sehr schön.
Was haben Sie Eichel geantwortet, als er Sie fragte, ob Sie die folgende documenta wieder machen wollen?
Ich habe Nein gesagt.
Das war, noch während Sie in Kassel waren?
Das war in den letzten Tagen der „documenta 7“. Ohne viel nachzudenken habe ich gesagt: „Nein, ich mache es nicht.“ – „Warum denn nicht?“ – „Ich kann nicht glaubwürdig nach fünf Jahren etwas völlig anderes machen.“ Die Ausstellung habe ich so gemacht, wie ich denke, dass sie sein sollte. Das gilt für die documenta wie auch für alle anderen Dinge, die ich gemacht habe. Es kommt auf die Haltung an. Wie man es macht. Und die Haltung ist anders als die von anderen. Sie ist anders als die von Szeemann oder Schneckenburger. Das sind andere Leute. Jan Hoet hat 1992 das Spektakel gesucht. Er hat immer Streit gehabt. Er lebte davon. Ich bin ein anderer, leiser Mensch. Am liebsten wäre ich Sänger oder Dichter geworden. Auch dass die documenta ein Erfolg war, wurde kritisiert. Mehr im Ausland als in Deutschland. Wahrscheinlich gibt es noch heute Leute, die Hass und Neid verspüren. Die deutschen Künstler, die bis dahin sehr umstritten waren oder nicht verstanden wurden, waren damals die Gewinner der documenta. Nicht, weil ich sie verteidigte, sondern weil sie auf Augenhöhe gezeigt wurden: Hier war eine große goldene Wand von Kounellis Jannis Kounellis, „Ohne Titel“, 1975. Anlässlich der „documenta 7“ entwarf der Künstler unter anderem eine Rauminstallation bestehend aus einer Lampe, einem Garderobenständer und einer mit Blattgold überzogenen Wand. und da hingen „Die Mädchen von Olmo“ Georg Baselitz, „Die Mädchen von Olmo (II)“, 1981. von Baselitz. Das war letztendlich das, was ich den Künstlern in dem bereits erwähnten Brief mitgeteilt habe, dass ich die Kunst auf diese Weise zeigen würde. „Muss das sein?!“ Insbesondere die jungen Künstler haben sich da eingemischt. Sie sind weniger frei, weil sie noch mit dem Komponieren beschäftigt sind. Ein älterer Künstler ist viel freier. Henry Moore Henry Moore (1898 Castleford – 1986 Much Hadham) war ein britischer Bildhauer, der über die Abstraktion des menschlichen Körpers arbeitete. Er gilt als wichtiger Wegbereiter der abstrakten Skulptur. wurde einmal gefragt, da war er, glaube ich, 90 Jahre alt: „Wie kann es sein, Herr Moore, dass Sie in Ihrem Alter immer noch so wunderschöne Sachen machen?“ Darauf hat er geantwortet: „Es interessiert mich einen Scheiß, was die anderen machen. Ich mache weiter.“ Und die jungen Künstler schauen immer: Was macht der? Was macht der? Das ist auch spannend, aber das ist nicht das, was ich wollte. Zu der jüngeren Generation gehörten damals: Clemente, Cucchi, Chia und Nicola De Maria. Das war die Transavanguardia. Ich konnte ja Italienisch. Das war auch ein großer Vorteil. Ich glaube, ich war der erste documenta-Chef, der Italienisch, Deutsch, Französisch, Englisch und Holländisch sprach und Spanisch verstand. Das ist wichtig! Ich konnte mit Mario Merz und Kounellis auf Italienisch sprechen. Das konnten Jan Hoet und Schneckenburger nicht. Wenn du dich mit jemandem in deiner Muttersprache unterhältst, ist die Sprache dir so vertraut, dass du schon die Hälfte verstanden hast, bevor der andere es gesagt hat. Ich kann das in anderen Sprachen nicht so wie in meiner Muttersprache, aber immerhin, ich kann mit den Leuten reden. Bei Kounellis musste seine Frau übersetzen, sie spricht Englisch und Französisch, dadurch kommt es zu Abkürzungen des Gesagten. Das ist, wie wenn man in einer Gesellschaft von Leuten sagt: „Es gibt einen blauen Fleck auf der Wand“, und am Ende kommt heraus: „Es gibt ein rotes Biest in der Ecke.“
Stille Post.
Ich habe das genossen. Ich habe lange Zeit auch auf Englisch für Zeitschriften geschrieben, weil man kein Geld für Übersetzungen hatte. Heute schreibe ich in meiner Muttersprache. Ich bin jetzt Schriftsteller. Ich schreibe Texte und die müssen ganz genau sein.
Aber um das abzuschließen: Die documenta war ein Versuch, ein bezauberndes Gelände herzustellen, wie in einem Märchen. Ich lese die Grimm-Märchen mit so einem Genuss. Viel lieber als Kunstgeschichte, das interessiert mich gar nicht. Ich lese Grimm und Poesie. Man muss sehen, was man sieht. Und was man sieht, muss man auch irgendwie formulieren können. Mein Professor sagte: „Was man nicht beschreiben kann, sieht man nicht.“ Was man sieht, muss man auch beschreiben können. Das ist unser Beruf. Die Bilder muss man anschauen, wie man beispielsweise eine geliebte Frau anschaut. Ich will mich dem Entstehungsprozess eines Kunstwerks nähern. Wenn ich ein Bild anschaue, versuche ich herauszufinden, wo der Maler angefangen hat. Dann sieht man einen Vorgang und das macht Spaß. Genauso wie es mehr Spaß macht, Musik zu hören, wenn man selbst einmal Klavier gespielt hat. Dann versteht man es besser. Man weiß, wie schwierig es ist. Ich kann kein Klavier spielen, aber ich habe Klavierstunden gehabt. Das gehörte zu unserer bürgerlichen Erziehung. Man hat früher nach der Schule zu Hause auch Zeichenunterricht bekommen. Wir hatten Klavierunterricht, nicht um Musik zu machen, sondern um zu verstehen, was im Theater und im Konzertsaal vor sich geht. Ich habe immer alles gezeichnet. Alle Ausstellungen habe ich gezeichnet. Den perspektivischen Raum und auch die Bilder. Das tue ich bis heute, instinktiv. Ich habe Spaß daran und irgendwie versteht man es so auch besser. Diese Nähe muss man dann dem Betrachter vermitteln, und zwar indem man sich überlegt, wie man die Bilder hängt. Man kann Bilder so hängen, dass sie einen Abstand zueinander haben oder nicht. Wir haben in Amsterdam nur einen Beuys, einen Karton mit einer Fettecke. Joseph Beuys, „Fettecke in Kartonschachtel“, 1963. Ein ziemlich klassisches Ding. De Wilde hat sich nicht für Beuys interessiert, als man seine Arbeiten hätte kaufen können, und jetzt ist es zu spät. Die Arbeit ist groß und ein bisschen kaputt, aber das macht nichts. Das könnte man so installieren, dass es ein riesen Ding wird. Du kennst das Bild von Piero della Francesca von der Geißelung Christi: Christus in der Mitte auf dem Platz und vorne diese drei Figuren. Piero della Francesca, „Die Geißelung Christi“, um 1447. Man kann alles so drehen, dass es wichtig wird. Kunst ist „Theater machen“. Das habe ich geschrieben und auch sehr stark empfunden. Das war auch ein Teil der documenta. Bei unserer documenta gab es am Ende die Weltpremiere eines Theaterstücks von Carlo Quartucci, zusammen mit Kounellis. Es hieß „Funerale“ „Funerale“, Inszenierung: Jannis Kounellis, Text: Roberto Lerici, Regie: Carlo Quartucci, Salzmannfabrik, Kassel, 1982. und war ein Theaterstück mit einem Leichenwagen und zwei Pferden in einer Fabrik in Kassel. Das hat angezogen, diese Mise en Scène. Eigentlich war es ein Bild von Kounellis. Mein Gefühl sagte mir, dass wir es so machen mussten: Die Nähe des Kunstwerks suchen und es dann anderen Leuten vermitteln, durch die Art und Weise der Installation oder durch einen begleitenden Text oder so etwas. Als ich aus Kassel weggegangen bin, hat mir meine damalige Mitarbeiterin Cornelia Barth eine Gesamtausgabe von Grimms Märchen, die Artemis & Winkler-Ausgabe, mit einer Widmung gegeben: „Lieber Rudi, damit du die deutschen Wälder nicht vergisst!“
Schneckenburger hat vor Ihnen die sogenannte „Medien-documenta“ gemacht. Sie haben nur ein einziges Video Dara Birnbaum, „Technologietransformation: Wunderfrau“, 1978. Die Installation von Dara Birnbaum war die einzige Videoarbeit der „documenta 7“. und wenige Fotografien gezeigt. Haben Sie sich bewusst gegen die neuen Medien entschieden?
Ich habe mit Absicht hauptsächlich die klassischen Gattungen gezeigt. Ich liebe manche Fotografien. Die Bechers waren zum Beispiel dabei, Bernd (1931 Siegen – 2007 Rostock) und Hilla (1934 Potsdam – 2015 Düsseldorf) Becher waren ein deutsches Künstlerpaar. Mit ihren Typologien zur Industriearchitektur ab den 1970er-Jahren trugen sie wesentlich zur Entwicklung der konzeptuellen Fotografie in Deutschland bei. 1976 übernahmen sie die Professur für die neu eingerichtete Abteilung „Fotografie“ an der Kunstakademie Düsseldorf und begründeten in den Folgejahren die international renommierte Düsseldorfer Photoschule. An der „documenta 7“ nahmen Bernd und Hilla Becher mit der Serie „Hochhöfen mit Gießhalle“ (1982) teil. 1990 stellten sie im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig aus und erhielten für ihren Beitrag den Preis für Skulptur. aber ich habe das immer als Bildhauerei gesehen. Für mich sind das Skulpturen. Ich habe den Bechers einige Jahre später auf der Biennale von Venedig den Preis für Skulptur verliehen. Dann gab es auf der documenta zwei Arbeiten von Giovanni Anselmo. Das waren geschliffene Platten aus Granit, deren obere Kanten rot und grün bemalt waren, sodass ein ganz leichter Schimmer Farbe auf der weißen Wand zu sehen war. Giovanni Anselmo, „Das Panorama mit Hand, die auf es weist, während sich gegen Oltremare hin die Grautöne verflüchtigen“, 1982; „Die Landschaft mit Hand, die auf sie weist, während sich im Norden die Grautöne verflüchtigen“, 1982. Ihm haben wir in Venedig den Preis für Malerei gegeben. Man muss immer das Unerwartete suchen. Kunst ist das, was uns etwas noch nie Gesehenes zeigt. Ein ganz wichtiger Teil davon ist, dass es uns überrascht und verführt. Es gibt ein Bild von Peter Paul Rubens in Braunschweig, „Judith mit dem Haupt des Holofernes“. Peter Paul Rubens, „Judith mit dem Haupt des Holofernes“, um 1616, Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig. Oder die Madonna von Albrecht Dürer. Albrecht Dürer, „Die Gottesmutter mit dem liegenden Kind“, 1512, Kunsthistorisches Museum Wien. Sie trägt eine goldgelbe Kappe mit einem schwarzen Rand – ein wunderschönes Ornament. Es gibt auch ein Bild von Diego Velázquez mit einer Kordel. Das Gesicht der Dame auf dem Bild ist langweilig, aber die Kordel, das Eingedrehte, ist gut, das ist das, was Velázquez interessiert hat. Diego Velázquez, „Die Dame mit dem Fächer“, um 1640, Wallace Collection, London. In dem Bild von Rubens ist die Judith halb nackt, sie hat schöne Rubens-Brüste und eine wunderschöne rosarote Brustwarze. Man sieht genau: Das hat er malen wollen, weil das Modell wahrscheinlich eine Freundin oder seine Frau war. Die ganze Freude des Bilder-Machens kommt an diesem Punkt zusammen. Diese Dinge muss man ermitteln, und das kann man auch den Leuten zeigen. Man kann eine Ausstellung machen und die Bilder einfach nebeneinanderhängen. Das ist irgendwie steif. Man kann es aber auch so machen, dass sie sich berühren oder in die Quere kommen.
Warum ist das medienspezifisch? Warum sehen Sie das beispielsweise weniger in der Fotografie?
Malerei ist normalerweise mit der Hand gemacht. Zeichnungen sind noch schöner. Skulpturen sind manchmal produziert. Als ich die documenta 1982 gemacht habe, war die Videokunst neu. Es gab Gilbert und George. Es gab Bruce Nauman. Es gab Nam June Paik. Es gab ein bisschen Videokunst, aber meistens waren es einfach Aufnahmen. Es gibt auch Aufnahmen von Beuys, da sitzt er da und ruft: „Ja, ja, ja, ja, ja. Nee, nee, nee, nee, nee.“ Joseph Beuys, „Ja Ja Ja Ja Ja, Nee Nee Nee Nee Nee“, 1968. Videoarbeiten, die die Qualität des Materials in den Mittelpunkt stellen, gibt es erst später bei Bill Viola. Ich habe als einer der Ersten schon vor vielen Jahren Ausstellungen mit ihm in Eindhoven und Amsterdam gemacht. „Bill Viola: A 25-Year Survey“, unter anderem Stedelijk Museum, Amsterdam, 1998. Großartig. Mein ganzes Leben habe ich mich verteidigen müssen, warum ich keine Fotografie zeige. Dabei zeige ich Fotografie, nur nicht so viel. Es reicht. Fotografie ist Volkskunst. Es ist die Volkskunst unseres Jahrhunderts. Jeder macht heute Selbstfotografie, Selfies. Ich kannte eine Künstlerin an der Schule in Amsterdam, die sehr schöne Fotos machte. Sie hat mir einmal gesagt: „Ich möchte so gerne ein Bild malen.“ – „Dann mal doch ein Bild.“ – „Aber es ist so schwierig.“ Das hat sie wirklich gesagt! Das Malen ist nicht schwierig, aber das Durchhalten, das Zurückhalten, das Nicht-zu-viel-Malen, die Dosierung. Bei diesen mechanischen Dingen wie Fotografie ist das komplizierter. Genau wie bei Licht. Früher hatte man im Museum Tageslicht, so wie es sein soll. Meine documenta war die erste documenta mit Tageslicht. Die ganzen Fenster haben wir mit Pergamentpapier zugeklebt. Wir haben Studenten eingestellt, die in drei, vier Tagen Tausende dieser Blätter geklebt haben. Das war wunderschönes Licht. Ganz wunderbar. Heutzutage hat man kein Tageslicht mehr, weil es aus konservatorischen Gründen nicht mehr geht. Das ist Quatsch. Dann versucht man, mit Kunstlicht das Tageslicht zu imitieren. Das ist ein merkwürdiges Paradox. Nehmen wir ein Foto einer Landschaft, beispielsweise von Andreas Gursky, ein guter Künstler. Ein Maler kann das aber auch als Aquarell machen. Einfacher. Es gibt Fotos, die besser sind, aber es gibt nicht viele.
Ende der 70er-Jahre erfuhr vor allem die gegenständliche Malerei einen enormen Aufschwung, nachdem sie zeitweise verdrängt war beziehungsweise als rückwärtsgewandt galt. Sie haben mit Ihrer documenta eine Malerei-Ausstellung gemacht und damit gerade auch der europäischen Malerei wieder internationale Aufmerksamkeit verliehen.
Ja, es war eine Malerei-Ausstellung. Malerei und Skulptur. Malerei und Plastik sind die Urprinzipien. Aus etwas Feinem, beispielsweise Lehm, formt man mit den Fingern eine Figur. Oder man malt auf der Felswand. Oder man sieht ein Stück Stein und denkt: „Wenn ich da ein Stück Stein drauflege, sieht es aus wie ein Kaninchen.“ Ich denke, wenn man eine Figur macht – figurativ oder abstrakt, es kann auch ein Stern, ein Kubus, ein Quadrat oder eine Linie sein –, entsteht eine Sprache. Die Linie kann gerade sein oder gebogen. Es gibt keine andere Linie. Die Gerade definiert eine Fläche. Das heißt, ein Kubus wird von geraden Linien definiert. Runde Linien ergeben eine Kugel. Das sind Grundprinzipien, die unveränderbar sind. Die kann man mit einer Fotografie oder einem Video versuchen nachzuahmen. – Es gibt einen jungen Künstler, Ed Atkins, Ed Atkins (* 1982 Oxford) ist ein britischer Künstler, der in seinen Videoarbeiten häufig animierte Sequenzen, Found-Footage-Materialien und apostrophische Textelemente kombiniert. den liebe ich sehr, weil er einen Schritt weiter ist. Er ist völlig weg von allem Imitativen. Alles fließt und bewegt sich. Das finde ich sehr schön. Aber es hat lange gedauert. – Die wunderbare Videoarbeit von Bruce Nauman, in der er versucht, das Quadrat abzulaufen, Bruce Nauman, „Walking in an Exaggerated Manner Around the Perimeter of a Square“, 1968. bleibt das Grundprinzip. Sie ist unübertroffen.
Ich habe die documenta und andere Ausstellungen gemacht, wie ich sie machen wollte, weil ich dachte, dass die Leute das gerne sehen. Und ich wollte gerne sehen, wie es aussieht. Es hat seine Wichtigkeit gehabt oder nicht. Ich kann nichts anderes machen als das, was ich kann.
In einem Interview sagten Sie, dass Sie die Heiligsprechung von Joseph Beuys nach der darauffolgenden documenta sehr gestört hat. Vgl. o. A./Rudi Fuchs, „Rudi Fuchs: documenta ohne Widersprüche“, Interview, in: „Kunstforum International“, 1987, Bd. 90, S. 317–319, hier S. 318.
Bei Schneckenburger war Beuys schon tot. Der letzte Baum wurde von seinem Sohn Wenzel gepflanzt. Im Januar davor war er gestorben.
Wurde Beuys bei der documenta 1987 besonders gefeiert, oder was hat Sie zu diesem Kommentar veranlasst?
Das kann sein. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das gesagt habe. Falls ja, wäre es allerdings falsch gewesen. Ich habe auch viel Falsches gesagt. Beuys war eine ganz widersprüchliche Figur. Ich habe ihn geliebt. Ich bin öfters gefragt worden, was ich von Beuys halte. Das Problem war damals: Was machen mit Beuys, jetzt, da Beuys tot ist? Es gab zum Beispiel, angeleitet von Heiner Bastian, Diskussionen darüber, dass man einen Beuys nur wieder herstellen kann, wenn es jemand macht, der es auch kann. Nach dem Tod von Joseph Beuys im Jahr 1986 entstanden Debatten darüber, wer die Einrichtung der Installationen des verstorbenen Künstlers in der Zukunft vornehmen dürfe. Vgl. Hans-Joachim Müller, „Annäherung aus der Ferne“, in: „Die Zeit“, 03.12.1993, S. 57. Ich denke aber, man kann die meisten Sachen rekonstruieren. Ich habe die Arbeiten in Eindhoven auch einige Male selbst aufgebaut. Ich habe gesehen, wie Beuys es selbst gemacht hat. Ich habe damals gesagt: „Ich sehe Beuys als einen großen Lehrer!“ Eine Figur, die durch die Welt geht und lehrt. Wie Johannes der Täufer. Das ist seine große Bedeutung. Beuys war jemand, der immer wieder Dinge sagte, und man dachte: „Da hast du recht!“ Im Herbst vor der documenta hatte es viel geregnet und in Kassel gab es einen Beuys-Groupie, eine Dame von den Grünen im Stadtrat, Rhea Thönges Rhea Thönges-Stringaris (* 1934 Athen) ist eine Kunsthistorikerin, die in den frühen 1980er-Jahren als Gründungsmitglied der Partei Die Grünen in der Stadtverordnetenversammlung in Kassel tätig war. Von 1981 bis 1987 gehörte sie dem Aufsichtsrat der documenta an. Thönges-Stringaris beteiligte sich aktiv an mehreren Projekten von Joseph Beuys, darunter an den documenta-Beiträgen „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ (1977) und „7000 Eichen“ (1982). . Als sie einmal sagte: „Ach, es regnet so viel. Das Wetter, das Wetter“, entgegnete ihr Beuys: „Hör doch auf! Jedes Wetter ist gut! Der Traum des Walds ist Regen, keine Trockenheit und Sonne. Er will Regen und Feuchtigkeit.“ Dann fingen sie an, über Demokratie zu sprechen, über die Demokratie und die Griechen … Sie kennen das, wir haben das in letzter Zeit gelernt. Irgendwann sagte Beuys: „Hör doch auf! Setz dich hin und lies Lord Byron.“ Beuys’ Arbeit mit den Bäumen wollten sie in Kassel eigentlich nicht. Das Amt hat gesagt: „Das geht alles nicht – Bäume pflanzen in der Stadt.“
Aber vor allen Dingen wollte man doch die Basaltsteine nicht?
Die Basaltsteine wollte man auch nicht. Das erste Problem aber war, dass die Wurzeln nicht gegriffen haben. Beuys hat dann nach anderen Baumsorten gesucht. Es gibt ja Bäume, deren Wurzeln horizontal wachsen. „Kann der Baum hier gepflanzt werden?“ – „Nein, das geht nicht, hier ist eine Wasserleitung.“ – „Okay. Und links? Geht es da?“ – „Nein, da ist ein Elektrizitätskabel.“ – „Und wenn man noch weiter nach links geht?“ – „Da liegt eine Telefonleitung.“ Beuys hat immer weitergefragt, bis sie Ja sagen mussten. Eichel hat gesagt, er muss es versuchen: „Das wird schon!“ Das war die Qualität von Beuys. Er hat immer den Punkt gesucht, wo kein Widerstand mehr war. Das ist, was es bedeutet: „Ja, ja, ja, ja, ja. Nee, nee, nee, nee, nee“. Das ist ein ungeheurer Beitrag für unsere Kultur. Dieses Nichtaufgeben. Alles geht. Nichts ist unmöglich! Man muss aber, wenn man es wirklich machen will, vielleicht seine Position verändern. Vielleicht muss man sagen: „Dann baue ich es etwas kleiner.“ Das ist auch sehr gut. Denn im Laufe des letzten Jahrhunderts, mit der Heiligsprechung der Kunst, sagen Künstler zunehmend: „Ich, der Künstler, mache das so! Und wenn Sie das nicht so machen, dann greifen Sie in meine Autonomie ein!“ Beuys hat gesagt: „Ich bin intelligent, weil ich nicht gegen den Strom schwimme.“ Oder: „Es kommt auf den Wärmecharakter des Denkens an.“ Oder: „Ich bin auf der Suche nach dem Dümmsten!“
Waren Sie zugegen, als er erfahren hat, dass sein Werk besprüht worden war? Am 18. Juni 1982 besprühte eine Gruppe Unbekannter die Basaltstelen, die für die Beuys-Aktion „7000 Eichen“ auf dem Kasseler Friedrichsplatz gelagert waren, mit pinker Farbe. Die Steine wurden von einer privaten Reinigungsfirma gesäubert. Vgl. Johannes Lothar Schröder, „Documenta 7. Bateau Ivre oder Ausnüchterungszelle?“, in: „Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften“, 1987, Nr. 4, S. 15–21, hier S. 15.
Das hat ihn ungeheuer wütend gemacht. Die Steine wurden in irgendeiner Aktion für Schwule mit rosa Farbe besprüht.
Für Schwule?
Ich denke schon – aufgrund der rosa Farbe. Beuys hat öffentlich in Kassel gesagt, dass man nicht das Recht hat, einen anderen Künstler zu stören. An den Schutz der Steine hatte keiner gedacht, die lagen dort einfach. Die Beschädigung hat einen ungeheuren Sturm ausgelöst und Beuys forderte: „Die Steine werden innerhalb einer Woche sauber gemacht oder es wird abgeblasen!“
Immendorffs Werk wurde auch besprüht. Im August 1982 wurde Jörg Immendorffs documenta-Beitrag „Naht (Brandenburger Tor/Weltfrage)“ auf dem Kasseler Friedrichsplatz mit silberner Farbe angesprüht. Vgl. Johannes Lothar Schröder, „Documenta 7. Bateau Ivre oder Ausnüchterungszelle?“, in: „Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften“, 1987, Nr. 4, S. 15–21, S. 19.
Ja, das war aber nicht so schlimm, das war eine glatte Oberfläche. Das war das einzige Mal, dass es solche Angriffe gab, und hat uns komischerweise in der Qualität der Arbeit bestätigt. Es hatte eine Identität oder eine Kraft, sodass Leute sich daran störten. Das ist ein wichtiger Teil der Kunst, dass es Leute in deren Gewohnheiten stört. Darin war Beuys sehr gut. In diesem Sinn ist er ein großer Lehrer. Auch wenn die Arbeiten irgendwann einmal verschwinden, weil sie so fragil sind, er wird bleiben. Wie der große Maler Andrej Rubljow in Russland. Von seinem Werk ist fast nichts mehr übrig, es gibt ein oder zwei Bilder, aber er ist der größte Maler Russlands. Wenn wir über Kunstregionen sprechen, sei es Amerika, Russland oder Europa, und die Ansätze der neuen Kunst im 15. Jahrhundert, über Werke, die unsere europäische Kultur geprägt haben, dann waren das: Das Lamm Gottes von Jan van Eyck, die Brancacci-Kapelle in Florenz von Masaccio und die Dreifaltigkeit von Andrej Rubljow. Jan van Eyck, „Die Anbetung des Lammes und der Quell des Lebens“ (Genter Altar), um 1432; Masaccio unter anderem, Freskenzyklus der Brancacci-Kapelle in Santa Maria del Carmine, Florenz, um 1426; Andrej Rubljow, „Dreifaltigkeitsikone“, um 1425. An drei Orten – in Gent, in Florenz und in Nowgorod – sind diese Anfänge entstanden. Nach der Ikone Rubljows hat sich die russische Kunst lange Zeit nicht mehr bewegt. Die neue Kunst in Europa ist aus diesem Erzählen heraus entstanden. Ich habe das immer bewundert, dass es das gleichzeitig und unabhängig voneinander gab. Sie haben sich untereinander nicht gekannt.
1989 gaben Sie einige Statements zur Kunstproduktion und zum Kunstmarkt. Man hat dabei den Eindruck, dass sie an das System nicht mehr so richtig glaubten, und das Einzige, worin Sie noch Vertrauen setzten, das Museum war. Gab es so etwas wie eine Krise nach der documenta? Nach diesem Produzieren und den temporären Ausstellungen? Gab es da für Sie irgendwann einen Wendepunkt?
Du hast vorhin Heiner Friedrichs Rolle als Galerist angesprochen. Das hat sich ja dann weiterentwickelt. Heute läuft nichts ohne White Cube oder Gagosian Larry Gagosian (* 1945 Los Angeles) ist ein international agierender Galerist und Kunsthändler. Zum Programm seiner Galerie gehören einige der bekanntesten und kommerziell erfolgreichsten Künstler der Gegenwart, darunter Georg Baselitz, Jasper Johns, Anselm Kiefer, Jeff Koons, Walter De Maria, Gerhard Richter und Andy Warhol. Gagosian unterhält Filialen seiner Galerie in Hongkong, London, New York, Paris und San Francisco. . Es kommt vor, dass die Galerie sagt: „Das macht der Künstler nicht. Das passt nicht in unseren Betrieb.“ Ich bin ein großer Anhänger des öffentlichen Museums, auch wenn es arm ist. Jetzt gibt es die Diskussion um die Rembrandt-Bilder in Amsterdam, die beiden Porträts. In der „F.A.Z.“ stand, dass sie wahrscheinlich in Paris bleiben, was ich sehr gut finde. Im Rahmen des Verkaufs eines Doppelporträts von Rembrandt durch den französischen Sammler Éric de Rothschild einigten sich der Pariser Louvre und das Rijksmuseum in Amsterdam nach monatelangen Verhandlungen schließlich darauf, aufgrund der hohen Kosten erstmals Gemälde gemeinsam zu erwerben. Siehe auch: Martina Meister, „Paris und Amsterdam kaufen Rembrandts gemeinsam“, in: „welt.de“, 03.10.2015, unter: https://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article147164933/Paris-und-Amsterdam-kaufen-Rembrandts-gemeinsam.html (eingesehen am 23.10.2017). Die Museen werden von falschen Emotionen überflutet: „Ich habe den größten Maler im Haus. Ich habe das und das und das.“ Für alles braucht man sehr viel Geld. Man kann es aber auch auf die franziskanische Art mit einem ganz einfachen Museum machen. Man braucht nicht immer alles. Ein Beispiel für ein finanzielles Wunder ist der Diamanten-Schädel von Damien Hirst. Damien Hirst (* 1965 Bristol) ist ein britischer Künstler, der insbesondere für seine Serie toter Tierleiber in Formaldehyd bekannt wurde. Er zählt zu den bekanntesten Vertretern der sogenannten „Young British Artists“. 2007 entstand das Werk „For the Love of God“. Der Platinabguss eines menschlichen Schädels ist mit 8.601 Diamanten verziert. Nach der Erstpräsentation der Arbeit in der Londoner Galerie White Cube kaufte eine Investorengruppe, der Hirst selbst angehörte, den Schädel für einen Preis von etwa 75 Millionen Euro. Siehe auch: Matthias Matussek, „Der Spekulant“, in: „Der Spiegel“, Nr. 53, 28.12.2009, S. 129. Das ist kompliziert: Hirst ist ein sehr guter Freund von mir geworden und dieser Schädel ist wunderschön. Das ist pures Licht. Es ist faszinierend, die pure Bezauberung. Er kann das machen, weil er es verdient hat. Er hat die Diamanten selbst gekauft und den Schädel an eine Investorengruppe verkauft. Das finde ich nicht schlecht.
Ich denke manchmal, dass das mit dem Geld zu kompliziert ist. In Deutschland wird immer gespart. Dann braucht man ein Genie wie Max Hollein Max Hollein (* 1969 Wien) leitet seit 2016 die Fine Arts Museums of San Francisco. Zuvor war er Direktor des Städel Museums (2006–2016), der Schirn Kunsthalle (2001–2016) und der Liebieghaus Skulpturensammlung (2006–2016) in Frankfurt am Main. Er verantwortete zahlreiche international beachtete Ausstellungen, darunter „Botticelli“ (2010), „Ernst Ludwig Kirchner. Retrospektive“ (2010) sowie „Jeff Koons. The Painter/The Sculptor“ (2012). Er zählt zu den wichtigsten Museumsdirektoren der Gegenwart. , der Geld findet. Er kann das gut. Er hat ein Händchen dafür. Er ist Schüler von Thomas Krens Thomas Krens (* 1946 New York) war von 1988 bis 2008 Direktor des Solomon R. Guggenheim Museum in New York. . Ich habe Hollein am Guggenheim in New York kennengelernt. Das war vor 20 Jahren. Ich kenne auch seinen Vater Hans Hollein sehr gut. Mit den Amerikanern habe ich mich oft gestritten, sie waren Spieler. Richtige Spieler und Abenteurer, das fand ich sehr gut. Ich bin nicht so, aber ich fand es okay. Heute denke ich, es ist eben, wie es ist. Die Museen haben sich etabliert, sie können den Kopf über Wasser halten. Einer macht es so, der andere macht es so, und das ist gut.
In der Schirn war vor ein paar Jahren eine wunderbare Ausstellung mit Penck. „A.R. Penck. Retrospektive“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Frankfurt am Main, 15. Juni – 16. September 2007. Das hätte man in meiner Zeit finanziell wahrscheinlich nicht leisten können und auch nicht gewollt. Du musst immer an zwei Dinge denken: Man kann alles machen. Man kann jede Ausstellung von Penck machen. Man kann sie auch mit zehn Bildern machen. Es geht um die Andacht, die etwas braucht. Die Widmung. Es gibt sehr schlechte Ausstellungen heutzutage, das muss ich leider sagen. Es wird ein ungeheurer Presseaufwand betrieben. „Und danach machen wir die nächste Ausstellung, mit der gleichen Liebe.“ Irgendwie ist das nicht mehr glaubwürdig. Das ist ein Ausstellungsbetrieb, der immer alles gleich macht, immer alles wunderbar, wie die Albertina. Das ist ein Scheißmuseum in Wien. Sagen Sie das mal dem Max, er macht das sehr gut. Er hat eine sehr schöne Ausstellung von meinem Freund Julian Schnabel gemacht. Bei der Eröffnung saß ich mit Schnabel, Lou Reed und Damien Hirst an einem Tisch. Dass Schnabel nicht auf der documenta war, war sein Glück. Dadurch wurde er noch viel berühmter. Ich habe auch den Katalog für seine Ausstellung im Schloss Derneburg geschrieben. Anlässlich der Ausstellung „Julian Schnabel. Versions of Chuck and Other Works“ (Juni – Oktober 2007) erschien folgender Katalog: Georg Baselitz/Bonnie Clearwater/Rudi Fuchs/Julian Schnabel, „Julian Schnabel. Versions of Chuck and Other Works“, Ausst.-Kat. Schloss Derneburg, Köln 2007. Schnabel meint, dieser Text sei der beste, den er je gelesen hat. Ich wäre überhaupt der beste Kunstschreiber der Welt. Das höre ich gerne.
Selbstverständlich!
Der Text war aber auch sehr gut. Ich habe jetzt etwas über Damien Hirst geschrieben. Das ist auch gut. Mir ist irgendwann vorgeworfen worden, dass ich nichts mit junger Kunst zu tun habe, dabei arbeite ich zum Beispiel mit Tracey Emin oder Damien Hirst zusammen.
Hatten Sie damals, neben Gachnang, noch mit anderen Kollegen Kontakt? Mit Norman Rosenthal oder Nicholas Serota Nicholas Serota (* 1946 London) ist ein britischer Kunsthistoriker und Kurator, der von 1988 bis 2017 die Ausstellungshäuser der Tate leitete. Ab 1973 war er zunächst als Direktor des Museum of Modern Art in Oxford tätig, bevor er von 1976 bis 1988 die Leitung der Whitechapel Gallery in London verantwortete. zum Beispiel?
Nicholas Serota hat in der gleichen Zeit in Oxford angefangen wie ich in Eindhoven. Wir haben uns damals getroffen und eine Ausstellung von Alan Charlton zusammen gemacht. „Alan Charlton“, The Museum of Modern Art, Oxford/Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 1975/76. Bis heute ist er ein Kollege und Freund. Dazu gehört auch Siegfried Gohr Siegfried Gohr (* 1949 Aachen) ist ein deutscher Kunsthistoriker und Kurator. Er war von 1977 bis 1985 Direktor der Kunsthalle Köln und anschließend bis 1991 des Kölner Museums Ludwig. Gohr gilt als wichtiger Vermittler des künstlerischen Werks von Georg Baselitz, Per Kirkeby und Markus Lüpertz. .
Hatten Sie auch Kontakt mit Kasper König?
Nein. Jan Hoet Jan Hoet (1936 Löwen, Belgien – 2014 Gent) war ein Kunsthistoriker und Kurator. Von 1975 bis 2003 war er in Gent Direktor des Museum van Heedendaagse Kunst sowie des Stedelijk Museum voor Actuele Kunst (S.M.A.K.). Von 2003 bis 2008 leitete er das MARTa Herford. 1992 verantwortete Hoet als künstlerischer Leiter die „documenta 9“. war ein wichtiger Kollege. Man kannte die Leute. Früher, in den 80er-Jahren, gab es internationale Kuratoren. Ich bin kein Kurator, ich bin Schriftsteller und Autor. Ich habe in Museen gearbeitet, aber hauptsächlich war mein Beruf die Arbeit in der Universität. Ich habe auch, das glaube und hoffe ich, bei diesem Kuratoren-Wettbewerb nie mitgemacht: Der macht das und der macht das. Wie Hans Ulrich Obrist Hans Ulrich Obrist (* 1968 Weinfelden, Schweiz) ist seit 2016 künstlerischer Leiter der Serpentine Galleries in London. Neben seiner kuratorischen Arbeit ist er insbesondere für seine fortlaufende „Conversation Series“ bekannt, in der er namenhafte Künstler, Filmemacher, Wissenschaftler, Philosophen und Musiker interviewt. , der über die Kuratoren schreibt. Ich hasse das. Das ist ein Typ wie Kasper. Er ist von Kasper entdeckt worden. Kasper hatte das Problem, dass er unbedingt die documenta machen wollte und das ging nicht.
Wieso ging das nicht?
Ich weiß es nicht. Dass er dann Direktor in Köln geworden ist, ist ja wunderbar. Er hat sehr viele gute Sachen gemacht. Es ist nur nicht mein Stil. Es ist sozusagen ein anderes Zimmer, ein Nebenzimmer. Harry Szeemann und Klaus Gallwitz, das waren meine Leitfiguren. Gachnang und Ammann, diese Art von Leuten.
In der Zeit, als Ihre documenta lief, entstanden Ausstellungen wie „Zeitgeist“, „von hier aus“ oder „Westkunst“. „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“, Rheinhallen, Köln, 30. Mai – 16. August 1981; „Zeitgeist. Internationale Kunstausstellung Berlin 1982“, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 16. Oktober 1982 – 16. Januar 1983; „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“, Halle 13 der Messe Düsseldorf, 29. September – 02. Dezember 1984.
Ja, sie waren aber anders. Die Ausstellung „Zeitgeist“ in Berlin im Gropius-Bau wurde als eine Berichtigung der documenta begriffen. Ich habe eben schon von den Italienern Cucchi und so weiter erzählt, sie wollten ihre Bilder anders hängen. Dann habe ich gefragt: „Was willst du denn?“ Clemente hatte meinen Humor und sagte: „Ich will mein Bild auf die goldene Wand von Kounellis hängen, mitten drauf!“ Das war gut. Chia war verbissen und der Schwächste in dem Moment. Später ist er Weinbauer geworden. Er macht jetzt wunderbare Weine in der Toskana.
Wir haben in der letzten Einrichtungswoche, als die Künstler ankamen und versuchten, im letzten Moment ihr Bild nach links oder um die Ecke zu hängen, das Gebäude geschlossen. Keinen Zugang für keinen. Sie sind den ganzen Tag wie Hunde um das Gebäude geschlichen und haben durch das Fenster geschaut. Dann sind wir zum Essen gegangen und die drei, Chia, Clemente und Cucchi, standen vor uns. „Geht ihr jetzt essen?“ – „Ja, wir gehen jetzt essen.“ – „Dann kommen wir mit.“ Ich habe sie angeguckt und gesagt: „Hört mal, ihr wisst, wir essen zu dritt.“ Ich glaube, ich war da mit Gachnang und Storck. Wir gingen in das Lokal Da Bruno, ein Italiener in Kassel. Die anderen sind hinter uns hergelaufen und auch essen gegangen. Sie wollten versuchen, sobald wir zurückkamen, mit uns reinzukommen. Bruno ist ein Freund geworden und wir haben zu ihm gesagt: „Wir zahlen morgen. Wir gehen durch die Hintertür raus, während die anderen nach der Rechnung verlangen. Lass sie etwas warten.“ Wir waren weg und sie haben uns verpasst. Am nächsten Tag rief mich Chia an: „Ich will dich verklagen. Ich bin der Künstler und du musst mit dem Bild tun, was ich will. Ich bin der Autor.“ – „Wir hängen das Bild auf, das ist unsere Sache.“ – „Ich bin der Autor!“ Das war wunderbar naiv. „Gut, dann mach eine einstweilige Verfügung.“ Er hat die Bilder abgehangen und rief dann zwei Stunden später wieder an: „Kannst du mir einen Anwalt empfehlen?“ Wir haben sehr gelacht.
Warum hat Miriam Cahn ihren Beitrag damals zurückgezogen? Miriam Cahn (* 1949 Basel) ist eine Schweizer Künstlerin, die sich in ihren zyklenhaften Werken mit menschlicher Gewalt, Lust und Verletzlichkeit auseinandersetzt. 1982 zog sie ihre Arbeiten aus der „documenta 7“ zurück, nachdem es zu Differenzen hinsichtlich der Hängung ihrer Werke kam. Siehe auch: Till Briegleb, „Nackter Apostelkreis“, in: „Süddeutsche Zeitung“, Nr. 68, 21.03.2016, S. 11.
Das habe ich vergessen. Sie hatte eine ganz große Papierarbeit. Eine große Zeichnung mit Figuren. Und ich hatte sie etwas anders gehängt, als sie es wollte. Es ging immer um das Gleiche.
Franz Erhard Walther wurde die Arbeit, die er eigentlich zeigen wollte, auch wieder nach Hause geschickt.
Das kann sein.
Er hat dann etwas anderes ausgestellt.
Er hatte diese großen Ölzeichnungen. Die Flecken. Franz Erhard Walther, „16 von 240“, 1979–1982. Franz Erhard Walther ist ein Freund. Ich hatte mit ihm schon in Eindhoven gearbeitet. Zu der Zeit war ich bereits sieben Jahre in Eindhoven und hatte schon vieles gemacht. Die documenta war damals eine besondere Ausstellung. Heute ist es anders, es gibt so viele Ausstellungen. Damals gab es nur die documenta, die Biennale von Venedig und die Biennale des Jeunes de Paris. Die documenta war daher immer sehr wichtig. Letztendlich ist man als Ausstellungsmacher nie der Freund des Künstlers. Gachnang hat einmal gesagt: „Wir machen das so, wie wir wollen, und davon entfernen wir uns keinen Meter.“ In der Aufbauperiode hatten wir übrigens die Künstlerbetreuung aufgeteilt. Franz Erhard Walther war ein Künstler aus dem Lager von Storck. Ebenso wie Gerhard Richter. Ich machte die Italiener und Gachnang die Österreicher.
Franz Erhard Walther ist der erste nicht nur Künstler, sondern Mensch überhaupt, der sagt, dass er einen inhaltlichen und persönlichen Konflikt mit Joseph Beuys hatte. Vgl. Franz Erhard Walther. Bereits in Düsseldorf. Konnte man das damals spüren?
Ich habe das auch gehört. Die beiden waren keine Freunde. Sie hatten Ähnlichkeiten in ihren Mensch-Vorstellungen. Ich musste mit Franz Erhard Walther einmal auf die Rhön gehen, um eine Arbeit von ihm auszuführen. Es war eiskalt. Ungefähr 1978. Er auf der einen und ich auf der anderen Seite einer gespannten Gummischlinge. Es waren irgendwelche Werkstattsachen. Die Arbeit hieß „Körpergewichte“. Franz Erhard Walther, „Körpergewichte“, 1969. Seine geschiedene Frau wohnte im Tal und hatte Apfelbäume. Aus den Äpfeln machte sie Schnaps und den brachte er dann mit. Kennengelernt haben wir uns in Hamburg. Dort haben wir den Schnaps zusammen mit Ulrich Rückriem und Sigmar Polke getrunken. Es war wunderschön. Polke nannte den Schnaps „Rhöndiesel“, und alle kannten ihn.
Die Bande Kuratoren war damals ziemlich klein. Ich habe uns mit Tennisspielern verglichen. Immer die gleichen Tennisspieler, die miteinander die Turniere machen. Damals waren es Kasper König … Ich habe mich mit Kasper nie gestritten, wir waren aber auch nie eng. Ähnlich mit dem Engländer Norman Rosenthal. Mit ihm kann ich sehr gut, er hat aber eine andere Art des Umgangs mit den Dingen. Ich bin eher an den Objekten interessiert und die anderen sind manchmal eher an den Künstlern interessiert. Das ist etwas anderes.
Wo geht die Entwicklung der Museen hin?
Es geht einfach weiter. Auch in der Landwirtschaft werden Kartoffeln so angebaut, wie sie noch in 100 Jahren angebaut werden, weil wir Kartoffeln brauchen. Wie Polke sagte: „Die Kartoffeln übernehmen die Position der Philosophie.“ Es gibt Dinge, die sind unveränderbar. Die Kunst wird immer da sein. Die Kunst ist etwas, was aus dem Nichts kommt. Da ist eine Person, die etwas erfindet. Man weiß nicht warum, man weiß nicht wie. Es ist bezaubernd. Der Künstler wird geliebt und gehasst, verdient viel Geld und hat Frauen. „Künstler sein ist sehr schön“, hat Rückriem einmal gesagt. „Immer gutes Essen, gutes Trinken und nackte Mädchen gucken.“ Entschuldigung, er ist, glaube ich, kein Frauenliebling, aber so hat er es gesagt. Man muss auch die Lustigkeit daran sehen. Es ist nicht so ernsthaft. Wenn ich gewusst hätte, dass du heute hier sitzt und mir diese Fragen stellst, dann hätte ich die documenta nie gemacht.
So schlimm ist es hoffentlich nicht.
Ich habe nie darüber nachgedacht, warum ich es mache. Wenn man einen Apfel isst, dann fragt man sich nicht, warum man ihn isst, man isst ihn, weil man Hunger oder Lust auf einen Apfel hat.
Das ist Mao, oder?
Vielleicht, ja. Kunst ist eine undefinierbare, lustige Sache.
Ich frage nicht nach der Kunst und nicht nach der Kartoffel. Ich kenne die Evolutionsgeschichte der Kartoffel nicht …
Sie hat sich entwickelt. Man muss die Saat in die Erde tun und dann kommt die Kartoffel raus.
Die Kartoffel hat sich in den letzten Jahrhunderten nicht so sehr verändert.
Die Kunst vielleicht auch nicht.
Ich spreche auch nicht von der Kunst, sondern vom Museum.
Da ist es genauso. Beim Kartoffelanbau ist die Scheune auch viel größer geworden. Heute gibt es Trocknungsanlagen.
Die Qualität hat sich vielleicht doch verändert.
Man hat viel mehr Sorten, die Öko-Kartoffel und so weiter. In der Kunst und im Museum kann man heute mehr machen, man hat mehr Technik. Aber meine Frage ist, ob das nützt. Mein erstes Museum war das Van Abbemuseum in Eindhoven. Als ich dort war, hatte es zehn Räume. Insgesamt waren es 900 Quadratmeter auf zehn Räume verteilt. Es ist ganz einfach gewesen: Oberlicht und vier Wände. Da konnte man alles machen, was man wollte. Die Technik macht es sehr viel komplizierter, allein weil es sie gibt. Man hat jetzt Räume ohne Tageslicht, weil das Tageslicht gefährlich ist. Ein Licht, das genauso aussieht wie Tageslicht, aber künstlich ist. Das wird dann heiß, sodass du die Lüftung anmachen musst. Durch die Lüftung kommt Staub in den Raum. Am Ende bleibt das Museum mit vier Wänden. Das ist das Beste. Das ist meine Überzeugung. Schau dir die Architektur der Museen an. Das Museum von Hendrik Petrus Berlage in Den Haag von 1935 ist ein sehr schönes Museum mit perfekten Proportionen und einer wunderbaren Raumaufteilung. Alle Architekten, auch Hans Hollein, wenn er in Den Haag war, pilgern dahin und schauen es sich an. Die Dinge kann man nicht besser machen, weil Kunst ja ein fremdes Ding ist, das eigentlich nicht passt. Wenn ein Künstler einen Raum sieht, arbeitet er immer so groß wie möglich. Und wir Kuratoren sind dafür verantwortlich zu sagen: „Du bist nicht allein. Es gibt noch andere Künstler. Ihr müsst das teilen.“ Wie wir die Welt teilen. Das ist eine ganz einfache demokratische Geschichte. Da hat sich Michael Werner kaputtgelacht: „Demokratisch!“ Ich bin Holländer, ich bin so aufgewachsen. Man muss sich arrangieren und dem anderen nicht gleich den Schädel einschlagen, wenn es sich vermeiden lässt. Was dann dabei herauskommt, ist diese merkwürdige, manchmal leicht uniforme Anthologie, die ich sehr gut finde. Das ist mein Verständnis von Kultur. Ich war letztens wieder in der Neuen Galerie in Kassel, sie ist wunderschön. Ganz einfach, auch die Räumlichkeiten. Dort hängen deutsche Kunstwerke, nichts Besonderes, aber eine sehr schöne, fast intime Anthologie von Sachen. Als ich da war, waren es außer mir noch zwei weitere Besucher.
Ja, das ist traurig.
Gut, aber das Museum bleibt zumindest offen. Ein anderes Museum, an das ich mich erinnere, ist ein kleines Museum in Braunschweig. Es gibt viele kleine Provinzmuseen in Deutschland, aber auch in Frankreich, die einen Direktor, einen Portier und einen Kartenverkäufer haben – aber sie sind offen. Das ist eine große Kultur, dass man sie nicht schließt. Wenn ich in einen Buchladen oder eine Bibliothek gehe, dann werde ich Bücher von verschiedenen Personen sehen und nicht nur von der Familie Mann. Das Museum ist ein Ort, an dem man vor einem Bild steht, und wenn man sich umdreht, steht man vor einem anderen Bild. Geht man weiter, kommt wieder ein anderes Bild. Das ist die Essenz des Museums. So habe ich auch versucht, die documenta zu machen.
Sie haben in verschiedenen Museen gearbeitet und immer eine führende Position innegehabt. Es waren ganz unterschiedliche Orte. Den Haag funktioniert wahrscheinlich anders als Amsterdam.
Sie haben ganz andere Sammlungen.
Andere Sammlungen, aber auch ein anderes Publikum. In Amsterdam kann man vielleicht auch schon deswegen mit einem vollen Haus rechnen, weil es mehr Touristen gibt. Den Haag ist keine Stadt, in die besonders viele Besucher kommen.
Das hängt davon ab. Die weltweit größte Sammlung von Mondrian ist in Den Haag. In Eindhoven hat man keine Besucher gezählt, das fand man nicht wichtig. Es kamen manchmal viele und manchmal wenige Leute, das hat keinen interessiert. Ich habe immer Glück gehabt, das ist das Problem. Ich bin ein Sonntagskind. Ich hatte kein großes Budget, ich habe aber auch nie das Bedürfnis gehabt, einen goldenen Rembrandt zu kaufen. Wenn man sagt: „Ich will zwei Rembrandts für 160 Millionen Euro kaufen“, dann hat man Geldprobleme. Man kann aber auch sagen, man kauft nichts, weil schon viel im Museum vorhanden ist. Es gibt im Rijksmuseum die komplette Dürer-Grafik, die komplette Grafik von Rembrandt, die komplette Grafik von Lucas van Leyden, die komplette Grafik von Tizian. Das gibt es alles. Das hat man seit Jahren nicht gesehen. Und sie machen sich Druck: „Wir brauchen diese zwei Rembrandts, sonst …“ Im Rahmen des Verkaufs eines Doppelporträts von Rembrandt durch den französischen Sammler Éric de Rothschild einigten sich der Pariser Louvre und das Rijksmuseum in Amsterdam nach monatelangen Verhandlungen schließlich darauf, aufgrund der hohen Kosten erstmals Gemälde gemeinsam zu erwerben. Siehe auch: Martina Meister, „Paris und Amsterdam kaufen Rembrandts gemeinsam“, in: „welt.de“, 03.10.2015, unter: https://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article147164933/Paris-und-Amsterdam-kaufen-Rembrandts-gemeinsam.html (eingesehen am 23.10.2017). Das kostet dann 160 Millionen Euro, Geld, mit dem man das Museum reichlich füllen könnte. Es mangelt an Fantasie. Das, was ich machen konnte, habe ich, denke ich, sehr fantasievoll gemacht. Ich habe mir Dinge einfallen lassen.
Jetzt läuft zum Beispiel hier eine Ausstellung über Edvard Munch und Vincent van Gogh. „Munch: van Gogh“, Van Gogh Museum, Amsterdam, 25. September 2015 – 17. Januar 2016. Ich habe 1983 nach der documenta in Eindhoven eine Munch-Ausstellung „Uit het Noorden. Edvard Munch, Asger Jorn, Per Kirkeby“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 1984. vorbereitet. Damals war Munch noch gar nicht berühmt, er war ein Provinzkünstler aus Norwegen für Spezis. Ich hatte einen Freund, den Direktor vom norwegischen Henie Onstad Museum bei Oslo, Ole Henrik Moe Ole Henrik Moe (1920 Lillehammer – 2013) war ein norwegischer Pianist und Kunsthistoriker, der von 1966 bis 1989 das Henie Onstad Kunstsenter in Høvikodden leitete. . Er wollte aus Eindhoven die Sammlung von El Lissitzky ausleihen, weil wir einen großen Bestand von Lissitzky hatten. Ich habe gesagt: „Kannst du haben, aber dafür musst du deinem Kollegen Alf Bøe Alf Bøe (1927 Bergen – 2010 Oslo) war ein norwegischer Kunsthistoriker und Kurator, der von 1976 bis 1995 die Oslo Municipality`s art collections in Oslo leitete. “ – das war der damalige Direktor vom Kunstmuseum – „sagen, dass ich gerne etwa 30 späte Bilder von Munch für ein Projekt ausleihen möchte.“ Das war sehr kurzfristig. Ich kam gerade aus Kassel und die Ausstellung sollte Anfang 84 stattfinden. Meinen Freund und Maler Per Kirkeby hatte ich schon in Kassel und Eindhoven gezeigt und dann hatte ich eine geheime Liebe: Asger Jorn. Jorn war der große Meister von Kirkeby. Übrigens auch für Beuys. Jorn war ein wunderbarer Künstler. Er hatte eine Position wie Ernst Wilhelm Nay Ernst Wilhelm Nay (1902 Berlin – 1968 Köln) war ein deutscher Maler und Grafiker, der insbesondere für seine auf rhythmischen Farbspielen beruhenden Bildkompositionen bekannt ist. Zwischen 1924 und 1928 studierte er bei Karl Hofer an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. In der Propagandaausstellung „Entartete Kunst“, die 1937 in München stattfand, waren zwei seiner Werke ausgestellt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zählte Nay zu den bekanntesten Vertretern der abstrakten Malerei. Er war auf der documenta 1 (1955), 2 (1959) und 3 (1964) vertreten. sie in Deutschland hatte, sie sind dieselbe Generation. Aber Jorn war noch berühmter, noch besser. Ich dachte, ich mache eine Ausstellung mit Munch, Jorn und Kirkeby. Drei Generationen nordische Malerei. Und ich nenne die Ausstellung „Noorden“ „Uit het Noorden. Edvard Munch, Asger Jorn, Per Kirkeby“, Stedelijk Van Abbemuseum, Eindhoven, 1984.. , ganz einfach. Das habe ich auch gemacht. Auf dem großen grauen Katalog ist ein Brief von Philipp Otto Runge an seine Mutter abgedruckt. Er schreibt, wie er in einem Schiff sitzt – Runge hat in Kopenhagen an der Akademie studiert –, die grauen Wolken über der Ostsee, wie die Sonne durchkommt und auf dem Meer liegt wie ein gelbes Bad. Das ist fast wie ein Bild von Kirkeby. Das war die Stimmung. „Stimmung“ war immer ein gutes Wort für Dinge. Ich wollte also diese Bilder von Munch haben. Moe rief seinen Freund Bøe an und der sagte, dass er das gerne mache. Dass er froh sei, dass jemand Interesse an Munch habe. Das war Anfang Dezember. Kurz vor Weihnachten war ich in Oslo, um 30 Bilder für eine Ausstellung auszusuchen, deren Eröffnung Ende Januar sein sollte. Die Einladungskarten waren schon gedruckt. In Oslo lag Schnee. Es war wunderbar abenteuerlich, mit dem Taxi durch den Schnee zu fahren. Im Museum war es ganz still. In der Halle des Museums stand eine Dame: „Herr Fuchs, es tut mir leid, Herr Bøe ist nicht da! Er ist krank zu Hause.“ Ich sagte: „Wie? Ich komme extra aus Holland, um diese Bilder abzuholen. Ich habe die Ausstellung geplant. Wir hatten telefoniert und er hat zugesagt.“ Es stellte sich dann heraus, dass Herr Bøe besoffen war. Sie hatten eine Weihnachtsfeier gehabt und die Norweger trinken sehr viel Alkohol. Er lag verkatert zu Hause. Unmöglich. Der Kurator trank nicht, war vor Ort, wusste jedoch nichts von meiner Verabredung mit Herrn Bøe. „Ich hatte ihn vorhin kurz am Telefon, er hat nichts gesagt.“ – „Aber ich bin hier, um die Bilder für eine Ausstellung in einem Monat zu holen.“ – „Ja, aber das geht überhaupt nicht. Da hat er einen Fehler gemacht, weil unsere Bilder dann alle in Madrid sind. Da ist ein Staatsbesuch der norwegischen Königsfamilie in Spanien, und die nehmen die Bilder als Leihgabe mit.“ Das wurde oft so gemacht. – „Aber ihr habt doch sehr viele Bilder hier.“ – „Aber die Bilder von Munch sind in Madrid.“ Dann hat sich herausgestellt, dass er die „guten“ Bilder von Munch bis 1916 meinte: „Das kranke Kind“, „Der Schrei“, „Die große Sonne“. Edvard Munch, „Der Schrei“ (1893), „Das kranke Kind“ (1895/96), „Die Sonne“ (1911–1916). Laut der damaligen Munch-Forschung hatte sich Munch später nur selbst imitiert und wiederholt. Das denken auch heute noch viele Leute. Aber ich liebe auch den späten Munch. Ich kannte ihn über Kirkeby und Baselitz. Die interessierten sich für die späten Werke, die man kaum zu sehen bekam. Aus den 1930er-, 40er-Jahren. Und da hatte Munch mit van Gogh nichts zu tun. Munch muss man mit Mondrian vergleichen, das war die gleiche Generation. Sie sind fast gleich alt. Sie sind 1863 und 1872 geboren und beide 1944 gestorben. Das sind die zwei großen Positionen in der modernen Malerei. Genauso wie es eine rechtwinklige Linie gibt und eine gebogene Linie. Das hat mir Kounellis erklärt: „Was ist der Unterschied zwischen Munch und Mondrian? Bei Mondrian ist alles rechteckig und gerade gemalt und bei Munch alles rund.“ Mehr ist es nicht. Wenn du das damals deinem Professor gesagt hättest, hätte er gesagt: „Hör auf. Gib dir mal ein bisschen Mühe.“ Aber genauso ist es: Man kann nur so oder so malen. Da fängt alles an. Wenn man etwas rund malt, dann wird es so. Bei dem anderen dreht es sich um die Linie. Künstler haben ein ganz anderes Verständnis davon, was andere Künstler machen. Sie verstehen sehr viel. Das ist die Nähe, die ich zu den Künstlern gesucht habe. Mit den Künstlern zu reden, wie sie reagieren.
Jedenfalls sagte der Kurator: „Die Munch-Bilder sind in Spanien.“ Aber sie hatten 800 Bilder von Munch im Lager. „Ich will gar keine guten Bilder. Ich will späte Bilder.“ – „Späte Bilder. Gut. Aber wie machen wir das?“ – „Ich schlage dir Folgendes vor: Ich bin hier allein. Du bist allein. Du bist nicht besoffen. Du trinkst nicht. Du hast zu tun. Du lässt mich ins Lager, gibst mir eine Telefonnummer, schließt ab, ich suche die Bilder aus, und wenn ich dich anrufe, schließt du wieder auf.“ Ich habe mich dann vier Stunden mit diesen Bildern beschäftigt und Hunderte ausgesucht. Apfelbäume. Das späte Selbstporträt mit der Uhr und dem Bett, Edvard Munch, „Selbstbildnis zwischen Uhr und Bett“, 1940–1942. das war damals ein unbeachtetes Bild. Es hing da wie altes Zeug. Manchmal noch mit Vogelscheiße drauf. Munch hat oft draußen gemalt und die Bilder zum Trocknen in die Bäume gehängt. Der Kurator schaute mich an und wurde ganz bleich: „Das willst du haben?“ Ich sagte: „Ja.“ – „Okay.“ Dann wurden die Bilder sauber gemacht und gerahmt. Drei Wochen später kamen sie nach Eindhoven. Es war eine wunderbare Ausstellung. Ich sage das nicht, um mir irgendeine Feder an den Hut zu stecken, sondern um zu zeigen, dass es auch einfach geht. Ich hätte damals auch sagen können, ich mache eine große Munch-Ausstellung. Dann hätte ich das aber mit einem Komitee und Mitarbeitern zusammen machen müssen, das war nicht in meinem Sinn.
„Ich ging im Walde / So vor mich hin, / Und nichts zu suchen, / Das war mein Sinn.“ Ich hatte die Idee, eine Stimmung zu erzeugen. Unsere Vorstellung von Malerei war nicht nur unterteilt in Amerika und Europa, sondern auch in Nord und Süd. Das Rot von Henri Matisse und das Rot von Emilio Vedova sind ganz anders als das Rot von Munch oder Jorn. Genauso wie die Nordsee anders aussieht als das Mittelmeer. Sie ist viel schöner als das Mittelmeer, sie ist ein wunderbares Meer. Auch Beuys hat so gedacht. Er ist nach Schottland gegangen und hat dort Zeichnungen gemacht. Kirkeby hat es studiert und Jorn war ein großer Sammler von Wikinger-Antiquitäten. Es gab verschiedene Ansätze, die Malerei neu zu beleben, neu zu interpretieren oder neu zu sehen. Es gab später noch eine Ausstellung über das andere Rot. Da hingen Bilder von Jorn und Kirkeby. Kirkeby kam zur Eröffnung und hat sich nicht reingetraut: „Jorn – Kirkeby, das geht nicht.“ Nach einer Stunde ging er ganz langsam rein und kam erleichtert wieder heraus. Ich habe gesagt: „Du bist eh der Beste!“ Man muss den Künstlern auch helfen, sich selbst zuzutrauen, das zu sehen. Ich rede jetzt über die Fantasie. Man kann alles machen. Immer aus dieser Idee heraus, dass die Bilder uns gehören und uns von den Künstlern gegeben sind, um damit zu spielen. Um sie lebendig zu halten. Es gab ein Ausstellungsprojekt in Eindhoven mit James Lee Byars. Er wollte einen goldenen Raum machen – alles Gold anmalen. Das hat er auch gemacht. Auf der goldenen Wand wollte er gerne ein kleines Bild von Rembrandt haben. Ein frühes Selbstporträt von Rembrandt mit wilden Haaren. Rembrandt van Rijn, „Selbstporträt“, um 1629. Das war für Byars wie eine Blume. Ich habe dann versucht, es beim Rijksmuseum auszuleihen. Sie haben drei verschiedene Fassungen davon, haben sich aber geweigert. „Wer ist das denn, James Lee Byars?“ – „Das ist der Freund von Rembrandt.“ Wenn man das gemacht hätte, hätte man Rembrandt neu belebt. Etwas Neues reingebracht, ein neues Abenteuer. Die Rembrandts, die man heute sieht, sind doch erlahmt.
Ich finde sie nicht lahm.
Vielleicht nicht lahm, aber es kann, was die Hängung betrifft, besser gemacht werden. Aufregender. „Die Vorsteher der Tuchmacherzunft“ Rembrandt van Rijn, „Die Vorsteher der Tuchmacherzunft“, 1662. ist meiner Meinung nach das Beste, was Rembrandt je gemacht hat, aber es hängt da wie ein normales Porträt. Das ist eine ungeheure Leistung. Eine Erfindung. Ähnlich wie „Die Nachtwache“ Rembrandt van Rijn, „Die Nachtwache“, 1642. . Das ist das berühmteste Bild. Es gibt ein kleines Bild von Lucas van Leyden: „Tanz um das Goldene Kalb“ Lucas van Leyden, „Der Tanz der Juden um das Goldene Kalb“, um 1530. . Das ist von einer ungeheuren Beweglichkeit. Sehr modern, dafür, dass es 1533 gemalt wurde. Das hat Rembrandt gesehen, als er ein Kind war, das ist sicher. Auch die ganze Grafik von Lucas van Leyden. Leyden war ein guter Freund von Dürer. Dürer hat in sein Tagebuch geschrieben: „Ich habe Lucas van Leyden getroffen. Ein kleiner Mensch, aber ein guter Maler.“ Dieses Bild von van Leyden, ein Triptychon, hängt im Rijksmuseum ganz unten. „Hängt das doch mal neben ‚Die Nachtwache‘, damit man mal sieht, wo das herkommt. Zeigt doch mal, dass ihr euch bewegt.“ Aber das geht in die Köpfe nicht mehr rein. Das Museum braucht sehr viel Fantasie. Mit Fantasie kann man, denke ich, alles überwinden. Auch Geldmangel. Das Bild hängt im Rijksmuseum – man muss es nur 100 Meter weiter aufhängen.
Rembrandt hat eine berühmte Grafiksammlung gehabt. Das war sein Repertoire. Stiche von Dürer und Raffael und so weiter. Diese Stiche waren damals nach ihrem Erscheinen innerhalb von drei Monaten in ganz Europa bekannt. Dann haben andere Künstler sie benutzt und kopiert. Sie haben sich verbreitet, wie heute das Internet. Man sieht sofort, was ein anderer gestern gemacht hat. Oder noch in diesem Moment. Die ganze Sammlung, die Rembrandt besaß, die seinen Kopf illustrierte, das, was er gesehen und gesammelt hat. Das ist der Kopf der Malerei, das ist der Kopf des Künstlers. Das ist alles in der Sammlung des Rijksmuseum. Trotz meiner Nachfrage kam man noch nie auf die Idee, die ganze Sache mal in einem Raum auszustellen. Die Dürer-Grafik ist eine ungeheure Welt. Das ist fast das Schönste, was es überhaupt auf der Welt gibt. Die Grafiken von Dürer sind reich und frei und innovativ. Nicht umsonst hatte Judd in seinem Atelier einen Holzschnitt von Dürer hängen. Das versteht man auch, wenn man diese starken, kräftigen Holzstrukturen von Judd sieht. Das Museum wird auf diese Weise überleben, denke ich. Dann kann man auch das ganze Geld vergessen.
Kennen Sie einen Kurator, der annährend so dialogisch arbeitet, wie Sie es getan haben?
Kaum. Ich bin der letzte Mohikaner. Ich denke, dass die nächste große Bewegung ein Mann wie Damien Hirst ist. Es ist ein gewaltiges Werk von Sachen, die er gemacht hat. Das wird immer so abgetan: „Da geht es nur ums Geld.“ Und wenn schon. Damien Hirst ist ein sehr guter Künstler. Es gibt immer wieder Kunst. Das ist das Schöne. Genauso wie immer wieder Blätter an Bäumen nachwachsen. Jedes Jahr wieder. Wenn es aufhören würde, hätten wir ein Problem. Genauso gibt es immer wieder junge Künstler. Als ich noch jünger war und bei ZERO alles weiß war, habe ich auch gedacht, es geht zu Ende. Alles ist nur noch monochrom. Aber das hört wieder auf. Die Kraft ist enorm. „Kunst ist die letzte große Hoffnung“, hat Rainer Maria Rilke gesagt. Siehe hierzu auch: Rainer Maria Rilke, „Von Kunst-Dingen. Kritische Schriften – Dichterische Bekenntnisse“, Leipzig/Weimar 1981. An Kunst sieht man, dass nichts gleich bleibt. Auch wenn heute die Welt in der Scheiße sitzt – mit dem Krieg, den Banken, mit den Flüchtlingen –, an der Kunst sieht man, dass nichts bleibt, wie es ist. Irgendwann wird es wieder anders. Man weiß nicht wie, man weiß nicht wann, aber es wird so sein. In dem Sinne ist die Kunst die letzte Hoffnung, dass es nicht so bleibt. Alles wird sich ändern, daran glaube ich. Deswegen ist ein Museum, in dem man sieht, dass Dinge sich verändern, sich immer wieder verändern, dass sie fremd sind und man sich an das Fremde gewöhnen kann, dass es einem nicht Angst zu machen braucht, ein ganz wichtiges Instrument unserer Kultur. Kunst überhaupt.