Café Deutschland

Im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD

Gespraeche-slug

Klaus Honnef

Klaus Honnef

Klaus  Honnef

Klaus Honnef

Bonn, 27. November 2015

Franziska Leuthäußer: „In Wirklichkeit sind die Dinge viel plausibler, als man mitunter wahrhaben möchte.“ Das ist ein Zitat aus Ihrem Brief, mit dem Sie auf unsere Anfrage für dieses Gespräch geantwortet haben. Sie schreiben, dass Sie die deutsche Kunstgeschichte ab den 1960er-Jahren aus der Sicht der maßgeblichen Akteure noch vermissen.

Klaus Honnef: Es ist eine kurzlebige Zeit. Als ich so jung war wie Sie, haben wir bei Vernissagen geguckt: „Ach, das ist Werner Schmalenbach Werner Schmalenbach (1920 Göttingen – 2010 Düsseldorf) leitete von 1955 bis 1962 die Kestnergesellschaft in Hannover und war von 1962 bis 1990 Direktor der neu gegründeten Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Er wirkte außerdem an zahlreichen internationalen Großausstellungen mit, darunter als Kommissar der Biennale von Venedig (1960) und den Biennalen in São Paulo (1961, 1963, 1965). 1959 und 1964 war er im Arbeitsausschuss der documenta tätig. , das ist Arnold Rüdlinger Arnold Rüdlinger (1919 Ganterschwil, Schweiz – 1967 Basel) leitete von 1946 bis 1955 die Kunsthalle Bern. Anschließend war er bis 1967 als Konservator an der Kunsthalle Basel tätig. Rüdlinger gilt als Vermittler des Abstrakten Expressionismus sowie der amerikanischen Hard-Edge-Malerei in Europa.  …“ Wir haben uns denen mit sehr viel Respekt genähert und manchmal nicht einmal gewagt, sie anzusprechen. Heute gehe ich völlig unerkannt bei den Previews der documenta oder der Biennale in Venedig durch die Gegend. Die wenigsten wissen, was ich eigentlich gemacht habe. Für die, die mich noch kennen, bin ich der Fotografie-Papst, wie es so schön heißt. So muss ich dann immer darauf hinweisen, dass ich in diesem Fall ein verheirateter Papst bin. Dass ich mich intensiv mit Malerei beschäftigt habe – obsolet. Ich habe eine ganz bestimmte Vorstellung von Kunst. Auch die Tatsache, dass ich – zum Ärger der Branche – immer wieder als Kunsthistoriker apostrophiert werde, ist symptomatisch: Ich bin kein Kunsthistoriker.

Wie würden Sie sich selbst beschreiben? Als Wissenschaftler? Als Kritiker?

Wissen Sie, ich habe ein sehr selbstironisches Verhältnis zu mir. Es gibt viele Charakteristika, die ich schon auf mich angewandt habe, unter anderem ambulanter Wissenschaftler. Das gefällt mir insofern, als dass ich neben meinen musealen oder sonstigen Berufen viele Lehraufträge absolviert habe. Eigentlich habe ich immer mehrere Berufe gleichzeitig ausgeübt und mich nie ausschließlich auf ein Feld eingelassen. Ich wollte zwar über die Dinge, mit denen ich mich befasste, viel wissen, aber ich wollte kein Spezialist werden. Insofern bin ich vergnügungssüchtig, wenn man so will. Sobald ich das Gefühl habe, ein bestimmtes Gebiet bringt mir im Moment nichts Neues, gehe ich zu einem anderen. So konnte ich immer zwischen meinen hauptsächlichen Interessensphären Kunst, Fotografie, Kino – für mich von zentraler Bedeutung – und Kulturgeschichte wechseln. In meiner Arbeit habe ich das in die Praxis umgesetzt. Um Ihnen kurz ein paar Beispiele zu geben: In meiner Aachener Zeit von 1965 bis 1970 habe ich mich theoretisch und praktisch in die zeitgenössische avancierte Kunst förmlich hereingefräst, in Monschau 1970 mit „Umwelt-Akzente“ „Umwelt-Akzente. Die Expansion der Kunst“, Kunstkreis Monschau, 09. Mai – 21. Juni 1970. die Mutter aller Außenkunstausstellungen inszeniert, die sehr harsch in das Gefüge eines urbanen Ambientes mit künstlerischen Arbeiten eingriff. In der Münsteraner Zeit als Geschäftsführer des Westfälischen Kunstvereins von 1970 bis 1974 habe ich meine ersten thematischen Ausstellungen konzipiert, etwa „Arte concreta“ „Arte concreta. Der italienische Konstruktivismus“, Westfälischer Kunstverein, Münster, 14. August – 12. September 1971. , mit der ich anhand des italienischen Konstruktivismus die unterschwelligen Korrespondenzen und die Komplizenschaft von Avantgarde und Faschismus oder generell von autoritären Regimen offengelegt und die bislang einzige Übersicht über den italienischen Konstruktivismus geliefert habe. Mit „Verkehrskultur“ „Verkehrskultur“, Westfälischer Kunstverein, Münster, 1972. , ebenfalls im Westfälischen Kunstverein, habe ich dann den Kreis über die Kunst hinaus in das soziokulturelle Terrain, das um das Auto entstanden ist, erweitert. In meiner Bonner Zeit als Ausstellungschef des Rheinischen Landesmuseums Bonn von 1974 bis 1999 habe ich der Fotografie zu ihrer künstlerischen Legitimation verholfen: etwa durch zahlreiche Soloausstellungen, beispielsweise von Jürgen Klauke, Bernhard und Anna Blume, Gisèle Freund, Helmut Newton und der ersten Ausstellung von Karl Blossfeldt, aber auch durch bahnbrechende Ausstellungen wie „Lichtbildnisse. Das Porträt in der Fotografie“ „Lichtbildnisse. Das Porträt in der Fotografie“, Rheinisches Landesmuseum Bonn, 1982. oder „ … und sie haben Deutschland verlassen … müssen“ „ … und sie haben Deutschland verlassen … müssen. Fotografen und ihre Bilder 1928−1997“, Rheinisches Landesmuseum Bonn, 15. Mai – 24. August 1997. über die Fotografie der exilierten Fotografen. Das war ein Prozess, den ich in Kassel mit der historischen fotografischen Abteilung der „documenta 6“ Die „documenta 6“ fand vom 24. Juni bis zum 02. Oktober 1977 unter der Leitung von Manfred Schneckenburger in Kassel statt. Mit einem Schwerpunkt in den Bereichen Fotografie und Film rückte das Ausstellungskonzept die Entwicklung der neuen Medien und ihre gesellschaftliche Wirkung in den Mittelpunkt. Im Bereich der Malerei waren mit Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke erstmals Künstler aus der DDR auf der documenta vertreten. zusammengefasst und durch Ausstellungen in der Bundeskunsthalle wie „Pantheon der Photographie“ „Pantheon der Photographie im XX. Jahrhundert“, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 19. Juni – 20. September 1992. und „Deutsche Fotografie“ „Deutsche Fotografie. Macht eines Mediums 1870−1970“, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 07. Mai – 24. August 1997. sowie „Von Körpern und anderen Dingen“ „Von Körpern und anderen Dingen. Fotografie im 20. Jahrhundert“, unter anderem Galerie der Hauptstadt Prag, 18. Juni – 28. September 2003. , eine Variante von „Deutsche Fotografie“ für große Museen in Prag, Moskau und Berlin, sozusagen gekrönt habe. In der Kunst entdecke ich im hohen Alter abermals etwas für mich vollkommen Neues: Zunehmend beansprucht die alte Kunst meine Aufmerksamkeit, mit der ich vorher wenig Kontakt hatte und die mir als junger Mensch auch eher verschlossen blieb.

Das habe ich auch schon von anderen gehört: Nicht nur von Rudi Fuchs Rudi Fuchs (* 1942 Eindhoven) ist ein niederländischer Kunsthistoriker und Kurator und leitete von 1975 bis 1987 als Direktor das Stedelijk Van Abbemuseum in Eindhoven sowie von 1993 bis 2003 des Stedelijk Museum in Amsterdam. 1982 verantwortete er die künstlerische Leitung der „documenta 7“. Fuchs verfasste 1968 das Buch „Rembrandt in Amsterdam“. Vgl. Rudi Fuchs, „Rembrandt in Amsterdam“, Rotterdam 1968. , der über Rembrandt promoviert hat und sich heute wieder der alten Kunst zuwendet. Vgl. Rudi Fuchs. Sondern auch Kasper König sagte, früher habe die alte Kunst ihn weniger interessiert, heute aber entdecke er sie. Vgl. Kasper König. Sucht man nach der Beschäftigung mit der Gegenwartskunst nach etwas Tieferem, Ernsthafterem?

Es hat vermutlich mit dem Alter zu tun. Vieles in der Gegenwartskunst ist mir fremd, um es positiv zu sagen. Es ist mir auch alles viel zu viel geworden, inflationär. Das Alter hat – bei allen Nachteilen – auch ein paar Vorteile; unter anderem, dass man in der zeitgenössischen Kunst schon alles gesehen hat. Ich habe den Eindruck – vielleicht geht es anderen ähnlich –, dass der Atem immer kürzer wird und die Muster sich in immer höherem Tempo wiederholen. Mit den modernen Medien funktioniert derlei wunderbar: Man greift etwas auf und fummelt am Computer ein bisschen herum – Sie hören schon, dass ich in diesen Dingen sehr inkompetent bin … 

Obwohl Sie zum Beispiel auf Facebook sehr aktiv sind …

Das ist für mich wie eine Fingerübung.

Jedenfalls benutzen Sie diese Medien und wissen auch, wie Sie welche Kanäle bedienen.

Na ja, klar, ich komme ja daher. Ich bin ein gelernter Journalist und habe sämtliche Berufsbilder durchlaufen: freier Journalist, Redakteur, Ressortchef …. Ich war sogar einmal ein bekannter Sportreporter. Das Schreiben ist immer mein Beruf gewesen, also fällt es mir nicht überproportional schwer. Mal mehr, mal weniger. Für mich ist es keine Affäre, einen Beitrag auf Facebook in weniger als 15 Minuten zu schreiben. Das sind sozusagen Skizzen für mich – Fingerübungen, wie gesagt. Auch ein Profi muss ständig in Übung bleiben. Es kommt hinzu, dass das Glacis meiner beruflichen Existenz als Autor zunehmend schmaler wird. Immer mehr Zeitungen geben auf, die Feuilletons schrumpfen, freie Mitarbeiter, zu denen ich lange gezählt habe, sind immer weniger gefragt. Es wird auch konformistischer, weil die Verleger – wie die Politiker – glauben, dass man sich wohlverhalten und in einem bestimmten Rahmen bewegen muss, infolgedessen eigenwillige Meinungen, wie ich sie glaube zu vertreten, immer weniger Chancen haben, publiziert zu werden und Gehör zu finden. Zwar bin ich abhängig von dem, was ich veröffentliche, weil ich zum Teil davon lebe, aber eben nur zum Teil. Ich kann mir den Luxus leisten, kleine Dinge, Aperçus, Kommentare ohne Honorar zu veröffentlichen. Das Schreiben ist nicht unbedingt meine Leidenschaft, aber ich schreibe gerne.

Angeblich haben Sie 1968 den Kunstverein Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst in Aachen gegründet, weil Sie der Meinung waren, dass die lokale Zeitung in Aachen sonst nichts zu berichten hätte. Gemeinsam mit Will Kranenpohl, Rune Mields und Benno Werth gründete Klaus Honnef 1968 den Kunstverein Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst e. V. in Aachen. Bis 1972 war Honnef dort Direktor. Das Programm umfasste vorwiegend Positionen der internationalen Gegenwartskunst, darunter waren Ausstellungen mit Mel Ramos, Gerhard Richter, Daniel Spoerri und Günther Uecker.

Das trifft so nicht zu. Deshalb muss ich weiter ausholen und differenzieren. Ich bin Mitbegründer des Gegenverkehr, weil ich das Kunstprogramm machen wollte, bin aber nicht im rechtlichen Sinne Gründer gewesen. Die ganze Programmstruktur – das Multimediaprogramm, wie man es heute nennen würde – stammt von mir. Doch es waren Freunde, Bekannte und Gleichgesinnte in Aachen, die mit der kulturellen Situation unzufrieden waren und die Gründung vorgenommen haben. Das ist das eine. Das andere ist: Meine Zeitung, die „Aachener Nachrichten“, war keine Lokalzeitung, sondern eine Regionalzeitung. Sogar eine berühmte Zeitung. Es war nämlich die erste deutsche Nachkriegszeitung. Sie existiert aber nicht mehr als selbstständiges Blatt, weil sie mit der Konkurrenzzeitung fusioniert hat – jetzt heißt sie „Aachener Zeitung“. 1965 wurde ich Feuilletonchef, später erhielt ich noch ein zweites Ressort. Ich war also doppelter Ressortleiter. Die „Aachener Nachrichten“ hatten mit allen regionalen Ausgaben zusammen etwa eine Auflage von 45.000. In Aachen hatte es bereits häufig Anläufe gegeben, das spießig-konservative kulturelle Klima der Stadt aufzubrechen. Eine bedeutende Initiative war die Galerie Aachen, deren Programm ich auch als Feuilletonchef kunstkritisch begleitet habe. Nicht unbedingt zustimmend, weil mir vieles noch ungewohnt erschien. Das offene künstlerische Programm verkörperte künstlerische Äußerungsformen, die auch für mich, der ich durch die informellen Künstler eigentlich in die Kunst gekommen bin, provokativ und ungewöhnlich waren. Betrieben wurde die Galerie von Studenten, die schließlich nicht mehr weitermachen konnten, weil die Kosten zu hoch waren – und ab da war in Aachen tote Hose. Wir, das heißt der Bühnenbildner des Grenzlandtheaters, manche Künstler, ein paar Sammler und ein paar Galeristen, die auch aufgegeben hatten, weil sie keine Resonanz verspürten, haben Gesprächsgruppen gegründet, um ein Klima der Veränderung zu schaffen. Zu einer dieser Gesprächsgruppen wurde Peter Ludwig Ab 1969 bauten der deutsche Süßwaren-Unternehmer Peter Ludwig (1925 Koblenz – 1996 Aachen) und seine Frau Irene Ludwig (1927 Aachen – 2010 Aachen) eine der bedeutendsten Sammlungen im Bereich der modernen und zeitgenössischen Kunst auf. Neben den Strömungen der Pop-Art und der abstrakten Malerei umfasst diese ebenso Positionen aus dem Bereich der Konzeptkunst, der russischen Avantgarde und des Expressionismus. Durch Schenkungen und Leihgaben etablierte das Ehepaar Ludwig zahlreiche Kooperationen zwischen öffentlichen Trägern und seiner Privatsammlung. So erhielt die Stadt Köln 1976 einen umfangreichen Sammlungsbestand unter der Voraussetzung, einen eigenen Präsentationsort – das heutige Museum Ludwig – zu errichten. 1982 gründeten Peter und Irene Ludwig die Ludwig Stiftung für Kunst und internationale Verständigung, die nach dem Tod Peter Ludwigs 1996 in die Peter und Irene Ludwig Stiftung überging. Vgl. Heinz Bude, „Peter Ludwig – Im Glanz der Bilder“, Bergisch Gladbach 1993. eingeladen, der als Vorsitzender des Museumsvereins die Richtung der Kunst in Aachen maßgeblich bestimmte. Er sagte in der Diskussion den schönen Satz: „Pop-Art ist schlimmer als Nazikunst.“ Ich zitiere ihn nicht, um Peter Ludwig, den ich sehr schätze und in dessen Auftrag ich nebenher Katalogtexte verfasst habe, in ein schlechtes Licht zu rücken, sondern um die Situation in Aachen zu charakterisieren.

Es war außerdem schwierig, in Deutschland Beachtung für ein bis dahin verschlafenes Feuilleton zu finden. Aber auch das ist mir gelungen! John Anthony Thwaites hat für mich geschrieben, Rolf-Gunter Dienst, Dieter Hülsmanns, Walter Vitt, Gert Kalow, Klaus Ulrich Reinke und eine Menge anderer profilierter Autoren. Es war schon ein gutes Feuilleton, das dem Verleger jedoch nicht besonders gefiel. Zu anspruchsvoll und modern. Obwohl es Erfolg hatte! Ich habe immer Erfolg gehabt, stieß damit aber leider nicht unbedingt auf Gegenliebe bei den Vorgesetzten. Zudem habe ich meine künstlerischen Interessen auch dadurch befriedigt, dass ich viel herumgereist bin. Ich war und bin sehr reisefreudig und habe ständig Ausstellungen in Leverkusen, Krefeld, Mönchengladbach und Düsseldorf, im Ruhrgebebiet, in Amsterdam, Eindhoven und Brüssel besucht. Hier spielte sozusagen die Musik. In Aachen dagegen totale Fehlanzeige. Für mich war stets wichtig, etwas durch Handeln zu verändern, wenn man es für notwendig erachtet. Dank einer Reihe von Künstlern habe ich das Interesse an der avancierten Kunst gefunden und dadurch gelernt, Kunst wie ein Künstler zu betrachten und ihr keine vorgefassten Wahrnehmungscluster aufzuerlegen. Rasch erwarb ich mir Ansehen als Kunstkritiker, wurde bald freier Mitarbeiter von Fachblättern wie „Das Kunstwerk“, „Magazin Kunst“ und „Kunst und das schöne Heim“ – auch das war eine wichtige Kunstzeitschrift. Zugleich wuchs mit größerer Vertrautheit mein Verlangen, neben der theoretischen Tätigkeit auch praktisch mit Kunstwerken umzugehen, sie zu berühren, zu platzieren und somit nicht nur ausschließlich in der passiven Betrachter-, Beschreiber- oder Analytikerrolle zu verharren, sondern mit diesen Dingen physisch umgehen zu können. Darin bestand für mich der subjektive Impetus, die Gründung des Gegenverkehr voranzutreiben.

Das war Ihre eigene Motivation. Haben Sie dafür damals auch ein Publikum gesehen?

Ja, sicher. Ich erwähnte schon die Gesprächsgruppen. Aachen ist zwar nicht der Nabel der Welt – auch wenn die Aachener das behaupten und ich bin Aachener, darum darf ich das sagen – doch war man auch nicht im Tal der Ahnungslosen. Man wusste, dass draußen einiges passierte und fuhr auch dorthin. Es gab sogar Leute, die Kunst sammelten – in erster Linie jüngere Leute, die in den Kanzleien und Kliniken tätig oder als Kaufleute erfolgreich waren und die man auch in Düsseldorf, Krefeld, Mönchengladbach und Leverkusen bei Ausstellungen antraf. Es waren zwar relativ wenige, aber doch genug, um eine solche Initiative wie die Gründung eines avancierten Kunstzentrums wie Gegenverkehr wagen zu können. Sie dann zu institutionalisieren war natürlich eine andere Frage. Wir haben uns darüber zunächst keine Gedanken gemacht und im Endeffekt ist das auch misslungen. Ludwig eröffnete damals die Neue Galerie mit seiner grandiosen Sammlung – der Saulus war zum Paulus der modernen Kunst geworden – und so wurde der Ball an die Neue Galerie, heute heißt sie Ludwig Forum Aachen, weitergegeben. Auf Initiative des Kunsthistorikers Wolfgang Becker (* 1936 Hannover) und des Sammlerpaars Peter und Irene Ludwig wurde 1970 die Neue Galerie – Sammlung Ludwig in Aachen eröffnet. Daraus ging 1991 das Ludwig Forum für Internationale Kunst hervor.

Ebenso wie die Gründungsmitglieder von Gegenverkehr und viele andere mehr habe ich das Ludwig Forum als eine Ad-hoc-Initiative betrachtet. Endlich Neues im äußersten Westen. Das Alleinstellungsmerkmal vom Gegenverkehr war unserer Meinung nach auch nicht in Gefahr. Wir hatten nicht nur ein sehr verschiedenartiges Programm mit Ausstellungen, Filmen, Lesungen und Musikveranstaltungen, sondern auch der Umstand, dass mein Freund, der wunderbare Will Kranenpohl, eine Bar mit Speiseangebot betrieb, war ein besonderer Faktor. Als wir die Räume – ein ehemaliges Architekturbüro mit zwei Etagen in einem Hinterhof – gemietet haben, hatte Will Kranenpohl die Idee, in jeder der Etagen eine Bar einzurichten. Er belieferte sie mit Getränken zum Einkaufspreis und stattete sie exquisit aus, sodass wir zu Vernissagen immer alkoholische und nicht-alkoholische Getränke zu einem Spottpreis anbieten konnten. Ein Whisky kostete eine D-Mark, Bier kostete auch eine D-Mark, eine Cola damals zwanzig Pfennig. Alle Vernissage-Besucher, inklusive der Studenten, konnten sich ohne Probleme in Stimmung trinken und waren gleichzeitig noch Förderer des Kunstzentrums, Mäzene. So entstand eine tolle Geselligkeit und wir haben auch noch daran verdient, um ein Programm zu gestalten. Wenn wir finanziell am Ende waren, haben wir ein Fest veranstaltet. Diese Feste sind mittlerweile genauso legendär wie viele der Ausstellungen. Selbst in Tokio bin ich einmal darauf angesprochen worden. Um ein paar Ausstellungen zu erwähnen, die ich in Aachen gezeigt habe: die erste institutionelle Gerhard-Richter-Ausstellung „Gerhard Richter“, Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst e. V., Aachen, 27. März – 22. April 1969. überhaupt 1969 und die erste von Lawrence Weiner Lawrence Weiner (* 1942 New York) gilt als Mitbegründer der Konzeptkunst und ist für seine ortsspezifischen Textarbeiten bekannt. „An Exhibition/Eine Ausstellung“, die 1970 im Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst e. V. in Aachen stattfand, war Weiners erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland. ein Jahr später. Larry Weiners Ausstellung war in chronologischer Abfolge die fünfte oder sechste und bestand nur aus einem Katalog. Larry wollte, dass wir den verschenken, aber dagegen hatten wir etwas. Was nichts kostet, ist nichts, heißt es im Rheinland. Die Besucher durften ihn also nur einsehen. Mit Jan Dibbets habe ich ebenfalls eine Ausstellung verwirklicht sowie auch mit Reiner Ruthenbeck, Peter Brüning, Winfred Gaul, Rupprecht Geiger, Günther Uecker, Adolf Luther … Die Vernissagen waren immer voller Menschen und auch die Zwischendurchveranstaltungen waren sehr erfolgreich: Birgit und Wilhelm Hein und viele der jungen deutschen Kurzfilmer waren da, das US-Underground-Kino mit dem amerikanischen Filmer Stan Brakhage, der Schriftsteller Guntram Vesper und so weiter. Das Programm war nicht massenkompatibel und dennoch hatten wir im Endeffekt 1.500 bis 2.000 Mitglieder. Gegenverkehr strahlte sehr schnell aus. Die meisten Mitglieder stammten aus dem engeren Umkreis Aachens, aber sehr viele kamen aus der ganzen Bundesrepublik.

Und über den Mitgliederbeitrag wurde der Kunstverein auch finanziert?

Das war der zweite Pfeiler des Budgets. Der dritte war, dass Peter Ludwig uns durch Ankäufe aus unseren Ausstellungen großzügig unterstützte. Er hat von Peter Brüning drei fundamentale und umfangreiche Werke gekauft. Von Allan D'Arcangelo hat er zwei oder drei Bilder gekauft und auch von Robert Stanley.

Hatten Sie mit den Künstlern Vereinbarungen? Wurden Sie im Fall eines Verkaufs beteiligt?

Ja. Teilweise mussten wir auch mit Galerien verhandeln. D'Arcangelo und Stanley kamen über Rolf Ricke Rolf Ricke (* 1934 Kassel) eröffnete 1963 in Kassel die Kleine Galerie Kassel, die ab 1964 in Galerie Ursula Ricke und ab 1965 in Galerie Ricke umbenannt wurde. 1968 siedelte Ricke nach Köln über und bezog Ausstellungsräume im Galeriehaus in der Lindenstraße 18–22. Zu den bekanntesten Künstlern des Galerieprogramms gehören Richard Artschwager, Barry Flanagan, Donald Judd, Steven Parrino, David Reed, Richard Serra und Keith Sonnier . Wir waren keine gewieften Kunstverkäufer und auf die Gnade der Künstler angewiesen. Oder Peter Ludwig entschied, dass so und so viel von dem Galeristenanteil an den Gegenverkehr ginge. Wesentlich für unser Budget war auch die Tatsache, dass alle Kuratoren ohne Honorar arbeiteten. Die Transporte besorgten entweder die Künstler oder ich fuhr mit Rune Mields Rune Mields (* 1935 Münster) ist eine Künstlerin, die sich in ihren Arbeiten mit dem Verhältnis von logischem Wissen und Zeichen beschäftigt. Sie war Mitbegründerin des Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst e. V., Aachen. , die entscheidenden Anteil am Erfolg des Gegenverkehr hatte, zu ihnen und packte die Ausstellungsgegenstände in meinen PKW. Ich war damals mit Rune Mields zusammen, sie war die Seele des Geschäfts.

Im Gründungsjahr 68 begannen Sie mit Ausstellungen von Adolf Luther und Reiner Ruthenbeck.

Luther war zum Schluss. Eröffnet haben wir mit Peter Brüning. Die Ausstellung von Adolf Luther war vom 21. November bis zum 23. Dezember 1970.

Im Ausstellungsverzeichnis steht 1968.

Ein Fehler. Die zweite Ausstellung, die ich mit Luther geplant hatte, war geplatzt. Warum weiß ich nicht mehr. Also habe ich Rupprecht Geiger gefragt. Ich kannte ihn zwar nicht sehr gut, aber ich war kein Unbekannter. Mit Winfred Gaul war ich befreundet. Danach kam Allan D'Arcangelo. Häufig steuerten auch Kunstsammler und Künstler Vorschläge bei. Auf Richter hat mich Karl Otto Götz K.O. Götz (1914 Aachen – 2017 Niederbreitbach) zählt zu den Hauptvertretern des deutschen Informel. Ab 1952 gehörte er gemeinsam mit Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze zur Gruppe Quadriga, zu der sich die deutschen informellen Maler zusammengeschlossen hatten. Er nahm an der „documenta 2“ (1959) sowie den Biennalen von Venedig in den Jahren 1958 und 1968 teil. Von 1959 bis 1979 war Götz Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Unter anderen gehörten auch Sigmar Polke, Gerhard Richter und Franz Erhard Walther zu seinen Schülern. hingewiesen. Ich habe stets gerne auf die Künstler gehört. Sie haben meinen Blick und mein Verständnis geprägt – im Gegensatz zu den Kunstbüchern oder der kunstgeschichtlichen Disziplin.

Wo haben Sie die Künstler kennengelernt? Waren Sie in Düsseldorf in den Galerien und bei den Rundgängen in der Akademie?

Selten bei den Rundgängen, oft in den Galerien. Viele Künstler lernte ich durch meine Tätigkeit als Kunstkritiker kennen. Innerhalb der Feuilletonabteilung bei den „Aachener Nachrichten“ hatte ich mir die Kino-, Kunst- und Theaterkritik vorbehalten. Die Musikkritik hingegen habe ich delegiert. Ich bin, wie gesagt, häufig gereist und nahm an vielen Eröffnungen und Pressevorbesichtigungen teil – dort habe ich die meisten Künstler kennengelernt. Manche aber auch vorher durch Karl Fred Dahmen Karl Fred Dahmen (1917 Stolberg – 1981 Preinersdorf) war ein Künstler und Vertreter der informellen Malerei. 1952 gehörte er zu den Mitbegründern der Neuen Aachener Gruppe. Ab 1959 stellte er regelmäßig im Umfeld der Gruppe 53 aus und war mit seinen Arbeiten im selben Jahr auf der „documenta 2“ vertreten. Von 1967 bis zu seinem Tod 1981 betreute er eine Professur für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste München. Dort zählten unter anderen Günther Förg und Wolfgang Flatz zu seinen Studenten. , der mein Cicerone in die Welt der Kunst war. Er hat mein Interesse für die zeitgenössische Kunst angestachelt. Dahmen lebte damals in Stolberg und unterhielt ein offenes Haus, in das zahlreiche Künstler kamen, auch die jungen. Einige waren froh, dass sie von Usch Dahmen lecker bekocht wurden, denn viel Geld hatten die avancierten Künstler seinerzeit nicht. Bei Dahmen traf ich Winfred Gaul und Peter Brüning, aber ebenfalls Karl Otto Götz, Helmut Heißenbüttel und Gert Kalow. Die Künstler sprachen eigentlich immer über Kunst. Ich habe relativ wenige Fragen gestellt, dafür genau zugehört. So merkte ich, wo meine Lücken waren und diese habe ich durch Lektüre zu schließen versucht. Karl Fred Dahmen hat mich auch häufig auf Reisen zu Ausstellungen und Besuchen bei Künstlern und Kunstkritikern mitgenommen. Durch ihn habe ich Emil Schumacher und Albert Schulze Vellinghausen kennengelernt. Ich war mit ihm in Paris bei Pierre Dimitrienko, einem sehr bekannten Künstler, und mit ihm war ich zum ersten Mal in der Coupole auf dem Montparnasse, das in den 60ern noch ein Künstlerlokal war. Diese Begegnungen mit den Künstlern haben mich beflügelt, selber aktiv zu werden.

Ich bin neugierig, wie meine Frau mir einmal attestiert hat. Damals war ich darüber beleidigt. Heute betrachte ich es als ein sehr schönes Kompliment. Ich war ein Rebell – wie nicht wenige meiner Generation bürgerlicher Herkunft war ich strikt antibürgerlich. Und durch die Erfahrung mit den Aktionen und Performances der Galerie Aachen war mir klar geworden, dass in der Kunst eine Menge passierte, das den konventionellen bürgerlichen Kunstvorstellungen widersprach. In diesem Punkt, also Konventionen infrage zu stellen, erblicke ich nach wie vor ein politisches Ziel der Kunst oder im Vertrauten das Unvertraute, auch Unheimliche zu entdecken.

Sie haben in Aachen Gerhard Richter, Jan Dibbets und Daniel Spoerri ausgestellt. Sigmar Polke, Manfred Kuttner und Konrad Lueg waren nicht dabei. Wie haben Sie ausgewählt?

Es kamen mehrere Faktoren zusammen. Da waren die Künstler, deren Werke meinen Blick erweiterten und womöglich auch veränderten. Die dem, was ich für Kunst hielt, widersprachen und meine Überzeugungen hinterleuchteten. An deren Werken ich mich abarbeiten konnte und die mich forderten. Die mich subtil oder mit Aplomb zwangen, meine Vorstellungen neu zu justieren. Eine Schinderarbeit, kein Zweifel. Man sollte in diesem Beruf eine Art Masochist sein. Ich wollte – vielleicht eher intuitiv als geplant – abstecken, was unter dem Begriff „Kunst“ noch verstanden werden konnte, wollte Grenzen ausloten durch Überschreiten. Ein Symposium in Wien prägte die Formel des Erweiterten Kunstbegriffs. Sie ist mir zu beliebig, weil sie Grenzen ausschließt. Mir war sehr schnell klar, dass das ein zu weites Feld war. Vielleicht haben wir uns damit eine fragile Brücke gebaut, um nicht unentwegt begründen zu müssen, warum die avancierte Kunst Kunst ist. Es wäre aber notwendig gewesen!

Eine der zentralen Floskeln, die damals kursierten, war der schreckliche Begriff der „Bewusstseinserweiterung“. Was verstanden wir darunter? Wir verstanden darunter, dass wir durch die vorwiegend visuellen Erfahrungen, aber auch über diesen Horizont hinaus – man kann nicht behaupten, Lawrence Weiners Arbeiten seien besonders visuell, obwohl ich seine Arbeiten durchaus als visuell betrachte, nämlich als Wortskulpturen – unser Wahrnehmungsspektrum öffneten. Was erzählen die Künstler uns über unsere Welt? Diese Frage hat mich ebenfalls bei der Auswahl geleitet. Inzwischen weiß ich, dass sie uns mehr über das Sehen dieser Welt, über die Wahrnehmung der Welt und ihre Mechanismen erzählen und nicht so sehr über die Welt selbst. Die Autonomie der Kunst ist sehr viel stärker ausgeprägt, als ich es noch seinerzeit angenommen habe. Obwohl ich auch damals nicht glaubte, ein Kunstwerk wäre eine Eins-zu-Eins-Repräsentation der Welt. Ich habe durch meine Kinoerfahrungen, namentlich durch das Genrekino, den formalen Gegebenheiten im Kunstwerk ein höheres Maß an Deutungsfähigkeit zugebilligt als dem Stoff, dem Plot, dem Inhalt. Überspitzt ausgedrückt: Die Form war für mich der Inhalt. Dennoch war ich kein Formalist – im Gegenteil! Was den Stempel Kunst trug oder als Kunst von uns vertreten wurde, eingeschlossen in meiner Sicht die populäre Kunst der Massenmedien, war ein Mosaik vielfältigster künstlerischer Möglichkeiten, die nebeneinander existierten. Wie viele Bildkünste gab es überhaupt? Inwiefern korrespondierten sie? Solche Fragen hatten von Anfang an großen Einfluss auf meine Ausstellungsprogramme. Ich bin empirischer Soziologe, habe bei René König und Alphons Silbermann in Köln studiert, sodass mich die vorhandenen Gegebenheiten und Möglichkeiten in Anspruch nahmen. Außerdem war mein Interesse als Kurator – der Begriff kam erst später in Deutschland auf – auch nicht auf solche Künstler gerichtet, die ich bewundert habe, die aber für mich aus den verschiedensten Gründen unerreichbar waren: zu berühmt, zu angesagt, zu teuer … Transport und Versicherung sprengten meinen finanziellen Rahmen. Ich hatte ohnehin genügend auf- und anregende Künstler vor mir – viel mehr als ich ausstellen konnte.

Bezieht sich die Unerreichbarkeit eher auf die Geografie oder auf die Prominenz?

Auf beides. Zu den wenigen Etablierten gehörten in meinen Tableaux Ende der 60er Daniel Spoerri als Vertreter des Nouveau Réalisme Nouveau Réalisme war eine Kunstströmung, die Ende der 1950er-Jahre in Frankreich entstand. In Abkehr vom Informel und anderen gestisch abstrakten Ausdrucksweisen forderten die Künstler zunehmend die Hinwendung auf die alltägliche Lebenswelt. Konkret wurde dieser Anspruch zum Beispiel in der Verwendung von Alltagsgegenständen als Material in der Kunst sichtbar. Am 27. Oktober 1960 wurde in der Pariser Wohnung Yves Kleins das Gründungsmanifest von Arman, François Dufrêne, Raymond Hains, Yves Klein, Martial Raysse, Pierre Restany, Daniel Spoerri, Jean Tinguely und Jacques de la Villeglé unterzeichnet. Siehe auch: „Nouveau Réalisme. Revolution des Alltäglichen“, hg. von Ulrich Krempel, Ausst.-Kat. Sprengel Museum Hannover, Ostfildern 2007. und Günther Uecker als Repräsentant von ZERO Ab 1958 verwendeten Heinz Mack und Otto Piene den Begriff „ZERO“ im Kontext ihrer gemeinsamen Ausstellungen sowie den drei Ausgaben der von ihnen in Düsseldorf herausgegebenen Zeitschrift „ZERO“. Ab 1961 nahm auch Günther Uecker regelmäßig an den Ausstellungen und Aktionen der ZERO-Bewegung teil. ZERO stand für Aufbruch und Neubeginn, die Stunde null, und einen radikalen Neuanfang nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. ZERO setzte sich deutlich vom etablierten Informel ab. Mit neuen Materialien, insbesondere unter Einsatz von Bewegung, Licht und Raum als Teil des künstlerischen Werks, etablierte ZERO eine neue Bild- und Formensprache. Vgl. Wieland Schmied, „Etwas über ZERO“, in: Dirk Pörschmann/Mattijs Visser (Hg.), „ZERO 4 3 2 1“, Düsseldorf 2012, S. 9–18. – vielleicht noch Brüning und Gaul sowie Allan D'Arcangelo.

Sie haben Uecker und Spoerri gezeigt, Heinz Mack aber zum Beispiel nicht.

Mack habe ich nicht gezeigt, weil mein Verhältnis zu ihm nicht unproblematisch war. Meine Freundschaft mit Luther mag dafür die Ursache gewesen sein. Und beider Rivalität. Mack war mir auch zu elegant und ein bisschen zu glatt und angepasst. Ich fühlte mich eher unangepasst und wundere mich im Rückblick, dass ich im Gegenverkehr zur Vernissage noch schön mit Krawatte und Anzug auftrat. In Münster praktizierte ich später den Lederjackenkult in extenso. Als dieser sich im Kunstbetrieb durchsetzte, habe ich mich in Bonn erneut für Anzug und Krawatte entschieden. Ganz in Schwarz.

Uecker und Richter hatten in einem Haus in der Düsseldorfer Brückenstraße vis-à-vis auf derselben Etage ihr Atelier, was ich anfangs nicht wusste. Uecker kannte ich von Vernissagen, Richter hat mich aber zunächst mehr interessiert. Die Ambivalenz von Bildern, Bild als autonomer Gegenstand und sein referenzielles Verhältnis zur Lebenswelt kannte ich vom späten Alfred Hitchcock und von Jean-Luc Godard. Die scheinbare Eindeutigkeit von Fotografie ließ mich ihr gegenüber gleichgültig sein. Die photokina Die photokina ist eine seit 1950 in Köln ausgerichtete Fachmesse für Fotografie und neue fotografische Bildgewinnungsverfahren. habe ich verabscheut. Heute sehe ich das anders, aber damals war mir das reine Bildtheater zuwider. Der Anspruch der Gegenwartskunst war, nicht nur alles Vorangegangene auf den Kopf zu stellen, sondern die gängigen Repräsentationsmodelle zu unterminieren. Es war die Zeit um 1968 – hatte aber mit dem, was von 68 in Erinnerung geblieben ist, überhaupt nichts zu tun. Obwohl auch ich gegen die geplanten Notstandsgesetze Ab 1966 gab es in der Bundesrepublik immer wieder Demonstrationen gegen die geplanten Notstandsgesetze. Am 30.05.1968 beschloss der Bundestag die umstrittene Ergänzung des Grundgesetzes durch die Notstandsverfassung. Sie genehmigte den Einsatz der Bundeswehr bei inneren Unruhen. auf die Straße gegangen bin. Dabei habe ich zufällig gelernt, was dokumentarische Fotografie ist, über die ich Jahre danach viele Aufsätze geschrieben habe: Eines Tages wurde ich von meinem Verleger mithilfe einer Fotografie, die mich mit erhobener Faust zeigt, als Anführer im Sturm auf die Konkurrenzzeitung – die „Aachener Volkszeitung“ – entlarvt. Glücklicherweise war ich ein vorsichtiger Mensch und bei derlei Veranstaltungen immer in Begleitung. Zwei Redakteurinnen, darunter Marie Hüllenkremer, spätere Kulturdezernentin von Köln, konnten bezeugen, dass ich mitnichten der Anführer war, sondern einem Bekannten, dem Fotografen Hein Call, der den Demonstrationszug vom Balkon der Zeitung, die kurz darauf attackiert wurde, fotografiert hatte, nur zugewunken habe. Im Augenblick des Klicks hatte sich meine offene Hand in eine scheinbare Faust verwandelt.

Ich habe die avancierte Kunst stets als politisch empfunden und mich nicht zuletzt deswegen für sie engagiert. Als Appell zur Veränderung. Nie interessiert hingegen hat mich die sogenannte „politische Kunst“. Zu illustrativ und plakativ. Obendrein kann ich es nicht leiden, vorgeschrieben zu bekommen, wie ich die Dinge zu sehen habe. Die avancierten politischen Tendenzen in der Kunst äußerten sich im Happening, in performanceartigen Gestaltungen, in jeder Kunstform, die das Visuelle buchstäblich durchleuchtete und seine komplexen Zusammenhänge nicht unterschlug, um durch Sehen im Denken und Fühlen die notwendigen Voraussetzungen für Veränderungen zu schaffen. Jedenfalls zur Änderung der momentanen Verhältnisse.

Das haben Sie der Kunst zugetraut?

Das habe ich der Kunst zugetraut! Und das traue ich ihr auch heute noch zu. In der empirischen Soziologie gibt es den Begriff „Tastemaker“. Mit dem Wort Geschmack ist „taste“ jedoch nur unzulänglich übersetzt. Darunter versteht man vielmehr jenen Pool von kulturellen Überzeugungen und Vorstellungen, die den Kurs einer Gesellschaft abstecken. Die Tastemaker sind diejenigen Menschen, denen man eine Meinungsführerschaft zuerkennt. Nicht von ungefähr waren in den USA – zumindest früher – unter ihnen viele Kunstsammler. Den Slogan „Kunst für alle“ habe ich immer für Quatsch gehalten, solange nicht die sozialen Voraussetzungen vorhanden waren, die den Zugang erschwerten oder verhinderten. Völlig hypertroph! Kunst kann nur ein Angebot sein. Ich habe für alle Menschen Verständnis, die sagen, mich interessiert die Kunst nicht. Mir ging es vorzüglich um Adressaten, die sich für Kunst interessierten oder es vorgaben, aus welchen Gründen auch immer – also um die Tastemaker, die zur geistigen Elite der Gesellschaft gehörten. Sie zu erreichen, war ein Ziel. Das waren nicht die Topmanager – die entscheiden viel weniger als man glaubt –, sondern es waren in Sachen zeitgenössische Kunst risikofreudige, aufgeschlossene, couragierte Menschen … also die typische Sammlerklientel der damaligen Zeit: Juristen, Ärzte, Kaufleute, Intellektuelle, die geistig Offenen. Die waren mein Publikum. Mir ging es um geistige und emotionale Perspektivveränderungen. Meine Theorie musste sich in der praktischen Arbeit bewähren. Und es hat sich ja sehr viel verändert seither! In diese Zeit fielen auch die Anfänge der sozialliberalen Koalition.

Das ist eine sehr analytische Beschreibung dessen, was Sie gemacht haben. War das wirklich so strategisch?

Ich hatte keine teleologischen Prinzipien, sondern es ging mir um das Prozessuale. Veränderung als solche begriff ich bereits als positiv. Immer wieder den eigenen Standpunkt zu überprüfen … das halte ich für ausschlaggebend. An dieser Einstellung habe ich im Endeffekt nichts verändert, ich bin nur skeptischer geworden, wohin der Weg gehen soll. Denn Verändern heißt für mich nicht permanente Revolution, sondern vielmehr auch Traditionen zu respektieren, weil sie wie Leitplanken wirken. Auch Traditionen sind veränderbar und sollten von verschiedenen Seiten betrachtet und stetig ob ihrer Sinnhaftigkeit überprüft werden. Kunst ist ein Mittel, unsere Wahrnehmung zu verändern. Damit beginnt überhaupt die Einsicht, dass etwas veränderbar ist.

Dieser Anspruch lässt erst einmal prinzipiell jede Kunst zu.

Ja.

Ganz gleich welches Medium, solange es etwas verändert oder etwas Neues bringt? Dennoch konnte Fluxus beispielsweise Sie nie richtig begeistern?

Weniger, obwohl es durch Spoerri Berührung mit dieser Kunstrichtung gab. Fluxus war schon ein bisschen out-of-fashion. Es gab etliche Ausstellungen und Veranstaltungen – auch in Düsseldorf. Joseph Beuys, Wolf Vostell und andere Fluxus-Akteure etablierten sich allmählich. Ich will nicht sagen, dass Fluxus als etabliert galt, aber es war für mich nichts wirklich Neues. Neu und aufregend waren für mich hingegen die Pop-Art, die Minimal Art und die Conceptual Art. Ich habe das erste Buch über „Concept Art“, so der Titel, 1971 veröffentlicht, nachdem ich darüber auf Initiative von Dieter Bechtloff bereits eine Ausgabe des „Magazin Kunst“ Klaus Honnef: „Concept Art“, in: „Magazin Kunst. Das deutsche Kunstmagazin“, 10. Jg., 1970, Nr. 38. recherchiert und verfasst hatte. Noch vor den Kompendien von Lucy Lippard und Ursula Meyer. Leider wurde das Buch nie übersetzt und hatte demensprechend keine Verbreitung in den tonangebenden USA. Das ist auch der Grund, aus dem die englischsprachigen Autoren den Meinungsmarkt in der zeitgenössischen Kunst beherrschen. Englisch ist die Lingua franca der Kunstwelt.

Haben Sie je an einer Fluxus-Veranstaltung teilgenommen?

Nein, Fluxus-Ereignisse habe ich als Zuschauer nicht sehr viele erlebt. Die Galerie Aachen hat das Feld ausreichend bestellt. Und ich musste als Ausstellungsmacher die Sachen, die schon einmal gut gemacht worden sind, nicht wiederholen. Erst recht nicht in einer Zeit, in der es sehr viel Neues gab. Damals überschlugen sich die Kunsttrends förmlich: Minimal Art, Conceptual Art, Prozesskunst, Land-Art … die ganzen avancierten Kunstrichtungen. Die Pop-Art nicht zu vergessen. 1968 wurde sie auf der documenta zum ersten Mal umfassend in Deutschland aufgeführt. Sie war ja auch in den USA keineswegs unumstritten. Pop war für viele von uns eine Protestkunst, weil sie die Bilder der populären Medien, aus Kino, Werbung und Comic in die Sphäre der Kunst hob. Das trieb manche zur Weißglut.

Ich zähle zu denen, die Peter Ludwigs Kunstkompass umgedreht haben. Womöglich war ich als Aachener Kunst- und Kulturkritiker einer der ausschlaggebenden Auslöser. Ich wusste von Ludwigs Reise nach New York im Januar 1968 durch ihn selbst. Rudolf Zwirner Rudolf Zwirner (* 1933 Berlin) betrieb von 1959 bis 1962 eine Galerie in Essen. 1962 eröffnete er neue Räumlichkeiten im Kolumbakirchhof in Köln. Zwirner zählte in den 1960er-Jahren zu den ersten deutschen Kunsthändlern, die in ihrem Programm US-amerikanische Gegenwartskünstler vertraten, darunter John Chamberlain, Dan Flavin, Allen Jones, Roy Lichtenstein und Andy Warhol. 1966 gründete Zwirner gemeinsam mit Hein Stünke den Verein progressiver deutscher Kunsthändler, aus dem 1967 der erste Kölner Kunstmarkt hervorging. und Wolfgang Hahn Wolfgang Hahn (1924 Euskirchen – 1987 Köln) war ein deutscher Kunstsammler und Restaurator, der ab 1950 am Wallraf-Richartz-Museum und später am Museum Ludwig in Köln tätig war. Anfang der 1960er-Jahre baute Hahn eine umfassende Sammlung europäischer und amerikanischer Nachkriegskunst auf. Zu den wichtigsten künstlerischen Positionen seiner Sammlung zählen Joseph Beuys, John Chamberlain, Claes Oldenburg, Daniel Spoerri und Andy Warhol. 1978 verkaufte Hahn einen Großteil seiner Sammlung an die Republik Österreich, wo sie als Grundstein für die späteren Sammlungsschwerpunkte in die Bestände des heutigen Museums Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (mumok) überging. erfuhren davon offenbar erst später und sind ihm, wie Lothar Schirmer Lothar Schirmer (* 1945 Schmalkalden) ist ein Verleger und Kunstsammler. Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Köln gründete er 1974 gemeinsam mit Erik Mosel den Kunstbuchverlag Schirmer/Mosel in München, den er seit 1986 als alleiniger Geschäftsführer leitet. Seine Sammlung umfasst unter anderem Werke von Bernd und Hilla Becher, Joseph Beuys, Hanne Darboven, Cy Twombly und Jeff Wall. mir erzählte, aufgeregt hinterher geflogen. Im Januar 1968 kaufte Ludwig in New York Pop-Art en gros ein. Die Händler verkauften ihm zunächst eher mittelmäßige Stücke. Bis sie herausfanden, dass Ludwig die Kunstwerke für ein Museum in Deutschland erwarb – für das Suermondt Museum in Aachen. Prompt haben die Kunsthändler, wie mir Leo Castelli Leo Castelli (1907 Triest – 1999 New York) eröffnete 1939 mit dem Architekten René Drouin eine Galerie in Paris. 1941 siedelte er nach New York über, wo er ab 1957 eine weitere Galerie betrieb. Neben den amerikanischen Künstlern Jasper Johns, Donald Judd, Bruce Nauman, Robert Rauschenberg und Andy Warhol umfasste sein Programm auch Werke europäischer Künstler, darunter Alberto Giacometti und Marcel Duchamp. Von 1932 bis 1959 war Castelli mit der Galeristin Ileana Sonnabend verheiratet. viele Jahre danach erzählte, umdisponiert und die bereits verkauften Werke unter fadenscheinigen Argumenten zurückbeordert, um Ludwig die besten Arbeiten ihrer Künstler zu überlassen. Ein Museum – das war das perfekte Schaufenster für eine Kunst, die auch in den USA zunächst nicht als museumswürdig eingestuft wurde. Die Institution des Museums war der Fahrstuhl für die avancierte Kunst auf die Etage der hohen Kunst.

Ich habe für die ersten Kataloge Ludwigs die Texte geschrieben. Das Sortiment von Trumpf-Pralinen in Kartons war mein Honorar. Darum war ich bei den Frauen, als sie noch Pralinen aßen, sehr beliebt. Mit anderen Worten: Ich habe mich intensiv in die Pop-Art vertieft und ein Vierteljahrhundert danach auch zwei sehr verbreitete Bücher über das Thema publiziert: „Andy Warhol“ und „Pop Art“. Beide im Taschen Verlag in Köln erschienen: Klaus Honnef, „Andy Warhol. 1928−1987. Kunst als Kommerz“, Köln 1989 und ders., „Pop Art“, Köln 2004. Aber als Ausstellungsmacher war auch diese Kunstrichtung für mich nicht mehr aktuell. Obwohl ich Allan D'Arcangelo, Bob Stanley und Mel Ramos im Gegenverkehr die erste deutschen Soloausstellung außerhalb der privaten Galerieszene ausrichtete, denn ich war auch von dem Virus infiziert, noch nicht anerkannte Künstler auszustellen, die nur in den kleinen Galerien zugänglich waren und noch keinen eigenen Katalog hatten.

In Ihrer Biografie ist das stets mit aufgeführt: „Erste Einzelausstellung außerhalb des privaten Galeriebetriebs.“ Das habe ich, soweit ich mich erinnere, vorher noch nie in einer Biografie eines Ausstellungsmachers gelesen. Es ist deutlich, dass die Rolle des Pioniers bei Ihnen einen hohen Stellenwert hat. War das damals so wichtig? Eine Art Wettbewerb, wer etwas zuerst gemacht hat?

Unbedingt.

Das gab es ja bei den Künstlern auch.

Der große Streit mit Timm Ulrichs Timm Ulrichs (* 1940 Berlin) ist ein Künstler, der insbesondere für sein Konzept der Totalkunst bekannt ist. Mit Beginn der 1960er-Jahre zeigte er frühe Aktionen und Ausstellungen in seiner selbst organisierten „Zimmer-Galerie“ in Hannover. 1966 folgte die erste öffentliche Selbstausstellung als lebendes Kunstwerk in der Galerie Patio in Neu-Isenburg bei Frankfurt am Main. 1977 war Ulrichs auf der „documenta 6“ vertreten. Er lehrte von 1972 bis 2005 als Professor für Bildhauerei und Totalkunst an der Kunstakademie Münster. war dafür symptomatisch: „Ich habe das und das als Erster gemacht“, war seine ständige Rede – mitunter zu Recht. Doch niemand nahm es ernsthaft zur Kenntnis. Nicht nur die Künstler, auch wir Ausstellungsmacher waren auf die Zukunft fixiert und davon durchdrungen, dass unsere Arbeit Bestandteil der Kunstgeschichte werden würde. So viel zum psychologischen Hintergrund. „Originalität“ war ein Standardbegriff in der Kunstdiskussion. Und wenn Timm Ulrichs eine künstlerische Erfindung für sich reklamierte, dann war das natürlich auch eine existenzielle Frage, zumal wenn ein anderer dafür gefeiert wurde. Timm Ulrichs hat es vielleicht etwas übertrieben. Mit mir stand er in einer regelrechten Fehde, weil ich avancierte Künstler ausstellte und über sie schrieb, von denen viele Wege gingen, die Ulrichs angeblich oder tatsächlich erkundet hatte. Bei großen Diskussionen auf den Podien anlässlich der alternativen Kunstmärkte in Göttingen und Duisburg, die der energiegeladene Kölner Schnapshändler und Kunstgalerist Ingo Kümmel Ingo Kümmel (1937 Fulda – 1990 Köln) war ein Kunstvermittler und Kunsthändler, der zwischen 1964 und 1974 unter anderem die Galerien Kümmels Spirit and Art Shop, Kümmel + Beilhartz und Baedeker-Kümmel in Antwerpen, Dinslaken und Köln führte. Sein Programm umfasste vor allem Positionen des Fluxus und der Performancekunst, darunter Joseph Beuys, Jürgen Klauke und Wolf Vostell. Aufsehen erregte Ingo Kümmel auch als Organisator zahlreicher Gegenveranstaltungen zum Kölner Kunstmarkt. organisiert hat, sind wir uns mit heftigen Wortgefechten oft in die Haare geraten … es ging nicht gerade sachlich dabei zu. Erst viel später – vor drei, vier Jahren – haben wir an einer Hotelbartheke in Monschau das Kriegsbeil begraben.

Konkret habe ich mit Timm Ulrichs über „Das erste lebende Kunstwerk“, das er 61 datiert und 66 erstmals öffentlich in Frankfurt zeigte, Timm Ulrichs, „Ausstellung des Herrn Ulrichs (automobile Plastik), 178 cm: erstes lebendes Kunstwerk“, 1961. Nach Angaben des Künstlers wurde die Arbeit erstmals 1961 in seiner „Zimmer-Galerie“ in Hannover gezeigt. Die Aktion war 1966 vom 01.–05. Juni in der Galerie Patio in der Laubestraße in Frankfurt am Main zu sehen. Vgl. Ansgar Schnurr, „Über das Werk von Timm Ulrichs und den künstlerischen Witz als Erkenntnisform: Analyse eines pointierten Vermittlungs- und Erfahrungsmodells im Kontext ästhetischer Bildung“, Norderstedt 2008, S. 67 ff. gesprochen. Piero Manzoni Piero Manzoni (1933 Soncino, Italien – 1963 Mailand) war ein Künstler, der ab Ende der 1950er-Jahre durch die neuartige Verwendung von künstlerischen wie alltäglichen Materialien den bestehenden Malereibegriff erweiterte. Mit seinen Werken formulierte er theoretische Ansätzen, die wesentlich zur Entwicklung der Konzeptkunst sowie der Arte povera beitrugen. starb 1963. In verschiedenen Arbeiten hat er den Menschen zum Kunstwerk erklärt, signiert und auch ausgestellt. Vgl. Manzonis Arbeiten „Scultura vivente“ (1961), „Base magica – Scultura vivente“ (1961) sowie „Carta d’autenticità“ (1961/62). Ulrichs sagt, dass er zu der Zeit noch nichts von Manzoni gewusst habe. Vgl. Timm Ulrichs. Dabei war Manzonis Werk schon zu seinen Lebzeiten in Deutschland ausgestellt, Zu Lebzeiten nahm Piero Manzoni unter anderem an folgenden Ausstellungen in Deutschland teil: „Dynamo 1“, Galerie Renate Boukes, Wiesbaden, 1959; „Monochrome Malerei“, Städtisches Museum Schloss Morsbroich, Leverkusen, 1960; „Manzoni“, Galerie Carette, Glücksburg, 1960; „Exposition dato 1961“, Galerie dato, Frankfurt am Main, 1961; „ZERO“, Galerie Schindler, Berlin, 1963. er gehörte zum Netzwerk der ZERO-Künstler und es gab Zeitschriften, in denen seine Arbeiten abgebildet waren.

So viele waren es aber nicht, und in den wenigen deutschen Magazinen hatte avancierte Kunst auch keinen Vorrang. Informiert zu sein – ohne ausländische Kunstzeitschriften war das unmöglich. Wenn in Düsseldorf bei Alfred Schmela eine Ausstellung war, haben sie nur wenige gesehen. Ich kannte den Namen Manzoni, ehe ich von ihm ein Werk zu Gesicht bekommen habe. Man hat, wenn überhaupt, Reproduktionen gesehen, aber keine Originale. Auch die Kritiker, die sich damals im avancierten Kunstbetrieb umsahen, nicht. Im Kunstbetrieb wird immer viel geredet und noch mehr gequatscht. Man wusste ungefähr, was wo gemacht wurde. Vieles wurde aber auch verzerrt. Das führte dazu, dass in diesem kleinen Betrieb – man glaubte nicht, dass er sich tendenziell einmal zu einem Massenbetrieb ausweiten würde – die Frage „Wer war der Erste?“ schon eine ganz entscheidende Bedeutung hatte. Das zeigte sich in den Zeitungskritiken, die in den 60er- und 70er-Jahren einen hohen Stand hatten. Sie waren enorm wichtig und bedeutsam. Dort fand der wirkliche Diskurs statt. Die Bücher über zeitgenössische Kunst, die können Sie durch die Bank wegschmeißen, weil sie nichts von dem dichten Diskursklima vermitteln. Die maßgeblichen Diskussionen wurden in den Tageszeitungen geführt. In der „F.A.Z.“, der „Frankfurter Rundschau“, der „Welt“, der „Süddeutschen Zeitung“, den „Aachener Nachrichten“, der „NRZ“ in Essen und in der Düsseldorfer Zeitung „Der Mittag“. Mit unglaublicher Intensität, in unglaublichem Umfang und mit einer unglaublichen Kompetenz. Wenn ich die Namen einiger Kritiker nenne, kann man das ermessen: Georg Jappe, Laszlo Glozer, Eduard Beaucamp, John Anthony Thwaites, Peter Iden, Hans-Peter Riese, Rolf-Gunter Dienst, Ernst Günter Engelhard, Wolf Schön, Lothar Romain, Heiner Stachelhaus, mich inklusive – Kunstkritiker von diesem Rang gibt es heutzutage gar nicht mehr. Die Frage der Priorität beziehungsweise der Originalität war fast schon ein Muss, um überhaupt Erwähnung zu finden.

Das heißt, Sie sind durch die Galerien gegangen und haben nach Neuentdeckungen Ausschau gehalten? Womit kann ich der Erste sein?

Aber ja! Und natürlich auch durch die Ateliers.

Dennoch wollten Sie sicher nicht irgendetwas zeigen? Sie wollten es ja nicht verkaufen, sondern eine neue Position vorstellen, die noch keiner in diesem institutionellen Kontext präsentiert hatte, oder?

Selbstverständlich. Ich wollte es umfassender und begründeter machen als eine private Galerie. Die meisten Galeristen verfügten nur über Zimmerchen. Sie konnten nur eine beschränkte Anzahl von Werken zeigen, meistens die neuesten Werke. Und ich konnte eine Übersicht vornehmen, um so die Kontinuität und die Durchdachtheit eines künstlerischen Vorgehens zu belegen. Mein Ehrgeiz war nicht, etwas gänzlich Neues zu entdecken, auch wenn ich manchmal als Entdecker gefeiert werde. Sondern ich konnte eine künstlerische Position, die Substanz oder Potenzial hatte, erkennen und überzeugend entfalten. Das erweist sich schon daran, dass von allen Künstlerinnen und Künstlern, die ich ausgestellt habe, heute nur wenige unbekannt sind. Inzwischen gehören die meisten zu den Big Names des Kunstbetriebs, wie zum Beispiel Richter, Polke, Weiner, Huebler, Darboven, Boltanski, Messager, Immendorff, Klauke, Trockel, Genzken, die Bechers, Struth, Höfer, Hütte …

Gab es im Großraum Köln ...

Köln war vor dem ersten Kölner Kunstmarkt 1967 Provinz.

1968, als Sie den Gegenverkehr in Aachen eröffneten, gab es bereits einige Galerien in Köln. Haben Sie sich mit den Galeristen über die Künstler ausgetauscht?

Ja natürlich. Wir saßen sozusagen in einem Boot. Kommerziell waren wir alle gleichermaßen erfolglos: Künstler, Händler und Kritiker. Die avancierte Kunst war nicht auf Anhieb ein kommerzieller Hit. Die Künstler, die progressiven Kunsthändler und die Kritiker kamen, wenn sie erfolgreich waren, gerade so über die Runden – mehr war nicht drin. Wir bildeten zusammen die Fronde gegen die Etablierten. Das Label „progressiv“ war symptomatisch für unsere Haltung. Die Etablierten wurden durch den traditionellen Kunsthandel und die Museen repräsentiert, die damals noch großzügig ankauften, allerdings keine avancierte Kunst – auch um den Aderlass durch den Verlust der „entarteten“ Kunst einigermaßen aufzufangen. Außer in Krefeld, später Mönchengladbach, Recklinghausen und Leverkusen wurden die Museen aus unserer Sicht von reaktionären Museumsdirektoren geführt. Ihre Vergangenheit im Dritten Reich hat uns weniger interessiert, als es hätte tun sollen. Das war für uns kein Angriffspunkt. Angriffspunkt hingegen war ihre reaktionäre Haltung in künstlerischer Hinsicht. Die wenigsten begreifen, dass die Avantgarde bis hin zur Concept-Art nach dem Kanon der modernen Kunst zu zerfransen anfing, wie Adorno es definiert hat, und in einem ganz konkreten Bezugsrahmen operierte. Diesen Bezugsrahmen bildete – eigentlich nicht verwunderlich – die Kunst vor der Avantgarde. Die Avantgarde ist ohne die vormoderne Kunst undenkbar. Und es überrascht lediglich auf den ersten Blick, dass ich mich jetzt stärker für die alte Kunst interessiere, um mir das Framework, die Hintergründe und die Bezugsquellen vor Augen zu führen, gegen die sich die Avantgarde richtete. Heute sehe ich die Kontinuitäten viel deutlicher. Aus der Gegnerschaft gegen den unsichtbaren Bezugsrahmen, erklärt sich auch die künstlerische Interessensidentität zwischen Handel, Kritik und Künstler in den 60er-Jahren. Man kannte sich untereinander. Von ZERO bis Beuys, von Schmela bis Ricke … Die Kunst von Beuys hat mich im Übrigen wenig interessiert.

Können Sie sagen, warum das so war?

Er war mir irgendwie zu deutsch, zu mythologisch. Zu schwammig in der Terminologie. Was mich geprägt hat, sind im geistigen Beritt die amerikanische Empirie und die französische Analyse. Das klare Denken. Darum auch Uecker, nicht Mack. In dessen Arbeit waren klare Linien zu erkennen. Dieses Mystische, Mythische, Metaphernselige, auch in Richtung des magischen Denkens, war mir obskur. Ich war – und bin es eigentlich heute immer noch – ein Modernist. Für die anderen war Beuys ein Künstlergott. Er war der Stern im Zentrum. Doch wenn man das Zentrum versucht zu konturieren und alle avancierten Künstler miteinschließt, dann rekrutierte es sich in Europa aus vielleicht 50 Künstlern, vielleicht auch weniger. Das Publikum war kaum größer. Und für die Concept-Art engagierten sich auf der ganzen Welt vielleicht zwei oder drei Dutzend Menschen. Einerseits war es also eine kleine Gruppe, die unter dem Druck stand, ihre künstlerische Legitimität unter Beweis zu stellen, andererseits schweißte das zusammen. Interessenskonflikte, die sich heute sehr viel schärfer formieren, sind kaum in Erscheinung getreten. Uns allen kam es darauf an, dass diese Kunst als Kunst anerkannt wurde – und die Legitimationsmaschinen sind nach wie vor die Museen.

Heute werden sehr viele Ausstellungen gemacht. Die Kunst ist erfolgreicher denn je, alle machen mit, aber der gesellschaftliche Wert der Kunst und die Auseinandersetzung darüber gehen offenbar zunehmend verloren.

Das ist der Grund, aus dem ich jedes Beglückungskonzept für falsch gehalten habe. Ich bin lange Sozialdemokrat gewesen und fand die sozialdemokratische Kulturpolitik der 20er-Jahre, die durch gezielte Unterrichtung den davon Ausgeschlossenen einen Zugang zur Kunst bereiten wollte, sehr vorbildlich. Dieses Bestreben hatte eine andere Ausrichtung, als die Menschen einfach durch freien Eintritt – das sind Gepflogenheiten der Unterhaltungskultur – mit Kunst zu beglücken. Diese Form von Kulturpolitik hat Forderungen gestellt. Kunst ist anstrengend, anspruchsvoll. Ich und viele andere haben darum diejenigen, die Interesse dokumentierten, die sich herausfordern ließen und die Herausforderungen als produktiv begriffen, als die relevanten Rezipienten betrachtet.

Norman Rosenthal sagt beispielsweise, dass die Kunst oder der Kunstbetrieb vor allem auch Spaß machen sollen. Vgl. Norman Rosenthal.

Das ist kein Widerspruch. Uns allen hat der engagierte Einsatz für eine Kunst, die außergewöhnlich war und selbst den Rahmen des Modernismus schon brüchig erscheinen ließ, großes Vergnügen bereitet. Es war das Gefühl, einem Anspruch gewachsen gewesen zu sein – wie ein Sportler, der sich einen Sieg hart erkämpft hat. Nicht immer, wenn du vor dem weißen Blatt an der Schreibmaschine gesessen hast oder heute vor dem Computer sitzt und dir nichts einfällt, bereitet das Spaß – es kann harte Arbeit sein! Oder auch wenn du in einer Ausstellung großartige Bilder vor dem Hängen gestellt hast und sie sich gegenseitig auf den Füssen stehen, sich nicht mögen, schlechte Stimmung verursachen, ist das kein Vergnügen. Doch wenn der Text oder die Präsentation gelungen ist, verschafft das Glück. Einen Fehler muss ich uns indes ankreiden: Wir haben versäumt, das Vergnügen und die Freude unserem Publikum mitzuteilen und es daran teilhaben zu lassen. Viele von uns waren zu sehr Missionare der Avantgarde. Und als sich schließlich wider Erwarten die Kunstgeschichte auch der Moderne bemächtigte, und die jungen Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker ihr erlerntes kategoriales Denken über die lebendige Kunst stülpten, war es mit dem Spaß vorbei. Nichtsdestotrotz war es – keine Frage – ein großes Vergnügen, sich mit Gleichgesinnten zu treffen und über Kunst zu reden. In der Düsseldorfer Wirtschaft Ohme Jupp Das Ohme Jupp ist eine Düsseldorfer Altstadtkneipe, die während der 1970er- und 1980er-Jahre ein beliebter Treffpunkt der Kunstszene war. , dem Hauptquartier der Concept-Art beispielweise. Es war Konrad Fischers Konrad Fischer (1939 Düsseldorf – 1996 Düsseldorf) war ein deutscher Künstler und Galerist. In seiner 1967 in der Düsseldorfer Altstadt eröffneten Galerie stellte er frühe Vertreter der Minimal Art und der Konzeptkunst vor, darunter Carl Andre, Hanne Darboven, Bruce Nauman und Lawrence Weiner. Als „Konrad Lueg“ war Fischer vor Gründung seiner Galerie als Künstler tätig und stellte mehrfach unter anderen mit Gerhard Richter aus. Die bekannteste künstlerische Aktion, an der Lueg beteiligt war, fand im Oktober 1963 im Düsseldorfer Möbelhaus Berges unter dem Titel „Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“ statt. Stammkneipe. Einmal in der Woche fuhr ich von Münster aus zum Ohme Jupp. Dort traf ich immer ein paar Künstler an: die Bechers, Hanne Darboven, Lawrence Weiner, Sol LeWitt, Gerhard Richter, Carl Andre, Daniel Buren, Stanley Brouwn. Manchmal waren fünf oder sechs anwesend, manchmal nur drei. Wir haben keine Diskussionsveranstaltungen gemacht, aber wir haben permanent über Kunst geredet – und mit Sicherheit auch über manchen Quatsch. Und wir haben kräftig getrunken. Natürlich spielte Alkohol eine, ich würde nicht sagen maßgebliche, aber eine animierende Rolle. Die Verfechter der nicht-visuellen, scheinbar abweisenden Kunst waren sehr heiter und sehr offen. Die Nachmittage und Abende sind mir unvergesslich.

Wurde auch das Werk der anwesenden Künstler diskutiert? Beispielsweise von Lawrence Weiner, der mit seinem Werk noch einmal eine ganz eigene Position im Rahmen der Konzeptkunst einnimmt.

Diskutiert ist das falsche Wort. Die einzelnen Werke wurden nicht auf den Prüfstand gestellt, sondern es hieß: „Ich habe gesehen, was du machst …“ Dann wurden Komplimente ausgeteilt, Fragen gestellt oder Meinungen geäußert. Und der jeweilige Künstler hat erklärt, worauf er hinauswollte oder wie er zu der vorliegenden Lösung gelangt ist. Man war eben eine Gruppe mit gleichen Interessen und Zielen. Die Gespräche hatten affirmativen Charakter. Da war keiner dabei, der gesagt hat: „Das ist ja große Scheiße, die du da fabriziert hast.“

Sie hatten damals als Kritiker im Kreis der Künstler sicher eine Sonderrolle. Ich habe gelesen, dass Sie grundsätzlich, wenn Sie etwas nicht gut fanden, gar nicht erst darüber geschrieben haben. Ich stelle mir vor, dass man auch damals nicht immer sofort alles verstanden hat. Wenn Lawrence Weiner beispielsweise sagte: „Ich muss das Werk nicht umsetzen, denn der Entwurf oder die Beschreibung der Idee sind bereits das Werk“, da musste man vielleicht darüber erst einmal nachdenken? Inwiefern wurde die Rolle des Rezipienten damals überhaupt berücksichtigt?

Darin manifestiert sich letzten Endes die Aporie der Concept-Art. Insofern hat Joseph Kosuth Joseph Kosuth (* 1945 Toledo, Ohio) ist ein Künstler und Hauptvertreter der Konzeptkunst. Bekannt wurde er insbesondere für seine Arbeit „One and Three Chairs“ (1965), die den Stuhl als plastisches Objekt, als Reproduktion des Stuhls in Form einer fotografischen Abbildung und als Beschreibung des Stuhls in Form einer lexikalischen Definition enthält. In Deutschland wurde Kosuth ab 1970 von der Galerie Paul Maenz vertreten. Er nahm an der documenta 5 (1972), 6 (1977), 7 (1982) und 9 (1992) teil und war Professor an der School of Visual Arts (SVA) in New York (1967–1985), der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (1991–1996) sowie der Akademie der Bildenden Künste München (2001–2006). die Sackgasse klar gesehen: Für ihn lief die Konzeptkunst auf Philosophie hinaus – obwohl er Objekte hergestellt hat, gewissermaßen als Hardware. Darin äußert sich die normative Kraft des Faktischen. Künstler wollen überleben. Der Traum von einer immateriellen Kunst, den wir mit der Concept-Art träumten, ist von Beginn an ein Traum gewesen, der für kurze Zeit Realität wurde. Das ganze System war so aufgebaut, dass die meisten Dinge mit der Post befördert wurden. Dadurch konnte ich mit beschränkten Budgets die großen Retrospektiven und Ausstellungen von Weiner und Huebler, Boltanski und anderen verwirklichen. Für die Künstler gab es im Gegenzug ein Ticket, Hotelaufenthalt und Bewirtung. Sie waren wie die Sänger des Mittelalters. Das System hatte zweifellos Charme und vielleicht hätte es funktioniert, wenn die Künstler für ihre Arbeit angemessen honoriert worden wären. Dem war aber nicht so. Infolgedessen haben sie sich in der Mehrzahl auf die Marktbedingungen eingestellt und Greifbares gefertigt. In Gedanken kann man kompromisslos sein – was wir zum Teil waren, aber glücklicherweise nicht bis zum Exzess.

Davon abgesehen bin ich überzeugt, dass Kunst immer auch einen empirischen, einen materiellen Kern hat. Nicht von ungefähr habe ich im Westfälischen Kunstverein nicht nur Avantgarde realisiert. Sie hatte zwar den stärksten Anteil, aber auch Carl Spitzweg, Georg Karl Pfahler und Peter Phillips zählten zum Programm. Also Ausstellungen, die den Mitgliedern des Westfälischen Kunstvereins entgegenkamen. Und so war es auch in Aachen – selbstverständlich in dem finanziellen Rahmen, dem ich unterworfen war. Das war die einzige Einschränkung, die ich freiwillig akzeptiert habe. Im Rheinischen Landesmuseum Bonn, dem bedeutendsten kulturgeschichtlichen Museum im Rheinland, wohin ich von Münster aus wechselte, waren die Voraussetzungen in Bezug auf meine Vorstellungen und die Erwartungen des Publikums noch viel komplexer. Ich habe den Wechsel aber nie bedauert. Zumal Bonn noch Bundeshauptstadt war und das Landesmuseum während meiner Zeit die Aufgaben einer Bundeskunsthalle wahrnahm. Ich war mithin nicht mehr nur der Beobachter des politischen Geschehens am Fernsehen, sondern mittendrin und in direktem Kontakt mit der aktuellen Politik.

Ich begrüße geistig-sinnliche Herausforderungen – und das war die Concept-Art für mich. Im Denken ist alles erlaubt. In der Kunst ebenso, aber manches funktioniert in der Praxis einfach nicht. Ich habe wie die meisten an ein lineares Prinzip von der Fortschrittlichkeit in der Kunst geglaubt. Mit der Concept-Art sind wir allerdings am Ende der Fahnenstange angelangt. Auf einmal stellte sich heraus, dass dieses lineare Verständnis oder die Vorstellung von einer progressiven Kunst im höchsten Sinne fragwürdig war. Ich sehe den Prozess des Fortschreitens von Zeit inzwischen nach der Vorgabe von Bruno Latour Bruno Latour (* 1947 Beaune, Frankreich) ist ein Soziologe und Philosoph, der sich in seiner Forschung vor allem mit den Entwicklungen von Wissenschaft und Technik befasst. Gemeinsam mit Michel Callo begründete er in den 1980er-Jahren die Akteur-Netzwerk-Theorie. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen gehören „Nous n’avons jamais été modernes“ (1991) und „Enquête sur les modes d’existence. Une anthropologie des Modernes“ (2012). als eine spiralförmige Entwicklung, die sich immer wieder mit vorhergehenden Phasen berührt, jedoch auf einer anderen Ebene. Auch die Konzeptkunst war kein monolithischer Block: auf der einen Seite Larry Weiner, auf der anderen Hanne Darboven, deren Werk in der Kritik zum Teil als minimalistisch beschrieben wurde. „Das ist Unsinn, Herr Thwaites, ich bin keine Minimalistin. Ich bin eine Maximalistin“, hat sie dem prominenten Kritiker gesagt. In Münster haben wir in ihrer außerordentlichen Ausstellung 1971 diese Einlassung schon ungeheuer anschaulich demonstriert, indem wir das ganze Landesmuseum bespielt haben – auf rund 4.500 Quadratmetern. „Hanne Darboven“, Westfälischer Kunstverein, Münster, 16. Oktober – 14. November 1971. Damals war der Bau gerade erst errichtet worden und die Sammlung war noch nicht installiert, jetzt ist er bereits abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Die Concept-Art war, wie Harald Szeemann es ausgedrückt hat, Kunst im Kopf, und diese Ambivalenz, sie zu realisieren oder auch nicht zu realisieren, ruft eine beunruhigende Vorstellung hervor. In diesem Punkt unterscheidet sich Kunst sicherlich von Philosophie, die um Eindeutigkeit und Präzision ringt – da war Joseph Kosuth meines Erachtens auf dem Irrweg. Kunst ist dagegen ein schillerndes Phänomen. Wenn du ein Kunstwerk plötzlich aus einer anderen, späteren Perspektive betrachtest, weil du weitere Erfahrungen gemacht hast, älter geworden bist, viele Sachen zusätzlich gesehen hast, entdeckst du unter Umständen einen völlig neuen Aspekt und siehst das Werk komplett anders als zuvor. Das ist die einzige Erklärung dafür, dass uns heute noch griechische Skulpturen, Renaissancegemälde oder niederländische Barockgemälde anziehen. Mich interessieren sie nicht aus dem gleichen Grund, aus dem sie einen Kunsthistoriker interessieren, mich interessiert weniger die Ikonografie, mich interessiert, was sie mir über die Zeit ihrer Herstellung erzählen, wie sie es erzählen und wie sie ihre Mittel einsetzen – innerhalb der Logik der Gesetze, die einem Gemälde zu eigen sind.

Jetzt sind wir bei den Gemälden angekommen. Warum hat Sie die figurative Malerei nicht interessiert?

Ich habe mich sehr ausgiebig mit Malerei befasst. Bereits in Aachen mit Richter, Geiger und Gaul, und in Münster habe ich dann die Ausstellungen „Arte concreta“ und „Geplante Malerei“ – eine Form selbstreferenzieller Malerei, die ich auch als Pittura analitica bezeichnet habe – gemacht, die (seinerzeit) komplette Papierarbeit von Robert Ryman gezeigt und Retrospektiven von Winfred Gaul und Georg Karl Pfahler verwirklicht. Bei der „documenta 6“ haben Evelyn Weiss Die Kunsthistorikerin Evelyn Weiss (1938 Rom – 2007 Bonn) war von 1983 bis 2003 stellvertretende Leiterin des Museums Ludwig in Köln. 1977 betreute sie gemeinsam mit Klaus Honnef die Abteilungen für Malerei und Fotografie der „documenta 6“. Sie galt als enge Vertraute des Sammlerpaars Peter und Irene Ludwig. und ich hauptsächlich wegen der Malereisektion zusammengearbeitet. Die figurative Malerei hat mich aber in jenen Jahren weniger angespitzt. Ich konnte mit dem Realismus nichts anfangen, der war für mich durch Fotografie und Kino überholt. Ich sah keinen Wert darin, Verlorenes wiederzubeleben. Darum hat mich Richter ständig beschäftigt, weil Richter immer das Bild als einen eigenwilligen, eigenständigen Gegenstand in den Vordergrund gestellt hat und nicht das, was auf dem Bild drauf war mitsamt seinen Traditionen in der Form, in der sie noch fassbar sind – als verloren und Verlust. Diese Spannung zwischen dem Bildgegenstand und dem Bild zu sehen und aus der Kluft von Vergangenheit und Gegenwart eine produktive Spannung zu schlagen, ist für mich nach wie vor die Essenz von künstlerisch gelungenen Bildern. Ich bevorzuge eine reflektierte Haltung in der Malerei, eine immanente Reflexion.

Wenn wir über die Malerei von Baselitz und Schönebeck Anfang der 60er-Jahre sprechen, dann ist das alles andere als Realismus. Wenn man Jean Fautrier Jean Fautrier (1898 Paris – 1964 Châtenay-Malabry, Frankreich) gehörte zu den wichtigsten Wegbereitern des Informel. 1959 nahm er an der „documenta 2“ teil. Für sein künstlerisches Schaffen erhielt er 1960 den Großen Preis der Biennale von Venedig. neben einen Baselitz zur Zeit des „Pandämonischen Manifests“ hängt, ist das die logische Weiterentwicklung der Malerei und kein Rückschritt. Warum war das nichts, was Sie hätten zeigen wollen?

Erstens ziehe ich Fautrier Baselitz vor – der wunderbaren Peinture wegen. Zweitens habe ich auch angesichts der Malerei eine eindeutige, eine klare Haltung vertreten. Baselitz wurde von anderen gefördert, nicht zuletzt von Evelyn Weiss, meiner documenta-Partnerin. Ich war derjenige, der Gemälde zeigte, auf denen man nichts (wieder)erkennen konnte. In Bonn hieß eine meiner dichtesten Ausstellungen „Bilder ohne Bilder“. Gut rheinisch ausgedrückt: Man muss auch jönne könne.

Ist die Malerei von Markus Lüpertz, nicht nur die „Dithyramben“ Ab 1964 entwickelt Markus Lüpertz das Konzept einer dithyrambischen Malerei, der Versuch einer Synthese von gegenständlicher und abstrakter Darstellung. Zu den bekanntesten Arbeiten dieser Werkgruppe zählen „Dithyrambe – schwebend“ (1964), „Feigling – dithyrambisch“ (1964) und „Tod und Maler – dithyrambisch“ (1973). Siehe auch: Armin Zweite, „Dithyramben und anderes“, in: „Markus Lüpertz“, hg. von dems., Ausst.-Kat. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Ostfildern 1996, S. 11–29, hier S. 14–18. , sondern auch später die gegenständliche, fast serielle Malerei für Sie nicht interessant gewesen? Sind seine Einzelwerke, die nebeneinander gehängt wie eine Serie gearbeitet sind, nicht schon fast Konzeptmalerei?

Ich habe ein Riesengemälde von Lüpertz bereits 1970 in Aachen ausgestellt. Seinen „Westwall“ Markus Lüpertz, „Westwall“, 1968. Das Werk war in Aachen in der Schau „Fünf junge Deutsche – Bildnerische Raumsituationen“ im Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst e. V. vom 19. Februar bis zum 07. März 1970 ausgestellt. halte ich nach wie vor für ein geniales Werk. Großartig. Warum finde ich es großartig? Weil es einen Schock auslöst – nach wie vor. Wer malt denn schon den Westwall? Es widerspricht allen Vorstellungen von angemessenen Motiven in der Malerei. Die rüde Art und Weise, wie er das gemalt hat … das war ein Schlag ins Gesicht für alle Kulinariker. Wenn man das Gemälde heute anguckt, dann sieht man, wie subtil die Malerei tatsächlich war. Dafür hatte ich damals keinen Blick. Den habe ich erst später entwickelt. Markus Lüpertz schätze ich persönlich sehr. Wir sind befreundet, und seine Malerei schätze ich nicht weniger. Er benötigt bei Ausstellungen einen guten Kurator. Die Ausstellung in Bonn „Markus Lüpertz. Hauptwege und Nebenwege. Eine Retrospektive. Bilder und Skulpturen von 1963 bis 2009“, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 09. Oktober 2009 – 17. Januar 2010. war medioker. Die Ausstellung, die Siegfried Gohr ein paar Jahre vorher in München „Markus Lüpertz“, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München, 11. Juli – 14. September 1997. gemacht hat, war dagegen einfach umwerfend. Ob das konzeptuelle Malerei ist oder nicht … egal, es ist schlichtweg gute Malerei. Mich kümmern diese Schubladenbegriffe nicht. Ich unterstelle, dass hinter jeder vernünftigen Malerei ein Konzept steckt. Dass der Maler sich etwas dabei gedacht oder gefühlt hat. Baselitz hat sich auch etwas bei seiner Kunst gedacht, das weiß ich.

Waren Michael Werner Michael Werner (* 1939 Nauen) ist ein deutscher Galerist. 1963 eröffnete er zusammen mit Benjamin Katz eine Galerie in Berlin und zog 1968 nach Köln, wo er die Galerie Hake übernahm, die er ab Oktober 1969 unter seinem Namen weiterführte. In den 70er- und 80er-Jahren vertrat die Galerie Michael Werner unter anderen die Künstler Georg Baselitz, Antonius Höckelmann, Jörg Immendorff, Anselm Kiefer, Per Kirkeby, Markus Lüpertz und A.R. Penck. Die Galerie ist heute in Berlin, London und New York vertreten. 2011 wurde Werner mit dem Preis der Art Cologne ausgezeichnet. und seine Künstler in dieser Formation der Gruppe singulär?

Ja, so hat er sie auch geschmiedet.

Wie Werner selbst ausführte, war der Empfang im Rheinland nach dem Umzug aus Berlin nicht gerade herzlich.

Das Rheinland war cool, würde man heute sagen. Ich bin Rheinländer. Schauen Sie sich den Rheinischen Expressionismus an: Die Arbeiten sind im Vergleich zu den Dresdenern und den Berlinern relativ wenig ausdrucksstark. Zu der Zeit, als Werner nach Köln kam, stand dieser kleine avancierte Kunstbetrieb noch im Zeichen der Abstraktion, dem Erbe des Informellen. Die geometrische Kunst hatte ein paar Anhänger. Doch vor allem bestimmte Pop-Art den Diskurs, die in gewissem Sinne ebenfalls abstrakt ist: eine schablonenhafte, reflexive Kunst. Und dann übernahmen die konzeptuellen Tendenzen: Minimal Art, Land-Art, Prozesskunst und Conceptual Art. Karl Ruhrberg hat beispielsweise in der Kunsthalle Düsseldorf die Minimal Art in Deutschland groß eingeführt. „Minimal Art“, Gemeentemuseum Den Haag/Städtische Kunsthalle Düsseldorf/Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 17. Januar – 23. Februar 1969. Unter seiner Ägide liefen auch zwei „Prospect“-Veranstaltungen Unter dem Titel „Prospect“ fanden zwischen 1968 und 1976 in unregelmäßigen Abständen insgesamt fünf Ausstellungen in der Kunsthalle Düsseldorf statt. Initiiert von dem Galeristen Konrad Fischer und dem damals als Kunstkritiker tätigen Hans Strelow entstand „Prospect“ als Alternative zum Kölner Kunstmarkt, der 1967 erstmals stattfand und ausschließlich deutschen Galerien Zugang gewährte. „Prospect“ wurde zu einer internationalen Plattform für zeitgenössische Kunst, wobei die in- und ausländischen Galerien der Avantgarde die Transporte finanzierten und im Gegenzug Vorschläge zur Auswahl der Künstler einreichen konnten. , die Konrad Fischer und Hans Strelow, seinerzeit noch Kritiker, organisiert hatten.

Zwar heißt es, dass der Konkurrenzkampf in den 60er-Jahren wenig ausgeprägt war, weil es so gut wie keinen Markt gab. Spannungen hat es aber offenbar dennoch gegeben.

Es war ein Kampf um Aufmerksamkeit, und Spannungen waren an der Tagesordnung. Auch Künstler wollen von ihrer Arbeit leben und ihre Werke verkaufen. Aber die Konkurrenz war nicht so brutal wie heute, es war kein Verdrängungswettbewerb. Franz Dahlem Franz Dahlem (* 1938 München), Heiner Friedrich (* 1938 Stettin, Pommern, heute Polen) und Six Friedrich (* 1938 Gelsenkirchen) eröffneten im Juli 1963 in München die Galerie Friedrich & Dahlem. Dort zeigten sie in den ersten Jahren unter anderem Werke von Uwe Lausen, Gerhard Richter, Francis Bacon, David Hockney, Cy Twombly, Georg Baselitz und Robert Rauschenberg. Nach Uneinigkeiten in der gemeinsamen Galerie eröffnete Dahlem zum Jahreswechsel 1966/67 eine eigene Galerie in Darmstadt und pflegte engen Kontakt zu dem dort ansässigen Sammler Karl Ströher. Gemeinsam mit Heiner Friedrich vermittelte er Ströher 1968 die Sammlung Kraushar sowie den „Block Beuys“, den größten zusammenhängenden Werkkomplex von Joseph Beuys, der in den Jahren 1967 bis 1969 in mehreren Ankäufen von Ströher erworben wurde.Dahlem gilt als enger Vertrauter und wichtiger Vermittler der Kunst von Georg Baselitz, Joseph Beuys, Uwe Lausen und Blinky Palermo. ist häufig hinter mir hergelaufen: „Ich muss Ihnen unbedingt etwas zeigen. Baselitz!“

Gab es andere Leute, die einem wie Franz Dahlem hinterherliefen?

Nein, Franz Dahlem war schon der Extremste in dieser Beziehung. Heiner Friedrich, seinerzeit Kompagnon von Dahlem, hat mich beispielsweise nie auf Baselitz angesprochen.

Heiner Friedrich besetzte die amerikanischen Positionen. Von anderen Galeristen hört man: „Der Künstler war bei Heiner Friedrich, das hat man dann lieber gelassen.“

Das stimmt so nicht. Richter war bei Heiner Friedrich und bei Konrad Fischer, und als ich Polkes erste institutionelle Ausstellung mit dem schönen Titel „Franz Liszt kommt gern zu mir zum Fernsehen“ „Franz Liszt kommt gern zu mir zum Fernsehen“, Westfälischer Kunstverein, Münster, 29. April – 27. Mai 1973. Die Ausstellung umfasste Arbeiten von Achim Duchow und Sigmar Polke. in Münster machte, hat Friedrich mit einem Leihwagen die Bilder transportiert. Als ich Richters erste institutionelle Ausstellung 1970 in Aachen „Gerhard Richter“, Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst e. V., Aachen, 27. März – 22. April 1969. organisierte, war er bei Zwirner. Seine Bilder hatten wir auf der oberen Galerieetage in Petersburger Hängung gezeigt. Zwirner kam eine halbe Stunde vor Eröffnung, guckte sich um und herrschte Richter an: „So kann man sich ruinieren.“ Der arme Gerhard Richter fuhr zusammen. Die Künstler, die danach zur Eröffnung kamen, wie K.O. Götz und Gotthard Graubner, waren begeistert und haben ihn zu der Hängung beglückwünscht, die jedoch einer Idee von Rune Mields entsprang. In der Folge hat Richter alle seine Ausstellungen akkurat vorbereitet und bis ins letzte Detail festgelegt. Und irgendwann sagte er zu mir: „Ach, weißt du, die Aachener war wohl doch die beste Ausstellung.“

Der Konkurrenzkampf erhielt Ende der 70er-Jahre schärfere Konturen: Bereits die „documenta 6“ (1977) wurde von einem harten Konkurrenzkampf unter den Händlern überschattet. Die gemeinsamen Interessen, die man einmal vertreten hatte, schwanden zugunsten von Marktinteressen. Der avancierte Kunstbetrieb differenzierte sich. Davor hatten progressive – bleiben wir mal bei dem Begriff – Kritiker, progressive Galerien, progressive Künstler und progressive Museumsdirektoren, die es mit Paul Wember, Johannes Cladders und Rolf Wedewer ebenfalls gab, Paul Wember (1913 Recklinghausen – 1987 Krefeld) leitete von 1947 bis 1975 das Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld, Johannes Cladders (1924 Krefeld – 2009 Krefeld) war von 1967 bis 1985 als Direktor der Städtischen Kunstmuseen in Mönchengladbach tätig und Rolf Wedewer (1932 Münster – 2010 Leverkusen) war von 1965 bis 1995 Direktor des Museums Schloss Morsbroich in Leverkusen. eng miteinander kooperiert.

Ohne die Galerien hätte es den Kunstbetrieb in den 60er-Jahren gar nicht gegeben …

Avancierte Kunst hätte es nicht gegeben, da gebe ich Ihnen völlig recht. Der Kunstmarkt ist wie jeder Markt volatil. Früher galt indes: Schlechte Zeiten in der Ökonomie sind gute Zeiten für die Kunst. In sogenannten „schlechten Zeiten“ ist viel gekauft worden. In den 80er-Jahren änderte sich das. Die Schwankungen hatten vielerlei Gründe, vor allem aber lag es an dem unvergleichlichen Aufblühen des Kunstmarkts. Am wenigsten sind die Gründe meiner Meinung nach in der ökonomischen Situation zu suchen, sondern eher darauf zurückzuführen, dass sich inzwischen das Sammlerinteresse verschoben hat. Darüber hinaus ist die Quantität der Sammler nicht in dem Maße gewachsen wie das Angebot der Galerien und Künstler. Der dritte und letzte Punkt ist eine wachsende Unsicherheit hinsichtlich der Frage: Wohin geht die Kunst? Seit der Conceptual Art herrscht eine unglaubliche Vielzahl von künstlerischen Richtungen, Haltungen und Intentionen vor – eine erdrückende Unübersichtlichkeit. Eine Konsequenz davon ist, dass etablierte und tote Künstler Spitzenpreise erzielen und die 100-Millionen-Dollar-Grenze geknackt ist. Der Preis wird zum entscheidenden Kriterium für den Wert des Kunstwerks. Dem Kunstmarkt geht es blendend – besser als je zuvor. Gleichzeitig beobachten wir aber eine wachsende Konzentration und Monopolisierung des Kunstmarkts auf Kosten der mittleren und kleineren Galerien sowie der nicht etablierten Künstler, der sogenannten „No-Names“, deren Chancen auf dem Markt kontinuierlich geringer werden.

Von welcher Zeit sprechen Sie jetzt?

Von der Entwicklung, die der Kunstmarkt seit den 50er-Jahren genommen hat, seit ich Teilnehmer und Beobachter bin. Dass sich die Konzeptkunst gegen alle Vernunft als Leitprinzip in der Kunst zwanzig Jahre später etablierte und im 21. Jahrhundert kein Kunstwerk ohne konzeptuellen Anstrich vom Kunstbetrieb, genauer von seinem intellektuellen Überbau, akzeptiert wird, hätte sich damals niemand vorstellen können. Gleichwohl ist es meiner Meinung nach kein Zufall, dass das Reüssieren des Konzeptuellen in der Kunst chronologisch mit dem rapiden Aufschwung des Kunstmarkts zusammenfällt. Die Wendung zum Konzeptuellen brachte dem Kunstmarkt nicht nur frischen Nachschub, sondern ebenfalls eine Fülle neuer Impulse, sie war wie eine Frischzellenkur. Zwar gab es Dellen, aber die sind in der Ökonomie keine Ausnahme. Eine Delle besorgte der Zusammenbruch des blühenden Grafikmarkts. Die „ars multiplicata“ „ars multiplicata. Vervielfältigte Kunst seit 1945“, Wallraf-Richartz-Museum und Kunsthalle Köln, Köln, 13. Januar – 15. April 1968. , eine bedeutende Ausstellung in der Kunsthalle Köln 1968, die sich die Demokratisierung der Kunst auch über die Brücke des Erwerbs auf die Fahnen schrieb, nährte die Hoffnung auf eine sowohl anspruchsvolle als auch preiswerte, weil technisch multiplizierte Kunst. Doch Überproduktion, Inflation und ästhetische Verflachung unterhöhlten die hehren Absichten und zerstörten die Erwartungen potenzieller Käufer auf bleibenden oder steigenden Geldwert der gekauften Werke.

Fred Jahn Fred Jahn (* 1944 Berg) begann 1967 mit Gernot von Pape unter dem Label der Edition X in München Grafik zu verlegen. Von 1969 bis 1977 war Jahn für die Galerie Heiner Friedrich tätig, die ab 1974 nach personeller und inhaltlicher Umstrukturierung in die Edition Galerie Heiner Friedrich umbenannt wurde. Seit 1978 führt Jahn in München unter seinem Namen eine eigene Galerie. hat in der Galerie Friedrich nicht wie beispielsweise Klaus Staeck 1965 gründete der Künstler und Grafiker Klaus Staeck (* 1938 Pulsnitz) den Verlag Edition Tangente, aus dem 1972 die Edition Staeck hervorging. Neben eigenen Arbeiten verlegt Staeck auch Editionen anderer Künstler, unter anderem von Thomas Bayrle, Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Hanne Darboven, A.R. Penck und Sigmar Polke. oder René Block René Block (* 1942 Velbert) eröffnete 1964 in Berlin das Grafische Cabinet René Block, aus dem noch im gleichen Jahr die Galerie René Block hervorging. Zwischen 1974 und 1977 betrieb er eine Dependance im New Yorker Stadtteil SoHo. Bis zur Schließung seiner Galerie 1979 zeigte Block in seinem Programm unter anderem Ausstellungen und Aktionen von Joseph Beuys, Bazon Brock, Stanley Brouwn, Sigmar Polke, Gerhard Richter und Wolf Vostell. Seit 2008 führt René Block die auf Editionen spezialisierte Galerie Edition Block in Berlin. in erster Linie Editionen machen wollen, sondern Grafik. Er hat mit den Künstlern über die grafischen Techniken gesprochen und sie mit ihnen gemeinsam entwickelt und produziert. Er sagt, sein Versuch war es, gegen diesen inflationären Trend anzugehen. Vgl. Fred Jahn. Haben Sie damals gesehen, dass Fred Jahn in diesem Bereich eine spezielle Rolle hatte?

Klar. Wir mussten gerade in den Kunstvereinen, die einen Teil ihres Budgets durch den Verkauf von Grafiken als Jahresgaben bestritten, entsprechende Gegenmaßnahmen treffen. Im Westfälischen Kunstverein habe ich mich um Originale bemüht. Polke hat mir, zusammen mit seinem Partner Achim Duchow, 50 großformative Gouachen überlassen – das war mein größter Coup. Hanne Darboven überließ mir Schreibmaschinenzeichnungen. Fred Jahn hat nach dem Zusammenbruch des Markts dafür gesorgt, dass alte Techniken auch in der Druckgrafik wiederbelebt wurden.

Dass der Galerist den Künstlern vorgeschlagen hat, Grafiken zu produzieren und dann vielleicht auch seine eigenen Ideen miteinbrachte, wurde nicht kritisch gesehen?

Nein, weshalb? Die Sammler haben es wahrgenommen, das war für Fred Jahn das Entscheidende. Die Kritik hat gar nicht darauf geachtet. Im selbstreferenziellen Kunstsystem mischen viele Akteure mit, die – vor allen Dingen, wenn sich das System differenziert – nicht immer miteinander korrespondieren oder Kontakt miteinander haben. Die Kritik hat den Grafikmarkt höchstens peripher im Hinblick auf „Kunst für alle“ beachtet.

Was also waren die Krisen der 70er-Jahre und wodurch ist der Editions- und Grafikmarkt zusammengebrochen?

So etwas ist im Kunstsystem verankert, die Krisen sind im Wesentlichen immanent. Das hatte nichts mit der Ölkrise und anderen ökonomischen Volatilitäten zu tun – jedenfalls nicht im Kern.

Hat die Malerbewegung Ende der 70er-Jahre mit Künstlern wie denen der Mülheimer Freiheit Die Kölner Künstler Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Gerard Kever und Gerhard Naschberger zogen im Oktober 1980 gemeinsam in ein Atelier in der Mülheimer Freiheit 110 in Köln-Deutz. Der Name „Mülheimer Freiheit“ fand erstmals anlässlich der Gruppenausstellung „Mülheimer Freiheit & Interessante Bilder aus Deutschland“, die vom 13. November bis zum 20. Dezember 1980 in der Galerie Paul Maenz in Köln stattfand, Verwendung. die Krise beendet?

Die Merkantile war wie ein Strohfeuer, die Diskursive hat sie kurz beflügelt. Ich muss zurückblenden: Wie schon angedeutet, habe ich mich ausgiebig mit Malerei beschäftigt, mit einer Malerei-Malerei im Gefolge meiner Arbeit über und mit der Conceptual Art. Ich erinnere an „Geplante Malerei“ in Münster, „Analytische Malerei“ in Düsseldorf und Mailand gemeinsam mit Catherine Millet und die Malereiabteilung der „documenta 6“ in Kassel zusammen mit Evelyn Weiss, sowie schließlich „Bilder ohne Bilder“ in Bonn mit Gabriele Honnef-Harling Gabriele Honnef-Harling (* 1948 Nordwalde) ist eine Kunsthistorikerin, Kunstkritikerin und Kuratorin, die seit 1974 mit Klaus Honnef verheiratet ist. Sie ist wissenschaftliche Partnerin sowie häufig ungenannte Co-Kuratorin zahlreicher seiner Ausstellungen, unter anderem „documenta 6“ (1977), „Bilder ohne Bilder“ (1977), „Lichtbildnisse. Das Porträt in der Fotografie“ (1982), „Zwischenbilanz: Neue deutsche Malerei“ (1983), „Back to the USA“ (1983), „Pantheon der Photographie im XX. Jahrhundert“ (1992), „Bilder, die noch fehlten“ (2000) und „Von Körpern und anderen Dingen. Fotografie im 20. Jahrhundert“(2003). , die für den Katalog dieser Ausstellung einen brillanten Text geschrieben hat.

Und plötzlich trat das schiere Antidot einer Pittura analitica auf, die Mülheimer Freiheit mit ungeheurer Frechheit bei Paul Maenz – der Kritiker Wolfgang Max Faust erkannte als Ursache einen „Hunger nach Bildern“. Für mich war das so, als würde einer mit der Kelle in die Suppe schlagen. Nichtsdestotrotz war ich hellauf begeistert! Mich haben immer Dinge interessiert, die gegen das Gewohnte aufgestanden sind, auch gegen das, woran man sich gewöhnt hatte, gegen Konventionen. Ich habe relativ schnell reagiert. Bereits 1983 habe ich eine „Zwischenbilanz“ dieser künstlerischen Bewegung in Bonn, München und Graz gezogen und im „Kunstforum International“ einen Sonderband als Begleitpublikation herausgegeben. „Zwischenbilanz II - Neue deutsche Malerei“, hg. von Klaus Honnef, „Kunstforum International“, Bd. 68, 1983. Was mich begeistert hat, war die scheinbare Voraussetzungslosigkeit und die totale Unbekümmertheit der Akteure. Hans Peter Adamski, der Älteste der Gruppe, erklärte mir: „Wissen Sie, wir wussten nicht mehr, was wir machen sollten. Es war alles gemacht. Es war deprimierend. Das Dümmste, was wir machen konnten, war zu malen. Also haben wir gemalt.“ In dieser Anekdote steckt des Pudels Kern. Denn darin manifestiert sich auch ein politisches Moment, ein kunstbezogenes jedoch. Der kommerzielle Erfolg stellte sich dann, obwohl Teile der Kritik geiferten, prompt ein und griff rasch auf New York über. Peter Iden nannte die Künstlerinnen und Künstler „hochgemute Nichtskönner“. Vgl. Peter Iden, „Die hochgemuten Nichtskönner“, in: „Das Kunstwerk. Zeitschrift für bildende Kunst“, Nr. 6, 1981, S. 3–33. Viele haben diese Malerei gehasst. Zdenek Felix Zdenek Felix (* 1938 Prag) ist ein Kunsthistoriker und Kurator, der von 1991 bis 2003 die Deichtorhallen in Hamburg leitete. Ab 1976 arbeitete er als Ausstellungsleiter am Museum Folkwang in Essen und übernahm 1986 die Direktion des Kunstvereins München. Felix organisierte zahlreiche Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst und Fotografie. , Bazon Brock Bazon Brock (eigtl. Jürgen Johannes Hermann Brock; * 1936 Stolp, Pommern, heute Polen) ist ein Künstler, Kunsttheoretiker und Philosoph. Ab 1957 studierte er Germanistik, Politikwissenschaften und Philosophie an den Universitäten in Zürich, Hamburg und Frankfurt am Main. Parallel absolvierte er eine Dramaturgie-Ausbildung am Landestheater Darmstadt bei Claus Bremer und Gustav Rudolf Sellner. Ab 1959 nahm Brock regelmäßig an Fluxus-Aktionen teil, darunter das „Festival der Neuen Kunst“ (1964) in Aachen sowie das „24-Stunden-Happening“ (1965) in der Galerie Parnass in Wuppertal. 1968 initiierte Brock auf der „documenta 4“ in Kassel die erste Besucherschule, die er bis 1992 begleitend zu den documenta-Ausstellungen fortführte. Als Professor lehrte Brock unter anderem an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (1965–1976) und der Bergischen Universität Wuppertal (1981–2001). 2011 gründete Brock in Berlin-Kreuzberg die „Denkerei“ mit dem „Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand“. und ich waren auf der anderen Seite. Wir fanden sie fabelhaft. Sie verstieß gegen so viele Konventionen, auch gegen die des Gut-Gemalten. Ich wusste, dass es in Amerika mit Bad Painting eine ähnliche Entwicklung gab. Mit Malcolm Morley und Neil Jennings habe ich zwei der bedeutendsten Repräsentanten dieser Tendenz in der umfangreichen Ausstellung „Back to the USA“ „Back to the USA. Amerikanische Kunst der 70er und 80er Jahre“, Kunstmuseum Luzern, 29. Mai – 31. Juli 1983/Rheinisches Landesmuseum Bonn, 27. Oktober 1983 – 15. Januar 1984/Württembergischer Kunstverein Stuttgart, 03. Mai – 17. Juni 1984. 1983 in Luzern, Bonn und Stuttgart vorgestellt. Mit den Graffiti-Künstlern Jean-Michel Basquiat, Keith Haring und Kenny Scharf sowie den Newcomern Julian Schnabel, David Salle und Eric Fischl, die alle in der Ausstellung vertreten waren, habe ich eine symptomatische Übersicht der jungen US-amerikanischen Kunst geliefert. Gabriele Honnef-Harling und ich haben einen ausführlichen Essay verfasst und die Bildkunst im Licht der Postmoderne beleuchtet.

Alle Errungenschaften der Malerei der Moderne, ob abstrakt oder figurativ, wurden buchstäblich in die Pfanne gehauen. Es ging noch schlimmer. Man klebte den Künstlern das Etikett „Neue Wilde“ auf, das Wolfang Becker für Pattern and Decoration und andere Tendenzen geprägt hatte. Zugleich wurde – weniger bei den Kölnern als mehr bei den Hamburgern – ein politischer Anspruch sichtbar. Ich kannte Martin Kippenberger Martin Kippenberger (1953 Dortmund – 1997 Wien) war ein Künstler, der insbesondere für seine humorvollen, konzeptuellen und teilweise zynischen Arbeiten bekannt ist. Ab 1972 studierte er offiziell in der Klasse von Claus Böhmler und Franz Erhard Walther an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. 1978 zog er nach Berlin, wo er die Geschäftsführung des SO36 übernahm und gemeinsam mit Gisela Capitain Kippenbergers Büro gründete. Während der 1980er-Jahre war Kippenberger mit Werner Büttner, Albert Oehlen und Georg Herold in zahlreichen Gruppenausstellungen vertreten. 1986 zeigte das Hessische Landesmuseum in Darmstadt mit „Miete Strom Gas“ seine erste institutionelle Einzelausstellung. Als Gastprofessor lehrte Kippenberger an der Städelschule in Frankfurt am Main (1990) und der Gesamthochschule in Kassel (1992). sehr gut. Ihn zeichnete eine bewundernswert klare Haltung aus, es klang ein Ton der inneren Verzweiflung mit. Die Berliner – das war für mich die Rockmusik in Form und Farbe. Irgendwie passten die Künstler sehr gut zusammen, denn bei ihnen allen war auch die Wut auf die künstlerisch-kulturelle Situation evident. Und diese übertrug sich unmittelbar auf mich. Zum ersten Mal habe ich durch Kunstwerke so etwas wie eine physische Inanspruchnahme gespürt, eine Reaktion, die über den Kopf hinausschoss und in die Eingeweide griff.

Haben Sie eine Theorie, warum sich das nicht halten konnte?

Es war ein Hype! Die Preise schossen in die Höhe – man konnte förmlich zuschauen – eine Blase entstand, die prompt platzte, als zu viele der erworbenen Bilder zu schnell wieder auf den Markt geworfen wurden. Dumm spekuliert.

Viele begründen es auch damit, dass diese Kunst sehr schnell auf dem internationalen Markt gehandelt wurde. In den USA war von Anfang an klar, dass man keine Bilder für 6.000 Dollar anbieten könne, das heißt, Bilder gingen gleich für 15.000 Dollar auf den Markt. Das konnte und wollte in Deutschland aber damals niemand für diese Malerei bezahlen, damit hatte sich das in Deutschland relativ schnell erledigt. Und dann gab es Einzelne wie Bruno Bischofberger Bruno Bischofberger (* 1940 Appenzell) ist ein Schweizer Kunsthändler und Sammler. Seine Sammlung umfasst hauptsächlich Werke der amerikanischen Pop-Art sowie der figürlichen Malerei der 1980er-Jahre. Vertreten sind unter anderen Miquel Barceló, Jean-Michel Basquiat, Francesco Clemente, Jiří Georg Dokoupil, Rainer Fetting, David Salle, Salomé, Julian Schnabel, Andy Warhol. , die die Preise zahlen konnten oder gesonderte Vereinbarungen mit den Künstlern trafen und die Ateliers leer räumten. Sodass für die Museen – und das wäre ja die einzige Chance für diese Malerei gewesen – kaum etwas übrig blieb.

So war es. Aus meiner Sicht und Erfahrung wird an dieser Stelle zum ersten Mal ein hochspekulatives Moment in der Kunstszene wirksam. Dennoch war dank dieser scheinbar neoexpressiven Malerei deutsche Kunst in Amerika plötzlich nicht mehr ein Anathema, sondern ein Thema. Auf einmal sah man Ausstellungen deutscher Künstler an vielen Orten in New York, was zuvor eine Seltenheit gewesen war. Helmut Middendorf bei Mary Boone oder Gerhard Richter bei Marian Goodman. Die Mary Boone Gallery zeigte 1981 Einzelausstellungen mit Rainer Fetting und Helmut Middendorf. Seit Beginn der 1980er-Jahre umfasste auch das Programm der Marian Goodman Gallery regelmäßig Ausstellungen mit künstlerischen Positionen aus Deutschland, darunter Anselm Kiefer, Gerhard Richter und Walter Dahn. Aber ich stimme Ihnen zu – die Händler haben damals versagt: Statt eine Szene umsichtig aufzubauen, wollten sie lieber rasch Kasse machen. Konrad Fischer zum Beispiel hat stets darauf hingearbeitet, dass die Concept-Art in den Museen platziert wurde, so wie es Leo Castelli mit der Pop-Art vorgemacht hat. Allerdings verhielten sich auch die Museen zunächst gegenüber der sogenannten „Wilden Malerei“ ablehnend. Sie hatten sich soeben erst an die puristischen Tendenzen gewöhnt, da wurde das komplette Gegenteil aktuell. „Das ist nur eine Modeerscheinung“, wurde verlautbart. Und als die Preise aufgrund der Fehlspekulation in den Keller sanken, fühlten sie sich bestätigt, was ein Irrtum war, wie sich 20 Jahre später herausstellte.

Der Handel operiert zwar einerseits inzwischen klüger als zuvor, andererseits spielt er – mit einer Handvoll Ausnahmen – international auch keine Rolle mehr. Die Privatsammler haben das Heft in die Hand genommen, und viele von ihnen kennen sich aus beruflichen Gründen mit Marktmechanismen bestens aus, managen Hedgefonds, handeln mit Immobilien, Versicherungen … Ich habe in der Boomzeit der figurativen Malerei für den Taschen Verlag das Buch „Kunst der Gegenwart“ Klaus Honnef, „Kunst der Gegenwart“, Köln 1994. geschrieben. Das Buch wurde in 18 Sprachen übersetzt, sogar in einen arabischen Dialekt. Im Kunstdiskurs ist es gleichwohl das am wenigsten zitierte Buch. Bereits im ersten Kapitel habe ich über den Wandel der Erwartungshaltung bei den Sammlern und beim Kunstpublikum geschrieben und über den Umstand, dass zeitgenössische Kunst auf einmal fashionable war. Es war der unglaubliche Erfolg der Maler, der vorderhand verhindert hat, dass aus der Mode ein kultureller Trend wurde. Die Bedenkenträger neideten den Erfolg und die Händler hatten keinen langen Atem. Die meisten leben von der Hand in den Mund und sind darum auch nicht in der Lage, globale Kunstpolitik zu betreiben. Diejenige künstlerische Persönlichkeit, die diese Szene überragte und vom Niedergang kaum in Mitleidenschaft gezogen wurde, war Kippenberger. Vielleicht, weil er der Verzweifeltste, der Kritischste und der Intelligenteste war. Er sagte mir bei jedem Treffen: „Du musst unbedingt eine Ausstellung mit mir machen, ich bin der Beste.“ Und ich muss einräumen, ich war zu feige. Irgendwie dachte ich damals: „Damit sprengst du dich in die Luft.“ Ich hatte schon genug Schwierigkeiten. Was unsere Freundschaft nicht beeinträchtigt hat – im Gegenteil. „Wenn nicht mich, musst du die Rosi Trockel ausstellen. Hast du die Rosi angerufen?“, fragte er immer wieder, bis ich es schließlich getan habe. Daraufhin entstand ihre erste institutionelle Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Bonn, der Start in eine Weltkarriere. Rosemarie Trockel (* 1952 Schwerte) ist eine interdisziplinär arbeitende Künstlerin. Bekannt ist sie insbesondere für ihren Umgang mit weiblich konnotierten Techniken und Materialien. Nach dem Studium der Malerei von 1974 bis 1978 an den Kölner Werkschulen bei Werner Schriefers zeigten die Galerie Philomene Magers in Bonn und die Galerie Monika Sprüth in Köln 1983 ihre erste Einzelausstellung. Die erste Museumsausstellung Trockels fand 1985 im Rheinischen Landesmuseum Bonn statt. Trockel war an den Ausstellungen „Bilderstreit. Widerspruch, Einheit und Fragment in der Kunst seit 1960“ in den Rheinhallen Köln (1989), „Prospekt 89“ im Frankfurter Kunstverein (1989) und „Art from Cologne“ in der Tate Gallery in Liverpool (1989) beteiligt. 1997 zeigte sie gemeinsam mit Carsten Höller die Arbeit „Haus für Schweine und Menschen“ auf der „documenta 10“ und gestaltete 1999 den Deutschen Pavillon auf der „48. Biennale von Venedig“. Trockel lehrt seit 1998 als Professorin für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf und wurde unter anderem mit dem Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen (1999) und dem Goslarer Kaiserring (2011) ausgezeichnet. Martin Kippenberger war ein wunderbarer Mensch. Einmal kam er zu irgendeiner Ausstellungseröffnung nach Bonn. Ich dachte, das könne ihn unmöglich interessieren. „Was führt dich hierher?“ – „Du siehst doch, ich bin da.“ Ich ahnte nicht, dass er todkrank war. Es war seine Abschiedstour und er wollte Adieu sagen. Das geht mir bis heute noch nach.

In den Gesprächen, die ich innerhalb dieses Projekts bisher geführt habe, bin ich auf verschiedene Dinge mehrfach aufmerksam gemacht worden: Einerseits wurde der Kunsthandel in den USA lange von jüdischen Händlern und Sammlern dominiert – andererseits waren die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Abstrakten Expressionismus der Ansicht, Europa und vor allem Frankreich als Zentrum der Kunst endlich abgehängt zu haben. Und diese Vormachtstellung wollten sie sich bewahren. Das galt nicht nur für die deutsche Kunst, sondern grundsätzlich für die Kunst aus Europa. Richter sagt, die Ausstellung „von hier aus“ „von hier aus. Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“, Halle 13 der Messe Düsseldorf, 29. September – 02. Dezember 1984. war für ihn ein wichtiger Katalysator in Richtung Internationalisierung. Vgl. Gerhard Richter. 1981 war die Ausstellung „A New Spirit in Painting“ „A New Spirit in Painting“, Royal Academy of Arts, London, 15. Januar – 18. März 1981. in London, 1982 „Zeitgeist“ „Zeitgeist. Internationale Kunstausstellung Berlin 1982“, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 16. Oktober 1982 – 16. Januar 1983. in Berlin. Allein dadurch, dass Leute wie Norman Rosenthal Norman Rosenthal (* 1944 Cambridge) ist ein Kunsthistoriker und Kurator. Er studierte Geschichte an der University of Leicester und arbeitete ab 1974 als Kurator im Institute of Contemporary Arts (ICA) in London. In Zusammenarbeit mit dem Kunstkritiker Christos M. Joachimides (1932 Athen – 2017 Athen) organisierte er dort unter anderem 1974 die Ausstellung „Art Into Society – Society Into Art. Seven German Artists“, die 1973 in leicht abgewandelter Form unter dem Titel „Kunst im politischen Kampf. Aufforderung. Anspruch, Wirklichkeit“ im Kunstverein Hannover stattgefunden hatte. Von 1977 bis 2008 war er Ausstellungssekretär an der Royal Academy of Arts in London. Nach der wegweisenden Ausstellung „A New Spirit in Painting“, die Rosenthal 1981 zusammen mit Nicholas Serota und Christos M. Joachimides an der Royal Academy organisierte, folgten in Zusammenarbeit mit Joachimides im Berliner Martin-Gropius-Bau unter anderem 1982/83 die Ausstellungen „Zeitgeist. Internationale Kunstausstellung Berlin 1982“ sowie 1991 „Metropolis. Internationale Kunstausstellung Berlin 1991“. Rosenthal gilt als wichtiger Vermittler des künstlerischen Werks von Georg Baselitz, Joseph Beuys und Anselm Kiefer. oder Nick Serota Nicholas Serota (* 1946 London) ist ein britischer Kunsthistoriker und Kurator, der von 1988 bis 2017 die Ausstellungshäuser der Tate leitete. Ab 1973 war er zunächst als Direktor des Museum of Modern Art in Oxford tätig, bevor er von 1976 bis 1988 die Leitung der Whitechapel Gallery in London verantwortete. sich mit der deutschen Kunst beschäftigten, schlugen sie möglicherweise auch eine Brücke von Deutschland über England in die USA.

Sie haben einen sich abzeichnenden Trend verstärkt. Was vor dem Hintergrund des internationalen Erfolgs deutscher Kunst häufig ausgeblendet wird, ist der Einfluss Frankreichs. Die FRACs spielten im Vorfeld eine bedeutende Rolle. Dort wurden umfangreiche Kunstsammlungen angelegt. Frankreich wollte sich unter Jack Lang Jack Lang (* 1939 Mirecourt, Frankreich) ist ein Politiker, der von 1981 bis 1993 das Amt des französischen Kulturministers innehatte. Er initiierte zahlreiche kulturpolitische Reformen, darunter die Einrichtung des Kulturfonds FRAC (Fonds régionaux d’art contemporain), der seit 1982 23 Städten den langfristigen Aufbau zeitgenössischer Kunstsammlungen sowie deren dauerhafte öffentliche Vermittlung ermöglicht. international öffnen. Man hatte begriffen, dass das Gefecht um die Spitzenstellung in der Kunst verloren war. Paris war neben New York nur noch ein Schatten, selbst London war vorbeigezogen. Die FRACs haben Kiefer und Baselitz – Richter und Polke vermutlich ebenfalls – in relativ großem Stil angekauft, sodass die internationale Anerkennung deutscher Kunst sicherlich auch zum großen Teil über die Schiene Frankreich lief. Der zweite Impuls, den Sie erwähnt haben, rührt von den zitierten Ausstellungen. Aber ich denke, dass die Galeriebühnen von New York entscheidender gewesen sind. Der Kunsthandel war nach wie vor weitgehend in jüdischer Hand. Nicht nur die Händler, vor allem ihre Sammlerklientel waren amerikanische Juden. Manche gehörten zu den aus Deutschland und Europa Vertriebenen und hatten Verwandte durch deutsche Untaten verloren. Viele waren meine Freunde und Bekannte. Gegenüber deutscher Kunst waren sie bis in die 70er- und 80er-Jahre spürbar reserviert. Der Begriff „Deutsche Kunst“ war aber auch in Deutschland tabuisiert. Es hat eine Menge Versuche gegeben, diese Haltung zu durchbrechen. Norbert Kricke und andere deutsche Künstler hatten in der Nachkriegszeit Ausstellungen in Manhattan – ohne durchschlagende Resonanz. René Block hatte in Downtown Manhattan eine Galerie eröffnet und hat Polke, Richter und sein ganzes avanciertes Programm aufgeblättert. René Block (* 1942 Velbert) betrieb zwischen 1974 und 1977 eine Dependance seiner Berliner Galerie im New Yorker Stadtteil SoHo. Er hat die Segel aber schnell wieder gestrichen. Holly und Horace Solomon haben Polke anschließend für ihre Galerie gewonnen. Polke sah sich dort aber unter Pattern and Decoration subsumiert und hat sein Engagement abrupt beendet, obwohl er großen Erfolg hatte – aber eben unter falschem Label. Erst danach kamen die jungen Maler zum Zuge und haben die Wende eingeleitet. Wobei man auch sagen muss, dass die amerikanische Kunst zu der Zeit eine Schwächephase hatte. Bad Painting hielt sich nicht. Interessanter waren die alternative Szene und die Graffiti-Szene. Aber in der etablierten Szene suchte man händeringend nach neuen, frischen Impulsen. Die Deutschen waren einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Polke und Richter hatten bereits Künstler wie Schnabel und Salle inspiriert. Seitdem ist deutsche Kunst in New York fest etabliert. Es folgten die großen Retrospektiven von Richter, Kiefer, Anna und Bernhard Blume, Polke, Genzken, Trockel … Ende der 1980er-Jahre fanden folgende Retrospektiven von Bernhard und Anna Blume, Anselm Kiefer und Gerhard Richter in den USA statt: „Gerhard Richter. Paintings“, unter anderem Museum of Contemporary Art, Chicago, 17. September – 27. November 1988; „Anselm Kiefer“, The Museum of Modern Art, New York, 16. Oktober 1988 – 03. Januar 1989; „Bernhard and Anna Blume“, The Museum of Modern Art, New York, 13. Mai – 20. Juni 1989.

Ich würde gerne noch einmal zu Kippenberger und Polke zurückkommen. Sie sagten, Kippenberger sei vielleicht die wichtigste Figur innerhalb der 80er-Jahre-Malerei gewesen. Er hat die Autorschaft, die Malerei oder überhaupt das Bild zum Thema gemacht – das hatte eigentlich relativ wenig mit der Malereibewegung in den 80er-Jahren zu tun, in seiner Arbeitsweise ist er Polke sicher viel näher.

Polke war ein Chamäleon. Aber was ich durch die kapitale Retrospektive, die ich 2016 in London und Köln gesehen habe, endgültig verstanden habe, ist, dass Polke durch und durch ein Maler gewesen ist. Die Londoner Kuratoren haben das begriffen. Seine Fotografie ist im Vergleich zu seiner Malerei zweitrangig. Er hat als Maler, mit dem Blick und dem Verständnis eines Malers, fotografiert. Man muss genau hingucken, um in seinen Bildern stets Polke erkennen zu können. Seine Handschrift veränderte er stetig und gerne überraschend. Aber das Phänomen Malerei hat ihn lebenslang umgetrieben. In diesem alten, durchgenudelten Medium, in dem alles passiert war, von Tizian bis zu Marcel Duchamp, wollte er etwas schaffen, das noch nie ein Künstler verwirklicht hatte und eine Welt entwerfen, die noch nie jemand zuvor gesehen hat. Dafür nahm er jedes Risiko in Kauf – und daran ist er im Endeffekt gestorben. In Rotterdam hatte er im Museum Boijmans Van Beuningen vor Jahren eine hinreißende Ausstellung „Sigmar Polke“, unter anderem Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, 18. Dezember 1983 – 29. Januar 1984. mit ganz neuen Bildern. Von diesen Bildern existiert kaum noch eins. Warum? Weil er Ingredienzen zusammengemischt hat, die sich selber auflösten. Was er zum Teil nicht wusste, zum Teil aber auch einkalkuliert hat. Die Bilder hat er – trotz vielen Drängens – nicht verkauft. Polke war ein unermüdlicher Bildsucher, ein Bildentdecker, ein Bildformulierer, ein Experimentator. Ich habe den Wettstreit zwischen Polke und Richter um die Jahrhundertwende genau beobachtet. Für mich sind sie die besten Maler der Nachkriegszeit. Wenn ich meine Kriterien in puncto Malerei formuliere, habe ich immer Polke und Richter im Kopf. Polke ist aus meiner Sicht der Progressivere, Richter aber der Modernere. Das klingt widersprüchlich, ist dennoch sehr präzise definiert. Richter repräsentiert noch die Haltung der modernen Malerei, „The Painting of Modern Life“, um T. J. Clark zu zitieren. In seiner Publikation „The Painting of Modern Life” untersucht der Kunsthistoriker T. J. Clark (* 1943 Bristol) die künstlerische Darstellung der Konsumkultur in Paris zur Zeit der Impressionisten. Siehe auch: T. J. Clark, „The Painting of Modern Life. Paris in the Art of Manet and His Followers”, New York 1985. Polke ist, vorausgesetzt es gibt eine Neue Malerei, sicherlich der Einzige, dem es in unserem Jahrhundert gelungen ist, in diesem Kontinent zu landen.

Haben Sie mit Polke über Richter gesprochen?

Wahrscheinlich. Ich erzähle Ihnen eine Anekdote: Während der großen Richter-Retrospektive in der Bundeskunsthalle „Gerhard Richter. Malerei 1962–1993“, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 10. Dezember 1993 – 13. Februar 1994. , trat plötzlich jemand hinter mich und legte mir die Hand auf die Augen – davon existiert noch ein typisches Foto von Manfred Leve. Ich habe es nicht so gerne, wenn ich von hinten angegangen werde. Kurz bevor ich meine Ellenbogen ausfahren wollte, drehte ich mich glücklicherweise um. Und wer stand da? Sigmar Polke. „Warum bist hier?“ – „Ach“, sagt er, „ich bin nur hier, um den Meister zu ärgern.“ Es war kein freundschaftliches Verhältnis mehr. Dennoch gab es gegenseitigen Respekt und sicher auch eine vorwiegend sprachlose Korrespondenz.

Warum hatte Polke erst so spät Erfolg?

Das ist natürlich auch in der Persönlichkeit des Künstlers verwurzelt – in seiner Haltung und seiner privaten Experimentierlust. Als wir die große Ausstellung von Polke und Achim Duchow in Münster „Franz Liszt kommt gern zu mir zum Fernsehen“, Westfälischer Kunstverein, Münster, 29. April – 27. Mai 1973. machten, haben ich ihn in Willig am Niederrhein besucht, wo er einen Hof bewohnte. In meinem vielgelesenen Tagebuch, publiziert über mehrere Jahre im „Kunstforum“, habe ich meine unguten Gefühle geschildert. Ich wagte nicht, mich irgendwo hinzusetzen. Überall lag Unerquickliches herum. Ich bin auch nicht auf die Toilette gegangen. Polke lebte dort in einer Kommune mit vielen Künstlern und seiner Schweizer Freundin. Ich merkte förmlich, dass viele von ihnen Polke aussaugten. Da saß ein Haufen von Trittbrettfahrern zusammen. Einige wenige wie Walter Dahn mal ausgenommen. Polke war in keinem guten Zustand. Es war schwierig, mit ihm zu arbeiten. Ich befürchtete unaufhörlich, dass die Ausstellung nie zustande kommen würde. Tatsächlich war dann doch alles auf die letzte Sekunde fertig. Polke entwickelte eine Neigung, diejenigen, die er am meisten mochte, am inständigsten zu ärgern. Als Harry Szeemann Harald Szeemann (1933 Bern – 2005 Tegna im Tessin, Schweiz) war ein Ausstellungsmacher, der von 1961 bis 1969 als Direktor an der Kunsthalle Bern tätig war. Dort zeigte er 1969 die wegweisende Ausstellung „When Attitudes Become Form“. Szeemann leitete die „documenta 5“ (1972) sowie die Biennale von Venedig in den Jahren 1999 und 2001. Für das Kunsthaus Zürich organisierte er 1984 eine umfassende Retrospektive zum Werk von Sigmar Polke. die Polke-Retrospektive im Kunsthaus Zürich machte, unterbrach ich meine Rückkehr aus Venedig, um sie mir anzuschauen und für das „Kunstforum“ eine große Monografie vorzubereiten. Harry saß auf den Treppenstufen des Kunsthauses. Auf meine scherzhafte Frage hin, ob er sich ausruhen wolle, erwiderte er ohne sichtbaren Ärger: „Ich warte seit drei Stunden auf Sigmar.“ So war Polke. Als Gabi und ich „Made in Cologne“ auf die Schienen setzten, zu der auch Polke eingeladen war, ging nicht er, sondern Hagen Lieberknecht bei Atelieranrufen ans Telefon, ein junger Kunsthistoriker, der seinen Atelierbetrieb besorgte. Polke selbst vermochte man nur per Postkarte oder Brief zu erreichen. Diese Haltung hatte ihn schon die Teilnahme an der „documenta 6“ 1977 gekostet. Bei der Eröffnung herrschte Polke meine Frau an: „Du bist schuld, dass ich nicht auf der documenta bin!“ Andererseits kam er in Köln während der Vorbereitungen der „Made in Cologne“-Ausstellung mit einem Möbelwagen an – er selbst stieg aus einem riesigen amerikanischen Schlitten – und verkündete: „Ich habe dir etwas mitgebracht. Such dir etwas aus.“ Auch das war Polke.

Was steckte dahinter?

Polke war ein sehr schwieriger Mann, der sicherlich auch viele Schwierigkeiten mit sich selbst hatte und seine Zuneigung selten direkt zum Ausdruck bringen konnte. Polke war für mich ein Freund – und ich bin mit diesem Begriff sehr vorsichtig. Ein Freund ist für mich jemand, der mich aus dem Dreck zieht, wenn ich drin bin. Wobei ich mit all meiner Kraft bestrebt bin, nicht hineinzugeraten. Polke hat zwar meine Nerven bis zum Zerreißen gespannt, aber mich nie sitzen lassen. Die documenta-Geschichte blieb die absolute Ausnahme. Ich weiß, dass er mich geschätzt hat und ich habe ihn sehr gemocht. Eberhard Garnatz Eberhard Garnatz (* 1934 Bochum) ist ein Jurist und Kunstsammler. Mit Werken von unter anderem Georg Baselitz, Walter Dahn, A.R. Penck, Sigmar Polke und Rosemarie Trockel liegt der Schwerpunkt seiner Sammlertätigkeit im Bereich der deutschen Gegenwartskunst. Seit 1996 befindet sich die Sammlung Garnatz als Dauerleihgabe in der Städtischen Galerie Karlsruhe. , der mit ihm sehr gut befreundet war, hat mir erzählt, dass er bei ihm sehr offen gewesen sei. Wenn er verzweifelt war, sei er unversehens bei ihm aufgetaucht und habe Schutz und Hilfe gesucht – vielleicht war Polke manisch-depressiv. Das nehme ich stark an und es würde auch die jähen Schübe in seinem Verhalten erklären. Diese ganzen Drogen, andere Experimente und die Alkoholexzesse waren nicht folgenlos. Gerhard Ott, der Mann von Evelyn Weiss, hat ihm einmal das Leben gerettet und Sigmar in seiner Klinik ziemlich lange abgeschirmt. Polke beteiligte sich nur ungern am Spiel des Kunstbetriebs, er hatte eine anarchistische Ader. Das Anarchische war indes programmatisch. Er war und blieb ein unangepasster Künstler. Vielleicht der Unangepassteste, den ich kennengelernt habe – mit Ausnahme von Kippenberger. Ja, die Verbindungen zwischen den beiden sind unbestreitbar.

Hat sich das Selbstverständnis der Künstler in den 80er-Jahren mit aufsteigendem Erfolg Ihrer Meinung nach stark verändert?

Ja, es hat sich stark verändert. Im Wesen – nicht im Habitus. Wenn ich an die Biennalen der 70er-Jahre denke – da gab es auch schon Künstlerstars, Alberto Giacometti, Picasso, Matisse, Bonnard e tutti quanti. Die bekannten Künstler wurden natürlich bewundert, aber nicht wie Filmstars lauthals bejubelt und bedrängt.

Spätestens seit Vasari Giorgio Vasari (1511 Arezzo, Italien – 1574 Florenz) war ein Architekt und Künstler, der am Hof der Medici in Florenz tätig war. Bekannt ist er insbesondere für seine zahlreichen biografischen Schriften zu den italienischen Künstlern seiner Gegenwart. Zu seinen Hauptwerken zählen die mehrbändigen Bücher „Le Vite de’ più eccellenti architetti, pittori, et scultori italiani, da Cimabue insino a’ tempi nostri: descritte in lingua toscana da Giorgio Vasari, pittore arentino. Con una sua utile et necessaria introduzione a le arti loro“ (1550) und „Le Vite de’ più eccellenti pittori, scultori et architettori, scritte e di nuovo ampliate da Giorgio Vasari con i ritratti loro e con l’aggiunta delle vite de’ vivi e de’ morti dall’anno 1550 infino al 1567“ (1568). werden auch die biografischen Daten von Künstlern gesammelt. Zunehmend soll die Biografie aber auch den Schlüssel zum Werk liefern. Wird diese Art Personenkult durch den Kunstmarkt angefacht?

Nein, es ist ein Phänomen von Kunstkritik und Kunstgeschichtsschreibung und hängt mit den kulturellen Bedingungen zusammen, der sich die Kunstgeschichte als wissenschaftliches Format verdankt. Es war die Zeit des Geniekults und generell eines sich entfaltenden Individualismus. Die Personalisierung des Künstlerischen ist die Konsequenz eines Kults des Subjektivismus. Vom Genie schloss man auf das Werk. Ich kenne nur wenige deutschsprachige Kunsthistoriker wie Jacob Burckhardt Jacob Burckhardt (1818 Basel – 1897 Basel) war ein Kulturhistoriker, der von 1858 bis 1893 den Lehrstuhl für Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität in Basel betreute. Sein Hauptwerk „Die Kultur der Renaissance in Italien“ erschien 1860. , die eher Strukturen, Hintergründe und Zusammenhänge ins Auge fassten oder die Bildwerke ins Zentrum rückten. Martin Warnke gehört auch dazu. Mich haben die künstlerischen Erzeugnisse als Kritiker und Ausstellungsmacher stärker interessiert als ihre Urheber, das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass ich die Künstler nicht auch als Menschen geschätzt hätte. Durch die Begegnung mit den Künstlern, den Fotografen und hin und wieder mit Filmemachern sammelte ich viele beglückende Erfahrungen. Das macht die Essenz meines Lebens aus.

Ich würde gerne auf Jan Dibbets Jan Dibbets (* 1941 Weert, Niederlande) studierte an der Fontys Hogeschool voor de Kunsten in Tilburg (1959–1963) sowie der Saint Martin’s School of Art in London (1967). Bekannt wurde der Konzeptkünstler Ende der 1960er-Jahre für seine „Perspektivkorrekturen“: Mit einfachen ins Bild gesetzten geometrischen Figuren verändert Dibbets das perspektivische Bild dreidimensionaler Räume im zweidimensionalen Bild. Seit 1968 vertritt die Konrad Fischer Galerie den Künstler in Deutschland. Er nahm an der documenta 5 (1972), 6 (1977) und 7 (1982) teil und stellte 1972 im Niederländischen Pavillon der Biennale von Venedig aus. Von 1984 bis 2004 lehrte Dibbets als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Er gilt als Netzwerker zwischen den Kunstzentren in den USA und Europa, vor allem in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien. zu sprechen kommen. Heute bezeichnet er sich als Fotograf. 1970 haben Sie mit ihm in Aachen im Gegenverkehr eine Ausstellung „Jan Dibbets“, Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst e. V., Aachen, 12. März – 04. April 1970. gemacht.

Ein Jahr, nachdem Paul Wember seine erste Ausstellung in Deutschland gezeigt hatte. Für mich hat Dibbets einiges mit Richter gemein, nämlich seine reflektierte Beziehung zum Bild als Bild. Indem er mit ganz frappierenden Konstruktionen die zentralperspektivische Regelung des fotografischen Bilds außer Kraft setzte, veranschaulichte er optisch schlagend, dass die fotografische Wahrnehmung alles andere als natürlich ist. Unversehens wölbt sich einem ein Quadrat innerhalb der perspektivischen Fluchtlinien entgegen und konterkariert sie. Unser Vorstellungsvermögen vermag der Überlistung der Kameralinse kaum zu folgen. Dabei ist das Bild Ergebnis einer simplen Berechnungsoperation. In Wirklichkeit ist das scheinbare Quadrat ein Trapez. Dibbets' Korrekturen der Perspektive sind so beunruhigend, so irritierend. Im Prozess des Sehens wird die Fotografie ein Bild und ist nicht mehr nur eine Darstellung von irgendetwas.

Ich fand es sehr eindrücklich, als er mir erzählte: „Wenn ich eine Landkarte nehme, darauf einen Punkt setze und dann dorthin fahre, ist das für mich ein tolles Ereignis. Das ist für mich auch Kunst. Ich fahre dahin. Wenn ich dort angekommen bin und ein Foto davon mache, ist das ein Dokument. Wie eine Eintrittskarte.“ Vgl. Jan Dibbets. Das Dokument, zum Beispiel in Form eines Fotos, kann erworben werden, das eigentliche Kunstwerk aber ist das reine Konzept.

Insofern ist er auch nicht der konsequenteste Konzeptkünstler. Anders als ein Ian Wilson Ian Wilson (* 1940 Durban, Südafrika) gehört zu den radikalsten Vertretern einer konzeptuell verstandenen Dematerialisierung der Kunst. Im Jahr 1982 war Wilson auf der „documenta 7“ vertreten. , den heute kaum noch einer kennt. Der hat sich nämlich geweigert, ein materielles Ding zu verfertigen. Er war nur als Person da und hat über Kunst geredet. Ich habe Holly Solomon Holly Solomon (geb. Hollis Dworken; 1934 Bridgeport, Connecticut – 2002 New York) war eine Galeristin, Schauspielerin und Kunstsammlerin. Gemeinsam mit ihrem Mann Horace Solomon (1929 New York – 2005 New York) baute sie ab Anfang der 1960er-Jahre eine Sammlung mit Werken der frühen Pop-Art auf. Von 1969 bis 1973 führte das Ehepaar den alternativen Ausstellungsort 98 Greene Street Loft in New York. Zwei Jahre später eröffnete Holly Solomon eine kommerzielle Galerie im New Yorker Stadtteil SoHo. Bis 2002 zeigte sie dort Arbeiten unter anderen von Robert Barry, Christo, Gordon Matta-Clark, Robert Mapplethorpe und Nam June Paik. einmal gefragt, warum die Concept-Art in Amerika ein Flop war, da erklärte sie mir: „Wir Amerikaner sind handfeste Leute, Empiriker. Und Kunst ist etwas Dinghaftes – it's a work. „A work of art“ ist der Begriff. Ideen ohne handfeste Folgen interessieren uns nicht.“ Wenn Jan Dibbets sich heute als Fotograf betrachtet, dann ist ein Bild das Resultat seiner künstlerischen Arbeit – es ist ein Objekt. Was er während seines Lebens geschaffen hat, sind Objekte, Bilder, die mir – und vielen anderen Leuten – immer neue Wahrnehmungsformen offeriert haben. Was mir vertraut war, hat er durchkreuzt. Ich kann seine Bilder fortwährend ansehen und bin nach wie vor erstaunt. Ich glaube nicht, was ich sehe.

Richard Long ist auch ein Künstler, der es nicht bei der Idee belässt. Er wandert und fotografiert oder liest Relikte seiner Wanderungen, zum Beispiel Steine, auf und stellt sie aus. Bei Beuys hingegen spielen die Objekte eine größere Rolle als bei Long oder Hamish Fulton Hamish Fulton (* 1946 London) ist ein Künstler, dessen Werke auf den physischen und emotionalen Erfahrungen basieren, die er zum Beispiel auf mehrwöchigen Wanderungen durch die Natur sammelt. Fulton arbeitet hauptsächlich in Fotografie, Ton und Text. Mit seinem Werk war er auf der documenta 5 (1972), 6 (1977) und 7 (1982) vertreten. . Jeder Kunstbegriff, jede Form von Ästhetik manifestiert sich in dem, was vorhanden ist und was sichtbar wird. Ob der Künstler das Erzeugnis seiner Arbeit als Dokument oder als Kunstwerk betrachtet oder realisiert hat, ist für mich als Betrachter zweitrangig. Mich interessiert, was ich sehe, und das beschäftigt mich als gewöhnlicher Betrachter und als Kritiker.

Um beim Kritiker zu bleiben: Sie haben ausführlich über die „Westkunst“-Ausstellung „Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939“, Rheinhallen, Köln, 30. Mai – 16. August 1981. geschrieben, die nicht das geworden ist, was sie eigentlich werden sollte. Vgl. Klaus Honnef , „Vom Gebrauch der Kunst. Gedanken und Reflexionen zur Ausstellung ‚Westkunst‘ in Köln, in: „Kunstforum International“, Bd. 44/45, 1981, S. 24–31.

Solche Ausstellungen gelingen nie vollständig. Sie waren jedoch Demonstrationen einer bestimmten künstlerischen Sichtweise. Kasper Königs Ausstellungen weisen auch immer eine Kohärenz auf – bei all ihrer Vielfältigkeit. Sie waren nie wie eine Messe, sondern hatten ein klares Konzept. Hinzu kommt, dass „Westkunst“, „von hier aus“ oder die Münsteraner Skulpturenausstellungen Gemeinsam mit Klaus Bußmann gründete Kasper König 1977 die Skulptur-Projekte in Münster. Die Ausstellung findet jedes zehnte Jahr statt und konzentriert sich auf die Entwicklung des Skulpturenbegriffs in der Kunst der Gegenwart. für die Fachleute eine willkommene Gelegenheit boten, Bezüge zu entdecken – direkt, unmittelbar, anschaulich, nebeneinander oder über Achsen. Bezüge, die einem nicht vertraut waren. Ein Buch kann dies nicht leisten, weil es eindimensional ist. Es funktioniert auch nicht, indem man sich die einzelnen künstlerischen Positionen durch Besuche von zahlreichen Einzelausstellungen anzueignen versucht. Das menschliche Gehirn versagt dabei. T. J. Clark sagt: „Was das Gehirn bei der Malerei nicht schafft, ist, sich an die Distanzen zu erinnern, die zwischen einzelnen Figuren herrschen. Das kann man nicht behalten.“ Ich glaube, das trifft zu.

Wie fanden Sie die Gegenüberstellung, die Rudi Fuchs in der „documenta 7“ 1982 vorgenommen hat?

Jede documenta hat ihre Fallen. Aber seine und die von Jan Hoet waren für mich die Letzten, die Temperament und Charisma hatten und von einer Liebe zur Kunst zeugten, wenn ich das mal pathetisch sagen darf. Da war jemand am Werk, der ein Aficionado ist.

Die „documenta 7“ wurde, wie viele andere Ausstellungen davor und danach auch, sehr kritisiert. Harald Szeemann beispielsweise sagte gegenüber dem Kunstforum, diese „Konfrontationstour sei einem nach dem zweiten Stockwerk zum Hals herausgekommen“. Vgl. „Thema documenta: 7 Interviews“, in: „Kunstforum International“, Bd. 90, 1987, S. 321.

Sie stehen als documenta-Kurator immer unter Druck – unter Druck der Galerien und zunehmend auch der Künstler. Künstler hassen mittlerweile nichts so sehr wie Gruppenausstellungen. Jeder will sein Klosett haben, abgeschottet gegenüber anderen. Infolgedessen ist man zum Navigieren gezwungen und nicht alles gelingt. Harry Szeemann war kein Mann der Malerei – im Gegensatz zu Fuchs. Andererseits habe ich den Eindruck, dass die documenta-Ausstellungen, die heftig kritisiert wurden, die spannenderen waren gegenüber den späteren, die meist belobigt worden sind.

Hat dieser Dialog auf der documenta Ihrer Meinung nach funktioniert?

Wenn man selbst bei mehreren documenta-Ausstellungen dabei war, sieht man das nicht allein von der Konzeptionsseite. Selbst unser Medienkonzept, das auf Gabis und meinen Mist gewachsen ist, ist nicht richtig umgesetzt worden. Keines dieser Konzepte kann man eins zu eins umsetzen, weil man an der normativen Kraft des Faktischen scheitert. Fuchs‛ und Hoets documenta-Ausstellungen waren für mich die letzten, die nicht versucht haben, bestimmen Thesen oder Konzepte zu illustrieren. Alle großen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst – meine eingeschlossen – haben stets einen Kardinalfehler: Es ist viel zu viel an Bord. Ob der Dialog funktioniert hat? Wenn ja, dann über Tausende von Ecken.

Eine der größten Kritiken an der Ausstellung von Fuchs war, dass er nach Ihrer Medien-documenta die Medien wieder außen vor gelassen hat und eigentlich eine Malerei-documenta machte.

Ich fand das fabelhaft. Es war ein Statement. Ich finde immer gut, wenn jemand ein Statement formuliert, und Fuchs sagte: „Kunst ist Kunst. Und Kunst ist Malerei, ist Skulptur und Zeichnung – nicht diese Medien-Scheiße.“ Das ist doch eine Haltung. Toll! Ich schätze es sehr, wenn einer eine Haltung hat. Mich fesselt der andere Blickwinkel, auch wenn er mich ärgert. Aber in diesem Fall hat er mich nicht geärgert.

Eine starke Haltung hat auch Bazon Brock, der mit seiner Besucherschule sehr häufig bei der documenta vertreten war. Bazon Brock (eigtl. Jürgen Johannes Hermann Brock; * 1936 Stolp, Pommern, heute Polen) initiierte 1968 auf der „documenta 4“ in Kassel die erste Besucherschule, die er bis 1992 begleitend zu den documenta-Ausstellungen fortführte. Er wollte unter anderem das zeigen, was auf der documenta nicht gezeigt worden ist. Wie standen Sie dazu?

Bazon Brock ist ein Künstler, der zum Wissenschaftler mutiert ist. Manchmal äußert er gescheites, manchmal auch verblasenes Zeugs. Manches ist amüsant, anderes ist gähnend langweilig. Manchmal rennt er offene Türen ein, manchmal gegen die Wand. Das wirkt zweifellos spannend.

Die Besucherschule war gewissermaßen das Vermittlungsformat der documenta. Die documenta ist eine Massenveranstaltung, sodass die Besucher Bazon Brocks Texte wahrscheinlich relativ unreflektiert und uninformiert für bare Münze nahmen. Anders als heute, wo immer Vorsicht geboten wird, dass man bei der Vermittlung soweit wie möglich objektiv und auf keinen Fall wertend ist, polemisierte Bazon Brock mitunter in seinen Texten – und zwar nicht in geringem Maße.

Konrad Fischer und ich waren vier Wochen lang in Kassel und haben

die Besucherschule kaum wahrgenommen. Für Harry Szeemann und Jean-Christophe Ammann kann ich nicht sprechen. Die Thesen von Brock und seine Besucherschule haben unsere Arbeit bei der documenta aber gar nicht tangiert. Szeemann war eine ganz andere Personifikation von Künstler als Brock. Er inspirierte sich an den Visionen der Künstler und hegte selber Visionen. Seine großen Ausstellungen sind im Grunde visionäre Harry-Szeemann-Realisationen gewesen.

Haben Sie sich für die Vermittlung und die Rezeption gar nicht interessiert?

Fischer und ich? Nein. Unsere Ignoranz war keine Verachtung dem Publikum gegenüber. Kunst ist ein Angebot an jeden Betrachter oder Zuschauer – wie der Sport. Wenn ich keine Ahnung habe, warum 22 Hanseln samt Schiedsrichterteam hinter einem Ball herlaufen, erschließt sich mir auch der Fußball nicht. Um Vergnügen am Fußball zu finden, muss ich mir die Regeln aneignen. Ich muss wissen, was Abseits, was ein Tor, was Angriff, was Verteidigung ist. Ob Brock die zutreffenden Handreichungen für die documenta gegeben hat, kann ich nicht sagen. Ich habe auf die Sprachfähigkeit der Kunstwerke gesetzt. Und wenn sie nichts zu äußern hatten, ist auch das eine Äußerung. Wenn man das Angebot der Kunst nicht annimmt, ist man kein schlechterer Mensch. Man ist auch nicht dümmer. Vielleicht ignoranter – aber auch das ist kein Verbrechen. Ich frage mich dessen ungeachtet, warum die Leute ins Museum gehen. Früher betrachteten viele die Kunstwerke noch mit einem Katalog in der Hand. Sie strengten sich an. Nun werden sie berieselt. Sie haben einen Knopf im Ohr und gucken an die Decke. Ich denke: „Was ist denn an der Decke? Nichts.“ Oder sie reden: „Ach, morgen hat Tante Minchen Geburtstag, kommst du?“ – „Nein, ich habe keine Lust.“ Es ist abenteuerlich, was man da alles mitbekommt.

Ein Thema, das ich gerne noch ansprechen würde, ist die Kunst der DDR. Haben Sie in den 60er-, 70er- oder 80er-Jahre irgendwann den Gedanken gehabt, dass man das mal parallel anschauen muss?

1977 haben Evelyn Weiss und ich zum ersten Mal die Kunst der DDR auf der documenta gezeigt. Mir hat man häufig vorgeworfen, ich sei ein Verräter, weil ich kein orthodoxer Verfechter einer bestimmten Kunstrichtung bin und rechthaberisches Priestertum in der Kunst ablehne. Ich will vorausschicken, dass mein Blick durch die französische und die amerikanische Sicht geprägt worden ist. Ich habe schon sehr früh „Art International“ gelesen, das die Clement Greenberg-Sicht Clement Greenberg (1909 New York – 1994 New York) war ein Essayist und Kunstkritiker. In seinen Schriften beschäftigte er sich schwerpunktmäßig mit den Entwicklungen der modernen Kunst und insbesondere mit der Strömung des Abstrakten Expressionismus. Er gilt als Verfechter des Konzepts einer autonomen Kunst. Zu seinen einflussreichsten Veröffentlichungen zählen die Essays „Avant-Garde and Kitsch“ (1939) sowie „Modernist Painting“ (1960). spiegelte. Als Student habe ich den „Monat“ „Der Monat“ war eine von Melvin Lasky in Berlin herausgegebene Zeitschrift für Politik und Kultur, die von 1948 bis 1971 sowie von 1978 bis 1987 erschien. gelesen, der Einfluss auf meine politische Einstellung hatte. Die freie Kultur, die sich in der abstrakten Kunst – ganz gleich welcher Art – dokumentierte, war auch für mich die Kunst der Freiheit. Das würde ich heute in dieser ausschließlichen Form nicht mehr behaupten wollen. Aber als Zeitphänomen und in den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen, auch wenn man die Kunst intern betrachtet, hatte dies seine Plausibilität. Ich bin 1969 in die AICA Die AICA (Association Internationale des Critiques d’Art) ist eine 1948 in Paris gegründete Dachorganisation der Kunstkritiker. Die deutsche Sektion der AICA entstand 1951 in Berlin. berufen worden. 1974 veranstaltete die AICA der DDR, noch vor der Bundesrepublik Deutschland, den internationalen Jahreskongress. Ich war früher schon als Sportjournalist zweimal in Ost-Berlin, aber die DDR kannte ich nur durch das, was ich darüber las oder im Fernsehen sah. Ich hatte mich entschlossen, an dem Kongress in der DDR teilzunehmen, weil mich das andere Deutschland interessierte. Es ergab sich, dass ich – und außer mir noch Charlie Ruhrberg und Bernhard Rohe, der brillante TV-Kunstjournalist – als einer der ersten 100 oder 150 Westdeutschen mit dem eigenen Auto durch die DDR fahren konnte. Es war ein sehr bizarrer Besuch. Die DDR entpuppte sich für mich als das exotischste Land, das ich bis dahin besucht hatte. Die Zeit war stehengeblieben. Ich lernte ein Deutschland kennen, wie Deutschland 50 Jahre zuvor gewesen sein musste. Wir aus dem Westen fühlten uns im Vergleich mit den Menschen in der DDR nicht wie Deutsche, sondern wie Westler. Trotzdem waren Gabi und ich von diesem konservierten Deutschland so ergriffen, dass wir uns in Weimar spontan verlobt haben. Selbstredend präsentierte die DDR uns internationalen Kunstkritikern alles, was möglich war. Die Gastfreundschaft war immens und sämtliche Weinflaschen – auch die raren Meissner-Weine – waren immer schon geöffnet, wenn wir den Saal betraten. Die DDR-Kollegen haben auch Verabredungen mit Künstlern organisiert, die wir dann in Leipzig trafen. Eduard Beaucamp Eduard Beaucamp (* 1937 Aachen) ist ein Publizist und Kunstkritiker. Ab 1958 studierte er Literaturgeschichte, Kunstgeschichte und Philosophie an den Universitäten in Freiburg und München. 1966 wurde er Feuilletonredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, bei der er bis 2002 insbesondere Beiträge zu den Entwicklungen der zeitgenössischen Kunst sowie der Kunst der ehemaligen DDR verfasste. Neben seiner Tätigkeit als Redakteur ist Beaucamp Autor mehrerer Bücher, darunter „Das Dilemma der Avantgarde“ (1976) und „Die befragte Kunst. Kritische Streifzüge von Donatello bis Beuys“ (1988). setzte sich zu jener Zeit sehr für sie ein. Er fuhr damals bei mir im Auto mit und wir mussten uns zwischen Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig und Willi Sitte entscheiden. Während der 1970er- und 1980er-Jahre gehörten Bernhard Heisig (1925 Breslau, Niederschlesien, heute Polen – 2011 Strodehne), Wolfgang Mattheuer (1927 Reichenbach – 2004 Leipzig), Willi Sitte (1921 Kratzau, Tschechoslowakeit, heute Tschechische Republik – 2013 Halle an der Saale) und Werner Tübke (1929 Schönebeck an der Elbe – 2004 Leipzig) zu den bekanntesten Künstlern der DDR. Siehe auch: Lothar Lang, „Malerei und Graphik in Ostdeutschland“, Leipzig 2002. Gabi und ich entschieden uns für Mattheuer, der mir noch am meisten lag, weil sein Werk abstrakter und chiffrenhafter war als das von Heisig und Sitte. Über Tübke hatten wir in Dresden einen unglaublichen Film gesehen. Darin brillierte er, es war bestechend – einen Künstler von dieser intellektuellen Erscheinung hatte ich noch nie getroffen. Es gab keinen Vergleich in Westdeutschland, auch unter meinen Freunden nicht. Beim Empfang der Stadt Leipzig haben wir ihn kennengelernt und waren abends zusammen mit ihm in einer Bar. Tübke war Äquilibrist. Wie er eine Dame vom DDR-Kulturministerium, einflussreich und wohl auch gefährlich, über die Tanzfläche gewirbelt hat … das war atemberaubend. Er hatte uns vorher berichtet, dass das eine schlimme Person wäre und ohne dass sie es merkte, führte er sie mit seiner souveränen Ironie vor. Diese Courage habe ich sehr bewundert, muss ich sagen. Das war nie ganz ungefährlich.

Mit Mattheuer und seiner Frau hatten wir ein wunderbares Gespräch. Zu ihm haben wir auch später den Kontakt noch gehalten. Infolge meiner bei diesem und weiteren Besuchen erworbenen Kenntnisse der DDR-Kunst, begann ich sie mit anderen Augen zu sehen. Ich wusste, dass es Schwierigkeiten mit der Teilnahme der DDR bei der „documenta 6“ geben würde, in erster Linie aus politischen Gründen. Und beinahe bis zuletzt war die Teilnahme gefährdet. Wobei Peter Ludwig offenbar Werke der maßgeblichen DDR-Künstler gekauft hatte und wir die DDR-Kunst so oder so hätten zeigen können. Wahrscheinlich wusste auch die Bundesregierung Bescheid und hat der DDR signalisiert: „Wir zeigen eure Kunst gegebenenfalls auch ohne euer Einverständnis.“ Während der grauenhaften Aufbauphase der documenta fanden wir uns jeden Abend gegen acht oder neun Uhr völlig erschöpft bei „Da Bruno“ zum Essen ein. An unserem Tisch versammelten sich die documenta-enttäuschten Künstler wie Gordon Matta-Clark und andere – da gingen die Gespräche bis weit nach Mitternacht. Zu ihnen zählte auch Bernhard Heisig, mit dem ich mich an einem dieser Abende angefreundet habe.

Wieso war er da?

Er war zusammen mit Lothar Lang Lothar Lang (1928 Werdau – 2013 Grünheide) war ein Kunsthistoriker und Kunstkritiker. Zwischen 1957 und 1991 verfasste er regelmäßig Beiträge für die Zeitschriften „Bildende Kunst“ und „Die Weltbühne“. Von 1970 bis 1990 betreute er als Direktor den Aufbau der Exlibris-Sammlung am Museum Schloss Burgk. Er veröffentlichte unter anderem die Schrift „Malerei und Graphik in der DDR“ (1978). , dem Kommissar des DDR-Beitrags, der innerhalb der Malereipartie ein eigenständiger Beitrag war, da. Beide haben mich später regelmäßig zur Großen Dresdner Kunstausstellung Zwischen 1946 und 1988 fand die „Kunstausstellung der DDR“ im Rhythmus von vier Jahren im Albertinum in Dresden statt. Dort wurden neue Entwicklungen aus den Bereichen Kunst, Grafik und Kunsthandwerk vorgestellt. eingeladen. Ich bin anschließend im deutsch-deutschen Kulturaustausch für die Bundesregierung tätig gewesen und habe auf diese Weise abermals eine andere Beziehung zur DDR-Kunst aufgenommen. In Bonn habe ich auch die Plastik der DDR-Kunst gezeigt und in Berlin mit Jörn Merkert und Peter Pachnicke eine große Heisig-Retrospektive. „Bildhauerkunst aus der Deutschen Demokratischen Republik“, Rheinisches Landesmuseum Bonn, 10. September – 18. Oktober 1987; „Bernhard Heisig. Retrospektive“, unter anderem Berlinische Galerie, Berlin, 01. Oktober – 31. Dezember 1989. Aus der Perspektive des Films habe ich im Katalog einen fulminanten Essay geschrieben: „Die Montagetechnik bei Heisig“– eine Montage- und keine Collagetechnik. Vielleicht hat Heisig für mich auch eine Brücke zur figurativen Malerei geschlagen, zu den jungen westdeutschen und zu den österreichischen Malern, aber auch zu Karl Marx in Köln. Später habe ich mit Peter Pachnicke zusammen noch die umfassende Retrospektive des Werks von John Heartfield erarbeitet, „John Heartfield“, Akademie der Künste und Altes Museum, Berlin, 16. Mai – 11. Juli 1991. die abschießend zu großen Teilen ins MoMA nach New York wanderte. Der erste gemeinsame Besprechungstag zu dieser grandiosen Schau fand in Leipzig an jenem Tag statt, an dessen Abend die Mauer fiel.

Was war eigentlich mit Arno Rink? Warum war er auf der „documenta 6“ nicht vertreten?

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der Beitrag war eine Wahl der DDR-Kunstoberen. Es waren die vier Malerstars sowie die Bildhauer Fritz Cremer und Joachim Jastram. Die Bildhauer werden in der Literatur sehr häufig unterschlagen.

Ich kenne den Vorfall selbstverständlich nur in der Überlieferung der Medien beziehungsweise aus der Sicht der Künstler und Galeristen: Warum konnten die Bilder von A.R. Penck auf der documenta nicht gezeigt werden?

Das war Baselitz. Baselitz hat seine Beteiligung wegen der DDR zurückgezogen.

Die Werner-Künstler und Werner selbst sagen, dass Pencks Bilder nicht ausgestellt wurden, weil es die DDR-Künstler nicht wollten. Vgl. Markus Lüpertz

Das trifft zu. Genau kann ich mich nicht erinnern. Ich kann mich erinnern, dass es Probleme gab. Meines Wissens war Penck aber dennoch dabei – zum Unwillen der DDR-Kommissare sogar in der Nähe ihres notdürftig errichteten Verschlags unter der Fotografiesektion. Baselitz hat nicht ausgestellt, denn er wusste von Evelyn Weiss, dass es Pläne gab, die DDR-Kunst zu zeigen. Lüpertz hat abgehängt, weil wir sein Bild neben eines von Bacon gehängt haben. Leider hat Gerhard Richter dann in seiner Unsicherheit auch noch abgehängt.

Wie kann man sich das vorstellen? Warum waren die alle vor Ort?

Zu Eröffnung sind die Künstler immer vor Ort.

Das hat sich während der Eröffnung abgespielt?

Ja, während der Preview. Schneckenburger war nicht auffindbar und wir wurden völlig überrollt, als plötzlich Bilder in Bewegung gerieten. Ich habe zuvor keine Wand ohne Bilder gesehen. Und kaum war eine Wand frei, waren die Gehilfen der amerikanischen Kunsthändler zugange, um die Bilder ihrer Künstler dorthin zu hängen. Der spätere Besucher hat von diesem Revirement aber nichts bemerkt. Unser Konzept war bereits durch die Trennung von Fotografie und Malerei zerstört worden, aber äußerlich wirkte alles picobello. Dabei hatten die meisten nach den finsteren Vorberichten der Presse gedacht, die documenta sei ein Müllhaufen. Eduard Beaucamp hat das sehr treffend beschrieben: „Allen Gerüchten zum Trotz sieht die documenta aufgeräumt aus.“ In der Nacht zuvor hatte noch das blanke Chaos geherrscht, den Innenarchitekten haben wir so sehr beansprucht, dass er auf dem Weg zu seiner Familie in den Tod gerast ist.

Und was meinen Sie mit „Richter in seiner Unsicherheit“?

Gerhard Richter war mitunter unentschlossen. Was ihn zum Abhängen wirklich angestiftet hat, weiß ich nicht. Er hat uns später erklärt, es sei ein Missverständnis gewesen. Es ist so wie es ist. Was soll ich mir jetzt noch viele Gedanken machen? Polke hat sich ja auch beklagt, dass er nicht dabei war. Aber bei Richter hatte es nichts mit der DDR zu tun. Lüpertz’ offizielles Argument war, dass schlecht gehängt worden sei. Also hatte seine Aktion auch nichts mit der DDR zu tun.

Haben Sie auch während des Aufbaus ständig irgendwelche Leute gehabt, die Ihnen hereinreden wollten?

Nein, das hätte ich nie zugelassen. Während des Aufbaus hatten Künstler, wenn ihre Hilfe nicht notwendig war, bei mir immer Anwesenheitsverbot.

Es gab auch keine Künstler, die darauf bestanden?

Nein. Es sei denn, sie schufen eigens ortsgebundene Installationen wie Hans Peter Reuter. Es gab aber Künstler, die von vornherein nicht mitmachen wollten.1972 beispielsweise Dan Flavin und Robert Smithson. Im Februar des Jahres bin ich nach New York geflogen, um sie umzustimmen. Bei Flavin merkte ich gleich, dass es keinen Zweck hatte. Flavin hat dann behauptet, er hätte unsere Einladung abgelehnt – ich konnte aber immer beweisen, dass er gar nicht eingeladen worden war, denn ich habe ihm die Einladung, die ich in meinem Koffer dabei hatte, gar nicht ausgehändigt. Mit Bob Smithson habe ich mich hingegen bestens verstanden. Wir einigten uns darauf, dass er an der „documenta 5“ mit einem kritischen Statement Robert Smithson, „Kulturbeschränkung“, in: „documenta 5: Befragung der Realität, Bildwelten heute“, Ausst.-Kat. documenta 5, Kassel 1972, S. 74. im Katalog teilnimmt. Und das ist auch abgedruckt worden.

Warum haben Sie Dan Flavin nicht eingeladen?

Weil wir wussten, dass er nicht wollte.

Es gibt viele Themen und Bereiche, in denen Sie tätig waren. Gibt es heute noch etwas, das Sie gerne einmal machen würden? Eine Gegenüberstellung oder Begegnung? Oder etwas, das unbedingt einmal gemacht werden müsste?

Dass unser Medienkonzept bei der „documenta 6“ schiefging und wegen vielfältiger Hintertreiberei nicht realisiert wurde, finde ich immer noch bedauerlich. Ob ich es noch einmal wiederholen würde, weiß ich nicht. Aber es war schon ein schönes Konzept: Fotografie und Malerei im Wechsel, im Dialog. Die Fotografie-Ausstellung war eine Sensation – eine ähnliche Kollektion kann man heute nicht mehr zusammenbringen – die meisten Bilder waren Originale von Julia Margaret Cameron, von Talbot, Nadar, Atget, Capa, Cartier-Bresson … bis hin zur Fotokunst um 1970. Erstklassige Fotografie – keine Großformate, die gab es noch nicht in der Kunst, es waren überwiegend kleine Formate – nobel präsentiert in sehr schönen kühlen Räumen und dazwischen die ungemein sensiblen Bilder ohne Bilder – weiße, stille Bilder – mit der Absicht, sie den Besuchern psychisch-physisch nahezubringen und ihnen den Horror vacui zu nehmen. Bei den Fotografien hätte man konzentriert sein müssen, sich von Bild zu Bild anstrengen. Angesichts der stillen Bilder, die einen ärgern, weil man nichts wiedererkennt und nur ruhige Flächen sieht, wird durch die Begegnung mit den fotografischen Bildern zuvor und danach auf einmal eine überraschend neue Seite merkbar: Endlich Ruhe! Stille! Nicht dieses Tremolo von Bildinformationen! So wollten wir die integrierte Abteilung aufbauen, das war meine Vision. Organisatorisches Missmanagement hat ihre Realisierung verhindert. Die notwendigen Bilder waren da.

Für meine Arbeit als Kurator und Bildtheoretiker wäre es ein wunderbarer Test gewesen. Blicke ich auf fast 50 Jahre Ausstellungsmachen und über 50 Jahre Kunstkritik zurück, stelle ich fest, dass ich wie kein anderer, fortwährend die Grenzen und Möglichkeiten, die Wirkungsweisen und Ästhetiken des Phänomens der Bilder, der gemalten, fotografierten, gezeichneten und gefilmten in allen ihren Beziehungsstrukturen intuitiv und ohne ausdrückliche Intention erkundet und ausgelotet habe. Gleichgültig ob es sich um Kunstwerke, sei es in früheren Epochen, sei es in der Moderne und Nach-Moderne, um fotografische Bildreporte, um populäre Zeichnungen und massenmediale Bilder handelte – sämtliche Zeugnisformen haben sich in Bezug aufeinander in diesem halben Jahrhundert unter meiner Regie in meinen Ausstellungen zusammengefunden und wurden in meist ausführlichen Katalogtexten auch in dieser Korrespondenz reflektiert und analysiert. Praxis und Theorie gingen Hand in Hand. Darüber hätte ich mich gerne mit Ihnen noch ausführlicher unterhalten.

Zurück zum Anfang
Klaus Honnef